PHÖNIX AUS DER ASCHE
Eine Theologie für alle
und
von
Gottfried Hutter
Franziskanerstraße 16, 81669 München
Werfen Sie bitte mit mir einen Blick aus der Zukunft
auf das Leben und auf die Transformation der christlichen Religion!
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Was den Leser erwartet 5
Erlösung heute 6
1 Gott 8
3 Der erste Schritt 13
5 Von der Kirche der Affen zur Kirche der Menschen 18
7 Auferstehung oder Apokalypse 28
8 Befreit durch die Krankheit 32
9 Glaube und Erfahrung 37
10 Instinkt - Hypnose - Religion 41
11 Vergebung 43
12 Das Dialogische Prinzip des Universums 44
13 Niemand kennt die Stunde 55
14 Meditation 56
15 Wie der Tod kommt 57
16 Kapitulation 59
17 Der Spalt der Wahrheit 60
18 Böse? 61
19 Was ist Wahrheit? 68
20 Warum ist Religion nicht totzukriegen? 75
21 Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Theologie 79
22 Ein Christentum ohne magisches Paradigma 83
23 Das Reich der Paranoia und wie wir daraus entkommen können 87
24 Das Ostergeheimnis 93
25 Ist Jesus Gottes einziger Sohn? 99
26 Wer berühren kann 105
27 Das einzig Unbedingte im Christentum: Der Geist 107
28 Der Geist und die Kirche 112
29 Gemeinschaft im Geist 117
30 Zwanghafte Wut loswerden 122
31 Gottes Willen erkennen 125
32 Die Sehnsucht und ihr Ziel 132
33 Dankbarkeit 136
34 Was ist der „Teufel“? 139
35 Heilung 144
36 Vorgefertigte Gebete oder unmittelbare Kommunikation? 150
37 Bewusstheitsentwicklung 154
39 Der Motor des Universums 166
40 Sexualität 171
41 Erstaunliche Phänomene ("Wunder") - und was dann kommt 183
42 Der Traum von der einen Religion der einen Welt 190
43 Leben nach dem Tod 197
44 „Kapitulation“ – der Weg zur Heilung allen Leidens 203
45 Die Zerstörung des World Trade Center 209
46 Bisherige Religion und die Religion der Zukunft 213
47 Das verhängnisvolle Missverständnis des Bilderverbots im Islam 230
Consequences of Misunderstanding that
Commandment 231
49 Wie sieht das Leben im Reich Gottes in unserer Zeit aus? 233
50 Die Transformation der christlichen Religion 247
51 Das Erfolgsrezept 251
52 Was ist Religion – was ist Therapie – was sind Übergangsrituale ? 253
53 Meine Vision 265
54 Der Weg im „Plan“ des Weltgeists 271
55 Ich bin vollkommen in Deiner Hand 277
56 Die Meditation 281
57 Analyse des posthumen Erscheinens Jesu 284
58 Holocaust 289
59 Umkehr 289
60 Theologische Inzucht 290
61 Eine Sexuelle Kultur 291
62 Ein Lösungsbild für den Kulturkonflikt zwischen dem Islam und dem
Rest der Welt 296
63 A Vision
of the Solution of the Cultural Conflict between Islam and
the Rest of the World 301
64 Auferstehung – objektiv und subjektiv 306
65 Der Tempelberg: Wie sich Menschen durch ein Bild verändern werden 307
66
Jerusalem’s Temple Mount: How People will be Changed by an Image 308
67 Das Problem der Jenseitshoffnung 310
68 Bild und Realität 311
69 Der Totalangriff gegen jede Moral: Das Gleichnis vom Barmherzigen
Samariter 313
70 Die gegenwärtige Weltlage einschließlich Perspektiven und Visionen
von Lösungen 317
71 Der Faschismus der dritten Welt und seine Überwindung 320
72 Ein Projekt für Frieden im Nahen Osten – und weit darüber hinaus 325
73 A
Project For Peace In The Middle East – And Far Beyond 327
74 Armageddon 330
75 Das islamische Kommunikationssystem 333
76 Der Teufelswahn und wie ihm entkommen 337
77
Gefolgschaftstreue im Islam 341
78 The
„real causes“ of the conflict in the Middle East 343
78 Theodizee 344
79 Wichtige politische Ziele für islamische Staaten 351
80 Das Konzept der Schuld ist obsolet 352
81 Ein neues Paradigma der Schuld 362
82 Gebet – und: die Natur der Natur 363
83 Der Geist der Samurai 368
84 Das einzige Hindernis ist die Angst 369
85 Das menschliche Tier 373
86 Die Kraft muss wachsen 379
87 Dem Geist folgen 383
88 Das Gesetz und die Freiheit (Abraham – Jesus – Sensitivität) 387
89 Die vier Lebensziele der Hindus 390
90 Ein Kommentar zu 1 Kor 15,28 394
91 Warum lebende Propheten bei Priestern und Schriftgelehrten
unbeliebt sind 402
92 Natural
principles of international law and conduct 404
93 Wie Konstellationen wirken 405
94 Beziehungskrisen 408
95 „Wenn dich einer auf die linke Backe schlägt …“ 413
96 Sola fide – Allein durch Glauben? 415
97 Was ist verrückt – was ist normal? 417
98 Was bedeutet „Wiedergeburt“? 418
99 Die Emmausgeschichte 423
100 Der Terror der Muslime 428
101 Jesus, Maria und Marta 440
102 Der Mythos des Gottessohnes im Credo heute 442
103 Glaube als Verhängnis und als Chance (Vortrag beim
Psychiaterkongress DGPPN in Berlin, November 2004) 457
104 Zeitreise
in einer Raumkapsel – Meditationen zu einem Vortrag
im Klinikum Rechts der Isar in München,
März 2005 469
105 Auferstehung, Wiedergeburt, ewiges Leben 480
106 Strittige
Interreligiöse Fragen klären 497
107 Veneration of Saints in a Non-Idolatrous Way 503
Nachwort „Warum es nur eine Religion gibt“ und biografische Notiz 505
vorläufiges Ende 509
Kurze Gebrauchsanweisung für die folgenden Seiten:
Die folgenden Texte sind gedacht als Wegweiser zu einem neuen Leben. Sie sollten daher in einem meditativen Geist gelesen werden, vielleicht jeden Tag nur ein Kapitel, damit sich das, was intendiert ist, entfalten kann.
Was
den Leser erwartet:
Die christliche Religion von heute hat mit dem, was Jesus vor 2000 Jahren wollte, ungefähr so viel gemein, wie die jüdische Religion zur Zeit Jesu mit deren ursprünglicher Intention gemein hatte – immerhin war die Diskrepanz damals so groß, dass die Verantwortlichen glaubten, es wäre für das "Volk Gottes" besser, den Störenfried Jesus zu beseitigen.
Um von der heute gegebenen Lehre der katholischen Kirche auf den genuinen Geist Jesu zu stoßen, ist es notwendig, durch mehrere extrem solide archäologische Schichten hindurchzugraben: Die erste Schicht ist die des Hellenismus; aus dieser Schicht stammt der Mythos, der schließlich erklärt und eingegrenzt werden musste. Die zweite Schicht ist daher die der Scholastik; aus dieser Schicht stammt das immer noch gebräuchliche, haarspalterische System von Definitionen, dem schließlich die Wirk–lichkeit entglitten ist – das dafür aber zur Wissenschaft geführt hat, die uns jetzt instand setzt, die gesamte Entwicklung zu erforschen. Die dritte Schicht ist die der dogmatisch definierten Überheblichkeit, die zum Kolonialismus geführt hat. Aus ihr stammt der grenzenlose Hochmut, mit dem die Christen andere Kulturen und Religionen betrachtet haben. Aus ihr stammt aber auch die jetzt gegebene gleichzeitige Gegenwart und Erreichbarkeit aller Kulturen und Religionen und in ihr die Einheit der Welt.
Die folgenden Texte setzen den erfolgreichen Abschluss der Grabungen voraus, daher handelt es sich (noch) um eine Art „Science–Fiction“-Theologie. Im Geist ist das Juwel bereits wieder freigelegt. Wir können also aus der in unserem Geist bereits gegenwärtigen Zukunft zurückblicken auf den Ursprung.
Das Resultat dieses Rückblicks, dieser Text, steht aber vor einer zweifachen Hürde: Zum einen hat ein Teil der Leser das Juwel bereits abgeschrieben, weil die Schichten von historischen Ablagerungen lange als undurchdringlich galten; zum anderen ist ein weiterer Teil der Leser mit einem Grabungsverbot belegt, weil ihr Weltgebäude ohnehin schon schwer einsturzgefährdet ist. Dieser zweiten Gruppe muss ich leider mitteilen, dass der Einsturz unvermeidlich ist – wie Jesus schon sagte: "Kein Stein wird auf dem anderen bleiben!" Entweder er erfolgt durch eigenes Forschen oder er erfolgt durch äußere Ereignisse, auf die wir keinen Einfluss haben. Die gute Nachricht aber ist, dass das, was einstürzt, nur eine Illusion ist und dass hernach erst das Leben in Fülle beginnt.
Davon und von den Übergängen hierzu handeln die folgenden Texte.
Nichts davon sollte in irgendeiner Religion Anstoß erregen, denn alles stammt aus der allgemein–menschlichen (also der „kat-holischen“) Anschauung des Lebens – in der Ausdrucksweise Jesu: aus der Anschauung „des Menschensohns“.
'Erlösung' - was soll das sein? 2000 Jahre Christentum haben das Wort mit so vielen Bedeutungen befrachtet, dass wir heute neu überlegen müssen, worum es eigentlich geht. Wovon sollen wir denn erlöst werden und was soll dabei herauskommen?
Dass die Welt für die meisten Menschen kein Paradies ist, zeigt ein Blick in die täglichen Nachrichten. Aber wie soll sich das ändern? Hatte Karl Marx, der geistige Vater des Kommunismus, nicht recht, wenn er Religion als 'Opium des Volkes' bezeichnete und meinte, zuerst müsse das Opium weg, dann würden die Menschen ihr Schicksal schon selbst in die Hand nehmen?
Das kommunistische Experiment ist gescheitert, aber hatte Marx nicht trotzdem etwas Richtiges gesehen? Und sehen es heute nicht alle mit ihm? Religion hat doch tatsächlich etwas Benebelndes, etwas, das die Leute verrückt macht. Nicht, dass die Menschen heute nicht mehr benebelt werden wollten, aber genau diese Art von Opium wollen sie heute nicht mehr - denn heute haben sie, jedenfalls in unserem Kulturkreis, ein viel besseres Opium: diese unglaubliche Fülle an Konsummöglichkeiten. Statt in Kirchen strömen die Leute daher in die Kaufhäuser und an ferne Strände. Und sie spüren tatsächlich eine Erleichterung - für eine gewisse Zeit, dann hat sie der Alltag wieder mit all seinen Sorgen und Ärgernissen. Und im Hintergrund beginnt langsam eine Ahnung zu dämmern von jener uralten Sehnsucht - nach einem bleibenden Paradies.
Die alten Erlösungsgeschichten waren voll von Wundern, so märchenhaft, dass die realistischen Menschen von heute sie nicht mehr glauben können. Jesus erscheint da wie ein großer Zauberer, der mit irgendwelchem außer- oder überirdischen Hokus-Pokus Kranke heilt, Tote auferweckt, übers Wasser geht, Lebensmittel aus dem Nichts hervorzaubert, und zuletzt sogar selbst von den Toten aufersteht. Diese Art von Geschichten kann heute jeder dutzendweise täglich im Fernsehen sehen, aber natürlich nicht in den Nachrichten, sondern in den Fantasy-Filmen. Und so verkommt Jesus zu einem Vorläufer heutiger Comix-Figuren. War das schon alles?
Jesus soll der Erlöser gewesen sein, aber wen hat er wovon erlöst? Auf den Erlöser, den die Kirchengeschichte uns vorgeführt hat, können die Menschen heute gut und gern verzichten. Die Zeit, wo Millionen hingemetzelt wurden für irgendeinen alten Aberglauben möge doch vorbei sein, hoffen heute alle. Also, was soll da noch Religion?
Der uralten Sehnsucht wegen - lassen Sie die folgenden Seiten an sich vorüberziehen wie einen Film und wenn etwas zu anstrengend wird (wie vielleicht der Anfang des "Dialogischen Prinzips"), spulen Sie einfach ein wenig vor!
Falls Ihnen manche Aussagen allzu gewagt erscheinen: Es geht mir in keiner Weise darum, irgendwelche neuen dogmatischen Behauptungen aufzustellen, sondern nur darum, das allzu Bekannte in einen neuen Blickwinkel zu stellen, damit etwas zu Tode Geglaubtes zu neuem Leben erwachen kann.
Das wollte zu seiner Zeit auch Paulus, deshalb hat er geschrieben (2 Kor 10,4f.):
„Die Waffen, die wir bei unserem Feldzug einsetzen,
sind nicht irdisch, aber sie haben durch Gott die Macht, Festungen zu
schleifen; mit ihnen reißen wir alle hohen Gedankengebäude nieder, die sich
gegen die Erkenntnis Gottes auftürmen. Wir nehmen alles Denken gefangen, so
dass es Christus gehorcht.“
Gott - die Kraft, die alles
bewegt
Gott ist - natürlich! - die Kraft, die alles bewegt.
Wie sollen wir uns Gott vorstellen? Soll diese Kraft, die im Lauf der Zeit aus Steinen Menschen entstehen hat lassen, unbewusst sein – wo sich doch die Sinngerichtetheit in jeder Phase der Entwicklung zeigt und die Evolution mit jeder ihrer Stufen immer mehr Bewusstheit möglich macht?
Ein Beispiel:
Irgendwo im indischen Ozean gibt es eine Schildkrötenart, die Verwandte hat, die im Fluss leben. Diese Verwandten, so fanden Wissenschaftler, unterscheiden sich von ihren Meeresschildkrötenvorfahren nur durch ein winziges Detail: Sie haben auf der Zunge einen beweglichen Fortsatz, der aus ihr hervorschnellen kann und dabei genau so aussieht, wie ein Wurm, der, von der Strömung freigespült, versucht, sich wieder in den Boden einzugraben - ein gefundenes Fressen für die Fische. Nun braucht die doch eher schwerfällige Schildkröte nicht mehr den Fischen nachzujagen, sie muss nur noch stillhalten, ihr Maul öffnen, den Fortsatz sich ringeln lassen und warten, bis der erste Fisch versucht, den Wurm zu kriegen. - Und das soll Zufall sein?
Ähnliches spielt sich bei der oft so unglaublich exakten Kooperation von Pflanzen und Insekten ab. Offenbar ist es so, dass sich aus einer Art Traum vom Idealzustand dieser Idealzustand irgendwie materialisiert und niederschlägt in einem evolutionären Sprung. Das ist das Wunder der fortwirkenden Schöpfung.
Gibt es daher überhaupt so etwas wie "unbelebte" Materie? Woher kommen die Vorlieben gewisser Atome für bestimmte andere, woher haben sie die Tendenz, sich auf gewisse Strukturen einzulassen? Sollen wir wirklich glauben, das wären nur zufällig entstandene Programme - und wenn es so wäre, was schreibt derartige Programme?
Was wir kennen, sind wir Menschen. Wie werden wir gesteuert - abgesehen von der sogenannten "Instinkt"-Basis und der sozialen Programmierung? Gibt es in uns nicht etwas, das der Sehnsucht ähnelt, die die Schildkröten den Fluss hochgetrieben hat - eine Art Traum, den wir von Zeit zu Zeit in gewissen Situationen wiedererkennen, einen Traum, der uns manchmal zu Tränen rührt - vor Schmerz, wegen der Entfernung, die uns trennt von seiner Erfüllung?
Es gibt Menschen, die sich von dieser Sehnsucht führen lassen, aus dem Bekannten heraus in neue Räume, nicht nur geografisch, sondern auch was die Art zu leben betrifft. Solche Menschen haben entdeckt, dass die Werte, von denen sich die meisten Menschen leiten lassen, so etwas wie Raubtierwerte sind. Jeder will durch sie der/die Beste sein, alle anderen übertrumpfen. Die tiefe Sehnsucht jedoch spricht eine andere Sprache. Wirkliches Glück, sagt sie, findet ein Mensch nicht im Übertrumpfen, sondern im Zusammensein, im sich Hingeben, ja letzten Endes im sich Verlieren.
Die Menschen, die dieser Sehnsucht gefolgt sind, mussten ihre Angst vor dem Untergang überwinden. Natürlich blieben sie vor dieser Angst nicht verschont und oft mussten sie sie ganz extrem unter ihr leiden. Doch durch ihr Wagnis haben sie entdeckt, dass sie gar keine Angst zu haben brauchten, weil die Kraft, die sie da hin geführt hat, sie auch trägt. Sie haben sogar entdeckt, dass diese Kraft sie aus völlig ausweglosen Situationen befreit, indem sie ihnen Ideen gibt, auf die ein Raubtier niemals kommen würde. Die biblische Geschichte von Gideon [im Buch Richter, Kapitel 6 - 8, in einer gut lesbaren Form in meinem Buch "Auferstehung - vor dem Tod", Seite 200-203] ist ein unübertreffliches Beispiel dafür.
Die Kraft, aus der das alles kommt, ist "Gott" genannt worden.
Und wenn wir jetzt weiter überlegen, wie es überhaupt zur Schöpfung kommen konnte, dann ahnen wir, dass diese wunderbare Kraft nicht für sich bleiben wollte, sie wollte sich verschenken, sich verlieren - im All. Und damit sind wir bei dem ansonsten unerklärlichen, jedenfalls unerklärten Urknall, bei dem anfänglichen "es werde Licht".
Und dann hat das Sein dieser Kraft das All dazu bewegt etwas hervorzubringen, das das alles erkennen kann - und das sein eigenes Sein, so wie die Kraft selbst es getan hat, (scheinbar) aufgeben und sich hingeben kann an seine eingeborene Sehnsucht - und das war der Mensch - in diesem Zustand dann bewusst als "Gottes" "Sohn". Und wir sehen, dass damit natürlich nicht nur Jesus gemeint ist, denn dieses Bewusstsein gab und gibt es in allen Kulturen zu allen Zeiten, denn jeder von uns wird von innen her dazu gedrängt, das göttliche Sein sichtbar werden zu lassen.
Der Rest ist bekannt - nein, er muss erst gelebt werden, von mir, von dir.
Die zwei Stufen der Religion
Es gibt zwei Stufen von Religion:
Die erste Stufe - für die meisten Menschen wird es nie eine andere geben - ist die Stufe der formalen Religion.
Paulus nannte diese Stufe "das Gesetz" und er identifizierte diese Stufe mit dem "Alten Bund". Für die damaligen Menschen war das richtig, um das Neue als das nicht Formalisierte zu begreifen - für die heutigen Menschen ist diese Unterscheidung ein Verhängnis, weil das damals Neue inzwischen längst mindestens ebenso formalisiert ist wie es das Alte je war - ja noch viel mehr. Für die biblischen Patriarchen aber war nichts formalisiert und für Jesus auch nicht, für sie war alles neu, für sie gab es nichts als ein Leben aus dem Geist des Augenblicks, der ja gleichzeitig auch die temporal weiteste Perspektive hat.
In dieser ersten Stufe ist Religion eine Erlaubnis-Vereinigung, d.h. eine Einrichtung, die den Verdammten ein gewisses Recht zu leben bescheinigt, nämlich nur unter gewissen Bedingungen, letztlich unter der Bedingung, keinen Anstoß zu erregen, nicht unangenehm aufzufallen und im Idealfall durch große Selbstbeherrschung selbstlos zu werden, auf alles Eigene zu verzichten und nur noch für andere da zu sein.
Das Hauptmerkmal dieser Stufe ist daher die Moral. Sofern sie es nicht nur in gewissem Rahmen und nur zum Schein tun, bemühen sich die Menschen auf dieser Stufe sehr darum, den Vorschriften zu entsprechen und im Idealfall werden sie bekannt als Heilige.
Natürlich bleiben die Menschen auf dieser Stufe abhängig von einer äußeren, zudem noch formalisierten Instanz, dem Gesetz. Ihre Wahrnehmung ist vermittelt, eine unmittelbare Wahrnehmung der Wirklichkeit ist ihnen nicht möglich.
Ganz wesentlich für diese Stufe ist der Ritus, der seinem Wesen nach eine tatsächliche Brücke sein könnte zur zweiten Stufe, denn sein Wesen ist der nicht hinterfragte Vollzug, der keinen Zweck hat, sondern jeden Zweck aufhebt. Er kann für die, die sich ihm überlassen, jene Stille erzeugen, die die Welt anhält. - (Das ist natürlich nur einer der möglichen Wege in diese Stille - doch) nur in solcher Stille kann sich der Blick öffnen in die Welt, in der alles klar ist.
Für die Menschen der ersten Stufe jedoch geschieht dies kaum je. Und wenn, dann ist die alte Geschäftigkeit doch zu gewohnt, als dass sie wirklich durchbrochen werden könnte. Daher ist auf dieser Stufe auch der Ritus nur eine der übernommenen verpflichtenden Tätigkeiten.
Weil alles nur Pflicht ist, fehlt auf der ersten Stufe der Religion der Jubel. Es gibt höchstens "Festlichkeit". Es bleibt bei Weihnachten, von Ostern keine Spur und an Pfingsten ist gar nicht zu denken.
Weil man nicht lebt, hat man gelernt, das Gesetz für den heiligen Geist zu halten.
Es ist typisch für diese Stufe, dass Verwaltung und Bürokratie von überragender Bedeutung sind - wie in den Kirchen von heute.
Das Positive an dieser Phase ist gleichzeitig das Negative: Man bewahrt, archiviert und überliefert das Alte, ohne je was Neues zu versuchen. Etwas Wertvolles bleibt zwar erhalten, aber irgendwann brennen alle Archive ab und was ist dann?
Und heute sind diese Archive abgebrannt – obwohl es nie verlässlichere Archive gegeben hat – denn die Zugänge sind den meisten Menschen verschlossen. Es ist alles formuliert in einer Sprache, die unverständlich geworden ist, die aber aus Traditionsgründen krampfhaft festgehalten wird.
Die zweite Stufe der Religion ist das, was Jesus mit "Wiedergeburt aus dem Geist" bezeichnet hat.
Den Bewahrern wird diese Wiedergeburt immer ein Gräuel sein, denn was bei ihr herauskommt, ist niemals orthodox. Es ist ja immer neu, unvorhersehbar, überraschend, und so genau auf eine bestimmte Situation bezogen, wie das beste erlernte Verhalten es nie sein kann. Mit Moral geht da nichts mehr.
Die zweite Phase liegt jenseits jeder formalen Religion, und doch kommt erst in ihr etwas Göttliches zum Vorschein. Das Göttliche der ersten Phase war nur vergoldeter Schein - deshalb vergoldet!
Die erste Phase bietet nur ein Bild (von Gott). Sie ist ein Versuch, etwas darzustellen, was niemals dargestellt werden kann, weil die Wirklichkeit eben immer unendlich viel tiefer und außerdem immer neu und anders ist. Kaum hat man sie beschrieben ist sie schon wieder anders. Das ist das ewige Problem der Theologen - nur bleiben die meisten von ihnen ohnehin in der ersten Stufe gefangen und kennen das Original selbst nur vom Bild. Sie haben vom ewigen Leben nie etwas selbst erlebt - obwohl es jederzeit da ist, selbstverständlich für die, die gesprungen sind - freiwillig oder unfreiwillig - aber eben abgesprungen von der (kirchlichen) Erlaubnisvereinigung ins eigene Leben, in die eigene Bestimmung.
Es war zwar ihr Sprung, der sie in die Wiedergeburt geführt hat, aber die Wiedergeborenen wissen, dass es keineswegs ihr Verdienst ist, sondern geschenkt und sie achten die Menschen der ersten Stufe, doch sie können ihnen nicht mehr folgen. Sie können nur noch dem Geist folgen und der führt sie möglicherweise in den Konflikt mit ihnen. - Im Extremfall geht es ihnen wie Jesus, dem ja auch von den Vertretern der ersten Stufe die Lebensberechtigung aberkannt worden ist, weil er sich ihnen nicht fügen wollte.
Für die Menschen der zweiten Stufe ist Gott nicht ein Wesen irgendwo draußen, sondern das eigene Wesen.
Menschen der zweiten Stufe wissen, dass sie auch nicht anders sind als der Rest der Schöpfung und so fühlen sie mit mit aller Kreatur.
Sie wollen nicht mehr etwas sein, sondern vielleicht - wenn das ihrer Natur entspricht - helfen, dass das mitfühlende Wesen sich ausbreiten kann. Aber in jedem Fall wissen sie, dass es nichts Höheres gibt als sie selbst und dass der "Vater" - natürlich - in ihnen ist.
Natürlich kann man sich in die zweite Stufe nicht hineinphantasieren und auch nicht hineinarbeiten, wie die Esoteriker meinen. Sie gehen den Weg zur Erleuchtung wie einen Weg der Karriere. Doch damit bauen sie nur weiter an einem Gebäude, in dem doch wieder alles bekannt ist und nichts wirklich neu. In allem ihrem Tun und sich Geben wollen sie daher ständig als "schon so weit" anerkannt werden. Doch sie sind damit immer noch nur auf der ersten Stufe, nämlich auf der Stufe der Exoterik, des äußeren Rahmens und kommen mit all ihrem "esoterischen" Theater nie auf die Stufe der wirklichen Esoterik, auf der sie sich einbilden zu sein. Sie bestätigen mit ihrem Streben nur, dass auch die verschiedenen esoterischen Gruppen nur Erlaubnisvereinigungen sind wie die Kirchen. Und hier liegt ihr Problem - nicht in ihrer Ablehnung der Kirchlichkeit.
Auf der zweiten Stufe der Religion gibt es keine Anhaltspunkte mehr, da gibt es nur noch die unmittelbare Wahrnehmung von Stimmigkeit oder Unstimmigkeit, von Anziehung und Abstoßung, also von Geist und von Wahrheit.
Der erste Schritt Richtung
Himmel
Nun! Um anzufangen mit dem ersten Schritt:
Du bist, wo du bist und nicht irgendwo anders.
Die Yoga-Sutras sagen: Das Wahrgenommene ist für den Wahrnehmenden bestimmt.
Du musst anfangen, wo du gerade bist!
Wage es für einen Augenblick, den Kurs zu stoppen, den du in deinem Leben eingeschlagen hast, und schau dir deine Wirklichkeit an. Sie ist, wie sie ist, ob du sie magst oder nicht. So grauenhaft sie sein mag, schau sie nun an. Das ist der Anfang.
Nach einiger Zeit wirst du erkennen, dass es o.k. ist, wie es ist – sogar wenn du es im Moment geradezu hasst. Sogar wenn du jetzt Gott und dein Geschick verfluchst. Sogar das ist o.k.! Sorge dich nicht, es wird sich verändern – in angemessener Zeit. Offenbar verstehst du das Ganze noch nicht ganz, aber du wirst alles verstehen. Es gibt dafür nur eine Bedingung: Du musst da anfangen, wo du bist, jetzt! Du magst das vergessen, aber sogar wenn du alles vergessen hast, sobald du dich wieder erinnerst, wirst du wieder wissen: Es gibt nur einen Ausweg: Du musst da anfangen, wo du in diesem Augenblick bist.
Ist deine Existenz ruiniert? Hast du schwere Schulden? Hast du eine tödliche Krankheit? Egal, was es ist, es gibt einen Ausweg! Unvorstellbare Horizonte öffnen sich dem, der bereit ist, sein Leben neu zu beginnen, jetzt.
Fürchte dich nicht, du brauchst dein Leben nicht augenblicklich radikal verändern. Das ist nicht gemeint. Du brauchst nicht ein moralisch makelloser Mensch werden. Alle Moral ist nur wieder eine Illusion, eine Art Filter, eingerichtet, um andere Menschen oder sogar sich selbst zu disqualifizieren. Nein, lebe einfach weiter, wie du magst, nicht wie es irgendjemand sonst richtig finden würde. Tu, was du magst, schau einfach, was das wirklich ist. Schau nicht auf deine moralischen Standards oder auf die von irgendjemand sonst, nein, schau einfach nur, was du wirklich magst.
Es mag unerreichbar erscheinen, es mag im Augenblick tatsächlich unerreichbar sein, verlier es nur nicht aus den Augen und dränge alle anderen Standards aus dir hinaus. Dränge sie alle hinaus aus deinem System. Was andere Menschen möchten, dass du tust, ist das Gift, das dich krank macht.
Für den Fall, dass es dich interessiert (falls du an Bibel-Dingen kein Interesse hast, überspring diesen und geh zum nächsten Absatz, vergifte deinen Geist nicht mit meinen Vorlieben!): Der Name Gottes in der Bibel ist „JAHWE“, was übersetzt heißt: „Ich bin der, der ich bin“. Und das erste Gebot liest sich in wirklicher Übersetzung: „Ich bin, der ich bin. Dieser vollkommen authentische ‚Ich bin’ hat dich in der Vergangenheit aus der Sklaverei befreit und er wird dich wieder befreien. Vertrau auf ihn und beuge dich niemals wieder unter die Maßstäbe anderer Leute – oder du wirst wieder zum Sklaven werden.“ Das ist das erste, und, wenn du es verstehst, das einzige Gebot, das du je befolgen musst.
Was andere Leute glauben, ist das Gift, das dich krank macht.
So beende das alles jetzt!
Egal wie viel Ärger oder Schuld du fühlen magst. Lauf nicht davor weg, bleib stehen und schau dem allem ins Gesicht, jetzt! Halte den Anblick aus für einen Moment oder für zwei. Halte einfach deine Gefühle aus und schau sie dir an. Hebe alle Urteile auf! Schau einfach nur. Was immer es ist, es ist nur menschlich! Was für Abgründe sich auch vor dir auftun mögen. Lauf nicht weg, halte den Anblick aus für einen Moment oder für zwei.
Du musst anfangen, wo du bist. Fang jetzt an!
Und wenn du fühlst, dass dein Geist abwandert, zwinge ihn nicht. Lass ihn gehen. Und nach eine Weile geh zurück oder lies einfach weiter und mach diese Übung.
Diese Übung wird deine sein von jetzt an. Von Zeit zu Zeit setz dich einfach hin und schau dir deine Situation an. Verzichte auf alle Beschönigung oder Abwertung. Schau einfach deine Situation an, so wie sie wirklich ist, so wie du sie ehrlich empfindest – und ich meine hier nicht nach Standards deiner Ambition, sondern nach den Standards deines Herzens. Und wenn du deine Wirklichkeit erfasst hast, versuche den Anblick für eine Weile zu halten, und dann lass ihn wieder los. Du wirst sehen, diese kleine Übung ist tatsächlich die einzige Übung, die du je brauchen wirst auf deinem Weg – ja – auf deinem Weg zum Glück.
Vergiss allen Aberglauben. Wie weiß eine Biene, was sie zu tun hat? Instinkt? Wenn du es so nennen willst. Alle lebendigen Dinge und sogar die Elemente der sogenannten „toten“ Materie, wie Elektronen, haben ein ihnen innewohnendes Wissen. Es ist nicht ein Programm. Ein Programm könnte niemals auf die stets auftretenden Überraschungen des Lebens reagieren. Es ist eine Sensitivität. Und du hast diese Sensitivität auch. Sie wird nur verzerrt durch die von anderen übernommenen Standards. Jeder hat dieses Problem. Unsere ganze Sicht der Welt ist schwer beeinflusst durch den Willen anderer Menschen. Wir sind irgendwie gezähmt. Wie Kühe bleiben wir innerhalb der Abzäunung, die andere für uns errichtet haben, damit sie uns da benützen können.
Wenn wir sehen, dass manche Menschen, speziell Jugendliche, versuchen, auszubrechen, über den Zaun zu springen, um frei zu sein, dann müssen wir uns fragen, was jenseits des Zaunes ist: Ist da Freiheit? Die meisten Ausbrecher sind vom ersten Moment an gefangen innerhalb des nächsten Zauns, z.B. wollen sie glücklich werden. Sie brechen daher das Gesetz, um reich zu werden. Folgen sie ihrem Herzen? Nein. Wieder folgen sie einfach nur einem Standard der Gesellschaft: Werde reich! Oder weil sie glücklich werden wollen, nehmen sie Drogen. Bekommen sie auf diese Weise, was sie erstreben? Vielleicht erhaschen sie einen kurzen Blick auf das Glück, nämlich davon, eins zu sein mit dem Herzen. Vielleicht erhaschen sie einen kurzen Blick auf ihre wahre Natur. Sie könnten auch einen kurzen Blick auf ihr Potential gewährt bekommen. Und dieser kurze Blick ist bereits so machtvoll, dass sie dieses Gefühl ständig wieder haben wollen, es wieder haben wollen, wieder haben wollen. Anstatt die ganze Strecke des Weges zum Glück zu gehen, wollen sie es augenblicklich. Das ist aber nicht möglich. Die Drogen sind nur da für den kurzen Blick darauf. Der Weg zum Glück ist eine andere Angelegenheit.
Für wahres Glück ist es nötig, allen Aberglauben loszulassen. Genau das ist es, was den Weg, wie es oft scheint, so schwer macht.
Das Bild, das wir uns von der Welt gemacht haben und von uns selbst, stimmt mit der Wirklichkeit nicht überein. In unserem Bild von uns selbst sehen wir unser tatsächliches Potential nicht und wir sehen auch die anderen nicht in ihrer wahren Identität. Tatsächlich gehen wir durchs Leben, als ob wir durch ein Phantasiedorf gehen würden, in dem die Menschen nur Puppen sind.
Unglücklicherweise, wie wir manchmal denken, sind es intelligente Puppen, die uns an Intelligenz oft übertreffen und uns als Puppen benützen für ihre eigene Szenerie.
So bleib jetzt stehen und bleib immer wieder stehen und immer wieder schau, wo du gerade bist und was du gerade tust. Dann bist du – in Wahrheit – auf deinem Weg zum Glück – oder, wie sie es früher nannten: auf dem Weg in den Himmel.
Aber warum in aller Welt haben die Menschen diese unglaublichen geistigen Gebäude der „Religion“ erbaut? Weil sich so viele Menschen verloren fühlen in den Weiten der Freiheit. Sie verlangen nach Zäunen. Und so bekommen sie Zäune.
Aber die Zäune sind dazu da, vor realen Gefahren zu schützen. Deshalb spring nicht einfach über irgendeinen Zaun, ohne zu wissen, was geschieht, wenn du es tust. Und verrechne dich nicht. Du könntest in einem Zwang landen, der dich wünschen lässt, du hättest es nie getan. Deshalb, außer du brauchst die Erfahrung des Gefängnisses, halte dich draußen. Wenn du Besinnung brauchst, benütze besser ein Kloster. Ich kann dir aus meiner eigenen Erfahrung sagen: Immer wieder habe ich mich in Dingen oder Ideen verfangen. Immer wieder habe ich mich selbst in eine Traumwelt eingetaucht vorgefunden. Immer wieder musste ich aufwachen. Du wirst diese Erfahrung auch machen. Deshalb, was immer du tust, pass auf: Träumst du gerade oder bist du wach? Egal in welcher Subkultur du leben magst, jede hat ihren Aberglauben und ihre abergläubischen Ziele. Deshalb wach auf: Es gibt nur ein wahres Ziel und nur dein Herz kann dich hinführen.
Deshalb, bleib immer wieder stehen und schau, wo du gerade bist und was du gerade tust. Übung eins, immer wieder Übung eins. Was immer du sonst noch machst, Übung eins wird dich immer wieder zurückbringen auf deine ureigenste Spur.
Das katholische Manifest
1. "kat-holisch" ist griechisch, zusammengesetzt aus
„kat“ = „herunter
(vom Elfenbeinernen Turm) auf“ und
„holisch“ (= heute
„holistisch“) = „das Ganze betreffend“, „ganzheitlich“, "allgemein", d.h.
alle Menschen in allen Lebenssituationen - und damit auch alle Religionen –
einschließend.
2. „christlich“ =
abgeleitet von „Christus“, dem Ehrentitel Jesu.
„Christus“ ist
ebenfalls griechisch und eine Übersetzung des hebräischen „Messias“, zu deutsch
„der Gesalbte“; gesalbt wurden die israelischen Könige; mit „Messias“ ist aber
insbesondere ein Mensch gemeint, der das Volk Israel aus der (Gefahr der)
Sklaverei befreit. Mose war ein Messias, David galt als „Messias“. Die
Israeliten glaubten, dass Gott immer dann einen „Messias“, einen Retter,
schicken würde, wenn die Israeliten in Sklaverei gerieten.
Da Jesus Gott als seinen und unseren „Vater“ bezeichnete, ist in seinen Augen ein jeder Mensch ein "Sohn“, eine „Tochter" Gottes. So werden sie befreit aus der Sklaverei, vom Diktat „der Anderen“. Diese Sicht ist eine besondere Sicht des Christentums, also wesentlich „christlich“.
Die christlichen Theologen sprechen daher von der menschlichen Seele
als "anima naturaliter christiana", d.h. sie meinen, dass die Seele
den Menschen von Natur aus dahin drängt, so zu sein, wie er als „christlich“
sein soll, nämlich messianisch, rettend.
3. Sohn/Tochter Gottes bedeutet daher „unmittelbar aus dem Einen
hervorgegangen“ (im Schöpfungsbericht: "Kopie von Gott"; im Credo: "gezeugt, nicht
geschaffen") und „immer in unmittelbarer Verbindung mit ‚ihm’".
4. Gott ist das Eine, das All, die Lebenskraft, die Kraft, die alles bewegt.
Der Mensch ist daher Teil der Erscheinung Gottes. Er hebt sich zeitlich und lokal ab von anderen göttlichen Formen und ist beeinflusst von der zeitlichen und lokalen Nachbarschaft, die ihm auch den Eindruck gibt, etwas Separates zu sein und die ihn zum Egoismus, d.h. zur Angst, zu kurz zu kommen, veranlasst. Einmal in dieser Sicht der Welt gefangen, gibt es nur eine Möglichkeit des Entrinnens: Kapitulation, Hingabe, Übergabe des eigenen Lebens an diese Kraft, also Rückkehr in das Eine.
5. Egoismus ist die
behauptete und geglaubte Separiertheit von der Kraft des Ursprungs. Aus ihr
folgen alle menschlichen Ängste und Gräuel.
6. Die behauptete Separiertheit muss vergehen, entweder im Prozess der Lebenserfahrung (Reifung durch Leiden, resultierend in der erlösenden „Kapitulation“, also in der freiwilligen Hingabe der eigenen Existenz an das Eine) oder im Prozess des physischen Todes (im "Feuersee" der Apokalypse).
Das Bild vom "Feuersee" bedeutet, dass das Ego im Tod die endgültige Vergeblichkeit allen separaten Strebens erlebt – und zwar eben so (als alles auslöschendes und daher „ewiges“ "Feuer").
Von der Kirche der Affen
zur Kirche der Menschen
[eine Skizze]
Teilhard de Chardin wird der Ausspruch zugeschrieben:
"Die Kirche der Zukunft
wird sich von der Kirche der Gegenwart so sehr unterscheiden
wie sich die Menschen von den Affen unterscheiden."
Die Revolutionen des
"Glaubens" in der Vorgeschichte des Christentums
1. Die Revolution Abrahams:
Aus der Not seiner Bedingungen heraus kehrt er zurück zu seinem eigenen Wesen, zu seiner Natur: Er lernte, allein seiner inneren Stimme zu folgen – und nicht mehr den Befehlen seiner Kultur/Sozialisation. So ist er zum Stammvater des „Volkes Gottes“ geworden.
2. Die
Revolution des Mose:
Nachdem er selbst sich durch die Not seiner persönlichen Umstände von seiner Sozialisation befreit hatte und zu seiner inneren Stimme zurückgekehrt war, drängte ihn seine innere Natur, auch seinem Volk eine neue Zukunft zu ermöglichen, ihm zu ermöglichen, sich zu befreien von den Zwängen ihrer Sozialisation und eigene Wege zu finden.
Dass das nicht so leicht war, zeigen die 40 Jahre Wüstenwanderung, die jeden einzelnen dazu zwangen, angesichts äußerster Kargheit, auf seine eigene innere Stimme zu hören, die allen sagte: Zusammenhalten! Damit dieser äußere Zusammenhalt möglich wurde, kam aus Mose die Lösung für seine Zeit: das Gesetz.
3. Die Revolution Jesu:
Die Umstände seiner Geschichte (möglicherweise seine uneheliche Geburt u.a.) zwangen ihn, sich mit dem Wert der Tradition auseinanderzusetzen und zu unterscheiden zwischen echt und unecht. So lernte er die Frommen zu durchschauen und selbst echt zu sein. Aus seiner Natur kam das alles verändernde: "Im Geist und in der Wahrheit".
4. Die heute notwendige Revolution:
Es ist offensichtlich, dass die Bräuche der Kirche weitgehend wirkungslos sind: Das Sakrament der Buße befreit nicht von Schuld, die Firmung ist weit davon entfernt, auch nur den Schimmer des Heiligen Geists zu vermitteln, die Kommunion verleiht keine Flügel – "Red Bull" tut das – und heutige Exorzismen sind lächerliche – weil unwirksame – Relikte dunkel-mittelalterlicher magischer Praxis etc..
Nach jeder (doch vom Geist erzwungenen) Revolution wird versucht, den Geist festzuhalten, institutionell zu fassen. In jeder Religion, die nicht darauf besteht, dass es neben den Priestern (bei denen es genügt, dass sie ihren Beruf erlernen und den Oberen genehm sind) authentische Lehrer gibt, die nicht durch historische Linien, sondern durch gegenwärtige Taten beglaubigt werden – also in jeder Priesterreligion – entstehen daher:
1. Historisch wachsende Lehrgebäude
2. Historisch wachsende Bräuche
3. Historisch wachsende soziale Strukturen
die allesamt irgendwann unwirksam – nur noch Müll sind.
Wie wird man den historischen Müll wieder los?
* Es braucht immer neue Revolutionen
* oder eben die unbedingte Kernaussage, dass eine verlässliche Weitergabe nur durch authentische Lehrer erfolgen kann.
Im Christentum ist das trotz "apostolischer Sukzession" offensichtlich nicht der Fall. Die Institution hat sich des Geists bemächtigt. So war das auch zur Zeit Jesu. Damit diese Tatsache damals nicht ans Licht kam und damit die religiösen Machthaber weiterhin ungestört ihre Macht ausüben konnten, musste der Störenfried, Jesus, sterben.
Was ist geblieben von Jesus?
Von dem, was die Kirche hat, ist kaum etwas von ihm.
Geblieben sind Spuren, die die Kirche zwar treu bewahrt, aber überwuchert von historisch gewachsenen, heute aber eben unwirksamen Formen, unter denen der Ursprung kaum noch auszumachen ist. (Fast alle kirchlichen Bräuche und Lehren sind synkretistischen Ursprungs.)
Jener Geist, der Jesus so sehr zum Gegner des religiösen Establishments seiner Zeit gemacht hat, dass man ihn umgebracht hat, ist verschwunden.
Hat Jesus damals etwas Neues gebracht?
Nein – er hat nur den Geist der menschlichen Natur [in der Ausdrucksweise Jesu den "Menschensohn", in der Ausdrucksweise der ersten Christen den "Christus"] auf seine Situation angewandt, wie alle "Propheten" vor ihm auch.
Dass behauptet wird, es gebe durch Jesus etwas Neues, etwa, dass Gott der Vater sei oder die Nächstenliebe, ist unrichtig, denn all das ist natürlich im Alten Testament schon genauso da.
Es gibt allerdings eine Akzentverschiebung, denn neu war die historische Chance, die Kunde vom Geist der menschlichen Natur über die jüdischen Stammesgrenzen hinauszutragen in die damalige Welt, in das römische Reich.
Die Konsequenz für die
Theologie:
Ein neues Paradigma
Die Basis der Religion ist nicht mehr eine äußere religiöse Autorität sondern die menschliche Natur [der "Menschensohn", der "Christus"].
1. Das neue Paradigma zur Zeit Jesu:
Warum hat Jesus gesagt, Mose wäre glücklich gewesen, hätte er die Tage Jesu erleben können? Weil, wie gesagt, jetzt eine neue Ebene der sozialen Evolution erreicht war, weil durch die Möglichkeit, die Stammesgrenzen zu überschreiten, die Religion jetzt auf eine neue Grundlage gestellt werden konnte, nämlich auf die Basis einer weltweiten Gemeinschaft derer, die sich als Kinder Gottes wussten.
2. Das neue Paradigma zu Anfang des 3. Jahrtausends:
Jesus seinerseits wäre ebenso glücklich gewesen, hätte er diese, unsere Tage erleben können:
Zum ersten Mal steht uns alles menschliches Wissen gleichzeitig zur Verfügung – und das beinhaltet das Wissen aller religiösen Traditionen. Die Konsequenz ist ein erneut neues Paradigma – obwohl genau dieses Paradigma natürlich bereits die Grundlage sämtlicher vorangegangenen religiösen Paradigmen und Revolutionen gewesen ist: Das ganze Leben muss wieder neu betrachtet werden, frisch aus der menschlichen Natur heraus. Die lineare historische Entwicklung, die zur Erstarrung geführt hat, muss erneut durchbrochen und abgelöst werden durch einen evolutionären Sprung.
3. Was folgt aus der (erstmalig wirklichen) Einheit der
Welt?
3.1 Die Erkenntnis, dass "Gott" seit je her zu allen Menschen "spricht".
3.2 Von da her ergibt sich die Gleichrangigkeit der Religionen.
Was folgt aus der Verschiedenheit der Religionen?
Eine größere Bandbreite an Möglichkeiten, jeweils situationsangepasst, statt zufällig historisch gewachsen.
3.3 Die Erkenntnis der einen emergierenden menschlichen Natur:
Von allen Seiten (auch Psychologie, auch Technik etc.) wird an der Frage gearbeitet (ihre Natur drängt die Menschen dazu): "Was führt zum Glück?"
Die Antwort, so weit sie bis jetzt sichtbar geworden ist, zeigt auf verschiedene Stufen des Glücks – vergleichbar mit den vier hierarchisch aufgebauten Lebenszielen der Hindus: Lust – Erfolg – Pflicht – Erlösung.
Es geht jedenfalls nicht darum, irgendetwas zu verteufeln.
3.4 Die Verfrachtung der in Europa historisch gewachsenen "christlichen" Religion in die dritte Welt beruhte auf einem Wahn. Dass die Mission trotzdem Erfolge hatte, beruhte vorwiegend auf der überlegenen (Waffen-) Technologie, die für einfache Menschen ja immer heißt: "Da wirkt ein überlegener Geist".
3.5 Genau dieser Überlegenheits-Wahn führt heute bei uns zu der großen Abwendung von den Kirchen und bei einigen Menschen zu größten psychischen Problemen.
bzw. ein universales Christentum
neben dem es den universalen Hinduismus und Buddhismus längst gibt und neben dem es den universalen Islam und alle anderen Religionen in universaler Ausprägung geben kann
1. Politische Konsequenzen international:
1.1 Eine Bewegung für die Menschen [ähnlich "Greenpeace", doch nicht nur für den Umgang mit der Natur, sondern auch mit den Menschen] muss entstehen und beispielsweise angemessene Rohstoffpreise erkämpfen, etwa in der Art, wie die Gewerkschaften in der ersten und zweiten Welt höhere Löhne erkämpft haben, was dann dort bekanntermaßen zu allgemeinem Wohlstand geführt hat. Diese Bewegung muss auch durch geeignete Institutionen den wirklich freien Wettbewerb garantieren [was logischerweise den sogenannten "Entwicklungsländern" wieder höhere Chancen einräumt], denn das Raubtierdasein ist eine der Grundlagen der menschlichen Natur, die sich wohl oder übel Geltung verschaffen wird, entweder freiwillig oder durch einen Kampf, der von den vormals Überlegenen [der "ersten Welt"] möglicherweise nichts übrig lassen wird.
1.2 Die Ebene der Religion ist die zweite Grundlage. Es ist die Ebene des Mitgefühls, die zwar gleichzeitig mit dem Raubtier da ist, aber doch tiefer liegt und von den Menschen in einem persönlichen Evolutionsprozess erst entdeckt werden muss. Damit das geschehen kann:
2. Pädagogische Konsequenzen:
2.1 Mehrstufige Initiationen, Variationen aus dem Fundus der Völker, sollen den Blick für die tiefere Realität öffnen
Die Konsequenz: Kooperation statt Kompetition – etwa nach dem Vorbild der ursprünglichen Lebensweise der Australischen Ureinwohner.
2.1.1 Voraussetzung ist, dass die jetzigen "kirchlichen" Übergangsriten (aller Religionen) und ihre Wirkung ohne Scheuklappen betrachtet werden – dadurch nämlich wird man bereit werden, das Unwirksame loszulassen.
2.2 Ein neuer Jahresfestkreis, bzw. mehrjähriger Festkreis – lokal angepasst (natürlich nicht die Frühjahrsriten im Herbst etc., wie das heute bei den Christen der Südhalbkugel der Erde absurderweise der Fall ist)
2.3 Formen zum Nachdenken, Nachfühlen, Auseinandersetzen, bewusst Leben.
Es geht in jedem Moment um die ehrliche Betrachtung dessen, was ist: eigene Gefühle, wirkliche Erfordernisse etc., im Geist eines immerwährenden Gebets.
2.4 Das alles ist jetzt bereits im Entstehen. So wie das Christentum im zweiten und dritten Jahrhundert langsam Form angenommen hat, so entstehen auch jetzt bereits wieder diese neuen Formen.
Die Formen entstehen durch authentische Lehrer, die heute bereits aus allen Religionen hervorgehen und sich lösen von den historischen Verfestigungen.
Diese Lehrer unterscheiden sich in nichts von den anderen Menschen, außer dadurch, dass sie aufmerksam geworden sind, dass sie sensibel nach innen und nach außen hören – so wie Jesus es schon gelehrt hat und alle Lehrer aller anderen Religionen auch.
1. Jetzt sind sie Asyl für die Ängstlichen (die künstlich ängstlich Gehaltenen),
die sich nicht zu leben trauen, weil sie durch nichts darauf vorbereitet worden sind – weil die Übergangsrituale wirkungslos sind – man wollte sich ja schließlich keine selbständigen Menschen heranziehen, die könnten sich doch unabhängig machen.
In einer Kirche der Zukunft müssen die Rituale in den Menschen Raum schaffen für das reale Leben und für ein liebevolles Leben.
2. Weil das noch nicht so ist, sind die Kirchen jetzt vorwiegend Erlaubnisvereinigungen, d.h. Vereinigungen von Menschen, die von Haus aus keine Erlaubnis zu leben haben, die sich eine solche von dem Verein (der Religionsgemeinschaft) besorgen, der sie ihnen gibt unter der Bedingung, dass sie seine Gesetze beachten.
Die Einschränkungen, die sie den Mitgliedern auferlegen, bringen aber oft nicht die Erfahrung, die sie versprechen (das sich als Kind Gottes Fühlen) – im Gegenteil, sie machen schwache Menschen manchmal sogar verrückt vor Schuldgefühlen und die Starken führen sie statt zum Mitgefühl nicht selten zur Selbstgerechtigkeit, sofern der religiöse Wahn, der hinter diesem Verhalten steckt, einen Menschen nicht sogar in die Psychiatrie treibt.
In einer Kirche der Zukunft muss die Moral, die jetzt Verbots-/Erlaubnis-Funktion hat wieder zu einer Art Geist-such-Gerät werden zum Aufspüren des richtigen Kurses im Leben. Und sie muss ihre Zwanghaftigkeit verlieren.
3. Jetzt sind die Kirchen festgefahrene Fahrzeuge (der Begriff „Fahrzeug“ stammt aus dem Buddhismus, wo man von kleinem und großen Fahrzeug, d.h. Weg, spricht), die kaum jemand ans andere Ufer zu bringen vermögen.
Sie müssen wieder flott werden oder andere werden ihre Aufgabe übernehmen. Der Geist sorgt nämlich dafür, dass immer irgendjemand diese Aufgabe erfüllt.
Damals musste Jesus zu seinen Schülern sagen: "Ihr könnt die Wahrheit noch nicht ertragen."
Jetzt gibt es einige, die sie ertragen können. Für sie sieht die alte Lehre dann so aus:
Alle Dogmen (aller Religionen) sind wahr, aber ihre Wahrheit ist noch nicht vollständig enthüllt.
Aus diesem Grund scheinen sie jetzt absolut zu gelten und sich in manchen Punkten zu widersprechen. Sie sind aber nur noch nicht eingeordnet in den Gesamtzusammenhang, eben in ihren Rahmen, bzw. der Rahmen, in dem sie sich befinden, wird noch nicht als solcher gesehen. Man glaubt – noch – das drinnen wäre alles, doch es ist nur das All eines bestimmten Rahmens – so wie früher die Erde als das All galt. Es gibt aber eben noch andere Rahmen (die anderen Religionen).
Sobald das anerkannt ist, entsteht
die
Religion der Menschen.
Und eines Tages wird sich zeigen, dass auch dieser neue Rahmen wieder nur Inhalt eines noch größeren Rahmens ist...
Spaß, Tugend oder was?
Die Würde des Menschen und moderne Formen der Sklaverei
"Die Würde des Menschen ist unantastbar", heißt es – und doch wird sie nichts als angetastet – und gelegentlich sieht es so aus, als ob sie dort, wo sie ganz massiv angetastet wird (z.B. in den Ländern der dritten Welt), mehr vorhanden ist als dort, wo ihre Unantastbarkeit offiziell geachtet wird (z.B. in unserer technisierten Zivilisation), wo der Mensch in Wirklichkeit nämlich oft nicht wie ein fühlendes Wesen, sondern wie ein bloßes Werkzeug behandelt wird (entweder er funktioniert oder er ist störender Müll) – nicht offiziell natürlich, aber praktisch. Praktisch lebt jeder Mensch in unserer Gesellschaft trotz der deklarierten "Freiheit" unserer Welt ständig in der Gefahr, geistig versklavt zu werden, insbesondere an die Illusion, dass der Sinn des Lebens das gute Leben ist, der Genuss, der Spaß. [Genau von dieser Gefahr sprach Lao-tse, als er sagte: „Es ist besser, nicht zu haben, was das Leben lebenswert macht, als das Leben wertzuschätzen“.]
Da der Genuss nun aber schon das offizielle Lebensziel der westlichen Industriekultur ist [gut belegt mit US-Regierungsdokumenten von R. Wagnleitner: “The Empire of the Fun, or Talkin’ Soviet Union Blues” in: Diplomatic History, Vol. 23, No. 3, Summer 1999, SHAFR, Malden and Oxford], wird er von den Menschen logischerweise weltweit eingefordert, aber die Mittel fehlen, sind immer zu wenig, und wenn sie da sind, braucht es immer mehr davon, damit die Leere nicht ins Bewusstsein dringt, die folgt auf den isolierten Genuss.
Natürlich möchte ich nichts gegen den Genuss sagen, denn es ist ja ein Glück, wenn wir etwas genießen können, und es ist schön, wenn wir viel genießen können – wenn der Genuss aber zum Sinn des Lebens wird, dann wird gleichsam über den Glanz des Daseins Asche gestreut; ein fahles Grau breitet sich unter den Spitzen des Genusses aus, überall, besonders aber dort, wo er fehlt, da, wo ge-molocht werden muss, um ihn zu ermöglichen und da, wo die anderen Menschen nur noch als seine Objekte zählen.
In dieser Art von Welt fühlen die Menschen keine Beziehungen mehr. An ihrer Stelle knüpfen sie Zweckgemeinschaften für die Dauer des Zwecks. Und der Zweck ist der Genuss. Beziehungen dagegen bringen immer eine Art "commitment", eine gefühlte Verpflichtung mit sich. Sie rühren von unserer fühlenden Seele her, der unter der Bedingung des Zwecks letztlich nicht mehr erlaubt wird, zu sein. Im Dienste des Genusses schneiden wir uns daher von unserer Seele ab. [Ähnliches würde natürlich auch von einem Dienst an jeglichem anderen "Guten" gelten. Jeder Dienst an irgendeiner Art oberstem Wert, einem Idol, trennt uns von unserem innersten Wesen. Wenn wir ein Detail für das Ganze nehmen, vergewaltigen wir uns notwendigerweise. Hier ist der Ort des Bilderverbots im ersten der Zehn Gebote und natürlich auch im Islam]. Und nur indem wir unsere Aufmerksamkeit auf die Suche nach immer größerem Genuss [immer größerem "Guten" etc.] lenken, ist es uns dann möglich, den inneren Schmerz, den Hilferuf unseres Wesens [wegen dieser Einengung der Sicht] von unserem Bewusstsein fernzuhalten.
Wenn wir den versprochenen größeren Genuss nicht bekommen, dann spüren wir diesen Schmerz, aber anstatt ihn dort einzuordnen, von wo er kommt [von der Einengung der Sicht], führen wir ihn auf den fehlenden Genuss zurück und unterwerfen uns der Mühle von Anstrengung und Erfolg im Dienste des Genusses nur noch mehr. Und anstatt dort die Lösung zu sehen, wo sie ist, nämlich in den realen Beziehungen, deren Gewebe unsere Seele von Anfang an sieht und sucht, sehen wir in den Bindungen, die sie mit sich bringen, nur Hindernisse für unseren Genuss. Und so bringen wir uns um die echte Lebensfreude, die nämlich ausschließlich ein Ergebnis unserer Beziehungen ist, in denen allein wir Raum haben für freie, absichtslose Kommunikation. In diesem Raum erst wird auch der Genuss zu dem, was wir uns stets davon erhoffen und es bleibt kein schaler Nachgeschmack.
Im Raum der reinen Zweckgemeinschaften gibt es überhaupt keinen wirklichen Genuss, im Gegenteil, wir befinden uns in einem Teufelskreis, aus dem wir irgendwann, "wenn es der Teufel so will", wie man sagt, ins Bodenlose fallen und dort zerschellen – es sei denn, einer der Lichtstrahlen, die aus dem Reich der Beziehungen unserer Seele kommen, regt unser Herz, so dass wir rechtzeitig Halt machen und schauen, was wir da eigentlich tun.
Nun sind wir unversehens auf den Begriff "Teufel" gestoßen und damit auf die mythologische Sprache religiöser Dogmatik. Wie zu sehen ist, geht es dabei einfach um die Kräfte, die uns bewegen. Die mythischen Namen, die die Menschen diesen Kräften in der Vergangenheit gegeben haben („Teufel“, „Engel“, „Gott“), verführen uns aber zu meinen, sie wären etwas, das sie nicht sind [nämlich selbständige, von uns unabhängige und mit eigenem Willen ausgestattete Wesen], und dann (weil wir ja so aufgeklärt sind) – ihre Existenz zu leugnen. Aber wer könnte leugnen, dass es Kräfte gibt, die uns einengen und auslaugen und solche, die unsere Kraft wecken, weil sie uns Raum geben? Da sind wir beim Ursprung der mythischen Welt und von mehr wollen wir hier nicht reden.
Die theologische Frage nach Gott (in diesem Sinn eine mythische Frage) birgt die Gefahr fundamentalster und verhängnisvollster Missverständnisse; die psychologische Frage nach der Seele kommt unserer heutigen Erfahrung zwar schon näher – die eigentliche Frage aber heißt zu jeder Zeit: "Von meinem innersten Wesen aus betrachtet, was will ich [wohin drängt, zieht "es" {= natürlich das Ganze, in dem ich mich bewege} mich] jetzt wirklich?" In diesem Bewusstsein brauche ich weder Mythologie noch irgendwelche obersten Werte, denn mein innerstes Wesen [in der Sprache Jesu ist das „der Menschensohn"] führt mich von Natur aus so, dass sich meine Sehnsucht erfüllt und zudem noch so, dass ich für andere den Eindruck erwecke, als hätte ich die moralischsten Werte und all die anderen, später abstrahierten Standards der Religion. Diese Standards wurden ja von Menschen, die ihre Beziehung zu ihrem Inneren [und natürlich gleichzeitig zum Ganzen der Welt] verloren hatten, aus dem Verhalten jener, die aus dieser Beziehung heraus gelebt haben, herausdestilliert, denn sie glaubten, damit hätten sie deren Geheimnis ergründet. Daher wollten sie diese Standards sich selbst oder anderen [in Form von Moral] vorschreiben. Leider wird die Verwirrung durch diese Vorschriften nicht geringer, sondern größer (weil diese Vorschriften notwendigerweise eben wieder jener verhängnisvollen dualistischen Welt des „gut/schlecht“ angehören) – so groß schließlich, dass die von der Moral Verwirrten, irgendwann den ganzen moralischen Schrott auf ihre geistige Müllhalde werfen und sich voll und ganz dem Genuss verschreiben und alles in ihrem Leben diesem Ziel zu unterwerfen, d.h. sich selbst und die anderen instrumentalisieren usw..
Und damit ist die Würde des Menschen beim Teufel und wir sind wieder dort, von wo wir entkommen wollten. Es wird eine Weile dauern, bis wir die Realität hinter unserem Ärger entdecken, nämlich unsere sogenannte "Seele", also das, was wir unserem innersten Wesen nach eigentlich sind, nämlich eine sehr persönliche und individuelle Kraft, die darauf drängt, sich einsetzen zu können, zuerst, um die Welt zu entdecken und dann, um sich in ihr zu verströmen zur Freude aller.
Von der Apokalypse zur
Auferstehung
Tod oder Leben, das ist die Alternative, eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.
Wenn wir das Schicksal der Menschen betrachten, sehen wir, dass alle irgendwann an diesen Scheideweg kommen. Und dann gibt es entweder Krankheit und Tod oder ein neues Leben, natürlich dann nicht erst nach dem Tod, sondern vorher.
Was mit den Verstorbenen geschieht, ist eine andere Frage. Die Bibel hat sich nie besonders für diese Frage interessiert, doch die Masse der Nachfahren Jesu, so scheint es, interessiert sich nur noch dafür. Ihr Leben lang macht sie ihren einzelnen Mitgliedern Schuldgefühle – natürlich um sie sich besser einverleiben zu können, schließlich ist ja klar, dass keiner halten kann, was angeblich geboten ist – und dann vertröstet man sie auch noch auf eine Belohnung nach dem Tod! Sämtliche Messiasse hätten sich darauf niemals vertrösten lassen. Sie setzten ihr Leben ein, damit sie zu Lebzeiten so leben konnten, wie ihr innerstes Wesen es wollte. Und von der Bibel her ist das, was angeblich moralisch geboten ist, gar nicht geboten, im Gegenteil: Wir sollen uns vor keinen fremden Göttern niederwerfen und nur einen Gott anerkennen – und der Name dieses einen Gottes ist ausgerechnet "JAHWE", was so viel heißt wie "Ich bin der ich bin"! Und damit ist natürlich niemand anderer gemeint als – denken Sie schon wieder an einen anderen? – als Ihr eigenes inneres Wesen!
Deshalb müssen Sie auch zu niemand sprechen, wenn Sie beten. Nicht umsonst hat ja Jesus gesagt: "Wenn ihr betet, plappert nicht wie die Heiden". Genau genommen (philosophisch-logisch betrachtet) ist jedes gesprochene oder gedachte Gebet schon Götzendienst, weil es eine Dualität von Kräften voraussetzt, die es in Wirklichkeit nicht gibt. – Praktisch (von unserem Bewusstsein aus betrachtet) ist die Situation natürlich anders. Da befinden wir uns nämlich in der Dualität und in dieser führen wir schon mal (auch long-distance-)Selbstgespräche, denn wir müssen auch in uns abklären, in welcher Lage wir uns eigentlich befinden. Doch wenn jemand die Intention hat, die im Vaterunser ausgesprochen ist, dann braucht er nach niemand mehr rufen, denn er weiß ja, dass der "Vater" nicht irgendwo in der Ferne ist, weil er doch unsere Lebensgrundlage ist, unsere biologische und geistige Basis, die natürlich und unbedingt zu uns hält, schließlich hat sie uns doch hervorgebracht, damit wir sind und zwar genau so, wie wir sind. Aber logischerweise kann diese Basis nur dann eine Unterstützung für uns sein, wenn wir uns auf sie stützen, wenn wir sie nicht in unserem Bewusstsein verleugnen und sie nach irgendwo draußen projizieren und dann glauben, von irgendwo aus der Ferne Hilfe bekommen zu sollen.
Das "Dein Wille geschehe" des Vaterunsers bezieht sich auf die Überwindung des die Dualität erst erzeugenden fremden Willens, der aus unserem Denken kommt, mit dem wir uns aber identifizieren – daher kommt das scheinbare Gegenüber, weil es aber nur scheinbar ist, ist jeder Gottesdienst, in dem dieses Bewusstsein nicht mitschwingt, (immer noch) Götzendienst, weil der unbewusste Teilnehmer etwas irgendwo außerhalb seiner selbst annimmt und anspricht, das doch dort nicht ist, jedenfalls auch nicht mehr als in ihm selbst. Natürlich können wir mit anderen zusammen eine Intention formulieren. Es ist ein Glück, wenn wir das können, aber alles darüber hinaus ist Götzendienst. Die Theologen und Priester haben davon oft keine Ahnung. Nur zu oft sind sie abergläubisch und ihr Klientel natürlich nicht weniger. Blinde Führer von Blinden. Trotzdem macht alles einen sehr geordneten Eindruck, der sich allerdings sofort verliert, wenn man etwas genauer hinschaut.
Im Ursprung ist Religion immer befreiend und sonst nichts. Irgendjemand entdeckt irgendwann in seinem Leben – gewöhnlich nach intensiver Knechtschaft (also nach einer Erfahrung der Nichtexistenz) irgendeiner Art, und sei es als Diener einer Kirche – dass die Kraft, die ihn/sie ins Leben gerufen hat, etwas anderes von ihm/ihr will, nämlich dass er/sie aufsteht und zeigt, dass die Kunde von dieser Kraft nicht bloß ein bereits bekanntes Märchen ist, sondern, dass diese Kraft jetzt da ist und wirkt – und wo, wenn nicht gerade auch in dem Menschen, der sich schon zu lange vor irgendwelchen Götzen zu Boden geworfen hat.
Und die Götzen, das sind alle, die behaupten, sie hätten recht und wir hätten ihnen zu dienen.
Das klingt nach Anarchie, ist es aber überhaupt nicht. Denn nach der Befreiung herrscht nicht die despotische Willkür Einzelner, sondern die Kraft, die uns hervorgebracht hat, denn die ist ganz natürlich unser "Herr". Und sie zeigt uns: Wenn wir ihr folgen, geht es nicht nur uns selbst, sondern unserer ganzen Umgebung so gut, wie es nur gehen kann – auch wenn dieses "gut gehen" nicht unbedingt den landläufigen Vorstellungen vom "guten Leben" entspricht. Die Kraft, die uns hervorgebracht hat, will ja nicht nur, dass wir gut leben, sie will auch dass alle anderen gut leben, schließlich hat sie auch alles Andere hervorgebracht, das wir doch so sehr bewundern in seiner Schönheit zwischen Ordnung und Chaos.
Diese Kraft ordnet auch ein, sie wirft das Aussichtslose raus und schafft damit Raum für Neues [in dieser Gestalt wird die Kraft in unserer mythologischen Sprache „Teufel“ genannt – in der Erfahrung der Australischen Aborignes gibt es jedoch eine ganz andere Sicht: Da werden nämlich gelegentlich Menschen, denen das Leben hier zu schwer ist, mit Ahnengesängen wieder aus diesem Leben hinausbegleitet, nicht a la Hackethal, sondern in vollkommener Harmonie, d.h. ohne tödliche Drogen.], sie treibt die Entwicklung voran im einzig wirklichen schöpferischen Sinn, nämlich in Richtung immer größerer Bewusstheit.
Diese Kraft aber möchten wir oft lieber nicht wirken lassen, weil wir unser Leben eben gern so haben, wie wir es uns vorstellen – auch wenn das noch so grauenhaft ist. So ist die menschliche Realität. Deshalb braucht es oft die Apokalypse. Freiwillig lassen wir eher nicht los. Der Abgrund muss uns schon vor Augen stehen – und Geschichten von Apokalypse reichen da oft nicht aus, oft genug braucht es den direkten Blick auf den unmittelbar bevorstehenden persönlichen Untergang. Dann erst sind uns unsere Vorstellungen manchmal nicht mehr ganz so wichtig – die meisten allerdings, so scheint es, sterben lieber, als dass sie loslassen – besser sie selbst sind tot, als dass ihre ganze Welt zusammenbricht. Und so geschieht es dann auch.
Damit möchte ich keinerlei Urteil fällen über die menschlichen Todesarten oder über die, die sie wählen, denn es ist allzu schwer, der Versuchung zu widerstehen, ja schon zu bemerken, dass es sich um eine Versuchung handelt. Als Phänomen ähnelt das der eben beschriebenen Australischen Option – aber es bleibt gewöhnlich unbewusst. Die Oberflächen-Religion sagt deshalb dann "abberufen aus unerforschlichem göttlichen Ratschluss" und diese Bezeichnung ist in der Tat sehr barmherzig und angesichts der Unbewusstheit eben auch zutreffend. Die Grundintention der Tiefen-Religion besteht allerdings darin, lieber die liebsten Vorstellungen fallen zu lassen (etwa so wie Abraham seinen Sohn Isaak losgelassen hat) als den Glauben daran, dass die Kraft, die uns ins Leben gerufen hat, nicht unseren Tod will, sondern unser Leben und dass absolut niemand das Recht hat, es uns streitig zu machen.
Bei Heroinsüchtigen hat man schon öfter gehört, dass sie eines Tages vor der Wahl standen: entweder den goldenen Schuss oder ein von Grund auf neues Leben. Die Leute, die sich für das Leben entschieden haben, haben dann meistens anderen Süchtigen geholfen, sich auch zu dieser Entscheidung durchzuringen. Auch von anderen, die ihrem Tod so nahe waren, hat man Ähnliches gehört. Sie haben die Auferstehung gewählt. Die Kraft hat gesiegt. Am Ende siegt sie immer. Es ist nur die Frage, ob wir auf sie gesetzt haben oder auf unsere eigenen Vorstellungen, z.B. auf unsere Moral, die uns doch so weitgehend verbietet, auch nur aufzumucken – obwohl es doch gerade unsere Lebenskraft ist, die uns zum Aufmucken bringt, weil wir von Natur aus aufmucken müssen gegen alles, was uns klein hält. Diese klein machende Moral hat mit Religion nicht das Geringste zu tun. Sie ist purer Götzendienst. Wenn Moral in irgendeinem Sinn etwas Positives sein soll, dann nur im Sinn eines Anstoßes zur Überwindung unserer Trägheit und zum Vertrauen auf unsere innere Kraft. Und dann sagt sie uns beispielsweise bestimmt nicht "du sollst nicht Unkeuschheit treiben", sondern höchstens: "Such dir einen Partner, mit dem du dich wirklich auseinandersetzen kannst."
Der Hauptgrund, warum in unserer Zeit die Therapie über die Religion gesiegt hat, ist der, dass die Therapie Ihrer Grundintention nach befreiend ist, während in der Religion, zumindest im Christentum, das Motiv der Befreiung ins Jenseits verlagert wurde. Statt Freiheit herrschen daher im Diesseits moralische Rücksichten.
Bekanntermaßen entstehen Krankheiten oft durch einen Energiestau, d.h. durch nicht gelebtes Leben, und der Energiestau entsteht vorwiegend durch moralische Rücksichten. Oft wäre es beispielsweise besser, sich scheiden zu lassen, so schlimm das immer auch ist [besonders für die Kinder], als sich zurückzunehmen – und damit die Lebenskraft selbst zurückzudrängen. Diese Art des sich zurück Nehmens geschieht nämlich ohne Bewusstsein der Zusammenhänge und ist daher gänzlich verschieden von der Art von Zurückhaltung, die die Lebenskraft selbst verordnet und der ein Mensch folgt, weil er weiß, dass sie ihn immer richtig führt.
Einer der offiziell anerkannten Messiasse unserer Religionsrichtung war David. Und genau der hat sich nicht gescheut, ein absolutes Tabu zu leben, nämlich den Mann einer Frau, in die er sich verliebt hatte, umbringen zu lassen, um sie zu bekommen. „An den Galgen mit ihm“ können die Moralapostel da nur schreien. [Leider konnten sie David nichts anhaben, denn er war ja der König. Es blieb daher bei einer Schelte durch den Propheten.] Aber genau aus dieser Linie, also aus den Nachfahren dieser neuen Beziehung ist dann Jesus hervorgegangen, wie die Gründer unserer Religion mit Stolz vermerken (ohne zu bemerken, was sie damit eigentlich sagen).
Wie viele Menschen dagegen siechen körperlich dahin, weil sie gefangen sind hinter den unsichtbaren Mauern menschlicher Ächtung – voll integriert in den Arbeitsprozess, beste Steuerzahler, fromme und nicht so fromme. Sie werden in Sklaverei gehalten durch ein geistiges Implantat der Gesellschaft, das nämlich ist die (unwillkürliche Kehrseite der) Moral. Fast alle körperlichen und seelischen Erkrankungen sind von dieser Art. Wenn wir einmal angefangen haben, uns selbst nicht zu trauen, ist unser Ende in Sicht. "Gewollt hätte ich schon, aber dürfen habe ich mich nicht getraut" [nach Karl Valentin], müsste auf den meisten Grabsteinen stehen. Wenn die Krankenkassen einmal davon Wind bekommen, werden sie entdecken, dass echte Religion wichtiger ist als Fitness. Die falsche Religion aber (biblisch: der Götzendienst) ist die Hauptursache der Krankheit. Die zweite Hauptursache ist der Egoismus derer, die die Moral ablehnen und ganz offen nur ihren Vorteil suchen. Beide aber leben in der Welt der Dualität, religiös ausgedrückt: „des Götzendiensts“. Beide kennen die Kraft nicht. In heutiger Sprache sind es einfach die beiden Pole Abhängige und Koabhängige.
Zwar zeigt die Tatsache, dass die Religiösen insgesamt statistisch gesehen gesünder und länger leben, dass etwas von der richtigen auch in einer falschen Religion da ist – und warum sollte die falsche Religion nicht eine natürliche Etappe auf dem Weg zur richtigen sein – nur müssen wir eben irgendwann lernen, die Warnung des ersten Gebots vor jeder Unterwerfung zu verstehen, sonst kommen wir mit der Religion nicht zur Auferstehung.
Befreit durch die Krankheit
Die Sache ist im Prinzip so einfach wie die Bibel sie darstellt:
Da gibt es die Kraft, die das ganze Weltall auf intelligente und mächtige Weise aus sich hervortreibt. Ihrer Natur entsprechend ist diese Kraft nicht an Selbsterhaltung interessiert, sondern es drängt sie, sich zu verströmen – allerdings nicht dumm-chaotisch, sondern auf eine derart intelligente Weise, dass nach Milliarden von Jahren ein Wesen erscheint, das diesen Prozess als solchen erkennen kann.
Wieder typisch für die "Vorgehensweise" dieser Kraft ist die Tatsache, dass eine der Voraussetzungen für diese Erkenntnis eine Fähigkeit ist, die jenes Wesen zunächst aber gerade dazu veranlasst, seinen Ursprung zu vergessen und entgegen den Intentionen seines "Schöpfers" seine neugewonnene Fähigkeit nur für sich einzusetzen gegen alle anderen. Diese neue Fähigkeit ist das Denken mit seiner Unterscheidungsmöglichkeit zwischen "gut" und "schlecht" (Gen 2,17). Noch befangen im Raubtierbewusstsein seiner Vorfahren setzt der Mensch seine neue Fähigkeit des Denkens nämlich zur Profitmaximierung ein (Gen 3,6).
Eine typische Grundlage des Selbstbilds dieses Menschen wären Sätze wie: "Ich bin besser." "Ich habe alles Recht, ihr anderen habt keines." Das ganze natürlich heruntergeschraubt auf ein im Alltag realistisches Maß ("realistisch" ist, was tatsächlich glaubhaft wirkt). Die zweite Denkvoraussetzung ist die Orientierung an der Vergangenheit mit der Intention, sich aufgrund vergangener Erfahrungen Vorteile in der Zukunft zu verschaffen. Gerade durch diese Art der Denkfähigkeit, also durch die erfahrungsbedingte Unterscheidung von "gut" und "schlecht" wurde dieses Wesen fähig, sich von der Instinktsteuerung abzukoppeln mit allen Folgen für die Gemeinschaft und für die eigene seelische Gesundheit (Gen 3, 23f.).
Unter Aufopferung beider Werte (Gemeinschaft und Gesundheit) erreichten manche dieser Wesen dann ungeahnte Macht, die jene anderen Menschen, die darunter zu leiden hatten (z.B. die Autoren der Bibel) zu Überlegungen führte über die Gründe für diese Entwicklung und über die Folgen. Die Autoren der Bibel fanden heraus, dass die Ursache der Unterdrückung von Menschen durch andere die Gier ist, die durch die Idee der Machbarkeit angestachelt wird. Und sie sahen: Die Idee der Machbarkeit entstammt der Zukunftsprojektion der Ergebnisse der Analyse der vergangen Erfahrungen mit Hilfe der Unterscheidung von "gut" und "schlecht“. Sie fanden außerdem, dass die gierigen Wesen einer Art "Geist" folgten [ein „Geist“ ist so etwas wie ein treibendes komplexes Bild mit Ankern im eigenen Wesen]. Und sie gaben diesem Geist den Namen "Baal", Gott der tierischen Kraft.
Da sie sahen, dass dieser Geist ein mörderischer Geist ist (Ri 2,13f.), suchten sie nach einem anderen Geist, der ihnen gegen die Bedrohung durch den "Baal" helfen konnte. Und sie fanden als diesen anderen Geist erstaunlicherweise die stärkste Kraft, die überhaupt existiert, nämlich die Kraft, die das ganze Universum und auch sie hervorgebracht hat. Die Bibel nennt diese Kraft "JAHWE" (Ex 3,14ff., zu deutsch „ich bin der ich bin“). Sie entdeckten JAHWE als Geist der Hingabe und als Geist der Wahrheit. Sie sahen, dass die tiefste Sehnsucht der Menschen eben nicht das Raffen, sondern die Hingabe ist. Und sie erkannten: Sie können sich mit dieser Kraft verbünden und im Bündnis mit dieser Kraft eine ungeahnte Resonanz erfahren, dass ihnen nämlich die ganze Natur zu Hilfe kommt (Gen 22,13 der rettende Widder; Ex 6,1; 7,1-11,10 die ägyptischen Plagen etc.). Und außerdem gibt ihnen diese Kraft (für den denkenden Verstand) geradezu unglaublich kreative Ideen (Ri 7,7 dreihundert besiegen dreißigtausend etc.). Die Ideen, die aus dem Bündnis mit dieser Kraft kommen, sind nämlich keine Berechnungen aus vergangenen Erfahrungen, sondern sie beziehen alle Fakten der Gegenwart augenblicklich ein auf eine Weise, gegen die es letztlich keine Abwehr gibt, denn die schöpferische Intelligenz selbst steuert das Geschehen unmittelbar.
Im Bewusstsein dieser Kraft zu leben, so entdeckten die Autoren der Bibel, ist von Anfang an die tiefste Sehnsucht aller Menschen. In Übereinstimmung mit ihr erleben sie das höchste Glück. Getrennt von ihr fühlen sich die Menschen entfremdet – trotz all der Vorteile, die sie sich mit ihren Berechnungen vielleicht verschaffen konnten. Außerdem sind die ergatterten Vorteile naturgemäß beschränkt und nur eine Minderheit kann sie erreichen, die Mehrheit muss für die Vorteile bezahlen, die sich die Wenigen verschaffen konnten.
Jene leidende Mehrheit ist gewöhnlich aber mit der über sie herrschenden Minderheit der Meinung, sie müssten auch wie diese dem Geist der tierischen Kraft folgen. Diese Meinung äußert sich beispielsweise in der Faszination der Macht (Offb 13,4 .13-17 die Menschen unterwerfen sich den beiden Tieren etc.) mit all den bekannten Folgen nicht nur des Fasz-ismus. Und natürlich liegt das daran, dass auch die leidende Mehrheit die Erfahrung macht, dass der Geist der tierischen Kraft tatsächlich Erfolg hat: Die Mehrheit unter ihnen ist immerhin noch imstande, den selbst erfahrenen Druck einfach nach unten weiter zu geben. Und den letzten beißen dann bekanntlich die Hunde. "Da kann man nichts machen, die sind sowieso minderwertig", denkt das Raubtier Mensch.
Nun ist es aber so, dass eine überwiegende Erfolglosigkeit irgendwann ihre Wirkung hat. Das Selbstbild vom "gut" Sein lässt sich nicht aufrechterhalten. Die Welt bricht zusammen (z.B. Mk 13,2 „kein Stein wird auf dem anderen bleiben“). In solchen Situationen kann es vorkommen, dass eine tiefe Sehnsucht nach einer anderen Art zu leben ins Bewusstsein dringt, die Sehnsucht nach einer anderen Art von Geist, nämlich nach jenem, der Leben gibt.
Es kann aber auch sein, dass das Bewusstsein in dieser Situation noch mit "Baal" identifiziert ist, während der Organismus (der von der "Seele", also von einer in diesem Fall unbewussten, individuellen geistigen Oberinstanz, gesteuert ist) bereits nicht mehr mitmacht. Denn wenn die Aussicht schwindet, Glück erfahren zu können, dann reagiert "der Organismus" mit einer Art "Störung" – so zumindest sieht es für den berechnenden Verstand (der aufgrund seiner selbstgewählten Abkopplung von den organischen Prozessen nichts von deren Impulsen registriert hat) aus. In Wirklichkeit ist die Reaktion des Organismus aber der Versuch des Ganzen, die tatsächliche Störung, nämlich das geistige Gefängnis, die geistigen Mauern, die den Menschen daran hindern, dem Ruf seines Innersten zu folgen, abzuschütteln – und wenn alle Versuche der Selbstkorrektur nicht helfen, aus der Welt zu scheiden – möglicherweise um anderswo einen neuen Versuch zu starten.
Durch die Reaktion des Organismus erscheint Unbeabsichtigtes, etwas, das als "schlecht" kategorisiert wird, ein "Fehler" – so sieht es für den "Baal" (= für den Verstand) aus. Für den Geist des Alls ist die Reaktion des Organismus natürlich kein "Fehler", denn es ist ja seine Kraft, die das Symptom verursacht (z.B. Offb 16 von Gott geschickte Engel richten Schaden an), denn sie strebt – für das mit seinen gewohnten Urteilen identifizierte Ich unbewusst – nach einer Lösung des Krampfs, der durch das Leben in der „gut/schlecht“-Welt aufgetreten ist. Die Krankheit ist also nicht ein Fehler der Natur, sondern ein Warnzeichen, eine Erscheinung, die auf eine bestehende Behinderung des Geists aufmerksam macht. Verschwinden kann die Krankheit daher erst, wenn die Behinderung des Geists aufgehoben wird.
Ein Beispiel für eine derartige Behinderung durch gedankliche Barrieren ist u.a. die Moral (deshalb kritisiert Jesus z.B. in Mt 23,4 die Pharisäer, die den Menschen schwere Lasten aufbürden), die den befallenen Menschen in eine Art Gefängnis sperrt, aus dem er möglicherweise nur anfallsartig, z.B. in Form einer Manie, ausbrechen kann – oder in Form einer Depression. Es kann natürlich auch ein "Verbrechen" sein oder eine körperliche Krankheit oder auch eine Schizophrenie, aber bleiben wir beim Beispiel der Manie:
In der Manie bekommt ein Mensch Zugang zu sonst verborgenen Kräften (z.B. Mk 5,2 ff., der Mann mit dem unreinen Geist). Die persönliche Bewusstseinsentwicklung entspricht allerdings noch nicht der Kraft, die der Maniker demonstriert. Dadurch erscheint er als wahnsinnig. Doch sein Organismus treibt ihn zu der Flucht nach vorne, weil das eigentliche Hindernis, das geistige Gefängnis, im normalen Bewusstseinszustand nicht als solches erkannt ist und daher auch nicht überwunden werden kann.
Ähnliches gilt für die Depression, nur dass bei den Depressiven die Lösung, die der Organismus anpeilt, der Rückzug ist.
Da in der Welt des "Baal" Manie und Depression als „Fehler“ der Natur gelten, die korrigiert werden müssen, wurden in unserer Zeit Chemikalien erfunden, die diesen Tendenzen der Natur entgegenwirken. Als Ausweg gibt es heute daher zwei Möglichkeiten, entweder (1) Medikamente, die den Maniker von seinem Höhenflug herunterholen bzw. Antidepressiva, um die Stimmung des Depressiven anzuheben – oder (2) die Entlassung aus dem geistigen Gefängnis im Alltagsbewusstsein, d.h. Genesung durch Bewusstwerdung.
Solange sich die äußeren Bedingungen (d.h. die Grundprogrammierung des Bewusstseins) nicht ändern, wird der Organismus seine Strategie der (natürlich störenden) Warnsignale beibehalten. Daher wird der erste Weg, sofern er glaubt, ohne Bewusstseinsarbeit auszukommen, eine dauernde Abhängigkeit von Medikamenten schaffen und die "Störung" perpetuieren. In die Freiheit führt nur eine Veränderung des Bewusstseins.
Der erste Schritt zu einer derartigen Veränderung des Bewusstseins ist es, das Gefängnis als solches zu erkennen.
Außer der Moral bzw. der Angst vor dem, was andere denken könnten, kann es auch jede andere Art von Abhängigkeit sein. Letzten Endes wird die Abhängigkeit immer zu tun haben mit dem, was die Autoren der Bibel als Ursache des Problems diagnostiziert haben (Gen 2,17, Verbot vom Baum der Erkenntnis zu essen), nämlich damit, dass Menschen ihr Bewusstsein auf (aus vergangenen Erfahrungen abgespeicherte) Bewertungen über "gut" und "schlecht" programmiert haben und diese Bewertungen als einzige Lebensorientierung benützen.
Basis der Befreiung dagegen ist die Erinnerung an die Kraft (deshalb in Num 10,9f. die Trompetensignale als Erinnerung an die Hilfe durch Gott), die uns hervorgebracht hat und die nichts mehr will, als dass wir in ihrem evolutionären Sinn leben. Das können wir aber nur, wenn wir frei sind (frei von Abhängigkeiten, von Vor-Urteilen etc., und deshalb Ex 20,3ff., das Verbot anderer Götter). Da wir uns am Anfang unseres Weges in die Freiheit aber selbst nicht trauen, bekommen wir als Ermutigung einige Erzählungen von den Erfahrungen anderer mit dieser Kraft. Diese Erzählungen stehen in den heiligen Schriften aller Völker. Und sie sagen uns übereinstimmend, dass die Kraft mit dem ist, der sich traut (Ri 6,14, „befrei mit der Kraft, die du hast...“), sich auf den Weg zu ihr zu machen. Auf dem Weg zu ihr nämlich wird sie mit uns sein und letztlich wird uns kein Hindernis aufhalten können. Solange wir uns allerdings nicht an diese Kraft erinnern, sondern glauben, uns allein aus "eigener" Kraft befreien zu müssen, bleiben wir innerhalb der Kategorien unseres Gefängnisses (d.h. abhängig von fremden Göttern) und wir können nicht frei werden. (So erklärt sich z.B. 1 Sam 15,9, Sauls Ungehorsam.)
Die Kategorien unseres Gefängnisses sind, wie gesagt, unsere vergangenen Erfahrungen. Sie halten uns in der Vergangenheit fest. Die Kategorie der schöpferischen Kraft dagegen ist die totale Präsenz. Auf dem Weg zu ihr müssen wir alle Vor-Stellungen loslassen (z.B. Ri 7,5, nur die, die trinken wie die Tiere, werden ausgewählt). Weil wir uns aber mit unseren Vorstellungen identifizieren, müssen wir vor allem unser Bild von uns selbst loslassen – aber eben nicht wie die Maniker es tun, indem sie glauben bereits zu sein, was sie bis jetzt doch nur dem Keim nach sind, sondern indem wir unseren Spielraum Zentimeter um Zentimeter erweitern, indem wir nämlich auf ähnlich mühsame und gefährliche Weise unsere geistige Freiheit erobern, wie wir es beim Ausbruch aus einem physischen Gefängnis tun müssten. Der Ausbruch wird uns gelingen. Weil die Tendenz, sich gewohnheitsmäßig zu verhalten aber einen ständigen, starken Zug auf uns ausübt, müssen wir dieser Trägheits-Kraft zunächst mit einer ständig zu wiederholenden Übung begegnen: Wir müssen uns nämlich immer wieder daran erinnern, dass die Kraft des Alls unsere Freiheit will und dass sie, gewissermaßen persönlich, die Gelegenheiten schaffen und uns die nötigen Ideen geben wird, sobald wir mit konkreten Schritten tatsächlich anfangen, selbst zu leben – und zwar bevor wir zusätzliche Kraft durch unseren Bund mit der Kraft erfahren haben; wir müssen anfangen mit dem, was wir haben – und sei das noch so dürftig! Dann erst erleben wir die Unterstützung durch unseren Bund. Die Wunder können nicht beginnen, bevor wir einen Schritt im Vertrauen darauf, dass sie beginnen werden, gemacht haben.
Glaube und Erfahrung
Es gibt sicherlich verschiedene Arten von "Glauben", deshalb müssen wir zuerst klären, wovon die Rede ist:
Was wir gewöhnlich unter "Glauben" in seinem besten Sinn verstehen, ist eine intellektuelle Errungenschaft, eine Art geistige Disziplin, die vorwiegend auf eingeprägten Bildern beruht, letztlich auf einer Art hypnotischem System, das eine Erlösung vom Leiden zu bewirken versucht, indem es sie behauptet.
"Glauben" in diesem Sinn ist also das Für-Wahr-Halten behaupteter Zusammenhänge. Der Preis für das Funktionieren eines hypnotischen Systems dieser Art ist gewöhnlich die Einhaltung eines strengen Ordeals, das eben jene geistige Disziplin durch schwieriges praktisches Handeln untermauert. In unserem Fall ist das Ordeal die Moral. Da diese aber praktisch nicht einzuhalten ist, kann jedes Versagen der Glaubenskraft (die ja Berge versetzen soll) auf die eigene mangelnde Disziplin zurückgeführt werden.
Der Nachteil dieses Systems ist nicht nur, dass es nicht besonders gut funktioniert, sondern vor allem, dass es massive Störungen verursachen kann, insbesondere, dass es (naive) Menschen, die die Moral nicht bewältigen können, innerlich zerreißt oder in ein geistiges Gefängnis sperrt, aus dem ein Entkommen fast unmöglich ist, insbesondere da die Vertreter des magisch–hypnotischen Systems selbst keine Einsicht in die Wirkzusammenhänge dieses Systems haben und den Mythos, auf dem die Wirkung beruht, einfach für so etwas wie eine physische Realität halten in einem ähnlichen Sinn wie zu Zeiten des Polytheismus die verschiedenen Götter ebenso für selbständige quasi anthropomorphe Realitäten gehalten wurden. Im Wirk-Prinzip gibt es daher tatsächlich keinen Unterschied zwischen dem gewohnt christlichen und den polytheistischen Glaubensformen.
Die Störungen, die vom "Glauben" in diesem Sinn verursacht werden können, reichen von Neurosen über psychiatrische Störungen bis hin zu allen Arten von lebensbedrohlichen Krankheiten, denn für die Menschen, die nicht bereit sind, die geforderte rigorose Moral entweder zu erfüllen oder bewusst abzulehnen, stellt sie eine Einengung ihres Lebensraumes dar, die ihnen letztlich nur die Möglichkeit lässt, entweder radikal auszubrechen (auch im Sinn des Verbrechens) oder zu resignieren, d.h. sich überwältigen zu lassen von dem inneren Druck mit Konsequenzen wie Krebs, Herzinfarkt, Depression und Ähnlichem.
Ein weiteres schwerwiegendes Problem, das auf das Moralsystem zurückgeht, ist die Bigotterie und mit ihr der ganze Komplex von Diskriminierung, der zu Verfolgungen bis hin zu Kriegen führt.
Natürlich wäre es verkehrt, dem religiösen Glaubens-System "Schuld" an diesen Folgen zu geben, denn dieses System ist nur eine der Gegebenheiten und Gefahren des Lebens in dieser Welt und ohne es wären die Gefahren nicht weniger, sondern nur anders.
Und doch sind es auch diese Folgen, gegen die Menschen wie Jesus oder Buddha sich mit ganzer Kraft eingesetzt haben, indem sie den Glauben ihrer Zeit entmythologisiert haben – im Fall von Jesus mit tödlichen Folgen, weil die Repräsentanten des Systems dessen Entmythologisierung nicht zulassen wollten.
In Zusammenhang mit seinen Bemühungen hat Jesus die Religion auf eine andere Basis gestellt. "Glauben" bedeutet bei ihm daher etwas völlig anderes als zu den immer noch gegenwärtigen Zeiten der Inquisition, die ihm damals bekannterweise das Leben genommen hat.
"Glauben" bedeutet bei ihm nicht das Für-Wahr-Halten eines geistigen Systems, sondern ein abgrundtiefes Vertrauen, das weder erlernt noch fingiert ist. Es beruht auf einer Erfahrung, einem Erleben, einer Anschauung der "Wirk-lichkeit", auf einer Erfahrung des Wunders des Lebens, auf einem Erleben der schöpferischen Kraft. Der "Vater", von dem Jesus spricht, ist kein magischer Mythos, zu dem er später für die Christen wird, sondern eine persönlich erfahrbare Realität. Aus diesem Grund ist der "Glaube" bei ihm auch nicht verknüpft mit einem moralischen System. Und zum Erstaunen und auch Ärgernis für seine Gegner schafft er es daher, diesen "Glauben" auch in Menschen zu wecken, die aus der Sicht moralischer Disziplin als verloren gelten mussten. Viele von ihnen waren dem moralischen System schon allein aus Protest gegen dessen Unmenschlichkeit entfremdet. Indem sie von der Anschauung Jesu angesteckt wurden, konnten sie ihren Protest aufgeben und wurden von da an Menschen, die für andere den Eindruck großer Moralität erweckten.
Jesus hat den alten Grund der alten Religion wiederbelebt: Die Anschauung, das Ergriffensein von der grenzenlosen Kraft, die das Universum hervorgebracht hat und die – erstaunlicherweise – in jedem winzigsten Detail des Lebens gegenwärtig ist und – mehr noch – jedes dieser Details im Grunde lenkt und zwar so, dass das Bewusstsein von dieser Realität insgesamt zunimmt.
Die Art des Wirkens dieser Kraft kann als eine Art natürliche Verhaltenstherapie betrachtet werden, weil es das Vertrauen belohnt und das Misstrauen bestraft – wie beispielsweise das Auf und Ab der Geschichte Israels zeigt. Diese Tatsache wird von den Vertretern des Glaubens-Systems als Rechtfertigung ihres Vorgehens betrachtet, aber irrtümlich, denn wirkliches Vertrauen entsteht nicht durch permanente Selbsthypnose, sondern durch unmittelbare Wahrnehmung der Realität des Wirkens der Kraft.
Nur auf dieser Basis konnte Abraham zum Stammvater eines großen Volkes werden, nur auf dieser Basis konnte Mose sein Volk herausführen aus der Sklaverei in Ägypten, nur auf dieser Basis konnte Gideon eine Armee von 30.000 Mann mit nur dreihundert besiegen. Und nur auf dieser Basis erlitt Jesus seinen Tod, um tausendfach in vielen Generationen von Multiplikatoren seiner Art aufzuerstehen.
Das ist das Glauben anderer Art, das nichts mit Selbsthypnose oder mit Internalisierung äußerer Bilder zu tun hat – im Gegensatz zum üblichen Verständnis des "Glaubens".
Und doch kann die übliche Art des "Glaubens" zum Anlass für die Erfahrung werden.
Insgesamt gibt es also drei Arten von "Glauben":
Der erste ist die rein intellektuelle Darstellung einer Fiktion, die für wahr gehalten wird.
Der zweite die darauf beruhende (diese utilisierende) Suggestion und Autosuggestion – eine Art von Magie.
Die dritte ist die persönliche Erfahrung, die unmittelbare Anschauung, die von der Art der Wahrnehmung her nichts gemein hat mit der Fiktion, obwohl Details aus den Beschreibungen der Erfahrung praktisch identisch sein können mit Details aus den Beschreibungen des fiktiven Glaubens-Systems der ersten und zweiten Art.
In der Terminologie von Carlos Castaneda könnte man sagen, die erste Art des "Glaubens" beruht auf der "ersten Aufmerksamkeit", die zweite auf der zweiten und die dritte auf der dritten. Die erste Aufmerksamkeit ist das gewöhnliche kausale Denken, die zweite ist die der magischen Weltbewältigung (beide abstrakt und dem verhaftet, was die Bibel als den Sündenfall beschreibt, nämlich der Unterscheidung von "gut" und "schlecht"), die dritte die des Fühlens, des Wahrnehmens der ganzen Tiefe der Wirklichkeit samt der Kraft, die sie treibt.
In dieser dritten Art der Aufmerksamkeit braucht es keinen Mythos, denn die Wirklichkeit ist genug. In dieser Aufmerksamkeit lebte Jesus; das meinte er, wenn er sagte, Gott müsse "im Geist und in der Wahrheit" angebetet werden. Denn hier ist der Geist gegenwärtig und spürbar und die Ehrfurcht vor ihm ist kein Gebot, sondern eine Realität. Solange sie ein Gebot ist, befindet sich der Mensch im Bereich der ersten oder der zweiten Aufmerksamkeit, also bestenfalls im Bereich des Mythos und der Magie, also in einer Fiktion – die außerdem heute hier bei uns kaum noch positive Wirkungen hat, sondern vorwiegend psychische, psychosomatische, somatische und Verhaltens-Störungen auslöst.
Die Koppelung von Moral (insbesondere natürlich in Form der von niemand erfüllbaren Sexualmoral) und "Glauben" bewirkt nämlich ein undurchdringliches Gefängnis der Schuld, das offenbar die Herrschaft derer garantieren soll, die behaupten, den Schlüssel zur Vergebung zu haben, und das gleichzeitig garantiert, dass niemand den Schritt vom "Glauben" im Sinn der Fiktion zur persönlichen Erfahrung oder Anschauung (also von der Abhängigkeit in die Freiheit) gehen kann. Was Jesus schon von den Schriftgelehrten und Pharisäern sagte, nämlich dass sie den Schlüssel zum Himmelreich nicht dazu benutzten selbst einzutreten und dass sie auch alle anderen davon ausschlössen (Mt 23,13), das trifft auch auf die heutigen Schriftgelehrten und Pharisäer und auf ihr System des "Glaubens" zu. Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Warum sonst sollte Jesus die Kinder als Beispiel für die richtige Art des Glaubens herangezogen haben, wenn nicht, um zu sagen, dass es um die unmittelbare Anschauung geht, um das Fühlen der Wirklichkeit und nicht um intellektuelles Einordnen oder um magisches Bewältigen. Es ist klar, dass ein in diesem Sinn neues Verständnis der kirchlichen Gebräuche entwickelt werden muss, wenn der Weg von den mittelalterlich schwarz-magischen Praktiken zum Fühlen der Gegenwart des Geists gegangen werden soll.
Instinkt - Hypnose -
Religion
Zu den Grundlagen der Hypnose im Rahmen der Psychotherapie
Der Einsatz der Hypnose im therapeutischen Kontext beruht auf der Erfahrungstatsache, dass der Organismus über die Fähigkeit verfügt, sich selbst zu regenerieren, wenn eine Störung oder eine Beschädigung eingetreten ist. Alles, was dazu nötig ist, ist es, den Einfluss des (störenden) zweiten menschlichen Steuerungssystems, das auf dem Denken beruht, vorübergehend auszuschalten.
Diese Tatsache ist bekannt, seit es Menschen gibt; insbesondere die Religionen beruhen darauf in ihrem Ursprung - natürlich nicht in dem, was später daraus (natürlich wieder mit dem Denken) gemacht worden ist.
Der Klassiker der Literatur über Yoga, Patanjali, beschreibt als Ziel des Yoga die Ausschaltung des Denkens - eben weil er das Denken als die Fehlerquelle im menschlichen Steuerungssystem erkannt hat.
Auch die Bibel führt gleich zu Anfang alle menschlichen Probleme auf das Denken zurück: Der Bibel nach sind die Menschen als Ebenbilder Gottes (wörtlich als "Kopien" von Gott) geschaffen und demgemäss leben sie natürlich im Paradies. Sie werden gewarnt vor den tödlichen Folgen, aber es reizt sie einfach zu sehr: Sie essen vom "Baum" der Erkenntnis von "gut" und "schlecht". Und von dem Moment an richten sie sich in allem, was sie tun, nach den Kategorien von "gut" und "schlecht". Von dem Moment an denken sie beispielsweise, dass Nacktsein schlecht ist und sie schämen sich. Und Kain ärgert sich so sehr darüber, dass er seinen Bruder für "besser" hält, dass er ihn erschlägt.
Vorher waren die Menschen einfach bereit, das Leben zu nehmen, wie es kommt, und das war die Grundlage des Paradieses. Es gab immer das, was notwendig war. Gelegentlich gab es Luxus und gelegentlich gab es Not, das war normal, so wie eine Welle beim Hereinkommen etwas bringt und beim Hinausrollen etwas nimmt.
Da sie das alles einfach akzeptierten, wie es war, hatten sie alle Zeit und alle Muße, aufmerksam zu sein für die Dinge, die sie gerne hatten (instinktiv, nicht kategorial „gut“ oder „schlecht“). Und weil sie keine Zeit verschwenden mussten mit Nachdenken, konnten sie blitzschnell reagieren und ihre Chancen optimal nutzen.
Auch ihre anderen Sinne waren in voller Funktion und so konnten sie Dinge auf einem so feinen Niveau spüren, dass sie schon den Eindruck erwecken konnten, sie hätten telepathische Fähigkeiten (ganz abgesehen von der Frage, ob es so etwas gibt oder nicht).
Von dem Zeitpunkt an aber, an dem sie mit der Einordnung von allem und jedem in ihre "gut"-"schlecht"-Listen begonnen hatten, waren sie ständig damit beschäftigt. In ihrem Wahrnehmungssystem entstand dadurch eine Art Grundrauschen, das ihre Wahrnehmungsfähigkeit seither eben bis zu jenem Grad behindert.
Die Hauptschwierigkeit aber entsteht vor allem dadurch, dass die Entscheidungsprozesse von da an nicht mehr auf der Wahrnehmung der in der Gegenwart wirkenden Kräfte beruhen, sondern auf den Erfahrungen aus der Vergangenheit. Das verzögert nicht nur die Entscheidung wegen des zeitaufwendigen Prüfungsvorgangs, sondern vor allem überlagern die Vor-Stellungen die tatsächliche Situation; die Entscheidungen beruhen also auf fiktiven (weil nichtaktuellen) Daten und daher auf Daten, die der tatsächlichen Situation unangemessenen sind.
Das Problem, dessentwegen ein Patient in die Therapie kommt, beruht auf genau dieser Fehlerhaftigkeit des zweiten menschlichen Steuerungssystems, des Denkens. Es entsteht ja, weil er/sie sich an Erfahrungen orientiert, die zwar irgendwann aktuell waren, es aber längst nicht mehr sind. Eine Korrektur über eine Reparatur der alten Programmierung wäre denkbar, ist logischerweise aber extrem zeit- und arbeitsintensiv (z.B. Psychoanalyse), eine Umschaltung auf Automatikbetrieb (z.B. durch Hypnose oder durch Drogen) ist möglich, aber nur vorübergehend und in beschränktem Umfang. Auf Dauer und in zunehmendem Umfang kann diese Umstellung nur durch eine bewusste Lebens-Neuorientierung geschehen, z.B. durch das, was Religion ihrem Wesen nach ist, nämlich die Erfahrung, dass für den fühlenden (nicht für den denkenden!) Menschen alle nötige Information rechtzeitig verfügbar ist.
Letzten Endes geht es natürlich nicht darum, den Evolutionsprozess rückgängig zu machen und die Großhirnrinde auszuschalten, sondern darum, ihre Fähigkeit dort einzuordnen, wo sie hingehört, sie also von ihrer gegenwärtigen Position der obersten Priorität in der Handlungssteuerung zu entfernen und sie statt dessen einfach als eines der verfügbaren Werkzeuge einzusetzen. Die oberste Priorität in der Steuerung hat dann das Fühlen (nicht zu verwechseln mit den Gefühlen!), das dann, wo immer es notwendig ist, vom Denken unterstützt wird.
NS: Diese permanente Umstellung setzt natürlich Vertrauen in die Fähigkeiten der menschliche Natur voraus, das aber ohnehin (außer vielleicht bei Medizinern und Theologen) bei allen Menschen von Natur aus bereits vorhanden ist, wenn es beispielsweise um die Regelung des Herzschlags, der Verdauung oder der Wundheilung geht, also um Fragen, die für die Aufrechterhaltung des Lebens wesentlich wichtiger sind als die Entscheidungen des Alltags, die wir der uranfänglichen Steuerung bisher lieber entzogen haben, weil uns in diesem Bereich jenes "Ur-Vertrauen" eben gewohnheitsmäßig gefehlt hat.
Nun aber müssen wir es wiederfinden, denn wir müssen uns entscheiden - nachdem wir die Fehlerhaftigkeit der Denksteuerung und die Unmöglichkeit der Rückkehr zur unbewussten Instinktsteuerung (die in der Hypnose wieder auflebt) erkannt haben - die Führung an das bewusste Fühlen zu übergeben.
Viele der biblischen Geschichten, in denen es ja immer genau darum geht, können uns dabei helfen.
Vergebung - und wie man sie
erlangt
3 Schritte
Normalerweise wird gesagt: Nach der bösen Tat braucht es Reue, ein Bekenntnis (z.B. Beichte) und dann gibt es die Vergebung.
Tatsächlich aber stimmt das fast nur in den Fällen, in denen ein Mensch aktives Mitglied einer Gemeinde, einer Sekte oder einer (Selbsthilfe-) Gruppe ist.
Gewöhnlich ist die Einsicht in die Schuld zunächst nämlich gar nicht möglich. Gewöhnlich ist die "böse" Tat nämlich bereits das Ergebnis eines erheblichen Ärgers, oft durch Verstrickung in einen Gewirr von Schuldgefühlen, Unfähigkeit zum Handeln, anfallsartigen Durchbrüchen unbewusster Aktionen, Verdrängung etc..
In so einem Fall braucht der Täter (vielleicht ein Mörder) zunächst jemanden, der sein Handeln verstehen und aus seinem Verstehen heraus vollkommen entschuldigen kann. Dann erst, wenn der Täter sicher sein kann, nicht für seine Tat verurteilt zu werden (und hier meine ich nicht das Urteil der Justiz, sondern die persönliche Einstufung dieses Menschen als „schlecht“), wird Einsicht möglich. Die Einsicht kommt dann aus dem menschlichen Wesen selbst. Es ist ein Fühlen der Verletzung, die der Täter dem Opfer zugefügt hat. Dieses Fühlen wird den Täter zutiefst erschüttern. Erst jetzt, wo er sich nicht mehr gegen Vorwürfe verteidigen muss, wird er fähig sein zu sagen: Um Gottes willen - was habe ich nur getan? Reue ist in dieser Situation kein Gebot, sondern eine Tatsache. Und gleichzeitig entsteht der Wunsch nach einem Ausgleich, danach, sich selbst einzusetzen entweder für eine Entschädigung des Opfers selbst, wenn das möglich ist, oder für andere Menschen, die sich in einem ähnlichen Gefühls-Gefängnis befinden, um sie davor zu bewahren, ähnliche Schuld auf sich zu laden, oder, wenn sie das schon getan haben, sie zur Einsicht zu führen.
Gleichzeitig findet auf dieser Erlebnisebene die Vergebung statt, ja man könnte sagen, die Wiedergutmachung ist eine Reaktion der Dankbarkeit auf die Vergebung (und nicht, dass die Vergebung eine Folge der Wiedergutmachung sei), denn die Vergebung erfolgt durch den Richter "Mensch"; der Richter begegnet dem Täter auf der Ebene seiner Menschlichkeit, sobald der Täter dort eintrifft. Und dann wird für den Täter alles gut.
Das Dialogische Prinzip des Universums
Grundlage aller ("religiöser Erfahrung" = "Religion")
200 Jahre nach Schleiermacher
[Dieses Kapitel sollte
von allen übersprungen werden, die an Philosophiegeschichte weniger
interessiert sind. Fortsetzung Seite 55.]
Ein Theologe und Philosoph namens Schleiermacher schrieb vor fast genau 200 Jahren sein Buch "Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern" - gemeint waren Leute wie Goethe, den diese Reden tatsächlich sehr beeindruckt haben.
Zum ersten Mal gibt es damit im christlichen Raum eine Art der Betrachtung der Religion, die wir sonst nur von spirituellen Meistern östlicher Religionen kennen, und die in der christlichen Theologie bis jetzt einzigartig geblieben ist. Für mich geht es im Folgenden vor allem darum, zu zeigen, welch gewaltige Folgen diese Art der Betrachtung für unser Religionsverständnis haben könnte und dass dieses Verständnis helfen könnte, völlig neue Formen christlicher Religiosität zu entwickeln – soweit sich solche nicht ohnehin ("incognito") bereits entwickelt haben.
Für Schleiermacher gibt es Religion nur in Form einer "Anschauung des Universums", wobei "Anschauung" eine Art unmittelbarer persönlicher Erfahrung des Ganzen ist, die reale menschliche Erfahrung der Ganzheit der Welt und des Lebens. Es ist für ihn immer eine Anschauung der ganzen Wirklichkeit - und sie schließt das Wissen um die grundsätzliche Erlöstheit ein. Ein Leben nach ausgewählten Überzeugungen dagegen ist nur eine Vorstufe dazu, eine Etappe auf dem Weg der Suche nach der Anschauung. Der subjektiven Empfindung nach bleibt es in der Dualität, in der Entfremdung, außerhalb der (in Wirklichkeit illusionären) Grenzen des Paradieses. Die Überzeugung ist gut für das, was man im heutigen Sprachgebrauch eine "Konfession", ein "Bekenntnis" nennt. Sie bildet immerhin schon eine Gemeinschaft solidarischer Menschen, aber die Wirklichkeit ist größer. Genau auf dieses Bewusstsein hat ursprünglich der Beiname "katholisch" (deutsch: "aufs Ganze hin", "allgemeingültig") gezielt, der zwar schon seit Ende des 2. Jahrhunderts zum unbestrittenen christlichen Glaubensgut gehört, heute aber praktisch von keinem christlichen "Bekenntnis" mehr verstanden wird. Eine Konfession kann auch niemals Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben - nur die "Anschauung" kann das. Der Konfession fehlt die Erfahrung des Ganzen. Außerdem kann jeder verständige Mensch leicht einsehen, dass die Konfession eines Menschen nur ein geografischer Zufall ist und nichts zu tun hat mit einer mehr oder weniger göttlichen (und das würde bedeuten "allgemeingültigen") Herkunft jener Konfession. Sonst müsste man sich ja wirklich fragen, wie die bisher nicht Missionierten den Zustand ihrer Unerlöstheit so lange aushalten konnten, bzw. woran sich denn die Erlösung bei den Missionierten zeigen würde. Sicherlich haben die zivilisatorischen Umstellungen viele Menschen entwurzelt und die sind dann froh, in einer neuen Konfession eine neue Heimat zu finden, aber Anzeichen der Erlöstheit finden sich bei Christen nicht mehr und nicht weniger als bei Anhängern anderer Religionen, bzw. die Erlöstheit hat weniger mit dem Bekenntnis zu tun als eben mit dem Ergriffensein durch das Universum, also mit der Teilhabe an dessen Dialog und den gibt es wohl in jeder Religion.
Ich selbst habe Hindus, Buddhisten, Shintoisten, Moslems, Christen verschiedener "Konfessionen", Juden, Indianer und andere Menschen kennen gelernt, die mit Sicherheit an dem Dialog teilhatten und ich habe Anhänger dieser Völker und Gruppen kennen gelernt, die nicht daran teilhatten, weil sie erst auf der Suche waren. Und ich habe auch die Ignoranz kennen gelernt (besonders natürlich unter denen, die erst auf der Suche waren), die geringschätzig über andere Anschauungen denkt und die die Anhänger anderer Anschauungen am liebsten ausrotten würde - wie es in Wirklichkeit ja oft genug geschieht.
Beleidigungen haben immer mit Ignoranz zu tun - auch die Beleidigung der Juden durch Schleiermacher.
Das „Dialogische Prinzip der Gottheit“, von dem Schleiermacher spricht, ist ein Gespräch, in das im Prinzip alle Menschen eingebunden sind - jeder für sich und manche Gemeinschaften auch noch als solche (z.B. die Juden als Volk Gottes, andere spirituelle Gemeinschaften, aber auch Paare, Familien, Stämme ...) - das aber nicht alle Menschen als solches wahrnehmen können. Die Voraussetzung für die Wahrnehmung dieses Dialogs ist eine Art "Gnade", andere würden sagen der "Zufall" der Geschichte, der erstaunlicherweise und ohne erkennbaren Grund gewisse Personen in den Zustand einer derartigen Wahrnehmung versetzt, während andere, die anscheinend viel mehr "Recht" auf eine "Anschauung" hätten (etwa Fachtheologen oder geistliche Würdenträger), von ihr doch oft ausgeschlossen sind. Nun, Jesus hat sehr scharf formulierte Aussagen in diesem Sinn gemacht - aber es finden sich natürlich immer Gründe für Personen, die eben nicht mit einer Anschauung bedacht worden sind, diese Aussagen nicht auf sich beziehen zu müssen und sich weiterhin dazuzuzählen, ohne sich je wirklich ehrlich zu prüfen - und dann vielleicht gerade beim Feststellen des Nicht-Bestehens der Prüfung mit einer Anschauung beschenkt zu werden.
Der Dialog ist nämlich im Prinzip jederzeit allen Menschen zugänglich, er ist biologisch verankert - obwohl "Michael" den Baum des Lebens bewacht und vor jedem unbefugten Zugriff sichert. Der unbefugte Zugriff besteht ja nur darin, dass jemand aufgrund seiner Urteile über "gut" und "schlecht" das Paradies (als etwas "Gutes") erreichen möchte [um hier etwas vorwegzunehmen: Hier wird schon klar, dass die bildhafte (also mythische) Darstellung der philosophischen Frage nach dem Ursprung des Übels etwas anderes ist als das für-Fakt-Halten legendärer (nachträglich aufgrund eines Mythos erfundener) Ereignisse - und ich will damit keinesfalls etwas gegen die Berechtigung des Mythos selbst einwenden oder gegen das Erdichten inspirierender Geschichten!]. So jemand kann nicht eingelassen werden, denn er/sie erhebt sich ja über die Natur, in der es das eine nicht ohne das andere gibt. Es fehlt die Demut, d.h. die Anerkennung der Realität der vollkommenen Abhängigkeit des Geschöpfes vom Schöpfer. Erst jemand, der Gott nicht als ein Wissender, sondern als ein Unwissender gegenübertritt, kann in den Dialog eintreten, denn ein Wissender kann natürlich nur seine eigene Stimme hören, und er wird der Stimme Gottes nicht glauben.
Daher kommt es, dass oft Menschen, die am Boden ihrer Existenz angelangt waren, plötzlich zu Mittlern wurden, und dass kaum je einer zu einem Mittler wurde, dem diese Erfahrung (des am Ende Seins) fehlt. Naturwissenschaftler untersuchen dieses Phänomen mittlerweile und halten es für ein biologisches Notprogramm, das einsetzt, wenn alle auf Gedanken basierenden Ideen versagen, also für eine Art Rückgriff auf eine instinktive Basis, doch das Erstaunliche für sie würde sein – wenn sie es wagen würden dieses Phänomen wirklich eingehend zu betrachten –, dass die Ideen, die solchen Situationen entspringen, geradezu unglaublich situationsbezogen informiert sind, akkurat und letzten Endes höchst rational, rationaler als jede Überlegung es je sein könnte (vgl. Gideon, Ri 6-8). Und außerdem, dass dem, der sich "auf diesen Dialog hörend" verhält, (auch nach erfolgter Entscheidung) die ganze (unbewusste) Natur zu Hilfe kommt (vgl. die ägyptischen Plagen, Ex 7-11, so legendär diese auch sein mögen). Und das sind Erfahrungen (andere würden hier vielleicht von "Wunder" sprechen), die von allen, die in der Anschauung leben, als ihre eigenen persönlichen Erfahrungen bestätigt werden. Sie wissen dadurch, wie Schleiermacher [aaO. 118], dass alles (der ganze Verlauf des Lebens und der Evolution) ein Wunder ist.
Eine weitere Frage, die für Schleiermacher wichtig ist, ist die nach der Moral:
Schleiermachers Anschauung zeigt ihm die Moral als nur ein Bestandteil der Konfession und [u.a. aaO. 43] nicht der Religion. So sehe ich das auch.
Das Problem mit der Moral ist aber nicht das durch den Kodex geforderte Verhalten, das kann ja durchaus dem Dialogischen entsprechen, es ist auch nicht der Kodex selbst, sondern es ist die absolut formulierte Forderung nach Orientierung [solange keine Anschauung besteht, besteht diese Forderung zurecht, indem die Forderung aber absolut formuliert ist und der Hinweis auf eine höhere Ordnung (als die der Moral) fehlt, behindert sie nicht nur den Vollzug der anfänglichen Anschauung, sondern die gesamte persönliche spirituelle Entwicklung auf die Anschauung hin] an etwas, das zur Dimension des Denkens gehört und nicht (und hier gehe ich über Schleiermacher hinaus) zu der des Fühlens. Erlösung kann ja nur vom Ewigen her kommen, also nur von der Wahrnehmung des ewigen Dialogs im Fühlen. Wenn die Steuerung des Handelns vom Denken ausgeht, geht sie von der Dimension aus, die das Paradies verspielt hat. In dieser Dimension ist der Dialog nicht möglich. In dieser Dimension herrschen gedankliche Ideale, also fremde Götter (im Sinn des ersten Gebots handelt es sich bei der Moral daher um eine Art "Polytheismus"). Von hier aus ist Erlösung nicht möglich.
Die Moral folgt zwei Göttern, der eine heißt "Ordnung" und bezieht sich auf die Gesellschaft (extrem verkörpert in Dostojewskis "Großinquisitor" oder im Hohen Rat, der Jesus verurteilt etc.), der andere heißt "Freiheit" (als Ansporn natürlich in Ordnung, als "ich schaffe es aus eigener Kraft" aber ein Idol). Beides sind gedankliche Ideale, die von den Zwängen, in denen die realen Individuen stehen, nichts wissen. Aus diesem Grund ist die Moral, wie Schleiermacher auch zu sehen scheint [aaO 51f.], eine Überforderung (und daher nicht dem Dialog gemäß) in mehrfacher Hinsicht. Es ist daher nicht überraschend, bei genauerem Hinsehen zu sehen, dass ein großer Teil der (körperlich und auch der psychisch) Kranken an ihrer Moral erkranken, die ihnen die Lebensenergie nimmt (das sage ich aus meiner Erfahrung als Psychotherapeut und als Seelsorger für psychisch Kranke.) Sie sind nicht stark genug, den Absolutheitsanspruch der Moral über Bord zu werfen und noch weniger, ihn einzuhalten. Sie geraten dadurch in einen schweren Zwiespalt mit sich selbst. Sie sind nicht imstande, klar zu fühlen, was das Richtige ist für sie. Aber ihr Organismus zeigt durch seine Krankheit, dass die Moral ein falscher Gott ist für sie, weil sie das Lebendige in ihnen zu ersticken droht. Und selbst das Kriminelle ist oft nicht mehr als ein verzweifelter Ausbruch aus dieser tödlichen Enge.
Aus diesem Grund (weil sich - auch der Einsicht Schleiermachers nach [aaO. 103] - die Wirklichkeit bzw. das Universum immer zur Wehr setzt gegen künstliche Eingriffe) ist es (beispielsweise) durch dominante Subkulturen zu der heute für jeden beobachtbaren Umwertung aller Werte gekommen, durch die es eben als "cool" gilt, sich über alle Autoritäten und Codices hinwegzusetzen. Aus diesem Grund konnte man in den Siebzigerjahren, als diese Subkulturen sich durchzusetzen begannen, an unzähligen Häuserwänden amerikanischer Ghettos in riesigen Buchstaben das Wort "BAD" lesen, hingeschrieben von Leuten, die damit zu erkennen geben wollten, dass das, was bisher für gut gehalten worden ist, jetzt schlecht ist und das bisher Schlechte jetzt gut.
Diese Entwicklung ist eine Folge des Dualismus, weil eben Moral und andere einschränkende Formulierungen der Welt der Dualität, der Entfremdung, entstammen und entsprechenden Widerstand des Lebendigen auslösen. Das Dialogische kennt keine Dualität (es kennt natürlich auch keine gedanklichen Ideale als solche, obwohl es solche vielleicht gelegentlich benützt), vielmehr ist es gerade die Ganzheit, innerhalb derer der Dialog stattfindet. Es ist die Einheit, die sich an jedem Punkt ihrer Existenz so äußert, dass das Ganze eben aus der Perspektive dieses Punkts erscheint und unter den Aussichten, die das Einzelne (die individuelle Form) dieses Punkts charakterisieren, und in dem daher auch spontan sämtliche konkreten und optimalen Handlungsweisen für das betreffende Individuum erscheinen. (Hier liegt der Ursprung und das ursprünglich intendierte {in verbeamteten Priesterreligionen aber leicht vergessene} Ziel jeder Moral.) Und genau das ist sogar die Quelle der gesamten Evolution von Anfang an. Das "Sehen" des richtigen Weges ist nämlich charakteristisch für alle Wesen, die aus dem ewigen Dialog heraus leben. Könnte es nicht sein, dass sich schon vor Photonen und Elektronen alles Existierende auf diese Weise resonant verhält - mit seinem je eigenen Spielraum an Freiheit?
Menschen, die noch nicht aus diesem dialogischen "Sehen" heraus leben, sondern aus den Kategorien ihres Verstandes, kennen die Ganzheit noch nicht, sondern nur die Millionen von Kategorien und sie kennen auch die Gegenwart noch nicht, sondern nur die Summe ihrer Erfahrungen und die Projektion der Daten ihrer Vergangenheit auf die Zukunft. Sie leben - noch - in der Dualität. Für sie ist Gott noch keine erfahrbare Realität, sondern ein von ihnen selbst erschaffenes Gedankending (oder eins, das ihnen in den Kopf gesetzt worden ist), das sie sich als Gegenüber vorstellen und mit dem sie auf diese Weise in einen fiktiven Dialog treten. Sie nennen das dann "Gebet" [- ganz anders verhält es sich natürlich mit dem vertrauensvollen unschuldigen Gespräch einfacher Menschen zu ihrem himmlischen Vater oder auch zu den Heiligen, denn das wirkt auf seine eigene Weise durch das Vertrauen, den Glauben. Für Menschen in der "Anschauung" ist "Gebet" aber vor allem jene Stille, in der sie das jeweils Gegenwärtige berühren kann, in der sie den Dialog "hören" können, und diese Sicht gilt für alle Religionen -] und sie wundern sich, wieso es nach jahrzehntelangem "Gebet" keine Erhörung gibt. Wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich sind, werden sie früher oder später erkennen, dass ihr Gegenüber nur eine Idee ist. In dem Moment werden sie aufhören, sich etwas auf ihr Ideengebäude einzubilden. Sie werden ankommen auf dem Boden des Nicht-Wissens, auf dem das Eine dann endlich die Chance hat, gehört zu werden. Dann ist der Dialog plötzlich Wirklichkeit. Und es ist keine Dualität mehr, sondern eine Einheit zwischen Individuum und dem Ganzen (also dem Universum).
Nun wird auch klar, dass es für den gefallenen Menschen (abgesehen von der reinen Gnade) nur zwei Wege zur "Anschauung" gibt, nämlich die rückhaltlose Ehrlichkeit (Schleiermacher erwähnt diesen Weg nicht eigens, aber er benützt ihn, indem er den gebildeten Religionsverächtern ihre Denkfehler aufzeigt) oder die "Einweihung" durch einen Menschen, der das Ganze und die treibende Kraft des Ganzen aus eigener Anschauung, also aus eigener Erfahrung kennt.
Schleiermacher selbst scheint einen Weg der Einweihung gegangen zu sein. Daher wusste er: In jedem Fall wird Religion erst als Erfahrung Realität. Was vorher war (z.B. jahrelange Frömmigkeit oder ein Doktorat in Theologie), so stellt sich dann heraus, ist nur so etwas wie der Kaffeesatz aus einer Espressomaschine. Im Geruch gibt es Ähnlichkeiten und auch im Geschmack, aber ein frisch gemachter Espresso ist doch etwas anderes.
Der Zustand der Einheit oder der "Anschauung" (the real thing) ist etwas, das bei seinem ersten Erscheinen unbeabsichtigt irgendwann plötzlich da ist und meist nach wenigen Augenblicken ebenso unerklärlich verschwindet, wie es gekommen ist. Da dieser Zustand aber das beglückende Gefühl des zu-Hause-angekommen-Seins enthält, bleibt ein Mensch, der ihn erfahren hat, diesem Erlebnis auf der Spur - doch es kommt nicht so einfach wieder. Vielleicht vergehen Jahre bis zum nächsten Erlebnis. Gewöhnlich jedoch werden die Abstände im Lauf der Jahre geringer, denn ein Mensch mit dieser Erfahrung richtet sein Leben mehr und mehr auf diesen Einklang aus. Er stellt sich darauf ein, wie man ein Radio auf den Sender einstellt. Für mich waren in diesem Einstell-Prozeß der moralische und der dogmatische Kodex eine Hilfe (eine Art "Koan" - für andere dagegen könnten sie ein Hindernis sein!) und darin sehe ich auch ihre Berechtigung. Die Formulierungen waren immer ein Prüfstein für mich, an dem ich feststellen konnte, ob meine Sicht des Lebens und der Welt eventuell eine manische Note hatten, ob ich also in Gefahr war, den Boden zu verlieren, oder ob ich mich in dem abgesteckten Rahmen bewegen konnte. Ich habe daher jeden meiner Gedanken am Gerüst der Kodizes geprüft. (So sehr mir die "Anschauung" das Denken auch als die Fehlerquelle zeigte, sah ich doch, dass es nicht darum geht, das Denken auszuschalten, sondern ihm den Platz zuzuweisen, der ihm zukommt, nämlich den eines Hilfsinstruments.) In diesem Prozess der Überprüfung der Validität aller Gedanken und Verhaltensweisen, der auf dem Weg zum Bewusstwerden niemand erspart bleibt, wird schließlich klar, dass die ganze Welt ein Ergebnis des inneren Dialogs des Universums ist. Und Genesis 1,27 (Gott erschafft die Menschen "wie eine Kopie" von sich selbst) bestätigt nur, was durch die Anschauung schon bekannt ist, nämlich dass die menschliche wie auch die göttliche Natur des Menschen aus diesem Dialog hervorgehen ("gezeugt, nicht geschaffen", wie es im Credo heißt), bzw. dass sie die zwei Pole dieses Dialogs sind, die wir beide in uns haben. Aus diesem Grund können alle, die bewusst an diesem Dialog teilhaben, von sich sagen (wie Jesus - sofern er selbst das je wirklich von sich gesagt hat), "wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat" (Joh 12,44), aber sie werden auch wissen, dass sie, wie er, ein "Stein" sind, "den die Bauleute verworfen haben" (Mt 21,42).
In dem Zusammenhang möchte ich die Aufmerksamkeit noch auf eine bedenkenswerte (heilsgeschichtliche) Entwicklung lenken, die, von Propheten angekündigt, heute bereits vielerorts (zumindest in einer anfänglichen Phase) Wirklichkeit ist und die Schleiermacher vorhergeahnt zu haben scheint:
Für Schleiermacher haben die Propheten als die Verkünder der jüdischen Anschauung der Vergeltung den Menschen gewissermaßen ständig zugerufen: "Bedenkt die Folgen eures Tuns, betrachtet das Diagramm (die historische Kurve von Identität und Entfremdung und ihrer Folgen), das sich aus der Geschichte des Volkes Gottes ergibt: Wenn ihr den Bund mit Gott haltet, werdet ihr siegreich sein, wenn ihr ihn vergesst, werdet ihr vernichtet werden." Das ist es ja, was die Propheten des Alten Testaments (auftragsgemäß) als die Wirklichkeit verkünden. Angefangen mit Abraham haben sie daher immer wieder eine nüchterne Bilanz gezogen (besonders deutlich und explizit wird dieses Bilanz Ziehen dann nochmals in Zusammenhang mit dem Babylonischen Exil). Sie haben sich einfach gefragt - jenseits aller Mythologie und Superstition: Was wirkt und was wirkt nicht? Durch ihre ehrliche Betrachtung der Wirk-lichkeit haben sie entdeckt, dass zwar das ganze theologische Lehrgebäude nur eine Illusion ist, um die zu motivieren, denen die eigenen Erfahrung fehlt [das steckt hinter Jesu Aussage: "der Sabbat ist für die Menschen da ..."], dass es aber keine Alternative gibt zum Glauben, d.h. zum Vertrauen, also dazu, sich der schöpferischen Kraft vollkommen auszuliefern. Das Vertrauen auf die eigene Klugheit und Stärke dagegen, genauso wie der Kult der Kraft (im Alten Testament: des "Baal" bzw. "der fremden Götter"), so sahen sie, ist ebenso nur eine Illusion, letztlich purer Aberglaube. Die eigene Kraft (= ohne die "Kommunikationsverbindung" {den Dialog} mit dem All) hätte es von Anfang an nicht geschafft und die Zauber-Kraft der Götter stand den Menschen nicht zur Verfügung [so sehr die Mythenbildung auch den Eindruck des Gegenteils zu erwecken suchte - so sehr dass beispielsweise heute als Quintessenz des Besonderen an Jesus von gewöhnlichen Pficht-Schülern dem Sinn nach fast ausnahmslos gesagt wird, er wäre ein großer Zauberer gewesen]! Im Gegensatz zu den anderen Leuten waren die Propheten einfach nur so ehrlich, es einzugestehen. Vielleicht hat ihnen das Leben aber auch einfach keine Wahl gelassen. Sie mussten jeglichen anerzogenen Aberglauben daher ablegen. Und so kommt es, dass der "Glaube" der "Väter" von Anfang an entmythologisierend ist.
Spätere Generationen haben daraus aber jeweils wieder einen Mythos (biblisch auch: "ein goldenes Bild"[vgl. Ri 8,27]) gemacht (der ebenso natürlich bald wieder nicht mehr funktioniert hat) und es hat weitere Propheten gebraucht, um auch diese neuen Mythen wieder aufzulösen und erneut eine nüchterne Bilanz zu ziehen.
Jesus hat diese Entmythologisierung so sehr forciert, dass die religiöse Obrigkeit sich durch ihn in ihrer Existenz bedroht fühlte. Er hatte dadurch aber eine derart starke persönliche Wirkung (die letzten Endes sogar die von Mose übertraf), dass er selbst zum Gegenstand des Mythos wurde. So konnte es geschehen, dass man nach ihm glaubte, mit ihm wäre die Offenbarung abgeschlossen, alles Sagbare wäre im Prinzip gesagt, man müsse es nur noch weiter ausformulieren und systematisieren - und man könne daher auf die prophetischen Bilanzen verzichten! Tatsächlich hat man aber gerade dadurch eben eine neue Ideologie (neue fremde Götter) geschaffen (die natürlich später wieder abgeschafft werden müssen). Im Eifer der Systematisierung des Wirkenden hatte man den Prozess der Wirk-lichkeit und in ihm die wirk-liche Rolle der Propheten aus den Augen verloren. Und so konnte es geschehen (was in solchen Fällen immer geschieht, weil dieses Geschehen eben einem der Gesetze des Universums entspricht): Das nun so schön geordnete "System des Wirkenden" wirkt nicht mehr! (Es hat gewirkt und gelegentlich wirkt es noch - ähnlich dem Gesetz des Mose - aber vom "kairos" der Welt, also von der Heilsgeschichte aus betrachtet, gehört die Wirk-lichkeit dieses Mythenkomplexes heute, jedenfalls für unsere Breiten, der Vergangenheit an - in Gegenden der Welt, in denen heute noch eine Art "Voodoo"-Glaube herrscht, mag das anders sein.)
Immer wieder gab es dazwischen (seit dem Abschluss der Niederschrift der letzten als "Offenbarung" anerkannten Schrift) natürlich Menschen, denen "vom Universum" (schließlich hat das Universum ja tatsächlich jene von Schleiermacher festgestellte - und durch keine Theologie zu verniedlichende - dialogisches Basis) die Aufgabe zugedacht wurde, auf diese Tatsache aufmerksam zu machen. Sie wurden, solange dies möglich war, wie Jesus, als Störenfriede mit administrativen, polizeilichen oder militärischen Mitteln beseitigt. Als dies nicht mehr möglich war, entstanden neben den alten "Orthodoxien" die immer neuen Reformationen. Schleiermacher nahm das dann als Äußerung eines reformatorischen Prinzips, das er im Kern der höchsten Anschauung des Universums (die das Christentum für ihn verkörpert) von Anfang an verankert sieht [aaO. S 293f.]. Für andere - etwa für die alte "Orthodoxie" - ist dieser Vorgang dagegen das enttäuschende Auseinanderbrechen und die schuldhafte Zerstörung der Einheit. Tatsächlich aber ist es genau das Fehlen des prophetischen Elements, das Fehlen der nüchternen, entmythologisierenden Bilanz, das eine Abspaltung derer provoziert und notwendig macht, die diese Bilanz gezogen haben und die die Unwirksamkeit der alten Bilder festgestellt haben.
Wenn Sie erlauben, werde ich das an einem Beispiel verdeutlichen: An einem afrikanischen Stand der internationalen Handwerksmesse in München wurde mir eine Halskette aus schwarzen Tierhörnern gezeigt mit der Bemerkung, diese Kette habe "Kraft". Als ich mich in meiner Phantasie in eine entsprechende Umgebung hineinversetzte, konnte ich diese Kraft auch spüren. Um diese Kraft aber in unserer Kultur einzusetzen, wäre es notwendig, jene ursprüngliche Umgebung ebenfalls zumindest in der Phantasie der Beteiligten zu erschaffen. In der Umgebung der Handwerksmesse, inmitten von Verkaufsständen anderer Aussteller nämlich hatte die Kette absolut keine Kraft. - Solange die gesamte Welterfahrung der Menschen unserer Gegend christlich geprägt war, hatten die theologischen Bilder Kraft. Heute fehlt dieser Hintergrund. Um eine Wirkung zu erzielen, muss das ganze alte Mythengebäude neu erschaffen werden. Doch das ist ein größerer Aufwand, als das Erlösende gleich in neuen, aus unserem heutigen alltäglichen Erleben stammenden Bildern zu entdecken, denn zu jedem alten Bild muss man gleichzeitig auch den ursprünglichen "Sitz im Leben", also die Lebenssituation miterklären, aus der das Bild stammt. Das ist zwar grundsätzlich möglich und mit dieser Methode kann man heute auch Elemente anderer antiker Religionen verstehen und sogar effektiv benützen und doch denkt wohl kaum jemand ernsthaft daran, eine der antiken Religionen als solche wiederzubeleben. Ähnliches gilt natürlich für die Adaption anderer Religionen in unserer Kultur (etwa des Islam oder anderer hierzulande fremder Religionen). Oder - man stelle sich vor - Jesus hätte sich nur auf Ereignisse berufen können, die Jahrtausende zuvor stattgefunden haben, wer hätte sich dann für ihn interessiert? Dann wäre seine Lehre so kraftlos gewesen wie die der anderen Lehrer seiner Zeit. Er war doch nur deshalb so attraktiv, weil er authentisch (also aufgrund persönlicher Erfahrung) aus der Fülle der Gegenwart schöpfen konnte.
Deshalb - umso schwieriger und unökonomischer der Übersetzungsprozess für alte Überlieferungen wird, umso spannender sind die Entwicklungen, die sich hier bei uns heute vollziehen, wie das Folgende:
Weil man sich (außerhalb der alten Kirchen) seit der Reformation erklärtermaßen auf keine Mutter Kirche mehr verlassen konnte, hat sich eine immer größere Selbständigkeit, Mündigkeit und Reife entwickelt. Immer kleinere Gruppen haben sich losgelöst und auch viele Einzelne haben nach Wegen gesucht (ohne eine leitende Institution), ihr Leben im Rahmen jener begeisternden Anschauung, die die Autoren der Bibel vermitteln, zu leben.
Ein angestrebtes Ideal war dabei notwendigerweise die Prophezeiung des Propheten Jeremia vom Neuen Bund: "... Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, sondern sie alle, klein und groß, werden mich erkennen - Spruch des Herrn". [Jer 31,31-34]
In diesem Sinn haben sich im Besonderen im Verlauf des letzten Menschenalters ganz heimlich, still und leise überall auf der Welt Menschen zusammengefunden, die eine Art "Evangelium" alleine umsetzen: Ein Volk von Priestern, aber ohne Tempel, von Gott gerettet, aber ohne die Hilfe einer Kirche, voll Vertrauen, aber ohne Mythos: Statt andere zu missionieren und zu ihnen zu sagen "erkenne Gott!", sagen sie ganz bescheiden: "Wir haben erkannt ...":
Schleiermacher scheint eine Entwicklung dieser Art geahnt zu haben. Wie ein Prophet weissagt er - obwohl er selbst das Zeitalter der Weissagung für längst beendet erklärt hat: "neue Bildungen der Religion müssen hervorgehen, und bald, sollten sie auch lange nur in einzelnen und flüchtigen Erscheinungen wahrgenommen werden. Aus dem Nichts geht immer eine neue Schöpfung hervor, und Nichts ist die Religion fast in Allen der jetzigen Zeit, wenn ihr geistiges Leben ihnen in Kraft und Fülle aufgeht. In vielen wird | sie sich entwickeln aus einer von unzähligen Veranlassungen, und in neuem Boden zu neuer Gestalt sich bilden." [Ebd. S 311f.].
Diese Weissagung hat sich erfüllt - unbemerkt von den großen Bewegungen der Welt - in Form kleiner, unscheinbarer Gruppen, die aber bereits heute wie ein Netz die ganze Welt umspannen: Es sind die Treffen der sogenannten "Anonymen Alkoholiker" und verwandter Gruppen, die ähnlich arbeiten.
Entwickelt, wie Schleiermacher sagt, "aus einer von unzähligen Veranlassungen" - sind sie eine (inzwischen auch nicht mehr ganz) neue Form der Religiosität, die doch ganz klar und in genau der Weise, die Schleiermacher sieht, der alten entspringt. Die Basis der "Anonymen" ist, auch wenn sie das so nicht sagen, ein barmherziger Gott, der sie, die Verlorenen, die aus sich keine Chance mehr haben, rettet. Die AA's beziehen sich nicht auf die Bibel, denn sie wollen für alle Religionen offen sein, und doch ist der überaus starke Anklang der "Schritte" eins bis drei von ihren berühmten zwölf Schritten [: "1. Wir haben zugegeben, dass wir Alkohol gegenüber machtlos sind und unser Leben nicht mehr meistern konnten. 2. Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht - größer als wir selbst - uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann. 3. Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes - wie wir Ihn verstanden - anzuvertrauen."] an Paulus (2 Kor 1,8f.) nicht zu überhören: "Wir wollen euch die Not nicht verschweigen, Brüder, die ... uns über alles Maß bedrückte; unsere Kraft war erschöpft, so sehr, dass wir am Leben verzweifelten. Aber wir haben unser Todesurteil hingenommen, weil wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst setzen wollten, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt."
Genau auf diesen Gott, der die Toten erweckt, vertrauen auch die Anonymen, weil sie wissen, dass es sonst nichts mehr gibt, auf das sie vertrauen könnten. Inzwischen gibt es die verschiedensten Varianten der ursprünglichen AA's, z.B. "Messies Anonymus", also Menschen, die ihren "Saustall" nicht in Ordnung halten können, weiters solche, die ihre Gefühle nicht unter Kontrolle haben, einschließlich der jeweiligen Angehörigengruppen, und viele, viele andere Selbsthilfegruppen.
Letzten Endes zeigt die Bewegung, dass es gar nicht um "Alkohol" oder um irgendein anderes der Übel geht, nach denen sie sich benennen, sondern um die Überwindung genau des "Widersachers", mit dem sich seit je her alle Religionen auseinandersetzen - "Alkohol" ist nur einer der vielen Namen dessen, womit Menschen nicht fertig werden.
Die Anonymen haben einen Weg zur "Anschauung" und zur Erlösung gefunden und auch neue Formen der Gemeinschaft. Ihr ganzes Evangelium hat auf einer halben DIN A4-Seite Platz und doch wirkt es mehr als die tausend Therapien, die seine Anhänger vorher probiert haben und sogar mehr als die Tausenden Seiten Heiliger Schriften, die, weil sie zu einem Mythos gemacht worden sind, den nüchternen Menschen unserer Zeit oft nicht mehr helfen können.
Damit möchte ich auf keinen Fall sagen, dass das Christentum keine Bedeutung mehr hätte, aber doch, dass seine Bedeutung auch heute erst wieder neu entdeckt werden muss und dass es dabei sehr hilfreich sein kann, zu sehen, welche Schritte der Heilige Geist in unserer Welt sonst noch gemacht hat, die wir bisher, in überheblicher Ignoranz aus unserer Betrachtung der Heilsgeschichte ausgeschlossen haben.
Noch etwas zu Politik und Religion. Schleiermacher führt ja die Perversionen der Religion mit Recht auf den Einfluss der Politik zurück [aaO. 210ff.].
Das Zeitalter menschlicher Majestäten hat die Mythen auch als Distanzhalter geschaffen. Schließlich sollten die Untertanen ja in Ehrfurcht erstarren, wenn sie auch nur einem subalternen Beamten seiner Majestät begegneten. Das ist nur durch einen Mythos möglich. Zeitweise sah man es in diesen Zeiten sogar als notwendig an, dass auch die Kinder mit ihren leiblichen Eltern nur über Hausangestellte kommunizieren durften. Und genau so wurden auch die Kinder Gottes behandelt - und sie werden es immer noch, denn mag der Monarchismus auch überall in der Welt der Vergangenheit angehören, in der Kirche lebt er weiter. [Zur Illustration ein typisches persönliches Beispiel für diese Art von Distanz: Erstaunlicherweise war es nämlich mir (abgesehen von rein liturgischen Anlässen) trotz Theologiestudium und fast fünf Jahren Priesterseminar nur zwei mal in meinem Leben kurz vergönnt, einem Bischof zu begegnen, und auch das waren mehr Demonstrationen des Machtgefälles als Gelegenheiten des sich Kennenlernens - was bei meinen späteren Begegnungen mit Meistern anderer Religionen durchaus anders war, was mir wiederum zeigt, dass diese Art des Distanzhaltens nichts mit dem Amt des "episcopus" an sich zu tun hat, sondern nur mit europäisch-aristokratischen Konventionen.] - Dabei wäre das Demokratische der Kirche im Prinzip nicht fremd, ja das Monarchische ist ihr im Grund viel fremder, aber 2000 Jahre Monarchie und 1800 Jahre davon selbst in einer Position der Macht gehen an keiner Institution spurlos vorüber. Und natürlich haben die, die oben sitzen, wie üblich wenig Interesse, Macht abzugeben und Revolutionen wie im Staat kann es in der Kirche ja nicht geben. Was den Menschen bleibt, ist ein stillschweigender Rückzug; wenn die da oben nicht gehen, dann gehen halt die unten. Das ist die Bewegung, die wir im Moment erleben. Aber plausible andere Erklärungen (etwa der mit den Konsummöglichkeiten zunehmende Materialismus etc.) sind leicht bei der Hand und so kann alles (noch eine kleine Weile) bleiben, wie es jetzt schon (nur unterbrochen von prophetischen Störungen) seit sehr sehr langen Zeiten ist.
In allen Kulturen jedoch arbeitet der Geist stets an immer neuen Möglichkeiten, zu den Menschen durchzudringen, sie zur unmittelbaren "Anschauung" zu führen, in der sie die wahren Relationen erleben und sich besinnen auf das, was ihnen von Anfang an ins Herz geschrieben ist.
Interessante Lektüre, 200 Jahre nach Schleiermacher:
Hoffmann, Paul: Die befreiende Erinnerung an Jesus von Nazaret.
Ein Interview mit dem Neutestamentler Paul Hoffmann. In: Orientierung 63 (1999) 165-171.
http://www.uni-bamberg.de/ktheo/nt/interview.htm
Hoffmanns Resümee:
"Ist es wirklich als großer Fortschritt zu verbuchen, wenn mittlerweile der Schöpfungsbericht kirchlicherseits nicht mehr als empirischer Bericht verstanden [werden] muss? Aber was 400 Jahre nach Galilei gelungen ist, gilt auch für die vielen anderen mythischen Elemente des Neuen Testaments, die wir angesprochen haben. Wir können sie nicht mehr als "Fakten" ansehen. Den Lernprozeß, den die Exegese durchmachte, müsste auch das Lehramt auf sich nehmen." [ebd. 171]
Der Geist spricht zu den Gemeinden! Ein neues Zeitalter ist angebrochen, die alten Dinge müssen neu gesagt werden - erinnern wir uns also an die Ursprünge und unterscheiden wir sie von den Verkleidungen.
„Niemand kennt die Stunde“
Warum ein immerwährendes
Gebet notwendig ist
"Jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater" (Mt 24, 36)
Entgegen den üblichen Interpretationen ist damit weder die Stunde des Weltuntergangs gemeint noch die Stunde der Wiedergeburt aus dem Geist, sondern jede Stunde des Lebens, denn auch in der neuen Welt bzw. nach seiner „Wiedergeburt“ ist es für einen Menschen notwendig, sich von Moment zu Moment bewusst zu machen, was jetzt das Beste wäre. Das ist in keinem Buch nachzulesen, niemand kann es einem sagen - nicht einmal ein Engel, jeder kann es nur für sich selbst herausfinden (= im Vertrauen wagen), indem er/sie sich auf seine/ihre Wahrheit in diesem Augenblicks konzentriert (= vertraut). Es gibt kein Vorausblicken, es gibt nur das Jetzt.
Eine Voraussetzung dafür, diese Wahrheit wahrzunehmen, ist es aber, dass dieser Mensch den gegenwärtigen Augenblick nicht benutzt, um sich selbst in den Vordergrund zu schieben, sondern dazu, bestmöglich zu dienen.
Um die Wahrheit des Augenblicks erkennen zu können, braucht es außerdem ein ständig erneuertes (=immerwährendes) „Gebet“ - und damit sind nicht irgendwelche Worte gemeint, sondern die ständig zu erneuernde Intention (die natürlich schon in Worte gekleidet sein kann) zu ehrlichem und selbstlosem Bemühen.
Sobald dieses „Gebet“ aufhört, beginnt das „Ego“, sich einzuschleichen und wenn das jemand erlaubt, herrscht in diesem Menschen in Kürze nicht mehr JAHWE (das wahre Wesen), sondern Baal (die tierische Kraft).
Und selbst ein Mensch wie Jesus braucht dieses immerwährende Gebet, um nicht abzugleiten.
Meditation
ihr Sinn - der Umfang ihrer
Notwendigkeit
[Der Inhalt der folgenden Zeilen wird klarer durch den Artikel "Kapitulation", hier auf Seite 59.]
Du musst auf irgendeine Art und Weise lernen, in jenen anderen Wahrnehmungszustand einzutreten, in dem Unschuld herrscht, und lernen, von da her deine Lebenssituation unvoreingenommen zu betrachten.
Deine Entscheidungen im Alltag werden dann zwar zunächst weiterhin von deinen Vorerfahrungen gesteuert werden, aber zunehmend weniger - und vor jeder größeren Entscheidung hast du dann durch deine neugewonnene Fähigkeit die Möglichkeit, deine Entscheidung angesichts des Nichts (= unvoreingenommen) zu treffen. Und bald wirst du auf diese Weise auch deine kleineren Entscheidungen treffen.
Es ist klar, dass dein Leben dadurch stetig an Kraft gewinnt.
Der Zustand der unvoreingenommenen Wahrnehmung heißt "Meditation".
Die Technik der Meditation soll einen Zustand der Leere erzeugen, ein Vakuum, ein Nichtwissen, das die Lösung anzieht, und zwar nur dadurch dass keine Voreinstellung den Blick auf den schöpferischen Ideenfluss behindert. Der Ausgangspunkt der buddhistischen Meditation ist daher - wie bei den "Anonymen Alkoholikern" - die Kapitulation, das Selbst-Nicht-Mehr-Weiter-Wissen, das Zuflucht-Suchen beim Buddha.
Nicht die Technik des Sitzens erzeugt also die kreative Leere, sondern die Kapitulation.
Der "Erfolg" der Meditation ist daher auch nicht eine Frage der Dauer der Übung, sondern nur eine Frage der Einstellung. Eine Minute Kapitulation ist wirkungsvoller als zehn Jahre Meditationstraining, in dem die Meditation als eine Leistung gesehen wird.
Wie der Tod kommt
(Mai 2000)
Jeder Mensch steht im ständigen Kontakt mit seiner Umwelt: in Form seiner Familie, in Form der Arbeit, in Form aller anderen sozialen Kontakte, aber auch in Form der äußeren Umgebung, der Luft, des Essens, der äußeren Eindrücke aller Art. Und diese Eindrücke formen ihn, so weit er/sie sich formen lässt. An manchen Stellen bilden sich auch (aufgrund oftmaliger allzu großer Reibungen) Verhärtungen, die unter Umständen irgendwann einbrechen können, wodurch noch tiefere Verletzungen entstehen können. Auf jeden Fall wird jeder Mensch ständig von seiner Umwelt gescannt, auf Stärken und auf Schwächen und auf seine spezielle Form - immer in dem Bestreben, Besitz von etwas von diesem Menschen oder Besitz vom ganzen Menschen zu ergreifen.
Wenn es an einer Stelle etwas zu holen gibt, dann kommen die Abnehmer. Teils sind diese wie die Bienen, die etwas vom Überfluss nehmen und dafür auch befruchtend etwas von sich selbst oder von anderen zurücklassen im Austausch. Und dann gibt es solche, die überwiegend nehmen und solche, die überwiegend geben. Es ist klar, dass der Austausch im Fall eines Ungleichgewichts nicht auf Dauer gut gehen kann. Wenn sich herumgesprochen hat, dass irgendwo bei irgendwem etwas zu holen ist, dann kommen alle, die es wollen und die zu diesem Menschen Zugang haben, um es sich zu holen und, wenn das möglich ist, immer mehr, bis die Quelle erschöpft ist, weil der Mensch entweder seinen Zugang freiwillig verschließt oder weil er tot ist, oder bis er einen genuinen Weg des unerschöpflichen Gebens gefunden hat.
Dass ein Mensch seine Zugänge öffnet und schließt, ist normal. Es kann aber sein, dass ein Mensch zu gewissen Zeiten keine Kontrolle über einige seiner Zugänge hat oder dass andere Menschen oder Wesen Kontrolle über gewisse Zugänge erlangen. Dann lebt dieser Mensch sehr gefährlich. Tatsächlich haben die meisten Menschen nur beschränkt Kontrolle über ihre Zugänge. Deshalb kommt notwendigerweise für sie der Tod eines Tages auf diesem Weg.
Gewöhnlich übergeben die Menschen anderen Menschen freiwillig Zugang zu sich. Das geschieht normalerweise, wenn ein Austausch geplant ist, z.B. in der Liebe oder in der Arbeit oder im Spiel. Zugang zum Bank-Konto ist auch ein Zugang zum Menschen. Oft geraten Menschen, die vorher freiwillig die Kontrolle über gewisse Zugänge anderen Menschen eingeräumt haben, in Situationen, in denen sie diese Zugänge gern schließen würden, aber nicht dazu imstande sind. Manchmal gibt es dafür juristische Gründe (polizeilich erwirkbarer körperlicher Zwang), manchmal sind es innere Programme, die ein Verschließen der Zugänge unmöglich machen (z.B. Angst vor Schande, Sucht). Mit diesen Gründen hat es die Psychotherapie zu tun.
Wenn es jemand nicht schafft, Kontrolle über seine Zugänge zu bekommen, wird er dadurch seinen eigenen Tod herbeiführen, denn irgendwann wird sich etwas, dem er den Zugang erlaubt hat, so tief in ihn/sie hineinbohren, dass er diesem Wesen sein Leben lassen muss. Auch im Fall eines Todes durch Mikroorganismen hat irgendetwas zuvor das körpereigene Abwehrsystem so sehr geschwächt [meist ist es eine Art von Resignation, von angenommener Unfähigkeit, die Sehnsucht zu verwirklichen], dass sich dieser Feind ausbreiten konnte und darin liegt dann die eigentliche Todesursache [Die Ursache sind also nicht jene Bakterien oder anderen biologischen Prozesse, die ihm am Ende den Garaus gemacht haben, sondern jene davor liegenden psychischen Prozesse, die die Abwehr ausgeschaltet haben.].
Normalerweise hat jeder Mensch die Chance, durch eine bewusste geistig-seelische Entwicklung, seine Anfälligkeiten kennen zu lernen und Kontrolle zu erlangen über seine Zugänge. Viele Menschen wollen allerdings lieber glauben, dass das unmöglich ist. Sie geben dann anderen die Schuld, wenn sie sie in sich eindringen lassen und sie tun das nicht selten, bis sie tot sind. Das ist auch eine Lösung.
Kapitulation
Von jetzt an (sobald wir erkannt haben, dass die Welt nicht so ist, wie wir sie uns vorstellen, sobald wir wie Sokrates unser Nicht-Wissen erkannt haben) sind wir stets in einer völlig neuen Welt, deren Gesetze wir nicht kennen, in der wir dem Schicksal völlig ausgeliefert sind.
Was können wir da tun?
Wie können wir da überleben?
Wir können da nur beten - aber wirklich beten - das heißt nämlich kapitulieren und sagen, was wirklich der Fall ist:
"Lieber Gott, du kannst mich jederzeit zermalmen. Zeig mir den Weg. Ich kenne ihn nicht!"
Und da - erstaunlicherweise und obwohl wir es kaum glauben können, dass es so etwas wie einen Gott wirklich geben soll und ohne dass wir je herausfinden werden, von wo sie kommt - bekommen wir Antwort:
Wir sehen den nächsten Schritt, die richtigen Gedanken tauchen auf, die richtigen Worte kommen aus unserem Mund, völlig unerwartet kommt Hilfe aus dem Nirgendwo - zu unserem eigenen Erstaunen!
Der Spalt der Wahrheit
Viele Menschen glauben, Weisheit habe mit Erfahrung zu tun - und in gewisser Weise haben sie recht, aber nicht in der Weise, wie sie glauben. Es ist nämlich so:
Durch Erfahrung kann ein Mensch die Schattierungen seiner Wahrnehmung unterscheiden lernen. Das geschieht durch eine Art Meditation, also durch eine Betrachtung der gegebenen Eindrücke. Alles, was irgendwie mit Vorurteilen zusammenhängt, ist (subjektiv) eingefärbt. Außerdem gibt es in der Wahrnehmung aber einen Bereich der Durchsicht auf die Wirklichkeit, der nicht eingefärbt ist, sondern der genau das erkennen lässt, was not-wendig ist. Diese Wahrnehmung ist nicht "objektiv" im wissenschaftlichen Sinn, also nicht allgemeingültig, sondern sie ist nur für diesen Fall in diesem Moment gültig. Für diesen Fall in diesem Moment aber ist sie zu 100% gültig. Es ist kein statistisches Mittel, wie alle wissenschaftliche Aussage, sondern perfekt auf die Situation zugeschnitten. Diese Wahrnehmung hat mit Erfahrung unmittelbar nichts zu tun. Die Erfahrung zeigt nur den Unterschied zwischen Erfahrungswerten und dieser Wahrnehmung, die eben kein Erfahrungswert mehr ist, sondern eben unmittelbare Wahrnehmung dessen, was ist, aus der Perspektive dessen, der etwas will.
In jedem Wesen gibt es einen Punkt, in dem die Eindrücke koordiniert werden mit den Bedürfnissen, wo also die inneren Eindrücke koordiniert werden mit den äußeren. Castaneda hat diesen Punkt "Montagepunkt" (assemblage point) genannt. Er meinte, es gäbe verschiedene mögliche Lagen für diesen Punkt und die Welt, die jeweils an diesen Lagen zusammengesetzt würde, sei sehr unterschiedlich von der Welt, die an einem anderen Punkt zusammengesetzt wird. Letzten Endes aber unterliegt dieser Punkt keiner Willkür, denn es gibt für das gegebene Wesen in einem gegebenen Augenblick einfach nur einen optimalen Punkt oder eine optimale Perspektive, je nach den Möglichkeiten in Bezug auf das Ganze. Und hier gründet der "Spalt der Wahrheit".
Böse?
Als Begriff hat sich das so genannte "Böse" abgelöst von seinem Ursprung und ist zu einem moralischen Begriff geworden, der mit dem ursprünglichen, unschuldigen Böse–Sein so gut wie nichts mehr zu tun hat. Statt dessen hat sich im Laufe unserer Kulturgeschichte aus dem Begriff des "Bösen" eine ganze Gegenwelt zum so genannten und vorgestellten "Guten" gebildet, die für real gehalten wird, wodurch sie natürlich eine eigenständige Wirk–lichkeit gewinnt.
Das ursprüngliche Böse–Sein ist, wie schon gesagt, davon weit entfernt und vollkommen unschuldig, es ist einfach eine biologische Reaktion auf eine Benachteiligung, es ist einfach die natürliche Aggression, die dem Überleben dient. Dennoch kann das Böse–Sein schon lange bevor es das spätere begriffliche Eigenleben entwickelt, durch eine Art hypnotischer Fixierung der Aufmerksamkeit eine gefährliche Eigendynamik bekommen, wie andere menschliche Energiephänomene (Sexualität, Rivalität etc.) auch. So etwa sieht es auch die Bibel gleich im Anschluss an ihre Erklärung des "Sündenfalls" in der genauso aufschlussreichen wie morallosen Geschichte von der Ermordung Abels durch seinen Bruder Kain (Gen 4, 1–16).
Die Geschichte geht ja so: Kain, der Ackerbauer war wütend, weil das Opfer, das er dargebracht hatte, von Gott anscheinend nicht angenommen wurde: Im Gegensatz zum Opfer des Viehhirten Abel stieg bei Kain der Rauch nicht zum Himmel auf und Kain fühlte sich betrogen:
Eine Handlung hat ein unerwartetes Ergebnis, eine Art Schatten fällt auf mich, ich ärgere mich, ich bin böse – ein biologisches Element der Selbsterhaltung, denn ich wehre mich. Bis da hin sieht auch der Verfasser des entsprechenden Abschnitts der Bibel kein Problem. Wie schon in der Erzählung vom Sündenfall beginnt das Problem auch hier erst, als Kain sein inneres Wissen ignoriert:
"Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß und
warum senkt sich dein Blick?
Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du [dein
Gesicht] hoch tragen; wenn du aber nicht recht tust, lauert am Eingang der Fehltritt [wie ein
Dämon].
Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr
über ihn." (Gen 4, 6f.)
Die emotionale Energiewelle ist durch die unkontrollierte [unbewusste] Rückkopplung der Aufmerksamkeit schon über das Maß des Normalen hinaus hochgeschwappt. Am Anfang wäre es leicht gewesen, aber auch zu diesem Zeitpunkt gibt es noch die Möglichkeit, das Böse–Sein unschuldig und in einer harmlosen Form zu äußern. Doch Kain äußert seine Gefühle nicht – weder Gott noch Abel gegenüber. Er entscheidet sich gegen das Bewusst–Werden. Er macht auch nicht den Schritt zurück in die aktive Beobachterposition, die ihm "sein Herr" empfiehlt. Er lässt sich übermannen von seiner Wut.
Auch dieses Sich–nicht–lösen–Können, das Kain und Abel zum Verhängnis wird, hat ursprünglich einen biologischen Sinn nämlich als wichtiger Parameter der Brutpflege und der Solidarität der Gruppe (der Stammesgemeinschaft). Starke Gefühle sorgen für seine Durchsetzung. Im Bereich des menschlichen Instinkts ist da auch kein Problem, denn da gibt es andere Parameter, die eine Eskalation verhindern. Sobald jedoch die Bewusstheit einsetzt und die unbedingte Geltung jener Parameter aufhebt, also sobald aus menschlichen Tieren bewusste Menschen werden, gibt es eine neue Priorität, nämlich die Bewusstheit – als Aufgabe und als Chance. Genau dafür steht in der Bibel "der Herr"!
Dass Kain böse wurde, war, wie gesagt, noch nicht das Problem. Das war noch eine unschuldige, instinktive Reaktion auf eine Frustration. Doch Kain äußert seine Frustration nicht. Er spielt mit verdeckten Karten, weil er schon zuvor ein neues Paradigma eingeführt hat – er der Ackerbauer im Verhältnis zum Viehhirten – nämlich das Paradigma des Berechnens statt des Wahrnehmens. Deshalb schaut er nicht mehr, was ist. Durch seine Berechnung weiß er es ja schon. Deshalb fühlt er sich auch von Gott verschmäht. Seine Rechnung ging nicht auf. Im beschriebenen Fall des nicht aufsteigenden Opferrauches wäre er, so lange er unschuldig war, wohl einfach auf ungünstige Wetterbedingungen gestoßen, aber Kain ist ganz offensichtlich schon weit jenseits der Unschuld und so symbolisiert der am Boden kriechende Rauch auch für ihn selbst seine unlautere Motivation – Nachahmung, Berechnung statt Originalität. Das Opfer des Kain ist im Gegensatz zu dem des Abel nicht mehr ein spontaner Ausdruck der Dankbarkeit, sondern ein berechnetes „Opfer“. [Hier stehen wir am Ursprung jenes heute kaum noch nachvollziehbaren „Opfer-Kults“, einer Art Kuhhandel mit Gott.]
In dieser Welt der Berechnung gibt es nun aber auch berechnete Ursachen, und damit jemand der schuld ist [hier liegt der Ursprung des Konzepts der moralischen "Schuld"]. Der rationale Kain errechnet Abel als den Verursacher seines Misserfolgs [durch eine Art Rückkopplung seiner eigenen Projektion]. Auf ihn projiziert er daher seine Wut – die zudem aus einem seinem berechnenden Verstand unbekannten Bereich der Wirklichkeit kommt. Dieser Bereich ist für den Verstand uneinsehbar und muss daher – soll der Verstand in dem Glauben bleiben können, er hätte die Kontrolle – aus dem Bewusstsein ausgeklammert werden und bleiben. Weil seine Wut aber durch die Welt der Berechnung transformiert ist [es ist keine unmittelbare Wut mehr, sondern eine Art Meta–Wut], gewinnt sie in seiner nun rational geglaubten Welt eine irrationale Eigenmächtigkeit, sie wird zum [vom eigenen Bewusstsein abgespaltenen] "Dämon", der den folgenden Fehltritt provoziert. Klarerweise ist die Opferidee des Kain von Anfang an ein psychiatrisch-krankhaftes Phänomen [– im Gegensatz zum Opfer des Abel, das ein naiv-kindlich symbolischer Ausdruck der Freude ist].
Aber immer noch ist Zeit zur Besinnung. Eine warnende Stimme erhebt sich. Die biologisch gegebene sensorische Ausstattung funktioniert noch, doch Kain will den klaren inneren Hinweis nicht wahr nehmen. Das würde ja seine so praktische neue Welt zum Einsturz bringen. Und so erliegt er den Fesseln der von ihm selbst eingeführten [„rationalen“] Parameter.
An die Stelle der unmittelbaren Wahrnehmung ist nun das vorausberechnete Bild getreten. Die Wirklichkeit erscheint nun als "gut" (falls die berechneten Maßnahmen für ein erwünschtes Ergebnis ausreichend waren) oder als "schlecht" (falls sie nicht ausreichend waren). Die Ziele selbst entstammen nicht mehr der Wahrnehmung einer inneren Führung, also dem Spüren, sondern der errechneten Profitmaximierung, also einem von anderen übernommenen bzw. mit anderen bewusst oder unbewusst vereinbarten Wert.
Die Verantwortung hat nun auch nicht mehr das Individuum oder ein im Fühlen gegenwärtiges Kollektiv (z.B. Familie oder Stamm), sondern sie ist abgespalten, übertragen auf die ungreifbaren Produzenten der neuen berechneten Werte, auf die anonyme Gesellschaft. Der Brudermord zeigt damit auch, wie schwer es den Menschen fällt, selbst die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Sie orientieren sich eben lieber an den (von wem immer gegebenen) äußeren Werten als an ihrer eigenen Wahrnehmung. Weil sie sich dem Berechnen verschrieben haben, trauen sie sich selbst nicht mehr und damit können sie auch ihrem "Herrn" (Gott) nicht trauen, denn wie könnten sie „ihn“ wahr nehmen, wenn nicht aus sich selbst? Und so hört Kain nicht mehr auf die Stimme seines Herrn. (Auf sie zu hören wäre Wahrnehmung und Selbstverantwortung.)
Weil diese aber ohnehin nicht mehr gegeben war, wurde von den religiösen Führern jenes Stadiums der Entwicklung der Menschheit das Prinzip der Selbstverantwortung aufgegeben und mit magisch–hypnotischer Begründung (als vom allmächtigen Gott übernatürlich übermitteltes Gebot) eine allgemeinverbindliche Moral eingeführt [ein gutes aktuelles Beispiel dafür ist das Gebot der Ganzkörperverschleierung für Frauen in Afghanistan] – die aber natürlich in der Summe mehr Wahn und in Wirklichkeit brutale Scheinheiligkeit als bewusste Verantwortung erzeugt, weil sie die individuell situationsangepasste natürliche Reaktion nun ganz "offiziell" ersetzt durch ein allgemeines Schema, Bewusstheit durch Begründung und das innere Wahr–Nehmen durch Berechnung – alles Ablenkungen von der (und gleichzeitig Ersatz für die) Wahrnehmung, ganz im Gefolge des Sündenfalls. Das "Offizium" (die religiöse Behörde, seien das die Taliban oder der Vatikan) wird so Garant fortgesetzter Unbewusstheit. Das Ergebnis kann logischerweise nur dann nicht katastrophal sein, wenn dem Benutzer der Moral so viel Bewusstheit bleibt, dass er die Moral nicht als unbedingtes Gesetz, sondern als eine Art Richtschnur für seine (wiederzugewinnende) Wahrnehmung betrachtet. [Die Katastrophen in der Geschichte des Christentums und in der Geschichte des Islam sind bekannt – wo in diesem Vorgang "Erlösung" liegen soll, ist noch nicht oder nicht mehr bekannt.]
Genau das war der Punkt Jesu in seiner Argumentation mit den Schriftgelehrten. Mit Jesus hätte die Menschheit in ein neues Zeitalter ihrer Entwicklung eintreten können, in das Zeitalter der Bewusstheit. Aber er wusste bereits, dass es nur ein kleiner Kreis sein würde, der das versteht. – Es war nicht deshalb ein kleiner Kreis, weil er so hohe moralische Anforderungen gestellt hätte, wie eine große Menge derer, die sich heute "Christen" nennen, glaubt, sondern es war deshalb ein kleiner Kreis, weil nur wenige es wagen, zur Wahrnehmung zurückzukehren und auf die Stimme des Geists zu hören – also auf jene eben dargestellte biologische Wahrnehmungsfähigkeit. Die meisten trauen sich das nicht [aus Angst vor den Urteilen der anderen]. Sie wollen "sicher" sein, daher verlassen sie sich nicht auf sich selbst, sondern auf das, was die Anderen ihnen sagen. Eine religiöse Behörde zu haben, die einem sagt, wo's lang geht, könnte man natürlich auch als eine Art Erlösung betrachten, nämlich als die Erlösung von der Selbstverantwortung, die Erlösung von der Pflicht zur Bewusstheit.
Das unbedingte Paradigma der Moral ist damit eine Art Rückfall in die Zeit vor der Bewusstheit. Jesus wollte das ganz klar nicht. Deshalb sind in seinen Geschichten heroischer Selbstaufopferung die beruflichen Moralapostel immer die, die am Schlechtesten abschneiden, wie im Gleichnis vom barmherzigen Samariter. "Im Geist und in der Wahrheit" ist seine Quintessenz und weder in dem Einen noch in dem Anderen ist auch nur eine Spur von Moral. Das hatte vor zweihundert Jahren der Evangelische Theologe Schleiermacher ganz deutlich gesehen – sieht es im Moment im christlichen Bereich irgendwer? Alle scheinen ganz glücklich mit dem Glauben, dass der Geist in der Kirchenorganisation eingefangen wurde, obwohl es bekanntermaßen zur Definition von "Geist" gehört, dass er nicht festgehalten werden kann. Es ist wie eh und je. Schließlich wurde Jesus ja auch von den Vertretern der damaligen Kirche zum Tod verurteilt, weil er genau auf diesem Punkt beharrt hat. Wie schön, dass man sagen kann, es wäre nicht die Kirche gewesen, die ihn töten hat lassen, sondern die religiöse Behörde der Juden. Dass Jesus selbst prophezeit hat, es werde nach ihm so weitergehen, wie es schon vor ihm war, verunsichert die Vertreter der heutigen religiösen Behörden ebenfalls nicht– logischerweise, sie wissen sich ja als die Guten. [Im Moment sind es allerdings nicht die Vertreter der kirchlichen Behörden, die in dieser Hinsicht die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich lenken, sondern es sind viel mehr Vertreter des Islam: Taliban, Wahabis in Saudi-Arabien, etc., die glauben, ihren lokalen Wahn der Welt mit Gewalt aufzwingen zu müssen. Ich bleibe aber in Folgenden bei der Kirche, auch weil es auf diese Weise auch für Moslems leichter wird, den Wahn in den eigenen Reihen zu erkennen. Außerdem sind die Christen in der Selbstreflexion doch schon etwas fortgeschrittener und können daher diese Auseinandersetzung eher ertragen.]
Das Paradigma der Moral ist eine der wichtigsten Säulen des geistigen Gebäudes der Kirche [des Islam]. Es gibt ihr einen bedeutenden Teil ihrer Lebensberechtigung. Sie gibt es als das geistige Vermächtnis Jesu [Mohammeds] aus. Es ist aber nichts weniger als das. In Wahrheit war es die Basis für das Todesurteil über Jesus sowie für die Todesurteile über alle die Propheten, deren Schicksal schon Jesus beklagt hat. Aus diesen Gründen sind die Kirchen auch heute wieder (wie zur Zeit Jesu) zu Erlaubnisvereinigungen geworden, die aber keine Erlaubnis zu leben erteilen, sondern in denen sich die Gläubigen die Verbote abholen für all das, was sie ohnehin nicht zu tun wagen. Nur insofern also eine Erlösung. Logischerweise untergräbt diese Tatsache aber ihre Attraktivität. Attraktiv ist immer das Ursprüngliche. Irgendwann wird diese Tatsache sich [auch finanziell] auswirken und deshalb wird irgendjemand irgendwann umdenken müssen. "Umdenken, umkehren!" ist doch schon die Botschaft Jesu. [Was die Attraktivität der terroristischen islamischen Vereinigungen angeht, ist diese am ehesten vergleichbar mit der Attraktivität des Nationalsozialismus für die damals notleidende deutsche Bevölkerung. Man braucht deren Predigern auch nur zuzuhören, um die Ähnlichkeiten auch im Tonfall wahrzunehmen.]
Was bringt die Moral? Hätte sich Kain durch Moral davon abhalten lassen, seinen Bruder umzubringen? Im Gegenteil, die Moral hat ihn zum Brudermord getrieben. Und wie wirksam die Moral in der Welt ist, zeigt der Zustand der Welt. Woran halten sich die Menschen? Sie wollen ihr Gesicht nicht verlieren, das ist alles. Und sie wollen ihren Willen mit Gewalt durchsetzen. Zu beidem ist die Moral hervorragend geeignet.
Und wer kann die Menschen dazu bringen, dass sie es dennoch wagen, der Wahrheit zu folgen? Die Moral? Wohl kaum. Nur der Geist kann das.
Es waren zwar wohl die zweitausend Jahre Christentum und die dreitausend Jahre Bibel, die die Menschenrechte hervorgebracht haben, aber sie haben die Nazis nicht verhindert. Wir können nur hoffen, dass die alte Vision wieder auflebt, der Geist der Einheit und dass Bewusstheit die Kategorien in ihre angestammten Plätze verweist. Darauf wollte Lao–tse hinaus, als er sagte: "Wer den Weg verliert, ist nachher tugendhaft". Und: "Höchste Tugend weiß von der Tugend nicht"!
Wie geht also der Weg zurück ins Paradies? Oder sind wir fast schon dort? Ein bisschen mehr Moral noch und wir haben es geschafft? Wir hören diesen Anspruch doch überall. Aus ihm spricht der Geist der Moral! – In Wirklichkeit schaffen wir es nicht! Wir können es nicht schaffen, denn es ist nicht zu schaffen. Nur eine andere Kraft kann schaffen und es gibt nur einen Weg ins Paradies, nämlich auf diese andere Kraft zu hören.
Kain schon hatte die Chance. Die Stimme dieser Kraft war da, aber er war so verblendet von seinem Schaffen Wollen, dass er sie nicht hören konnte. Er wollte so gut sein, wie sein Bruder. Er wollte auch von Gott anerkannt werden. Dafür tat er alles. Er verstand nicht, dass Abel ein anderes Motiv hatte für sein Opfer. Für Abel war es ein Ausdruck purer Freude. Die kannte Kain gar nicht. Kain war der erste Vertreter der Moral (weil er gut sein wollte, hat er doch sein Opfer dargebracht). Und dieser erste Vertreter der Moral hat den ersten Vertreter der Propheten [und den letzten der Natürlichkeit] umgebracht – weil er enttäuscht war darüber, dass er es nicht schaffen konnte! Die alte Geschichte also, die in Jesus wiederholt wird. Muss das so weitergehen?
Innerhalb dieses Paradigmas gibt es keinen Ausweg, denn es ist einfach wirklich nicht zu schaffen. Niemand kann dem Moralgesetz entsprechen. Es ist nicht menschlich (und natürlich noch weniger göttlich), es ist ein (paranoider) geistiger Zwang, ein Ergebnis des Schaffen Wollens, also des Sündenfalls. Weil es darin keinen Ausweg gibt, wird Kain (von niemand) damit "bestraft", dass er "auf ewig" in diesem Zwang lebt. – Und da sollte jemand nicht wirklich böse werden!
Natürlich braucht es keine "Strafe": Die Unbewusstheit selbst ist die Strafe. Sie bleibt, bis das daraus resultierende Leiden unerträglich wird. Kains Dialog mit Gott nach seiner Tat zeigt, dass er gerne bestraft werden würde, wie ein Kind, das etwas angestellt hat, bestraft werden möchte, "damit alles wieder gut wird". Bei Erwachsenen geht das nicht mehr so. Niemand bestraft ihn; er muss mit seinen Taten leben – er lebt mit dem "Kains–Mal": "Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortwährend Böses muss gebären." Und: Er wird von niemand geliebt, weil ihm die natürliche Herzlichkeit fehlt.
Wir brauchen wieder mehr Selbstvertrauen, wenn wir da herauswollen. Amokläufer wie Kain sind gescheiterte Schaffer. Sie sind so böse geworden, weil sie es den anderen nicht länger recht machen konnten. Und weil sie glaubten, sie hätten, aufgrund ihrer Anstrengungen einen Anspruch, der aber nicht erfüllt wurde, nicht erfüllt werden konnte, wurden sie logischer weise noch mehr böse und durch die Moral dazu noch gefangen in einer verhängnisvollen Denkschlaufe, die auch die Einsicht unmöglich machte.
Natürlich gibt es auch äußerst moralische Menschen, die durch die Frustrationen eines lebenslangen Trainings ihrer Moral zur Ehrlichkeit veranlasst wurden. Sie können bezeugen, dass es so ist und auch, dass es letzten Endes nicht die Moral war, die sie rettete, sondern eine andere Kraft – und es war auch nicht ihr „Glaube“ (auch das "sola fides" ist ein Irrglaube) – es war reine Gnade!
Da wir unter den Bedingungen des Sündenfalls geboren wurden, also die Welt des Berechnens mit der Muttermilch eingeflößt bekommen haben, gehört auch die Moral von Anfang an zu unseren Daseinsbedingungen. Daher möchte ich die Moral nicht verurteilen. So weit sie zu einer vernünftigen Disziplin veranlasst, ist sie innerhalb der Welt des Sündenfalls sehr hilfreich, heraus aus ihr führt sie jedoch als Moral nicht – entgegen dem Glauben der Vielen, die sich von ihr die Rettung versprechen – helfen kann sie nur, wenn sie nicht als eine Forderung erscheint, sondern als ein einladendes Bild von einem idealen, ja paradiesischen Zustand. Dann nämlich kann das Bild als Verknüpfung in eine andere Dimension wirken, nämlich auf die in jedem Menschen vorhandene paradiesische Wahrnehmungsebene [die Sehnsucht] - dann kann diese Wahrnehmungsebene zur aktuellen Wahrnehmungsebene, d.h. zur Realität werden. Dann erscheint der Himmel auf Erden.
Unter den Bedingungen der Unbewusstheit allerdings, die ja in Kraft sind, so lange die Moral als solche eine Bedeutung hat, ist leider ihre äußerst dunkle Schattenseite dominant: das Verurteilen. Und gerade die Verurteilung Jesu, die ja nicht von irgendwelchen unbewussten Idioten ausgesprochen wurde, sollte eine Warnung sein, weil sie zeigt, dass das Verurteilen der Erlösung direkt entgegengesetzt ist – zumindest für den, der verurteilt. Tatsächlich aber ist die Geschichte des Christentums auch und in großem Maße eine Geschichte von Verurteilungen, Verdammungen, "Bestrafungen", Hinrichtungen, Kriegen gegen Andersdenkende etc. und auch in diesem Sinn die Fortsetzung der Geschichte des Sündenfalls als eine besondere (nämlich die christlich–)kulturelle Ausformung jenes paranoiden Wahns, den wir schon bei Kain beobachten können.
Da das fehlende Vertrauen der gefallenen Menschheit aber eine Tatsache ist, wird die Abkehr von der Moral und die Rückkehr zur Wahrnehmung nicht für alle unmittelbar möglich sein. Eines aber könnte heute (wo die Menschen der verschiedenen Religionen und Kulturen der Erde einander kennen gelernt haben) erreicht werden, um den jahrtausendealten Wahnsinn zu stoppen, nämlich dass die Moral von den religiösen Führern offiziell als relativ definiert wird. Damit wäre die Bedeutung der Moral keineswegs aufgehoben, sondern nur ins rechte Lot gebracht. Denn danach erst kann (für eine ganze Kultur, ja für die ganze Welt) der Weg der erneuten Suche nach der ursprünglichen Wahr–Nehmung beginnen, in der das Böse–Sein wieder wird, was es ursprünglich war: eine Art biologischer Wecker – für den, der böse wird genauso wie für den, auf den einer böse ist, ein soziales Instrument, vom Schöpfer installiert, um die aus dem Gleichgewicht geratenen Dinge wieder ins Lot zu bringen – also genau das zu leisten, was die Moral unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu leisten vorgibt und nicht erreicht.
(Und dann kann beipielsweise auch der wegen der paranoiden Züge der Moral besonders in der Heavy Metal Musik ausgesprochene Ruf nach dem Antichrist wieder verstummen.)
Was ist Wahrheit?
Es gibt keine wahren
Sätze. Wahrheit lässt sich sprachlich nicht ausdrücken. Sprachlicher Ausdruck
kann aber eine Resonanz auslösen, durch die Wahrheit erfahren werden kann.
Gewöhnlich gehen wir ganz selbstverständlich davon aus, dass es so etwas wie eine "objektive Wahrheit" gibt, die in Sätzen formuliert werden kann. Das glauben wir.
Aufgrund dieses Glaubens wurden Definitionen ausgearbeitet; dieser Glaube drückt sich in "Glaubensbekenntnissen" aus und in Dogmen; Philosophen sprechen von philosophischen "Wahrheiten", Wissenschaftler von wissenschaftlichen "Wahrheiten" etc.. Tatsächlich aber beruht diese unsere Glaubens– und Sprech–Gewohnheit auf einer verhängnisvoll ungenauen Ausdrucksweise – verhängnisvoll deshalb, weil aufgrund dieses Glaubens immer wieder Glaubenskriege verschiedenster Art geführt werden, wo jeweils beide Seiten glauben, sie hätten die Wahrheit und die anderen hätten die Unwahrheit, und ungenau deshalb, weil das, was beide für die "Wahrheit" halten, in Wirklichkeit nicht Wahrheit ist, sondern entweder eine Ideologie bzw. ein Bekenntnis oder (im Fall der Wissenschaftler und der Philosophen) eine hohe statistische Wahrscheinlichkeit. Im letzten Fall ist klar, dass die Rede über eine wissenschaftliche oder eine philosophische "Wahrheit" nur eine schlampige Ausdrucksweise ist: Als Tatsachenfeststellung (a posteriori) ist "Wahrheit" eine Banalität – wenn auch schon allein die Feststellung von Tatsachen nicht ganz einfach ist – doch "Wahrheit" in dem Sinn, in dem die Religionen sie meinen, ist keine banale Tatsachenfeststellung, sondern eine Wesenseinsicht. Sie setzt voraus, dass wir hinter die Oberfläche der Dinge zu blicken imstande sind. Das aber setzt einen bestimmten Geisteszustand, d.h. eine bestimmte innere Einstellung voraus. In unserem Alltagsbewusstsein haben wir diese Einstellung nicht. Da begnügen wir uns mit Schlussfolgerungen, die aus den Beobachtungen gezogen wurden, um darauf Theorien zu begründen und darauf wieder wissenschaftliches Handeln samt den daraus resultierenden Techniken und Technologien. Weil wir gerne davon profitieren, sind wir auch gerne geneigt, solche wissenschaftlichen Theorien für "Wahrheiten" zu halten und die andere Wahrheit, die der Alltagsverstand nicht fassen kann, zu vergessen.
Auch die sogenannten religiösen "Wahrheiten" aber sind, streng genommen, keine Wahrheiten, sondern – letzten Endes sogar nur zeitbedingte – Schlussfolgerungen aus Berichten von wirklichen, also wahren Erfahrungen. Auch wenn diese Schlussfolgerungen verbunden sind mit den in den verschiedenen Traditionsströmen ständig weitergeführten Sammlungen erlesener Daten der Jahrtausende alten Menschheitserfahrung, sind sie eben nicht Wahrheiten sondern nur Weisheiten – statistische Regeln abgeleitet aus einem Schatz von Erfahrungen, die andere gemacht haben. Sie verweisen aber auf jene eine, allem Sein zugrundeliegende und nur existentiell erfahrbare Wahrheit, die aber eben so lange nur Theorie und keine Wahrheit ist, solange sie nicht selbst erfahren wurde.
Die Unterschiede der verschiedenen Religionen beruhen auf den unterschiedlichen Erfahrungen, die unter den unterschiedlichen Bedingungen, unter denen die Menschen (in den verschiedenen Erdteilen und zu den verschiedenen Zeiten) gelebt haben, gemacht wurden und auf den daraus gezogenen, natürlich wieder unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Dass sich dennoch überall auf der Welt Ähnlichkeiten zeigen, beruht darauf, dass es eine Art Konstante dabei gibt, nämlich dass es immer und überall Menschen waren, die diese Erfahrungen gemacht haben. Diese Konstante ist also so etwas wie die menschliche "Natur", jene wieder nur statistisch zu benennende Übereinstimmung bei den Mitgliedern der menschlichen Gattung.
Genau genommen ist es also "die menschliche Natur", die uns – solange wir uns die ganze Komplexität des Vorgangs bewusst halten – dazu berechtigt, ein aus der Erfahrung Anderer übernommenes Wissen "Wahrheit" zu nennen, allerdings nur in gewisser Weise, denn die Erfahrung eines Menschen kann zwar wohl durch die eines anderen bestätigt werden – ein anderer aber kann unter ganz ähnlichen Bedingungen zu einer ganz anderen Erfahrung kommen.
Im Gegensatz zu jeder Art "Wissen" gibt es jedoch etwas, das mit uneingeschränktem Recht "Wahrheit" genannt werden kann, nämlich jede Erfahrung, die wir im Augenblick machen – nicht das, was wir davon mitteilen, sondern das, was wir wahr–nehmen. Unsere Interpretation dieser Wahrnehmung ist schon wieder etwas Anderes und noch mehr natürlich das, was wir davon sagen können. Dass wir von unserem Erleben überhaupt etwas mitteilen können, ist angesichts der Tatsache der extremen Verdünnung [Computerleute würde eher von "Komprimierung" sprechen] im sprachlichen Ausdruck ein Wunder, das wir, wie eben gesagt, nur der Tatsache verdanken, dass wir als Menschen von Natur aus ähnliche Erfahrungen machen und daher schon aus Andeutungen entsprechende eigene Erinnerungen abrufen können. Trotzdem ist klar, dass kein Satz jemals im eigentlichen Sinn "wahr" sein kann.
Wahrheit im eigentlichen Sinn ist nur unser Erleben des Augenblicks und unsere unmittelbare Reaktion darauf. Wahrheit gibt es also nur als subjektive Wahrheit. Die subjektive Wahrheit ist also die einzige objektive Wahrheit, die es gibt. Wissenschaftliche Messungen dagegen und auch Erfahrungswerte, die so "objektiv" erscheinen, sind nur banale Tatsachenfeststellungen und im Fall gefundener Gesetzmäßigkeiten nur Feststellungen eines gewissen, für den konkreten Fall dann doch wieder unverbindlichen Mittel– oder Rahmenwerts, so sehr dieser auch technisch verwertbar ist.
Worauf die Suche nach der Wahrheit eigentlich hinaus will, ist ein Weg zur Lösung existentieller Probleme, zur Befreiung aus der Not.
Nun gibt es, den Erfahrungen einer großen Zahl von Menschen zufolge (also gemäß einer großen statistischen Wahrscheinlichkeit), einen Zustand des menschlichen Empfindens, in dem es keine Probleme gibt.
Von Wissenschaftlern hören wir dazu, der menschliche Körper würde in Extremsituationen opiatähnliche Substanzen ausschütten und damit eine Glücksillusion erzeugen, um das Erleben des tatsächlich gegenwärtigen Unglücks zu vermeiden und diese biologische Funktion hätte ihren Grund im Trieb zur Lebenserhaltung.
Tatsächlich ist es aber so (und davon wollen diese "wissenschaftlichen" Untersuchungen nichts wissen), dass in solchen Zuständen außer der Glücksempfindung eine tiefe Einsicht in die sonst undurchschaubaren Zusammenhänge des Lebens empfunden wird und dass in dieser Einsicht vorher ungeahnte aber sehr reale und tatsächlich realisierbare Lösungen sichtbar werden. Ein Extrembeispiel solcher Lösungen liefert die Bibel in der Geschichte von Gideon (Ri 6–9), in der ein Heerführer mit 300 Mann eine Armee von 30.000 vernichtend schlägt.
Ein wenig von dieser Fähigkeit macht sich eine Richtung der Psychotherapie zunutze: die Hypno–Therapie. Durch eine Tranceinduktion stellt sie eine Verknüpfung zu solchen Zuständen in der Vergangenheit her und lässt die Patienten aus diesem Zustand (also aus dieser inneren Einstellung) heraus ihre gegenwärtige Situation betrachten und neu erleben. Je nach der Tiefe der bereits erlebten Zustände und der Tiefe der Trance ist die Hypnose dann auch unterschiedlich effektiv. Obwohl die Maßnahmen der Hypno–Therapie gewöhnlich nur an der Oberfläche bleiben, sind sie oft schon geradezu spektakulär wirksam, weil sie tatsächlich eine neue Wahrheit, also eine neue Lebenswirklichkeit, erzeugen können.
Die spontanen Zustände dieser Einsicht aber gehen oft weit über das hinaus, was die Methode erreicht. Sie sind immer verbunden mit einer Erfahrung von Sinn und von einer alles steuernden Kraft, von der alles ausgeht und zu der alles hinführt. Diese Kraft ist von Menschen, die das erfahren haben, "Gott" genannt worden. Sie beschrieben ihre Erfahrung als "Wahrheit". Und diese Bezeichnung ist korrekt. Es war tatsächlich ihre Erfahrung. Etwas ganz anderes aber ist es, wenn ich von dieser Erfahrung höre oder von ihr lese. Im günstigsten Fall kann die Mitteilung mich in einen Zustand ähnlicher Art versetzen, in dem ich ebenfalls das Ganze des Lebens als etwas Sinnvolles erlebe und indem mir die Bedeutung meines eigenen Lebens klar wird. Das ist ja auch die ursprüngliche Intention, aber diese Mitteilungen wirken (statistisch betrachtet) nur ganz selten so – sonst müssten ja alle Leser Heiliger Schriften erleuchtete Meister sein, was sie ganz offensichtlich nicht sind, ja nicht wenige von denen, die sich selbst sogar als Meister des Verstehens der Schriften verstehen, haben nichts von ihrer Wahrheit persönlich erfahren, sie sind nur meisterhafte Begriffsakrobaten. Es kann aber geschehen, dass das Erleben eines oder mehrerer Menschen, die sich gerade in dem Zustand befinden, so stark ist, dass sogar eine ganz große Zahl von anderen Menschen gleichzeitig, gewissermaßen durch "Ansteckung" ebenfalls in diesen Zustand versetzt werden, weil eine Ebene in ihnen zu schwingen beginnt, zu der sie vorher keinen Zugang hatten. So ein Ereignis muss wohl zur Taufe der dreitausend Zuhörer der Rede der Apostel nach deren Pfingsterlebnis geführt haben. Ähnliches spielt sich heute möglicherweise bei den Massenveranstaltungen von Wunderheilern ab.
Für alle diejenigen aber, bei denen der Bericht nicht diese ansteckende Wirkung hat, enthält er keine Wahrheit, sondern er ist nur ein Bericht über menschliche Gefühls– und Verhaltenskuriositäten. Ein Teil der Zeugen des Pfingsterlebnisses der Apostel hielten die Apostel deshalb einfach nur für betrunken. Und wie viele unbewegte Leser der Bibel es gibt, ist ja bekannt – ja mehr noch, die angebliche Wahrheit der Bibel macht das Buch zu einem idealen Instrument, sich und übelste Motive dahinter zu verschanzen:
Manche von denen, die etwas von der ansteckenden Wirkung der Wahrheit erfahren haben, sind davon so überwältigt, dass sie gewissermaßen sogar davon besessen sind, in der Weise, dass sie das Erlebte als eine "Wahrheit" festhalten in eine Zeit hinein, in der sie diese Wahrheit nicht mehr empfinden. Jeder Sucher, der die Wahrheit erlebt hat, steht ja vor dem Dilemma, dass das Erlebnis vorübergeht und die gewohnte Sicht der Welt wiederkehrt. Er müsste diese Erfahrung hier nun integrieren und zwar auf eine Weise, die künftige Erfahrungen ähnlicher Art wahrscheinlicher macht. Eine Gefahr dabei besteht aber darin, dass es möglich ist, sich diese Erfahrung als persönliches Verdienst zuzuschreiben und zu leugnen, dass sie vergangen ist. Aus dem Kreis dieser Leute stammen die "Glaubensfanatiker". Weil sie sich mit ihren Aussagen identifizieren, sind sie bereit, ihr Leben einzusetzen und andere umzubringen, wenn diese ihnen nicht glauben wollen. Der Fanatismus kommt von dem an sich unvermeidlichen Verlust der Wahrheit, den sich ein Mensch, der einmal von ihrem Erleben überwältigt war, nicht eingestehen will und an der er daher zwanghaft intellektuell und gefühlsmäßig festhält.
Andere, die entweder die ansteckende Wirkung eines Berichts oder durch ein eigenes Erlebnis die Wahrheit dieser Seinsebene erfahren haben, akzeptieren den Verlust dieser Wahrheit in der Weise, dass sie hinterher leugnen, diese Wahrheit erfahren zu haben, weil sie zu sehr abweicht von ihrer gewöhnlichen Sicht der Welt und des Lebens. Aus diesen Kreisen rekrutieren sich die fanatischen Glaubensleugner. Gewöhnlich stellen sie dann rational erscheinende Konzepte (beispielsweise eine wissenschaftliche Theorie, eine politische Ideologie oder eine Therapieform) an die Stelle des Ergriffenseins.
Es ist schon ein seltener Idealfall, wenn ein Mensch seine Erfahrung ohne Fanatismus und ohne Leugnung als solche akzeptieren und sich von da an auf die Suche machen kann nach einem Weg, ständig Zugang zu dieser Erfahrung zu haben.
Ein solcher Weg kann in den Wegen der verschiedenen Religionen gefunden werden. Möglicherweise kann es auf dem Weg (eine Weile) helfen, die "Wahrheiten" der betreffenden Religion für absolut zu halten, das ist aber nicht Bedingung. Am Ende jedoch, wenn die Erfahrung da ist, ist klar, dass keine der in den Quellen der Religionen aufgezeichneten Erfahrungen zu absolut gültigen Schlussfolgerungen berechtigen, sondern dass sie nur konkrete Beispiele sind, die einzig und allein dazu dienen, sich (den Leser oder Hörer "des Wortes") auf diese Erfahrungsebene einzuschwingen.
Natürlich gibt es aber auch andere Wege, sich auf diese Erfahrungsebene einzustimmen: Musik beispielsweise oder optische Darstellungen, die aus dem Erleben dieser Ebene stammen, oder Meditation oder das sich Einstimmen auf einen anderen Menschen – beispielsweise auch im Sex. Dass im Sex sehr oft (wenn nicht bei den meisten Menschen meistens) andere Motive als das sich Einstimmen dominieren, haben dazu geführt, dass in unserer Kultur Sex gewöhnlich nicht zu den genannten Wegen gezählt wird.
Dass dagegen die Bibel oder die Religion als alleinig gültige Wege betrachtet werden, ist eine kolossale Verarmung und eine Lüge. Sie hat mit der Angst vor dem Loslassen zu tun, die mit dem anderen (dem "transzendenten) Bereich des Erlebens der Wirklichkeit verbunden ist, weil die Transzendenz unsere Alltagswelt notwendigerweise zum Einsturz bringt. Darauf beziehen sich die apokalyptischen Bilder der Religionen. Was Angst macht, ist die in jenen Erfahrungen realisierte Übergabe des eigenen Schicksal "in die Hände" der Kraft, aus der wir hervorgegangen sind und die uns am Leben hält. Um diese Hingabe zu vermeiden, bietet es sich (neben Fanatismus und Glaubensleugnung) auch an, die Glaubensinhalte der jeweiligen Religion im Sinn der Orthodoxie als "objektive" Wahrheit betrachten oder als alleinige "Wahrheit". Dann könnten wir glauben, unsere Alltagswelt wäre gesichert. Die Identifikation mit dem Besitz der "Wahrheit" (genau wie mit anderen Besitztümern) verleiht dem betreffenden Menschen außerdem einen gewissen zusätzlichen imaginären Wert. Und so liegt es an der Angst vor dem Zusammenbruch des selbstkonstruierten oder zumindest gewohnten Selbst– und Weltgebildes heraus, dass viele Menschen die Relativität all der in den Heiligen Schriften aller Völker beschriebenen Erfahrungen vergessen und diese mystifizieren, um fortan zwanghafte Diener des Buchstabens zu werden – sonst müssten sie das Risiko des Lebens ja in achtsamer Eigenverantwortung selbst auf sich nehmen.
Fazit: Es gibt keine in Sätzen formulierbare Wahrheit, es gibt nur Sätze, die einen Menschen unter gewissen Umständen zur Erfahrung des immer gegenwärtigen Heils (des eigenen und des Heils des Ganzen der Schöpfung) führen können. Diese Sätze sind aber keinesfalls bedeutender als andere Mittel, die zum gleichen Ziel führen. Es gibt auch keine einzigen historischen Mittler, sondern zu jeder Zeit gibt es überall Menschen, die diese Erfahrung aus irgendwelchen Gründen gemacht haben und die daher andere damit anstecken können.
Der Grund, der einen Menschen dazu führt, eine solche Erfahrung zu machen, die als eine Erfahrung der Wahrheit empfunden wird und die nachträglich von anderen möglicherweise als "die" Wahrheit hingestellt wird, ist letzten Endes immer der gleiche: Durch irgendetwas, beispielsweise durch eine Erfahrung der Hilflosigkeit oder durch Meditation oder durch Ansteckung etc. etc., wird das gewöhnlich in kraft befindliche rational–planende Steuerungsmodul ausgeschaltet und eine andere Steuerung übernimmt. Dabei zeigt sich ein gewöhnlich hinter der alltäglichen Selbststeuerung verborgener tragender Grund, eine Kraft, die das ganze Leben trägt – und die es von Anfang an hervorbringt. Und in diesem Grund ist alle Weisheit des Lebens und eine Wahrnehmung (und darin die einzig mögliche Wahrheit) von einer bisher ungeahnten Sensitivität und einem bisher nicht gekannter Einfallsreichtum, der eine Lösung hat für jedes Problem. Für die Zeit dieses Erlebens ist die Wahrheit gegenwärtig, eine Beschreibung dieses Erlebens aber (und aus solchen Beschreibungen setzt sich der Inhalt sämtlicher Heiliger Schriften zusammen) für Wahrheit zu halten, trifft nur zu im Fall der Ansteckung, aber keinesfalls im Fall einer intellektuellen Betrachtung oder Analyse oder gar für eine begriffliche Fixierung. Jede begriffliche Definition ist eo ipso Unwahrheit, trotzdem natürlich brauchbar für die Verständigung. Wie jeder weiß, weist die Landkarte mit der Landschaft nur sehr geringe, nämlich gewisse strukturelle Ähnlichkeiten auf, aber dadurch kann sie sehr hilfreich sein. Wahrheit jedoch ist nur in der Wirklichkeit zu finden – und für mich nur in meiner eigenen Wirklichkeit.
Wenn Jesus (nach Johannes) sagt "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", dann macht er damit eine Aussage über seine Wirklichkeit, nicht über unsere. Wir können den Satz in einem exklusiven Sinn verstehen, doch dann sind wir in Gefahr, die Totalität seiner Bedeutung zu verlieren. Erst wenn wir diesen Satz von uns selbst sagen können, können wir wirklich verstehen, was Jesus meint. Für gläubige Christen füge ich daher hinzu: Dafür, dass wir eines Tages fähig werden können, diesen seinen Satz mit Recht von uns selbst sagen zu können, gibt Jesus selbst Zeugnis mit seiner anderen Aussage: "Ihr seid das Licht der Welt". Also Mut! Du, Leser, bist das Licht der Welt! Also traue Dich auch, es wirklich zu sein! Sei der Weg, die Wahrheit und das Leben! Nur dann bist du ein echter Nachfolger Christi. Und er macht dir Mut. Er sagt, du bist das Licht der Welt. Was könnte er Höheres über Dich aussagen?
Falls Sie jetzt dazu tendieren, diese Aussage zu relativieren, empfehle ich Ihnen, sich zu überlegen, warum Sie ähnliche Worte Jesu über sich selbst nicht relativieren und ob Sie diese nicht auch relativieren müssten, etwa im Gedanken an die sehr bestimmte Aussage Jesu einem Schüler gegenüber, der ihn "gut" nannte. Jesus protestierte vehement gegen dieses Attribut mit dem Hinweis darauf, dass man nur den Schöpfer "gut" nennen könne, aber niemals ein Geschöpf. "Der Weg und die Wahrheit", die Jesus also ist, ist einfach seine immer noch wirkende Fähigkeit, Menschen anzustecken und sie dadurch den Himmel auf Erden erleben zu lassen einschließlich des Bewusstseins seiner Bedingungen. Jesus ist aber ganz klar nicht der Einzige, der diese Fähigkeit hat. Mindestens genauso stark ist logischerweise die Fähigkeit mancher unserer Zeitgenossen – und damit meine ich nicht nur die überall zu findenden, von vielen anerkannten "Gurus", sondern ganz viele unbekannte Menschen, die einfach durch ihr Schicksal zur Erfahrung der anderen Wirklichkeit geführt worden sind – die für alle, die dort sind, als die eigentliche erfahren wird. Und diese Erfahrung möchten sie weitergeben, weil sie auch andere mit ihrer Begeisterung anstecken möchten.
Ein gewaltiger Unterschied besteht zwischen den Menschen, die diese Wirklichkeit aus eigener Erfahrung kennen und denen, die sie, meist weil sie "gut" sein woll(t)en, nur in Form der Lehren ihrer Religion studiert haben. Da ihnen die Erfahrung fehlt, fehlt ihnen auch der Zugang zur Relativität dieser Lehren. Das war schon der Streitpunkt zwischen Jesus und den religiösen Lehrern seines Volkes. Weil er die Erfahrung hatte, hieß es von ihm: "Er spricht wie einer, der Macht hat – und nicht wie die Schriftgelehrten". Die Macht, die hier gemeint ist, ist keine andere als die Macht diese Erfahrung mitzuteilen und andere damit anzustecken. Die Schriftgelehrten haben nur die Worte – die allerdings selbst anstecken können, wenn jemand bereit dafür ist – die Wahrheit haben sie nicht, sie kennen die Wahrheit nicht einmal, weil diese eben nur im wahrnehmenden Erleben liegt. Sie mögen begeistert sein – so wie man eben von einer Idee begeistert sein kann, von einer Utopie – und dadurch sehr stark "motiviert" (d.h. sie haben immer noch einen rationalen Grund, aus dem sie handeln), aber sie sind nicht eingestimmt auf den göttlichen Urgrund des Lebens, auch wenn sie das glauben, weil sie dergleichen Worte im Mund führen. Eingestimmt sein auf den göttlichen Urgrund heißt nämlich keine Wahl mehr haben, sondern unbedingt folgen – aber nicht irgendwelchen Regeln, sondern dem "Anspruch" der Wirklichkeit, dem, was ihre menschliche Natur ihnen für ihre gegebene Situation zu tun aufträgt. Da ist "die Wahrheit", "der Weg" und "das Leben".
Die Wahrheit zeigt, was ist und sie zeigt in jedem Moment die Lösung in Form des nächsten Schritts. Wahrheit ist also niemals ein Satz, sondern sie ist das Licht der Wahrnehmung. Sätze führen zu Ideologien. Wahrnehmung führt zur Lösung. Wahrnehmung heißt, sich bewegen lassen – nicht im Sinn einer Gefühlsduselei, sondern im Sinn der Sensitivität, des Mitgefühls. Wahrheit führt zum Mitgefühl. Und da liegt die Quintessenz aller Religionen – und (nur!) für den Fall, dass sie bei einem Menschen diesen Sinn erfüllen, ihre Wahrheit.
Warum ist Religion nicht
totzukriegen?
Woher kommt die spirituelle
Suche?
Wo führt sie hin?
Religion ist ein Folgephänomen des Sündenfalls. Sie kommt daher, dass sich die Menschen in der Welt, in der sie leben müssen, ausgeliefert fühlen, ständig bedroht und allein von sich aus nur unzureichend fähig, zu einem zufriedenstellenden Leben zu finden.
Gleichzeitig aber machen viele von ihnen gelegentlich die Erfahrung, dass es Ausnahmen zu dieser Situation gibt. Manchmal sind das zufällige Glücksmomente, die eintreten, wenn sich die Dinge gerade so fügen, dass für eine Weile alle Wünsche erfüllt sind oder dass etwas bestens gelingt. Manchmal kommt das in ganz besonderen Situationen anderer Art, manchmal kann das aber gerade zu Zeiten geschehen, wo gar nichts gelingt, in Zeiten tiefster Verzweiflung: Plötzlich ist alles anders, plötzlich gibt es von innen her eine vorher kaum gekannte Sicherheit, verbunden mit höchster Sensitivität, Losgelöstheit und Einfallsreichtum.
Die besonderen Situationen können beispielsweise sehr eindrucksvolle Erlebnisse sein, Erlebnisse in der Natur oder Erlebnisse mit anderen Menschen.
In der Bibel gibt es dem entsprechend zwei Namen für "Gott", nämlich "Jahwe" und "El". "Jahwe" wäre der zweiten oben genannten Art zuzuordnen, nämlich der Erfahrung der inneren Kraft, die am Tiefpunkt der Verzweiflung erscheint. "Jahwe", zu deutsch "ich bin der ich bin", ist für jeden, der das Erlebnis kennt, unschwer als spontaner Name dieser Kraft zu erkennen. Von ihr aus ist gewiss: Alles ist möglich, Träume können wahr werden, denn diese Kraft will gesehen werden, sie will in Erscheinung treten, so wie sie schon in ihrer Schöpfung in Erscheinung getreten ist. Das ist das Erlebnis des Mose am brennenden Dornbusch, aber auch das Erlebnis des Abraham mit seinem Traum (der "Verheißung" an ihn), dass er Stammvater werden würde eines großen neuen Volkes, das auf Dauer mit dieser Kraft verbündet ist.
Der Name "El" dagegen bezeichnet das Gotteserlebnis an besonderen Kraftorten in der Natur, die dann nach diesem Erlebnis benannt wurden mit einem Namen, der das "El" dieses Erlebnisses enthält. Das englische Wort "awe", das lautmalerisch den Ausdruck eines solchen Erlebnisses darstellt, kommt sowohl dem Laut als auch der Bedeutung nach dem biblischen "El" am nächsten. Wir alle kennen das maßlose Erstaunen, wenn wir um eine Ecke biegen, und eine ehrfurchtsgebietende Sicht vor uns erscheint [das kann natürlich auch eine geistige Sicht sein]. An solchen Stellen haben die biblischen Väter einen Altar aufgebaut, um das Erlebnis auch für spätere Reisende und für künftige Generationen zu verankern. In unseren Breiten stehen an solchen Stellen Tafeln mit der Aufschrift "Aussichtspunkt" oder "scenic view" oder "buena vista". Im Zuge des Tourismus haben diese Stellen allerdings viel von ihrer ursprünglichen Kraft eingebüßt.
Ein weiteres Erlebnis ähnlicher Art kommt oft in Beziehungen zustande, wenn ein Partner unbedingt etwas vom anderen will, der in diesem Moment aber nur gleichgültig ist: Wie diese Gleichgültigkeit unter dem emotionalen und körperlichen Ansturm des Anderen plötzlich in schrankenlose Hingabe umschlagen kann. Ähnliches erleben auch Menschen, die jemand in Todesgefahr finden und ohne zu zögern ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, um den anderen zu retten.
Ähnliche Erlebnisse gibt es weiters unter Einfluss gewisser Drogen. Diese Erlebnisse sind natürlich der Grund für so manche Drogensucht, weil die Menschen das Erlebnis festhalten möchten und zu wenig bedenken, dass das nicht geht, weil die chemische Wirkung vorübergeht. Natürlich müssten sie, statt bei der Droge zu bleiben, nach Wegen suchen, ihren Organismus ohne Chemie so einzustellen, dass diese Art, die Welt zu sehen, möglich wird. Dafür gibt es die Religionen.
Religionen sind also, genau betrachtet, Trainingsprogramme zum Erlernen der Einstellung der Wahrnehmung auf eine bestimmte Ebene. Carlos Castaneda würde sagen zum Erlernen des Verschiebens des Punkts im Wahrnehmungsapparat, in dem die gewünschte Wirklichkeit aus einer Reihe von möglichen Wirklichkeiten 'montiert' wird. Das mag absurd klingen, aber der einfache Gedanke an die Unterschiede in der Wirklichkeitswahrnehmung eines Depressiven, eines "Schizophrenen", eines "Penners", eines Spitzenmanagers oder eines spirituellen Meisters zeigen, dass es sich dabei um etwas ganz Reales handelt. Und hier liegt daher der Punkt der ewigen Attraktion der Religionen: Durch sie wird es möglich, den Himmel überallhin zu holen, selbst in die Hölle.
Sämtliche Religionen haben in Erlebnissen der oben genannten Art ihren Ursprung. Die Begründer der Religionen haben erfahren, dass sie ihr Leben nicht in einer von unbezwingbaren, grausamen Monstern (Tyrannen jeder Art) beherrschten Hölle verbringen müssen, sondern dass sie diese Monster entweder umstimmen, besiegen oder ihnen ausweichen können und dass sie anschließend ihr Leben selbst bestimmen und für sich und ihre Umgebung den Himmel auf die Erde holen können. Darum geht es in jeder Religion.
Die religiöse Grunderfahrung ist die Erfahrung der schöpferischen Kraft, die in jedem Menschen anwesend ist. Diejenigen, die diese Erfahrung selbst gemacht haben, können andere zu dieser Erfahrung führen, so lange ihnen die Erfahrung selbst zugänglich ist.
Durch das erste Erscheinen dieser Erfahrung wird ein Mensch zu einem Sucher, und er wird keinen Frieden finden, bis er gelernt hat, diese Erfahrung bei Bedarf wiederherzustellen, d.h. sich selbst (wie ein Radio) auf diese ja immer und überall gegenwärtige Wahrnehmungsebene einzustellen.
Da Drogen eine Abkürzung darstellen, bleibt ein Teil der Sucher in dieser Phase hängen und gibt die weitere Suche auf. Andere bleiben dann etwa in einer Sekte hängen, die ihnen aber immerhin schon ein echtes Gemeinschaftserlebnis bietet. Manche bleiben dann als Mönche oder Priester irgendeiner Religion im Getriebe ihres Tuns mitten auf dem Weg hängen. Sie arrangieren sich (d.h sie revanchieren sich auf irgendeine Weise für jeden ihnen auferlegten Verzicht) und geben ihre weitere Suche auf.
Manche aber geben nicht auf. Sie sind bereit, durch die Hölle zu gehen und sie lassen sich durch nichts ablenken, auch nicht durch die unter Umständen endlos erscheinenden Durststrecken auf dem Weg. Sie gelangen natürlich zum Ziel, d.h. sie lernen, sich so einzustellen, dass ihnen der Himmel unter keinen Umständen verloren geht. Eine Aussage in den Reden des Buddha verdeutlicht, worum es geht: "Und wenn sie euch mit Ketten zersägen, bleibt freundlich zu ihnen!" Die christliche Variante kennen wir.
Das ist der Sinn der Religion und das ist der Grund, warum Religion niemals aussterben wird. Das menschliche Leben wird immer gefährdet bleiben und gekennzeichnet von Unzulänglichkeit. Deshalb wird es auch immer die Suche nach einem Ausweg aus dem Verhängnis geben und deshalb gibt es die Antworten von denen, die den Ausweg gefunden haben und deshalb gibt es die Wege und die, die sie gehen.
Der Weg ist in jeder Religion ein Weg des Loslassens und des Annehmens, ein Weg des Vertrauens und der Hingabe. Und auch die Schamanen und Medizinmänner haben nichts anderes zu bieten.
Der Weg hat immer drei Phasen:
Die erste Phase ist die Zeit des Umschaltens auf jene andere Wahrnehmungsebene, die zweite die des Wahrnehmens der eigenen Situation auf dieser Wahrnehmungsebene und die dritte die des Verknüpfens der beiden Wahrnehmungsebenen, der horizontalen rational–gesitteten und der vertikalen spirituell–ruchlosen Ebene. Aus dieser Verbindung ist ja bekanntermaßen die zweite Bedeutung des christlichen Kreuzsymbols abgeleitet.
Nun noch einige Worte zu den beiden Wahrnehmungsebenen:
Gemäß der Bibel besteht der Sündenfall im "Essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Schlechten", d.h. in der Einführung von Bewertungen zum Zweck der Maximierung des Guten und zur Minimierung des Schlechten. Buddha sagt inhaltlich genau dasselbe wie die Bibel, wenn er feststellt: "Die Ursache des Leidens ist die Gier". Der Zustand der Gier ist der der Berechnung, daher der Zustand des Sündenfalls bzw. der Problem–Zustand.
Die andere Wahrnehmungsebene kennt keine Bewertungen. Die Dinge sind ganz einfach so, wie sie sind. Aus ihnen ergibt sich die Lösung. Vertrauen ist da. Die Lösung wird angepeilt, der Weg wird gegangen, die Lösung wird realisiert. Folgen oder Kosten spielen keine Rolle.
Ein Beispiel ist der Auszug der Israeliten aus Ägypten: Viele hatten zu viel zu verlieren. Sie sind geblieben. Viele haben ihre Bewertungen nicht zurückgelassen. Sie sind in der Wüste umgekommen. Die anderen kamen durch.
So in etwa funktioniert Religion. Weil sie beginnt, wenn alle Hoffnung auf die eigene Kraft zunichte geworden ist, ist sie nicht totzukriegen.
Paradigmenwechsel in der Theologie?
Inzwischen ist zwar von Paradigmenwechsel nicht mehr so viel die Rede wie vor zehn Jahren, aber für die Theologie wird es jetzt endlich Zeit, dies zu überlegen.
Das "alte" Paradigma
der Theologie ist das der Magie:
Man glaubt an einen von Geistern und Gespenstern belebten Kosmos, in dem man jederzeit vom Teufel geholt werden kann, und in dem man nur durch die stärkere Magie überlebt. Die stärkste Magie liefert natürlich der Gottessohn. Seine Magie war so stark, dass er sogar stärker war als der Tod ...
So lange derartige Gedanken die gewünschte Wirkung hatten (also die Botschaft unverfälscht transportieren halfen), gibt es nichts dagegen einzuwenden, wenn sie aber nicht mehr wirken oder verfälschend wirken, muss man sich doch fragen, welche Art Wirk–lichkeit ihnen zukommt.
Zur Zeit scheinen sie keine Wirkung mehr zu haben, jedenfalls nicht in unserer Kultur. Die Magie des Gottessohnes lässt die Leute heute kalt. Die Geschichten interessieren sie nicht mehr. Das ist das Ergebnis der Erfahrungen der Menschen mit diesem Paradigma. Es hat eben in der Vergangenheit auch nicht richtig funktioniert: Die Leute haben zwar mitgemacht und jeden Sonntag die Magie des Gottesssohnes beschworen aber trotzdem hat sie der Teufel geholt.
Aber, werden die Theologen sagen, das stimmt doch gar nicht: Es geht doch im Christentum gar nicht um Magie, sondern um die Liebe!
Tatsächlich sind immer wieder Menschen von der Liebe des Menschensohnes inspiriert worden, aber die Massen wurden mit der Magie geködert. Weil sie Macht wollten, sind die Leute Anhänger des Wundertäters geworden. Weil sie Brot wollten, sind sie schon Jesus nachgelaufen, aber als es ernst wurde, d.h. als sie an der Reihe waren, etwas zu geben, waren sie weg. Und jetzt, wo die Technik die gewünschten Wunder liefert, ist niemand mehr an der alten Magie interessiert und damit geht auch die Botschaft von der Liebe flöten.
Das Haus war auf Sand gebaut. Die Architekten haben es allerdings noch nicht mitgekriegt. Sie kleiden die Botschaft der Liebe immer noch in die Sprache der Macht (also in die Sprache der Magie), obwohl – für alle offensichtlich – keine Macht (Magie) mehr da ist. – Auch zur Zeit Jesu haben ja die damaligen Prediger in den magischen Wundern des alten Elia geschwelgt (weil sie selber keine Macht hatten) und den lebenden Elia haben sie umbringen lassen (so viel Macht hatten sie), denn der hat ja ihre Macht bestritten. So ist es immer gewesen und so wird es immer sein. Die (in ihrer persönlichen Wahrheit ohnmächtigen, also magielosen) Herrscher werden sich immer aufplustern mit magischen Formeln und mit Waffengewalt und die echte Magie origineller Menschen bekämpfen. Und nachdem sie das echt Magische beseitigt haben, werden sie das Kopierbare davon kopieren und für sich benützen. Das Ergebnis ist jeweils ein neues Paradigma der Magie. Wenn sich die Kopien dann abgenützt haben (wenn das Salz schal geworden ist), braucht es eine neue Magie, die natürlich von denen, die die Kopien verwendet haben (die verschiedenen Arten von Priestern der jeweiligen Religion), nicht kommen kann, denn die haben ja keine Beziehung zur Quelle der Magie. Sie werden so lange versuchen, mit den alten, verschlissenen Kopien durchzukommen, bis ein neuer Magier auftaucht und von ihnen beseitigt ist, damit sie die Kopien seiner neuen Magie wieder verwerten können.
Ganz anders sieht es natürlich aus, wenn nicht die Magie (also die Faszination – letzten Endes das, was das Alte Testamen den "Baal" nennt) das Transportmittel einer Botschaft ist, sondern die Empathie.
Die Empathie ist das, worauf es den Propheten ankam. "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer" (Hos 6,6). Das war ihre Botschaft. Aber was die Propheten sonst noch hatten, war eben Magie. Das ist es, was die anderen Menschen an ihnen faszinierte. Ihre Botschaft erreichte diese kaum. Sie spürten nur, dass sie es mit einer Macht von der Art von Rudelführern zu tun hatten. Und das machte sie bereit, sich ihnen zu unterwerfen – so lange, bis eine andere Macht stärker war, dann waren sie bereit, über ihre vormals Verehrten herzufallen und sie gewissermaßen aufzufressen.
Die Magie der Propheten stammte von ihrer persönlichen Übereinstimmung mit dem Fluss der Schöpfung. Diese Übereinstimmung ließ sie strahlen, durch diese Übereinstimmung erhielt auch ihre Botschaft Kraft und alles, was sie taten. Das war ihre Magie. Ihre Magie war nichts Gemachtes und nicht Ererbtes. Es entstammte ihrer Wahrheit, ihrer tatsächlichen und bewussten Übereinstimmung mit dem Willen Gottes.
Da die Propheten außerordentliche Rudelführer waren, gerieten sie in eine Konkurrenzsituation mit den traditionellen Rudelführern und wurden von diesen angefeindet und feindeten auch diese an, weil sie deren fehlende Authentizität erkannten und zur Sprache brachten. Dadurch wurde deren Diskrepanz zur Wahrheit auch diesen selbst peinlich bewusst. Das war eine Schmach, die sie nicht auf sich sitzen lassen konnten. Und da sie die reale Macht hatten, also die Waffengewalt, übten sie diese aus, um ihre unerwünschten Konkurrenten loszuwerden. Einer von denen, die beseitigt werden sollten, war David, der spätere König. Er hat jedoch durch seine Übereinstimmung mit der Kraft immer wieder Auswege gefunden und überlebt. Auch der Prophet Elia war immer wieder in extremer Gefahr, und auch ihn schützte die Kraft, ebenso Jeremia und viele andere.
Umgebracht wurde schließlich Jesus – aber gerade durch seine Übereinstimmung mit der Kraft konnte sogar sein Tod seine Botschaft der unbedingten Empathie nicht auslöschen. Dieses Wunder, genannt "Auferstehung", blieb faszinierend. Aus ihm entstand die neue Magie und der Mythos von Gottes eigenem und einzigen Sohn – trotz der klaren Aussage der bisherigen Bibel und auch Jesu selbst, dass alle Menschen Kinder Gottes sind.
Die ersten, die sich dieser Magie bemächtigten, sahen in ihr die Chance, die Botschaft, in deren Zusammenhang sie entstanden war, zu unterstützen, doch bald ging es nicht mehr so sehr um diese Botschaft, als um die (Führungs–) Rolle der Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, diese Botschaft zu verbreiten. Sie erkannten die Möglichkeit, durch diese Magie das Fehlen ihrer persönlichen Magie (= ihrer eigenen Übereinstimmung mit der Kraft) zu substituieren.
Während nämlich in anderen Religionen Wert darauf gelegt wurde, dass die Lehrer ihre eigene Magie entwickelten, war die Gefahr unentwickelter Lehrer im jüdisch–christlichen Bereich nicht ausreichend erkannt. Diese Tatsache unterstützte die in Wellen auftretende Verdunkelung der Botschaft und deren Überformung durch magische Praktiken einschließlich der Verfolgung und Vernichtung derer, die ihren Finger auf diesen wunden Punkt legten oder diesen wunden Punkt für ihre eigenen Zwecke ausnutzen wollten (die sogenannten "Ketzer" oder "Hexen").
Und so stehen wir heute am bisherigen Ende einer Geschichte, die mehr von Wahn als von Empathie getragen war. Wir aber haben das einzigartige Privileg, zurückzuschauen und diese Geschichte unvoreingenommen zu betrachten und eben jene Züge zu entdecken – die zwar auch Jesus schon erkannt und auch angesprochen hatte, die sich damals aber nicht so leicht belegen ließen. Daher sollten wir uns heute bewusst fragen, wie wir eventuell derart wahnhafte Entwicklungen, wie sie im Lauf der Geschichte des Christentums "im Namen Gottes" aufgetreten sind, in Hinkunft vermeiden können. Und da sehen wir: Was zu den wahnhaften Zügen geführt hat, war die unbewusste Mystifizierung bzw. das unbewusste magische Element. Deshalb könnte nun die Zeit reif sein für eine neue Gestalt der alten Religion, nämlich für eine Religion der Empathie, in der auch die Quelle der Magie seinen bewussten Platz hat und in der allen Mitgliedern klar ist, wodurch die Magie entsteht und dass es, wie die Bibel schon erklärt, zwei Arten von Magie gibt, die Magie der Übereinstimmung mit dem Kosmos (= mit JAHWE) und die Magie der Übereinstimmung mit der Gier des Raubtiergeists (= mit Baal).
*
Nun kann ich noch etwas klarer sagen, welche Rolle diese beiden Erscheinungsformen göttlicher Energie in der Religion spielen:
Baal wirkt durch Faszination. Es ist die Faszination des Raubtiers, das man nicht gern zum Gegner hat, sondern zum Verbündeten. Der Geist der Nazis ist das mittlerweile archetypische Beispiel. In der Apokalypse ist es das Tier. Aber auch die Propheten haben sich gelegentlich dieses Geists bedient, z.B. Mose, Elia u.a.. Letzten Endes war das Erreichen der Einheit des Volkes Israel wichtiger als das Mittel. In Tierrudeln herrscht nur dieser Geist. Es ist der Geist der physischen Kraft. Der Stärkste setzt sich durch. Er erbt damit aber auch die Verpflichtung, sich für die anderen einzusetzen – diese Verpflichtung ist ihm auch ein natürliches Bedürfnis. Empathie ist ein natürlicher Teil der Lebenskraft. Die Gefahr des Missbrauchs kommt erst bei den Menschen ins Spiel – durch ihre Fähigkeit, "gut" und "schlecht" zu unterscheiden. Dadurch sind Kraft und Empathie nicht mehr automatisch gekoppelt. Aus diesem Grund erst gibt es das Phänomen "Baal" überhaupt.
Aus diesem Grund aber haben die Menschen auch immer wieder nach einem Ausweg gesucht aus dem Zwang der Kraft, besonders die Unterlegenen. Und die, die ehrlich am Ende waren, haben die andere Kraft entdeckt: JAHWE, die ganze Realität des "Ich bin".
Einer von ihnen –Abraham – hat entdeckt, dass er mit JAHWE einen Bund schließen kann und dass er diesen Bund an seine Nachkommen weitergeben kann. So ist das Volk der Israeliten entstanden und die Bibel. Und die Propheten haben dieses Wissen jeweils neu entdeckt und das "Volk Gottes" immer neu an die Realität JAHWE's erinnert.
In der Zwischenzeit ging nämlich die unmittelbare Erfahrung JAHWE's immer wieder verloren und wurde durch eine andere Art von Magie ersetzt [In der Gideonsgeschichte wird gesagt, Gideon habe nach seinen Siegen eine Art goldenes Gottesbild angefertigt und das wäre der Beginn der neuen Entfremdung gewesen.] – in heutiger Terminologie durch eine Art "positives Denken", eine Art Hypnose, bei der es nicht um die Übereinstimmung mit dem Kosmos ging, sondern um die Erreichung bestimmter Ziele, z.B. Machtinteressen. Das ist der Hintergrund aller magischen Praktiken und Kulte in– und außerhalb der Religion.
Alle, die für die Tradition der Religion verantwortlich waren, denen aber die eigene Erfahrung JAHWE's fehlte (also der Großteil der Priester), benutzten die Formen, die von denen gefunden worden waren, die die Erfahrung hatten, einfach weiter, nun aber eben nicht gekoppelt mit unmittelbarem Wissen, sondern gekoppelt mit Vorstellungen. Noch einen Schritt weiter weg von der unmittelbaren Erfahrung wurden diese Formen ganz bewusst berechnend als magische Mittel der Macht eingesetzt, noch einen weiteren Schritt weiter weg von der unmittelbaren Erfahrung (und da stehen wir heute wieder) erwiesen sich die Formen dann als völlig unwirksam.
Also wie kann es von da aus weitergehen? Es braucht eine neue Verbindung zum Ursprung. Im Ursprung herrscht Empathie, die Magie entsteht im Ursprung als Nebenprodukt der Empathie. Das Übel der Magie kommt von der Abspaltung vom Ganzen, also vom Ende der Empathie in der Orientierung an der gedanklichen Unterscheidung von „gut“ und „schlecht“, also von der erneut vollzogenen Ursünde.
Es ist klar, dass es heute eine neue Erfahrung braucht. Die tradierten Formen können nur Wege dahin sein, jeder Selbstzweck muss losgelassen werden.
Ein Christentum ohne magisches Paradigma
1. Jesus Christus
Ohne magischen Hintergrund ist der Stammvater des Christentums kein übernatürliches Wesen. Er ist einfach ein Kind Gottes, wie jeder von uns auch, nur mit dem Unterschied, dass er sich dieser Tatsache auf Schritt und Tritt bewusst ist. Aus diesem Bewusstsein heraus hat er gelebt. Daraus sind all die Wunder zu verstehen, die um ihn herum geschehen sind.
Indem er zu einem übernatürlichen Wesen gemacht worden ist, konnte er verhängnisvollerweise nicht mehr nachgeahmt werden – da dann doch von Natur aus keiner so sein konnte wie er.
Alle seine Warnungen in dieser Hinsicht wurden von den Schülern seiner Schüler in den Wind geschlagen. Die Leute lieben eben Idole mehr als ihresgleichen, deshalb schaffen sie immer wieder neue. Aber Idole sind leider Götzen. Und das Ergebnis des Götzendiensts ist der Wahn. Und diesen Wahn haben wir in Aktion gesehen. Und er herrscht immer noch – bereit (sobald sich die Gelegenheit dazu wieder ergibt) sich mit tödlichen Waffen auf alle zu stürzen, die diesen Wahn bestreiten.
Wenn also die Göttlichkeit nicht der Unterschied zu uns war, weil wir in keiner Weise weniger Kinder Gottes sind, als Jesus es war, was war es dann, was seine unnachahmliche Magie ausmachte – und was hoffentlich irgendwann auch unsere eigene Magie ausmachen wird? Mit "Magie" meine ich die Ausstrahlung, die Wirkung der Persönlichkeit, derentwegen sich Menschen, die diese Ausstrahlung nicht besaßen, bemühten, sich durch magische Praktiken allerlei Art wenigstens mit einer "Aura der Mysteriums" zu umgeben.
Jesus dagegen verhält sich eher profan. Und seine persönliche Ausstrahlung bringt er selbst vor allem in Zusammenhang mit der menschlichen Natur, der er folgt. Er nennt sich selbst ja nie "Sohn Gottes" (der er natürlich ist, wie wir auch), dafür aber umso häufiger "Menschensohn". Und damit sagt er uns natürlich, wir könnten genauso sein – wie er, der von allen Bewunderte. "Ihr könnt noch größere Dinge tun", hat er sogar gesagt.
Welche gewaltige Ressource war es also, aus der er schöpfte? Er nannte es den "Vater". Und es fällt nicht schwer, zu erraten, dass dieser Vater niemand anderer ist als die Kraft, die schon die alten biblischen Patriarchen entdeckt hatten als Quelle des Lebens und der Inspiration.
Für diejenigen, die glauben, diese Energiequelle nicht aus eigener Erfahrung zu kennen: Sie erscheint, wenn wir mit unserer Weisheit am Ende sind. Solange wir unsere Weisheit haben, leben wir ja noch in der Welt des Sündenfalls: Wir kennen den Unterschied von „gut“ und „schlecht“ und wissen daher auch einen Weg. Erst wenn wir am Ende sind, wenn wir keinen Ausweg mehr wissen, kennen wir diesen Unterschied nicht mehr. Wir geben es auf, uns selbst lenken zu wollen. Wir erkennen uns selbst als hilfebedürftig. Und da sind wir dann offen für die viel größere Kraft und die viel größere Weisheit, die Kraft und Weisheit der Schöpfung.
Was geschieht, wenn wir wirklich am Ende sind (also "am letzten Tag", "beim letzten Gericht" – nur das ist gemeint!), ist eine alte Menschheitserfahrung. Niemand musste es "offenbaren". Alle Menschen, die je in diese Situation kamen, haben es erfahren. In der Sprache des alten chinesischen Orakels wird die Situation dargestellt in Hexagramm zwei, die Erde: Wenn wir in dieser Situation sind, folgen wir. Und die Kraft, der wir folgen, ist dargestellt in Hexagramm eins: Wir folgen den Anordnungen des Himmels.
Natürlich kann ein Mensch tatsächlich am Ende sein, sich das aber nicht eingestehen, und immer noch festhalten an seinen Vorstellungen über die Welt. Dann kann es geschehen, dass sich dieser Mensch umbringt aus Enttäuschung darüber, dass die Welt nicht seinen Vorstellungen folgt. Alle, die in dieser Situation nicht alle Vorstellungen aufgeben, können nur die Hölle erfahren – die anderen erfahren den Himmel und die Rettung „von oben“.
Das war es, was alle sogenannten "Propheten" seit je her sagen wollten. Deshalb gibt es "im himmlischen Jerusalem" auch keinen Tempel. Wozu auch? Die Tempel sind doch immer die versteinerten Vorstellungen. Gedankenfossilien. Deshalb sagte doch auch Jesus, kein Stein werde auf dem anderen bleiben. Und da ging es ihm nicht um eine Vorhersage der Geschichte der Juden. Er meinte jede Art von Tempel.
In unserer Zeit haben die Gründer der "Anonymen Alkoholiker" diese Tatsache wiederentdeckt und daraus ihre berühmten "Zwölf Schritte" formuliert, die ja bekanntermaßen mit der "Kapitulation" beginnen – also mit dem Beugen des Haupts zum Zeichen der Bereitschaft, etwas anzunehmen. Ohne Kapitulation kommt der Tod, mit Kapitulation kommt neues Leben. In diesen simplen Tatsachen steckt das ganze Geheimnis des Lebens. Überall auf der Welt ist es bekannt.
Aus diesem Grund gibt es keine über– oder unterlegenen Religionen. Alle derartigen Gedanken sind nur Zeichen des nicht–verstanden–Habens. Im Klartext: Alle Christen, die meinen, das Christentum sei erhaben über den Islam oder den Hinduismus oder den Buddhismus oder das Judentum täuschen sich nicht nur, sie haben das Wesentliche ihrer eigenen Religion, also das, was der Christus ihnen sagen wollte, noch nicht verstanden. "Holzkopf" pflegte einer meiner Lehrer in solchen Situationen zu sagen.
Genau am Punkt der Kapitulation aber beginnt das wirkliche Menschsein. Alle, die dort waren, kennen den "Menschensohn" von Angesicht zu Angesicht. Alle, die ihn nicht kennen, wissen zu viel – nein, sie glauben nur, zu wissen, ihr vermeintliches "Wissen" ist nur Einbildung. Das einzige Gegenmittel gegen den falschen Glauben ist die Ehrlichkeit. Ehrlichkeit führt unfehlbar zur Kapitulation – und damit paradoxerweise zurück ins Paradies. Und damit ist das Ziel der Religion erreicht – ganz ohne jeden magischen Hokus–Pokus, und wenn’s ein so heiliger wär', wie beispielsweise der, der für viele zum Wesen der Eucharistie zu gehören scheint.
2. Was soll mit den
vorhandenen Formen geschehen?
Eine Eucharistie ohne Götzendienst ist eine simple Gedächtnisfeier – genau wie die "Einsetzungsworte" es vorschreiben. Ein "Gedächtnis" ist eine Einstellungsübung, also eine Übung zur Erweiterung der Bewusstheit. Die Übung zielt auf das Annehmen des Endes, also des eigenen Todes. Es ist eine Übung der Hingabe, der "Kapitulation" und des Mitgefühls – denn Mitgefühl war ja das Motiv Jesu, aus Mitgefühl hat er seiner Tötung zugestimmt.
Ähnliches gilt auch für alle anderen "Sakramente". Offensichtlich ist das sogleich bei der Taufe, dem Untertauchen, ebenso aber beim Sündenbekenntnis, in dem nicht selten ein vernichtendes Geheimnis preiszugeben ist und auch bei der sogenannten "Firmung", die ja ebenso darin besteht, sich unter die Hände eines Ältesten zu begeben und sich dabei möglicherweise einem tödlichen Schlag auszusetzen. Auch Ehe und Priesterweihe sind ein völliges sich Ausliefern und im Fall der Krankensalbung ist der Empfänger ohnehin bereits am Ende.
Mit anderen Worten: Die vorhandenen Formen können sehr hilfreich sein, aber eben nur, wenn es sich dabei der Intention nach nicht um abergläubisch vollzogene magische Rituale handelt. Die magische Intention ist aber immer noch die vorherrschende. Und so war das wohl fast von Anfang an. Die Formen selbst aber haben damit nichts zu tun und eignen sich hervorragend als Hinführung zu einer regelmäßigen Übung und Praxis der Hingabe (der Kapitulation) und so waren sie ursprünglich auch intendiert.
Im Alten Testament ist das Bewusstsein der Notwendigkeit der Kapitulation allgegenwärtig. Jeder der Propheten spricht von sich selbst nur als von einem "Sklaven" JAHWE's, also von einem, der kapituliert hat. Auch die im Neuen Testament vorherrschende Intention des "Diensts" ist eine Intention der Kapitulation – es sei denn, ein "Diener" glaubt von vornherein zu wissen, was gut und was schlecht ist für die, denen er dient. Dann natürlich kann der "Dienst" gut eine Vergewaltigung sein. Und von dieser Art "Dienst" ist die Kirchengeschichte voll.
Ohne radikales Umdenken und Kapitulieren der Kirchenführer selbst wird es daher nicht möglich sein, die durch magische Intentionen verunreinigte Fracht der christlichen Glaubenslehre und –praxis zu reinigen.
3. Die dogmatischen
Formulierungen
Die Formulierungen bleiben gleich, doch das Verständnis verlässt die kindliche Ebene und erreicht neue, bisher ungeahnte Tiefen.
Gott wird nicht mehr als ein außenstehender Beobachter gedacht und der Schöpfer nicht mehr wie ein Kind, das im Sandkasten seine Figuren baut und gern hätte, dass sie sich bewegen, sondern Gott wird persönlich erfahren als die Kraft, die alles beseelt und belebt und so vorantreibt, dass Sinn entsteht, sowohl in der Natur als auch im eigenen Leben. Etc.
Das Reich der Paranoia
Das Reich der Paranoia ist das Reich, das alle Menschen beherbergt, die im Konkurrenzkampf irgendeiner Art stehen – also fast aller Menschen.
Die Basis dieses Reichs ist das Vertrauen auf die eigene Kraft, das aber leider oft gar nicht vorhanden ist. Deshalb gibt es hier unermessliche Angst. Das Reich der Paranoia ist geprägt vom ständig drohenden Tod.
In diesem Reich verbrachte ich fast mein ganzes Leben. Durch gewisse "Zu–Fälle" war es mir aber vergönnt, Ausflüge in die normale Welt machen zu dürfen (womit ich sagen will, dass die paranoide Welt, in der ich "normalerweise" lebte und in der wohl neunundneunzig Prozent der Menschen leben, nicht normal sondern verrückt ist).
Ausflüge in die normale Welt sind unverdiente Geschenke. Gelegentlich haben alle Menschen solche Erlebnisse. Da sie aber nicht wissen, wie sie gekommen sind und da sie sie nicht festhalten können, halten sie sie schließlich für vernachlässigbare Ausnahmesituationen, die mit der "Wirklichkeit" nichts zu tun haben. Die Wirklichkeit, wie sie sie kennen, ist eben geprägt von der tagtäglichen Angst, nicht zu genügen, eben von der letzten Endes mörderischen Konkurrenzsituation. Darauf wollen sie sich konzentrieren, daher lehnen sie Erfahrungen, wie die genannte als "illusionär" ab, wie sie, aus Angst unterzugehen, alles als illusionär ablehnen, was eine Alternative zu der Welt dieses Konkurrenzkampfs sein könnte.
Die meisten behaupten trotzdem, sich in dieser schonungslosen, mörderischen Welt wohl zu fühlen (auch wenn der Staat die Krankheitskosten kaum noch verkraften kann), denn immerhin gibt es ja Urlaube und Freizeitvergnügungen und Luxusgüter – und sie erreichen ein stattliches Alter, mehr Lebensjahre als je zuvor. Die meisten merken gar nichts von ihrer Paranoia. Nur einige wenige Individuen geraten unverkennbar unter die Räder. Weltweit allerdings sind es ganze Kontinente mit dem Großteil der auf ihnen lebenden Menschen.
In der systemischen Therapie wurde erkannt, dass ein paranoides System sich seine Opfer kreiert, die dann, vom Kollektiv bestimmt, gewissermaßen damit die anderen sich weiterhin als gesund und als Herr der Lage fühlen können, krank werden. Es sind eben die "Schwachköpfe", der "Abschaum". Man sucht Therapie für sie (oder im Fall der dritten Welt Finanzierungskonzepte), weil sie doch eine Belastung darstellen, aber man kommt unter keinen Umständen auf die Idee, dass sie eventuell nur einen verleugneten Aspekt von sich selbst "darstellen" (im wörtlichen Sinn) könnten – und diese Opfer selbst kommen leider auch nicht auf die Idee, denn ihre Rolle ist von allen als "absolut" festgeschrieben. Wie wenig absolut sie aber tatsächlich ist, zeigen die erstaunlichen, und in der Therapie sogar reproduzierbaren Phänomene der Verschiebung des Symptoms von einem Mitglied des Systems auf ein anderes. Im Prinzip könnte dadurch die Relativität ihrer Rollen sogar von den Paranoiden selbst erkannt werden – nur bleibt diese Erkenntnis aus, weil sie die ganze Welt auch der Opfer zum Einsturz bringen und damit auch für sie den vermeintlich sicheren Tod bedeuten würde. – In Wirklichkeit natürlich sind diese Ängste eine Einbildung, ein Wahn, genauso wie die Idee der angeblich "Gesunden", sie wären "gut" oder wenigstens "besser" als irgendwelche Anderen.
Die ganze Idee von der "eigenen" Kraft, die jeder Paranoia zugrunde liegt, ist ein Wahn. Und hier sind wir an der Wurzel des Wahns, der Paranoia und ihrer anderen Seite, des Größenwahns.
Die Quelle des Wahns ist die Idee von der eigenen Kraft. Es gibt keine eigene Kraft. Sie ist immer nur geliehen. Wer sich dessen nicht bewusst ist, verkennt die Wirklichkeit radikal. Doch die ganze Welt nährt diese Illusion. Fast niemand ist sich der Tatsache bewusst, dass die "eigene" Kraft nur Teil der allgemeinen Schöpferkraft ist. Fast alle bilden sich etwas ein auf "ihre" Kraft, Intelligenz etc.. Aus diesem Grund erkennen sie die Illusion nicht als solche und damit können sie auch nicht erkennen, dass auch alle ihre Abhängigkeiten auf dieser Illusion beruhen genauso wie sämtliche Abhängigkeiten in der Welt und alles Leid, das ja nur daraus resultiert.
Da müssen dann die großen Meister kommen, um die Menschen herauszuholen aus ihrer beschränkten Sicht der Welt und ihnen das Ganze zeigen, indem sie Sätze sprechen wie: "Die Ursache des Leidens ist die Gier" oder "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst". Doch auch diese Sätze versteht zunächst niemand, wegen der Illusion von der eigenen Kraft, aber diese Meister haben eine Ausstrahlung (sowohl in ihrer historisch–persönlichen Gestalt als auch noch in Form der Spuren, die sie hinterlassen), die ansteckt, und so können sie wenigstens einige Wenige herausholen aus ihrer Paranoia und aus ihrem Größenwahn. Zuerst geht das nur kurzzeitig, aber wenn Menschen diesen Zustand einmal genügend geschmeckt haben, werden sie nicht lockerlassen, bis sie das Geheimnis des normalen Lebens entdecken – samt dem gar nicht geheimen, dem Durchschnittsmenschen (wegen dieser Illusion) aber kaum erstrebenswert erscheinenden Zugangstor zur Normalität. Es ist eben nicht ein faszinierendes "Stargate" zu fernen, fremden Welten, sondern das Tor zur einzig wirklichen Heimat. Vor Jahrtausenden ist dieses Himmels–Tor "Nicht–Gier" oder "Nächstenliebe" genannt worden, doch weil sich darüber so viele Missverständnisse gebildet hatten, wurde vor weniger als hundert Jahren ein weiterer Name dafür wiederentdeckt, nämlich "Kapitulation".
Nach dem Stress der Konkurrenz der vielen "eigenen Kräfte", der viele aus der Bahn wirft, wäre Kapitulation ein wahrhaft naheliegendes Tor aus der Illusion in die Wirklichkeit, wenn die Menschen es nicht doch unter allen Umständen vermeiden möchten, weil sie (statt ihre Schwäche einzugestehen) doch auch so gut sein möchten wie ihre Konkurrenten – sogar die, die absolut keine Chance haben. Die Allerletzten schauen leider gerne noch runter auf vermeintlich noch Letztere.
Inzwischen weiß ich, wonach ich mich Jahrzehnte lang fragte, dass jene oben genannten seltsamen Zustände der Normalität, die mir damals absolut himmlisch erschienen waren, durch unbewusste Kapitulationen meinerseits ausgelöst worden sind.
Gerade diese Tage beispielsweise habe ich wieder einmal durch eine Verkettung besonderer Umstände für viele Stunden den Zustand der Paranoia erlebt. Ich habe es nicht gleich bemerkt, dass es das war. Ich spürte nur eine seltsame Angst, die von allen Seiten auf mich zukroch. Ich fühlte mich in meiner Existenz bedroht – zurecht, wie ich glaubte. Meine berufliche Zukunft schien ernsthaft gefährdet. Von verschiedenen Seiten kamen Bedrohungen auf mich zu – völlig real. Ich probierte zuerst die üblichen Rezepte von Ablenkung bis hin zu (vermeintlich "realen") strategischen Überlegungen, als mir plötzlich klar wurde, in welchem Zustand ich mich befand: im Zustand der Paranoia! Wenn ich da nicht herauskam, würden meine Befürchtungen Realität werden. Da erinnerte ich mich an das, was mich seit langer Zeit aus diesem Zustand herausgehalten hatte – ohne dass mir das so explizit klar geworden wäre: meine fortgesetzte Kapitulation:
Die Kraft, die mich am Leben erhielt, konnte mich, wenn sie wollte, ohnehin jederzeit zerquetschen. Mein Leben hing also gar nicht von meiner Anstrengung ab, also davon, dass ich mich überall anpasste und verrenkte, um nur ja keinen Anstoß zu erregen. Nein, es war o.k., ich durfte so sein, wie ich war. Ich musste mich nicht verrenken, um sein zu dürfen. Mein Leben und mein Glück lagen in Wirklichkeit überhaupt nicht in meiner Hand. Warum also sollte ich Angst haben? Ich hatte ohnehin keine Wahl, ich konnte mich also genausogut vertrauensvoll meinem Schöpfer überantworten! – In diesem Augenblick hatte ich die Welt der Paranoia verlassen und ich war wieder in der normalen Welt, gottseidank! Was für ein Alptraum das wieder gewesen war – genau der Alptraum, den die meisten meiner Mitbürger ihr Leben nennen, so wie ich es früher auch immer tat! Und es ist klar, dass sich bald darauf auch alle Befürchtungen zerstreuten und statt dessen Wünsche in Erfüllung gingen.
Ein Leben in Paranoia ist ein Leben fern von Zufriedenheit und Glück und auch fern von den Mitmenschen, die ja entweder Konkurrenten und Feinde sind oder an die man sich (letzten Ende immer vergeblich) klammert, weil man sich so schwach und verletzlich fühlt. Es ist ein Leben in völliger Unfreiheit, in Abhängigkeit, in Sklaverei.
Es ist gleichzeitig ein Leben ohne Vertrauen, ohne Glauben, ohne Liebe (zumindest ohne die Fähigkeit zu lieben oder Liebe wahrzunehmen) – letztlich ein Leben auch fern von Gott.
Wenn es so etwas wie eine "Todsünde" gibt, dann ist es der Zustand der Paranoia. Sie schließt die irdische Verdammung bereits ein. Sie ist ein auswegloses Gefängnis. Und es ist klar, dass sich in diesem Gefängnis auch hohe und höchste Würdenträger befinden und zwar sowohl weltlicher als "geistlicher" Art – von Geist ist da natürlich keine Spur, dafür umso mehr von "guten" Argumenten.
Das höchste Bestreben paranoider Geistlicher ist es ja, die "normale" Paranoia noch zu verstärken, indem sie bei ihren Schäfchen der Angst vor der physischen Vernichtung noch die Angst vor der ewigen Verdammung hinzufügen. Auf der "Über"–Natur beruht dann ihre Über–Macht. Denn für ihr vermeintliches "Seelenheil" verkaufen die paranoiden Menschen natürlich sogar ihre wirkliche Seele. Genau das meinte Jesus, als er sagte: "Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr zieht über Land und Meer, um einen einzigen Menschen für euren Glauben zu gewinnen; und wenn er gewonnen ist, dann macht ihr ihn zu einem Sohn der Hölle, der doppelt so schlimm ist wie ihr selbst." (Mt 23, 15). – Wie schlimm das werden kann, hat uns die Geschichte des Christentums schon gezeigt.
So lange ein Paranoider noch eine Spur von Macht hat (die Kehrseite der Paranoia ist ja der Größenwahn), gibt es keinen Ausweg für ihn (und für eventuelle Untertanen natürlich auch nicht). Der Ausweg erscheint erst, wenn er am Ende ist. Dazu können ihm die Untertanen (Koabhängige jeder Art) natürlich helfen.
Viele aber gehen, wenn sie "am Ende" sind, nicht durch das Tor der Kapitulation, sondern sie bringen sich um. Sie halten mit aller Macht fest am Letzten, was ihnen noch geblieben ist, an ihrem Bild von der Welt und daran, dass andere "schuld" sind an ihrer Misere.
Kapitulation führt niemals zum Suizid. Wer es aufgibt, gut sein zu müssen und zu wissen, hat keinen Grund, sich umzubringen. Wer es aufgibt, gut sein zu müssen und zu wissen, akzeptiert, was ist, auch den Tod, sollte er ihm/ihr jetzt bestimmt sein.
Und in diesem Moment völliger Hingabe geschieht das Wunder: Ein überwältigender Strom von Energie stellt das Leben auf eine völlig neue und ungeahnte Grundlage. Das ist Kapitulation!
Für Paranoia ist da kein Platz, ebensowenig für irgendeine Art Dünkel. Wer hier war, weiß, dass er/sie nichts Besonderes ist und dass der Strom von Energie völlig unverdient gekommen ist. Wer hier war, weiß aber auch, dass paranoides Machtstreben auch von höchster Ebene absolut keine Chance hat gegen diese Energie, dass es also zu keiner Zeit des Lebens eine reale Gefahr gegeben hat oder je geben wird. – Natürlich endet das Leben eines jeden Menschen irgendwann, aber erst dann, wenn es Zeit ist, wenn das, was sein soll, erfüllt ist.
Wer bestimmt, wann dieser Zeitpunkt da ist? Niemand weiß es (es ist wohl eher eine Frage des großen Kollektivs [die Zeitebene eingeschlossen], also heute des Ganzen der Menschheit, als des Einzelnen). Aber die, die bereit sind, zu kapitulieren, werden darauf vorbereitet sein. Die Eingebildeten werden überrascht sein. Das ist bitter. Nur für sie ist der Tod bitter, denn für sie war alles vergeblich!
Wer kapituliert, weiß sich in Gottes Hand, ob oben oder unten, auch im tiefsten Dunkel noch wagt er/sie, sich fallen zu lassen. Er/sie weiß: Ich habe ohnehin keine Wahl.
Mit "sich aufgeben" im Sinn des Defätismus hat Kapitulation logischerweise nichts zu tun. Kapitulation in unserem Sinn ist immer ein sich letzten Endes vertrauensvoll (was nicht heißt "ohne jede Angst") in Gottes Hand begeben mit der gleichzeitigen Bereitschaft, alles Verfügbare (und natürlich auch das Leben) einzusetzen!
Und da ist kein Platz für Paranoia. Da ist der Himmel, sogar in der Hölle.
In der Bibel heißt das Reich der Paranoia das Reich der „Sünde“ [des sich Ab-sond-erns], das Reich des Hochmuts, das Reich des "Baal". Sein zu wollen wie Gott, "aus eigener Kraft" leben und "gut" sein. Selbst wissen, was gut ist und was schlecht, selbst entscheiden. Das bedeutet, die einzelnen Wesen herauslösen aus dem Gesamtzusammenhang, ihren Ursprung vergessen. Das ist zwar kurzsichtig, aber in dieser Sicht scheint die Wirklichkeit von einem selbst abzuhängen. In dieser Sicht aber fangen natürlich auch andere Geschöpfe an, zu imponieren und gegen uns zu konkurrenzieren. Und so erscheint "Baal" überall als wäre es ein selbstständiger Gott, der höchste Gott sogar, obwohl er bei genauer Betrachtung nur das Idol dieser imponierenden tierischen Kraft ist. Und er hat Macht nur im Reich der Paranoia. Und er wird herrschen durch Faszination und durch Terror. Im Tierreich gilt die Rangordnung dieser Kraft ganz selbstverständlich. Im Tierreich ist mit ihr aber auch eine Verpflichtung verbunden, nämlich täglich sein Leben einzusetzen für diese Rangordnung und gegen die äußeren Feinde der Gruppe. Und diese Rangordnung ist auch entscheidend für die Auslese der Fortpflanzung. Der Druck ist stark in Richtung Evolution. Bei den Menschen gelten diese Gesetze im Grunde zwar auch, durch die Besonderheit der Menschen aber, durch ihre Denkfähigkeit, durch die die Menschen die Selbstverständlichkeit der Annahme des Gegebenen – und damit das "Paradies" – verloren haben, ist diese Rangordnung ständig in Gefahr, missbraucht zu werden, oder sie wird durch die Trägheit der Institutionen ad absurdum geführt. Aus diesem Grund gibt es menschliche Tyrannei, die mit der Rangordnung des Tierreichs nichts mehr zu tun hat, und – falls der Evolutionsschritt zum Menschen nicht ein Fehlschlag sein soll – auch die Notwendigkeit eines Auswegs aus dieser Tyrannei des "Baal".
Den Ausweg zeigt der Gott der Bibel – und das ist natürlich gleichzeitig auch der Gott aller anderen Religionen, weil die Menschen überall auf dieses Problem gestoßen sind – mit biblischem Namen "JAHWE" („ich bin der ich bin“). Während Baal immer über die Gruppe wirkt (bis herauf ins moderne "Mobbing"), stellt JAHWE so etwas wie eine individuelle Verbindung mit der schöpferischen Kraft dar, die aber doch wieder auf die Gruppe zurückwirkt und dieser nach der Tyrannei eine neue – wieder menschliche – Struktur gibt.
In der Welt der Paranoia, also in der Welt der beschränkten Sicht, wirkt Baal. Den Ausweg aus der Paranoia schafft der Blick aufs Ganze: In ihm zeigt sich JAHWE. In der beschränkten Sicht der Paranoia vertraut jeder auf seine eigene Kraft, der aber eben leider andere Kräfte entgegenstehen, die die eigene Existenz auch auslöschen wollen. Diese Situation führt zu allen Arten von Wahnsinn. Die Menschen sind nämlich bereit, praktisch alles zu tun, um ihr Leben zu retten. Sie verbünden sich mit Bestien und werden selbst zu Bestien, wenn sie ihr Leben in Gefahr glauben – und sie produzieren alle Arten von wahnhaften Ideen, in denen entweder sie selbst oder ihre Gegner als Übermenschen erscheinen. Das alles beruht auf dem nicht–sehen–Wollen der tatsächlichen eigenen Ohnmacht – denn alle Maßnahmen auf dieser Ebene führen zu immer noch größerer Bedrohung. Der Ausweg auf dieser Ebene wird immer in der Vernichtung der Gegner gesehen. Tatsächlich ist das aber praktisch nie möglich und der irgendwann logisch folgende Rückschlag ist verheerend.
Einen ganz anderen Ausweg bietet JAHWE, die universelle Schöpferkraft. Sobald jemand vor ihm seine Ratlosigkeit eingesteht und die Hilfe nicht mehr von seiner eigenen Kraft erwartet, kommt unerwartet Hilfe von anderer Seite. Diese Hilfe beruht auf genialen Ideen, sie verlangt ein Minimum an Opfern und sie schafft ein Maximum an Wirkung. Das beste mir bekannte Beispiel für diese Hilfe ist die schon erwähnte Gideonsgeschichte (Richter 6–8). Besser allerdings als die besten literarischen Beispiele sind die selbsterlebten.
Noch einmal das Paradox auf den Punkt gebracht: Wer nicht Sklave JAHWE's (der "anderen" im Gegensatz zur "eigenen" Kraft) ist, ist mit Sicherheit abhängig, d.h. Sklave fremder Mächte. Nur die "andere" Kraft (JAHWE) präsentiert das eigene Inter–esse total. JAHWE ist kein Herrschaftsgott – im Gegenteil, er allein repräsentiert gleichzeitig unsere Freiheit und unsere Effektivität. Nur als sein Sklave sind wir imstande in jedem Augenblick "den Nagel auf den Kopf zu treffen". JAHWE ist die Lebenskraft, sonst nichts – also keine Religion, keine Priesterherrschaft in irgendeiner Form kann ihn repräsentieren, "er" kann sich nur selbst repräsentieren, unmittelbar. Religionen können nur Hinweise auf den Weg in die Freiheit geben, – alles weitere, was von Religionen kommt, ist eine Kompetenzüberschreitung und damit ein Versuch der Versklavung. Diese Tendenz ist den Religionen seit je her mit Recht übel angerechnet worden. Es wäre wieder an der Zeit dieses Größenwahn/Paranoia–Element als eigenen Unglauben und Ungehorsam zu erkennen und als beschränkte Sicht. Es ist Zeit, das Haupt zu beugen vor der anderen Kraft: "Wer sein Leben für sich behalten will, wird es verlieren, wer es aber loslässt, wird ewiges Leben erfahren!" Das gilt natürlich auch für eine uralte Institution.
Es wäre aber fatal, das Gesagte als Rezept zu verstehen, denn so funktioniert es nicht – mit Sprüchen über Vertrauen kannst du dich nicht retten. Du musst dir erlauben, die Angst in ihrer ganzen Gewalt zu fühlen, du musst die Abgründe der Wahrheit aushalten. Explizites "Vertrauen" ist hier nicht nötig, sogar hinderlich: Als ich hier meinen eigenen Prozess der Kapitulation beschrieben hatte, war ich beispielsweise befangen in Argumenten. Ich musste selbst erst wieder an den Punkt kommen, an dem ich real am Ende war und nur noch kapitulieren konnte. Der Punkt kam, als ich einsehen musste, dass auch ich kein Rezept habe. Es gibt kein ein für alle mal. Es gibt für niemand eine Sicherheit. Es gibt nicht die Möglichkeit, sich auf das eben Gesagte zu verlassen, es ist immer neu nötig durch diese ganze Kette von Erfahrungen selbst hindurchzugehen und den eigenen Schmerz auch jetzt wieder real wahrzunehmen. Niemand kann für dich springen und auch ein früher bereits erfolgter Sprung kann den gegenwärtig notwendigen nicht ersetzen. Ich kann also nicht mehr sagen als: Wage es, lass dich erreichen von deiner Angst und deiner Not, sonst kannst du die rettende Kraft nicht erfahren.
Das Ostergeheimnis – und wer es erfährt
oder
Warum Petrus Jesus verleugnet
Alle vier Evangelisten berichten in leicht variierenden Erzählungen, dass Petrus in der Nacht, als Jesus verhaftet wurde, ihn drei mal verleugnet habe – in den knappen Worten des Evangelisten Johannes (Joh 18, 17.25–27):
"Da sagte die Pförtnerin zu Petrus: Bist du nicht auch einer von den Jüngern dieses Menschen? Er antwortete: Nein. ...
Simon Petrus aber stand (am Feuer) und wärmte sich. Sie sagten zu ihm: Bist du nicht auch einer von seinen Jüngern? Er leugnete und sagte: Nein.
Einer von den Dienern des Hohenpriesters, ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte, sagte: Habe ich dich nicht im Garten bei ihm gesehen? Wieder leugnete Petrus und gleich darauf krähte ein Hahn."
Bei Markus und Matthäus flucht Petrus dabei sogar.
Wie ist es möglich, dass genau dieser Mensch dann das Fundament der daraus entstehenden Bewegung werden konnte?
In Petrus ist offenbar zwischen jener Nacht und seinem ersten öffentlichen Auftreten zu Pfingsten eine radikale Wandlung erfolgt. Diese Wandlung erinnert an das legendäre Gespräch zwischen Jesus und einem Pharisäer namens Nikodemus (Joh 3, 1–11):
"Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. ... Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist."
In der Nacht der Verhaftung Jesu war Petrus noch nicht aus dem Geist geboren, zu Pfingsten war es geschehen – wie war das geschehen?
Der Tod Jesu hat Petrus (und die anderen Apostel – was mit Judas ist, muss weiter unten noch extra geklärt werden) so sehr erschüttert, dass er nicht mehr so weiterleben konnte:
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er, wie fast alle Menschen, geglaubt, er müsse das Leben aus seiner eigenen Kraft heraus meistern, und das Leben schien ihn zu bestätigen. Jesus hatte zwar immer schon davon gesprochen, dass er nicht aus seiner eigenen Kraft heraus lebe, sondern aus der Kraft des Vaters, aber seine Schüler waren zu sehr verwurzelt in der "normalen" Sicht des Lebens. Sie konnten das nicht in dem wörtlichen Sinn verstehen, wie Jesus es gemeint hatte und dadurch konnten sie sich nicht vorstellen, dass das auch für sie selbst wahr sein oder werden könnte. Jesus war für sie zu sehr aus ihrer eigenen Alltags–Welterfahrung entrückt. Für sie war er wie ein Wesen aus einer anderen Welt – und das war er auch, aber nicht so wie sie gedacht hatten und wie die meisten Christen heute noch denken, als eine Art übernatürliches Wesen in Menschengestalt. Von Ostern an aber haben sie diese andere Welt, in der Jesus gelebt hatte, selbst kennen gelernt (und viele Christen haben sie nach ihnen ebenso kennen gelernt) – ohne allerdings den mythischen Nimbus, den sie Jesus verliehen hatten, je zu revidieren, zu sehr hatte sich dieser Eindruck des Unglaublichen bei ihnen eingeprägt. Heute allerdings können wir – müssen wir – auch diese Stellung Jesu neu betrachten. Zunächst aber wieder zurück zu Petrus und den Jüngern:
Nach dem Tod Jesu konnte Petrus (und die anderen) nicht mehr so weiterleben wie vorher. Er (wie die anderen auch) war von Jesus völlig eingenommen. Er hatte sich ihm völlig ausgeliefert und überantwortet, weil er täglich neu erfuhr, dass Jesus eine viel tiefere Einsicht in Menschen und Dinge hatte, als er sich auch nur vorstellen konnte.
Nun aber war der, dem er die Verantwortung für sein Leben übertragen hatte, nicht nur räumlich von ihm abgesperrt, sondern ihm für immer entzogen, weil tot!
Nachdem der unmittelbare Schock der Verhaftung und Hinrichtung Jesu abgeklungen war, erkannten er und die anderen Apostel, dass sie nun wieder auf sich gestellt waren. Dieses Ich, auf das sie nun wieder gestellt waren, hatte sich aber in der Zeit, in der sie mit Jesus zusammen gewesen waren, als ungeeignet für diese Aufgabe herausgestellt. Sie hatten daher jetzt nichts mehr, auf das sie sich stellen konnten. Sie waren am Ende. Sie konnten nur noch ihre absolute Hilflosigkeit und Unfähigkeit und ihre Verzweiflung eingestehen.
"Wenn ich nicht gehe, kann der Tröster nicht zu euch kommen" (Joh 16, 7), hatte Jesus zu ihnen gesagt, aber sie hatten es nicht verstanden – wie sie auch nicht verstanden hatten, aus welcher Kraft heraus Jesus lebte. Doch nun – mitten in ihrer Verzweiflung, genau an dem Punkt, an dem sie schon jenseits ihres ersten Jammergetöses einfach nüchtern ihre aussichtslose Lage betrachteten (und Gott ohne Worte baten, ihnen doch Rat zu schicken), geschah das Wunder: Sie spürten eine Welle von Kraft in sich einströmen, die sie in der Vergangenheit zwar in wenigen erlesenen Augenblicken bereits ansatzweise kennen gelernt hatten, von der sie aber nie zu träumen gewagt hätten, dass sie einmal ihre Lebensquelle sein würde, aber jetzt wurden sie zur Gänze von ihr erfüllt und die Welle dieser göttlichen Kraft schwemmte jede Spur der Verzweiflung weg und ließ nur das Bewusstsein, dass ihr Meister nun wieder bei ihnen war – und zwar so real, dass die späteren Berichte es als geradezu "körperliche" Anwesenheit beschrieben, obwohl aus den älteren Berichten ganz klar hervorgeht, dass eine geistige Präsenz gemeint ist, die sie aber körperlich erlebten.
Genau dieser Vorgang wiederholte sich nun über einen gewissen Zeitraum immer wieder, bis sie "am fünfzigsten" Tag (Pentecoste) als neue Menschen selbst an die Öffentlichkeit treten konnten, wie es zuvor nur Jesus gekonnt hatte.
Dieses Geschehen war es, das später als die "Auferstehung Jesu" bekannt geworden ist, obwohl es weniger mit Jesus zu tun hat, als mit seinen Schülern. Für sie war es nämlich ihre "Wiedergeburt aus dem Geist". Auf dem Berg Tabor hatten sie einen Vorgeschmack davon bekommen, zu Ostern hatte sie real begonnen und zu Pfingsten war ihre Transformation abgeschlossen.
In heutigen Worten (deren Wirklichkeit wir aber bereits im Alten Testament beschrieben finden, insbesondere in der vielfach wiederkehrenden Kritik an der Haltung des Königs Saul) können wir den Vorgang so beschreiben:
Als Petrus seinen Meister verleugnete, war er noch in seinem alten Ich. Er lebte noch aus seiner "eigenen" Kraft. Aus dieser Kraft konnte er der Belastung nicht standhalten, die die Frage nach seiner Zugehörigkeit zu Jesus bedeutete, nämlich der damit verbundenen Lebensgefahr. Solange Petrus (und das gilt natürlich genauso für die anderen Apostel) aus dieser "eigenen" Kraft heraus lebte, konnte das, was Jesus tat, nur als "übernatürlich" erscheinen und sie konnten sich nicht vorstellen, was Jesus ihnen des öfteren gesagt hatte, nämlich dass "sie noch größere Dinge tun" würden, als er sie getan hatte (Joh 14, 12).
Als sie ihren Meister aber verloren hatten und sie vor dem absoluten Nichts standen, mussten sie einsehen, dass sie aus ihrer "eigenen" Kraft heraus überhaupt nicht mehr leben konnten. Sie konnten nur noch Gott in ihrer Verzweiflung bitten, ihre nicht mehr vorhandene Kraft doch mit seiner zu substituieren. Und da von ihrer "eigenen" Kraft in diesem Moment wirklich keine Spur mehr vorhanden war, war es, als ob ein absolutes Vakuum [jene berühmte buddhistische „Leere“] die absolute Fülle ansaugt, das absolute Nicht–Sein das absolute Sein.
Der Prozess verlief in Wellen und brauchte einige Zeit, bis nach und nach jede noch versteckte Illusion der eigenen Kraft aus ihnen entwichen war – und vielleicht ist bis zuletzt nicht restlos alle Illusion entwichen – jedenfalls aber genug, um ihre vorher dominierende Todesangst zu überwinden und jeden Zweifel darüber zu beseitigen, dass es nun an ihnen war, die Botschaft, die Jesus ihnen gebracht hatte und die sie in diese Lage versetzt hatte, weiterzugeben. Auf der neuen Grundlage ihres Lebens war das nun möglich. Die Kraft des Schöpfers selbst war es jetzt, die sie trug und die sie leitete auf allen ihren weiteren Wegen. Und sie konnten nun auftreten, wie Jesus aufgetreten war.
Damit ist nichts darüber gesagt, wie der persönliche Weg Jesu weitergegangen ist. Der persönliche Weg interessiert nicht, denn wenn die "eigene" Kraft weg ist und die göttliche Kraft "an ihre Stelle getreten" ist (hier ist bereits klar, dass es nie eine "eigene" Kraft gegeben hat, sondern nur eine Illusion davon), gibt es nur noch ein Interesse, das Göttliche. Die Auferstehung Jesu hat also, genau genommen, nichts mit Jesus persönlich zu tun, sondern nur mit der Intention, die ihn getragen hatte, und die nun, da er nicht mehr auf Erden weilte, in seinen Schülern weiterwirkte.
Ähnliches gilt auch für den Schüler, der ihn "verraten" hat und der sich, den Worten des Evangelisten Matthäus nach, umgebracht hat (Mt 27, 3–11), in der Variante des Lukas in der Apostelgeschichte "stürzte er vornüber zu Boden, sein Leib barst auseinander, und alle Eingeweide fielen heraus" (Apg 1, 18).
Judas steht für die Weigerung, zu kapitulieren. Auch er steht vor dem Nichts, und auch er kann diese Realität nicht aushalten, aber er hält fest an seinen Vorstellungen von der Welt und an der Idee von der "eigenen" Kraft. "Die Eingeweide", also das Symbol des Ursprungs der eigenen Kraft, können nicht in ihm bleiben angesichts der Realität, dass es keine eigene Kraft gibt, sondern nur eine Kraft, nämlich die des Schöpfers. Unter diesen Umständen kann es nicht anders sein. Die Quelle der vermeintlichen eigenen Kraft muss den Menschen verlassen, der sie nicht loslässt. Die Wirklichkeit demonstriert sich selbst.
Was da geschildert wird, ist natürlich eine Art Traum, eine Komposition von Symbolen, ein metasprachlicher Ausdruck der Wirklichkeit von der unbedingten Realität der einen Kraft. Sicherlich liegt es nicht in der Absicht der Autoren, eine Aussage über das persönliche Schicksal des Judas zu machen. Denn das persönliche Schicksal des Judas interessiert genauso wenig wie das persönliche Schicksal Jesu. Auch wenn später von Jesus gesagt wird, Gott habe ihm "einen Namen gegeben, der über alle Namen ist" (Eph 2, 9) etc. – all diese Attribute kommen Jesus ja zu, aber es geht nicht um das weitere persönliche Schicksal Jesu, sondern um die Intention, die ihn bewegte, um seinen Auftrag und um die Treue, in der die göttliche Kraft in ihm wirken konnte. Judas dient nun als das abschreckende Gegenbeispiel. An ihm wird sichtbar, was geschieht, wenn jemand nicht loslassen kann: Er muss zerbrechen. Es gibt nur die zwei Möglichkeiten: Entweder von da an Gott als "Herrn", also als den wirklichen Chef des eigenen Lebens akzeptieren oder zerbrechen.
Genau diese Erfahrung wird heute bestätigt von der inzwischen weltweit vertretenen Bewegung der "Anonymen Alkoholiker" und aller weiteren Gruppen, die auf der Basis ihrer Erfahrung arbeiten:
Der erste Schritt, den sie tun müssen, um gerettet zu werden, ist die "Kapitulation". Eines Tages in ihrer Trinkerkarriere stehen sie am Scheidepunkt: Entweder sie geben zu, dass sie es aus ihrer eigenen Kraft heraus nicht schaffen, mit dem Trinken auszuhören und sie vertrauen darauf, dass es da eine andere Kraft gibt, die ihnen helfen kann – oder sie werden sich zu Tode trinken. Ohne Kapitulation folgt unfehlbar der Tod. Unausweichlich zerbrechen sie an sich selbst. Es gibt keine dritte Möglichkeit. Was aber die erleben, die es wagen, zu kapitulieren und ihr Leben Gott anzuvertrauen, ist genau jene Wiedergeburt aus dem Geist, von der Jesus dem Nikodemus erzählte, die dieser damals nicht verstand und die viele (besonders Würdenträger wie Nikodemus) auch heute noch nicht verstehen – gerade Würdenträger haben ja wenig Anlass zu kapitulieren, sie befinden sich ja gerade nicht in der Situation, in der sich die Schüler Jesu befanden, als ihr Meister getötet wurde, und sie haben auch nicht die Kontrolle über ihr Leben verloren. Aus diesem Grund bleibt vor ihnen (den Klugen) möglicherweise verborgen, was gerade den "Unmündigen" (!) aber geoffenbart wird (Mt 11,25).
Der mündige Petrus hat versagt. Der unmündige hat gesiegt. Aus dem unvermeidlichen Ende ist ein Anfang geworden, der auch unser gegenwärtiges Heute noch überdauern wird, denn es ist die alte Geschichte vom Paradox des Lebens, das erst richtig beginnt, wenn es verloren scheint.
Bleibt also noch die Frage nach uns selbst hier und heute oder nach dem Schicksal der Menschen unserer Zeit. Wer in unserer Gesellschaft glaubt denn nicht, aus seiner "eigenen" Kraft zu leben? Das ist doch das Um und Auf heutigen Lebens! Jeder will besser sein als der Andere. Die "eigene" Kraft wird doch geradezu angebetet. Werden wir also alle das Schicksal des Saul oder des Judas haben?
Für viele wird das tatsächlich so sein. Viele finden erst im Tod ihren Meister. Der Spruch der Weisen lautet daher: "Stirb, bevor du stirbst!"
Zu unserem Glück kündigt der Tod sich an. Es gibt viele kleine Tode, wenn wir aufmerksam sind, jeden Tag, viele Gelegenheiten, die Realität anzuerkennen, dass es nur eine Kraft gibt und dass wir keine Wahl haben, als ihr zu folgen. Deshalb ist das Symbol von Ostern, das Lamm. Das Lamm folgt seinem Herrn, auch wenn das seinen Tod bedeutet. Ohne Tod keine Auferstehung. Nur wer hineingeht in das Wellental kann von der Welle emporgehoben werden. Wer ungeachtet der Wellen seinen eigenen Kurs fährt, muss Schiffbruch erleiden. "Das Balkenstarke stirbt keinen guten Tod", sagt der chinesische Weise Lao–tse. Es bleibt uns also nur, unser Haupt zu beugen vor der Kraft, die alles lenkt. Dann können auch wir sagen: "Und müsst ich auch wandern im Tal der Todesschatten, ich fürchte kein Unheil, denn Du bist bei mir."
Weil heute die Surfer so gerühmt werden: Das ist kosmisches Surfen: Sich tragen lassen von der ewigen Welle in ihren momentanen Ausformungen und wenn eine Welle zu Ende geht, mit ihr den Tod erleiden und mit der nächsten auferstehen und das Ganze vielleicht mehr als zehn mal am Tag. Wer sein Haupt beugt, wer loslässt, ist entspannt genug, in jeder Hinsicht wahrzunehmen, wo es wieder aufwärts geht. Immer ist das in einer anderen Welt und irgendwann in einer ganz anderen Welt.
Eines sollten wir dabei aber nicht vergessen: Wenn es uns nicht gelingt, loszulassen, wenn es uns nicht gelingt, unser Haupt zu beugen und die eine Kraft als unseren Herrn anzuerkennen, dann liegt das daran, dass diese eine Kraft es uns noch nicht erlaubt hat. Vielleicht gelingt es uns aber heute, uns selbst ein wenig mehr zu verstehen. Wir gehen (irrtümlich!) meistens davon aus, dass wir frei wären, aber wir sind es nicht, solange wir nicht kapituliert und uns dieser Kraft freiwillig unterworfen haben, der wir ohnehin unterworfen sind. So lange herrscht Unwahrheit.
Wenn wir die Strömungen betrachten, die familiären Verwicklungen unserer Ahnen und aller psychischen und genetischen Linien, die zu uns führen und die uns zu dem gemacht haben, was wir sind, können wir uns besser verstehen. Dann können wir vielleicht sogar, wie Jesus, als er zu der Ehebrecherin sagte "auch ich verurteile dich nicht", ähnliches zu uns selbst sagen und zu allen, mit denen wir zu tun haben. Und dann werden wir auch nicht mehr automatisch meinen, so einer wie Judas wäre verloren. Er hatte ein schweres Schicksal. Was aus ihm persönlich geworden ist und wie er sich angesichts seines physischen Todes entschieden hat, wissen wir nicht, aber könnte es nicht doch so sein, dass auch er nur dem gefolgt ist, was er als richtig erkennen konnte? Eine Betrachtung dieser Art könnte ein wichtiger Schritt sein auf dem Weg zu unserer eigenen Ostererfahrung.
Ist Jesus Gottes einziger
Sohn?
(8. 4. 2001)
Die Christen scheinen
selbstverständlich davon auszugehen – oder?
Diese Frage ist der hauptsächliche Stein des Anstoßes im Gespräch mit dem Islam („Blasphemisten sind die, die sagen Christus, der Sohn der Maria sei Gott“ Koran V,19 etc.), mit dem Hinduismus und mit dem Buddhismus.
Da ich Kindern Religion unterrichte, bin ich ständig mit dem konfrontiert, was ich als das „gewöhnliche Verständnis der Dogmatik“ bezeichnen möchte. Wenn ich den Schülern meiner (deutschen) Grundschulklassen die Frage nach der Entstehung der Welt stelle, bekomme ich fast in jeder Klasse gleich von mehreren Schülern die Antwort: „Jesus hat die Welt erschaffen.“ Kollegen bestätigen mir diese Erfahrung – während andere Kollegen sie offenbar (mit kirchlicher Lehrerlaubnis) erzeugt haben müssen.
Diese Inhalte sind meines Erachtens das reale Resultat von dem, was Kardinal Ratzinger als „Einfachheit des Glaubens“ erstrebenswert findet, ich meine eher: Der Aberglaube des Arianismus hat sich am Ende doch durchgesetzt. Welche Auswirkungen diese Glaubensinhalte auf das Verhalten der Menschen haben, also ob sie Nächstenliebe und Mitgefühl eher fördern oder behindern, ist natürlich eine andere Frage (aber jeder gedankliche Formalismus schwächt das reale Mitfühlen). Klarer allerdings ist die Hauptkonsequenz, nämlich dass auf ein kindliches „Jesus hat die Welt erschaffen“ sehr leicht ein erwachsenes „so einen Schmarrn kann doch kein Mensch glauben“ folgt. Und das ist meines Erachtens einer zentralen wirklichen Gründe für das rapide Schwinden des öffentlichen Interesses an Religion, speziell an der christlichen und für das immer noch zunehmende Interesse an ostasiatischen und an esoterischen Kulten.
Was meint Jesus zu der Sache?
Jesus folgt zunächst einfach der biblischen Tradition, die ja damit beginnt, dass die Menschen im ersten Schöpfungsbericht, Gen 1, als „Bilder von Gott“ bezeichnet werden. Weiter heißen sie im Deuteronomium 14, 1: „Kinder des Herrn, eures Gottes“ etc.. Jesus nimmt diese Aussagen ernst und er nennt Gott „Vater“ und auch dafür steht er einfach in der langen alttestamentlichen Tradition.
Indem Jesus aber gerade diese Worte ernst nimmt, wie keiner vor ihm, erfährt er auch die Wirklichkeit der Sohnschaft und des „Vaters“ wie keiner vor ihm. Das ist sein Lebensgeheimnis, das er aber gerade nicht für sich behalten, sondern mitteilen, teilen wollte. Niemals hat er behauptet, der einzige zu sein – bedauerlicherweise gab es aber keinen Zeitgenossen, der es ihm gleich getan hätte. Deshalb hat er mit seinen Schülern darauf hin gearbeitet, dass sie ihm nachfolgen könnten in dieser Sicht und Erfahrung des Lebens. Diese aber waren so fasziniert von ihm und konnten so wenig glauben, was sie sahen, dass sie ihn möglicherweise wirklich für eine Art übernatürliches Wesen hielten und ihn auch später, als die gleichen Wunder auch durch sie geschahen, noch weiter verklärten.
Und doch steht im ganzen Neuen Testament in keinem einzigen Satz, dass Jesus der einzige Sohn Gottes sei. (Auf die tausend Sätze, die Ihnen jetzt gleich einfallen, weil Sie’s Ihrer Meinung nach doch sagen, komme ich gleich zurück.) Solche Ideen entstanden erst, als man anfing, emotionale Aussagen mit Logik zu analysieren und zu synthetisieren. Zunächst formulierte die Richtung des Arius, Jesus wäre eben gar kein richtiger Mensch gewesen, sondern ein übernatürliches Wesen. Und diese Idee wurde im Grund nie mehr aufgegeben. Die Korrektur bestand bekanntermaßen ja darin, dass man sagte: Er ist zwar ein übernatürliches Wesen, aber er ist auch ganzer Mensch, die Leidensfähigkeit eingeschlossen. Erst heute, scheint es, sind die Menschen so sehr aus der mythologischen Zeit herausgetreten, dass sie mit solchen Definitionen überhaupt nichts mehr anfangen können. Wenn schon Magie, dann wollen sie spektakuläre Ergebnisse sehen, wie in den Fantasy–Comics im Fernsehen. Von solchen Ergebnissen hat aber leider in unserer Zeit niemand etwas gesehen oder gehört. Damals, vor 2000 Jahren (also "in ille tempore", in der Märchenzeit) da gab’s so was vielleicht, aber heute ...
Nun zu den Aussagen des Neuen
Testaments, beginnend mit den ersten drei Evangelien:
Matthäus und Lukas bringen eine kurze Vorgeschichte des öffentlichen Auftretens Jesu.
Matthäus möchte seinen Leser vor allem zeigen, dass Jesus aus der messianischen Linie des jüdischen Volkes stammt und weiters, dass es sich schon bei der Abstammung um ein mythisches Ereignis handelt, nämlich um die Erfüllung jener uralten, über die Bibel hinausgehenden Weissagung, dass der Erlöser göttlichen Ursprungs ist und – ohne menschlichen Vater – nicht „aus dem Fleisch“ stammt. Die Vorgeschichte des Matthäus ist ganz offensichtlich eine Legendenreihe. Er macht sich nämlich nicht die geringste Mühe, die Widersprüche darin zu glätten – und doch führt ihn seine Idee von der Jungfrauengeburt zu der Geschichte über die Rolle des Josef dabei. Und Matthäus schließt gleich eine ganze Serie weiterer Legenden an, beginnend mit dem Erscheinen der drei Weisen, der Flucht nach Ägypten und dem Kindermord in Bethlehem. Diese Geschichten stehen ganz allein und keiner der anderen Autoren des Neuen Testaments nimmt Bezug darauf. Sie sind diesen also unbekannt. Aber sie passen sehr gut ins Gesamtkonzept des Matthäus, der darstellen will, dass Jesus eben von Anfang an der prophezeihte Messias ist, ähnlich gewaltiger Art wie Mose (der ja bekanntlich dem ägyptischen Kindermord entkommen ist), und dass er am Ende als der Retter der Welt erkannt werden wird, während die Juden ihre Rolle als Volk Gottes mit dem Nichterkennen des Messias ausgespielt haben. Diese Aussage ist ihm wichtiger als innere Widerspruchsfreiheit.
Diese Geschichten des Matthäus daher als historische Fakten zu betrachten, heißt, den Charakter der gesamten inspirierten Literatur zu verkennen. Matthäus setzt nur gute alttestamentliche Tradition fort. Es geht hier immer darum, dem Leser eine Bedeutung zu vermitteln. Etwas Ähnliches geschieht heute, wo Hollywood in einer Unzahl einzelner Werke die Geschichte Amerikas neu schreibt und zeigt, dass „echte Amerikaner“ niemals Rassenhasser oder Indianerkiller gewesen sind, sondern die Afrikaner und die Urbevölkerung des Kontinents immer schon als Menschen hoch geschätzt und mit dem eigenen Leben verteidigt haben. Die Geschichte dient uns Menschen immer der Erklärung der Gegenwart und hat nicht viel mit Fakten zu tun – selbst heute, wie man sieht.
Ähnliches gilt natürlich für die Vorgeschichte des Evangelisten Lukas, die ebenfalls auf den auch von Jesaija (7,14) wieder benützten Mythos der Jungfrauengeburt zurückgreift. Im übrigen ist auch die Vorgeschichte des Lukas (die Geburt Johannes des Täufers, das Erscheinen des Erzengels Gabriel, die Volkszählung des Kaisers Augustus, die Hirten etc.) völlig einzigartig und keinem anderen Autor des Neuen Testaments bekannt. Seine Genealogie unterscheidet sich grundlegend von der des Matthäus. Die Geschichte des Lukas entspricht aber wieder genau dem, was er seinen Lesern mitteilen will, die sich weniger gut im Alten Testament, dafür aber besser in der mediterranen Mythologie und in der Geschichte des römischen Reiches auskannten. Auch Lukas benützt dazu Legenden, die er in tatsächliche historische Ereignisse (wie die Volkszählung des Augustus) einbindet. Und so liefert auch er seinen (heidenchristlichen) Zuhörern Bedeutung und keine historischen Fakten.
Auch die Zuhörer des Markus sind Heidenchristen, sie haben allerdings keinen großen Bedarf an Legenden. Daher fasst sich Markus kurz, verzichtet auf die Erfindung von Kindheitsgeschichten und stellt gleich den Mann vor, der in seiner Sicht das Unheil der Welt überwindet – durch seine sehr persönliche Beziehung zu Gott: Gott ist sein „Vater“ und Gott betrachtet ihn als „seinen geliebten Sohn“ (1,11; so etwas muss für die Anwesenden bei der Taufe Jesu spürbar gewesen sein, sofern sie die Gabe zu solchem Spüren hatten, also wenigstens für Jesus und für Johannes). Als solcher vermag er den Menschen das Reich Gottes zu zeigen, sie der Hand des Satans zu entreißen und mit Gott zu versöhnen, auch wenn die Menschen – zunächst – in dem Sohn den Vater nicht erkennen können, trotz aller Zeichen, die er ihnen gibt.
Für Markus ist Jesus „der“ Sohn Gottes, damit beginnt er sein Evangelium und darauf beruht es. Die unreinen Geister (3,11) bestätigen das und der Hohepriester sagt es noch genauer: Jesus ist „der Messias, der Sohn des Hochgelobten“ (14,61) und der heidnische, römische Hauptmann, der die Kreuzigung befehligt und der ihn sterben gesehen hat, sagt: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (15,39).
Nur an einer einzigen Stelle, als ob es ein Versehen wäre (schließlich bringt Markus nicht einmal das "Vaterunser"), erwähnt Markus, dass Gott nicht nur der Vater Jesu, sondern der Vater aller Menschen ist (11,25) – und doch ist das selbstverständlich für ihn und es gibt für ihn noch kein Dogma vom einzigen Sohn Gottes. Nur – wie sollen die Menschen in Gott ihren Vater sehen, wenn sie sich nicht als Kinder fühlen (10,13–16) und wenn sie Jesus nicht als seinen wahren Sohn erkennen? Darauf hinzuweisen ist das Anliegen des Markus.
Johannes, der ebenso wie
die anderen Evangelisten davon ausgeht, dass Jesus „der“ Sohn Gottes ist,
unternimmt es dagegen von Anfang an, einen Weg aufzuzeigen, wie aus
gewöhnlichen Menschen Kinder Gottes werden können (1,12.13). Jesus ist das
exemplarische, das einzigartige Beispiel des Ergebnisses dieser Verwandlung
(1,14). Dadurch ist er „der eingeborene
Gott, der am Herzen des Vaters ruht“ und der ihn „interpretiert“ (1,18).
Das Kriterium ist der Geist (1,33). Im gesamten Evangelium geht es daher um eine neue Geburt aus dem Geist
(3,1–13, die Nikodemus Geschichte). Jesus kennt den Weg. Es ist der Weg der
Hingabe, den er selbst vorangeht (3,16). Jesus, der einzigartige Sohn erfährt,
dass der Vater alles in seine Hand gelegt hat. Wer ihm vertraut, erfährt selbst
das ewige Leben (3,35).
Johannes sieht Jesus als einzigartigen Sohn Gottes, aber nicht im Sinn
des ausschließlich einzigen, selbständigen Sohns, sondern als Prototyp der Kinder Gottes, die "den Vater anbeten
werden im Geist und in der Wahrheit" (4,23). Er sagt sogar ausdrücklich,
dass "der Sohn nichts aus sich tun kann" (5,19).
Als dieser Prototyp ist er für die Menschen die Speise, die vom Himmel
herabkommt, "das Brot des Lebens" (6,32–35).
Als dieser Prototyp ist er aber nicht der Einzige, sondern das Modell,
nach dem jeder Mensch ein Kind Gottes werden kann, dem dann –
selbstverständlich (ohne dass Johannes es immer wieder erwähnen muss, er tut es
ohnehin, z.B. 14,12: "Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich
vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen", aber
im Allgemeinen begnügt er sich mit der Beschreibung des Modells) – all die
Attribute zukommen, die von Jesus ausgesagt werden. Und das gilt auch von
Aussagen wie: "Ehe Abraham wurde, bin ich" (8,58).
Das Modell wird nicht immer da sein, aber das, was das Modell gezeigt hat, wird immer da sein, der Beistand,
"der Geist der Wahrheit" (14,16.17). Und die "Wahrheit" ist
nicht der Inhalt irgendwelcher Verträge, auf die wir uns vielleicht
verpflichtet haben (etwa ein Glaubensbekenntnis oder eine Moral), sondern
ausschließlich das, was jetzt der Fall ist. Und jetzt glaube ich vielleicht
nicht. Das ist dann die Wahrheit. Alles andere ist Lüge. "Der Geist der Wahrheit" ist unser
Beistand in Abwesenheit des Modells – sagt Johannes. Ein ziemliche Zumutung,
nicht?
Worauf beruht die Aussage des Johannes? Darauf, dass es ein Dogma gibt –
etwa, dass Jesus der einzige Sohn Gottes ist?
Die Wahrheit kann nur dann ein Beistand sein,
wenn wir schon von Natur aus so gebaut sind, dass die Schwierigkeiten, in
die wir geraten, Kräfte in uns mobilisieren, von denen wir vorher keine Ahnung
hatten – dass also in uns die ursprüngliche Kraft wirkt, die die ganze Welt ins
Dasein gerufen hat, dass wir also, gewissermaßen Ausläufer dieser Kraft sind,
wo sie doch in uns wirkt – in der Sprache der Bibel: dass wir echte Kinder
Gottes sind. Und das bedeutet, dass Jesus nicht das einzige ist.
Das Bild des Johannes vom
Weinstock, der Jesus ist (15,1–17),
stimmt mit dem Bild vom Modell überein. Der Vater der Winzer, er kreiert und
pflegt; wir sind die Reben, die Frucht, das Ergebnis der Arbeit des Modells –
und dann werden wir natürlich selber Modell. Die Arbeit soll ja weitergehen.
Jesus sah auch schon vorher, dass die Dogmatiker mit dieser Art, die
Dinge zu regeln, nicht einverstanden sein würden: "Sie werden euch aus der
Synagoge ausstoßen, ja es kommt die Stunde, in der jeder, der euch tötet,
meint, Gott einen heiligen Dienst zu leisten." (16,2) Das bezieht sich mit
Sicherheit nicht nur auf die Zeit, in der die Christen eine jüdische Sekte
waren, von der sich "die Juden" befreien wollten.
Und dann kommt das berühmte:
"Noch eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich nicht mehr, und wieder eine
kurze Zeit, dann werdet ihr mich sehen." (16,16) Die Schüler Jesu haben
Jesus zwar gesehen, aber sie haben ihn nicht wirklich gesehen. Gerade vor jener
Bemerkung hatte ihnen Jesus (nach Johannes) schon gesagt, dass der Beistand
nicht kommen würde, wenn er bei ihnen bleiben würde (16,7). Erst durch seinen Tod, d.h. durch die
Wahrheit, die sein Tod für seine Schüler darstellte – und das ist nicht die
Tatsache seines Todes, sondern ihre Verzweiflung, ihr am Ende sein, ihre
Kapitulation – konnten sie ihn nun endlich wirklich sehen.
Und so war das Grab dann "leer" für sie (20,1–10). Und während sie sich aus Angst selbst eingeschlossen hatten (20,19), zeigte "er" sich ihnen. Das heißt, "der Beistand" zeigte ihn ihnen. Und er zeigte ihnen seine Wunden (20,20). Er zeigte ihnen das Modell, zu dem sie von diesem Augenblick an selber werden sollten. Deshalb sagt Jesus in diesem Bild nun zu ihnen: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch" (20,21).
Der ungläubige Thomas erhält eine Extravorstellung. Der gute Hirte geht den Verlorenen nach. Das ist das Modell. Und als Thomas erkennt, wie weit die schöpferische Kraft geht, um ihn zur Einsicht zu bringen, dass sie ohne weiteres ihre wertvollste Erscheinung auf Erden (Jesus) opfert, um ihn (Thomas) zum Mitfühlen zu bringen. Da schmilzt der Panzer, mit dem er seinen Schmerz bis zu diesem Augenblick zugedeckt hatte, und er sieht, wie Geringes ihn dazu gebracht hatte, sich zu verweigern. Nun aber ist aller Widerstand zusammengebrochen und er kann nur eines sagen: "Mein Herr und mein Gott" (20,28). Und das sagt er nicht zu dem Menschen Jesus, er sagt es auch nicht zu der Erscheinung dieses Augenblicks, er sagt es zu der Kraft, durch deren Erscheinung in Form von Jesus diese Verwandlung jetzt in ihm bewirkt worden war.
Auch ist die Aussage von Thomas keine dogmatische Aussage über die eigentliche Natur von Jesus im Unterschied zu unserer eigenen Natur. Das wäre ein Missverständnis. Denn auch wir sind zu einhundert Prozent Erscheinungen jener Kraft. Wir sind uns dieser Tatsache nur nicht in dem Maß bewusst, in dem Jesus sich dieser Tatsache bewusst war. Und das macht den Unterschied. Es geht aber auch nicht um die Frage, ob Jesus deshalb besser war. Wir können seine Nachfolge erst antreten, wenn wir bereit dafür sind – dann aber werden wir sie antreten, ohne Ausnahme. Das haben die Beispiele der Apostel gezeigt. Das gilt auch für uns.
Wer berühren kann
(4. 5. 2001)
Der folgende Text ist sehr persönlich und vollkommen
ungeeignet für alle, die an vorgeprägten Begriffen haften. Aber solche, die
ohne fixe Vorstellungen bereit sind, bis auf den Grund zu folgen, werden in ihm
genau das finden, worum es geht.
Aus tiefsten Tiefen rufe ich
zu Dir:
Liebster Jesus – wo bist Du –
bitte zeig mir Deinen Weg!
Berühren kann ein Mensch nur so weit, so weit er den Schmerz des Berührten fühlen und ertragen kann. Deshalb können so wenige Menschen andere wirklich tief berühren.
Liebster Jesus! Er war bereit, diese Schmerzen wirklich zu tragen, deshalb konnte er so tief berühren. Deshalb konnte er sogar Tote aufwecken, denn er ging ihnen nach in den Tod; er nahm ihnen ihre Last und holte sie zurück. Und denken wir nur – was für ein tiefer Schmerz es sein muss, der einen Menschen in den Tod holt!
Zeig mir deinen Weg! Ich bin immer noch mit meinen eigenen Schmerzen beschäftigt, zunächst sogar noch damit, sie zu leugnen. Wie könnte ich da andere berühren? Ich kann schon einige berühren, aber eben nur die, deren Schmerzen ich bereits jetzt ertragen kann und nur so weit ich sie ertragen kann. Wenn ich sie so weit berühren möchte, dass sie heil werden, muss ich schon noch mehr ertragen können.
Deshalb das, was die Japaner "Katsugen" nennen, das ehrliche Hineintauchen in die eigene Gegenwart und da auch in den eigenen Schmerz. So tief eintauchen, dass wir auf den Tod stoßen, vielleicht in Form des Tods eines Angehörigen, den wir sehr gern hatten. Was war das für ein Schmerz, der ihn/sie getötet hat? Er berührt doch uns auch. Also lassen wir uns berühren! Was war der Schmerz des kleinen Kinds, das sich noch nicht wehren konnte gegen die erwachsene Übermacht! Fühle ihn nach bei Dir selbst. Das kleine Kind ist ja noch da. Du bist es doch. Du bist darauf aufgebaut! Wie willst Du Dich selbst verstehen, wenn Du Deine Grundlage nicht verstehst? Es geht nicht um den Splitter oder den Balken in irgendjemandes Auge, es geht um Deinen eigenen Schmerz, der Dich verhärtet hat. Geh zurück zu ihm und lass Dich erweichen von Deiner eigenen Wirklichkeit. Dann kannst Du die Wirklichkeit eines Anderen fühlen.
Deshalb – liebster Jesus, wo bist Du? Du selbst bist dieser Jesus, das tief fühlende Du. Deshalb berührt er Dich, weil Du selbst es auch bist. Du bist doch auch ein Teil des Ganzen. Warum solltest Du das nicht fühlen, was das Ganze fühlt, das doch jedes Detail von sich kennt, ja ist.
Deshalb, Jesus, Du bist der ewige Sohn, der ich dann auch bin.
Deshalb – liebster Jesus, wo bist Du, bitte zeig mir Deinen Weg!
Ich hab es noch nicht ganz begriffen, deshalb, bitte zeig mir Deinen Weg.
Ist doch klar, was der Unterschied ist zwischen Jesus und mir und ist auch klar, dass Er schon da ist, er ich, ich er, noch nicht ganz zum Bewusstsein gekommen, aber immer schon da, von Anfang an! Liebster Jesus, es gibt nichts Lieberes, als das, das Du warst und bist in mir und in allem, Du, der alles erträgt, der nicht aufhört, sich zu verschenken.
Dein Schmerz führt Dich hin zu ihm! Dein Schmerz führt Dich hin zu Dir! Denn Du bist es jetzt – nicht mehr Jesus. Er ist nur Dein geistiger Führer – zu Dir selbst. Wenn Du angekommen bist, bist Du wie er! Und er ist nicht mehr separat, sondern Du und er sind eins. Du bist es jetzt. Du musst es jetzt tun. Du musst jetzt die Menschen berühren, wie er es damals getan hat. Das ist alles.
Deshalb: Gelobt sei Jesus Christus, in Ewigkeit. Amen. Du (Leser)! Berühre nun!
Das einzig Unbedingte im
Christentum:
Der Geist
(9. 5. 2001)
Das Unbedingte im Christentum ist nicht ein historisches Datum der Vergangenheit. Wäre es das, so wäre es nicht das Unbedingte (vgl. Lao-tse, 1). Das Unbedingte kann daher nur Gegenwart sein oder es ist nicht.
Entweder ich erfahre es jetzt – oder ich erfahre es nicht.
Was immer ich in der Vergangenheit erfahren haben mag, es ist nichts, wenn es nicht jetzt da ist.
Lebendig ist nur der Geist und der ist nur da im Jetzt. Er lässt sich nicht konservieren, nicht konkretisieren, nicht objektivieren, obwohl er als solcher unmittelbar erkennbar ist für einen Menschen, der in ihm ist.
Ein Mensch im Geist ist inspiriert. Er handelt nicht aus sich, sondern aus dem Geist – oder aus dem "Vater", wie Jesus es für sich sagte (Joh 5,19; 7,16; 8,23d). Es ist unvorhersehbar, wie er handeln wird (Joh 3,8).
Das Unbedingte ist dieses.
Es ist unfassbar.
Es lässt sich in keine Bahnen zwingen. Es lässt sich nicht wiederholen. Es lässt sich auch nicht in Sätze bannen. Und logischerweise auch in keine Institutionen. Es gibt aber Menschen, die ihm folgen, genauer: denen es erlaubt, ihm zu folgen. Es sind Menschen, die erkannt haben, dass sie nichts sind, dass alles, was sie sind, ES ist. Diese Menschen sind "wiedergeboren aus dem Geist".
Wiedergeboren bedeutet "zuvor gestorben". Der [sich als "Ich" vom Ganzen separierende] Mensch, der vor der Wiedergeburt da war, ist nicht mehr da, der Geist [des Ganzen] ist jetzt da.
Bei anderen Menschen ist der Geist manchmal da, manchmal sind sie selbst da und zu diesen Zeiten kann der Geist nicht zum Zug kommen. Aber wenn der Geist am Zug ist, ist der Mensch, den er zieht, nur Zeuge, nicht Täter. Und dieser Zeuge erkennt – da er doch vom Geist in diesem Moment vollkommen bestimmt ist – den Geist überall, wo er wirkt. Und er durchschaut alles Geist–Theater.
So habe auch ich schon einiges Geist–Theater gesehen und ich sehe es immer wieder und ich bin schockiert über die Geistlosigkeit in theologischen Schriften, wo es um Abgrenzungen, Ausgrenzungen, Definitionen geht und wo man den alle Grenzen überschreitenden Fluss des Geists verbietet.
Was ist Geist?
Die Übereinstimmung (des Einen, in dem er gerade sichtbar wird) mit dem All,
mit diesem Rhythmus,
mit diesen Zügen.
Dieser stets schwingende Geist ist immer da. Ich stimme mich ein auf ihn, indem ich zurücktrete und das mit ihm Schwingende in mir schwingen lasse.
Das andere "unabdingbar für das Christentum" Genannte, beispielsweise die Behauptung, dass in Jesus in letztgültiger Weise Gott selbst auf der Erde erschienen sei, dass logischerweise deshalb Mohammed nicht das "Siegel der Propheten" sein könne oder dass der Buddhismus deshalb nicht in vergleichbarer Weise göttlichen Ursprungs sein könne wie das Christentum etc., entspringt nicht der Inspiration. Es mag dem entspringen, was nichtinspirierten Menschen als „pastorale Sorge“ erscheint, in Wirklichkeit aber ist es die Angst des Ich, das eben nicht sterben will, das sich dem Geist eben nicht anvertrauen will, das sich eine Sicherheit schaffen will, die eben nicht die Herrschaft des Geists, sondern die Herrschaft des Misstrauens dem Geist gegenüber besiegelt.
Von Inspiration dagegen zeugt der Satz Jesu: "Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns" (Mk 9,40). In diesem Geist ist ein „Großinquisitor“ nicht möglich. In Zusammenhang mit dem Misstrauen des Großinquisitors und mit der Angst seiner Klienten sprechen andere von "bürgerlicher" oder "kleinbürgerlicher" oder "spießbürgerlicher" Einstellung, von der Herrschaft "der Gesellschaft" etc. - weil sie den Grund für diesen Zustand nicht bei sich selber suchen, weil sie die Schuld an ihrer Angst lieber anderen geben wollen.
Die Festhaltenden suchen immer irgendwelche Schuldigen und ein Kriterium, an dem sie alles messen und beurteilen können. Aus dem Festhalten erstehen Dogma und Moral. Der Geist wird ersetzt durch ein System von genau abgestuften und definierten Kategorien und Unterscheidungen. Ähnliches geschieht beispielsweise natürlich auch in der Kunst, wo nicht wenige sich „Künstler“ nennen, obwohl sie nur Muster nachahmen und Inspiration gar nicht kennen.
Der Geist aber ist unabhängig von allen Mustern, Methoden und Kategorien und auch von aller Religion. Das bezeugen Menschen wie Gandhi, Nelson Mandela, die Zen–Meister und viele, die ohne jede Religion auf die Wirklichkeit des Geists gestoßen sind.
Sie werden sagen: Warum hat nicht schon Jesus diese Dinge so gesagt?
Jesus hat bereits viel ganz ähnlich gesagt, beispielsweise in seinen Aussagen Nikodemus gegenüber oder in seiner Antwort auf die Frage der Samariterin am Jakobsbrunnen nach den richtigen Heiligtümern, die natürlich für die heutigen Kirchen und ihre Alleinvertretungsansprüche höchst aktuell ist: „Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. ... Die wahren Anbeter werden den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ (Joh 4, 21.23).
Mehr konnte er damals nicht sagen, es lag nicht im Bereich des in seiner Zeit und Kultur Ausdrückbaren. [Wenn Sie so wollen: Es gab noch kein "morphologisches Feld" dafür]. Genau davon aber hat Jesus selbst bereits gesprochen, als er auf die veränderten Bedingungen seit der Zeit der Propheten hinwies: „Amen, ich sage euch: Viele Propheten und Gerechte haben sich damals danach gesehnt zu sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört“ (Mt 13,17) und in die gleiche Richtung geht sein „Euer Vater Abraham jubelte, weil er meinen Tag sehen sollte.“ (Joh 8,56). Jesus würde jubeln, wenn er unsere Tage sehen könnte und ihre Möglichkeiten für ein religionsunabhängiges, menschheitliches Verständnis der Spiritualität! Erst jetzt, wo unsere gegenwärtigen, globalen "historischen Bedingungen" gegeben sind, kann es so gesagt werden. So haben jede Zeit und jeder Raum ihre "Wahrheit", die sich später und anderswo dann als verzerrt und unvollständig herausstellen mag – zu ihrer Zeit aber hat sie genau gepasst.
Das Unbedingte als solches [und damit "die Wahrheit" an sich] gibt es daher, wenn überhaupt, für uns nicht. Für uns sind Botschaften des Geists immer bedingt durch die Gegebenheiten, in denen er sich ja ausdrücken muss, wenn er nicht nur zu sich selbst sprechen will. Unbedingt und direkt dagegen ist unser unmittelbares Erleben des Geists, das aber als solches nicht mitteilbar ist.
Und somit ist klar, dass es auch keine ewig gleich verstandenen Dogmen geben kann. Die Idee dazu entspringt nur dem Wunsch nach Sicherheit im Ich oder, anders gesagt, der Nichtbereitschaft für das ständig Neue und Unvorhersehbare des Geists („der Wind weht, wo er will“, Joh 3,8). Die Idee des als unveränderlich gesehenen und damit definierbaren Unbedingten entspringt letztlich dem Ungehorsam.
Der Geist, so scheint es nach dem, was wir beobachten können (denn Aussagen über ihn selbst können wir ohnehin nicht machen), erzeugt jene Schwingung, die alles ins Dasein ruft und die es in ständiger Neuschöpfung weiterentwickelt und dann wieder zerstört, um wieder Neues daraus hervorgehen zu lassen. Das betrifft natürlich nicht nur die Evolution bis zu unserem Körper, sondern auch unsere eigene gegenwärtige Existenz, unsere Ideen und unser Verstehen. Auch da ist es ja der Geist, der alles ständig neu macht, alles Neue jeweils aufbauend auf das Alte, das den Prozess aber nicht überlebt.
Im Grund ist der Geist daher in jeder Hinsicht unser ewiger Ahn und damit natürlich unser „Vater“ in jeder Bedeutung des Worts.
„Vater“, „Sohn“ und „Heiliger Geist“ sind daher nie getrennt, sondern das eine ist ständig überhaupt nur in dem anderen da, es gibt sie nicht „an sich“. In uns finden sie sich – und für uns finden sie sich nur in uns. Alles außerhalb sind nur Spuren, die uns am Ende aber (wenn wir den Weg verloren haben) zu dem zurückführen können, was immer schon in uns war [vgl. die Zengeschichte „Der Ochs und sein Hirte“]. Das außerhalb (z.B. Religion oder Bibel, aber auch alles andere) kann das in uns zum Schwingen bringen, was uns unsere Beziehung zu „Vater“, „Sohn“ und „Heiligem Geist“ bewusst macht. Und dann wissen wir uns jenseits aller Vorstellungen wieder eins und je nach dem, was unsere momentane Situation verlangt, können wir unter Umständen tief in den Vater schauen oder in den Geist oder in den Sohn (in allen seinen Erscheinungsformen, besonders aber in uns selbst). [Das ist das Erlebnis, das Schleiermacher (und auch Thomas von Aquin?) „Anschauung“ nennt].
Weil Jesus sich seiner Sohnschaft so sehr bewusst war, kann er die Sohnschaft in uns so gut zum Schwingen bringen, dass wir uns ihrer ebenso bewusst werden. Dann ist der Geist da. Wenn wir uns unserer Sohnschaft nicht bewusst sind, sind wir „auf uns selbst“ gestellt, also auf unsere separate Perspektive, auf unser Ich. Und diese Perspektive schmerzt. Etwas Wesentliches fehlt – so viel kommt uns gelegentlich zum Bewusstsein. Wir sind daher oft wie getrieben, wir machen dies und das und tausend Dinge, und glauben, wenn wir das alles dann erreicht hätten, würde uns nichts mehr fehlen – aber natürlich fehlt es dann immer noch.
Die einzige Möglichkeit, das Fehlende zu finden, ist, stehen zu bleiben und das Fehlen des Fehlenden zu fühlen, uns von dem Schmerz ergreifen zu lassen und in dem Schmerz die Sehnsucht zu fühlen und in der Sehnsucht die Richtung, nämlich die Bitte, und in ihr die Bereitschaft, einem Anderen, einer anderen Instanz in uns zu erlauben, die Kontrolle zu übernehmen und uns zu führen zu der unerschöpflichen Quelle der Kraft, die dann aufsprudelt und uns mitreißt in die Höhen und Tiefen ihrer Wirklichkeit.
Da erfahren wir den Geist, der uns in diesem Augenblick zu ganz neuen Menschen gemacht hat, die nämlich jetzt nicht mehr auf sich gestellt sind, dafür aber auch Diener ihrer einzigen, unvergänglichen und doch nie endgültig formulierbaren Wahrheit.
Von da an wissen wir, was fehlt, wenn es fehlt. Wenn es fehlt, haben wir uns wieder auf uns selbst gestellt. Dann ist es Zeit, innezuhalten, und den Schmerz zu fühlen und uns dann von unserem „Original-Betriebssystem“ durch die „Installation“ führen zu lassen und die beginnt immer mit der Deinstallation des beschränkten Betriebssystems, die vielfach auch „Tod des Ich“ genannt worden ist. Im Original-Betriebssystem sind wir nie allein. Dafür müssen wir uns da dann eben auch um die kümmern, die glauben, sie wären allein. Das ist dann selbstverständlich.
Wir können dann mit-fühlen, wie es ist, wenn ein Mensch den Geist nicht wirken lässt, weil er sein Leben allein bestimmen will, weil er eben selbst sein will wie Gott – und wir fühlen auch die Kehrseite, dass er dann nämlich in Wirklichkeit nur „nackt“ ist (Gen 3,7), also vollkommen ungeschützt.
So lange sie ungebremst rennen, merken sie es nicht, aber dann, wenn sich die Folgen einstellen, die aus der einseitigen Grundeinstellung erwachsen, nämlich Schicksalsschläge jeder Art (biblisch gesagt „die Wehen“, die dem Gericht vorangehen) – womit ich nicht sagen will, Schicksalsschläge seien ein sicheres Zeichen einer falschen Lebenseinstellung, das sind sie nämlich nicht, nur der Betroffene kann es am Ende wissen – wenn der Schmerz also an die Tür klopft und gehört werden will, dann wird der auf sich gestellte Mensch zunächst noch wahnsinniger laufen, um diese vermeintlichen „Fehler“ zu korrigieren, aber irgendwann, wenn er nicht freiwillig stehen bleibt [hier ist der Ort des Sabbatgebots!], wird „das Schicksal“ ihn zwingen, anzuhalten und wenn es den physischen Tod dazu braucht. Dann erlebt der betreffende Mensch den biblischen Weltuntergang. Was vorher kommt, sind die Klopfzeichen oder die warnenden Hinweise des Original-Betriebssystems, nicht einfach weiterzumachen, sondern eben innezuhalten und zu schauen und zu fühlen, was jetzt da ist, sich ergreifen zu lassen von dem Bewusstsein der eigenen Realität, also von der schmerzenden Wahrheit. Wenn wir uns so ergreifen lassen und uns durch den Prozess der Deinstallation und der Neuinstallation führen lassen, zwischen denen für eine Weile „auf dem Bildschirm nichts zu sehen“ ist, wo wir also wirklich unseren Tod erleben, dann kommt „das neue Leben“, von dem wieder die Bibel ohne Ende spricht.
Und in diesem neuen Leben brauchen wir keinen Tempel mehr, denn da sagt uns der Geist direkt, was wir zu tun haben. Wieder sagt beides bereits der Seher der Apokalypse (Offb 21,22; 22,5). Und weil sich die Bibel doch an Menschen richtet, die die Gnade des neuen Lebens noch nicht erfahren haben, heißt es dort am Ende: „Amen, komm Herr Jesus! Die Gnade des Herrn Jesus Christus sei mit allen!“ (22,20f.)
Jesus ist der Archetyp des Bewegers [natürlich ist er nicht der einzige und sicherlich nicht der letzte]. Wenn er [oder ein anderer wie er] den Geist in uns nicht ins Schwingen bringt, brauchen wir die Apokalypse – die Offenbarung der Wirklichkeit, nämlich einer Wirklichkeit ohne selbständiges Ich und auch ohne Tempel, dafür aber einer Wirklichkeit voller Kraft: Überall nichts wie Bäume des Lebens und der Thron Gottes unter den Menschen! – Und seine Knechte werden ihm selbstverständlich dienen (Off 22,2f.)!
So ist es, wenn der Geist herrscht.
Und das ist das Unbedingte – nicht nur im Christentum.
(28. 5. 2001)
Dass die Kirche ihren Ursprung dem Geist verdankt, ist bekannt. So lange das neue Volk Gottes „ein Herz und eine Seele“ waren, war der Geist für alle offensichtlich da. Und das blieb eine gewisse Zeit lang so und darauf ist die heutige Situation zurückzuführen:
Weil am Anfang der Geist tatsächlich da war, glaubten die Funktionäre der Kirche irgendwann, den Geist gepachtet zu haben, eine Garantie darauf zu haben. Und diesen Glauben haben sie dann dogmatisch vorgeschrieben. Persönlich mögen sie es zwar anders wissen, aber zumindest den Mitgliedern wollen sie es glauben machen. Den Mitgliedern dagegen wird keinerlei Geist zugetraut. Man führt sie zwar zum Sakrament des Heiligen Geists, zur Firmung, aber jeder weiß – obwohl es niemand zugeben würde, dass das Ritual inzwischen nur eine nominelle Leerform ist, von Geist keine Spur, und heute meistens auch der letzte Kontakt der Mitglieder zur Organisation.
Da diese Tradition aber schon viele hundert Jahre lang in dieser Weise gepflegt wird, wundert sich niemand über die offensichtliche Abwesenheit des Geists. Die Organisatoren kennen es nicht anders und sie kennen den Geist meistens wohl überhaupt nicht persönlich, und falls doch, wissen sie die wohl unvermeidliche Enttäuschung darüber gut zu verbergen.
Auch zu den Zeiten der Bibel, also des alten Volkes Gottes, hat es immer wieder geistlose Zeiten gegeben. Die Folge waren immer katastrophale Lebensbedingungen für die Israeliten, Sklaverei, Gefangenschaft etc.. Unter diesen Umständen sind dann Propheten aufgetreten und haben unter Einsatz ihres Lebens versucht, die Mächtigen wieder an den ursprünglichen Bund mit der schöpferischen Kraft zu erinnern. Meistens ist das erst nach vielen Jahren intensivster Leiden für das ganze Volk gelungen.
Eine vergleichbare Situation war auch gegeben, als Mose dem Pharao gegenübertrat, um von ihm zu fordern, die Israeliten freizulassen. Die Pharaonen betrachteten sich zu dieser Zeit selbst als Träger des Geists. Und da trat Mose einem von ihnen gegenüber und behauptete von sich – ohne offizielle Legitimation – auch Träger des Geists zu sein. Logischerweise war der Pharao skeptisch – etwa in der gleichen Art skeptisch wie ein heutiger Kirchenfürst es wäre, wenn ihm ein nicht kirchlich legitimierter „Prophet“ mit diesem Anspruch gegenüberträte. Dieser wäre wohl noch skeptischer, weil er zusätzlich noch eine dogmatische Barriere zu überwinden hätte, nämlich den Glauben, dass die Amtskirche im Besitz der korrekten Interpretation der Offenbarung sei, dass also keinesfalls „von außen“ eine Korrektur erfolgen könne, weil „der Kirche“ – und damit meinen die Amtsträger ausschließlich sich – von ihrem Gründer doch eine unfehlbare Führung zugesichert worden sei.
In dem gleichen Glauben etwa fanden sich auch die offiziellen Vertreter der jüdischen Religion zur Zeit Jesu. Deshalb konnten sie seine, in vielem doch sehr unterschiedliche Sicht der Dinge nicht hinnehmen. Auch die Hinweise Jesu auf mögliche Fehleinschätzungen ihrer Lage (beispielsweise sein „... und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen Kinder Abrahams machen ...“, Mt 3,9) konnten sie nicht überzeugen. Ähnlich würden wohl auch heutige Kirchenvertreter es nicht zulassen, dass ein Außenseiter ihre Selbstsicherheit in Frage stellt. Im Laufe der Kirchengeschichte wurden derartige Außenseiter ja, wenn die Umstände dies zugelassen haben, genauso behandelt wie Jesus von der jüdischen Obrigkeit behandelt worden ist (so beispielsweise auch Jan Hus am Konzil von Konstanz, um nur einen von Unzähligen zu nennen). Dass genau das geschehen würde, hat Jesus logischerweise schon vorhergesehen: „Der Jünger muss sich damit begnügen, dass es ihm geht wie seinem Meister“ (Mt 10,25) und „wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15,20).
Das ist die Hürde. Mose konnte sie überwinden, indem der Geist die Plagen schickte. Jesus hat sie überwunden, indem er sich opferte. Wie es heute geschehen kann, ist noch unbekannt. Doch dafür arbeite ich. Es wird geschehen. Wir wenden uns daher jetzt der Situation zu, die gegeben sein wird, wenn wieder eine Vielzahl von Menschen vom Geist erfüllt sein werden:
Welche Organisationsformen wird diese neue Gemeinschaft geisterfüllter Menschen entwickeln? Und wie sehen die Übergänge aus von der gegenwärtigen Geistundurchlässigkeit zur Geistdurchlässigkeit?
Zunächst stellt sich die Frage, wie es sein wird, wenn alle dem Geist folgen. Eines ist klar: Da wird sich natürlich niemand mehr unterbuttern lassen. Jeder wird verlangen, gehört zu werden und jeder wird gehört werden. Aber wie soll das gehen?
An dieser Frage wird sofort deutlich, woran die jetzige Kirche krankt: Gehört werden jetzt nur die Oberen.
Viele Organisationen sind an diesem Leiden erkrankt. Ein Leiden ist es natürlich für die, die nicht gehört werden, aber Auswirkungen hat dieses Leiden auf den ganzen Organismus: Die Leute werden gezwungen, auszuwandern. Bei kommerziellen Unternehmen, die von dieser Krankheit befallen sind, stellen sich bald gravierende ökonomische Folgen ein: Die fehlende Kommunikation führt zu vielfachen Fehleinschätzungen und das treibt das Unternehmen in den Ruin. Die Mitgliederstatistiken der Kirchen in Deutschland etwa spiegeln diesen Trend sehr deutlich. Die Oberen glauben allerdings, die Ursache für die sinkende Nachfrage sei die allgemeine Abwendung von Religion und die Hinwendung zum Materialismus. Das ist jedoch nur ein Teil der Ursache. Andere spirituelle Bewegungen haben nämlich währenddessen eine sehr gute Konjunktur mit kontinuierlichen Zuwächsen.
Daher also noch einmal: Wie kann erreicht werden, dass die Unteren genauso gehört werden wie die Oberen, bzw. wie kann eine echte zwei-Wege-Kommunikation erreicht werden? Eine Möglichkeit ist die, dass die Konsumenten die Produzenten nur freiwillig für ihre Dienste bezahlen, wie auch sonst im Geschäftsleben. Dann würden sie nämlich nur zahlen, wenn sie genau das bekommen, was sie möchten und für Lieferungen, die nur den Interessen der Produzenten entsprechen, würden sie nichts bezahlen.
Das würde natürlich bedeuten, dass der kirchliche Haushalt entweder nach einer Gebührenordnung geregelt wird, etwa in Anlehnung an das alttestamentliche Muster, oder dass er allein aus Spenden bestritten würde – einschließlich der Kosten für Bauten und Renovierungen. So etwa könnte sich die tatsächliche Wertschätzung für die Dienste der Kirche zeigen. Aber das wäre natürlich noch keine Garantie für den Geist, denn die Leute zahlen auch gern für Illusionen. Und heute spielt beispielsweise auch der Gedanke der Denkmalpflege noch eine sehr große Rolle und das würde sicher auch Einiges einbringen völlig ungeachtet des Geists.
Die Entwicklung geht jedenfalls in Richtung größerer auch finanzieller Unmittelbarkeit. Der Rückgang der Kirchensteuereinnahmen wird rapide voranschreiten und dann vielleicht ein Umdenken in den kirchlichen Chefetagen nach sich ziehen. Deutliche Anzeichen sprechen allerdings dafür, dass sich der kirchliche Apparat auf die Plage der Geldverknappung hin ähnlich verhält wie ehedem der Pharao, der auf das Begehren des Mose hin auch zunächst die Lasten für die Sklaven noch erhöht hat. So werden heute beispielsweise durch die verstärkte Ernennung sehr konservativer Funktionäre etc. den kirchlichen Untertanen eher noch weniger einsehbare Moralvorschriften auferlegt, was natürlich die Kluft zwischen den Amtsträgern und den Laien noch vertieft und die Austrittsbewegung verstärkt. Ein Teufelskreis ist also bereits in Gang gesetzt. Die frustrierten Kirchenmitglieder haben die Hoffnung aufgegeben, dass sie gehört werden. Es gibt keine Instanz, an die sie sich wenden könnten. Ihre ablehnende Reaktion erschreckt die Amtsträger und diese werden in ihrer Angst noch engstirniger.
Wenn es nur darum ginge, die ja immer noch sehr mittelalterliche Organisation zu retten, könnte man sagen, es handelt sich dabei um ein sehr interessantes und deshalb schützenswertes Fossil. Aber dieses wird ohnehin in den entsprechenden archivarischen Einrichtungen dokumentiert bleiben, daher muss dem Monstrum niemand nachweinen. Bedauerlicherweise aber besteht die Gefahr, dass in der allgemeinen Abneigung gegen das Fossil auch der Inhalt verloren geht, den es zu vertreten vorgibt – ein Inhalt, der Menschen immer noch wirklich befreien kann, sowohl innerlich als auch äußerlich.
Deshalb noch einmal die Frage,
gibt es die Möglichkeit, dass sich die Verhärtungen auflösen, dass der alte
Panzer abgestreift wird samt seiner strukturellen Komponenten und dass die alte
Gemeinschaft Jesu wieder zu einer Geist-Gemeinschaft wird? Dann müssten die
Frustrierten aber von jemand repräsentiert werden [es bräuchte vielleicht eine
Art Gegenpapst, jedenfalls eine offiziell anerkannte kirchliche Opposition] und
diese Repräsentation müsste Anerkennung finden [etwa durch allgemeine Wahlen.
Alles Andere ist Stagnation in einer autoritären Phase.
Vieles von dem, was sich dafür ändern müsste, habe ich in den vorangegangenen Abschnitten bereits skizziert. Das Wichtigste ist sicher, dass das historisch Gewachsene in seiner Kontingenz gesehen würde und dass man darauf für die Zukunft nicht besteht, sondern es eher als eine (manchen willkommene, manchen unwillkommene) Art Zugabe betrachtet. Ganz ähnlich wie die Apostel ja auch im Apostelkonzil schließlich entschieden haben, das historisch Gewachsene des Judentums für die Zukunft nicht als verpflichtend zu betrachten. Vielleicht könnte das Ergebnis dann ähnlich der Art sein, wie der Unterschied zwischen Mahayana- und Hinayana-Buddhismus.
Offiziell (von Mayana-Seite aus) wird gesagt, der Unterschied bestehe darin, dass der Mahayana Buddhismus nicht (wie angeblich der [südliche] Hinayana-Buddhismus) nach Selbsterlösung strebe, sondern dass die Übungen nur den Zweck hätten, Menschen bereit zu machen, andere zur Erlösung zu führen. Tatsächlich unterscheiden sich die beiden Richtungen des Buddhismus aber vor allem dadurch, dass im [nördlichen] Mahayana – also im „großen Fahrzeug“ – der ganze Götterhimmel integriert ist und in dieser Hinsicht trotzdem ohne dogmatische Probleme koexistiert mit dem Hinayana [der südlichen Form des Buddhismus] – also dem „kleinen Fahrzeug“ – das ohne Mythos auskommt. Der bei uns sehr bekannte japanische Zen-Buddhismus rechnet sich zwar aus den genannten Gründen dem Mahayna-Buddhismus zu, er gehört aber der mythosfreien Richtung an, der Dalai-Lama dagegen ist auch dem Mythos verpflichtet. Jeder von beiden weiß, was der andere meint, und beide verstehen sich als authentische Fortführungen der Einsichten des Buddha, und es gibt keinen Anlass für Ausschlusstiraden oder Kampf gegeneinander.
Wofür ich also hier plädiere, ist eine Art christliches Hinayana. Und dafür gibt das „im Geist und in der Wahrheit“ Jesu selbst das stärkste Zeugnis ab. Und dass sich die Apostel gelöst haben, von den traditionellen Bindungen, denen Jesus sich noch verpflichtet fühlte, unterstreicht die Legitimität dieses Projekt. Vielleicht wäre es daher an der Zeit, dass sich die verantwortlichen Leiter kirchlichen Tuns den Gedanken an so eine Möglichkeit erlauben – und dass sie vielleicht Studien und Experimente in dieser Richtung aus ihrem immer noch sehr reichen Fundus fördern – es könnte letzten Endes ihr eigenes Überleben begründen.
Gehen wir daher noch einmal zurück zu den Anfängen: Damals wirkte der Geist durch „Glossolalie“ (also durch an sich unverständliches Geplapper) mit dem erstaunlichen Ergebnis, dass sich alle verstanden. Seit langem aber stört der Geist die Organisation durch andere Ansichten. Man versteht nicht. Man will nicht verstehen, denn – wer hätte dann die Macht? Jetzt glaubt man, nur „man selbst“ hätte recht, alle anderen hätten unrecht. Würde „man“ dem Geist folgen, so würde sich das unverständliche Geplapper des Anderen sofort als völlig verständlich herausstellen – natürlich vorausgesetzt, man ließe sich ein auf die Perspektive des Anderen, aus der „ES“ selbstverständlich so erscheint.
Unter solchen Voraussetzungen hätte der Papst am Ende keine Bedenken mehr, in einer Moschee das islamische Gebet mitzusprechen und dabei das islamische Glaubensbekenntnis von Herzen auch zu seinem eigenen zu machen, nämlich, dass es keinen Gott gibt außer dem Gott und dass Mohammed sein Prophet ist. Und mit den Buddhisten könnte er des „Erwachten“ gedenken und dessen Gedanken zu seinen eigenen machen. Und das Gleiche träfe zu auf jede echte Form von Religiosität. Das Kriterium wäre allein der Geist. Jede Zugangsweise ist gut, wenn sie zu ihm hinführt. Auf diese Weise können alle in gegenseitigem Respekt voneinander lernen.
Was ist das nur für eine seltsame Angst, man könnte „das Eigene“ verlieren? „Wer Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist meiner nicht wert“, sagte Jesus – also wer ist seiner dann Wert? Die Fundamentalisten haben immer Angst um das Eigene. Dadurch dass sie so sehr am Buchstaben festhalten, können sie nicht einmal erkennen, dass das wirklich Eigene von keinem Buchstaben getragen werden kann, dass sie daher in Wirklichkeit sich ständig selbst belügen.
Insofern als Jesus als einziges Kriterium den Geist zugelassen hat, ist er der Überwinder der Buchstabengläubigkeit, jedes Alleinseligmachungsanspruchs und sogar der Überwinder aller Religionen. Das war seine Botschaft an die Welt!
Psychologisch könnten wir jetzt noch fragen, warum die zufällig historisch gewachsenen Formen mit solchem Eifer als das „einzig Wahre“ verteidigt werden. Was ist der „Krankheitsgewinn“? Den Verteidigern der Sklaverei muss ja eine andere Belohnung in Aussicht gestellt werden, wenn sie es lassen sollen. Der Krankheitsgewinn ist die Bedeutung, die sie gewinnen durch die Identifikation mit einem unbezweifelbaren Gebilde. Ohne es wären sie nichts, durch es halten sie sich für unbezwingbar – ganz ähnlich wie die Fans berühmter Fußballmannschaften. Was also kann ihnen in Aussicht gestellt werden, dafür dass sie loslassen? Eigentlich nur, was Jesus den Menschen auch immer gesagt hat: Dass ihnen ihre Schuld (deren Unerträglichkeit sie einmal dazu führt, sie zu leugnen und dann noch dazu, ihr eigenes Herz für alles Andere zu verschließen) augenblicklich erlassen wird, dass sie von da an also frei sind: Geisterfüllte Menschen müssen nichts darstellen, sie müssen nicht gut dastehen vor den anderen, sie dürfen einfach sie selbst sein. So hat der Geist sie doch gemacht. Auch ihre Schwächen dürfen sein. Jeder hat sie doch. Das Verurteilen hat ein Ende.
Das Leben kann beginnen ......
Gemeinschaft im Geist
(5. 6. 2001)
Zunächst ist klar, dass es in einer Gemeinschaft von Menschen, die aus dem Geist heraus leben, keine Unterscheidung geben kann zwischen „Produzenten“ und „Konsumenten“, denn es gibt weder Produzenten noch Konsumenten, es gibt nur Werkzeuge des Geists – und solche, die es nicht sind; und die gehören in dem Sinn natürlich auch nicht dazu. [Das ist es, was Jesus meint, wenn er sagt: „Von zwei Männern, die in jener Nacht auf einem Bett liegen, wird der eine mitgenommen und der andere zurückgelassen. Von zwei Frauen, die mit derselben Mühle Getreide mahlen, wird die eine mitgenommen und die andere zurückgelassen“ (Lk 17,34f.). Zum Verständnis dieser Aussage ist es notwendig, sein wiederholtes „eine Stunde wird kommen – und sie ist schon da – wo ...“ auch hier mitzudenken. Jesus meint nämlich auch hier nicht irgendeine einzelne „Stunde“ irgendwann oder die Stunde des Weltuntergangs oder des Todes, sondern eben „die Stunde des Geists“. Das sind nämlich jene Momente, in denen sich „der Menschensohn“, also die Stimme der menschlichen Natur, meldet – und in denen der betreffende Mensch dafür bereit sein kann oder in denen er diese „Stimme“ eben nicht wahrnehmen kann, weil er zu sehr verwickelt ist in seine Vorstellungen.]
Logischerweise kann es daher in dieser Gemeinschaft auch keine äußerliche Mitgliedschaft geben.
Eine Taufe kann es aber trotzdem geben – als Tor des Eintritts, als Zeichen für die Entschlossenheit, den „Weg“ der Aufmerksamkeit auf jene nichtspektakuläre, leise Stimme zu betreten, die den Unterschied macht zwischen einem Menschen, der seine Ideen (seine Unterscheidung zwischen „gut“ und „schlecht“, die ja bekanntlich der „Sündenfall“ ist) auslebt und einem, der dem Geist folgt. Die Gemeinschaft derer, die sich in diesem Zeichen verbunden wissen, wäre die momentane Kirche, wenn sich deren Mitglieder wirklich in diesem Zeichen verbunden wüssten, was aber offensichtlich nicht der Fall ist. Kein Wunder also, dass Gemeinschaften von Wiedertäufern entstanden sind. Aber auch die haben natürlich keine Garantie, dass ihre Mitglieder nicht auch die Bedeutung dieses neuerlichen Zeichens vergessen. Wir können es also genauso gut bei der ersten Taufe belassen und beispielsweise die Firmung als jenen bewussten Akt betrachten. Nur ist inzwischen leider auch diese nur in den seltensten Fällen noch ein bewusster Entschluss, auf den Geist zu achten.
Da die Zeichen (die „Sakramente“) also derart entwertet sind, muss zwischen der juridisch gültigen Mitgliedschaft in einer Art Verein (der Kirche) und den Menschen unterschieden werden, die tatsächlich dem Geist folgen. Diese müssen natürlich nicht notwendigerweise aus der Mitgliedschaft einer Kirche stammen, es reicht, dass sie „die Stimme des Menschensohnes“ oder „die Stimme des Geists“ oder „die Stimme der Wahrheit“ (was das Gleiche bedeutet) wahrnehmen und ihr folgen.
Logischerweise sind die Direktiven der obersten Gremien der juridischen Organisation (also der Kirche) nicht bindend für die Menschen, die dem Geist folgen, sondern allenfalls bedenkenswert. Als bindend verstanden, würden diese obersten Gremien zu „fremden Göttern“ im Sinn des ersten der zehn Gebote. Umgekehrt müssten Anregungen „einfacher“ „Mitglieder“ natürlich auch bedenkenswert für die Mitglieder der obersten Gremien der Organisation sein. Andernfalls würden diese sich durch ihre Ignoranz selbst aus der Gemeinschaft mit dem Geist ausschließen.
Im letzten Fall bestünde ein Konflikt zwischen einem Tyrannen und dem Geist – etwa in der Weise wie der bereits beschriebene Fall des Mose vor dem Pharao oder der Fall Jesu vor dem Hohen Rat. Der Geist würde die Hilferufe der Unterdrückten sicherlich nicht ignorieren. Das ist ja die Botschaft der Bibel von Anfang an.
Falls sich der Geist in irgendeiner Angelegenheit innerhalb der Kirche nicht durchsetzen kann, weil das Gehör fehlt (weil der Stolz der Amtsinhaber zu groß ist), wird er sich außerhalb durchsetzen. Damit will ich nicht nur sagen, dass vergangene Kirchenspaltungen auf solche ungehörten Geistansprüche zurückgehen, sondern auch, dass der Geist völlig kirchenunabhängig zu jeder Zeit überall wirkt und überall Wege findet, sich durchzusetzen.
In unserer Zeit der Ausbreitung aller Religionen über den gesamten Erdball bedeutet das, dass eine „Gemeinschaft im Geist“ nicht unbedingt eine lokale oder eine überregionale „Gemeinde“ erzeugt, es gibt auch viele Individuen, die zu keiner Gemeinde gehören und die trotzdem dem Geist folgen. Außerdem unterscheiden sich auch viele der neu entstandenen überregionalen Gemeinden sehr von den „Diaspora-Gemeinden“ früherer Zeiten. Es könnten beispielsweise die individuell und verstreut lebenden Schüler eines bestimmten, weltweit agierenden Meisters sein – und ich meine hier nicht nur die Schulen irgendwelcher religiöser Orden oder Gurus, sondern jeder Art von Schule, die auf den Geist angewiesen ist, also auch Schulen jeder Art von Kunst oder Kampfsport etc.. Sie alle bemühen sich ja, ihr Leben in Einklang mit dem Geist zu bringen. – Darüber hinaus ist es nicht einmal auszuschließen, dass manche jener offensichtlich verrückten Selbstmordattentäter, die zur Zeit nicht nur in Israel für Aufregung sorgen, vom Geist dazu bewegt werden. Im Islam jedenfalls gibt es die Vorstellung, dass es so etwas wie diesseitig-Jenseitige gibt, also „verrückte“ Menschen, die nicht im normalen Sinn gesellschaftlich verantwortlich sind, sondern die unter „jenseitigem“ Kommando stehen und daher Dinge tun, die die „Normalen“ nicht wagen würden oder deren Geist eben nicht frei wäre für derartige Verrücktheiten des Geists. – Wir sehen schon, wie schwer es uns fällt, uns in so einem Fall an das Gebot Jesu zu halten und nicht zu urteilen.
Wenn wir den Geist bemerken wollen, müssen wir uns aller moralischen Urteile enthalten. Der Geist verhält sich nicht moralisch. Schon ein ziemlich oberflächlicher Blick ins Alte Testament macht das offensichtlich. Nur Dogmatiker stehen unter dem Zwang, für alles eine moralische Begründung zu finden. Aber wo ist die Begründung für den Betrug Jakobs an seinem Vater Isaak oder für die Ausrottung der Bewohner Kanaans oder dafür, dass David einen Mann umbringen lässt, um seine Frau zu kriegen? Die Wege des Geists sind, wie oft gesagt wird, ohne die Konsequenzen zu bedenken, unergründlich. Wer stets begründet handelt, kann daher dem Geist nicht folgen.
Die „Moral“ des Geists ist auch nicht die der „Menschlichkeit“, sie ist nicht wie die menschliche Moral. Lao-tse drückt es so aus:
„Höchste Tugend weiß von der
Tugend nicht; daher gibt es die Tugend. Niedere Tugend lässt von der Tugend
nicht; daher mangelt die Tugend ...“
und:
„Wahrlich: Wer den Weg verliert, ist nachher tugendhaft. Wer die Tugend verliert, ist nachher gerecht. Wer die Rechtlichkeit verliert, ist nachher sittsam. Wohl! Die Sittsamkeit ist eine Verkümmerung von Lauterkeit und Treue ...“ (Kap. 38)
Und:
„Himmel und Erde sind nicht
menschenfreundlich. Sie nehmen die zehntausend Wesen für Strohhunde.
Der Heilige Mensch ist nicht
menschenfreundlich. Er nimmt die hundert Geschlechter für Strohhunde.“ (Kap.
5)
Wenn die Aktivität des Geists auch nicht unseren moralischen Vorstellungen folgt, so hat sie doch eine beobachtbare Richtung: Es ist nicht die Richtung größerer Bequemlichkeit für alle und auch nicht die Richtung absoluter Gleichbehandlung aller und auch nicht die Richtung der Vermeidung allen Übels. Es ist die Richtung größerer Bewusstheit. Und da – auf dem Weg der Erfahrung der Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens – zeigt sich das, was die Bibel (und natürlich auch die Heiligen Bücher anderer Kulturen) uns von Anfang an zeigt: Das Eine hat die Welt aus sich hervorgebracht, weil es seine Fülle nicht für sich behalten wollte. Es hat sich geäußert, sich veräußert und damit etwas auf den Weg gebracht, das durch seinen Weg der Erfahrung seinen Ursprung entdeckt und in ihm den Weg zurück in die Einheit. Und dieser Weg zurück ist kein statisches Finden, sondern eben wieder der gleiche Weg, den das Eine genommen hat, der Weg der Äußerung, des sich Verlierens, des sich Verschwendens an das All – unter Benutzung des Alls. Deshalb doch ist Jesus das Zeichen, das über allen Zeichen steht, weil er „wie kein Anderer“ (nicht wörtlich, sondern symbolisch verstanden) sich verschwendete und sich verlor und damit sich auch fand wie kein Anderer. Das bedeutet seine „Auferstehung“, die ja wieder nicht wörtlich, sondern symbolisch zu verstehen ist. Deshalb „wird ihm ein Name gegeben, der über allen Namen steht“ – natürlich wieder nicht wörtlich, sondern symbolisch zu verstehen.
Und allen Menschen, die den Geist erfahren haben, ist das bewusst geworden, unabhängig von jeder Religion. Sogar im Voodoo beispielsweise geht es ja nur darum, nicht für sich zu leben, sondern sich zu hinzugeben. So gesagt, klingt es wie Moral. Es hat mit Moral aber nichts zu tun. Es ist ein Ergebnis der Erfahrung des Geists. Der Geist bewegt die Menschen, die er bewegt, in diese Richtung.
Ob Menschen, die dem Geist folgen, eine Gemeinschaft bilden, bzw. welche Form von Gemeinschaft sie entwickeln, hängt ab von ihrer Rolle im Ganzen – natürlich spreche ich vom Ganzen der Menschheit, in der es natürlich nicht darum geht, dass sich eine einzelne Religion allen anderen Religionen gegenüber durchsetzt, sondern dass überall, mit oder ohne Religion, der Geist erkannt und spürbar wird. Es gibt daher heute, wie schon angedeutet, Geist-Gemeinschaften, die nicht ohne weiteres als solche erkennbar sind. Und welche Form von Gemeinschaft ein vom Geist bewegter Mensch findet, unterliegt nicht seiner Wahl. Nach außen hin kann es auch oft so aussehen, als gebe es einen Widerspruch oder gar eine Konkurrenz zwischen solchen Individuen oder auch deren Gemeinschaften. Dieser Anschein entsteht nur aus den jeweils unterschiedlichen Aufgaben, die ihnen vom Geist zugewiesen werden. Der Geist möchte ja alle ansprechen, zu allen durchdringen, also auch zu allen Arten von „Gegnern“.
Gerade bei „Gegnern“ hat der Geist eine gute Chance, denn diese müssen auf ihrem Weg gegen den „mainstream“ ihr Bewusstsein ungleich mehr schärfen als „die Massen“, die oft nicht mehr wissen, wovon sie reden. Von der daraus entstehenden Unwahrheit rührt ja die Notwendigkeit ständiger Umstürze, die von den „Gegnern“ durchgeführt werden müssen – im Auftrag des Geists. Und je nach Bewusstheit erreichen sie die jeweils korrespondierenden Schichten des „establishments“, um diese zu den jeweils notwendigen Veränderungen zu bringen. So haben beispielsweise auch Kriminelle oder Drogensüchtige etc. ihre geistgemäße Funktion. Und sie haben ihre eigenen Gemeinschaften, in denen es jeweils auch um Hingabe geht. So wirkt der Geist ganz unterschiedlich und erzeugt die unterschiedlichsten Talente und Formen. In Wahrheit geht daher niemand verloren – nur – diejenigen, die festhalten, die alles und auch sich für sich behalten wollen, müssen leiden, weil der Tod (= das Leben) irgendwann allen alles nimmt. Der Geist arbeitet unentwegt daran, den Festhaltenden das Festgehaltene zu nehmen. Und er gibt es denen, die loslassen. Es ist daher allein entscheidend, nicht zu urteilen und einfach der eigenen Wahrheit folgend den eigenen Platz zu finden. Jede Moral ist eine Art Festhalten – es ei denn, sie würde bewusst und bewusst zeitweilig als Hilfe zum Loslassen benützt.
Der „Egoismus“, der überall als dem Geist entgegengesetzt betrachtet wird, ist nicht das etwas für sich erreichen wollen, es ist das sich festhalten an irgendwas, das sich nicht Hergeben. Dieses sich nicht Hergeben kann jedoch sehr gut auch als „Altroismus“ erscheinen. Der Geist will das nicht; er will den Fluss der Dinge, nicht die Stagnation. Der altroistische Koabhängige, der dem Süchtigen nicht die Stirn bietet, ist ein Diener der Stagnation. Er hält sich sogar für selbstlos. Er versteht nicht, dass es nicht darum geht, das Ego loszuwerden, es zu überwinden, sondern es sein zu lassen, es anzunehmen, sich anzunehmen, samt seinen Schwächen, in der ganzen Ekligkeit des eigenen Egoismus. Auch über sich nicht zu urteilen. Auch sich dem Geist zu überlassen, zu vertrauen, dass da eine größere Kraft am Werk ist, als unsere beschränkte Kraft und Sicht der Dinge. Die einzige Vollkommenheit, die es gibt, ist die des Geists, des Wunders seiner Hingabe und seiner Wege der Rückführung des scheinbar Verlorenen.
Wie können sich in dieser großen Weltgemeinschaft des Geists also die Kleinen durchsetzen gegen die Übermacht? Die Wahrheit ist der Leiter [im Sinn elektrischer Leitung] des Geists. Durch sie treibt der Geist alles zurück zu sich selbst. Die Wahrheit der Verzweiflung bleibt nicht unerhört. Deshalb ist der Wendepunkt immer der des Eingeständnisses der eigenen Ohnmacht, der Ausgeliefertheit – wem gegenüber? Immer der Kraft gegenüber, aus der alles hervorgegangen ist. Wer glaubt, er sei irgendwelchen menschlichen Mächten ausgeliefert, bleibt im Reich des Festhaltens am ausschließlichen Glauben an die eigene Kraft – und damit im Reich der Paranoia. Wer sieht, dass es letztlich nichts anderes gibt, als diese größere Kraft, erfährt von ihr die Rettung – und wenn diese in dem Geschenk besteht, dass ein Mensch es sich erlauben kann, sein eigenes Leben hinzugeben. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auf meine Kapitulation immer genau die Hilfe kommt, die ich brauche. Und das Gleiche sehe ich überall. Der Geist gibt Kraft und Ideen und unerwartete Hilfe von außen. So können die Kleinen bestehen gegen jede Übermacht.
Und nun ist auch schon klar, wie die Geistgemeinschaft aussieht: Bunt wie das Leben, niemand ausschließend, womit ich nicht sagen will, dass nicht jemand, der mir mein Leben nehmen will, sein eigenes unter Umständen verwirkt hat. Niemand hat das Recht, mir mein Leben streitig zu machen. Logischerweise riskiert er damit sein eigenes.
Die Geistgemeinschaft ist daher kein eia-popeia-Land, sondern eben ein Land, in dem man sein Leben einsetzt, jeder auf seinem Platz.
Die Meinung, eine Geistgemeinschaft könnte eine Gemeinschaft sein, in der es nur Gutes gibt und nichts Schlechtes, ist nicht nur naiv, sondern dem Geist direkt entgegengesetzt.
Dass der Geist in der Kirche verlorengegangen ist, liegt, so weit das der Fall ist, daran, dass man genau das (nur Gutes) wollte.
Bei den Juden war und ist klar: Jeder Jude gehört dazu, egal wie gut oder schlecht. Niemand konnte ausgeschlossen werden. Erst durch die Ablösung (des Christentums) vom jüdischen Volk und durch die Notwendigkeit irgendeiner Art der Identifizierung ergab sich die fatale Möglichkeit, den Erzsündenfall in die neue Religion zu importieren. Der Erzsündenfall ist bekanntlich die Einführung der Unterscheidung zwischen „gut“ und „schlecht“, also die Einführung von Ausschließung, wodurch schon das erste Paradies verloren ging. Und auch das neu gewonnene christliche Paradies ging genau dadurch, kaum war es gewonnen, wieder verloren. Weil, wo und so weit man das Gute festhalten und das Böse ausschließen wollte, zog sich der Geist zurück und der Terror hielt Einzug – und dieser herrscht noch heute genau in diesem Bereich.
Also wie geht der Weg zurück ins Paradies?
So lange wir wissen, dass wir nichts wissen und dass wir ausgeliefert sind, gehen wir ihn.
Zwanghafte Wut loswerden
So etwas wie „Fehler“ gibt es nicht
Es gibt nur Handlungen, die nicht das erwartete oder erhoffte Ergebnis haben.
So etwas wie „Böse Menschen“ gibt es nicht
Es gibt nur Menschen, die böse sind, weil sie sich über irgendetwas geärgert haben. Und dann kann es passieren, dass so jemand eine erlittene Frustration an irgendwelchen Unbeteiligten auslässt. Und dann kann es geschehen, dass jemand, der begonnen hat, Frustrationen an irgendwelchen Unbeteiligten auszulassen, das immer wieder tut, weil er/sie sich im Innern auf Rache eingestellt hat.
Es geht ganz einfach: Das frustrierende Ereignis wird in der Erinnerung immer da sein. Daher auch die Möglichkeit eines Gedankens an Rache. Von simpler Ekelhaftigkeit bis zum Amoklauf ist dann alles drin.
Wer sich nicht stark genug fühlt für Rache, kann Wut in sich fühlen und sich vielleicht sogar selbst dafür bestrafen, dass er/sie nicht in der Lage ist, die Wut auszuleben und in aktive Rache umzuwandeln. Unfälle, Erkrankungen oder tiefe Depressionen können die Folge sein.
Von hier aus ist alles möglich.
Wer diese Wut oder diese Rachegedanken als Zwang empfindet und sie loswerden möchte, kann dafür einen Weg finden.
Wer diesen Gedanken Raum gibt, bei dem/der haben sie Raum und sie werden nach immer mehr Raum verlangen. Irgendwann sind sie dann so stark, dass sie die Träger dieser Gedanken völlig überwältigen. Das Ergebnis ist dann Krankenhaus oder Gefängnis oder Mord oder Tod.
Dass so viele Menschen ihre Wut wegen der einmal oder vielmals erfahrenen Verletzung auf andere projizieren und an diesen versteckt oder offen ausleben, ist der Grund für den Großteil des Leids in der Welt: „Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortwährend Böses muss gebären.“ Das hat Goethe wohl richtig gesehen, doch er scheint nicht gesehen zu haben, dass am Anfang dieser Kette gar nicht unbedingt etwas „Böses“ gestanden haben muss. Es genügt irgendeine kleine Frustration. Sehen wir uns nur die kleinen Kinder an: Wenn ihnen etwas nicht passt, schreien sie. Anders können sie sich am Anfang nicht ausdrücken. Später schlagen sie dann auch andere. Bei ihnen ist alles aber noch unmittelbar auf das auslösende Ereignis bezogen. Sie reagieren „böse“ auf jede Frustration und damit auch auf Ereignisse, für die niemand etwas kann. An ihren Eltern lernen sie dann jeweils, welche Reaktionen o.k. sind und welche nicht. Von Eltern, die voll sind mit Selbstmitleid, lernen sie dann, immer irgendwo anders eine Schuld für jeden ihrer Schmerzen zu sehen. Von da an wird die Kombination von Selbstmitleid und Beschuldigungen kultiviert und trainiert einschließlich des Gefühl der Berechtigung der Wut und des Selbstmitleids. Die Menschen tun dann irgendwann alles, um weiterhin glauben zu können, dass sie nichts dafür können, dass sie unschuldig sind an ihrem Schmerz, dass an allem Unglück irgendjemand anderer schuld ist.
Diese Situation ist die Basis für spätere psychische Erkrankungen jeder Art.
Es sind aber keine „Fehler“, es sind nur Gewohnheiten, die alles andere als erwünschte Ergebnisse bringen.
Wenn ein Mensch das bemerkt, gibt es einen Ausweg. Für diejenigen, denen es ums Verrecken nicht möglich ist, davon abzusehen, bei anderen die Schuld zu suchen, gibt es höchstens medikamentöse „Hilfe“, nämlich so etwas wie eine chemische Zwangsjacke, die diese Menschen auf ihre elementaren Funktionen beschränkt, so dass sie geistig nicht mehr in der Lage sind, zu projizieren. Die alte Zombie-Strategie der Afrikaner gibt es also jetzt im modernen psychiatrischen Gewand. Sie funktioniert immer noch – natürlich mehr schlecht als recht. Schade.
Für solche, die sehr an ihren eigenen Projektionen leiden aber, gibt es einen Ausweg: Sie können die ganze Verkettung der Ereignisse und ihrer Reaktionen darauf betrachten und erkennen, dass es ausschließlich in ihrer Macht steht, den Teufelskreis zu durchbrechen. Sie müssen auf den Genuss, den ihnen die Beschuldigung anderer gibt, verzichten und anfangen, sich nicht mehr als unschuldige Opfer zu sehen. Sobald sie erkennen, dass sie eben ihren Emotionen wieder erlaubt haben, hoch zu schwappen und ihren Projektionsmechanismus anzuwerfen, können sie zu sich selbst „Stop!“ sagen und im nächsten Augenblick ein neues Leben anfangen, indem sie nämlich den Zusammenhang zwischen dem vorangegangen Moment und dem nächsten durchbrechen. Indem sie in diesem Moment entscheiden, was sie jetzt tun, wechseln sie von der Opfer- in die Täter-Rolle. Und, ob sie wollen oder nicht, müssen sie nun die Verantwortung übernehmen.
Falls sie es nicht schaffen, sich zu lösen von der hochschwappenden Emotion, hilft (nur) „Kapitulation“ (Schritt eins von den „zwölf“ Schritten der „Anonymen“), also zugeben „ich schaffe es nicht“, verbunden mit der Bitte um Hilfe bei gleichzeitiger Überantwortung des eigenen Schicksals in die „Hände“ der Kraft, aus der alles hervorgegangen ist (Schritte zwei und drei).
Damit erübrigt sich jede Beschuldigung. Die innere Einstellung steht auf Anerkennung der Realität. Die Realität ist die der Unterlegenheit unter eine Übermacht. Die Übermacht ist die Welle von Emotionen. Durch das Zugeben dieser Unterlegenheit und das Abwenden der Aufmerksamkeit von der unzureichenden eigenen Kraft und das Hinwenden auf jene andere Kraft, aus der die ganze Welt hervorgeht, ist der Ausweg aus dem alten Teufelskreis für diesen Moment bereits geschafft.
Das ganze muss natürlich Zehntausende Male wiederholt werden, damit ein Mensch der Welt der Phantasie entkommen und für immer in die Welt des Tatsächlichen eintreten kann, denn die Gewohnheit, sich von den emotionalen Wellen überrollen zu lassen und damit den Eindruck von Unschuld zu behalten, ist ebenso Zehntausende Male eingeübt worden. Tatsächlich ist der Ausweg, was die Zeit betrifft, aber nicht so lange. Es kann schon in wenigen Wochen oder Monaten gelingen – je nach dem wie dringend es für einen Menschen ist. Es braucht aber in jedem Fall Geduld, die vielen Rückfälle auszuhalten und nicht aufzugeben. Oder doch lieber wieder hilfloser Spielball zwischen den Wellen sein? Oder lieber Zombie?
Es gibt nichts Böses, es gibt nur Interferenzen und mehr oder weniger angemessene Reaktionen darauf.
Gottes Willen erkennen
(15. 6. 2001)
Gottes Willen erkennen – und dann, wenn er erkannt ist, ihm folgen – ist die menschliche Lebensaufgabe. Darin besteht das einzig mögliche wirkliche Glück. Alles andere Glück sind Teilausschnitte, von dort geborgt. Insofern ist das Glück auch der Indikator der Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen.
Menschen, denen das Glück fehlt, stimmen auch nicht überein mit dem Willen Gottes. Das Glück, das ich meine, ist natürlich nicht die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard, sondern ein ganz anderes Glück, nämlich innere Übereinstimmung – und in ihr wirkliche Geborgenheit. Diese Geborgenheit kann nicht von außen kommen, kein Mensch kann sie uns geben, weil wir uns doch auf keinen Menschen wirklich verlassen können, weil doch alle Menschen unberechenbar sind, nicht nur weil sie ihren eigenen Willen verfolgen, sondern auch weil sie einen eigenen, ihnen vorher selbst unbekannten, und doch bestimmten Lebensweg haben. Aus diesem Grund ist selbst auf als verlässlich bekannte Menschen letzten Endes kein Verlass.
So beschloss beispielsweise Gandhi
plötzlich im mittleren Lebensalter, nicht mehr sexuell mit seiner Frau zu
verkehren. In unseren Breiten gab es vor Jahrhunderten das ganz ähnliche
Beispiel des Nikolaus von Flüe, der sich ebenso plötzlich von Frau und Kindern
trennte, weil er nun eine andere Aufgabe für sich sah. Ihre jeweiligen Frauen
waren von dieser Unzuverlässigkeit natürlich schwer betroffen. So ist das
Leben.
Niemand kennt seinen Lebensweg im Vorhinein, genauso wenig wie jemand seinen Tod kennt. Auf jeden warten Überraschungen; Unfälle geschehen, es gibt Naturkatastrophen, Krankheiten, Verbrechen, wirtschaftliche und politische Veränderungen, auf die ein Einzelner keinen Einfluss hat. Daraus können sich für jeden völlig unverschuldete Schicksalsschläge ergeben. Ihre Abwesenheit meine ich auch nicht mit jenem „Glück“, von dem ich sprach.
Niemand hat sein Leben in der Hand. Vieles gelingt natürlich und ich möchte nichts gegen das Streben sagen, im Gegenteil, es führt ja schon an das Ziel heran, also zu größerem Glück und größerer Übereinstimmung mit dem Willen Gottes. Schließlich will Gott von seinen Geschöpfen doch, dass es ihnen gut geht. Dazu sind sie ja da. Alles in ihnen ist darauf ausgerichtet. Ganz von selber ist es bei den Menschen, wie vor ihnen schon bei den Tieren und vorher bei den Pflanzen, ganz natürlich, nach dem Licht zu streben. Deshalb stimmt der Wille des Schöpfers von vornherein immer mit dem Willen des Menschen überein. Und deshalb möchten die Menschen von Natur aus den Willen Gottes erkennen, denn sie wissen, er ist ihr Wegweiser zum Glück. Und sie können diesen Willen Gottes tatsächlich erkennen, nämlich indem sie aufmerksam sind, auf die Welt, in der sie leben, und auf sich selbst und ihre eigenen Neigungen.
Die Auseinandersetzung zwischen den eigenen Neigungen und der Welt bestimmt nicht nur das Glück, sondern auch den Lebensweg. Wenn jemand sehr natürlich aufwachsen durfte – und damit meine ich natürlich nicht „im Urwald“ und noch weniger diejenigen, die sich für „natürlich“ halten, weil sie sich „biologisch“ ernähren – dann durfte er/sie seine/ihre Neigungen von Anfang an kennen lernen und er/sie kann das Glück schon früh kennen, wenn jemand aber in sehr rigiden Verhältnissen aufgewachsen ist, war eine wirkliche Wahrnehmung gar nicht möglich und dann wird ihn, so ungerecht das auch erscheinen mag, sein Schicksal so lange weiter vor den Kopf stoßen, bis er lernt, auf sich selbst zu achten.
Logischerweise wird das Schicksal gerade durch solche (natürlich völlig unverschuldeten) „Vor-Einstellungen“ bestimmt. Und zwar nicht auf irgendeine mysteriöse (zu Mythen Anlass gebende) Weise, sondern als natürliche Folge des jeweiligen Verhaltens. Das ist das viel berätselte „Karma“. Deshalb führen unter anderem die afrikanischen Schamanen alle Schicksalsschläge auf die intentionale Einwirkung von Familienangehörigen oder von Ahnen zurück – und deshalb kann eine moderne Therapieform diese Einsicht auch in unserer Kultur mit großem Erfolg benützen, nämlich das Familienstellen nach B. Hellinger.
Umso weiter (die von den Ahnen stammenden) Illusion und Nichtwissen gehen, umso weiter muss auch die anschließende [schmerzvolle] Desillusionierung gehen. Und diese Situation (also das Karma) ist, wie gesagt, nicht eine Frage von Verdienst oder von Schuld (auch nicht von Seiten der Ahnen). Es ist zunächst einfach ein Fakt, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, weil es unsere persönliche Realität ist. Erst wenn wir uns der Fakten bewusst sind, können wir eventuell verhängnisvolle Strömungen aus der Vergangenheit von uns abwenden, aber wir können die Verantwortung dafür zu keiner Zeit abgeben. Wir müssen die notwendige Leistung erbringen – egal ob wir sie „Schuld“ (eines Ahnen oder anderen Familienangehörigen oder eines anderen Menschen) oder sonst wie nennen. Diese eventuell störenden Fakten gehört eben zu unseren persönlichen Ausgangsbedingungen, die wir nur anerkennen, niemals aber erfolgreich leugnen können. Jede Leugnung würde sich rächen, weil der Einfluss doch da ist, im Fall einer Leugnung aber eben unbewusst, statt bewusst, und dadurch noch dazu unserem Einfluss entzogen.
Wenn ein Mensch seine ererbten oder erworbenen Illusionen durch eine Gemeinschaft von Anhängern der gleichen Illusion ständig erneuern lässt [einer Sekte, einer Partei, einem Gesinnungskreis], kann es sein, dass die Desillusionierung erst im Prozess des Todes erfolgt. Und doch bleiben natürlich auch in diesem Fall die Herausforderungen des Schicksals, die auf jene (unbewussten) Einstellungen zurückzuführen sind.
Wie viel Selbstbetrug jemand während seines Lebens aufrecht erhält, ist letzten Endes Sache der eigenen Entscheidung, die selbst aber zum Teil wieder bedingt ist durch die gegebenen Voreinstellungen, die gewisse Einsichten unter Umständen eben nicht zulassen. Deshalb heißt es in der Bibel wiederholt, Gott habe die Ohren gewisser Menschen verschlossen und deshalb heißt es, Gott erlege jedem genau so viel auf, wie er/sie tragen könne. Für manche ist es daher eine Gnade, dass es Betäubungsmittel gibt. Auch sie sind gottgewollt. Wer es nicht ertragen kann, sich das Grauen der eigenen Existenz anzuschauen, darf sich so lange betäuben, bis er es ertragen kann, die Wahrheit zu sehen – d.h. möglicherweise bis er tot ist. – Und das obwohl „das Grauen der Existenz“ selbst nur eine Illusion ist, die aber eben nur überwunden werden kann, wenn ein Mensch es wagt, sich diesem Grauen auszusetzen.
Wenn wir uns die Illusionen ansehen, in denen die Menschen leben, so sehen wir, was die Seher aller Zeiten immer schon gesehen haben: die Muster der Verbrämung – aber auch die Wege aus ihr heraus.
Zu den Mustern der Verbrämung gehören auch die dogmatischen Festlegungen der Religionen, die Umkleidungen ihres jeweiligen Mythos – natürlich nicht die Wahrheit dahinter. Die Wahrheit dahinter sind ja konkrete Menschen, die ein konkretes Leben führen oder geführt haben aus der Übereinstimmung, aus der Sensitivität sich selbst und der Welt gegenüber. Zu dieser Sensitivität sind sie gekommen, weil sie entschlossen waren, sich und die Welt ohne Vorurteile zu betrachten. Dadurch konnte sich der Spalt zwischen der Illusion und der Wirklichkeit verringern, bis diese Menschen sich nur noch genau auf der Linie beweg(t)en, auf der sie mit der Welt überein stimm(t)en. Gefragt, wie sie das machten, gaben sie Ratschläge, die eine vorurteilslose Öffnung erleichtern sollten. – Andere haben später aus diesen Vorschlägen unbedingt zu erfüllende Gesetze gemacht und damit die Öffnung wieder verschlossen.
Ursprünglich geht es einfach um Bewusstheit. Jede Technik, jeder Ritus, jede Vorschrift, jeder Glaube, der nicht in diese Richtung führt, entspricht den Intentionen der alten spirituellen Vorbilder nicht, sondern fügt den vorhandenen Verhärtungen nur weitere Schichten hinzu. Jede Technik dieser Art, jedes angebliche „Wissen“ verstärkt die Illusion, Kontrolle über das Leben zu haben, so sehr, dass daraus schließlich Vergewaltigungen und „Glaubenkriege“ aller Arten entstehen – die es natürlich nicht nur in den Religionen gibt, sondern auch in den Wissenschaften und in allen anderen Lebensbereichen.
Die Wahrheit ist: Niemand hat die Kontrolle. Wir Menschen können nicht bestimmen, sondern nur folgen. Im I Ching wird diese Tatsache symbolisiert durch das grundlegende Hexagramm II, die Erde, ihrem Sein nach dem Schöpferischen entgegengesetzt – aber gerade dadurch, wie es scheint, selbst schöpferisch, weil es der Schöpferkraft folgt. Die völlig offene Figur des Hexagramms zeigt, dass ein Mensch nur dann echt schöpferisch sein kann, wenn er sich der Tatsache bewusst ist, dass er/sie nicht der Schöpfer ist, sondern nur der Kanal des Schöpferischen.
Das biblische „Essen vom Baum der Erkenntnis von ‚gut’ und ‚schlecht’“ bezieht sich darauf, dass die Menschen dazu neigen, sich in die Illusion hineinziehen zu lassen, sie wären selbst die Schöpfer ihres Schicksals. Der Buddha sagt das mit seinen „vier edlen Wahrheiten“, durch die er zur Erkenntnis der Gier als Ursache des Leidens führen will. – Aber natürlich ist die Gier gleichzeitig eine der Triebfedern des menschlichen Lebens, eine schöpferische, göttliche Kraft. Sie führt uns zu unserer Auseinandersetzung mit der Welt. Es macht aber allen Unterschied, ob ein Mensch diese Triebfeder als solche einfach sieht samt ihren oft sehr schmerzlichen Folgen oder ob er sie (moralisch) beurteilt. Durch moralischen Druck kann sich diese Triebfeder in ein heimtückisches Monster verwandeln [wie im Fall rigoristischer Unterdrückungen], durch bewusstes sein Lassen dagegen [also nicht Bewerten] kann diese Triebfeder von selbst [unmanipuliert] eine andere Richtung gewinnen, eine heilsame Richtung. Dann kann es beispielsweise geschehen, dass jemand nicht mehr „keinen Ruhm“ möchte oder ohne „Ego“ sein möchte, sondern dass er den Ruhm, ohne ihn anzustreben, gleichsam in Kauf nimmt als Nebeneffekt der Erfüllung seiner Aufgabe. Jemand, der sich auf die Mitte seiner Sehnsucht konzentriert, wird durch das, was er da vorfindet, fähig, sich zur Verfügung zu stellen für die Nöte der Menschen. Bei ihm/ihr ist dann auch das [natürliche] Streben nach einer hervorragenden Stellung an seinem richtigen Platz – aber es kommt nicht an seinen richtigen Platz, wenn ich zu jemand sage: „Du darfst dich nicht in den Vordergrund stellen“ oder „Du musst dich zur Verfügung stellen!“ Die Erfüllung höchster Moral geschieht nicht durch den Willen, sie zu beachten, sondern [als Nebenprodukt] von selbst, sobald ein Mensch sich nicht mehr auf periphere Ziele, sondern auf die Mitte seiner Sehnsucht konzentriert. Da entdeckt ein Mensch das sich zur Verfügung Stellen als eine Quelle viel tieferen Glücks als das für sich haben Wollen.
Woher kommen diese Worte? Daher, dass die schöpferische Kraft sie in mir spricht. Ich soll sie mitteilen, was ich hiermit tue – von jedem Ruhm meilenweit entfernt, einsam in meinem Zimmer sitzend, weitgehend ausgeschlossen von dem, was gewöhnlich als „Glück“ gilt. Von den „Freuden des Lebens“ habe ich wie in Form eines Musterkatalogs einzelne Beispiel serviert bekommen aus allen Bereichen. Als ich nach Wiederholung oder nach der Fülle dieser Beispiele suchte, entzog sich mir das „Glück“. So hatte ich keine Wahl, als mich auseinander zu setzen mit dem, was „Glück“ eigentlich ist. Und dabei kam ich zu ganz ähnlichen Ergebnissen, wie die alten Meister und Propheten. Und daher befinde ich mich auf dem Weg, meinen Willen mit dem göttlichen Willen abzustimmen, den Spalt zwischen den Welten zu finden und mich in ihm zu bewegen. Ich bin noch bei weitem nicht so einfühlsam, wie ich es gerne wäre, aber ich weiß inzwischen, dass es Vollkommenheit auf dieser Welt ohnehin nicht gibt. „Was nennst du mich ‚gut’? Nur einer ist gut, nämlich Gott“, sagte schon Jesus.
Wir haben keine äußere Richtschnur. Wir haben nur unsere Wahrnehmung. Wir können nur ehrlich sein und dadurch auf Schritt und Tritt eben riskieren, in den Augen der anderen oder auch tatsächlich völlig daneben zu liegen. Das tiefste Risiko dieser Art ist Jesus eingegangen mit seiner Entscheidung (die, wie wir wissen, ja nicht seine war) für seinen Tod.
Wenn wir sicher sein wollten, indem wir einer Moral folgten, könnten wir letzten Endes auch nur wahr nehmen, wie weit diese Moral von der Wirklichkeit entfernt oder ihr nah ist. Egal also, welchem Weg wir folgen, ob gleich dem Weg der Aufmerksamkeit auf unsere innere Wahrheit oder dem Weg der Moral, also der Aufmerksamkeit auf eine äußerliche Verpflichtung, wenn wir ehrlich sind, müssen wir am Ende die göttliche Spur auf der Erde entdecken – und dann werden wir uns nicht mehr so viel einbilden auch auf das am besten Ausgedachte. Dann entdecken wir nämlich den Schöpfer in uns selbst. Und am Ende gibt es keine äußerliche Verpflichtung mehr.
Das gilt auch für die äußerlichen Vertreter eines in solchen Verpflichtungen definierten Weges. Es ist nur sehr schwierig, in solchen Positionen bei klarem Bewusstsein, und damit wirklich demütig zu bleiben und nicht berufsmäßig Demut zu spielen und damit zu lügen. Selbst eine gefühlt befolgte Solidarität mit denen in der Illusion (die wohl extrem selten zu finden sein wird, weil sie eine sehr hohe Bewusstheit voraussetzt) würde sie nicht entbinden von der aller Natur als primär auferlegten Verpflichtung zur Bewusstheit. Es gibt daher keine Entschuldigung für Unbewusstheit. In der Bewusstheit aber finden wir immer sowohl die Lösungen unserer Aufgabe, als auch unsere persönliche Wahrheit, und wir sehen, dass wir niemals selbst die Quelle der Weisheit sind, sondern im besten Fall „Kanäle“ (das wäre der heute entsprechende Ausdruck für das biblische „Sklave Jahwes“) für die göttliche Energie.
Von da an ist unser Schicksal in keinem Fall mehr Unglück, sondern von da an kommt aus ihm das wahre Glück für uns, von da an wirkt tatsächlich „die Hand Gottes“ in unserem Leben. Und so ist es dann keine Frage mehr, ob wir unser Schicksal annehmen. Indem wir seine Natur erkennen, wird es zu unserem Glück. Von da an wissen wir, dass wir gerade durch unser Schicksal geführt werden und in diesem Wissen sind wir geborgen – bis sich weitere Tiefen auftun, der Einsicht in den „Willen“ „Gottes“ und dessen, was es mit der schöpferischen Kraft überhaupt auf sich hat. Denn dann kann es mitunter auch notwendig werden, auf die Geborgenheit zu verzichten – im Extremfall so weit wie Jesus in dem Moment, als er sagen musste: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Jeder Schritt tiefer geht über eine neue Schwelle dieser Art. Eine Schwelle völliger Unsicherheit, völliger Ungeborgenheit, völligen Risikos. Das ist das, was mit „Glauben“ gemeint ist. Dieses Vertrauen. Dieses Sich Trauen. Dieser Sprung in den möglichen Tod.
Wer diese Risikobereitschaft nicht aufbringen kann, kommt auch nicht voran auf seinem Weg. Er bleibt Opfer, also etwas, das am Ende ausgeschieden wird. So ein Leben ist kein Glück. Und auch die Bewusstheit kommt nur durch diesen Sprung. Wer nichts wagt, kann nichts gewinnen. Das ist das Gesetz des göttlichen Willens, da Gott selbst diesen Sprung gemacht hat in die materielle Existenz, in das Nichtwissen, in die Unbewusstheit des Daseins in der Welt – und damit meine ich nicht nur jenen Menschen vor zweitausend Jahren, in dem sich dieser Mythos konkretisiert hat, weil er in einzigartiger Weise den Weg Gottes symbolisierte – ich meine Gottes uranfängliches sich Verschwenden und seinen Abstieg in die völlige Dunkelheit der materiellen Existenz, „in die Hölle“, wie es im christlichen Credo heißt. (Schon klar, dass hier jede Religion mit jeglicher „Gnosis“ versöhnt ist).
Der Weg des „Geschaffenen“ geht von der Unbewusstheit in die Bewusstheit und schließlich durch ein völliges sich Entäußern von jeder eigenen Individualität zurück in jene eine Bewusstheit, aus der alles in jeder Gestalt hervorgegangen ist.
Ein erster Schritt auf dem Weg in die Bewusstheit und gleichzeitig auch dessen Folge ist das Akzeptieren des eigenen Schicksals. Von da an nimmt die göttliche Führung eine andere Gestalt an. Jeder Fluch verwandelt sich in diesem Augenblick in einen Segen. Wer sein Schicksal dagegen nicht akzeptiert, wird fortwährend geschlagen – von den Kräften des Lebens (und seien es mobbende Arbeitskollegen). Wer sein Schicksal akzeptiert, kann es sich ansehen wie von außen und er kann sich darauf einstellen, so dass er den Platz findet, an dem er in Frieden sein kann – und mit diesem Platz meine ich nicht unbedingt einen festen Ort oder eine feste Stelle, sondern so etwas wie die eigene Rolle, die eigene Aufgabe im Gefüge der Welt, die, wie gesagt, insgesamt in Richtung Bewusstheit strebt.
Bewusstheit bedeutet logischerweise immer tiefere Abwesenheit von Eigensinn und immer größere Anwesenheit von „Sinn“ im Sinn von Wahrnehmung des Ganzen – nach innen und nach außen. Von innen kommt das Streben nach immer tieferer Zufriedenheit, nach Übereinstimmung, und außen ist das Übereinzustimmende, die Aufgabe. Durch die bewusste Konfrontation der beiden Pole entsteht ein Wunsch-Bild, ein Ideal, das den Ist-Zustand [teleologisch] transzendiert und in Richtung Bewusstheit befördert.
Dass die Bewusstheit sowohl Motiv als auch Ziel ist, ist Erfahrungstatsache all derer, die evolutionäre Schritte aller Art vollzogen haben, Künstler der verschiedensten Art, aller Bereiche des Lebens. Sie, durch die uns alle schönen geschaffenen Gestalten mitgeteilt wurden, wissen, dass nicht sie es sind, die irgendetwas schaffen, sondern dass es eine göttliche Kraft ist, von der sie sich benutzen lassen können – immer im Bewusstsein des Risikos des Todes und daher immer aufmerksam, trotzdem aber ohne Angst und voll Vertrauen.
Bevor ein Mensch sein Schicksal akzeptiert, lebt er in ständiger Angst – auch wenn ihm diese Angst nicht ständig bewusst ist. Diese Angst macht ihn schwach und anfällig für viele Arten von Angriffen. Das ist das „Fegefeuer“ des Lebens. Im günstigen Fall ist es das treibende Feuer, das berühmte „Feuer unterm Arsch“, das uns hoffentlich bald genug Antrieb gibt zu unserem eigenen Glück. Unter ungünstigen Ausgangsbedingungen treibt uns diese Angst aber in die Depression, aus der es nur einen Ausweg gibt, nämlich dass wir unsere hoffnungslose Lage wieder als solche wahrnehmen und dass wir den Schmerz wieder fühlen, der damit verbunden ist.
Im sogenannten „heilsgeschichtlichen“ Sinn verläuft die Entwicklung der Menschheit ähnlich wie im persönlichen Bereich, nämlich nicht als eine gerade aufwärtsstrebende Linie, sondern mit Einbrüchen, Rückschlägen, Rückfällen in die Unbewusstheit – etwa von der Art wie der Rückschlag für die Indianer durch die vergleichsweise unsensiblen europäischen Siedler in Nord- und Südamerika oder der Rückschlag für die ursprüngliche Bevölkerung Europas durch den Einbruch der Germanen ins römische Reich. Eine neue Synthese wurde jeweils notwendig. Der Evolutionssprung in Europa wurde [nach dem zunächst erfolgten Niedergang der Kultur] insbesondere durch die Auseinandersetzung mit dem Islam gefördert, der Europa als einzige andere Kultur ja zunächst [insbesondere als Träger der Kulturtradition der Antike, aber auch durch seine spirituelle Frische] geistig befruchtete und dann militärisch bedrohte und damit herausforderte. Heute erzeugt eine ähnliche Gefahr der Kulturverdunkelung durch die gegenwärtigen Völkerwanderungen einen neuen Evolutionsdruck, gleichzeitig aber bietet die universelle Erreichbarkeit aller Kulturen in der Welt, also die globale Kommunikation gute Voraussetzungen für einen neuen Sprung in die Synthese. Zum Glück müssen wir über diese Dinge heute außerdem nicht mehr in einer mythologischen Sprache reden, wie noch im Mittelalter. Wir können direkt darüber sprechen. Und so wird auch die Sprache der neuen Synthese keine mythologische mehr sein, sondern eine für alle direkt verständliche, also genau das, wonach sich Jesus und die Propheten, also die ursprünglichen Wegbereiter unserer Kultur, so sehr gesehnt haben.
Die Sehnsucht und ihr Ziel
(23. 6. 2001)
Ich stelle fest, ich bin unzufrieden. Mir fehlt etwas. Wie kann ich es erreichen?
Zunächst einmal muss ich natürlich herausfinden, was ich möchte und mich darauf gefasst machen, dass dieses Möchten wie eine Zwiebel mit vielen Schichten ist und dass die Schicht, die ich zunächst sehe, nicht unbedingt die ist, die ich auch wirklich essen möchte.
Also wie ist es zu bewerkstelligen, durch jene verwirrenden Schichten hindurch das wirklich Fehlende zu finden?
Wenn ich es nicht schaffe, den oberflächlichen Wunsch zu erfüllen, ist das, was ich so wünsche vielleicht jetzt nicht für mich und ich muss warten, bis mein Wunsch stark genug ist, sodass ich ihn einfach erfülle, indem ich alles tue, was dazu nötig ist.
Dennoch bin ich jetzt unzufrieden und glaube, das Leben zu versäumen. Und so taucht auch die Frage auf, was unter der diffusen Oberfläche meines Wunsches liegt – ob ich etwa neidisch bin und etwas aus dem Leben eines Anderen möchte oder etwas anderes. Ich kann es nur erfahren, indem ich den Weg da hin (also eventuell zu Lebensumständen, die andere, die ich bewundere oder beneide, bereits erreicht haben) selbst beschreite. Dazu muss ich natürlich meine Grenzen überschreiten, über mich hinauswachsen. So nähere ich mich dem Ziel meiner Sehnsucht, und das ist meine Lebensaufgabe. Sonst gibt es keine. Das [die Erfüllung meiner Sehnsucht] hat das Leben für mich vorgesehen und für alle anderen natürlich auch.
Die einzige Frage, auf die es im
Leben ankommt, ist die, ob ich diese Aufgabe erfülle oder nicht. Erfülle ich
sie, so komme ich näher zum Licht, wenn nicht, nähere ich mich der Finsternis.
Und in ihr natürlich der Hölle, die nämlich nichts anderes ist als das Feuer
der Unzufriedenheit, das an uns nagt, bis wir uns auf den Weg machen und etwas
tun für uns selbst. Insofern ist natürlich klar, dass einer, der tot ist,
nichts mehr tun kann für sich selbst, weshalb das Feuer ein ewiges ist. Ein für
immer Ausgeschiedener.
Um Missverständnisse dieser Aussage
zu vermeiden möchte ich hinzufügen, dass ich damit nicht sagen will, dass es so
etwas wie eine „ewige Verdammnis“ gibt. Tatsächlich gibt es in allen Menschen
eine Ebene der Wahrnehmung, auf der das Ziel der Sehnsucht – nämlich die
Erfahrung des Einsseins mit der liebenden Schöpferkraft – unmittelbar da ist.
Daher ist es höchst wahrscheinlich, dass ein Sterbender diese Wahrnehmungsebene
erreicht. Aber es bleibt in diesem Fall schon sehr sehr schade, dass das ganze
Leben vorübergegangen ist ohne diese Erfahrung, denn es hätte ein Leben in
dieser Erfahrung sein können.
Dennoch, sobald die Erfahrung da
ist, ist alles gut und alle früheren Schmerzen sind vergessen – so wie es in
der Apokalypse heißt: „Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen : Der Tod
wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher
war, ist vergangen.“ (21,4).
Das Kriterium dabei sind logischerweise keine äußeren Maßstäbe, sondern allein das eigene Empfinden. Jeder spürt ja genau, wie nah oder fern er/sie seinem/ihrem Idealbefinden ist. Wenn die Entfernung groß ist, gilt es natürlich, was zu tun.
Zunächst natürlich wieder einfach wahrzunehmen, was da ist und sich von dem bewegen zu lassen.
Wenn etwas in uns brodelt und wir nicht wissen, was es ist, dann liegt eine Art Deckel darüber, sodass es nicht zutage treten kann. Dann brodelt es in uns. Es wird gut sein, den Topf zu entdecken, in dem es brodelt, damit er nicht explodiert. Und dann, hineinzusehen, sich dem Schmerz, der darin brodelt, auszusetzen. Und dann, Mitgefühl für sich selbst zu empfinden (nicht Selbstmitleid!) und vielleicht um Hilfe zu bitten, wenn es allein nicht zu schaffen ist. Und wenn sonst niemand da ist, der uns helfen könnte, dann müssen wir die Kraft, die uns ins Leben gerufen hat, fragen um Hilfe, um Ideen, um Kraft, um Einsicht. Das ist die Auseinandersetzung mit uns selbst und mit der Welt. Das ist der Weg, der zu Bewusstheit und Erfüllung führt.
Wenn der Topf schon explodiert ist [z.B. in einer psychischen Erkrankung], wird es gut sein, sich zu sammeln. Irgendwo anfangen, bei einem Zipfel des Eigenen und von da aus schauen, wo alles geblieben ist – und es dann zurückholen, Stück für Stück sich wieder anschließen.
Einfach schauen, ohne Urteile, lässt uns die Teile wieder finden. Es darf alles sein. Wir müssen nichts ausschließen. Und das Schlimme in uns, das wir eben auch zulassen und annehmen müssen, das brauchen wir nicht unbedingt so viel ansehen. Wir können doch auch, wenn wir seine Existenz angenommen haben, auf das Andere schauen. In jedem gibt es viel Schrott, in dem man sich verlieren kann. Das muss nicht sein. Wir können den Schrott ruhig ruhen lassen und uns auf das Lebendige konzentrieren. Das ist nämlich auch da, sogar in denen, in denen der Topf bereits explodiert ist. Dieser Zipfel, von dem ich sprach, ist der Lebensfunke in uns, unsere Lebensmitte, das, von dem aus wir sehnen und fühlen. Ein bisschen was davon ist in jedem auch noch so Zersplitterten immer noch übrig, solange er lebt. Also rein da und schauen!
Irgendwann wird vielleicht die gewohnte Panik wieder die Oberhand gewinnen und alles zerfällt wieder. Aber dann geht es eben weiter beim nächsten Mal. Und beim übernächsten Mal und so weiter. Wer sich einmal an diesen Weg erinnert hat, kann sich immer wieder daran erinnern. Und irgendwann ist die Sammlung abgeschlossen. Dann sind wir wieder ganz und können der Welt getrost gegenübertreten – was wir zwischendurch ohnehin auch immer wieder müssen (und was wir auch irgendwie immer wieder können).
Also sammle dich und schau, was du alles bist. Wie gesagt, alles ist o.k.. Alles darf sein (auch das Verbotenste und Geheimste). Aber mit dem, was sich gut anfühlt, geht es weiter. Immer weiter damit. Zu dem hin, was sich gut anfühlt. Das ist die Richtung, die jeder möchte.
Also schau: Was wäre jetzt gut? Und wenn das nicht geht, was wäre das Nächste und so weiter, bis wir an unserem momentanen Level angekommen sind. Da müssen alle anfangen – nicht nur die, deren Topf schon explodiert ist. Und von da an, wie auch eben schon gesagt, immer weiter, über unser gegenwärtiges Selbst hinaus zu einem neuen Selbst, das wir noch nicht kennen, das dann aber selbst wieder Ausgangsbasis sein wird für den nächsten Schritt.
In den Topf hineinschauen können wir, indem wir das Brodeln körperlich fühlen und dieses Gefühl sich ausbreiten lassen über unseren ganzen Körper und diesen bewegen lassen von diesem Gefühl. Höchstwahrscheinlich werden da Zuckungen kommen und Wellen durch den Körper laufen. Das alles muss raus. Vorher kann man in den Topf nicht hineinschauen.
Und wenn die Wellen nicht aufhören, muss man sie natürlich von Zeit zu Zeit stoppen, um sich mit den Notwendigkeiten des Überlebens zu beschäftigen. Wenn dann aber wieder Zeit ist, ist es auch Zeit, das Brodeln zu befreien und die Wellen weiter laufen zu lassen. Ohne, und das ist ganz wesentlich, ohne sich von düsteren Wellen verschlingen zu lassen. Wir müssen da nicht hineingehen. Wir können rein im Körper bleiben und die Wellen rein muskulär ablaufen lassen. Irgendwann hören sie auf. Dann ist der Druck raus und wir können hineinschauen. Und wir werden den Inhalt aushalten. Und wenn wir den Inhalt kennen, können wir auch schauen, wie wir was verbessern können, damit in Zukunft nicht so viel brodelt.
Es ist klar, dass wir schauen müssen, was für unerledigte Geschäfte wir noch am Laufen haben und die abschließen, entweder indem wir sie in die Ablage legen, als nicht mehr aktuell oder indem wir sie der Reihe nach angehen und bearbeiten.
Diese „Geschäfte“ sind möglicherweise auch irgendwelche Programme, die uns mitgegeben worden sind auf dem Weg. Programme möchten immer irgendwelche Ergebnisse sehen. Aber vielleicht brauchen wir das Programm gar nicht. Vielleicht war es eigentlich für andere bestimmt oder vielleicht sollte es nur für eine bereits abgeschlossene Lebensphase dienen. Wir müssen es herausfinden. Das betrifft sogar die biologischen Programme, wie Fortpflanzung, Brutpflege, Nestbau, Terrainabgrenzung, Jagdmethoden etc.. Hinter all dem aber steckt ein noch tieferes universelles Programm, nämlich das Erkennen des Seins. Wer alle Geschäfte abgeschlossen, alle Aufgaben schon gelöst hat, kann sich damit beschäftigen. Die anderen haben nicht die nötige Konzentration. Bei ihnen geht es eben um die Lösung der Aufgaben und darum, sie alle abzuschließen, so dass die Kraft frei wird für das Letzte, das Höchste, das Eintauchen in die universale Kraft, das diese Kraft Verstehen und darin letzten Endes Aufgehen – nicht als Verlust, sondern als Gewinn. Logischerweise kann da hin keiner kommen, der noch an etwas festhält, dem noch etwas wichtig ist, der noch ein Geschäft laufen hat.
Mit all dem will ich keine Bewertung dieses Moment geben. Dieses Eintauchen ist nicht „gut“ oder „schlecht“. Auch wenn es wieder aufhört, ist es gut. Der Weg in die Bewusstheit ist eben ein lebensbegleitendes Eintauchen und Wiederauftauchen und dabei sich selbst und die Welt kennen lernen. Jeder Mensch, dem es vergönnt ist, diesen Weg zu gehen ist zu beglückwünschen. Und am Lebensende, wenn es zu Lebzeiten da war, wird dieses Eintauchen kein Ende mehr haben – was nicht heißt, dass ES nicht an einer anderen Stelle wieder austritt und erneut eintritt in die Welt – denn es wird ein sich vollkommen Verlieren, ein vollkommenes darin Aufgehen sein, ein sich Vereinen mit dem einen Bewusstsein, wissend, dass es kein Zurück (in die Individualität) mehr gibt. Denn was ist schon das Einzelne im Vergleich zum Ganzen. Vielleicht aber langweilt sich das Ganze wieder bei sich selbst und stößt etwas von sich aus, was dann wieder in der Welt erscheint und meint, es wäre wer und hätte dies und das zu tun und an dem und dem zu leiden. Und es kann wieder nichts tun, als sich von seinem Leiden beflügeln lassen, entdecken. Experimente sind angesagt.
So geht der Weg bis ganz ins Licht. Immer wieder sich durch Leiden beflügeln lassen, immer wieder wagen, immer wieder den Spalt überspringen, der uns von unserem Ziel trennt, der uns zunächst sogar von dem Weg zu unserem Ziel trennt. Wir müssen uns einfach aufmachen, aufraffen, zunächst vor allem zur Klarheit über unser Möchten.
Dankbarkeit
(24. 6. 2001)
Mein ganzes Leben lang bin ich immer dem gefolgt, was ich fühlte, wenn auch sicher nicht total genug. Aber ich habe es gemacht, so schlecht vielleicht auch immer. Ich bin ein schwacher, mit vielen Fehlern behafteter Mensch, ich bin nicht perfekt. Ich bin kein Heiliger. Aber ich sehe auch, dass es gar keine Heiligen gibt – außer vielleicht jenen, die diesen Weg gehen, die durch das Leiden hindurchgehen, durch den Tod in die Auferstehung, denn ohne Tod gibt es keine Auferstehung.
Alles, was mich aufhält, schmerzt mich zwar, aber gerade durch Schmerz und Kapitulation, also durch Tod erlebe ich ständig neue Auferstehungen, die mich auf immer neue Ebenen bringen, so dass ich nach und nach meine Schulden an das Leben begleichen kann.
Ich brauche keine Angst haben. Ich brauche von jetzt an keine Angst mehr haben. Die Kraft ist mit mir – die Kraft des Todes, die Kraft des Eingestehens der Not. Das ist das neue Evangelium, die neue Sutra, so kurz: „Die Kraft des Eingestehens der Not. Das ist die Lösung“. „Die innerste Wahrheit bewegt sogar Schweine und Fische“, sagt das chinesische Orakel „I Ching“.
Und die Bibel bestätigt: Der liebe Gott hat die Welt so eingerichtet, dass auf das Eingeständnis der Not die Erlösung folgt.
Sobald ich schwach bin, bekomme ich Hilfe. Natürlich kann ich die Schwäche einsetzen, wie es viele unbewusste Menschen tun, um andere zu tyrannisieren, aber nach dem Eingeständnis der Schwäche kann ich meine Schwäche positiv einsetzen, ohne Hintergedanken, einfach als das, was ist, und das bringt die Erlösung ohne irgendjemand zu belasten. Alle profitieren. Alle freuen sich. Keiner fühlt sich ausgeschlossen. Alle gehören dazu, jeder auf seine Weise. Und wenn einer akzeptiert wird, wofür sollte er noch rebellieren? Oder verrückt werden? Das alles wird überflüssig, einfach durch jene kleine Regel.
Gestehe deine Not ein und bitte um Hilfe und die Hilfe kommt. Du bist nicht allein. Die Welt ist so gebaut. Das ist kein psychologischer Trick, sondern ein Naturgesetz. Und dieses kleine Wissen bringt jene stets von allen überall gesuchte Erlösung. Natürlich muss ein Mensch dazu runter von seinem hohen Ross – der Einbildung, er wäre besser. Keiner ist besser. Alle sind bedürftig und wenn sie nicht bekommen, was sie brauchen, werden sie sauer und böse und das hat seine Konsequenzen, Morde, Kriege etc. Aber das muss nicht sein. Es gibt einen anderen Weg. Es gibt auch eine mögliche Kulturform, in der das praktiziert wird, in der das als die heilige Botschaft tradiert wird, weil die Menschen erkannt haben, dass es so ist. Es ist einfach die Erlösung aus lebenslanger Angst.
Wer möchte davon nicht erlöst werden? Und dieser Weg verlangt keinen gesonderten „Gottes-Dienst“, einfach nur die Wahrheit, das, was ist. Die Angst ist da. Zeige sie doch, gestehe sie dir ein und bitte um Hilfe und sie wird verschwinden. Das ist ein möglicher Weg für alle – ohne schwere Bürden. Einfach nur das. Keine andere Disziplin. Nur die Wahrheit. Und die ist doch ohnehin der Fall, also was wollen wir sie länger leugnen. Es ist, was ist. Alle sehen es ohnehin, aber es macht die Welt eines Unterschieds, ob wir es zugeben oder ob wir vorgeben drüberzustehen.
Die drüberstehen, bekommen die Hilfe natürlich nicht. Die müssen sie sich erkämpfen und wissen immer, dass das eigentlich nicht das ist, was sie wollen. Sie wollen doch auch zuerst einmal geliebt werden. Doch wer liebt einen, der drübersteht? Das törnt doch alle nur ab.
Außer „die Diener des Tiers“ (Apokalypse) natürlich, die wollen imponieren und dadurch die Menschen gewinnen, durch Druck, durch Zwang. Das bedeutet ja „imponieren“, jemand eindrücken. Wir brauchen niemand eindrücken, um Hilfe zu bekommen, wir brauchen nur unsere Bedrücktheit zugeben und schon wird es besser.
Die Diener des Tiers werden dagegen letzten Endes keine Chance haben, weil sie es doch selber spüren, dass da was nicht stimmt. Sie werden am Ende umfallen und zugeben, dass auch sie Bedürfnisse haben. Und dann werden auch sie erlöst sein.
Das ist unsere Arbeit [A. Mindell nennt das „Weltarbeit“], diese Welt zu errichten, hier und jetzt, nicht in einem abgegrenzten Zirkel religiöser Freaks, sondern im ganz normalen Leben.
Ich kann nur staunen über die Worte, die hier aus mir herauskommen. Es ist eine absolute Gnade, die mir gewährt wird, dass ich ein sehr beteiligter Zeuge dieses Vorgangs sein darf. Es ist ein Wunder. Ich kann nichts dafür.
So einfach ist das, was [jede] Religion eigentlich ist. Alles andere sind Formen, die nur verdecken, worum es geht. Allzu viele halten sich mit den Formen auf und spintisieren alles Mögliche hinein. Es braucht keine Formen dieser Art mehr. Diese Zeit ist gottseidank vorbei. Mit all ihrer mörderischen Bigotterie. Es gibt sie ohnehin noch genug, noch viel zu viel. Nur weil sie alle immer so gut sein wollen, dafür müssen die anderen schlecht sein. Ich will nicht gut sein, denn ich weiß, ich kann es gar nicht. Und so sind mir die anderen auch nicht schlecht, die es, wie ich, auch nicht können.
Mein Mitgefühl ist im Moment mit den Starrsinnigen. Es ist schade, dass sie so viel Leid erzeugen für sich selbst und für so viele andere. Es ist schade. Sie können nämlich aufhören damit, sobald sie den ersten Hoffnungsstrahl gesehen haben, dass es eine andere Möglichkeit wirklich gibt, dass es keine Illusion ist und auch kein Märchen, dass es diese Möglichkeit, Frieden zu finden, wirklich gibt. Aber was berührt diese Starrsinnigen? Einfach auch ihr Schmerz, der doch da ist, denn diese ständige Verkrampfung tut weh. Der Schmerz ist der Auslöser, dann nicht mehr neuen Kampfes, sondern der Erlösung, die auch für sie im Zugeben ihrer Bedürftigkeit besteht.
Es ist eine enorme Schwelle des Stolzes, die da zu überwinden ist. Aber wenigstens für den Verstand ist das Argument klar: Die Heilung kommt von der Wahrheit. So einfach ist das. Und sich daran zu erinnern, wird helfen.
Was ist „der Teufel“?
(30. 6. 2001)
Gewöhnlich denken die Leute, wenn sie an den „Teufel“ denken, an eine mysteriöse Wesenheit, die ihnen übel will. Sie haben daher oft Angst und sie verbünden sich mit der ebenso mythisch-magisch gedachten positiven Kraft, um geschützt zu sein. Manche aber meinen deshalb, sie müssten sich mit dieser Wesenheit selbst verbünden, um keinen Schaden zu erleiden. Das sind dann die „Teufelsanbeter“. Sie alle täuschen sich. Beide leiden am gleichen Missverständnis. Denn der Teufel ist keine Wesenheit an sich. Das ist er nur innerhalb einer [symbolisch]magischen Weltsicht. Nüchtern betrachtet ist „er“ einfach etwas, das aus uns herkommt, wenn wir böse werden. Und wer wird nicht wenigstens gelegentlich böse? Jeder kennt das doch!
Die Theologen anerkennen das zwar irgendwie und sie sprechen daher auch von einer Art gutem Bösen, das beispielsweise gegenwärtig sein soll in dem, was sie „heiligen Zorn“ nennen. Aber gerade indem sie diesen Unterschied machen zwischen einem heiligen und einem unheiligen Zorn, was natürlich irgendwo seine Berechtigung hat und ein bestimmtes Verständnis vertiefen kann, in unserer nüchternen Zeit vertieft sich durch diese Unterscheidung nur das Missverständnis. Deshalb will ich nun ein anderes Verständnis präsentieren, das heute das Verstehen vertiefen kann:
Jeder Mensch wird, wie gesagt, gelegentlich böse. Irgendwie kann man [fast] alle so sehr reizen, dass sie ausrasten. Dann kommt das Böse zum Vorschein – und mit Recht! Der Teufel ist unser Notprogramm. Wenn sich ein Mensch überhaupt nicht mehr zu helfen weiß, wird er entweder alles hängen lassen und aufgeben (er verfällt in eine Depression), nämlich wenn jede Gegenwehr aussichtslos erscheint, oder er wird, wenn er auch nur die geringste Chance sieht, sich aufbäumen und seine Hörner zeigen, die er für diesen Zweck doch hat! Und so kann man ermessen, was für ein Grauen es darstellen musste, wenn jemand beschuldigt wurde, „vom Teufel besessen“ zu sein und man versuchte, den Teufel auszutreiben – vielleicht das letzte Stück Selbstbehauptung, das diesem Menschen noch geblieben war in all der Unterdrückung, derer er sich nicht mehr anders zu erwehren wusste, als dadurch, eben böse zu werden. Kein Wunder, dass Jesus im Gegensatz dazu wirklich Teufel austreiben konnte, nämlich durch sein Verstehen. Und so mussten sie nicht mehr böse sein. So einfach war sein Exorzismus. Alles andere ist Missbrauch.
Das Problem ist nicht das zum Vorschein Kommen des Bösen, sondern die Unbewusstheit, die oft damit verbunden ist. Dadurch nämlich vergessen solche Menschen sich oft ganz und gar und sie verwandeln sich in echte Teufel und ziehen eine Spur der Vernichtung durch die Welt. Das ist natürlich übel. Aber auch diese unbewusste Vernichtung ist nur die andere Seite des Schöpferischen. Es ist notwendig. Die Zerstörung richtet sich zunächst zwar immer gegen all das, was niemand mehr unterstützt, was nur noch behindert. Allerdings wirkt es eben auch blind in seinem eigenen Umfeld. Dabei kommen viele Unschuldige zu Schaden. Es wirkt eben auch als eine blinde Kraft, die den ersten Schaden streut und verbreitet.
Die wirkende Kraft selbst ist natürlich keine Person mit Absichten wie ein Mensch, nur die Ausführenden sind Menschen mit oft unbewussten Absichten. Die zerstörerische Kraft selbst ist nur die andere Kraft, die der vorantreibend positiv schöpferischen Kraft entgegengesetzt ist als deren notwendige andere Seite. Irgendwoher muss das Material ja kommen für die Schöpfung. Es beruht doch alles darauf, dass aus dem Verfall neues Leben sprießt. Angefangen vom reinen Licht des Anfangs, dessen Verfall die Dunkelheit und aus ihr das Neue, das Materielle, in dem aus dem Dunkel wieder Licht wird, eine andere Art Licht, die Bewusstheit, die möglicherweise eines Tages alles erfassen und als reine Bewusstheit wieder jenes Licht erzeugt, in dem schon unsere Welt ihren Ursprung fand. Eine ewige Welle von Verwandlung durch Vergehen und Werden.
Der „Teufel“ ist der notwendige Förderer dieses Prozesses, aber „er“ ist keine eigenständige Kraft, denn es gibt eine übergeordnete Intention, nämlich Bewusstheit. Diese Kraft ist eine Dienerin der Bewusstheit.
Auch in unserer persönlichen Welt bedeutet der Teufel genau das. Wenn wir böse werden, ist ein zerstörerischer Prozess am Werk. Etwas davon hat uns betroffen. Sonst würden wir nicht böse werden oder geworden sein. An uns liegt das nicht, für uns gibt es nur die Frage, wie wir damit umgehen. Wir sind ja Menschen, wir sind den Einflüssen, denen wir ausgesetzt sind, nicht einfach unterworfen. Wir können sie erkennen und fühlen, was dahintersteht. Dann sind wir nicht mehr Sklaven dieser Kräfte. Wir können uns auch an der anderen Kraft orientieren. Dann werden wir unseren Schmerz nicht mehr leugnen mit Hilfe irgendeiner Art „positiven Denkens“, dann werden wir ihn voll zur Kenntnis nehmen. Und das bedeutet, dass wir auch sehen, was ihn veranlasst hat. Dann können wir uns auch auf ihn einstellen. Dadurch werden wir eine Lösung erkennen, entweder indem wir auf den Quell des Schmerzes einwirken oder indem wir ihm aus dem Weg gehen. Und wenn wir keine Lösung erkennen, dann ist das unser nächster Schmerz, den wir nur der anderen Kraft gegenüber äußern können, nämlich der Kraft, die alles zur Entwicklung vorantreibt. Ihr gegenüber können wir unsere Verzweiflung zugeben, ihr können wir unser Leid klagen, indem wir fühlen und eben nicht verleugnen. Indem wir unseren Tod jetzt zulassen, die absolute Hilflosigkeit, die Auflösung der Existenz. Das ist Kapitulation. Sich völlig dieser Kraft ausliefern und in ihr ruhen. Dann ist da die Kraft des Kosmos.
Es ist aber ein starker Zug, der diesem Weg der Wahrheit entgegensteht, der Zug in die unbewusste Selbstaufgabe, in das sich fortreißen Lassen von irgendwelchen gerade daherkommenden Strömungen. Die Geschichte des Kain ist so eine Geschichte des sich unbewusst fortreißen Lassens von der Strömung einer Frustration. Es ist einfach die falsche Richtung, die Richtung, die der Entfaltung entgegengesetzt ist, die weiteren Schmerz erzeugt und weiteren Tod, der natürlich dann seinerseits wieder Anlass gibt zu größerer Bewusstheit. Es ist keine Frage der Moral, sondern nur der Folgen, die ein Verhalten hat für den, der es hat. Also in etwa die Idee von „Karma“, die ganz einfachen Folgen von Handlungen und Gewohnheiten. Kain fühlte sich nicht sehr wohl nach seinem Brudermord. Er fügt sich also auch selbst mehr Tod zu, eine Art unbewusster Selbstbestrafung. Aber der erhöhte Schmerz wieder kann ihn herausführen aus dem Dunkel seiner Unbewusstheit. So wirkt der Teufel in einer durchaus positiven Weise. Er macht uns die Hölle heiß, wenn wir uns abwenden von der positiv schöpferischen Kraft.
Und all das heißt nicht, dass einer, der auf diesem Weg durch Tod und Auferstehung hindurchgegangen ist, nicht auch zerstörerisch wirken kann. Kann er nämlich. Er wird sich wehren gegen die unbewussten zerstörerischen Kräfte. Er wird sie zur Bewusstheit zwingen, so weit er kann und so weit es für ihn notwendig ist. Für Mose war sehr viel nötig und daher konnte er sehr viel, auch böse werden, auch zerstören, wenn nötig. Für jeden ist das anders. Letzten Endes richtet sich die Destruktion ihrer Intention nach nur gegen die Unbewusstheit. Nichts drängt mehr nach Bewusstheit als Schmerz. Und so kann „das Böse“, „der Teufel“ nicht anders, als den schöpferischen Prozess in Richtung Bewusstheit voranzutreiben. So wandelt sich das Dunkel in Licht. Nicht dass Licht besser wäre als das Dunkel, es fühlt sich aber besser an. Und das ist es ja, was wir zutiefst wollen.
Woher also dieser Widerstand des und der „Bösen“? Es ist der Zug [der Trägheit] ins Nichts, in die Auslöschung der Existenz, der hält sie gefangen, der lässt sie nicht überprüfen, ob nicht eine andere Einstellung dem Leben gegenüber vorteilhafter wäre. Es gibt eben diesen Zug der Existenz nach unten. Er will nur den Drang nach oben verstärken, indem er Schmerz erzeugt. Es hilft wenig, diesen Zug zu verteufeln. Das ist genauso sinnlos, wie sich über die Schwerkraft beschweren. Es ist aber eben so, dass sich diejenigen, die sich diesem Zug ausgesetzt sehen und nicht wissen, wie ihnen geschieht, sich nicht besonders wohl fühlen und dass es vielleicht eine Möglichkeit gäbe, diesen Gefühlszustand in einen angenehmeren zu verwandeln. Das ist alles, was wir sagen können. Mehr kommt dann, wenn sich ein Mensch auf diesen Gedanken eingelassen hat, wenn er bereit ist, zu einem Experiment. Da kommen dann nämlich konkrete Lösungen für konkrete Probleme. Da beginnen die Schmerzen, sich konkret zu lösen. Aus schwarzen Löchern werden Lichtquellen. Wir werden Zeugen der Schöpfung. Sie geschieht an uns. Wir werden neu geschaffen, neu geschaffene Menschen, nicht unbedingt in einem einzigen Moment, aber nach und nach in immer neuen Momenten immer weiter, bis die Verwandlung abgeschlossen ist, bis wir also wirklich ganz neue Menschen sind, die nicht mehr aus sich leben, sondern aus jener Kraft, der sie sich verschrieben haben und die die Kraft der Bewusstheit ist. Deshalb „im Geist und in der Wahrheit“. Es ist die Wahrheit, dass uns unsere tiefste Sehnsucht da hin zieht, womit die Sehnsucht als der andere (der Trägheit {Trägheit ist der eigentliche Name für Tod} entgegengesetzte) Zug erkennbar wird, der in der Existenz wirkt. Das sind die beiden Pole zwischen denen das Leben oszilliert: Sehnsucht und Trägheit. Wir sind diesen Polen ausgesetzt, als Menschen können wir aber auch wählen, wovon wir uns mehr inspirieren lassen.
Insofern ist es natürlich richtig, von einer dunklen und einer lichten Kraft zu sprechen und sogar von Agenten dieser Kraft und dass es auch geistige Strömungen unter den Menschen sind, Gefühlsströme, die als solche Agenten wirken. Manche gehen aufwärts, manche aber eben abwärts. Wir müssen wissen, dass es diese Strömungen gibt, in der „Gesellschaft“ genauso wie in uns selbst. Von den gesellschaftlichen lassen wir uns leicht mitreißen, wenn diese unseren eigenen schmeicheln. Es ist daher gut, diese Agenten zu erkennen.
Eine Verteufelung von irgendwelchen dieser Strömungen aber kann genau das Gegenteil der angeblichen Absicht bewirken, nämlich selbst jene teuflische Kraft zu verstärken und das Leid in der Welt zu vermehren. Sobald ein Urteil einsetzt über „gut“ und „schlecht“ ist der Umkehrprozess zum Dunkel nämlich erneut gestartet. Dann wird der angebliche Gott selbst zum Teufel, z.B. in Religionskriegen und dergleichen.
Und dann holen wieder andere Menschen den Teufel hervor, um die festgefahrenen Urteile zu zerbrechen. Das ist der notwendige Regenerationsprozess, den wir auch gegenwärtig erleben mit jener kolossalen Umwertung aller Werte, mit jenem Niedergang der traditionellen Religionen. Es war zu Vieles festgeschrieben. Es muss gelöst werden, damit ein neuer Anfang gemacht werden kann. Nicht eine festgeschriebene Wahrheit ist es jetzt, sondern eben eine erfahrene, eine Wahrheit des Geists nicht des Buchstaben. Nicht mehr über das gelernte Wissen, über das Fühlen geht der Weg. Im Fühlen allein liegt die Wahrheit. Das, was wir fühlen, ist die Wahrheit. Und in unserem Fühlen ist es letztlich unsere Sehnsucht. Und das ist eine Wahrheit, die bewegt, nicht eine, die in Büchern ruht.
Auf ihrem Weg gibt es nichts „Gutes“ und auch nichts „Böses“ an sich, da gibt es nur etwas, das uns hilft und etwas, das uns hindert. Und wir möchten natürlich das, was uns fördert. Das unterstützen wir. Und da sehen wir auch das Förderliche des Zerstörerischen, den Hinweischarakter des Schmerzes. Und dadurch wird auch das, was andere für den „Teufel“ halten, für uns zu einer Quelle des Lichts, heute eben auch in dem Maß, in dem wir sehen müssen, wie die Idee von dem, was so viele für den Schöpfer halten, für viele zur Quelle der Dunkelheit geworden ist.
Diese Art Dunkelheit hat Jesus bei den religiösen Führern seiner Zeit angesprochen. Und heute ist sie wieder da und zwar völlig versteckt hinter einer Maske perfekter Moral. Absolut nichts kann man ihnen vorwerfen, außer das. Das ist sehr subtil. Zur Zeit nur punktuell krass materialisiert und doch da. Der Geist der Verurteilung hinter allem Anschein von Allverstehen und von Toleranz. Ein Schleier von Abwertung – aber nicht im Sinn des Lao-tse, der sagt, dass es besser sei nicht zu haben, was das Leben lebenswert mache, als das Leben wertzuschätzen, denn er plädiert doch nur für die Bewusstheit, sondern im Sinn eines nicht Erlaubens, letzten Endes in dem Sinn, dass einer dem Anderen im Grund das Recht auf Existenz abspricht oder eben nur eingeschränkt zugesteht. Das ist natürlich dann der Ursprung des Teufels, eine neue Quelle der zerstörerischen Kraft, die jenen Geist verbreitet. Einer wird böse. Und schon wirkt er wieder als Agent Gottes, weil er seinen Finger an die wunde Stelle legt und sich an die wendet, von denen seine Verletzung kommt. Er bringt eine neue Wahrheit ins Spiel. Seine Realität. Er startet einen Prozess der Auseinandersetzung. In dieser Auseinandersetzung klärt sich das Böse sein und die Adressaten haben sich verändert und zur Kenntnis genommen, was ihr Tun bewirkt hat. So ist eine Heilung geschehen.
Die Wahrheit kommt muss ans Licht kommen. Der Schmerz sorgt dafür. Auch die Wahrheit der Unwahrheit, wie die Unwahrheit jeglicher „Wahrheit“.
Das macht der Geist der Wahrheit. Er macht Unbewusstes bewusst. Er bringt Licht ins Dunkel. Er verwandelt das Dunkel selbst in Licht. „Felix Culpa!“ Auch unser eigenes Dunkel ist da gemeint. Wenn wir das erkennen, kommt die Erlösung von dem Dunkel, die Verwandlung des Dunkels in Licht. In dem Maß, in dem wir uns selbst als Quelle des Leidens erkennen können, können wir selbst zu Quellen der Heilung werden. Dann natürlich ist „Christus“ auferstanden. Vorher nicht. „Christus“ geht freiwillig mit dem Teufel, er geht nicht gegen ihn [„widersteht nicht dem Bösen“], weil doch gegen ihn in Wirklichkeit mit ihm wäre, aber eben unfreiwillig, unbewusst.
Und wer am Teufel leidet in dem Sinn, dass er ihm ausgeliefert zu sein glaubt, wird, indem er das Recht dieses Teufels sieht, ihm nicht mehr ausgeliefert sein. Vielleicht wird er sich gar zum Fürsprecher des armen Teufels machen. So einer war Jesus. Während andere immer schlimmere Teufel erzeugten, nahm er den Grund weg dafür, sich so zu fühlen. Und so wird er natürlich zu Recht der „Erlöser“ genannt, was nichts an dem Recht schmälert, mit dem andere genauso „Erlöser“ genannt werden dürfen. Jesus war nicht der Erste und er war nicht der Einzige, der das verstanden und praktiziert hat. Ihn zum Ersten und zum Einzigen zu machen ist eher der Kraft zuzuschreiben, die der Erlösung entgegengesetzt ist, weil sie alles verfestigt. Lösen wir uns daher von ihr und seien wir dadurch erlöst.
Heilung
(7. 7. 2001)
Ich brauche keine Angst haben. Die Kraft des Ganzen [Gott] tut es zwar, aber sie überfordert mich nicht, sie tut es in ihrer Geschwindigkeit, die keine andere ist, als die Geschwindigkeit, in der ich sie akzeptiere – oder eben noch nicht so ganz. Genau in dem Maß. Dieses Maß ist das Maß unserer Heilung und es bestimmt auch den Weg über unsere Heilung hinaus in ein ganz neues Leben, in ein Leben aus der totalen Einheit.
Ein Leben aus der totalen Einheit bedeutet, dass wir nicht mehr für uns da sind, sondern für das Ganze. Dafür steht uns die Kraft des Ganzen zur Verfügung. Da sein für das Ganze bedeutet unseren totalen Einsatz, der aber keine Anstrengung in dem Sinn mehr ist, wie wir Anstrengung kennen, weil es so sehr von selber geht, wie die Kinder von selber das Laufen lernen.
Vorher suchen wir nach Erfolg. Wir strengen uns an, um etwas zu erreichen, um wer zu sein. Dann brauchen wir uns dafür nicht mehr anstrengen, denn wir sind schon wer. Wir sind Kinder Gottes. Gibt es etwas Größeres? Wir brauchen uns daher für nichts anstrengen, außer für unseren Lebensunterhalt – und, wenn wir mit der Erfüllung unserer Aufgabe begonnen haben, brauchen wir uns darum auch nicht mehr zu kümmern. Dann sorgt Gott für uns. Das sind die Stufen, die aber niemand „erreichen“ kann, sondern die in jedem Fall ein Geschenk sind, das denen aber zuteil wird, die sich lösen wollen aus ihren eigenen kleinlichen Vorstellungen. Denen, die sich darum bemühen, wird es geschenkt [es ist eben kein „Verdienst“, sondern reine Gnade] – immer im Einklang mit der eigenen Realität. Nichts lässt sich überspringen. Bei manchen dauert es ein ganzes Leben, um dort hin zu kommen. Und das ist schon gut, wenn es ein Mensch überhaupt erlebt, ganz viele erleben es nicht, denn sie bleiben zeitlebens befangen in ihrer am Anfang einprogrammierten Vorstellung von der Welt und ihrer Rolle darin. Sobald es ein Mensch aber erlebt, ist sein ganzes Dasein ein völlig anderes. Es ist nicht mehr das kleinkarierte eigene Minireich, es ist die Welt, das Universum. Nicht dass wir die Welt dann beherrschen würden, aber sie steht uns zur Verfügung, was etwas Anderes ist. Sie stellt sich freiwillig zur Verfügung, weil sie uns liebt, weil wir nicht mehr wir selber sind, sondern weil in uns Gott auf der Erde erscheint. So wie es bei Jesus war. Das Problem mit Jesus war nur, dass man ihn (anstatt ihn wirklich zu verstehen) allein in den Himmel gehoben hat. In Wirklichkeit war er natürlich niemals der Einzige und er hat es von sich auch nicht behauptet. Im Gegenteil, was hätte er uns sonst das „Vaterunser“ gelehrt. Wir alle sind doch bestimmt dafür, als echte, legitime Kinder Gottes zu leben. Ist etwas Schöneres vorstellbar? Das ist der Himmel. Wir sollen ihn sehen – im „Fleisch“, wie in der Bibel heißt! Wir sollen „wiedergeboren“ werden, in ein neues Leben hinein – aber, wenn irgendwie möglich, doch nicht erst nach dem Tod unseres Körpers, sondern schon jetzt. Dafür sind wir bestimmt. Bedauerlich nur, dass es so wenige kapieren.
Die einen meinen, man müsste fromm sein und würde dann nach dem Tod „in den Himmel kommen“ – und die anderen lehnen diese echte Zumutung ab und wollen es gar nicht erst versuchen, in den Himmel zu kommen. Dummerweise glauben beide den gleichen Aberglauben. Sie könnten davon erlöst werden, wenn sie nicht so sehr ineinander verbissen wären. Die einen müssen sich erlauben, mit der Möglichkeit zu rechnen, dass sie selbst werden könnten, wie Jesus war – natürlich nicht, was seine historische Gestalt und seinen speziellen Charakter betrifft, aber sie können sich von der gleichen Kraft leiten lassen und werden dann rein zu deren Werkzeug, sodass nichts Menschliches (= kein Eigensinn) mehr an ihnen ist. Dann ist nur noch die schöpferische Kraft selber da. „Da ist nichts als Allah unter meiner Kutte“, sagte der alte Sufi-Meister Al Halaj. Er hat diesen Sprung offenbar gemacht, diesen Sprung ins Nichts, in die Nichtexistenz, in das sich nur noch zur Verfügung Stellen, in das einfache da Sein – und sich ergreifen lassen von der Not seiner Zeit. Den Menschen Gott zeigen an sich selbst.
Keiner kann das machen. Es kann aber nur kommen durch unser Verschwinden, durch das Verschwinden unserer Vorstellungen darüber, wie es sein soll. Wir können uns dem Ganzen öffnen, uns leeren. Es beginnt damit, dass wir uns selbst annehmen, so wie wir sind, mit allen Schwächen, mit allen Stärken. Zuerst müssen wir es lassen, uns selbst in irgendeiner Weise zu verurteilen. Das ist nicht leicht, weil unsere Vorstellungen über richtig und falsch (biblisch ist das natürlich der Sündenfall) zu sehr eingeprägt sind. Gleichzeitig müssen wir es lassen, in irgendeiner Weise über andere zu urteilen. Wir wissen nicht, warum sie sind, wie sie sind. Nicht urteilen heißt gleichzeitig verstehen. Ohne Verstehen, d.h. ohne zu fühlen, was sie fühlen, ist es nicht möglich das Urteilen aufzuhören. Es ist also doch eine Art Rundumanstrengung erforderlich, aber nicht der Art wie die Anstrengungen im Konkurrenzkampf, sondern eben ähnlich der Anstrengungen des Laufen Lernens. Es geht von selbst – sobald, bzw. in dem Maß, in dem wir Gott erlauben, uns zu benützen.
Wir können nichts für Gott tun, wir können ihm nur erlauben, von uns Besitz zu ergreifen – und das stimmt eigentlich auch nicht, denn natürlich besitzt er uns doch ohnehin schon von Anfang an. Es fällt doch kein Haar von unserem Kopf ohne „seinen“ Willen. Indem wir uns ihm gegenüber verweigern aber, erzeugen wir unnötige Reibung, die unsere Kraft enorm schmälert, die doch wieder nicht unsere ist, sondern von Anfang an die des Schöpfers.
Diese ist die einzige Kraft, die überhaupt existiert in der Welt. Sie treibt alles überall – sogar die Nazis, sogar die Folterer, sogar die schlimmsten aller Verbrecher. Auch die Lustsüchtigen und auch die Depressiven, die Täter und die Opfer aller Arten. Alles hat seinen Sinn (seine unverzichtbare Rolle) im Ganzen. Das nicht zu glauben, sondern zu glauben man selbst gehöre zu den Guten und die Anderen gehörten zu den Bösen, die bekämpft werden müssten, entspringt nur der Überheblichkeit des Ich, das sich immer gern gut vorkommt, das eben nicht zurücktreten will, um seine Kleinheit, seine Schwäche, seine Schlechtigkeit zu sehen, die, richtig verstanden, von der gleichen Art ist wie jede Schlechtigkeit der schlimmsten Verbrecher. Es ist schon eine Gnade, nicht zu diesen gehören zu dürfen, aber keinesfalls ein Grund für Überheblichkeit. Es ist auch kein Grund für Dankbarkeit (Dankbarkeit in diesem Punkt wäre Überheblichkeit), denn wo immer wir stehen, da müssen wir uns einsetzen. Und ein Verbrecher hat die gleiche Chance, zur Besinnung zu kommen wie irgendein braver Bürger, vielleicht mehr, weil er durch seine Außenseiterrolle ohnehin möglicherweise einen weniger beschränkten Horizont hat. Es ist egal, wo jemand gerade steht, überall kann uns der Ruf ereilen. Die Frage ist nur, ob wir bereit sind. „Wachsam sein“, war der Rat Jesu. Es ist der einzig mögliche Rat.
Wenn wir uns zu den Guten rechnen und die Bösen bekämpfen, bleiben wir bei uns selbst. Ohne Befruchtung können wir keine Frucht bringen. Das ist das Gesetz. „Wer sein Leben liebt, wird es verlieren“, sagt Jesus daher. Die Guten lieben ihr Leben immer. Sie können die Wiedergeburt aus dem Geist nicht erleben, solange sie auf diesem Trip sind. Die Guten schmücken sich gern mit Gottes Federn, das heften sie sich an ihre Fahnen. Die, die offen sind für Gott, brauchen keine Fahnen, und wenn sie doch welche haben, dann nicht, weil sie es wollen, sondern weil die Kraft es will. Es gibt alle Varianten. Wir kennen die Gründe der anderen nicht. Und sobald wir sie kennen, können wir ihnen nur zustimmen, und zwar allen ohne Ausnahme. Wir Menschen sind schwach und werden leicht Opfer mächtiger Geister, auch von so etwas wie Dämonen – obwohl es solche als solche natürlich nicht gibt. Aber es gibt doch geistige Strömungen, die Besitz von Menschen ergreifen. Nur durch Aufmerksamkeit können wir ihnen entrinnen. Und nicht alle haben die Kraft zu dieser Aufmerksamkeit. Die Versuchung, der Zug der anderen Kräfte [die Trägheit] ist zu stark. Sie können nicht widerstehen. Sie sind süchtig in irgendeiner Form, abhängig, nicht selbständig. Und wer ist schon wirklich selbständig? Doch nur die, die aufgehört haben, selbst zu sein. Die sich trauen, zu folgen.
Das ist die Hingabe, von der in allen Religionen die Rede ist, und die doch immer wieder als Moral interpretiert wird – ohne Moral als einen Wegweiser zur Bewusstheit zu verstehen. Einem Wegweiser zur Bewusstheit geht es nicht um dies oder das, um die Erfüllung bestimmter Normen, sondern nur noch um das sich erfüllen Lassen von der Kraft und das sich voll dahinter Stellen im absoluten Risiko. Das ist doch der Sinn jener wahnsinnigen Beispiele der Bibel vom Bootbau des Noah mitten am Land, von der Opferung des Sohnes durch Abraham, vom Jakobs Betrug um das Erstgeburtsrecht, von dem Mord Davids am Mann seiner Geliebten etc.. Das alles sind Beispiele von Hingabe jenseits aller Vernunft und Moral. Immer lieb und nett sein ist keine Hingabe.
Geheilt werden wir nicht, indem wir brav alle Vorschriften erfüllen, sondern indem wir unsere Wahrheit leben und uns durch sie auch unbeliebt machen oder sogar „schuldig“ werden. Wir müssen stehen lernen gegen den Wind, gegen den Sturm, auch gegen den Sturm der Moral – wir selbst bleiben in unserer eigenen Bestimmung.
Mit dem nicht Urteilen meine ich natürlich nicht „gut heißen“. Das wäre ganz etwas Anderes. Ich muss nichts „gut“ heißen, was nicht gut ist. Ich muss es nur verstehen. Dann wird mir auch etwas einfallen, um es zu verändern, wenn nötig.
Heilung heißt Übereinstimmung, Verstehen, Mitgefühl, auch mit sich selbst und sich dem Willen des Ganzen anvertrauen, weil das Ganze doch will, dass es allen gut geht, so auch uns.
Zu dieser Übereinstimmung kommen wir durch Kapitulation, indem wir zugeben, dass wir es nicht schaffen, dass wir eben unzulänglich sind, dass es aber eine Kraft gibt, die es vermag. Diese Kraft hat uns ins Leben gerufen. Wir sind ihr völlig ausgeliefert, und brauchen dennoch keine Angst davor haben, weil diese Kraft uns doch wollte und zwar genau so wie wir sind. Und diese Kraft wird, wenn wir uns ihr anvertrauen, uns den Weg zeigen und uns auch die Kraft geben, ihn zu gehen.
Der Weg, den wir dann gehen, ist nicht ein Weg der Askese und es ist auch kein Weg der Ekstase, sondern einfach der Weg der Ehrlichkeit und infolgedessen des Akzeptierens unserer Realität.
Von da aus eröffnen sich völlig neue Perspektive auf das Leben. Nun dürfen alle unsere Wünsche sein und auch alle unsere Mängel. Keiner ist falsch. Und nun, wo alles sein darf, kann ich mir zum ersten Mal im Leben wirklich alles an mir in Ruhe ansehen und ich kann schauen, was ich in meinem Leben wirklich will. Ich habe alle Wünsche vor mir, auch die wahnsinnigsten. Sie alle dürfen sein. Ich lehne sie nicht ab, ich sehe sie mir an. Ich spüre den Zug, den sie auf mich ausüben, ich höre ihre Versprechen und ich kann auch sehen, welche Konsequenzen ihre Erfüllung haben würde. Ich rede mit ihnen. Ich vereinbare mit ihnen allen das, was ich jetzt tun werde, weil das im Moment das Wichtigste ist, nämlich das, was mich einen Schritt weiterbringt auf dem Weg meiner Entfaltung.
Und hier muss ich denjenigen, die vor „Selbstverwirklichung“ warnen, in ihren Bedenken recht geben, dass es natürlich nicht um eine rücksichtslose „Selbstverwirklichung“ geht, sondern um eine, die auch uns selbst nicht beeinträchtigt, und das ist nur eine, die in Übereinstimmung mit dem Ganzen ist. Wenn ich meinerseits jemanden vom Leben ausschließe, hat das Konsequenzen, die wieder auf mich zurückfallen. Das zeigt das biblische Beispiel des ägyptischen Pharao, dessen Versklavungspolitik einfach gegen die Natur war, sodass die Natur den Sklaven zu Hilfe gekommen ist und den Ägyptern viele Plagen gebracht hat. Mit jedem Ausschluss schließen wir auch einen Teil von uns selbst aus, weil in uns potentiell das Ganze enthalten ist.
Ein eventueller Ausschlussbeschluss kann nur uns selbst betreffen. Wir müssen nämlich ohnehin alle jene Wünsche ausschließen, die mit dem Ganzen nicht übereinstimmen, die uns über das Ganze erheben. Denn natürlich sind auch diese Wünsche in uns da. Wenn wir alle unsere Wünsche aber vorurteilslos betrachten, sehen wir die Wünsche, für die es Zeit ist, jetzt realisiert zu werden und wir sehen auch dass es uns nicht gut tut, solchen zur Verwirklichung zu verhelfen, die jetzt nicht angesagt sind. Das können wir fühlen, wenn wir sie anhören. Insofern ist dieser notwendige freiwillige Selbstausschluss keine Askese. Wir verzichten auf nichts, wir sehen nur, was wir besser lassen, damit wir das bekommen, was wir möchten. Wir sehen und anerkennen damit nur die Wahrheit.
Sobald wir uns darauf eingelassen haben, werden wir erkennen, dass unsere Wünsche immer klarer werden und dass wir sie immer klarer ausdrücken können. Und dadurch wird auch die Resonanz klarer. Und die wieder klärt unsere Wünsche weiter. Und dadurch erhöht sich die Chance, dass sie erfüllt werden, beträchtlich.
Und auf diese Weise können wir auf unsere Bewusstheit aufbauen. Die Bewusstheit hat Konsequenzen. Trotzdem ist das, was wir durch sie bekommen, kein Verdienst, wir sehen: Es ist nur ein Geschenk. Verdienst bedeutet immer Absicht, Zweck und Methode. Die Bewusstheit aber ist keine Methode, sie ist selber ein Wunsch, eine Sehnsucht.
Selbsterlösung ist aus diesem Grund logisch nicht möglich, denn wir können nichts tun. Höchstens in einem übertragenen Sinn könnte man davon sprechen. Sobald wir etwas tun (mit Absicht, zu einem Zweck), werden wir scheitern, irgendwann. Und dann kommt das böse Erwachen, das darauf zurückzuführen ist, dass wir einer Illusion aufgesessen sind, nämlich zu glauben, schon vorher zu wissen, was für uns gut ist. Dieser Glaube ist ein Irrglaube. Es stimmt ganz einfach nicht. Wir können es nur von Augenblick zu Augenblick erfühlen. Nicht dass wir nicht auch dann immer wieder scheitern, aber das ist dann eine andere Art des Scheiterns, eine, die uns nicht in unserer Existenz bedroht, weil uns schon vorher bewusst ist, dass das Scheitern möglich ist und dass wir keinen Anspruch irgendeiner Art haben auf Erfüllung, und zwar von niemand. Alles, was wir bekommen, ohne jede Ausnahme, ist ein Geschenk. Wir freuen uns daher darüber. Über das, was uns verweigert wird aber, ärgern wir uns nicht, denn wir haben nicht mit der Erfüllung gerechnet, wir haben mit dem Scheitern gerechnet, waren aber gleichzeitig so voll Vertrauen auf die Kraft, die uns unsere Wünsche gegeben hat, dass wir es wagten, unseren Wunsch zu äußern. Und wir werden uns durch einen Fehlschlag und auch durch tausend Fehlschläge nicht entmutigen lassen, denn auch unser Mut ist ja nicht unserer, sondern auch er ist bereits ein Geschenk, das wir als solches ehren. Und das erhöht natürlich unsere Attraktivität und die Bereitschaft der Anderen, unsere Wünsche zu erfüllen, wodurch wir am Ende sicherlich mehr befriedigt werden, als durch unsere alte Methode, den Kampf. Auch die Tendenz verletzt zu werden, sinkt logischerweise, wenn wir unsererseits nicht verletzen, sondern einfach nur unsere Bedürftigkeit äußern, unsere Unfähigkeit, es aus uns selbst heraus zu schaffen. Das bringt uns ganz viel Sympathie von allen Seiten.
Und das alles heilt, zuerst uns selbst und mit der Zeit auch unsere Umgebung.
Und wenn, wie gesagt, viele Menschen sich auf diesen Weg der Ehrlichkeit einlassen, kann eine ganze Kultur daraus werden mit ihren eigenen Formen und auch Ritualen, also auch mit festen Einrichtungen, etwa Übergangsriten, in denen jeweils eine Einführung in die Grundtatsachen des nächsten Lebensabschnitts erfolgt, ganz ähnlich den Riten in alten Stammeskulturen, natürlich aber (immer) den gegenwärtigen Bedingungen angepasst, d.h. diese Riten müssen stets mit den aktuell gegenwärtigen kulturellen und sozialen Bildern und auch Mythen arbeiten [Mindell würde hier von „time-spirits“ sprechen], aber eben immer im Bewusstsein, dass es sich um Bilder handelt, die den Gegebenheiten der jeweiligen Wirklichkeit entsprechen müssen, und nicht um theoretische, zeitlose, absolute Wahrheiten. Dogmen müssen ihren Sinn immer irgendwann verfehlen. Dann wird das, was zum Heil gedacht war, zum Unheil. Und dann müssen neue Formulierungen und Wege gefunden werden. Wozu also eine absurde Hürde dieser Art einbauen? In den letzten beiden Jahrtausenden war in unserer Kultur die Bewusstheit für diese Frage noch nicht weit genug fortgeschritten. Jesus hatte das schon erkannt, doch die Zeit war noch nicht reif für die Tiefe seiner Einsicht („Vieles hätte ich euch noch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt noch nicht ertragen“, Joh 16,12). Jetzt ist „die Zeit“ reif dafür. Das Rad der Heil-Geschichte hat sich um eine Sprosse weitergedreht.
Vorgefertigte Gebete
(20.7.2001)
Menschen, die ihre Distanz zu Gott lieber nicht verlieren möchten – weil das allzu schmerzhafte Einsichten mit sich bringen würde – verwenden vorgefertigte Gebete.
Ein Mensch, der die Realität erkannt hat, d.h. der erkannt hat, dass er selber nichts ist, dass die Kraft, aus der er besteht und die ihn treibt, aber alles ist, ein solcher Mensch braucht keine vorgefertigten Gebete. Er spricht jene Kraft unmittelbar an, von der er weiß, dass es die gleiche Kraft ist, die das Universum treibt, denn er weiß, dass sie möchte, dass der Typ, den er darstellt (den jeder von uns auf seine Weise darstellt) sich zeigt und ohne jede Angst sich darstellt und genau damit automatisch das große Lob des Schöpfers singt, der ja sein eigenes innerstes Wesen ist. Ein solcher Mensch kommuniziert mit seinem Schöpfer unmittelbar, aus seinem Sein heraus, das ja selbst gerade – in jedem Fall, also sogar im Fall einer Behinderung oder einer tödlichen Krankheit oder des Sterbens selbst – automatisch, ohne dass er was dafür tun müsste, ein Lob des Schöpfers singt. – Sogar „der Teufel“ „tut“ das durch „sein“ Sein und durch „sein“ So-Sein. Es könnte nicht auf ihn verzichtet werden.
Eine Schöpfung ohne das sogenannte „Böse“ ist undenkbar. Es braucht die Kraft, die abbaut – was für die, die aufbauen oder aufbauen wollen natürlich nicht bedeutet, sie sollten sie dulden, was sie selbst betrifft. Sie dürfen sich nur nicht wünschen, es gäbe sie nicht. Sie müssen wissen, dass sie immer da sein wird, dass sie nicht wegzudenken ist, weil sie doch in die andere Richtung treibt, weg von dem Schmerz, den sie schafft.
Das Sein selbst ist das Gebet, wenn es ein bewusstes Sein ist. Wenn es ein unbewusstes Sein ist, ist es ein unbewusstes Gebet. Für diesen Zustand sind die Formeln notwendig, die Gebete nachzubeten, die andere vor ihnen gebetet haben. Gut, wenn einer sie als Anleitung zum eigenen Gebet versteht und sich führen lässt zum sich Einfühlen. Das aber bedeutet Loslassen aller Dogmatik – in Wirklichkeit nur des alten Verständnisses der Dogmen, denn damit eröffnet sich ein neues Verständnis.
In diesem neuen Verständnis geht es nicht mehr um irgendeine Religion, sondern nur noch um die unmittelbare Kommunikation eines Geschöpfes mit seinem Schöpfer. Das ist das eine, gemeinsame Ziel, zu dem alle Religionen hinführen wollen. Die Anhänger einer Religion sind daher niemals an ihrem Ziel, wenn sie das nicht anerkennen. Von dem Moment an aber, an dem sie das anerkennen, gibt es keinen Konflikt mehr zwischen den Religionen. Denn dann ist klar, dass nicht nur eine einzige „wahr“ ist, sondern dass allesamt nur Wege zu dieser existentiellen Wahrheit sind, mehr oder weniger erfolgreiche Wege. Letzten Endes kann es daher nicht darum gehen, eine „Lehre“ festzuhalten, wenn sie keine Wirkung mehr hat. Das nämlich wird gegenwärtig in der katholischen Kirche versucht. Diejenigen, die sich als ihre Repräsentanten betrachten und diese Exklusivität hüten, wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Wirkung verlorengegangen ist. Und wenn sie die Anzeichen dafür doch nicht mehr leugnen können, rationalisieren sie dieses Phänomen mithilfe von Erklärungsmaßstäben, die sie in ihrem Weltbild schon verankert finden, etwa indem sie die zunehmende Wirkungslosigkeit einer allgemeinen „Verweltlichung“ zuschreiben und indem sie den Menschen dafür böse sind, anstatt diese in ihren Schmerzen zu sehen und ihnen Linderung zu verschaffen. Sie tun das zwar auch, aber nur für die allgemein als „hilfsbedürftig“ eingeschätzten Menschen. Natürlich ist es sehr gut, dass sie wenigstens das tun! Aber sie verweigern sich den Menschen, die einfach die Schnauze voll haben von den moralischen Lügen der Religionsvertreter und weil diese nur einen rein äußerlichen Maßstab für das Leben anerkennen und nicht verstehen. Die Verweigerer arbeiten an der Umwertung der Werte, indem sie an der Auflösung der alten Werte arbeiten. Aber nicht sie, sondern diejenigen mit den rein äußerlich gewordenen Maßstäben sind der Grund dafür. Sie schaffen jene Atmosphäre der Enge, in der alle anderen nicht aufblühen können.
So werden die Würfel neu gemischt. Durch eine Phase des Nichtwissens hindurch, während der es wegen dieses Widerstreits keine klare Orientierung mehr gibt, wird sich jene andere Möglichkeit zeigen, nämlich einfach ehrlich zu sein. Dann braucht es keine Maßstäbe mehr. Nur noch das Fühlen dessen, was jetzt da ist – in seiner ganzen Fülle.
Die Phase des Nichtwissens kann natürlich lange dauern, nämlich bis alle in Frage kommenden Möglichkeiten durchprobiert sind. Viele Irrwege liegen auf dem Weg. Sie müssen erkundet werden und daher sind einige davon unvermeidlich für jeden, der die Wahrheit kennen lernen möchte.
Die Zeit der Moral, also der festen Richtlinien, ist heute vorbei. Es lässt sich niemand mehr darauf verpflichten. Aber das macht nichts, denn gerade dadurch werden die neuen Wege gefunden, die den Umständen unserer heutigen Welt angepasst sind. Die ganze soziale Struktur ist ja im Umbruch. Die alten Regeln passen nicht mehr, wir haben daher, ganz objektiv betrachtet, keinen äußeren Maßstab mehr – und doch haben wir alles, was wir brauchen: Die Kraft, die sich dazu getrieben hat ich zu werden, hat jeden von uns mit einem Instrumentarium ausgerüstet, das fühlen kann, was not-wendig ist. Und das genügt, ja das ist logischerweise besser als alle festen Regeln, die einer konkreten Situation ja nie gerecht werden können, weil sie notwendigerweise verallgemeinern müssen und das Besondere nie in seiner Besonderheit enthalten können.
Genau das war schon der Vorwurf Jesu an die Führer seiner Zeit und seiner Kultur. Ihre Maßstäbe, wurden den konkreten Situationen nicht gerecht. Sie waren böse auf ihn, weil er sie darauf aufmerksam gemacht hat. Er hat sich davon aber nicht abhalten lassen, es ihnen weiter zu sagen. Und sie haben die Konsequenz gezogen und ihn vernichtet. Sie haben allerdings nicht mit einkalkuliert, dass der Same schon ausgestreut war und dass er aufging, weil einfach zu viele der damaligen Menschen sich mit den damals üblichen Regeln nicht mehr gut fühlten.
Heute aber sind es wieder die religiösen Führer, zumindest die christlichen, die einer Erneuerung widerstehen (Buddhisten, Hindus haben dieses Problem nicht in diesem Ausmaß). Es ist daher außerhalb der Religion eine Art Prophetentum entstanden, etwa in den Künsten, natürlich nur sofern diese nicht auch in einem Formalismus steckengeblieben sind.
Ganz ausdrücklich wird die Botschaft vom Fühlen und von der Ehrlichkeit von den meisten Soul-Musikern verbreitet, aber auch von schwarzafrikanischen Musikern. Sie sind gezwungen, ihre Formen stets zu erneuern, sie müssen „dem Herrn stets ein neues Lied singen“ – sonst würde ihnen ja niemand mehr zuhören – während die Priester immer das gleiche alte Gebet herunterbeten und es immer noch nicht verstehen. Wenn die alten Kanäle der Inspiration verstopft sind, öffnen sich eben neue. Von der Musik der Schwarzen kommt die ganze musikalische Erneuerung der industrialisierten Kultur. Das liegt daran, dass sie, die Unterdrücktesten, den Weg des Fühlens gehen mussten. Sie sind Meister dieses Weges geworden und können es daher andere nun lehren, aber nicht auf die grausame Weise, auf die sie selbst es lernen mussten, sondern durch Ansteckung, einfach indem sie ehrlich sich und ihre Art zeigen. Deshalb heißt Kunst auf Englisch ja „art“. Das ist die Art, die gemeint ist. Durch sie entsteht unbemerkt eine neue Weltordnung, die Ordnung des Fühlens (nicht zu verwechseln mit „Gefühlen“!, die ja ein unbewusst zwanghaftes Geschehen sind, das aus zufälligen Erfahrungen der Vergangenheit resultiert. Fühlen dagegen ist ein Akt der Bewusstheit. Die biblische Geschichte von Kain und Abel drückt ja deutlich aus, dass Gefühlen zu folgen nicht, wie heute vielfach angenommen „spontan“ ist, sondern einfach nur wahnhaft.) statt des Gesetzes. Und doch wird daneben die Ordnung des Gesetzes bestehen bleiben, aber eben in der ihm entsprechenden untergeordneten Bedeutung, eben als eine Orientierungshilfe zu einem bestimmten Geist. Sobald diese Orientierungshilfe sich aber absolut setzt oder als absolut verstanden wird, verfehlt sie diesen Geist und erzeugt einen anderen Geist, einen Geist, der böse macht, weil er behindert.
Die Wende wird erreicht, indem die Frage „wie lange soll ich noch gequält werden?“ sich umformt in die Frage „Wie soll ich mich ausdrücken?“. Wenn der Leidende beginnt, sich seiner Situation total bewusst zu sein, in diesem Moment, hat er nur die Wahl zwischen weiter leiden oder sein Leben selbst gestalten, sich gestalten, seine Gestalt zum Ausdruck bringen. Was dadurch erscheint, ist die Gestalt des Fühlens und des Seins des eigenen Selbsts, einfach die jeweilige Gestalt der Wahrheit. Die Kultur der Welteinheit kann nur darauf beruhen. Jeder darf sein. Keiner muss so sein, wie ein anderer es will. Jeder darf die Wahrheit in seinem Inneren zeigen.
Manche werden da natürlich wieder als Verführer auftreten und die Menschen, die ihnen erliegen, wieder in bestimmte Formen zwingen. Das geht aber nur, so weit die Menschen das zulassen, so weit sie die Botschaft noch nicht vernommen haben, dass sie wirklich sie selbst sein dürfen – dass sie dann Gott eben nicht missfallen, wie sie befürchten, weil es ihnen eingeredet worden ist, sondern dass sie ganz im Gegenteil dann endlich so sind, wie ihr Schöpfer sie immer schon haben wollte.
Alles andere ist Sklaverei, ist Götzendienst. Letztlich deshalb auch jede Religion oder (um Missverständnisse zu vermeiden) besser, jeder religiöse Formalismus, also jener Glaube, der im Nachbeten vorgebeteter Gebete die Erfüllung sieht – so sehr das vielleicht der Anfang des wirklichen Glaubens sein kann, der, wie gesagt, der Glaube daran ist, dass die schöpferische Kraft mit all ihrer Kraft das Beste für uns will – und tut!
Was ist „Bewusstheitsentwicklung“?
(15. / 24. 7. 2001)
Ich nehme mir vor, auf etwas zu achten – ich vergesse es – nehme es mir erneut vor – vergesse es – nehme es mir wieder vor – ich erinnere mich, vergesse es dann wieder, nehme es mir erneut vor – etc.. So entwickelt sich die Bewusstheit. Wir müssen es wollen. Wir müssen Energie dafür einsetzen, immer wieder, ob Erfolg oder Misserfolg, also ohne dass wir nach einem Erfolg abheben oder uns durch einen Misserfolg niedergedrückt sein lassen.
Die Grundlage der Bewusstheitsentwicklung, ihre Triebfeder, sind die Wünsche. Sie liefern die Energie. Wenn der Antrieb stark genug ist, ist der Wunsch erfolgreich und es geht von selbst. Was nicht von selbst geht, ist im Moment nicht wichtig genug.
Wenn du etwas willst, machst du’s. Wenn du es nicht machst, bleibt die Phantasie. Auch die Phantasie liefert Befriedigung, aber diese entspricht nie der Befriedigung in der Realität. Etwas bleibt dabei immer unbefriedigt. Und das treibt dich an, weiter nach dem Realen zu suchen.
Dieser Prozess ist der natürliche Suchprozess, also das, was auch „spirituelle Suche“ genannt wird, der Weg der Bewusstheitsentwicklung.
Manche verweigern sich diesem Prozess an irgendeinem Punkt. Sie bleiben stehen und begnügen sich mit der Phantasie – und bleiben real natürlich unbefriedigt.
Wenn jemand bei diesem unbefriedigt Sein stehen bleibt, kommt es in der Folge zu Krankheiten oder Unfällen. Natürlich auch zu Reaktionen der anderen Menschen, die den Schwachpunkt bewusst oder unbewusst aufspüren und ausnutzen. Dadurch werden Menschen, die sich mit phantastischen Befriedigungen begnügen, abhängig – oder „co-abhängig“, wie man das nennt.
Stehen zu bleiben auf dem Weg hat viele „negative“ Auswirkungen auf den Betreffenden. Es bewirkt Schmerzen. Zuerst den Schmerz des unbefriedigt Seins, dann die Schmerzen der Folgen, also von der Krankheit, von dem Unfall, von dem Missgeschick oder von den Verletzungen durch andere Menschen.
Das wiederum intensiviert die Unzufriedenheit und löst damit einen neuen Suchprozess aus nach einer Lösung für die nun erfahrenen Probleme.
Wenn sich dieser Mensch dem neuen Suchprozess wieder verweigert, werden die Schmerzen erhöht. Niemand „tut“ das, es geschieht „von selbst“, es ist ein natürlicher Prozess, einem Naturgesetz folgend.
Ausgehend von der Erfahrung dieser Phänomene, ist von Meistern der Vergangenheit von „Sünde“ und der darauf folgenden „Strafe“ durch „Gott“ gesprochen worden. Diese Begriffe sind inzwischen aber in verhängnisvollster Weise missverstanden worden. Ursprünglich sind es einfach nur Bilder dieses Prozesses. Darüber hinausgehend haben sie keine Bedeutung. Die ihnen darüber hinausgehend oft zugeschriebene Bedeutung, nämlich dass da „ein persönlicher Gott“ etwas „tun“ würde, um einen Menschen zu „strafen“ und dadurch wieder auf die rechte Bahn zu schicken, ist nur ein Bild, ein Mythos. Die dem Mythos aber verfallen sind, die seine Bedeutung, d.h. seinen (irrealen) Bildcharakter, nicht erkennen, glauben dann an irgendwelche mysteriösen Kräfte. Sie verstoßen gegen das Bilderverbot im ersten Gebot. Und da beginnt das Verhängnis. Der Glaube an solche Kräfte kann einem Menschen zwar auch helfen, eine Angst vor Strafe kann ja reales Unglück verhindern, oft aber wird sie zum einem psychischen Terror und erzeugt damit eine neue Abhängigkeit und auch neue Angst – und schwächt damit diesen Menschen, und macht ihn noch stärker anfällig für Anfeindungen aller Art, seien es Mikroben oder andere „Gefahren“ des täglichen Lebens.
Was die Abwehr schwächt ist nicht eine „Strafe“, sondern einfach die Folge eines inneren Widerspruchs, der die Kräfte dieses Menschen aufzehrt. Weil ein solcher Mensch ja gegen sich selbst kämpft, hat er nur beschränkt Kraft frei für die Abwehr äußerer „Feinde“. Seine Schwäche [auch seine Immunschwäche] ist einfach eine logische Folge seines Managements seiner Vorstellungen. Es ist nichts Mysteriöses, kein Geheimnis, nichts Besonderes, die Schwäche ist einfach nur logisch.
Doch an jeder Stelle auf diesem Weg ist Umkehr möglich!
Die Umkehr besteht immer darin, dass ein Mensch die Herausforderung (zur Bewusstseinsentwicklung) annimmt und seine Suche fortsetzt, ohne sich mit phantasierten Befriedigungen zufrieden zu geben.
Auf diesem Weg lernt ein Mensch sich selbst kennen - das bedeutet „Bewusstheit“. Und dadurch wird er mehr und mehr ganz. Ganz ist gleichbedeutend mit „heil“, geheilt und heil-ig zugleich.
Ein Mensch, der auf diese Weise „ganz“ geworden ist, kann andere auf diesen und diesem Weg führen. Er ist ein Meister geworden.
Das Wort Jesu „und auch ‚Meister’ sollt ihr euch nicht nennen lassen“, meint nicht, dass es keine Meister gibt, sondern er meint, dass ein Meister seine Schwächen kennt, dass ein Meister daher weiß, dass er keine Spur „besser“ ist als seine Schüler. Er ist nur an einer anderen Stelle auf seinem Weg. Einer, der das nicht weiß, ist auf keinen Fall ein Meister, gerade aber weil er es nicht weiß, möchte er sich gern Meister nennen, weil er sich gern gut vorkommen möchte. Das möchte Jesus vermeiden. Jesus will einfach nur Ehrlichkeit.
Diesen Weg einzuschlagen, setzt keine „Ausbildung“ irgendeiner Art voraus. Es setzt nur voraus, dass jemand umkehrt – egal aus welchen „Motiven“. So bedeutet der Einstieg eines Alkoholikers in das 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker, dass dieser Mensch zugibt, dass er es nicht schafft. Seine Kraft reicht nicht aus, sich aus der Sucht zu befreien. Die eigene Kraft kann letzten Endes niemals ausreichen. So lange ein Mensch an seine eigene Kraft glaubt, trägt er nämlich einen inneren Widerspruch in sich, eine Unwahrheit, die Unzufriedenheit und eine gewisse innere Spaltung bedeutet. Die Wahrheit ist nämlich, dass es nur eine Kraft gibt. Wer das nicht anerkennt, lebt in einem Wahn, in einem inneren Widerspruch. So etwas wie „Stolz“ hält ihn gefangen darin. Es erschiene ihm wie eine „Blamage“, wenn er zugeben würde, dass seine Kraft nicht ausreicht. Weil er es aber nicht zugibt, kann er keine Hilfe bekommen. Hilfe gibt es erst, wenn die Hilflosigkeit eingestanden ist. Die Hilfe kommt, weil die eingestandene Hilflosigkeit eine Wirkung auf die anderen Geschöpfe hat. Sie werden davon bewegt.
Im Moment des Eingeständnisses herrscht eine völlige innere Einheit, denn dieses Eingeständnis ist die Wahrheit dieses Augenblicks. „Kung Fu bewegt sogar Schweine und Fische“, heißt es daher im I Ching. Das Alte Testament erzählt, dass auch Heuschrecken und Bakterien davon bewegt worden sind. Kein Gott musste ihnen befehlen, über die Ägypter herzufallen, sie folgten einfach ihrer Wahrnehmung. Im Shiatsu würde man sagen, Ägypten war „kyo“, also die (Schwach)Stelle, die behandelt werden muss. „Kyo“ ist eine Art Kraft-Vakuum, das logischerweise einen vorhandenen Überdruck ansaugt. Das ist eine Logik, die den Orientalen selbstverständlich ist. Auch die Akupunktur beruht darauf. Die ägyptischen Plagen sind daher kein „Wunder“, sie sind nur eine logische Folge der realen Verhältnisse. So ist die Natur gebaut. Die Wahrheit (der reale – im Gegensatz zum eingebildeten Zustand) bewegt (bewusst oder unbewusst) alle, die helfend eingreifen können. Solange die Einbildung herrscht, solange etwa etwas, das schwach ist „stark“ genannt wird, kann keine Hilfe kommen.
In Kenntnis dieses Gesetzes können die fernöstlichen Kampfsportarten mit Recht behaupten, dass mit konzentrierter Energie alles bewegt werden kann. Darauf beruht ja der gefürchtete Karate-Schlag. Er ist nur möglich, wenn ein Mensch zumindest für einen Augenblick alle seine Kräfte versammeln kann. Das geht natürlich nur mit und niemals gegen die Wahrheit.
Wenn jemand ein Karate-Meister werden möchte, muss er daher den Weg zur Wahrheit beschreiten. Er wird auf seinem Weg nämlich logischerweise immer wieder entdecken, dass er nicht ganz gesammelt (=ganz =heil) ist und sich daher auf die Suche machen müssen nach den „Störungen“, also nach seinen Schwachstellen und so wird er es nicht vermeiden können, die Wahrheit zu erkennen, die eben wieder die ist, dass es so etwas wie eine „eigene Kraft“ gar nicht gibt, sondern dass es nur eine einzige Energie gibt und dass seine eigene Kraft (die jetzt als die Kraft des Alls erkannt ist) nur dann gesammelt sein kann, wenn der Betreffende im Einklang steht mit den energetischen Bewegungen seiner Umgebung. Das verlangt Sensitivität, ein sich Einschwingen, aktive Bewusstheit. Und die ist nur möglich in Abwesenheit eines „Ich“ (das ja immer eine vorgefertigte Meinung darüber hat, was es ist und was es will), also in Abwesenheit von dem, was gewöhnlich „Ego“ genannt wird. Nur in diesem Zustand ist völlige Sammlung möglich. In diesem Zustand schafft ein Wunsch (eine Not) augenblicklich die Lösung. Und da ist nichts Übernatürliches am Werk. Es ist einfach das normale Spiel der kosmischen Kraft – erkennbar natürlich nur für einen aktiv bewussten Menschen.
Eine Begleiterscheinung der aktiven Bewusstheit ist die in ihr selbstverständliche Erkenntnis, dass die Kraft des Alls nicht nur die ist, aus der alles besteht und hervorgeht, sondern dass es auch die ist, die alles Seiende in eine klar erkennbare Richtung vorwärts drängt: in Richtung Bewusstheit. Die ganze Evolution drängt in Richtung Bewusstheit, in Richtung Selbsterkenntnis. Und am Ende dieses Prozesses gibt es nur eine Konsequenz, nämlich sich voll und ganz jener Energie anzuvertrauen. Und das ist (so wie schon bei jeder Bewältigung einer jeden Aufgabe in der Vergangenheit) ein erneutes über sich hinaus Gehen, das letztmögliche über sich hinaus Gehen. Am Ende natürlich ein sich völlig darin Verlieren. Also wieder eine Art Tod und dann die letzte Auferstehung im bewussten Erleben der Einheit, im Wahrnehmen der Welt aus der Perspektive Gottes, im selbst Gott Sein – selbstverständlich nicht im Sinn eines abgespaltenen Wesens. Daher gibt es auf dieser Ebene keinen „Stolz“, keine individuellen „Ziele“ etc., aber es gibt, solange ein solcher Mensch noch in seinem Körper lebt, den Zug zurück in die individuelle und zeiträumlich gebundene Existenz.
Was darüber hinaus möglich ist, weiß ich nicht, aber natürlich könnte es Menschen geben, die das kennen. Ob mir diese Erkenntnis helfen kann, weiß ich auch nicht. Ich bin (noch) nicht dort. Ich habe ohnehin nur die Möglichkeit auf meinem Weg einfach immer nur die nächste Schwelle zu überschreiten. Ich kann niemals die übernächste überschreiten, genauso wenig wie ich mit meinem Körper den Raum überwinden kann, außer indem ich mich kontinuierlich darin bewege. Wenn ich in einem Gebäude in den sechsten Stock kommen will, muss ich alle dazwischenliegenden passieren. So ist es auch mit dem Weg der Bewusstheitsentwicklung.
Den Leitfaden auf diesem Weg bilden immer die Wünsche.
Indem wir leben, verbrauchen wir Energie und die müssen wir uns wieder zuführen. Das bewerkstelligen die Wünsche. Da Menschen komplexe Wesen sind, sind auch die Wünsche komplex. Es gibt eine Hierarchie darin. Jeder Wunsch geht immer in Richtung größerer Bewältigung. Deshalb heißt es in der Bibel, dass der Mensch Beherrscher der Natur sein soll. Das ist natürlich dogmatisch missverstanden worden als Erlaubnis zur hirnlosen Ausbeutung. Logischerweise geht es aber zunächst um die Herrschaft im eigenen Haus. Wer sich nicht selbst beherrschen kann, wird auch sonst nichts beherrschen.
Die spirituelle Entwicklung ist ohne Selbstbeherrschung nicht möglich.
Wenn ein Mensch sich so weit gehen hat lassen (so wenig Selbstbeherrschung hatte), dass er durch eine Sucht dem Tode nahe ist, sich also mit dem eigenen Tod konfrontiert sieht, hat er trotzdem immer noch die Chance zur Umkehr und es sind nicht wenige, die diese letzte Chance nutzen, denn wenn sie sie nicht nutzen, sind sie tot. Jeder hat also gewissermaßen eine Chance bis zum letzten Moment. Wenn aber der letzte Moment ungenutzt vorübergegangen ist und der Tod eintritt, gibt es natürlich keine Möglichkeit mehr zur Umkehr. Und dieses Bewusstsein kann natürlich schon die Hölle sein.
Die Umkehr besteht in der Erkenntnis, dass die eigene Kraft nicht ausreicht, dass es da aber vielleicht noch eine andere Kraft geben könnte, ja dass diese Möglichkeit immer stärker in Betracht gezogen wird, bis schließlich die Kapitulation, die Übergabe des eigenen Schicksals an diese Kraft erfolgt. Und damit beginnt der Aufstieg auf der Leiter der Bewusstheit. In der Bibel erscheint diese Leiter im Bild von der „Himmelsleiter“, die Jakob gesehen hat.
Die meisten Menschen aber bleiben, wie schon gesagt, irgendwo stehen. Sie wollen sich nicht länger abmühen und aussetzen. Sie leben lieber mit der Lüge und der daraus resultierenden Schwäche, die schließlich auf irgendeine Weise sogar zu ihrem vorzeitigen Tod führen wird – unausweichlich.
Sie sind dazu übergegangen, sich zu beklagen und sich den Klagen anderer auszusetzen und vor allem sich selber zu bedauern – und ihr Schicksal nicht zu akzeptieren. Trotz der negativen Folgen (Unzufriedenheit, Schmerzen, Krankheiten) ist es möglich, in diesem Zustand zu verweilen, sogar bis zum Tod (oft erst nach vielen Jahrzehnten), ohne je zum Bewusstsein zu erwachen. Es wirken starke Kräfte in diese Richtung, insbesondere die Intentionen der „Peergoup“ (der Gruppe von Gleichgesinnten), deren Aufgabe es ja ist, dass ihre Mitglieder sich gegenseitig in ihrer Welt [ihren Illusionen] bestärken und festhalten und sich gegenseitig dafür belohnen, dass auch die Anderen sich mit der Lebenslüge zufrieden geben – oder mit einer Teilwahrheit – ein verhängnisvolles (dualistisches) Missverständnis des biblischen „keiner soll sich über den anderen erheben“.
Das ist die sogenannte „normale“ Welt.
In dieser sogenannten „normalen“ Welt herrscht daher Abhängigkeit vom Nichtaufdecken der Wahrheit. Biblisch ausgedrückt, herrscht hier „der Mammon“. Das ist nämlich der „Gott“, der die letzte Wahrheit (dass nämlich alle Dualität Illusion ist) nicht zulässt. Man belohnt sich gegenseitig dafür, dass man sich nicht aufdeckt. Deshalb werden in der „normalen“ Welt die Menschen so oft verfolgt, die sich um Wahrheit bemühen. Das bedroht die „normale“ Welt. Die Wahrheit macht ja alle auf ihre Schwäche (auf ihren inneren Widerspruch) aufmerksam und die wollen die „normalen“ Menschen nicht sehen. Sie sind zu stolz dafür. Sie wagen es nicht, sie sich einzugestehen. Sie wollen ja immer gut dastehen vor den Anderen. Sie wollen immer irgendwer sein, eine Rolle spielen für die anderen, bestätigt werden von den Anderen, weil sie jene andere Bestätigung überhaupt nicht kennen, die durch die Wahrheit erfolgt, weil sie nicht begreifen, dass ihre Angst, zu unterliegen und vernichtet zu werden, im Akt der Kapitulation vor der einen großen Kraft, vollkommen aufgehoben ist.
Anstatt jener mickrigen Existenz, in der ein Mensch sich nicht einmal die eigenen Wünsche erfüllen kann und natürlich Angst hat, dass jemand das bemerken und ausnutzen könnte, erscheint nämlich in der Wahrheit, d.h. im Eingeständnis des eigenen irreparablen Ungenügens, eine völlig andere Art von Existenz, eine Art Fusion mit dem All mit geradezu unendlicher Energie, die nun aber nicht mehr im Sinn des biblischen „Baal“, also des sich gegenseitigen Übertrumpfens eingesetzt wird , sondern zur Förderung der Bewusstheit aller.
So ist die Energie des Alls. Sie drängt auf allen Kanälen in Richtung Bewusstheit. Und nichts befriedigt mehr, als diese Energie durch sich fließen zu lassen. Das ist der biblische „Himmel“. Einen anderen Himmel gibt es nicht. Dieser Energie das Fließen zu verweigern, macht die biblische „Hölle“.
Wenn der letzte Richter im letzten Gericht Jesu sagt: „Ihr die ihr mich krank gesehen habt und mich besucht habt“... etc., meint er nicht mehr und nicht weniger als diejenigen, die dieser Energie gefolgt sind. Denn das sind die „Taten“ jener Energie, das ist ihre Eigenart. Die in diesem Gericht gewürdigten menschlichen Taten sind keine Leistung dieses Menschen, der sich ihr zur Verfügung stellt. Sie sind nur Ergebnis eines Folgens, eines Nachgebens in den natürlichen Drang. Deshalb Jesu Beispiel mit dem barmherzigen Samariter, also eines Menschen der keine Ahnung hatte von Moral oder Gesetz, der nur ein natürliches Gespür hatte, dem er gefolgt ist.
Sein Verhalten zur Grundlage einer „neuen“ Moral zu machen, zeigt nur ein grundlegendes Missverständnis. Wir brauchen diese Moral nicht, weil es uns nämlich ein natürliches Bedürfnis ist, ein natürlicher Drang, zu handeln wie der „barmherzige Samariter“. Wir brauchen diesen Drang nur nicht behindern durch unsere Gedanken, wie der Priester und der Schriftgelehrte im Beispiel Jesu es getan haben. Die Moral ist keine Hilfe, sie ist ein Hindernis. Trotzdem kann sie auch als Hilfe benützt werden, aber erst, wenn ein Mensch sie als eine Art Mahnung zur Wachsamkeit verstehen kann, als eine Art Wecker, also erst, wenn ein Mensch ihre ursprünglich intendierte Bedeutung erkannt hat. Dazu muss er natürlich auf dem Weg der Bewusstheitsentwicklung schon ein gutes Stück gegangen sein.
Im Gegensatz zu einem „Kurs in Wundern“ (ein gegen Ende des zweiten Jahrtausends viel gelesenes Buch) ist dieser Weg (zur Bewusstheit) ein Kurs jenseits der Wunder, ein Kurs in Realität – Realität in ihrer tiefsten Tiefe – und das ist eben nicht das Außergewöhnliche. Es ist das Gewöhnliche und doch ist es eine Offenbarung. Die Offenbarung schlechthin.
Auf diesem Weg erscheint das nämlich von selbst, was dann später von Menschen (mythologisiert) „Offenbarung“ genannt wird. Für die, die es in einer Art von dogmatischem Sinn „Offenbarung“ nennen, ist es aber keine Offenbarung, sondern eben ein Dogma, ein für wahr Halten, ein bloßer Glaube, dem die Erfahrung fehlt. Ein Buchstabe. Und an dem hängen sie, weil sie die Realität nicht kennen.
Aus diesem Buchstabenglauben entstehen dann die Rivalitäten zwischen verschiedenen „Offenbarungen“ mit all den bekannten Folgen. Und auch innerhalb einer „Offenbarung“ die Verfolgung all derer, die eine bestimmte vorherrschende Sicht nicht unterstützen.
Ganz anders ist das natürlich bei denen, die die Offenbarung persönlich kennen. Sie wenden sich manchmal zwar auch gegen Menschen und Tendenzen, aber eben nicht um persönlich recht zu haben, sondern um die allgemeine Bewusstheit zu fördern. Sie stehen im Dienst der Bewusstheit. Die Buchstabengläubigen wollen die Bewusstheit verhindern, weil eine größere Bewusstheit nämlich schmerzhaft für sie wäre. Sie verlören gänzlich ihre (eingebildete) Bedeutung. Sie wären plötzlich nichts mehr. Das ertragen sie nicht.
Es scheint in der Welt eine Art Kampf zwischen „gut“ und „böse“ zu geben. Aber das ist nicht eine Auseinandersetzung zwischen Bewusstheit und Unbewusstheit. Die „Guten“ und die „Bösen“ leben nämlich beide in der Illusion. Wer von den beiden die größere Chance auf Bewusstheit hat, ist nicht von vornherein entschieden. Der Kampf um Bewusstheit beginnt erst nachher, jenseits von gut und böse, also wenn die „Guten“ eingesehen haben, dass sie in Wirklichkeit gar nicht gut sind und wenn die „Bösen“ eingesehen haben, dass sie in Wirklichkeit nicht böse sind.
Es ist einfach so: Die Energie drängt auf Bewusstheit, die Trägheit, will Bewusstheit behindern. Das ist alles. Es gibt, wie schon gesagt, keine „böse Macht“. Es gibt nur eine Behinderung dieses Drängens durch irgendetwas. Es steckt keine Absicht dahinter. Es ist einfach nicht zu vermeiden, dass alles, was ist, auch einen Schatten wirft, der andere gelegentlich des Sonnenlichts beraubt. Interferenz ist die Ursache allen Übels. Und Interferenz lässt sich unter gar keinen Umständen vermeiden. Sie ist notwendig gegeben durch die Existenz von etwas. Alles Existierende muss ja seine Energie von irgendwoher nehmen, sie irgendetwas anderem wegnehmen. Es geht nicht anders. Das Leben ist auf dem Tod aufgebaut in jeder Hinsicht.
Da diese Tatsache nicht verändert werden kann, geht es auf dem Weg der Bewusstheitsentwicklung nur um die Frage, wie sich ein Mensch verhält, auf den ein Schatten irgendeiner Art gefallen ist. Ob er hypnotisiert wird von dem Schmerz oder ob er sich davon wieder lösen kann. Alle Kranken irgendeiner Art sind hypnotisiert, solange sie krank sind. Der Wendepunkt kommt, wenn sie sich abwenden können von dem Schatten, wenn sie wieder das Licht sehen können.
Wenn sie den Schmerz richtig fühlen, werden sie sich abwenden können, sie werden sich zutiefst abwenden wollen. Ganz viele Menschen scheinen sich aber nicht abwenden zu können von dem Schatten. Sie sind gefangen in der gut/böse-Welt. Sie glauben, wenn sie leiden, wären sie im Recht, wären sie also gut und diejenigen, von denen der Schmerz kommt, wären schlecht. Und so genießen sie den Schmerz oft (natürlich ohne sich das einzugestehen), um besser zu sein. Natürlich können sie auf diese Weise nicht aus ihrem Gefängnis herauskommen. Sie werden daher Betäubungsmittel brauchen.
Wenn ein Mensch aus einer derartigen Hypnose erwachen soll, muss er den Schatten aushalten, ohne auszuflippen. Er muss Schmerz ertragen können. Das muss er lernen. Deshalb ist der Weg der Bewusstheitsentwicklung ein schmerzhafter Weg.
Nicht dass die Unbewussten weniger Schmerzen hätten, sie betäuben sich nur und sie nehmen den Schmerz nicht freiwillig auf sich. Er wird ihnen vom Leben aufgezwungen. Deshalb sind sie dem Leben auch oft böse. Sie meinen, sie wären „gut“ und „das Leben“ wäre „böse“, oder eben ihre Mitmenschen. Sie fühlen sich dauernd als Opfer und wollen sich ständig rächen. Das ist das Kennzeichen der Unbewusstheit. Die Bewussten wissen, dass es nichts zu rächen gibt, weil nämlich alles in bester Ordnung ist. Es könnte nicht besser sein! Selbst wenn sie im Augenblick etwas trifft, was andere für ein großes Unglück halten würden, wissen sie das und erfahren sie das. Die Unbewussten haben höchstens eine Ahnung davon, manchmal, in Augenblicken, in denen die Bewusstheit durchschimmert. Die Bewussten sehen die Notwendigkeit, so wie Jesus sie gesehen hat. Natürlich hat er sich nicht verweigert, sondern den Schatten auf sich fallen lassen, die Schmerzen ertragen einschließlich seines physischen Todes. Das Ergebnis ist bekannt. Höchste Bewusstheit und ein Maß von Wahrheit, das kaum je erreicht wird und dessen Wirkung (auf uns „Schweine und Fische“) daher kaum zu übertreffen ist.
So wirkt jeder Schatten auch in Richtung Bewusstheit. Außerdem erzeugt er ohnehin den Wunsch, ihn zu verlassen – oder den Wunsch, sich darin auszuruhen. Das alles ist nämlich einem bewussten Menschen möglich. Er darf der Wahrheit Ausdruck verleihen. Und manchmal wird er auch böse sein. Und das werden die Betroffenen dann merken und sie werden aufwachen – oder sich in Richtung Tod weiter verhärten. Entweder bewusst werden oder sterben, das sind die Alternativen. Ganz natürlich. Eine Übernatur ist da nicht nötig. Aber natürlich kennt niemand die Grenzen der Bewusstheit. Unser Vorstellungsvermögen ist immer durch das begrenzt, was wir kennen. Daher können wir nicht sagen, was wirklich möglich ist.
Alle wissende Rede über ein „Leben nach dem Tod“ ist unehrlich. Niemand weiß etwas darüber. Aber wozu sollten wir uns Gedanken machen über etwas, das wir nicht wissen können, wo der Weg zur Bewusstheit uns doch schon genug fordert an dem Platz, an dem wir sind. Wir können doch nur sagen, was der Apostel Paulus schon gesagt hat: „Kein Auge hat es gesehen und kein Ohr hat vernommen, was Gott denen bereitet, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9). Das ist eine ehrliche Projektion. Wenn wir davon ausgehen, was durch unsere Bewusstheit jetzt möglich ist, dann wissen wir, dass eine noch tiefere Bewusstheit noch viel befriedigender sein muss als unsere gegenwärtige. Aber das reicht auch schon an Spekulation. Alles darüber hinaus ist nur betäubender Ersatz, eine nur auf die Phantasie beschränkte Befriedigung. Wir sind jetzt hier und da liegt das Feld unserer Bewusstheit. Was natürlich nicht heißt, dass wir nicht in unserem Jetzt, wie Paulus weiter schreibt, uns vom Geist in die Tiefen Gottes führen lassen könnten (ebd.) – wenn dieser Geist es will.
Ein bewusster Mensch ist nicht der Herr seines Schicksals. Er weiß das. Daher entscheidet er nicht willkürlich, er lässt sich führen. Dadurch erscheint er sehr selbstbewusst. In Wirklichkeit misstraut er sich selbst jedoch total, vertraut dafür aber umso mehr der Führung durch „den Geist“. Auf sie allein richtet sich seine Bewusstheit. Bewusstheit ist also einfach ein Wahrnehmen, ein Fühlen und in diesem Fühlen „offenbart“ sich die Wirklichkeit und in ihr der nächste Schritt. Der Rest bleibt im Dunkel. Mehr ist nicht nötig, um ein bestmögliches Leben leben zu können.
Fühlen – nicht Denken!
(27. 7. 2001)
Die wirkliche Lösung findet sich niemals im Denken, sondern nur im Fühlen. Mit „Fühlen“ meine ich nicht Gefühle. Gefühle sind ja nur ein Teil dessen, was gefühlt werden kann, nur ein Teil unserer Realität.
Was Castaneda als die „Energielinien“ bezeichnet, kommt dem, was „Fühlen“ ist, schon näher: Er meint jene (geistigen, aber doch sehr realen) Linien, die uns mit bestimmten Ereignissen unserer Vergangenheit und unserer Zukunft verbinden und die uns natürlich auch mit allem verbinden, was unsere Gegenwart ausmacht. Wenn wir uns selbst betrachten (wenn wir fühlen), können wir entdecken, woraus unser momentanes Lebensgefühl zusammengesetzt ist: aus einer Unzahl von Erinnerungen und Hoffnungen (Wünschen), und beides jeweils verbunden mit unserer Gegenwart - oder noch festgehalten in einer Sicht aus der Vergangenheit.
Im Fühlen gibt es immer die beiden Pole: die gegenwärtige Realität und die Sehnsucht. Es geht darum, die gegenwärtige Realität an die Sehnsucht anzupassen. Das ist unsere Lebensaufgabe. Am Ende steht dann unser tiefster Wunsch, nämlich zu fühlen, was die Energie fühlt, aus der wir bestehen. Aber es ist egal, was am Ende steht, wir sind da, wo wir sind. Da müssen wir anfangen.
Wir brauchen nur ehrlich sein und uns selbst betrachten aus einer Einstellung heraus, in der alles möglich ist. Dann können wir in die verborgensten Winkel unserer Existenz schauen.
Nach dem Schauen kommt der nächste Schritt, die Konsequenz des Fühlens, nämlich die Umsetzung dessen, was wir mit unserem Fühlen „gesehen“ haben. Die Umsetzung beginnt damit, dass wir mitteilen, was wir fühlen, wie es uns also geht. Dieses Mitteilen betrifft immer die, mit denen wir es eben gerade zu tun haben, sei es der Partner, die Partnerin, sei es der Chef, sei es ein Untergebener, seien es eigene Kinder, seien es Kunden oder Freunde. Ihnen müssen wir mitteilen, was wir von ihnen möchten. Natürlich müssen wir uns dabei im Klaren darüber sein, dass die Erfüllung unserer Wünsche auch was kostet und das müssen wir natürlich geben. Für nichts gibt es nichts. Für uns selbst total aber bekommen wir alles. Alles immer entsprechend dem Einsatz. Wenn wir unsere Wünsche wertschätzen, werden wir bereitwillig geben, was nötig ist.
Der Weg zur Erfüllung unserer Sehnsucht beginnt aber immer mit dem Fühlen dessen, was der Fall ist in der jeweiligen Beziehung. Dadurch klären sich auch unsere Wünsche. Und gleichzeitig klärt sich die Beziehung. Wir werden wissen, was wir wo haben können und was wir woanders suchen müssen. Aber eben erst nach der Auseinandersetzung mit dem, was wir fühlen – nicht um diese Auseinandersetzung zu vermeiden, sie ist ohnehin nicht zu vermeiden.
Das Fühlen ist in jedem Fall der Ausgangspunkt, egal in welcher Frage – noch einmal: nicht irgendwelche Gefühle sind der Ausgangspunkt, sondern das Fühlen, in dem Gefühle auch vorkommen neben vielem anderen, was da eine Rolle spielt. Zunächst natürlich erscheint alles in Gefühle verpackt. Bei genauerem Hinsehen aber können wir entdecken, dass gleich hinter den Gefühlen Realitäten stehen. Und auf diese Realitäten gilt es Einfluss zu nehmen. Das ist die Aufgabe (die Problemstellung).
Sie ist nur zu erfüllen, wenn wir unsere Energie gesammelt haben. Und die Energie sammelt sich, indem wir uns alles in uns ansehen und respektieren als etwas, das seine Daseinsberechtigung hat. Deshalb ist es ja da. Erst wenn wir nichts mehr ausschließen, können wir wirklich fühlen. Erst dann stehen wir nicht mehr im Widerspruch mit uns selbst. Dann ist unsere Energie gesammelt und dann wird unser Schlag wie ein Karateschlag sein: durchdringend, egal welcher Art dieser „Schlag“ auch sein mag.
Fühlen bedeutet immer von der Realität ausgehen, nicht von Vorstellungen. Die Vorstellungen kommen allerdings auch vor im Fühlen. Auch sie können wir fühlen und dabei bemerken, was sie wirklich wert sind. Letzten Endes sind sie nichts wert. Nur die beiden Dinge haben Wert: Die Sehnsucht und die Realität. Sie Sehnsucht führt uns, sie zeigt uns, wohin wir uns bewegen müssen und die Realität zeigt uns, wie sie realisiert werden kann, sodass unsere Vision immer konkretere Gestalt gewinnt.
Auf diesem Weg werden wir natürlich auch viele Ablehnungen erleben. Das ist normal. Wir sind ja gerade erst dabei, uns selbst kennen zu lernen und da täuschen wir uns zunächst auch oft. Aber nur indem wir auch unsere Illusionen ausleben (logischerweise nur so lange, solange wir sie nicht eindeutig als solche erkennen), hören sie auf, unser Leben insgeheim zu beherrschen. Nach jeder Enttäuschung können wir wieder eines dieser illusionären Kapitel abschließen. Ohne Enttäuschung könnten wir es nicht. Es würde beständig weiter an uns nagen, wie so viele alte Wunschvorstellungen, denen wir uns nie wirklich hingegeben haben. Durch die Ablehnungen lernen wir Realität von Phantasie zu unterscheiden. Was wir eben vor allem Fühlen sollen, ist nicht irgendeine Phantasie, sondern unsere Sehnsucht. Sie ist der eine Pol unserer Selbst-Wahrnehmung, der andere Pol sind die Schranken, an die wir in der Realität stoßen und wie das sich anfühlt.
In der Realität entsteht durch die Konfrontation unserer Sehnsucht mit unseren tatsächlichen Schranken eine Krise, eine Art Patt der Kräfte, eine Art Vakuum – wenn es nicht so läuft, wie wir es gerne hätten, das Vakuum der Verzweiflung. Unsere Realität ist dann die Ratlosigkeit, eine Leere. Sie erzeugt Schmerz und der Schmerz gebiert die Bereitschaft (räumt die Hindernisse in uns beiseite), unsere Kraft auf die gegenwärtige Realität einzustellen – und das ist die Lösung. Nun ist alle Energie geeint. Alle Kraft steht zur Verfügung, nichts leckt irgendwohin weg. Und so wird unser Wunsch jetzt erfüllt.
Es beginnt immer mit dem Fühlen dessen, was ist. Aus der gefühlten Gegenwart heraus lösen sich alle Probleme, der Weg wird klar erkennbar.
Durch Denken wäre das nicht lösbar. Alles liefe nur auf faule Kompromisse hinaus, an denen niemand Freude hat. Das Denken beruht ja ausschließlich auf unserer Erfahrung, also auf den Daten unserer Vergangenheit. Es kann den Sachverhalt daher nie wirklich genau treffen. Das Fühlen doch. Und im Fühlen erscheinen auch die Lösungen, gewissermaßen von selbst aber natürlich nicht umsonst. Im Denken gibt es immer Alternativen, im Fühlen gibt es das nicht, und wenn doch, dann muss experimentiert werden, bis sich die Dinge klären. Durch Denken lassen sie sich nicht klären, weil die Wirklichkeit eben immer anders ist als selbst unsere komplexesten Vorstellungen. Im Fühlen können wir aber auch alle unsere Vorstellungen bis an den Grund erfühlen, bis wir genau wissen, was sie mit uns zu tun haben. Damit klärt sich unsere Welt, wir tun dann das, was Castaneda als „die Insel des Tonal aufräumen“ bezeichnet hat. Dann können wir unsere Vorstellungen auch sein lassen und uns einfach einstellen auf die gegenwärtige Realität. Es geht ja immer einfach nur darum, die Beziehungen zu fühlen, also die Relativität dessen, mit dem wir es jeweils zu tun haben, in bezug auf uns selbst. Dann wird uns bald nichts mehr etwas vorgaukeln. Dann werden wir unsere Kraft einsetzen und unseren Traum Wirklichkeit werden lassen.
Mit dem Denken können wir bestenfalls Karriere im üblichen Sinn machen. Wir werden nicht frei werden. Frei werden wir nur, indem wir spüren, was ist. Und das bedeutet: Immer wieder durch Tod und Auferstehung ins neue Leben. Der Tod, also eine Ablehnung, ein Misserfolg, eine Ratlosigkeit, oder einfach ein Wunsch (der ja auch immer ein Zugeben der Bedürftigkeit, also ein sich Ausliefern ist und damit eine Art Tod) ist der Anlass, zu fühlen. Und im Fühlen finden wir den Schlüssel zum neuen Leben (nicht nach dem Tod, sondern jetzt, „im Fleisch“, wie es heißt). Wer den Tod vermeiden will, wird keine Auferstehung erleben. Noch einmal: Mit „Tod“ meine ich ein Erlebnis der Negation des Ich, ein sich am Ende Fühlen, absolute Ratlosigkeit. Genau da entsteht das neue Leben. Das Nichts brütet es aus. Das neue Leben entspringt dem Fühlen des Todes. Der Tod ist der Ort der Kreativität (nicht das Herumbasteln mit irgendwelchen Materialien). Wir müssen uns selbst erlauben, am Ende zu sein. Wir müssen uns zutrauen, diesen Schmerz ertragen zu können. Mitten im tiefsten Schmerz erscheint dann die Vision und mit ihr die Energie, sie zu verwirklichen. Dann sind wir schon im anderen Leben. Wenn wir den ganzen Zyklus einmal bewusst erlebt haben, werden wir weniger Widerstand haben gegen das Fühlen unseres Todes und so wird uns der nächste Schritt leichter fallen – bis wir ohne jeden Zweifel wissen, dass wir den Weg gefunden haben.
Fühlen bedeutet immer, den möglichen wirklichen Tod in Kauf nehmen, Fühlen bedeutet, die Wahrheit anerkennen, dass wir unser Leben niemals zur Gänze kontrollieren können, dass wir letztlich also immer abhängig bleiben werden – von jener Kraft, die uns ins Leben gerufen hat. Fühlen bedeutet daher immer „kapitulieren“ vor jener Kraft. Unser Schicksal freiwillig in deren „Hände“ zu legen. Mit ihr zu kommunizieren. Das ist der Weg ins neue Leben.
Im Denken dagegen bleiben wir immer bei uns selbst. Ein neues Leben ist da nicht möglich. Wir verheddern uns nur immer tiefer in unser eigenes Gedankengestrüpp. Da gibt es keine Freiheit. Es gibt höchstens – und das meinen die „Jnana-Yogi“ mit ihrem „Weg der Erkenntnis“ – dass wir nach langem vergeblichen Denken unter Umständen erkennen können, dass es auf diesem Weg keine Lösung geben kann. Was das erkennt, ist aber nicht das Denken, es ist jene andere Ebene, nämlich das Fühlen der Vergeblichkeit, das sich an diesem Punkt zu Wort meldet. Insofern ist letzten Endes auch „Jnana-Yoga“ kein Weg des Denkens, sondern die erleuchtende Erkenntnis kommt von wo anders her, nämlich von jener Ebene der Lebensenergie, zu der wir nur im Fühlen in Kontakt kommen können.
In jedem Fall ist das neue
Leben immer das Ergebnis unseres Todes im alten Leben. Das Scheitern treibt die
Evolution voran. „Not macht erfinderisch“, heißt ein banal wirkendes, aber doch
sehr weises Sprichwort. Das Auseinanderbrechen hebt alle gewohnten Regeln auf,
durchbricht alles, was wir kennen und erlaubt so einen unbekannten neuen
Anfang, auf einer völlig neuen Basis. So ist es schon von der ersten Zellteilung
an. So wie diese zustande kommt, indem sich eine männliche und eine weibliche
Zelle vereinigen, so kommt auch jede spätere kreative Neuerung durch jene Krise
zustande, die entsteht aus einer vergleichbaren Vereinigung zweier
gegensätzlicher Bestrebungen. Diese Vereinigung gegensätzlicher Kräfte könnte
zur gegenseitigen Vernichtung führen, die schöpferische Energie hat es aber so
eingerichtet, dass aus solchen Situationen etwas Neues hervorgeht, etwas, das
den Bewusstwerdungsprozess einen weiteren Schritt vorantreibt. [Klar, dass hier
die Alternative zum Krieg liegt.]
Was wir sehen, wenn wir diese Prozesse beobachten, ist das „ewige“ Leben. Wir stehen in Kontakt mit ihm – nicht „nach unserem physischen Tod“, sondern jetzt. Jetzt können wir auf diesen Prozess vertrauen und uns dadurch jener Energie anvertrauen, die unser Leben lenkt. Dann sind wir bewusst schon jetzt im neuen und, wie wir jetzt wissen, im „ewigen“ Leben. Und das alles nur, indem wir fühlen.
Für jemand der fühlt, sind die äußerlichen Maßstäbe der Menschen nur noch das, eben äußerliche Maßstäbe, Hinweisschilder, die von unseren Vorfahren aufgestellt worden sind als Hilfe und nicht als Hindernis. Wenn wir sie so betrachten, finden wir in ihnen auch Hilfe – zu anderen Zeiten vielleicht aber ein Hindernis, das es zu überwinden gilt. Alle Maßstäbe sind einfach nur jeweils Verästelungen der Niederschläge des Fühlens der Vergangenheit. Auch sie gilt es zu erfühlen und zu erkennen, wo ihre Beachtung angebracht ist und wo ihre Beachtung unserem gegenwärtigen ehrlichen Fühlen widerspricht.
Der Weg ist einfach: Es ist der Weg des Fühlens. Und dieser Weg verlangt unbedingte Ehrlichkeit, denn sonst ist Fühlen natürlich nicht möglich. Um mehr brauchen wir uns nicht zu kümmern. Das hat Jesus gemeint mit seinem Wort: „Kümmert euch zuerst um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, alles andere wird euch nachgeworfen werden.“ Das Reich Gottes wird regiert durch das Fühlen.
Der Motor der Evolution:
Oszillation zwischen Sehnsucht und Schmerz
(31.7.2001)
Sehnsucht heilt. Heilung (die Lösung) kommt von selbst. Es ist ganz einfach: Du betrachtest Deine Wirklichkeit. Du fühlst den Schmerz deiner Wirklichkeit. Und dann fühlst du der Sehnsucht nach, dem Traum, versuch es, auch wenn der Traum vielleicht jetzt gar nicht mehr wahrnehmbar ist, weil du mit ihm schon so lange keinen Kontakt mehr hattest, dass er inzwischen verschwunden zu sein scheint. Falls du im Moment also keinen Zugang hast zu deiner Sehnsucht, erlaube dir einfach einen Anflug von Glück, jetzt. Und wenn ein Hauch davon da ist, geh zurück zu dem Schmerz und fühle dann von da aus noch einmal deine Sehnsucht nach dem Glück. Lass sie von da aus sich ausbreiten. Und wenn du dann den Schmerz wieder fühlst, weil du doch so weit weg bist von deinem Glück, wenn dein Schmerz also noch verstärkt ist durch deine Sehnsucht, dann bist du einfach traurig darüber, dass du so weit entfernt bist von deiner „Heimat“, von der du träumst, wo du angekommen bist und wo du aufgenommen bist, wo du wer bist, weil du ganz angenommen bist. Und diese Trauer fließt in ein Gebet. Und das lautet vielleicht irgendwie so: „Oh du Energie, aus der ich geworden bin. Du fließt jetzt doch immer noch in allen meinen Adern. Ich schaffe es nicht, mich meinem Glück auch nur eine Spur zu nähern. Du musst es machen, du musst mich zu meinem Glück führen, ich kann es nicht, aber du kannst es. Du wolltest doch niemals, dass ich untergehe, du wolltest doch von Anfang an, dass ich blühen kann, also hilf mir nun, dass ich nicht untergehe. Hilf mir! Sogar ich freue ich mich ja doch über das Blühen überall. Also lass mich endlich auch blühen. Hilf mir. Ich schaffe es nicht. Du musst es für mich schaffen. Hilf mir. Hilf mir.“
Und dann kommt Hilfe. Unglaublicherweise hat dieses Gebet eine Wirkung, die wir gar nicht für möglich gehalten haben. Plötzlich bekommen wir tatsächlich Hilfe, nachdem wir jahrelang umsonst darauf gehofft hatten. Und mit jedem Schritt bekommen wir neue Hilfe, wenn wir diesen Weg fortsetzen.
Es ist so einfach. Jeder kann diesen Weg gehen. Das einzige Hindernis ist unsere Idee, wir müssten es selbst schaffen, wir müssten gut sein. Solange wir glauben, wir wären gut oder dass wir zumindest gut sein könnten, wenn die Bedingungen besser wären, gibt es keine Antwort auf unser Gebet. Wir haben dann nämlich die Wahrheit verlassen. Wir können nämlich in Wirklichkeit nicht gut sein. Keiner ist gut. Jeder hat seinen Schatten. Das ist unvermeidlich. Wir können es daher genauso gut aufgeben, gut werden zu wollen. Wir brauchen nicht gut sein, wir brauchen nur ehrlich sein. Und ehrlich sein heißt: Unserer Sehnsucht folgen und nicht irgendwelchen äußerlichen Bildern. Genau das befiehlt das erste Gebot, nicht irgendwelchen Bildern zu folgen. Dieses Bildern folgen, was die meisten ja tun, ist das ganze Übel. Es ist unehrlich. Der Ausweg aus dem Übel ist, zugeben, dass wir es nicht schaffen. Keiner schafft es, auch der Allerbeste nicht. Solange wir Bildern folgen, wissen wir im Grunde nicht einmal, was wir eigentlich schaffen möchten, weil wir von unserer Sehnsucht getrennt sind. Wenn wir der Wahrheit allein folgen, brauchen wir keine Bilder mehr. Dann zeigt sich der nächste Schritt von selbst. Die Wahrheit ist, dass wir unser Glück nicht schaffen können, dass aber jene Energie es ist, die es schafft, aber nur wenn wir sie auch lassen. Dann schafft sie das Beste für uns, denn sie will ja das Beste. Und diese Energie ist weder ein übernatürliches Wesen noch irgendeine altertümliche, überholte Instinktform, die uns zu Tieren macht, wie wir das vielleicht befürchten. Nein diese Energie ist vollkommen up to date und sie ist uns überhaupt nicht fern. Sie ist vollkommen menschlich und sie weiß alles, was wir wissen und viel mehr. Sie sieht nämlich, wo es das gibt, was wir möchten und sie führt uns da hin. Bei den Indianern gibt es dazu [bei Hyemeohsts Storm] die Geschichte von den Cojote-Roben, die alle, die sie anziehen, befähigen, zu sehen, wo es Büffel, also Nahrung, gibt. Diejenigen, die es wagen, sich über niemand zu erheben, auch nicht über die Tiere, werden von ihrer Natur ausgestattet mit einer Sicht, die alle Probleme löst. So sehen es die Indianer. Ich sehe es ähnlich: Diese Energie führt uns besser als jede verstandesmäßige Suche. Allerdings kann sie uns auch zu einer solchen Suche bringen. Denn wir müssen die Befehle der Energie ja ausführen, damit wir ans Ziel unserer Träume kommen. Alles kann auf dem Weg liegen. Und wir müssen einen Schritt nach dem anderen gehen, aber genau so sagt es uns diese Energie auch, einen Schritt nach dem anderen. Und sie mutet uns immer nur das zu, was wir uns trauen - umso mehr, umso mehr wir uns trauen. Und so oder nur so erfüllen sich schließlich unsere Wünsche: Indem wir sie ausführen.
Die Wege dieser Energie sind manchmal völlig undurchschaubar, sie mögen gelegentlich sogar wahnsinnig erscheinen. Das trifft uns aber erst, wenn wir uns bereits sehr viel trauen - vorher ist das, was wie Wahnsinn erscheint, wirklich Wahnsinn. Jeder Schritt ist natürlich eine neues sich Trauen. Bis wir uns alles trauen. Jesus hat sich am Ende sogar getraut, in den Tod zu gehen, im Vertrauen auf die Führung, das er sein ganzes Leben lang gepflegt hat. Und nicht einmal in diesem Schritt ist er enttäuscht worden. Das meint die Lehre von der Auferstehung.
Die erste Auferstehung findet aber schon viel früher statt, nämlich sobald ein Mensch erkannt hat, dass er es nicht schaffen kann. Sobald er das zugibt wird in ihm jenes Gebet entstehen, von dem ich vorher schrieb. Und darauf folgt die erste Auferstehung. Und es folgen noch tausend weitere neue Auferstehungen auf diesem Weg, bis es keinen Zweifel mehr gibt. Dann ist das Leiden zu Ende, dann ist Heilung eingetreten. Dann gibt es kein Halten mehr für die Sehnsucht, dann nimmt die Vision Gestalt an. Träume verwirklichen sich. Von selbst, aber doch durch uns und für uns. Aber natürlich nicht nur für uns, sondern auch für alle anderen, die damit zu tun haben. Wir brauchen gar nicht an sie denken, sie werden erscheinen, sobald es so weit ist und wir werden wissen, was wir mit ihnen zu tun haben. Und es wird gut sein für uns und für sie.
Wenn das Paradies irgendwo erscheint, dann zieht das Kreise. Es warten doch alle schon so sehnsüchtig darauf. Sie haben nur so viel Angst. Deshalb brauchen sie einen Anstoß, einen Anstoß zum Vertrauen. Sie müssen mit eigenen Augen sehen, dass es möglich ist. (Deshalb muss es ihnen gezeigt werden, was ich hier gerade im Begriff bin, auf diese Weise zu tun.) Dann trauen sie sich auch.
Was trauen sie sich dann auch? Zu kapitulieren vor dieser Energie und ihr die Führung zu überlassen. Wir brauchen nur die Initialzündung machen, indem wir uns erlauben unsere Wahrheit zu betrachten, nämlich unseren Schmerz und unsere Sehnsucht. Das ist der Motor. Es war schon der Motor zum Urknall, zur Entstehung der Universen, es war der Motor der Evolution vor uns und es ist auch der Motor unserer eigenen Evolution. Der Motor besteht aus einer einfachen und zugleich dreifachen Wahrheit: Die Energie, die zwischen Schmerz und Sehnsucht oszilliert, treibt die Schöpfung und uns auch. Und sie treibt uns zu unserer Vollkommenheit, zu unserer Ganzheit, zu unserem Glück, zu unserem Heil.
Der Motor schafft aus der Einheit Dreiheit in der Einheit und aus der Dreiheit dann die Vielheit. Und die Vielheit treibt er zurück zur Einheit. Das ist der ganze Zyklus dieser Energie.
Der „Vater“ spürt eine Sehnsucht. Die Einheit schmerzt ihn. Er möchte ein Gegenüber. Und die Sehnsucht sprießt ein Gegenüber [da ist die Wurzel des symbolischen „Spross“ bei Jesaja]. Im Christentum ist das „der Sohn“. Die Energie, aus der etwas sprießt, ist „der Geist“. Und nachdem nun der Anfang gesetzt ist, ist der nächste Schritt, der nun „von selbst“ folgt, die Vielheit. Im christlich/jüdisch/islamischen und auch im hinduistischen Bereich ist das die Schöpfung.
Von da an ist der Schöpfer nicht mehr frei, denn von da an muss er für die Rückkehr der Vielheit in die Einheit sorgen und er tut alles dafür (natürlich ohne etwas zu tun). Er entfaltet sich in jedem Wesen in dieser Weise (das entspricht seiner Natur, es ist ein ihm innewohnendes Gesetz), sobald das Wesen ihn lässt. Die schöpferische Energie treibt es dadurch zur Bewusstheit.
Der Weg zurück in die Einheit, wie der Weg heraus, ist geprägt von Schmerz. Schmerz ist der erste Anlass zur Schöpfung und Schmerz ist der letzte Anlass zur Rückkehr in die Einheit. Die Sehnsucht ist der ursprüngliche Schmerz. Wenn unsere Sehnsucht uns nicht leiten kann, kommen weitere Schmerzen hinzu, weil dadurch unser ganzer körperlicher und geistiger Metabolismus behindert wird. Behindert wird unsere Sehnsucht, wenn wir, anstatt ihr zu folgen, aufgrund irgendwelcher Motive, irgendwelchen anderen Zielen folgen, z.B. Anerkennung, Geld etc.. Anerkennung und Geld wären in unserer Sehnsucht auch enthalten. Wenn wir ihr vertrauten, brauchten wir uns diese Ziele nicht separat zu setzen. Das meint Jesus mit „suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, alles andere wird euch nachgeworfen werden.“
Aber wir haben uns bereits separiert von der Kraft. Allein durch die Möglichkeit war die Versuchung zu groß, es zu probieren, ob es nicht besser geht auf eigene Faust. (In diesem Zustand finden wir uns vor, wenn die Frage nach unserem idealen Lebenskurs in unser Bewusstsein dringt.)
Aber auch die Stufe der Eigenmächtigkeit entspringt der Intention der Energie. Es ist uns erlaubt, ja wir müssen es tun, um zur Fülle der Bewusstheit zu gelangen, und trotzdem hat es (der „Sündenfall“) die Wirkung der Entfremdung. Die Entfremdung bedeutet Schmerz. Die Sehnsucht, die wir da schmerzhaft spüren, drängt uns, zurückzukehren zur Einheit. Wir sollen nicht gezwungen werden, wir sollen es selbst erkennen, was im Zustand der Entfremdung natürlich nicht leicht ist. Der Schmerz dieses Zustands spitzt sich daher oft sehr stark zu, mit lebensbedrohlichen Symptomen aller Arten. Auf diese Weise drängt uns der Schmerz dazu, eine Lösung zu finden. Sobald er sein darf, wird sich obiges Gebet formen und das Gebet wird erhört werden und die Rückkehr ist auf den Weg gebracht.
So wirkt der Motor der Evolution.
Dieser Motor, bzw. die Energie, die ihn treibt, ist nicht frei. Er ist gebunden an eine Grundgesetzlichkeit des Seins, der sogar die Energie selbst unterworfen ist. Die einzige Freiheit, die es für alles Seiende gibt, ist, dieser Gesetzmäßigkeit zu folgen. Sich zu unterwerfen unter eine höhere Macht. Sogar Gott selbst unterwirft sich dieser höheren Macht. Aber was könnte das für eine Macht sein? Es ist das Gesetz des sich Verschenkens, das die alleinige Lösung ist für die Sehnsucht nach einem Gegenüber. Dieses Gesetz treibt alles von Anfang an. Dieses Gesetz war schon vor dem Anfang da. Es ist immer schon da. Es ist es. Es ist Gott. Das hat der Evangelist Johannes mit dem „Wort“ gemeint, das im Anfang bei Gott war.
Und dieses Wort ist logischerweise auch Fleisch geworden und es wird Fleisch in jedem Menschen, der dieses Gesetz erkennt und ihm folgt. Sie alle sind echte „Kinder Gottes“. Jesus war einer von ihnen. Johannes sagt dann aber eben, dass alle Menschen Kinder Gottes werden können – unter der Bedingung, dass sie „das Wort aufnehmen“, also indem sie diesem Gesetz folgen. – Diesem Gesetz, meint er, nicht irgendwelchen Dogmen oder Moralvorschriften!
Es gibt nur ein Kennzeichen des richtigen Weges: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Auf diesem Weg beginnt nämlich alles zu blühen und Früchte zu tragen. Und diese Früchte sind gut. Das können alle erkennen. Es sind nämlich nicht Früchte nur für sie selbst, sondern für alle. So ist es in der Natur doch von Anfang an eingerichtet. Das ist auch so bei einer Heilung. Als Frucht kann sich beispielsweise bei einem Menschen ein einfacher Dienst zeigen, der ihm dann auch selbst das Überleben ermöglicht. Ein solcher Dienst geschieht weder aus Geschäftsinteresse noch aus Moralmotiven, sondern, weil es jetzt die Wahrheit ist. Der Dienst eines Einzelnen ist die Antwort des Ganzen auf die Sehnsucht, auf den Schmerz von vielen. Der Dienst ist also etwas, wohin die schöpferische Kraft alles und jeden treibt, die sich ja selbst von Anfang an in diesen Dienst stellt. Ein Dienst aus Moralgründen hat damit nichts zu tun. Er wäre nur eine Zugabe zur Entfremdung, die natürlich ihrerseits wieder den Schmerz verstärkt und damit die Sehnsucht nach einer Lösung. Der Motor ist überall. Umso weiter sich jemand von der Lösung entfernt, umso näher kommt er ihr. Sie ist letzten Endes unausweichlich. Die Hölle ist das Sprungbrett zum Himmel. Wer möchte da schon bleiben? So einfach ist das.
„Wenn es nur so einfach wäre!“, sagen da natürlich viele, die in der Entfremdung leben. Sie finden es gar nicht einfach. Aber es könnte einfach sein, wenn sie einfach nur diesem Gesetz nachfühlen würden, diesem Motor, der „Form“ dieser Energie, die eben auch ihre eigene Form ist. Dann hätten sie sicher nichts mehr dagegen, „Kinder Gottes“ zu werden – eben auf ihre Art.
Die Lösung ist immer die genaue Antwort auf die Situation. Sie ergibt sich aus der Wahrheit. So arbeitet der Motor. Die Wahrheit enthält die Energie und ihr entspringt die Idee zur Lösung.
Was soll Gott machen, wenn er so ist, wie er ist? Er muss sich ein Gegenüber schaffen mit all den Folgen bis herauf zu uns und zu ihm zurück, weil das Gegenüber ja antwortet. So lebt Gott mit seiner Schöpfung und wir mit ihm. Und wenn ihm oder uns etwas daran nicht passt, dann wird die Energie eben ihm und damit auch uns die rettende Idee geben.
So läuft das ganze Universum von Anfang an.
Sexualität
(3. 8. 2001)
Sexualität, so glauben viele, wäre so etwas wie ein „niedriger Instinkt“. Dass sie das glauben hat zu tun mit den grauenhaften Dingen, die in Zusammenhang mit Sexualität geschehen: Morde aus Eifersucht oder um einen Partner / eine Partnerin für sich frei zu machen, Dominierungen aller Arten, von direkter Vergewaltigung bis hin zum abhängig Machen und Halten eines Partners / einer Partnerin, Machtspiele ohne Ende, sich Verkaufen etc., etc..
Das alles kann geschehen, weil die Sexualität ein äußerst starker Antrieb ist, dem sich fast niemand entziehen kann.
Ursprünglich hat das natürlich einen positiven Grund – denn dieser Trieb erzwingt Kontaktaufnahme und Kommunikation – und doch nicht ganz zwingend – und zwar Kontakt mit einem Gegenüber, das anders ist.
Der Unterschied zwischen Männern und Frauen äußert sich ja nicht nur körperlich-organisch, sondern vor allem auch psychisch-organisch.
Die Wissenschaftler begründen den Unterschied natürlich mit dem „Instinkt“ und den „instinktiv“ im Dienst der Brutpflege unterschiedlich angelegten sozialen Rollen. Sie meinen, es wäre einfach eine Art genetisches Programm, das abläuft. Und damit haben sie sicher recht, nur ist das bloß die halbe Wahrheit, denn die ganze enthüllt sich erst mit der Frage nach dem über die Arterhaltung hinausgehenden Sinn. Die Verhaltensforscher übersehen allzu leicht das, was über ihren Bereich hinausgeht, in diesem Fall das Drängen der gesamten Schöpfung in Richtung Bewusstheit. Und dabei spielt die Sexualität von Anfang an eine erhebliche Rolle.
Aus diesem Grund erleben wir in unserer Gesellschaft im Moment eine immer weiter gehende Liberalisierung der sexuellen Riten und Vorschriften.
Die Regelungen, die bisher gegolten haben [und deren Nichteinhaltung in manchen Kulturen bis in die jüngste Vergangenheit mit dem Tod bedroht wurde], gelten nicht mehr. Das alte Tabu bricht auseinander und reißt die Institutionen, die sich dafür stark gemacht haben, gleich mit sich in den Abgrund. Die technischen und sozialen Veränderungen unserer Zeit machen jetzt eine neue Stufe der Beziehungen möglich, nämlich die freie Partnerbeziehung. Es ist zwar noch nicht so, dass Männer Kinder bekommen können, aber es wird nicht mehr lange dauern, dann wird es möglich sein. Und dann ist alles möglich, jede Art der Beziehung und auch die monomane Fortpflanzung durch Cloning.
Und so wie die Gesellschaft zu jeder Zeit eine Form gefunden hat, die Aufzucht ihrer Nachkommen zu schützen und zu fördern, wird auch jetzt wieder eine Form gefunden werden – ohne dass diese für alle verpflichtend sein müsste, denn jetzt ist jeder frei, die Form zu finden, die ihm/ihr entspricht. In der „Gesellschaft“, also innerhalb des politischen Willensbildungsprozesses der Bürger, werden jene Formen gefunden werden. Sie haben sich noch nicht klar herauskristallisiert. Noch fehlt das Modell und es fehlt der universelle geistige Hintergrund, aus dem das neue Modell hervorgehen kann. So einen geistigen Hintergrund bin ich im Begriff darzustellen.
Tatsächlich sind die Formen, in der Männer und Frauen in der Zukunft zusammenleben werden, alle schon da. Und auch die sozialen Netzwerke sind schon da. Schlimmstenfalls (falls ihre Beziehungen ihnen nicht mehr ausreichend Schutz bieten) können die Menschen auf Sozialhilfe [also auf die Hilfe der Gemeinschaft als Ganzer] zurückgreifen. Das ist zwar sehr karg, aber es geht. Die Institutionen sind vorhanden. Sie müssen nur noch klarer in ihrer Funktion erkannt und definiert werden. Dann werden sie von einem neuen Geist inspiriert werden und damit im Bewusstsein der Menschen den entsprechenden neuen Wert bekommen.
Dann wird wieder etwas als „heilend“ oder dann sogar als „heil-ig“ betrachtet werden. Und zwar nicht irgendwelche Gegenstände oder Gebäude oder Institutionen, sondern die Nachkommen, die ja von Anfang an in ein Höchstmaß von Bewusstheit hineinwachsen sollen – so wie früher, wo es bei allen Völkern die großen Übergangsrituale gab, die die Kinder in den jeweils entsprechenden Schritten in die Realitäten dieser Welt einführten, bis sie als erwachsene und selbstverantwortliche Menschen in eine größere Freiheit entlassen werden konnten, deren Regeln und Tücken sie inzwischen intensivst kennen gelernt haben.
Damals [zu den Zeiten der Stammeskulturen] war alles durch Verwandtschaften geregelt. Das ist heute nicht mehr möglich. Ja, Verwandtschaften werden möglicherweise immer geringere Bedeutung haben. (Das ist auch mit ein Grund für die Schwierigkeiten besonders auch des Islam, sich in die entstehende neue Kultur zu integrieren.)
Wichtig ist, dass die Kinder ein zu Hause haben, auch wenn sie nicht unbedingt immer bei einer Person sein müssen. Sie könnten auch herumgereicht werden – in Liebe natürlich, nicht abgeschoben! Und das müsste „die Gesellschaft“ möglich machen. Platz für Kinder überall! Natürlich dort, wo Menschen Kinder lieben. Die Kinder sollten wählen dürfen. Warum sollte ein Kind nicht auch für eine Weile bei irgendwelchen Bekannten sein, die es mögen, oder sogar bei Fremden, zu denen ein Kontakt entstanden ist.
Heute würden die staatlichen Behörden dabei ständig befürchten, dass eine Art Kinderhandel entstehen würde und dass die Kinder letzten Endes nicht geschützt wären. Sie müssen natürlich geschützt werden. Sie wären aber schon ganz gut geschützt, wenn sie das Geld, das ihr Unterhalt kostet, von der Gesellschaft mitbekommen würden.
Darüber hinaus müssten die Kinder natürlich mit ihresgleichen zusammenkommen. Kindergarten, Schule – nur, auch die Schule müsste sich grundlegend wandeln, nämlich in Richtung auf eine Einrichtung, in der die Schüler so sehr von der Erfahrung der Erwachsenen profitieren möchten für ihr Leben, dass sie gerne hingehen. Natürlich dürfte die Gleichbehandlung nicht so weit gehen, auch die gleichermaßen zu unterstützen, die sich dem Lernen lieber nicht unterziehen wollen. Und natürlich muss grundlegend neu geklärt werden, wodurch die Kinder am besten auf das Leben als Erwachsene vorbereitet werden.
Das Nächste, was erarbeitet werden muss, sind daher die schon erwähnten Übergangsrituale, die immer zeitgemäß an dem orientiert sein müssen, was die Gegenwart an Mythen, Idealen und Horrorvisionen zu bieten hat. Beides muss durchlebt werden. Und dazu muss es Projekte geben, die die Probanden an ihre Grenzen führen und darüber hinaus. In jeder Beziehung. So dass es ihnen möglich wird, sich von den landläufigen Bildern zu lösen und einen unmittelbaren Kontakt zu sich selbst zu finden.
Damit sie dann auf der folgenden Stufe den anderen Menschen [also auch den möglichen Geschlechtspartnern] entsprechend [fühlend] begegnen können.
Welche Art Prägungen es auch sein mögen, die ein Mensch während seiner Entwicklung erfahren hat, er muss diese als zufällige und veränderbare Ausgangsbedingungen verstehen können. D.h. es muss ihm gezeigt werden, wie die momentanen Grenzen überwunden werden können, wie also ein Leben in Freiheit möglich ist.
Der sexuelle Trieb zwingt uns zum Handeln, zu einer Entscheidung, zu immer neuen Entscheidungen, egal in welche Richtung er geht.
Wir kommen, willig oder unwillig, in intensiven Kontakt mit einem anderen Willen. Eine unsichtbare Kraft drängt uns dazu.
Mann und Frau sind komplementär, und doch gilt für beide die gleiche Regel: Alle beide müssen dem/der anderen ihr Bedürfnis eingestehen. Alle beide müssen sich als schwach zeigen, sonst erwecken sie kein Interesse – zumindest nicht bei Menschen, die nicht an äußerlichen Bildern [Prestige, Geld etc.] kleben. Auch der Mann muss sich als schwach zeigen. Die Machos haben (wie man meinen könnte: paradoxerweise) kein Problem damit. Sie betonen nur gleichzeitig, dass sie sich nicht manipulieren lassen. Das Gleiche ist für die Frauen wichtig. Der Unterschied zwischen Männern und Frauen liegt nicht in unterschiedlichen Freiheitsgraden, sondern in der „Sprache“, also im Ausdruck, der nämlich genau dem entspricht, wie sie physisch und psychologisch gebaut sind. Deshalb kann es auch homosexuelle Kontakte und Beziehungen geben und alle anderen Varianten. Die weiblichen Menschen (also nicht nur Frauen im physiologischen Sinn) betonen das Gefühl (sie suchen überwiegend Geborgenheit, also Sicherheit), die männlichen den Verstand (sie suchen überwiegend Freiheit, Unabhängigkeit). Und somit ist für die Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Sicherheit gesorgt, jene beiden Pole, die uns zur Bewusstheit zwingen. Darum geht es der universellen Evolution von Anfang an. Und natürlich geht es darum auch bei den Menschen.
Wer verstanden hat, dass es um Bewusstheit geht, ist dem Zwang (des Triebs und der gesellschaftlichen Tabus) nicht mehr unterworfen. Er spürt den Druck, muss ihm aber nicht nachgeben. Er kann ihm aber nachgeben. Und dann wird auch dieses Nachgeben der Bewusstheit dienen. Der sexuelle Drang kann aber eben leicht die Form eines Zwangs annehmen. Und in dieser Not gibt es keine Freiheit. Die Lösung für jede Art von Not ist natürlich Bewusstheit.
Natürlich gilt das auch für den Beziehungsstress.
Bewusstheit heißt, sehen, was ist. Jeden Druck, jeden Zug an sich selbst spüren und ihn vergleichen mit den Zügen und Drücken, die aus dem Inneren kommen. Die Unterworfenheit erkennen unter diese Realität. Eine sexuelle Beziehung gibt die Möglichkeit, jene Bewusstheit sogar ausdrücklich als die Grundlage auch der Beziehung zu sehen.
Wenn sich also beide (oder mehr) Partner darauf einigen, dass sie einander gegenüber ehrlich sein wollen und alles auf den Tisch legen, was bei ihnen los ist, dann entsteht auch die bestmögliche Beziehung, denn beide (oder mehrere) werden einander sagen, was sie sich vom anderen wünschen und sie werden sich auf ihre Wünsche Antwort geben, wieder ehrlich. So werden die beiden (oder mehrere) mehr und mehr bekommen, was sie sich wünschen. Es könnte aber auch sein, dass sie feststellen, dass der/die eine das gar nicht hat, was man sich erträumt hat, dann muss die Beziehung auseinandergehen und jeder der beiden muss das anderswo finden, was er/sie sucht. Es kann sich aber auch etwas an den Wünschen ändern, sodass eine Beziehung, die vorher nicht zu passen schien, jetzt plötzlich passt.
Alles ist möglich. Auch häufige Partnerwechsel, auch das Single-Dasein, so sehr diesem noch der Geruch von Entfremdung anhaftet. Und natürlich auch das Mönchische, der Zölibat, aber eben freiwillig und nicht als ein Gebot. Heute sind es erstaunlicherweise oft solche, die sich für liberale Intellektuelle halten, die die Nase am meisten rümpfen, wenn einer sagt, er habe freiwillig keinen Sex. Das halten sie für pervers. Liberale Intellektuelle sind eben in Wirklichkeit meistens moralische Spießer, die vor nichts mehr Angst haben, als davor, das erkennen zu müssen. In der neuen Realität aber wird wirklich alles möglich sein, von totaler Abstinenz bis hin zu allen Arten von sexuellen „Perversionen“. Solange niemand dabei verletzt wird, braucht die Gesellschaft keine Angst davor haben.
Natürlich müssen wieder die Kinder geschützt werden, bzw. es muss sichergestellt sein, das sie sich bewusst und freiwillig entscheiden können. Die Freiheit ist das Entscheidende. Das muss die Gesellschaft sicherstellen. Wenig hilfreich in dieser Schutzfunktion ist paranoide Angst. Auch den Kindern muss erlaubt werden, zu experimentieren – und dadurch doch auch bewusster zu werden, eben schon als Kinder – auch sexuell zu experimentieren, in jeder Richtung, die ihnen einfällt, aber natürlich wieder mit der Ausnahme, dass niemand verletzt werden darf. Aber die Kinder haben für ihre eigenen Experimente ohnehin auch in der Vergangenheit immer Wege gefunden.
Für die trotzdem Verletzten muss es eine angenehme Zuflucht geben (ein echtes Asyl) mit größter Toleranz ihnen gegenüber, mit schonender Rückführung und mit offenen Ohren.
Für diejenigen, die verletzen, muss es eine Form des Anschlusses (anstatt wie bisher des Ausschlusses aus der) an die Gesellschaft geben, die wieder zur Bewusstheit führt. Sie müssen sich auseinandersetzen mit dem, was sie tun.
So muss auch der Gerichtsapparat umgeformt werden: Allein diese bewusstheitsfördernde Auseinandersetzung muss das Ziel der Justiz werden und bei akuter Gefahr natürlich die Verhinderung schlimmeren Übels. Dazu braucht es so etwas wie „Encounter“ [für die zeitweilig Ausgeschlossenen] in den Gefängnissen. Und dafür braucht es natürlich Justizbeamte, die wirklich die Interessen der Gemeinschaft vertreten und nicht ihre eigenen, angefangen bei den Richtern bis hin zu den Justizvollzugsbeamten. Und auch die Polizei muss in diesem Geist arbeiten. Und das über eine lange Zeit, nämlich bis eine Umkehr erreicht ist.
Die Größe des Delikts ist dabei nicht das Entscheidende, es geht um die Einstellung. Ziel soll doch eine Einstellung der gegenseitigen Förderung sein. Vorauszusetzen dabei ist allerdings, dass die Bedürfnisse der Menschen, die leiden, auch gehört werden, denn sonst können sie ja nur destruktiv werden und bleiben.
Auch das gehört zur Frage nach Mann und Frau, denn der Trieb zueinander ist stark und nicht wenige sind ihm verfallen. Es kann eine wirkliche Sucht sein. Dann besteht Abhängigkeit. Sie kann erst gelöst werden, wenn der Schmerz stark genug ist, um ein klares Bewusstsein der Abhängigkeit hervorzurufen. Der Schmerz dringt dann ein in das vorhandene hypnotische Bild und löst die Verhaftung darin. Dann wird es möglich, auch „Nein“ zu sagen oder zumindest, sich einzugestehen, dass der Zwang einfach überwältigend ist. Das ist der Anfang der Veränderung. Und damit auch der Veränderung der Beziehung. Bewusstheit breitet sich aus. Und die Bewusstheit führt zur Lösung des Unbefriedigenden und zu immer tieferer Befriedigung der Wünsche bzw. zur Befriedigung immer tieferer Wünsche.
Natürlich kann es sein, dass der Partner aussteigt, wenn der andere mit Bewusstheit anfängt, oder es kann sein, dass er sich darauf einlässt. Der aussteigt [und unbewusst bleibt], muss nun den nächsten, unbewussten und unter dem sexuellen Zwang stehenden Partner/Partnerin finden, um weiter seine abhängig machende Rolle spielen zu können. Und wenn der Schmerz dann auch bei diesem Partner / dieser Partnerin stark genug ist für den Lösungsweg, muss er wieder weiter ziehen und immer wieder wird er konfrontiert werden mit der Anforderung nach Bewusstheit.
Im Idealfall werden sich dann zwei (oder mehr) Menschen bewusst und freiwillig einander hingeben und sich wieder zurücknehmen, genau in dem Rhythmus ihrer Natur.
Ein ständiges Offensein kann es nicht geben. Es muss auch Raum sein für das für sich Sein und zwar genauso viel, wie notwendig ist. Das bedeutet also Zeiten mit wenig Aufmerksamkeit für den Partner / die Partnerin. Sie müssen einen Weg finden, sich zu begegnen, ohne sich zu verlieren. Sie müssen ihre Rhythmen abstimmen. Wenn sie wollen. Wenn sie lieber Zoff wollen, warum nicht, es ist aber schade um die Zeit. Sie sollten lieber schauen, was sie wirklich ärgert und dort ihrer Wut Luft machen. Doch das braucht natürlich wieder Bewusstheit.
Der Weg der Bewusstheit hat für alle nur Vorteile, Nachteile hat er nur für die Erpresser und Vergewaltiger. Die haben dann keine Chance mehr. Sie haben dann allerdings auch keinen Grund mehr für ihre Negativität, denn sie dürfen ja auch selbst rechtzeitig ihr Bedürfnis äußern. Und auch sie werden gehört werden in ihrer Not.
Dafür, den Menschen diese Möglichkeiten zu zeigen, muss es natürlich Leute geben.
Es werden nicht die heutigen Psychotherapeuten sein [aber doch so etwas Ähnliches] denn sie werden nicht so sehr von einer erlernten Methode ausgehen, als von ihrer eigenen Bewusstheit. Und damit wird eine organismische Verästelung der Bewusstheit in der Gesellschaft entstehen, die dem Ganzen immer neue Anstöße zur Bewusstheit geben wird, ähnlich dem Blutkreislauf samt allen integrierten filternd reinigenden Organen und Funktionen im Metabolismus. Schließlich wird jeder auf seiner Ebene, also nach seinen Möglichkeiten in seinem jeweiligen Umkreis für Bewusstheit sorgen und sich um die kümmern, die nach Hilfe dabei fragen und gelegentlich sogar um die, die nicht danach fragen.
So möchte eine Kultur der Bewusstheit wachsen gerade aus der Verschiedenheit der zwei Menschengattungen Mann und Frau. Die sexuelle Energie treibt uns in diese Richtung. Und die heutige Vermischung der Kulturen ermöglicht neue Formen.
Wir werden daher die Geburt einer neuen Art von universeller Stammeskultur erleben, in der es möglich sein wird, vieles von dem Grauen des Lebens heute zu vermeiden und immer neue Lösungen zu finden.
Den Anfang macht der bewusste Entschluss, in diese Richtung zu gehen.
Alle können nur gewinnen, wenn wir diesen Weg einschlagen und ihn über unser ganzes Leben ausbreiten.
Dieser Weg beginnt natürlich bei der Selbsterkenntnis, bei der Erkenntnis der Ausgeliefertheit, und der Kraft, die uns ins Dasein gerufen hat. Bewusstheit heißt, sich dieser Kraft zu überantworten, ihr zu einhundert Prozent zu vertrauen. Dann sind wir selbst diese Kraft. Und wir sind frei, einander gegenüberzutreten, und zu sagen, was wir möchten. Und dann wissen wir, dass es wieder diese Kraft ist, die uns im Anderen gegenübertritt. Unser Weg enthält daher jederzeit Respekt vor dem unbekannten Anderen genauso wie für uns selbst.
Wenn sich alle diese Einstellung zu eigen machen, wird unser Leben sehr spannend werden und erfüllt. Ein goldenes Zeitalter wird anbrechen. Aber natürlich wird die Unachtsamkeit irgendwann wiederkehren und der Zyklus wird dann von vorn beginnen. Was allerdings in dieser Goldenen Zeit geschieht, weiß niemand. Allergrößte Träume könnten verwirklicht werden – so wie damals die Pyramiden, heute natürlich das den heutigen Möglichkeiten Entsprechende, vermutlich Weltraumkolonien und ein sehr tiefgehendes Engagement für diesen Planeten.
Indianer meinen, in Zeiten, wo alle im Stamm an einem Strang ziehen, gibt es keine Krankheiten und keine Not. So möchten wir, dass es wird. Sonst wäre es ja kein goldenes Zeitalter. Was dann möglich ist, davon können wir jetzt nur träumen. Andererseits sind wir eben da, wo wir sind. Hier müssen wir unsere Bewusstheit entfalten und den Grund legen für jene Zeit.
Jedes Bedürfnis, jeder Stress mit und in einer Beziehung stößt uns drauf. Unsere Sexualität ist ein sehr guter Motor für unseren bewussten Weg dort hin.
Das Tabu auf der Sexualität beruht auf den Gefahren der Abhängigkeit. Wer sie sieht und sich dagegen schützt, ist frei. Und natürlich muss die Gesellschaft mithelfen bei dem Schutz, wie oben schon gesagt. Das Tabu gilt nur für die, die in Gefahr sind, ihrem sexuellen Drang zu erliegen. Es soll sie zur Wachsamkeit ermahnen. Wenn sie das Tabu übertreten, sollen sie sich nicht wundern über die Folgen. In diesem unmittelbaren Zusammenhang muss das Tabu gesehen werden. Es darf nicht mythisiert werden, sonst wird sich daraus ein neues Verhängnis entwickeln.
Alles beruht darauf, dass alles sein darf, was niemand verletzt. Und dass es Angebote gibt für die, die sich Sorgen machen, wie vorhin beschrieben. Und das alles in unserem Umkreis. Wir müssen diese Einstellung vorgeben, damit sie sich ausbreiten kann von uns aus. Umso mehr solche bewussten Zellen es gibt, umso besser. Sie werden alles durchwuchern mit gutem Leben. (Das hat Jesus mit dem „Sauerteig“ gemeint, der alles durchsäuern soll.) Und so wird sich dieser Weg durchsetzen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die gegenwärtige Entfremdung dafür sorgt. Die Menschen warten auf so etwas. Auf etwas, das ihnen wirklich Aussichten eröffnet auf ein neues und viel stärkeres Leben – nicht nach dem Tod, sondern gleich jetzt – eben in der Bewusstheit.
Es muss nur alles zusammengebracht werden, damit die Menschen Vertrauen fassen: Religion, Musik, Spaß, Arbeit, das ganze Leben eben.
Wir müssen erkennen, dass das die einzig bekömmliche Form von Religion ist. Dass wir gemeint sind mit der Möglichkeit, Erscheinungen Gottes sein zu dürfen, die es in jeder Religion gibt. Und dass sie in der Bewusstheit besteht.
Die Sexualität ist der natürliche Anknüpfungspunkt der Bewusstheit in unserem Leben, jedenfalls ein sehr weitgehender.
Wir müssen experimentieren, um unser Glück zu finden, immer im Bewusstsein der Gefahr. Ohne dass wir uns etwas trauen, geht es nicht. Auch nicht in der Beziehung. Sonst fesseln wir uns selbst. Das Vertrauen aber kommt aus der Bewusstheit. Wenn wir klar wahrnehmen, was wir fühlen, finden wir darin jede Lösung. Und daher Vertrauen. In unserer Wahrnehmung nehmen wir nämlich auch jene Energie mit wahr, die im Bild der Lösung steckt und im Schreckensbild der Gefangenheit, aus dem die Lösung ja entspringt. Das ist der Weg der Bewusstheit.
Die Bewusstheit ist es auch, die die gegenwärtige Sexwelle ausgelöst hat. Diese ist ja aus der Sexfeindlichkeit hervorgegangen, als die Möglichkeiten gegeben waren. Anlass gaben vor allem die Antibaby Pille, die modernen Kondome und die Medikamente gegen Geschlechtskrankheiten. AIDS ist zu spät gekommen, um die Bewegung noch aufzuhalten. AIDS ist nur ein letztes „Produkt“, eine letzte Materialisierung des Albtraums derer, die Angst haben vor ihrer Sexualität, ihres letzten Widerstands gegen die sexuelle Liberalisierung, die ja noch lange nicht an ihr Ende gelangt ist.
[Es wäre sicherlich vorteilhaft, wie schon angedeutet, auch die Krankheiten in dem eben beschriebenen Sinn zu betrachten, nämlich als Produkt eines Geists. Krankheiten können auf den Wegen des Geists projiziert werden auf diejenigen, die man {insgeheim} auslöschen möchte. Das sehen die Medizinmänner der alten Völker ganz klar und voll zurecht. Es gibt so etwas wie „Magie“. Sie wirkt. Unsere Vorstellungen wirken nämlich auf uns und über uns hinaus. Sie können uns und andere krank machen und natürlich auch gesund.]
Die sexuelle Liberalisierung erzwingt Bewusstheit. Die neuen Möglichkeiten bringen die Menschen dazu, zu experimentieren und ein Resultat zu erfahren – das allerdings sicherlich oft nicht das ist, das sie erträumt hatten. Durch die neuen Möglichkeiten ist einfach ein Tor geöffnet worden und der sexuelle Drang ergießt sich jetzt auf neue Gefielde, die sich in der Vergangenheit nur wenige leisten konnten. Das war das Programm der kürzlich verstorbenen Beate Uhse, die den Vielen das ermöglichen wollte, das vorher ein Privileg einiger weniger war. Sie hat ihr Ziel erreicht, nur war wohl auch bei ihr das Ergebnis ein wenig anders, als sie es intendiert hatte. Die Folgen waren nämlich nicht nur positiv. Auch Abstumpfung gehört zu den Folgen, Desensibilisierung, Überdruss.
So sehen viele die Gefahr heute darin, dass die Stimuli immer weiter gesteigert werden müssen. Ein Schritt dabei wäre die Verstärkung der Lust durch den Reiz des Verbotenen. Wenn nun aber nichts mehr verboten ist, woher soll die Verstärkung dann kommen? Und da meinen eben einige Besorgte, die Verstärkung könne dann nur aus der Kriminalität kommen. Ich meine, auch wenn das möglicherweise für eine zunehmende Anzahl von Menschen ein Motiv sein wird, gilt auch hier die gleiche Lösung: Bewusstheit, die Wahrnehmung dessen, was ist. Der Stimulus der Kriminalität bringt nämlich mit Sicherheit Ergebnisse, die unerfreulich sind und daher Leiden verursachen, in dem also wieder nach einer Lösung gesucht werden muss – eine neue Gelegenheit zu größerer Bewusstheit. Und so ist das auch im Fall der sexuellen Abstumpfung durch das Überangebot an Reizen. Es macht einsam und das schmerzt. Und das führt zwangsläufig zu einer neuen Suche und daher zu größerer Bewusstheit, denn nur sie bietet eine Lösung. Sexualität führt also auch auf den Wegen der Perversion zu größerer Bewusstheit.
Tatsächlich ist die sexuelle Not in unserer Kultur möglicherweise größer als je zuvor oder als in den Entwicklungsländern. Jedenfalls gibt es Unzählige, die einen Ausweg suchen – auch aus dem modernen Zwang zu sexueller Leistung.
Ich biete mit diesen Gedanken eine geistige Andockmöglichkeit für alle, die, von vielem Sex und von Pornographie abgestumpft und unbefriedigt, sich fragen, wie es weitergehen soll, damit sie sich eben nicht auf die kriminelle Schiene begeben müssen, um noch einen hoch zu kriegen. Zielführend ist nur dieser eine Weg, der Weg der Bewusstheit: Nicht sich etwas verbieten, sondern beobachten, wie was wirkt und wohin im Kontrast dazu die Sehnsucht führen möchte.
Auf diese Weise werden sich heute wieder so etwas wie universelle menschliche Standards zeigen, die nicht ohne Schaden missachtet werden können. Solche Standards haben sich schon früher gezeigt unter anderen Bedingungen. Damals sind diese Standards neu formuliert worden, inzwischen aber sind diese Formulierungen längst zu unbewussten Tabus erstarrt. Deshalb müssen die Tabus zunächst aufgehoben werden, damit sich jetzt unter diesen Bedingungen neu zeigen kann, wie die gegenwärtigen Standards aussehen. Die sexuelle Liberalisierung ist also eine notwendige Voraussetzung der Bewusstheit. Der Weg geht niemals zurück, sondern immer vorwärts, immer durch eine Etappe hindurch und dann weiter zur nächsten. [Auch historisch kann nichts ausgelassen werden. Selbst das Grauen des Nationalsozialismus konnte nicht ausgelassen werden. Der Geist, der sich unter den gegebenen Bedingungen entwickelt hatte, musste sich materialisieren und er konnte nur dadurch überwunden werden.]
Genau dieser Prozess ist heute unsere Chance: Wir können uns heute in einem neuen Geist sammeln, in einem Geist, der nichts verbietet, was niemand verletzt, der aber achtet auf die Sehnsucht und der sich auf die Verwirklichung des Traumes zubewegt. Wir können es besser haben, als wir es gewohnt sind, aber niemand wird es für uns tun, wir müssen es schon selbst tun.
Bewusstheit führt zur Hingabe. In unserer Sehnsucht werden wir sie entdecken. Nicht als eine Moral, sondern als ein Bedürfnis und gleichzeitig als ein Antrieb. Wir brauchen uns keine Kicks irgendwo holen, um Energie zu spüren, wir brauchen nur unserer Sehnsucht folgen und die Kicks werden kein Ende nehmen. Wir werden nämlich auch immer können, wenn die richtige Zeit dafür da ist. Potenzprobleme gehören auf dem Weg der Bewusstheit bald der Vergangenheit an. Potenzprobleme haben nur mit unserer Künstlichkeit zu tun, damit, dass wir uns ständig verpflichtet fühlen, zu wollen. Es ist beinahe ein sozialer Zwang, immer können zu müssen. Ein bewusster Mensch weiß, dass nicht jede Gelegenheit dazu benützt werden muss, dass sich eben auch Sex unter gewissen Bedingungen besser anfühlt als unter anderen und dass der Leistungsaspekt nichts mit Lust zu tun hat, sondern eher abtörnt.
Es geht doch in jeder Beziehung darum, das eigene Leben so zu gestalten, dass es sich gut anfühlt. Und das ist letzten Endes nur möglich, wenn wir unserer Sehnsucht folgen und nicht irgendwelchen gerade kursierenden [modischen] sozialen Bildern. Auch das zu unterscheiden, braucht Bewusstheit. Aber der Blick auf die Sehnsucht genügt. Er zeigt sehr schnell sehr klar, was wirklich gut ist und was nicht. – Und damit bin ich nicht bei der Unterscheidung von „gut“ und „schlecht“, die zur Vertreibung aus dem Paradies geführt hat, im Gegenteil. Ich maße mir jetzt ja nichts mehr an, ich bin nur achtsam, auf das, was ist. Ich bewege mich in der Masse der Welt wie eine Amöbe im Wasser, immer am Fühlen, was jetzt gut wäre. Und dabei geht es natürlich nicht nur um eine Lust des Augenblicks, denn auch die Folgen sind im Bewusstsein, das Gesamte ist im Bewusstsein. Vom Ganzen aus wird der Kurs der Bewusstheit gesteuert. Heute letzten Endes vom Ganzen der Menschheit aus.
So ist es sehr wahrscheinlich, dass es in der Zukunft einfach eine größere Bandbreite von Beziehungsmöglichkeiten geben wird, sicher so etwas, wie eine Ehe zu dritt oder mehrt etc. Gleichzeitig wird natürlich die Erwartung, einen Menschen besitzen zu können, abnehmen. Was immer sich als der Weg eines Menschen herausstellen wird, ist o.k.. Die engen Grenzen müssen weg. Die Welt wird dadurch nicht untergehen, im Gegenteil, sie wird neu aufblühen – aber eben nicht auf dem gegenwärtigen Weg immer breiterer sexueller Abstumpfung und Öde, sondern auf dem Weg der Bewusstheit.
Um Missverständnisse zu vermeiden, muss ich noch näher erläutern, was ich „Abstumpfung“ genannt habe: Der Alltag der Ehen ist oft durch sexuelle Abstinenz geprägt. Statt miteinander zu schlafen, entwickeln beide Partner separat sexuelle Phantasien oder sie strecken ihre Fühler nach neuen Partnern aus oder beides oder sie ziehen sich zurück und entwickeln Depressionen. In der Beziehung laufen dann alle möglichen schrägen Spiele des sich gegenseitig Verletzens – natürlich möglichst nur bis scharf an Grenze, an der man den Ärger von Trennung und Scheidung riskiert. Aber gelegentlich auch darüber hinaus. Und dann beginnt alles mit einem neuen Partner von vorn, nachdem der Reiz des Neuen abgeklungen ist. – Aber auch das muss ausprobiert werden, auch die Wege von „American Beauty“ (US-Film von 1999), z.B., sind Wege in die Bewusstheit.
Andere schleichen um die Kabinen der Peepshows herum, um dann in einem unbemerkten Augenblick hineinzuschlüpfen und sich drinnen einen herunterzuholen. Auch bei diesen wird irgendwann die Frage auftauchen, ob es nicht besser geht.
Keiner ist besser. Alle sind in Not – paradoxerweise noch viel mehr so, so lange sie sich ihre Not nicht eingestehen und bewusst machen, solange sie also weiterhin den starken Mann, die starke Frau mimen, und so tun, als könnten sie etwas fordern. Aber mit dem Eingeständnis unserer Not kommt die Umkehr, denn da sind wir ehrlich. Und da wissen wir, dass wir nicht besser sind, als irgendjemand sonst. Und in dieser Haltung, in der jeglicher Stolz fehlt, werden sich unsere Wünsche erfüllen, weil wir alles tun werden, damit das geschieht. „Er demütigt sich selbst zum geeigneten Mittel“, heißt es im I Ching. Das geeignete Mittel ist, dass wir sagen, was wir möchten, dass wir kein Theater spielen, sondern einfach nur ehrlich ausdrücken, was wir fühlen. Das bedeutet, dass wir das Interesse füreinander äußern, das wir haben und unsere Bewusstheit damit in die Tat umsetzen und natürlich auch unseren Schmerz äußern, einfach das, was da ist. Dann können irgendwann gemeinsame Lösungen entstehen und dann kann auch die Sexualität wieder funktionieren. Es gibt einen Weg und wenn zwei ihn wollen, kann es kein Hindernis geben, das nicht überwunden werden kann. So wirkt die Bewusstheit.
Die Unbewusstheit dagegen reißt uns immer tiefer in einen Strudel hinein, in dem sich die Fronten verhärten und in dem alle Beteiligten sich nur noch herumgestoßen fühlen, also in die Hölle. Das lässt sich ändern. Niemand muss in der Hölle bleiben. Der Ausweg heißt Bewusstheit. Nicht irgendwelche Formeln aufsagen – obwohl auch das schon die Bewusstheit etwas erweitern kann – sondern die Angelegenheiten real anpacken, eine nach der anderen. Bis alles gelöst ist. In der Hölle Tabletten zu nehmen ist nicht zielführend, jedenfalls nicht auf Dauer. Nicht betäuben, sondern aufwachen, ist gefragt. Aufwachen zu der Realität, in der man bekommt, was man gibt. Und zu dem Wissen, dass es nichts umsonst gibt. Und dass man nichts fordern kann, sondern dass man nur seinen Wunsch zu äußern braucht, damit sich früher oder später ein Weg auftut für seine Erfüllung.
Auch die Flucht in neue „Eroberungen“ bringt es nicht. Auch sie enden irgendwann im „Alltag“. Und dann ist das Problem wieder da. Warum es also nicht gleich lösen?
Natürlich soll niemand dazu gezwungen werden, das Leben zwingt ohnehin schon genug. Nicht von irgendwelchen Menschen braucht eine Strafe kommen, die Unbewusstheit bestraft sich selbst durch ihre Folgen. Es ist ein einfacher Ursache-Wirkung-Zusammenhang ohne Fremdeinwirkung. Die Augen zumachen vor etwas kann nur zur Folge haben, dass sich da etwas hinter unserem Rücken zusammenbraut, das sich irgendwann auf uns ergießen wird in einer Form, die uns nicht angenehm ist.
Jeder darf also ruhig auch selbst auf die Schnauze fallen, damit er spürt, wie das ist, und die Nase nicht mehr so hoch trägt. Es gibt keinen Ausweg aus dem Dilemma, keiner kommt hier lebend durch. Es gibt nur die Möglichkeit, freiwillig zu „sterben“ durch das Eingeständnis des eigenen Ungenügens. Dann ist der Stolz weg und dann wird unsere Wahrheit die Menschen bewegen, denen wir sie zeigen. Das ist dann das neue Leben, das auf den Tod unseres Stolzes folgt. Unser neues Leben gefällt den Menschen. Sie finden das attraktiv. Unsere Beliebtheit nimmt zu. Wir bekommen, was wir wollen, indem wir unsere Erwartungen auf das Maß der Realität reduziert haben – was durchaus vereinbar ist mit so etwas, wie sich vom letzten Geld einen teueren Sportwagen zu kaufen oder ähnlichen verrückt erscheinenden Dingen, wenn die Realität einfach so ist, dass das die absolute Priorität hat. In diesem Geist der Wahrheit ist einiges möglich, was vorher völlig ausgeschlossen erschien. Es ist eben nicht mehr der Geist unseres Stolzes, sondern der Geist unserer Natur, von dem wir uns jetzt lenken lassen.
Wir willigen ein in unseren schöpferischen Auftrag, in dem wir die Energie aus dem Nichts produzieren, indem wir ihr einfach folgen – ungeachtet der Reaktion des Partners, der natürlich zunächst von einem derartigen neuen Verhalten völlig überrascht und aus dem Konzept gebracht sein wird. Aber wenn ein Mensch einfach nur äußert, was er fühlt und alle Schuld dafür auf sich nimmt, weil er halt einfach so unvollkommen ist und nicht drübersteht, auch nicht über solchen Dingen wie dem biologischen Druck der Sexualität und auch dem Bedürfnis nach Zärtlichkeit, nach Anerkennung etc., wenn ein Mensch das nun äußert, wird er keine Aggressionen wecken, denn er sendet keine aus. Es kann höchstens sein, dass dadurch der Stolz des Partners getroffen wird und dass der sich provoziert fühlt. Aber unter dem Stolz ist doch immer noch ein Mensch, der auch berührt wird und der sich auf Dauer dieser Berührung nicht entziehen wird wollen. Wenn ein Mensch entschlossen ist, den Weg der Bewusstheit zu gehen, wird das ausstrahlen auf seine ganze Umgebung und es wird auf ihn zurückstrahlen. Seine demütig geäußerten Wünsche werden erfüllt werden, ebenso wie er/sie die Wünsche seiner Partnerin / ihres Partners (oder umgekehrt) erfüllen wird, so gut es geht. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie nicht wieder zusammenfinden oder eine bessere Lösung finden, wenn beide (oder mehrere) auf ihren Stolz verzichten.
So ist auch der sexuelle Drang in vielfältigster Hinsicht ein Drang, der nur in Bewusstheit seine Lösung findet. Also nicht in Formeln oder Ritualen, obwohl die auch sein dürfen.
Und nachdem ja jeder seiner eigenen Sehnsucht folgen soll, dürfen wir uns auf eine bunte Vielfalt freuen. Alle dürfen sein. Und das Verletzen darf weggelassen werden. Es ist in einer Welt ohne Stolz nicht mehr nötig. So sieht die bewusste Welt aus.
Erstaunliche Phänomene
(früher „Wunder“ genannt) – und was dann kommt
(6. 8. 2001)
Die Bewusstheit hat Möglichkeiten zur Folge, die den Unbewussten „wie ein Wunder“ oder „wie aus einer anderen Welt“ erscheinen. Ihre eigene Welt nennen die Unbewussten „Natur“, diese andere Welt nennen sie „Übernatur“.
Spätestens seit Carlos Castaneda’s Analysen „anderer Wirklichkeiten“ lässt sich diese Zweiteilung nicht mehr aufrecht erhalten. Er zeigt nämlich, wie alle diese Phänomene der einen Wirklichkeit entspringen. Er meint allerdings, das Erstaunliche gewisser Phänomene hätte damit zu tun, dass sie abweichen von der allgemein vereinbarten Intention der Welt. Ein Mensch, dessen Intentionen so klar seien, dass er sie der allgemeinen Vereinbarung der Wirklichkeit entgegenstellen könne, könne diese Vereinbarung durch seine Intention überstimmen und damit Effekte erzielen, die allen, die in der allgemeinen Vereinbarung stehen, als ein klares Wunder erscheinen, als die Verwirklichung von etwas Unmöglichem.
Die Physiker haben festgestellt, dass sich kleinste Elemente nicht mehr objektiv beobachten lassen, weil die Beobachtung schon einen unabwendbaren, und, wegen der Komplexität der Intentionen des Beobachters nicht klar differenzierbaren Einfluss nimmt auf das beobachtete Geschehen. Auch das weist in diese Richtung.
Einer der großen „Wundertäter“ der zwanzigsten Jahrhunderts, Oral Roberts schreibt in seiner Broschüre „If You Need A Miracle - Do These Things“ (1947 – 1969): „Die Heilung, die Jesus bringt, ist mehr als spirituell, mehr als mental, mehr als physisch, es ist dies und mehr. Seine Heilung ist da, um uns „ganz“ zu machen – gesund in Seele, Geist und Körper, gesund in unseren Beziehungen mit anderen, in unseren Einstellungen, unseren Gewohnheiten, unserer Art zu leben, alle Tage unseres Lebens“ (S 1). Und in seiner folgenden Anleitung für Wunder beschreibt er in sechs knappen Schritten einen Kurs wachsender Bewusstheit und des Aufbaus einer klaren Intention. „Jesus“ ist für ihn einfach der gegebene und ideale „Anknüpfungspunkt“ dafür. In einer anderen Kultur wäre es etwas anderes. Das Wesentliche ist nicht eine mythische Gestalt, sondern die Bewusstheit.
Ich habe auf den vorangegangenen Seiten mehrfach Bezug genommen auf die erstaunlichen Phänomene, die durch Bewusstheit möglich werden, dass unsere Intention beispielsweise eben Tiere, Insekten, Bakterien, Viren, ungeahnte Duplikationsfehler (z.B. BSE) etc. herbeirufen und provozieren kann. Früher hat man in dem Zusammenhang von magischen Invokationen und Ähnlichem gesprochen. All das ist nicht reine Phantasie. Es gibt eine Realität dahinter. Diese Realität aber als menschliche „Leistung“ anzusehen, auf die ein Mensch stolz sein könnte, zeugt von fehlender Bewusstheit. Deshalb werden im Mythos die sogenannten „bösen“ Zauberer letzten Endes immer durch „gute“ besiegt. Die „bösen“, sind die, die sich der Bewusstheit letztlich immer noch verweigern, weil sie sich weigern, anzuerkennen, dass das Ganze über ihnen steht, dass sie in Wahrheit also nur Diener des Ganzen sein können, und dass sie als Ausbeuter des Ganzen am Ende auf jeden Fall unterliegen werden.
Das meiste auf dieser Ebene (der Intention) läuft unbewusst. Sehr gut beschreibt diese Zusammenhänge auch der französische Jesuit und Schüler eines afrikanischen Zauberers Eric de Rosny. Er beschreibt das Vorstellungssystem hinter den Künsten afrikanischer Heiler und Schadenszauberer und zeigt dabei ganz klar, dass Intentionen Wirkungen haben und dass die Heilung aus der Intention kommt, die in der Bewusstheit erscheint.
In der Bewusstheit erscheint, wie schon gezeigt, der Kontrast von Sehnsucht und realem Schmerz. Der Schmerz kommt von der Negation der Sehnsucht. Und das liegt an den Zwängen, denen ein unbewusster Mensch völlig hilflos ausgesetzt ist, so dass ihm unter Umständen nur der Ausweg blinder Destruktivität oder der Depression bleibt, früher oder später also Gefängnis oder Psychiatrie. Das ist kein Wunder, sondern normal.
Jedoch ist auf diesem Weg jederzeit die Umkehr möglich. Der Schmerz treibt uns massiv zur Umkehr. Sie wird nur behindert durch unseren Stolz. Ein stolzer Mensch ( und stolz ist immer ein gekränkter Mensch) will sich nicht auf die Ebene der Tatsachen begeben, er will in seinen Phantasien bleiben und er will, dass die Welt sich seinen Phantasien anpasst. – Wenn er nur wüsste, wie nahe diese Vorstellung an der Realität eines bewussten Menschen ist. Das einzige, was ihn davon trennt, dass seine Träume wahr werden, ist – der Stolz. Er lässt es nicht zu, das zu tun, was not-wendig ist, dass er sich nämlich der (natürlich größeren) Realität beugt. Sobald ein Mensch aber über diesen, seinen Schatten des Stolzes gesprungen ist, gibt es kein Ende an Möglichkeiten.
Die erste Stufe dieses Weges ist die Erledigung unerledigter Geschäfte. Denn diese wirken als Hindernisse. Solange etwas ansteht, ist unsere Aufmerksamkeit nicht frei. Sie muss aber frei sein, wenn wir uns mit dem Wesentlichen beschäftigen wollen. Wenn aber alles Unerledigte erledigt ist, ist unser Blick frei auf unsere Sehnsucht. Dann erst können wir zum ersten Mal richtig wahr nehmen, wie es um uns steht. Wie nahe oder entfernt wir von dem sind, was unsere Träume uns aufgegeben haben.
Und wieder ist es der Schmerz der Entfernung, der uns die Bitte entringt an die eine Kraft, uns doch zu unterstützen. An diesem Punkt ist „Kapitulation“ längst selbstverständlich für uns. Wir haben unser Leben ja schon lange vorher dieser Kraft übergeben. Wir brauchen uns nicht mehr mühsam daran erinnern, dass wir dieser Kraft ohnehin vollkommen ausgeliefert sind, diese Erinnerung ist stets in uns gegenwärtig, weil es, wie wir wissen, der Grundbaustein der Realität ist. In diesem Geist also entsteigt uns die Bitte und wir äußern sie mit all unserer Kraft, 100% konzentriert. Wie ein Karate-Schlag ist unsere Bitte. Und ebenso prompt erhalten wir Antwort. Wir sehen den nächsten Schritt und wenn wir ihn getan haben, den nächsten und so weiter, bis wir unserer Sehnsucht wieder ein Stück näher gekommen sind.
Woher kommt das, was wir da sehen? Es kommt aus der Einheit. Es ist die Perspektive des Einen. Sie ist auch unsere, denn wir haben sie bewusst wieder zu unserer gemacht, nachdem sie natürlich schon von Anfang an unsere eigentliche war. In der Perspektive des Einen ist alles enthalten. Und damit natürlich der gesamte Weg, den wir nehmen müssen. Alles auf einmal würde uns überfordern, aber den nächsten Schritt können wir sehen und dann auch gehen. Unsere Schritte sind nun aber nicht mehr Schritte der Vernunft, obwohl sie für einen Außenstehenden in den meisten Fällen dafür gehalten werden könnten, sondern es sind genau die Schritte, die sich aus der Perspektive des Ganzen ergeben. An entscheidenden Stellen gibt es Abweichungen von der Vernunft. Und die Schritte, die dann folgen, sind die, die Erstaunliches möglich machen, Dinge, die früher „Wunder“ genannt worden sind.
Ein biblisches Beispiel dieser Art ist der Sieg Gideons mit 300 Mann gegen eine Armee von 30.000 (Buch Richter 6-8). Ein anderes Beispiel ist die Erweckung eines Toten durch einen buddhistischen Priester, die im „Hagakure“ beschrieben wird (dem Buch der Samurai).
„Wunder“ zu suchen, wäre eine Angelegenheit des Stolzes, d.h. es wäre ein Widerspruch in sich und könnte nur dadurch zum Ziel führen, dass ein Mensch auf diesem Weg sich irgendwann gezwungen sieht, seinen Stolz aufzugeben. In diesem Moment ist er mit der Einheit konfrontiert und es kann sein, dass es zu seiner persönlichen Sehnsucht gehört, die Geheimnisse der Intention zu ergründen. Dann wird das sein Weg sein.
Wenn ein Mensch bewusst ein Magier werden will, muss er wissen, dass jeder „Erfolg“ auf diesem Weg nur möglich wird als ein Ergebnis von Selbstlosigkeit. Sogar im Fall eines Schadenszauberers ist das so. Auch wenn ein Mensch zum Werkzeug der Destruktion wird, muss er sich dieser Intention, die er in seiner (besonderen Gestalt der) Sehnsucht findet, doch überlassen. Sobald Bewusstheit darüber einkehrt aber, gibt es keinen Zwang mehr. Daher liegt in der Bewusstheit auch das Ende der Schadenzauberei, die ja ein Zwang ist, nicht etwas Freiwilliges, sondern eine „böse“ Reaktion auf Erlittenes. In der Bewusstheit des Erlittenen aber entsteht Mitgefühl mit dem Verursacher.
Im Grund stimmt die Unterscheidung zwischen „schwarzer“ und „weißer“ Magie so nicht, es gibt nur den haarspaltscharfen Unterschied zwischen Menschen, die noch in etwas Stolz gefangen sind (die sich also noch vom Ganzen separieren und sich mit einem Teil identifizieren) und solchen, die zur ganzen Einheit gefunden haben. Bei beiden aber muss, wenn ihre Aktionen zielführend sein sollen, die gesamte Energie geeint sein, d.h. alles in diesen Menschen, was dem momentanen höchsten Wunsch widerspricht, muss für diesen Moment vollkommen zurücktreten und sich dem einen anschließen. Und nur, wenn dies der Intention des Ganzen nicht widerspricht, wird sich ein zerstörerischer Schlag auch eines Stolzen durchsetzen können. Es war dann ein notwendiger Schlag. Das einzig Unvollkommene daran war, dass ein Stück Bewusstheit gefehlt hat in dem Maß, in dem der Täter sich vom Ganzen separieren wollte. Er hat noch nicht begriffen, dass das nicht geht, dass er also nun unbewusst zum Werkzeug des Ganzen geworden ist – was er eventuell auch bewusst hätte haben können – ohne den bei ihm doch vorhandenen Schmerz der Trennung vom Ganzen, also ohne seine vom momentanen Erfolg doch nicht erhellte Hölle. Es ist schade, wenn das fehlt. Aber das ist die Wirkung des Stolzes.
Die Notwendigkeit der Selbstlosigkeit wird durch die Möglichkeit des Stolzes und eines Lebens aus einer illusionierten „eigenen“ Kraft nicht aufgehoben, denn im Lebensgefühl des Stolzes fehlt jenes unvergleichlich beruhigende Gefühl der vollkommenen Übereinstimmung, jenes Gefühl des zu Hause angekommen seins, jenes Gefühl des geliebt Werdens. Und das ist sehr schade.
Daher, ihr stolzen Zauberer (stolze Zauberer sind immer Manipulatoren, Vergewaltiger), ihr braucht auf nichts verzichten, im Gegenteil, ihr werdet das Millionenfache bekommen, wenn ihr nur jenen Haarspalt an Bewusstheit in euch überbrückt und euer Haupt beugt vor dem Ganzen der Realität.
„Kein Auge hat es gesehen und kein Ohr hat es gehört, was Gott denen bereitet, die ihn lieben“. Was uns da bereitet wird, ist nicht eine Überraschung, die wir dann möglicherweise gar nicht mögen, sondern es ist die immer tiefere Erfüllung unserer eigenen Sehnsucht.
Wir kennen unsere Sehnsucht nicht, solange wir nicht jeweils an dem Punkt sind, an dem sich die nächste Etappe auftut. Und das geht erst, wenn die vorhergehende abgeschlossen ist. Wir können zwar manchmal doch „wie durch einen Schleier“ (Korintherbrief 13) auch etwas weiter in die Tiefen unserer Sehnsucht schauen, gewöhnlich aber haben wir nur den Blick auf den nächsten Schritt, diesen dafür mit aller erforderlichen Klarheit.
So kann es sein, dass erstaunliche Phänomene auf unserem Weg liegen oder auch nicht. Darauf kommt es nicht an. Was für einen Unterschied macht es ohnehin, ob einer durch eine Operation oder durch ein „Wunder“ geheilt wird? Ein stolzer Mensch kann natürlich nur durch eine Operation geheilt werden, denn etwas Anderes hat in seiner Welt nicht Platz. Auch nicht der oben erwähnte, von den Toten Erweckte. Er wird zwar ohnehin irgendwann auch sterben, aber es ging um etwas Anderes. Der Priester hat die Kraft um Hilfe gebeten und sie ist ihm zu Hilfe gekommen. Was der Wiederbelebte dann aus seinem Leben macht, ist eine andere Angelegenheit. Vielleicht stirbt er ja die Woche darauf wieder. Darum geht es nicht. Es geht nur um unsere Übereinstimmung mit der Kraft. Und die ist, wie wir sehen, nicht möglich, außer indem wir uns ihr total anvertrauen und überantworten – natürlich nicht unbewusst, irgendwo hineinschlingernd, sondern bewusst in jeder Phase, also auch im totalen Risiko. Ohne totales Risiko geht natürlich nicht sehr viel, alles im Maß des Einsatzes, nicht im Sinn einer Leistung, sondern des Seins.
Nur wenn es im Sinn des Ganzen notwendig ist, werden (für andere) erstaunliche Phänomene auf unserem Weg liegen. Aber alles, was wir aus der Einheit heraus tun, was also aus der Perspektive des Ganzen kommt, ist immer ein erstaunliches Phänomen. Die Perspektive des Ganzen ist immer und überall gegenwärtig und doch dem Bewusstsein der meisten verschlossen. Aber nicht das Ganze hat sich ihnen verschlossen, sie selbst haben sich diesem Bewusstsein verschlossen, indem sie ihre Welt für „bekannt“ erklärten, was auf das Ganze ja niemals zutreffen kann. Dadurch sind sie dann gefangen in der ihnen bekannten Welt. Ihre Sehnsucht kann sich darin nicht erfüllen, nur irgendwelche eingebildeten Ziele, auf deren Erreichung sie sich dann vielleicht zusätzlich noch etwas einbilden können, nicht mehr. Vielleicht gelingt ihnen sogar Erstaunliches, wie Hitler und anderen Schadenszauberern, aber glücklich werden sie damit nicht werden. Glück gibt es nur eingebettet im Ganzen.
„Konnte nun Jesus übers Wasser gehen oder nicht?“ werden Sie nun vielleicht fragen. Wie ich schon zu Anfang sagte, die allgemeine Vereinbarung besagt, dass es nicht möglich ist, übers Wasser zu gehen. Wenn die Schüler es aber gesehen haben, dann war diese Vereinbarung unter dem Eindruck des Ganzen für sie aufgehoben. Es geht immer um das Auge des Betrachters. Nur die Schüler haben dieses Phänomen gesehen und nur die drei Lieblingsjünger Jesu waren mit ihm auf dem Berg Tabor.
Anders verhält es sich bei den militärischen Siegen der Israeliten in der Bibel. Das war eine Realität, die auch die Gegner betraf, auch sie mussten die Vereinbarung anerkennen. Sie wurden also auf einer Ebene getroffen, in der beide übereinstimmten. Da brauchte es also keine phantastischen, sondern reale Lösungen, die natürlich genialen Ideen entstammen mussten, die aber wiederum möglich waren durch die Perspektive des Ganzen, die den Feinden eben nicht zur Verfügung stand. Zu anderen Zeiten wieder anerkennt die Bibel ganz klar, dass auch andere politische Mächte (also nicht nur die Israeliten) bewusst aus der Perspektive des Ganzen gehandelt haben. Aus diesem Verständnis heraus haben sie (z.B. die Perser) die Israeliten dann immer wieder in ihre Rolle als „Volk Gottes“ eingesetzt. – Vielleicht wird das ja in der heutigen Welt auch wieder möglich, sobald die Israeliten selbst sich wieder auf diese Rolle besonnen haben werden – und falls das aus der Perspektive des Ganzen heute überhaupt noch nötig sein sollte. Der Wunsch einer imaginären Einheit nach einer Heimat allein, wird dafür sicherlich nicht ausreichen. Der dritte Tempel ist möglicherweise nicht eine Vision der Einheit, sondern eine Vision des Stolzes. Diese Frage wird entscheidend sein für die Verwirklichung. „Er demütigt sich selbst zum geeigneten Mittel“, heißt es im I Ching. In diesem Fall könnte das heißen, dass die Israeliten den Tempelberg für eine gewisse Anzahl von Milliarden Dollars kaufen und gleichzeitig garantieren, dass die Heiligtümer der Moslems und der Christen nicht angetastet werden. Alles ist möglich. Gemeinsame Intentionen können erreicht werden. [Beispielsweise könnte der Tempel ja mit heutiger Technologie auf Säulen über dem Tempelberg errichtet werden, sodass die Heiligtümer des Moslems und der Christen davon nicht berührt würden.] Nur muss natürlich die Bewusstheit vorangehen und das Eingeständnis des eigenen Unvermögens. Aber das wäre doch der Geist der Bibel. Wenn er da ist, wird er sich durchsetzen, wenn er nicht da ist, wird sich nichts durchsetzen. Dann muss er wiederhergestellt werden.
Wenn wir den Weg unserer Sehnsucht gehen, wissen wir nicht, wo dieser Weg endet und was alles auf ihm möglich ist. Fast alles scheint möglich zu sein, aber solange wir ihn nicht ausgeschöpft haben, sofern das überhaupt möglich ist, können wir nur sagen, dass vermutlich immer mehr möglich sein wird. Und so könnte es sein, dass wir selbst einen so tiefen Kontakt bekommen mit unserer ganzen Realität, dass wir, wenn nötig, unsere Intention der allgemeinen Intention (dem Mainstream) entgegenstellen und den Menschen in der allgemeinen Intention einen unmissverständlichen Einblick geben können in eine andere Welt, sodass sie diese andere Welt auf diese Weise dann auch zu der ihren machen. (Für den Mainstream) erstaunliche Phänomene können dabei entstehen, weil sie plötzlich eine Öffnung erkennen können an der Grenze ihrer Welt. Sie gewinnen einen kurzen Einblick in die Welt, in der die bewussten Menschen schon leben, für die die ganze Welt ohnehin schon längst in jedem Detail überaus erstaunlich ist. Sie brauchen kein extra Wunder. Für die bewussten Menschen ist ohnehin alles ein Wunder. Das ist einfach die Realität. Und jedes winzige Detail davon ist wunderbar und erstaunlich. Die Reise in die Bewusstheit ist also kein Weg der Abstumpfung, sondern immer tieferer Sensibilisierung.
So bleibt noch die Frage nach dem Tod. Warum ist es so schwer, einfach zu sagen, wir wissen nicht, wie das ist und wie es dann weitergeht oder endet? Der Buddha hat vom „Verlöschen“ gesprochen. Es kann im Idealfall ja wirklich ein Verlöschen sein, d.h. ein vollkommenes Aufgehen in dem Einen ohne jedes Bedauern, zutiefst beglückt über die Chance. Oder es kann auch ein Weg neuer Erfahrungen sein ähnlich den bisherigen, aber eben zur Ausweitung der Bewusstheit. Wir wissen nicht, wie es sein wird. Wahrscheinlich wird es für jeden anders. Wir wissen nur, dass diese ganze Welt sich in Richtung Bewusstheit bewegt und wir natürlich auch. Wir kennen die Grenze der Bewusstheit nicht, wir haben also noch einigen Weg vor uns und der kommt als nächstes und dann vielleicht, irgendwann werden sich abermals ungeahnte Horizonte öffnen und uns erlauben, sie zu betreten.
Wenn es so ist, wie ich es immer wieder erfahre, nämlich dass ich während meines Lebens unzählige Male gestorben bin, weil ich am Ende war, und jedes mal mit einem neuen Leben beschenkt worden bin – warum sollte das im Augenblick meines körperlichen Todes anders sein? Wer weiß, was sich da für Wirklichkeiten auftun?
Am besten gerüstet dafür sind wir, indem wir den nächsten Schritt annehmen und ihn mit all unseren Fasern bewusst wahrnehmen und uns in ihm verlieren, uns ganz geben. Nach jedem Tod ist das neue Leben stärker. Und irgendwann sind erstaunliche Phänomene an der Tagesordnung, ohne dass wir je nach ihnen verlangt hätten. Dann erleben wir einen sich materialisierenden Traum. Und wir leben ihn aktiv, einfach unserer Sehnsucht folgend.
Es geht nicht um die Frage nach dem Leben nach dem Tod, es geht immer nur um das Jetzt. Wir sind jetzt hier und da ist unser Leben. Jetzt haben wir die Chance zur Bewusstheit und entweder ergreifen wir sie oder nicht. Wenn nicht, dann sind wir schon tot. Aber dann ist eben das unser Jetzt. Und dann hat das seine eigene Chance auf Bewusstheit. Immer nur darum geht es.
Aufwachen. Jetzt. Und staunen.
Der Traum von der einen Religion
der einen Welt
(12. 8. 2001)
Jesus hat gesagt: „Der Tag wird kommen (ja er ist schon da) wo die Menschen Gott nicht hier oder dort verehren werden, sondern im Geist und in der Wahrheit“ (Johannesevangelium, Gespräch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen).
Für ihn war der Tag damals schon da, für seine Zeitgenossen aber noch lange nicht. Für eine ganze neue Welt ist er jetzt da, aber natürlich für viele immer noch lange nicht. Trotzdem, der Tag ist heute da, wie noch nie zuvor. Zum ersten Mal sind doch alle Religionen einander bekannt. Zum ersten Mal kann jeder Mensch aus jedem Teil der Welt im Nu in einem anderen sein, nicht einmal klassenabhängig, sondern wirklich jeder, wie das Phänomen der Asylanten überall bezeugt.
Alle Religionen sind inzwischen längst überall auf der Welt vertreten. Viele haben sich mit anderen Religionen auseinandergesetzt und sie wissen, dass sie alle Wege sind, die zu dem einen Ziel aller Menschen führen können: Zur Erkenntnis der Wirklichkeit und zum eigenen Glück.
Überall auf der Welt gibt es außerdem Menschen, die (mit oder ohne Religion) das Leben kennen gelernt haben und die von da her wissen, dass weder sie selbst noch sonst irgendjemand etwas Besonderes sind, sondern dass es nur ein Besonderes gibt und dass ihnen das überall begegnet, in jedem und in allem, in seiner dortigen jeweiligen Besonderheit.
Und dass dieses Besondere eben auch in ihnen erscheint und wirkt auf ganz besondere Weise. Und zwar immer umfassender, genau in dem Maß, in dem sie selbst sich zurücknehmen und es wirken lassen.
Das ist die eine, neue Religion, die Bewusstheit dieser Tatsache. Und diese Bewusstheit hat Folgen, nämlich eine immer tiefere eigene Zufriedenheit, immer weniger Missgunst und immer tieferes Mitgefühl mit denen, die diese Bewusstheit noch nicht erreicht haben. Genau hier liegt der Grund für den (ewigen) missionarischen Aspekt der ursprünglichen Religion - aber natürlich nicht für den wahnsinnigen Missionseifer von Leuten, die von dieser Bewusstheit meilenweit entfernt sind, die dafür aber anderen ein sehr beschränktes Bild von der Wirklichkeit aufzwingen wollen, voller Missgunst und ohne jedes Mitgefühl, am meisten darum besorgt, dass sich kein anderer mehr erlaubt, als sie selbst glauben, sich erlauben zu dürfen. Das ist der Sektengeist. Ob Zeugen Jehovas oder Taliban, Nordirische Katholiken oder Protestanten, Serben oder Albaner, ausschließende und streitende Nachbarn jeder Art. Es fehlt die Bewusstheit. Wo sie da ist, ist Weite, annehmen und angenommen werden und tiefer Respekt voreinander, eben immer im Bewusstsein der absoluten Unergründlichkeit des jeweiligen Gegenübers.
Wo diese eine Religion noch nicht angekommen ist, gibt es die Illusion der Getrenntheit und ihre alptraumartigen Auswirkungen Paranoia und Größenwahn – samt deren sehr realen, grauenhaften Folgen, wie Kriegen, Folterungen, Verletzungen und Beleidigungen aller Arten.
„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“, hat doch der eine gesagt, auf den sich diese womöglich dann bei ihren Gräueln noch zu berufen wagen.
Ist doch klar, wo die eine Religion wirklich ist.
Grauen ist überall, wo sie nicht ist – auch wenn ihr Fehlen noch so versteckt ist unter einer Tünche von Glamour oder Ehrenhaftigkeit. Irgendwann kommt es an die Oberfläche, irgendwann tritt es in Erscheinung in Form von Angst und ihren physischen Folgen.
Wo sie aber ist, ist der Himmel, das Reich Gottes, das Paradies. Dort herrscht Bewusstheit, Sinn und Stimmigkeit – nicht erst nach dem Tod, hoffentlich, sondern jetzt. Es ist klar, dass diese Stimmigkeit Folgen hat: Heilung und Glück. Logischerweise hat da jede Missgunst aufgehört, es gibt ja keine Angst mehr. Keiner erhebt sich über den anderen und doch sagt jeder klar, was er will.
Das ist es, was herrscht in dieser neuen Welt: die Sehnsucht, der Traum vom Paradies. Und so kann er sich materialisieren. Denn die Menschen, die ihn träumen, werden alles daransetzen, ihn zu verwirklichen. Das, so wissen sie, ist ihre „Sendung“, ihre Lebensaufgabe, die sie direkt von der Energie, die das ganze Universum und auch sie trägt, empfangen, von Augenblick zu Augenblick.
Klar, dass die alte Religion im Ursprung die gleiche war, nur ist sie dann so sehr missverstanden worden, dass sie oft gar nicht wiederzuerkennen war und ist.
Diese eine Religion braucht heute neue Formen. Die alten Formen (der verschiedenen Religionen, die sich jeweils für „die eine“ gehalten haben) haben sich abgenützt, sie passen nicht mehr auf die gegebene Situation. Es braucht eben neue Formen für die eine Religion der einen Welt, die alle alten Religionen in sich enthält. Jede der alten wird ein beständiger Prüfstein sein für die neue – ohne dass eine der anderen ihr Recht auf Eigenständigkeit absprechen wollte. Aber, wie schon gesagt, es gibt nur eine Regel, nur ein Zeichen, an dem Echtheit zu erkennen ist: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Und an was für Früchten? Wir haben auch sie schon gesehen: Respekt, Toleranz, Frieden und eine unbehinderte Suche nach dem Glück, einen unbehinderten Weg ins Paradies. Es versteht sich von selbst, dass ein Paradies nicht auf den Leichen von Gegnern errichtet werden kann. Solche muss man nur beseitigen, um irgendwelche ausgedachten Paradiese verwirklichen zu können. Es gibt aber nur ein wahres Paradies und in dem ist Platz für alle. Nicht nur für „144.000“! Die „144.000“ der Apokalypse waren nur das Symbol für die, die in diesem Paradies volle Bewusstheit erreicht haben. Doch die anderen haben auch Platz. Sie sind genauso geachtet als Erscheinungen von Gott, der sich eben gleichzeitig überall in verschiedenen Phasen seiner Evolution befindet. Doch immer und überall ist es ER, d.h. die Energie, die das ganze All treibt und die es ja offensichtlich auch immer und überall in Richtung größerer Bewusstheit vorantreibt.
Die neuen Formen werden gefunden werden, und sie sind schon da, wenn auch teilweise erst in einer Art Untergrund. Das meiste davon läuft unter dem Namen „Therapie“, oder „Workshops“, oder „spirituelle Übungen“ der verschiedensten Arten und Stufen von wirklicher Bewusstheit. Formen für eine größere Allgemeinheit werden sich daraus herauskristallisieren. Die neuen „Priester“, nämlich solche, die wirklich bewusst sein werden, sind an vielen Orten bereits ausgebildet worden.
Ich habe viele dieser Orte besucht und viele dieser Ausbildungen an mir selbst erfahren. Auf diese Weise habe ich mich selbst kennen gelernt unter außergewöhnlichsten Bedingungen. Ich weiß, womit ich bei mir rechnen muss und wie weit ich auf mich zählen kann und wo nicht mehr. Und ich habe schließlich den Geist entdeckt – nicht indem ich mich durch verschiedenste Kasteiungen hochgedient hätte, es war keinerlei Verdienst meinerseits, nur mein Widerstand gegen ihn ist unter seiner Führung schwächer geworden, bis ich (durch mich hindurch) ihn fühlen konnte. Und jetzt ist er in meinem Bewusstsein anwesend und ich kann daher allen vom Geist erzählen. Der Geist möchte, dass ich das tue. Und hiermit tue ich es.
„Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir mangeln.“ Das weiß ich bereits. Daher habe ich keine Sorge. Alles wird sich entwickeln gemäß den Notwendigkeiten der Zeit. Im Konzert des Weltgeists bin ich ein kleines Element, das nicht anders kann als mitspielen und sich dadurch des Wunders des Ganzen erfreuen. Der große Dirigent dirigiert mich. Ich habe keine Wahl, als ihm zu folgen. Und ich will ihm auch folgen, denn ihm zu folgen ist das Schönste, was es gibt. Darin treffen Zwang und freier Wille zusammen, nur da. Erzwungene Freiheit und freie Zustimmung zum Zwang, weil es ja der Zwang zum Glück ist! Und dass es so ist, weiß ich jetzt so genau, dass ich es allen zeigen kann. Und so ist mein jetziges „Wissen“ nicht mehr ein Wissen einer Ausbildung, sondern ein unmittelbares Wissen, das eben von dem „Herrn“ kommt, „der mich weidet“.
Es gibt heute viele, die sich auf dem Weg befinden zu diesem Wissen. Vielleicht mehr als je zuvor. Und sie setzen sich bereits ein – auf ihren jeweiligen Gebieten. Sie sind Arbeiter der Bewusstheit. Sie sollten sich nur noch so nennen. Priester braucht es heute nicht mehr. Wir können nämlich darauf vertrauen, dass es diese Leute immer geben wird. Sie werden nicht von einer menschlichen Obrigkeit, sondern vom Geist selbst ausgewählt und ordiniert. Der schöpferische Geist sorgt zu jeder Zeit dafür, dass die Bewusstheit nicht ausstirbt. Das ist es, was Jesus mit „der Kirche“ gemeint hat, „die von den Pforten der Hölle nicht überwältigt werden wird“. Nicht irgendeine Institution, die unter Ausschluss aller anderen erklärt, die alleinige Wahrheit zu haben. So eine Institution hat Jesus sicher nicht intendiert. Man muss nicht ein Exeget sein, um das zu erkennen. Es ergibt sich aus der Natur der Kraft, die alles treibt. Diese Kraft wird die Bewusstheit nicht untergehen lassen, denn sie ist mit ihr, zu einhundert Prozent. Sie wird die Feinde der Bewusstheit immer überwinden.
Das Besondere an unserer Zeit ist jedoch die Aufgabe der Einheit in Vielheit. Diese Aufgabe hat sich in der Geschichte noch nie so klar gestellt. Die Alternative ist der Untergang. Die Gefahren der Selbstauslöschung der Menschheit sind nämlich noch lange nicht gebannt – falls sie nicht von nun an unser ständiger Begleiter sein werden.
Entsprechend dieser Gefahr müssen unsere neuen Übergangsrituale gestaltet werden. Der Ernst der Situation muss klar werden. Früher hat es immer mythologische Weltuntergangsdrohungen gegeben, heute ist diese Bedrohung ganz real physisch und von Menschen gemacht. Es gibt nur einen Ausweg aus der Gefahr: Die Menschen müssen eine Form des Zusammenlebens finden, die größere Explosionen unnötig macht. Und diese Formen entstehen von selbst bei Menschen, die sich der Wirklichkeit bewusst sind, ihrer eigenen und der der Welt. Sie leben diese eine Religion bereits und diesen absoluten Respekt bei gleichzeitig unbedingter Gefolgschaft des Geists. Ausgehend von ihnen breitet sich eine Zufriedenheit und eine Übereinstimmung aus, die die schärfsten Konflikte entschärfen wird, bis so viel Vertrauen eingekehrt ist, dass die Waffen verschrottet werden können. Noch ist es natürlich nicht so weit. Dafür muss noch einige Arbeit geleistet werden. Es ist die Arbeit dieser einen Religion, der Religion der Bewusstheit. Diese Religion ist der Glaube an einen Traum. Jener Traum ist die uralte und schon uranfängliche Religion. Und der Traum äußert sich: Er macht uns vertrauen und zum Ruhm des Schöpfers leben. Natürlich in unserer Zeit mit unseren Möglichkeiten, ein Feuerwerk, an dem sich alle freuen können. Das ist Leben in seiner vollsten Entfaltung. Könnte irgendjemand mehr wollen?
Dabei ist der Weg so einfach: Es ist der Weg der Wahrhaftigkeit. Finde deine Wahrhaftigkeit! In jedem Moment. Dann hast du den Schlüssel zur Lösung aller deiner Probleme. Dann wirst du nämlich sehr schnell kapitulieren vor dieser Kraft, aus der du bestehst und ihr die Führung überlassen. Dann fangen die Dinge an, sich zum Positiven zu wenden. Dann wirst du deine Angelegenheiten mit aller Kraft in Ordnung bringen, was immer deine Ordnung sein mag. Sie wird in jedem Fall ein Teil des großen Konzerts des Weltgeists sein. Sie wird harmonieren, auf welch disharmonische Weise vielleicht immer. Ich werde sie respektieren. Ich werde sie zum Anlass nehmen für meine Meditation, um zu verstehen, was sie mir sagen will. Und ich werde eine Lösung finden, denn der Geist ist mit mir. Und ich weiß, dass niemand ausgeschlossen werden muss. Wir müssen nicht glauben, wir wären besser. Wir sind nicht besser, sondern uns ist im Moment nur eine andere Rolle vom Weltgeist zugedacht, als denjenigen, die wir vielleicht (noch) verachten. Wir sind eben da, und da, wo wir gerade sind, ist immer unser neuer Startpunkt für den nächsten Schritt. Das ist Bewusstheit. Sie ist ganz einfach. Einfach nur ehrlich und aufmerksam sein. So lösen sich die Illusionen sehr schnell auf. Natürlich tut das auch oft weh. Wir meinen, unsere Welt zerbricht, aber es war nicht unsere Welt, es war nur ein uns übergestülptes soziales Prägemuster, das wir für unsere Welt gehalten haben. Erst wenn es weg ist, kommt das reale Leben, das Leben aus der Energie des Urknalls bei vollem Bewusstsein.
Diese Wende im Leben ist das Ereignis der Wiedergeburt, eine Wiedergeburt in diesem Leben, also im Körper, genau so, wie es die Auferstehungsverheißung verspricht. – In anderen Kulturen wird dieses Ereignis „Erleuchtung“ genannt.
Allerdings gibt es auch Wiedergeburtsvereinigungen von der Sektenart, die eben eine Art erstes Erleuchtungserlebnis gerade in Zusammenhang mit den Sprüchen einer Sekte gehabt haben. Es war eine Art Bekehrungserlebnis, leider zunächst aber noch nicht zur wirklichen Bewusstheit, sondern eben nur zur Bewusstheit dieser Sekte. Die Mitglieder der Sekte wissen nicht, dass es darüber hinaus eine weitere und viel gewaltigere Erleuchtung geben könnte, die sie die Schranken der Sekte abschütteln lassen wird. Manche aber kommen gerade auf einem Sektenweg da hin. Daher ist der Sektenweg nicht nur eine Falle. Alles, was nötig ist, um jedweden Ausweg zu finden, ist Ehrlichkeit. Keine Schranken für die Ehrlichkeit! Alles, was zum Lügen veranlasst, ist eine Schranke für die Ehrlichkeit. Jede Art von Moral setzt der Ehrlichkeit ständig Schranken entgegen. Sie ist daher wie ein Schatten, der auf das Leben fällt. Es fehlt das Vertrauen, dass Bewusstheit immer einen Weg findet. Man glaubt, Gott helfen zu müssen. Wie traurig! Gott hilft sich schon selbst. Wird er irgendwen fragen? Wen er ergriffen hat, weiß, dass er nicht fragt. Und sie wissen auch, dass es nichts Besseres gibt, als von ihm ergriffen zu werden, so schwer es manchmal auch ist. Das Schwere wird zum Leichten, durch ihn. Der einzige Dienst, den er verlangt, ist Bewusstheit, Ehrlichkeit. Er verlangt keine Lügen. Ein Gott, der Lügen verlangt, ist ein räudiger Götze – und wenn er „Jesus“ hieße. Die Götzendiener berufen sich ja nur auf ihn, er aber hat mit ihnen nichts zu tun. Er verlangt keine Lügen – wie die Sekten es tun. Aber natürlich repräsentieren die Sekten ein Stadium der Bewusstheit, das nicht ausgeschaltet werden sollte oder auch nur könnte.
Wir werden die Raubtiere irgendeiner Art nicht beseitigen, weder können wir noch wollen wir. Wir werden uns ihnen aber auch nicht zum Fraß vorwerfen. Bewusstheit ist die Lösung aller Probleme. Ausschließungen irgendeiner Art deuten immer auf ein Fehlen von Bewusstheit auf der ausschließenden Seite. Durch unsere Bewusstheit darf alles sein, denn die Kraft, die in uns pulsiert, sie hat nicht nur uns, sondern auch alles andere gemacht. Sie kennt daher alles bestens und sie wird uns den bestmöglichen Kurs finden lassen. Das ist der Glaube der einen Religion für alle. Da braucht es weder Blutopfer noch vergoldete Altäre, auch wenn von ihnen doch eine gewisse Faszination ausgeht, wegen die vielen Energie, die in ihnen manifestiert ist. Im Moment gibt es aber einen anderen Schwerpunkt: Das Leben selbst ist das neue Opfer, der neue Gottesdienst. Und es ist Lust zugleich. Das Paradies ist hier. Wozu da noch ein Tempel?
Der Tempel (jedweder Art) ist eine Stufe der Bewusstheit, die derjenigen der Raubtiermentalität klar überlegen ist. Das macht die Anziehungskraft der Tempel. Sie bieten eine Möglichkeit des Ausstiegs aus der Unbewusstheit. Dann aber hat jeder Tempel seine ihm eigene Beschränkung der Bewusstheit, die irgendwann als schmerzliche Verbiegung wahrgenommen werden wird, als Lüge also. Dann ist es Zeit für den nächsten Schritt: Heraus aus der Sekte, aus dem jeweiligen Tempel – vielleicht ohne „auszutreten“, jedenfalls aber um von da an (eventuell auch in ihm) frei von den Schranken zu sein.
Das ist der Punkt der zweiten Wiedergeburt, des wirklichen „Lebens nach dem Tod“ – aber eben nicht nach dem physischen Tod. Von da an regiert der Geist, von da an regiert Bewusstheit. Immer tiefere Bewusstheit.
Die so „Wiedergeborenen“ sind die Menschen, von denen aus sich diese Bewusstheit dann ausbreitet über die ganze Welt. Früher sind sie „Propheten“ oder „Meister“ oder „Medizinmänner“ genannt worden. Heute sind sie einfach, was sie sind.
Daneben wird es aber auch immer die dunklen Strömungen der Unbewusstheit geben, samt ihren grauenhaften Folgen für alle Beteiligten. Das macht ja das Leben aus, diese Reise von der Unbewusstheit in die Bewusstheit. Es ist ein stetiges Aufsteigen der Materie ins Licht, eine stetige Auferstehung der Toten. Das ist der ewige göttliche „Heilsplan“, den die Theologen im Munde führen, oft ohne zu wissen, was sie da sagen.
Nicht dass sich diesen Plan irgendwer ausgedacht hätte, er geht hervoraus der Natur dieser Kraft, die diesen Weg auch für uns vorbestimmt hat, ohne dies eigens intendieren zu müssen. Wir sind ja schließlich Erscheinungen von ihr. Ihr Weg ist unser Weg und unser Weg ist ihr Weg. Wir und sie sind eins – wenn wir uns nicht einbilden, separat etwas sein zu können. Dann natürlich hätten wir den Weg zu unserem Glück verloren. Dann kommen Schmerzen und ihretwegen kehren wir dann vielleicht um. Es ist immer Zeit zu kapitulieren. Und dann ist alles gut. Denn dann herrscht wieder die Bewusstheit. Das ist die eine und einzige Religion aller Zeiten und besonders unserer. Es gibt nur einen Gott und der ist nirgendwo anders als überall und natürlich in uns und um uns herum. Er ist da. Er will nichts, als dass wir aufgehen und blühen und Frucht bringen und dann wieder ganz eins mit ihm werden. Das zu wissen, ist die eine und heilende Religion für alle – jenseits aller früheren religiösen Bekenntnisse, aber warum nicht genauso in ihnen? Es gibt keine Grenzen. Nicht für den, der sich auf den Weg gemacht hat.
Es gibt keine Mitgliedschaft in dieser Religion und kein Eintrittssakrament, zumindest niemand, der es spenden könnte, denn das Eintrittssakrament ist zwar tatsächlich eine Art Taufe, ein Eintauchen, aber nicht in Wasser, sondern in den Geist der Wahrheit. Niemand kann es tun, dieser „Heilige“ Geist selbst tut es in dem Maß, in dem sich jemand als brauchbar erweist, in dem er ihm gehorcht.
So einfach könnte es sein, wenn wir nur nicht so in unseren Vorstellungen verhaftet wären, wie unser Glück auszusehen hat. Der Traum unserer Sehnsucht ist etwas anderes als diese Vorstellungen. Der Traum entspringt unserer Natur, also dem Geist, also der Kraft, die Vorstellungen entspringen nur dem, was uns eingeprägt worden ist. Sie halten uns fest in der Vergangenheit. Die Wahrheit führt uns heraus. Nämlich die Wahrheit, dass wir nicht die Herren dieser Welt sind, und andere auch nicht, weil es nur einen Herrn dieser Welt gibt und das ist die Energie, aus der sie besteht. Vor ihr müssen wir kapitulieren. Und alles wird gut. Sogar Atheisten könnten dem zustimmen. Sie brauchen an nichts glauben, als an ihre eigene Wahrnehmung.
Unser Instrumentarium der Wahrnehmung ist unendlich fein. Es braucht keine übernatürlichen Eingebungen, im Natürlichen ist alles enthalten. Aber natürlich müssen wir es benützen, sonst ist es umsonst. Wer der Wahrheit folgen will, muss es benützen. Es gibt nichts anderes. Alle äußerlichen Orientierungshilfen reichen ab einer bestimmten Entwicklung oder einer bestimmten Notwendigkeit nicht mehr aus. Darüber hinaus gibt es nur noch die innere Führung. Die müssen wir kennen lernen. Das ist Bewusstheit. In ihr entdecken wir die Geheimnisse der Energie – unsere Geheimnisse. Sie sind eigentlich nicht geheim. Wir haben ihnen bisher nur keine Aufmerksamkeit geschenkt. Und weiter geht die Reise ohne Ende.
Was für eine blinde Verzweiflung, mit der wir manchmal nach unserem Glück suchen! Wenn wir nur zur Ruhe kommen könnten, würden wir uns Glück gleich hier finden. Daher: Beruhige deinen Geist und pass auf und fühle deine Wahrheit jetzt. So schlimm sie auch sein mag, schlimmer als die Wahrheit kann nur deren Nichterkennen sein. Gefahr droht nur von der Unbewusstheit. Bewusstheit führt immer zur Lösung.
Leben nach dem Tod?
(30. 8. 2001)
Die gewöhnliche Vorstellung vom Leben nach dem Tod ist die von einer „Auferstehung“, von einem wieder lebendig Werden des Alltagsichbewusstseins in einem neuen Körper („im Fleisch“), aber in einer Art jenseitigem Körper, der [im Christentum - im Gegensatz zum Islam] gewöhnlich als sehr geistig und sehr wenig materiell gedacht wird. Gleichzeitig glauben die meisten Christen, dass es nicht eine Wiedergeburt im Sinn einer Seelenwanderung sein soll. Also was ist es? Die Zeugen Jehovas trauen sich, die christliche Vorstellung ganz trivial auszudrücken, indem sie sagen, dass die 144.000 Geretteten in ewiger Jugend stets friedlich und freundlich miteinander leben werden in einem himmlisch-irdischen Reich ohne Arbeit und ohne alle Schwierigkeiten. Die anderen Christen stellen sich das im Grund genauso vor (sofern sie etwas dergleichen überhaupt noch glauben), auch wenn die Theologen es doch differenzierter sagen. Es ist die wohl am weitesten verbreitete Vorstellung.
Ihr steht die Vorstellung von der Seelenwanderung entgegen. Die gewöhnliche Vorstellung hiervon ist ja allgemein bekannt mit Spitzen wie der Möglichkeit einer Wiedergeburt als Ameise oder dergleichen. Diese volkstümliche Vorstellung wird zurechtgerückt von der Bemerkung des jetzigen Dalai Lama, er sei zwar die Wiedergeburt eines bestimmten früheren Dalai Lama, aber er sei nicht der gleiche Mensch wie der, dessen Wiedergeburt er sei. Damit ist schon sehr viel gesagt. Was ließe sich über die gewöhnliche christliche Vorstellung sagen, das die gleiche relativierende Wirkung hat?
Allein schon das Vorhandensein einer bestimmten Vorstellung zeigt die Nichtverbundenheit mit dem Geist. Wer den Geist kennt, weiß, dass er nie irgendeiner Vorstellung entspricht, sondern dass er im Gegenteil immer überraschend originell ist. Und er weiß deshalb auch, dass es nur einen Unsinn im Leben gibt, nämlich vom Geist getrennt zu bleiben, indem man sich ihm gegenüberstellt und alles besser weiß mit seinen Vorstellungen. Wer den Geist kennt, ist daher bereit, seine Vorstellungen aufzugeben und sich überraschen zu lassen. Er weiß auch, dass er nur durch die Gnade des Geists existiert und deshalb hat er ihm bereits sein Schicksal übergeben, das ohnehin nie seines war. Wer wurde schon gefragt, ob ihm sein Schicksal passt? Und der mit dem Geist verbunden ist, weiß aus eigener Erfahrung, dass er nicht besser ist als irgendein Anderer, weil doch auch er immer wieder scheitert, hundert mal am Tag. Es gibt keinen Grund, sich was einzubilden auf die eigene Kraft. Sie ist hinfällig, das zeigt uns unser Schicksal immer wieder in unterschiedlichen Nuancen. Doch wenn wir uns bewusst hingeben in diese kleinen, ohnehin unvermeidlichen Tode, erleben wir jene andere Kraft und in ihr immer wieder ein neues Leben – jetzt, nicht erst nach dem Tod. Wenn wir zunichte geworden sind in irgendeiner Schwierigkeit, erscheint der Geist und belebt uns auf eine ganz neue Weise. Wir erleben uns selbst als verwandelt. Und wenn wir das bewusst erleben, dann sehen wir, dass das, was wir jetzt tun, nicht mehr aus uns selbst kommt, sondern aus dieser Kraft – so lange wir mit dem Geist verbunden bleiben. Von da an achten wir natürlich auf nichts mehr, als auf das.
Äußerlich ändert sich vielleicht gar nicht so viel, aber alles ist anders, weil wir anders sind.
Genau so wenig wie wir bei dem kleinen Tod wissen, dass eine Auferstehung folgt, weil wir uns mit Haut und Haaren diesem Tod ergeben und ihm zustimmen, genauso wird es bei unserem physischen Tod sein. Wir werden ihm mit Haut und Haaren ergeben sein und wir werden nicht wissen, dass es eine Auferstehung gibt, denn so geht das nun einmal: Wir wissen es eben nicht, immer wieder nicht und immer wieder werden wir positiv überrascht durch die Gaben des Geists. Das wissen wir – jetzt wissen wir es, dann werden wir es nicht mehr wissen, dann werden wir eintauchen in die Schwärze, ohne zu wissen, ob es je wieder hell wird. Was dann ist, weiß keiner. Aber warum nicht eine sehr positive Überraschung?
Die gewöhnliche Vorstellung vom Leben nach dem Tod wird uns auf dem Weg da hin, positiv überrascht zu werden, nicht helfen, eher behindern. Eine Einstellung des nichtwissenden Vertrauens dagegen wäre vorteilhaft. Und genau diese Einstellung des Akzeptierens auch des Dunkels bietet die auch besten Voraussetzungen für jede Art eventueller weiterer Existenz oder Nichtexistenz. Und das gilt natürlich für die Hindus, die Buddhisten, die Moslems genauso wie für die Christen und auch für die Indianer und die Aborigenes. Und sogar für Atheisten. Auch sie suchen doch nach der vorteilshaftesten Lebenseinstellung.
Was behindert, ist jede Art von Dogmatik. Sie entspricht nicht dem Geist. Dem Geist entspricht nur das Fühlen. Das Denken ist den Möglichkeiten des Geists (und des Fühlens) unendlich unterlegen. Das Denken kann nur rekonstruieren, der Geist kann schaffen – auch Möglichkeiten schaffen, wenn die Zeit dafür da ist. Zur Unzeit gibt es keine wirklichen Möglichkeiten. Darauf hat auch Jesus mehrfach hingewiesen, etwa mit seiner Bemerkung, dass die Leute ja glaubten, die Zeit sei egal, er aber achte jederzeit auf die rechte Zeit. In der rechten Zeit ist die Konstellation der Kräfte günstig für eine Kommunikation. Der Geist schafft nämlich nicht durch Hokus-Pokus, sondern eben durch die vielfältigen Interaktionsströmungen, in denen es immer wieder optimale Zeitpunkte gibt für bestimmte Einsichten und Veränderungen, während andere dafür ungeeignet sind. Castaneda nennt es die „Momente der Chance“.
Solche optimalen Zeitpunkte und Orte für eine Veränderung gibt es auch in den sogenannten „historischen“ Strömungen, die in völlig unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen, wenn wir etwa an die Veränderungen denken in der Mode, in der Entwicklung einer Sprache oder bei der Entwicklung einer biologischen Art oder die Veränderungen großräumiger klimatischer Bedingungen – gleiches gilt aber auch für die Gefühlsströmungen in uns selbst, die jeweils unseren Befindlichkeiten entsprechen. Sie sind (für einen fühlenden Menschen) eine Art innerer Witterung, die in stetiger Verbindung steht mit den äußeren Witterungen aller Arten. Im Fühlen dieser Witterungen zeigen sich jene Zeitpunkte und Konstellationen, in denen unsere Sehnsucht und unsere Wünsche Erfüllung finden können.
So ist Bewusstheit. In ihr ist jedes Wesen stets in vielfältigster Weise klar in sich und mit allem verbunden.
Im Fall eines (kleinen oder auch des großen) Todes vereint daher ein jedes Wesen natürlicherweise seine Kräfte und schreit um Hilfe – wenn dieser Hilfeschrei nicht durch ein Besserwissen blockiert wird. Das gilt schon bei so kleinen Dingen wie einem alltäglichen Misserfolg. Wenn ein Mensch sich die Situation völlig klar macht, den Schmerz darin, dann entsteht in ihm so etwas wie ein einladender Energieblitz und dieser überträgt sich auf Gesamtheit der Gefühlsströmungen der lebendigen Welt und breitet sich in ihnen aus – und trifft auf Antwort aus diesen Strömungen, die ja durch konkrete Wesen, u.a. (neben den Tieren, den Pflanzen, den kleinen und großen „Naturereignissen“ etc.) auch Menschen und deren Gedanken, ent- und bestehen. Es ist deshalb vorteilhaft, diese Wesen und auch die Menschen nicht als isolierte Individuen zu betrachten, sondern als Erscheinungen der universalen Energie, die eben so vielfältige Formen annimmt, und in der natürlich nie irgendetwas oder irgendjemand verloren gehen kann oder auch nur isoliert ist. Nur das Bewusstsein der Verbundenheit kann fehlen, nie die Tatsache.
Alles ist stets verbunden, weil alles von Natur aus eins ist, alles ist nämlich diese eine Energie oder dieser eine Geist. Nichts geschieht von ihm ungewollt oder unbemerkt. Alles ist ja in ihm und daher hat auch alles Einfluss, denn alles hat miteinander zu tun. Und die Entwicklung, die alles genommen hat, ist die in Richtung Bewusstheit dieser Tatsache. Da hin drängt der Geist. Wir können uns ihm entgegenstellen, als ob wir nur für uns existieren würden. Es wird nicht klappen. Das Schicksal wird es uns nicht erlauben, jedenfalls nicht bis zum Ende. Am Ende, werden es alle sehen. Aber es ist sehr schade, wenn wir es nicht schon vorher sehen. Es wird nicht angenehm sein, dann erkennen zu müssen, dass man sein Leben verschwendet hat an Nichtigkeiten und an die Illusion einer separaten Existenz, die am Ende als solche ausgelöscht wird.
Was dann folgt, weiß keiner. Vielleicht aber eben eine positive Überraschung, weil doch ohnehin auch die separate Existenz ein Leben lang schon schwer genug war, schwer genug, immer in der Fremde zu sein, nie geborgen, immer im Kampf, immer bedroht. Das war doch schon die Hölle.
Die Illusion der separaten Existenz ist die Ursache allen Übels. Sie erzeugt nämlich Angst. In manchen therapeutischen Richtungen hat man das die „Grundangst“ genannt. Und diese Angst kann nicht beseitigt werden, solange die Illusion besteht, sie wird daher gewöhnlich betäubt, eben durch die Nichtigkeiten, die als wichtig erachtet werden. Und die Betäubung wird zur Sucht – und behindert die Bewusstwerdung.
Der Weg der Umkehr ist ein Weg des „Sterbens“, ein Weg der Kapitulation. Er besteht nämlich darin, dass wir uns bewusst machen, dass es keine separate Existenz gibt, sondern dass wir (nur) ein Teil der Kraft sind, aus der alles lebt und dass wir dieser Kraft vollständig ausgeliefert sind, dass diese Kraft aber unsere Form angenommen hat, wie sie alle Formen angenommen hat. Natürlich „will“ sie, dass wir uns entfalten. Dahinter jedoch steht eine andere, nämlich die eine Intention dieser Kraft, die ihr von Anfang an innewohnt, nämlich durch Entäußerung zu sich selbst zu finden.
Der Anfang der Welt könnte ja der gewesen sein: Am Anfang war die Energie allein mit sich selbst und sie konnte ihre Fülle nicht für sich behalten. Sie geriet in einen Zustand der Ratlosigkeit. Ihr Sein als Einziges kam an sein Ende. Sie kapitulierte und ergab sich in ihren Tod [während ihre Sehnsucht ihr doch ein neues Leben zeigte]. Genau da folgte (als ihre „Auferstehung“) der „Urknall“ und sie verströmte sich in die neu entstehende Welt. Der Phönix erstrahlt – gleichzeitig aber erkennt er seine Unbewusstheit und – kapituliert erneut, begibt sich hinein ins äußerste Dunkel, stirbt erneut immer wieder, um immer wieder als etwas Neues zu erstehen, in einem „langen“ Prozess, an dessen Ende wieder die Bewusstheit steht, die am Anfang das allein bei sich Bleiben nicht ertragen konnte – jetzt aber bereichert durch unendliche Erfahrungen des sich gesehen Habens aus Myriaden von „Augen“ und durch das reale Da-Sein dieser Unzahl von „Wesen“.
In uns Menschen vollzieht diese Energie diesen Prozess noch einmal, nämlich indem sie uns durch Schmerzen und Tode zu dem uns angemessenen Bewusstsein unserer und ihrer selbst führt, dem möglicherweise keine Grenzen gesetzt sind.
An so etwas muss Thomas von Aquin wohl gedacht haben, als er von „Anschauung Gottes“ sprach. Gott schaut sich selber an. Und er sieht in der Unendlichkeit (u.a. auch durch uns), wie er ist.
Durch seine Entäußerung ist Jesus dieses historisch einzigartige Beispiel. Andere haben sich zwar nicht weniger entäußert als er, aber ihr Ausdruck war nicht in dieser Weise archetypisch. Sie trafen auf andere historische Bedingungen, in denen die gleiche Botschaft in andere Gewänder gekleidet werden musste, angepasst an die politischen Gegebenheiten und Scheuklappen jener Zeit – und zu den politischen Gegebenheiten gehören auch die theologischen Lehrmeinungen. Sie sind Teil der „Matrix“, also der Ideologie einer Zeit und einer Kultur. Ein Weiser ignoriert die „Matrix“ nicht, er bezieht sie mit ein und wirkt dadurch auch unter den manchmal unaufhebbaren Bedingungen der Lüge, auf deren Benennen die Todesstrafe steht, wie wir das ja aus der Geschichte kennen.
Bei der Gottessohnschaft Jesu geht es daher nicht um eine Rangordnung der Existenz, sondern nur um eine Ordnung der Bedeutung. Unter dem Blickwinkel der Chance zur Sprengung aller Grenzen und zur Universalisierung einer Stammesreligion wird hier ein Mensch zum mythischen und archetypischen „Sohn Gottes“ für die gesamte Menschheit.
Der Unterschied zwischen Jesus und uns besteht in der Bewusstheit und im Ausdruck. Wenn wir die Tiefe seiner Bewusstheit erreicht haben, bleibt immer noch der Ausdruck. Jedes Wesen hat seinen einzigartigen Ausdruck. Nur in ihm ist es dem Geist treu. Nicht jeder hat die historische Rolle des Jesus. Deshalb ist Jesus nicht „besser“. Er ist eben er. Und du kannst nur du sein. Was immer dir dein Schicksal bescheren wird, indem du es annimmst, entäußerst du dich und indem du dich darin verlierst, wirst du dich, also deinen wahren Ausdruck, finden. Der Wendepunkt ist der Punkt der Kapitulation. Wenn wir in dieser Haltung leben, sind wir in der gleichen Wirklichkeit wie Jesus und in keiner Weise niederrangig im Vergleich zu ihm. Unsere „Sohnschaft“ unterscheidet sich von seiner weder graduell noch wesentlich, sondern nur durch unsere eigene Besonderheit. Niemand ist wie jemand anderer, jeder ist einzigartig und genauso ein einzigartiger „Sohn Gottes“. - Die Frauen müssen das eben grammatikalisch auf ihr Geschlecht übersetzen, denn es gibt keinen Unterschied außer den der jeweiligen persönlichen Besonderheit.
Ganz anders ist es aber, wenn jemand sich als separat erlebt. Dann gibt es diese äußerlichen Hierarchien. Und dann gibt es den „Glauben“ an irgendwelche Dinge – und seien es „spirituelle“ Dinge oder Tat-Sachen. Diese Phase ist eine schmerzhafte Phase, eben weil die Erfahrung der Getrenntheit nicht angenehm ist, weil aus der damit verbundenen Angst die ganzen Übel folgen, die Menschen einander antun und die sie sich selbst antun. Alles, wo die Bewusstheit fehlt, gehört zum Bereich dieser Übel. Von „Leiden“ sprach der Buddha. Es ist zu überwinden durch den Pfad der Achtsamkeit, also der Bewusstheit. Und das gilt natürlich nicht nur für Buddhisten. (Wie die christlichen Dogmen in ihrem Kern auch für alle anderen Religionen gelten, so gelten natürlich auch die Dogmen aller anderen Religionen auch für die Christen).
Ein Beispiel: Was die Hindus und verschiedene andere Religionen mit ihren „Göttern“ (ursprünglich) meinen, sind jene Strömungsmuster der einen Energie, die ja nicht nur unsere spezielle Form angenommen hat und alle anderen äußeren Formen, sie erscheint eben auch in den großen interindividuellen Strömungen, die ja auch wahrnehmbare Formen/Gestalten bilden, wie die verschiedenene Zeitgeister. Manche dieser Energiegestalten sind in unserem Kulturkreis „Engel“ genannt worden – in den „monotheistischen“ Religionen durfte es ja keine Götter geben, doch aber „Mächte und Gewalten“. – Unter diesen interindividuellen Energiegestalten gibt es Strömungen oder „Züge“, die abwärts ziehen, Richtung Absterben und es gibt die Strömungen, die erheben, Richtung Gedeihen. Ein esoterischer Schüler muss die Strömungen suchen, die ihn erheben und jene meiden, die ihn runterdrücken. Er muss das absichtlich tun. Einer, der sich „dem Geist“ ergeben hat, hat sich dem Kern seiner eigenen Energiegestalt ergeben. Er braucht daher nur noch auf diesen einen Geist achten. Und er tut es von selbst, unwillkürlich. Und dieser Geist führt ihn dann wieder von selbst in die Strömung, die erhebt. Es ist natürlich. Es ist kein Stress. Esoterik ist immer Stress. Man muss immer auf tausend Dinge achten und dabei übersieht man gern das Wesentliche. Eben wie der Priester in Jesu Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. Wer will, der kann nicht. Die Erlösung ist nicht zu schaffen. Wer annimmt dagegen, dem wird es gegeben.
Es ist zu hoffen, dass der Stress der Esoterik die Sehnsucht nach dem Geist wachruft.
Dieses Dilemma schwingt auch mit in den mythisch-legendären Geschichten vom Kampf zwischen schwarzer und weißer Magie oder einfach zwischen gut und böse. Die Esoteriker aller Arten (sämtliche Priester eingeschlossen, sie gehören ja immer zum „inneren Kreis“, also zum esoterischen Zirkel ihrer jeweiligen Religion) wollen weiße Magier sein und gegen die schwarzen Magier der Unterwelt kämpfen, aber durch ihre Funktion als Vertreter einer bestimmten Tradition, die sich abgrenzt von anderen Traditionen, leben sie, sofern sie sich der Relativität dieser Tradition nicht bewusst sind, noch in der Illusion der Getrenntheit und gehören dadurch in Wirklichkeit selbst noch zu den schwarzen Magiern mit allen negativen Folgen der Unbewusstheit. Statt des behaupteten Verstehens und der behaupteten Toleranz praktizieren sie Intoleranz und Missgunst. Es ist ihnen aber eben nicht bewusst, weil ihr Geist durch ihre Ideologie in Fesseln gelegt ist. So ist auch die Bekehrung zur Priesterreligion (egal welcher Art) letztlich noch nicht die Bekehrung, die gemeint ist mit der radikalen Umkehr, die jede Religion fordert. Diese Bekehrung erfolgt erst, wenn uns wirklich bewusst wird, dass wir nur aus Geist bestehen. In diesem Augenblick erfolgt unsere Hingabe und in der Hingabe sind wir herausgehoben aus (den Begrenzungen) jeder spezifischen (Religions-)Richtung, aus jedem Muss, in diesem Augenblick sind wir aufgehoben und mit dem unendlichem Leben erfüllt, das ausgeht von der einen Kraft, mit der wir jetzt – endlich! – übereinstimmen.
Unser weiteres Leben ist ein Leben des Fühlens. Eins mit dem Leben selbst. Das ist das wirkliche Leben vor und nach dem Tod. Was dann beim Sterben folgt, weiß kein Mensch. Paulus hat es deshalb so ausgedrückt, dass „kein Menschen gesehen ... hat, was Gott denen bereitet, die ihn lieben“. Doch wer im Leben eins war, wird es im Sterben auch sein, wohin immer es ihn/sie führen mag. In jeder Religionsrichtung ist das das Allerhöchste, das erreichbar ist [natürlich ohne willkürlich erreichbar zu sein]. Das ist das „ewige“ Leben – selbst wenn es in die Auslöschung der individuellen Existenz mündete, in ein völliges Aufgehen im Ganzen, in eine Rückkehr des Bewusstseins an seinen Ursprung – und wenn nur für einen ewigen Augenblick!
Kapitulation
der Weg zur Heilung allen
Leidens
(3. 9. 2001)
Kapitulation ist das, was jeder normalerweise vermeiden möchte, denn jeder möchte ja stark sein und alles überwinden. Nun begegnet er/sie aber etwas, das stärker ist. Jeder hat solche Begegnungen. Jeder erlebt Niederlagen hier und dort. Und in solchen Niederlagen kann etwas sehr Eigenartiges geschehen. Wir können da nämlich schneller und eindringlicher entdecken, wie das Leben funktioniert, als wir das bei anderen Gelegenheiten könnten. Niederlagen führen uns nämlich zu einer Art Todeserfahrung. Und da wächst eine neue Bewusstheit in uns. Wir entdecken da etwas vom Wesen des Universums, eine erstaunliche Eigenart, von der wir zwar theoretisch schon gehört oder gelesen haben in der esoterischen und auch in der theologischen Literatur bei den Mystikern. Wir können es jetzt aber an uns selbst entdecken. Und das ist etwas ganz anderes als davon hören oder darüber lesen oder auch darüber meditieren.
Wenn wir verzweifelt sind und keinen Ausweg mehr wissen, bricht für uns eine Welt zusammen, unsere Welt. Wir erleben eine Art Tod. Und in diesem Tod, wenn wir uns ihm hingeben, ihm zustimmen, anstatt vor ihm zu fliehen, schweigt doch unsere Sehnsucht nicht, sondern sie macht sich eventuell laut Luft, und schreit es hinaus in das All, dass hier Hilfe benötigt wird. Doch ist da jemand, der das hört? Erstaunlicherweise, so zeigt die Erfahrung, gibt es eine Resonanz. Nicht ein ödes Echo, sondern lebendige Resonanz. Wenn wir so aus unserem tiefsten Inneren um Hilfe schreien, können wir fühlen, dass wir nicht allein sind. Wir können fühlen, dass wir mit allem verbunden sind. Und wir können fühlen, dass die Energie, aus der wir bestehen, die selbe ist, aus der auch alles andere besteht, dass sie in uns eben unsere Form angenommen hat, so wie sie in allem anderen all die anderen Formen angenommen hat. Und wir können fühlen, dass diese Energie unsere Entfaltung will, wie sie auch will, dass sich alle anderen Formen entfalten. Außerdem fühlen wir, dass diese eine Energie in uns schon unser ganzes Leben lang in diese Richtung gearbeitet hat. Und – dass wir ihr ohnehin vollkommen ausgeliefert sind. Gegen sie können wir absolut nichts ausrichten. Sie kann uns jederzeit einen Strich durch jede Rechnung machen. Sie kann uns jederzeit auslöschen. Eine winzige Unachtsamkeit genügt, um den Tod zu verursachen, wenn es sein soll. Leute sind schon bei den unmöglichsten Gelegenheiten ums Leben gekommen, auf dem Weg vom Fernseher zum Kühlschrank unglücklich gestürzt etc.. Wenn wir gegen die Energie arbeiten, arbeitet sie gegen uns und wir richten uns zugrunde. Wofür? Dass wir Vorstellungen gerecht werden, die wir von anderen übernommen haben? Das wäre das typische Fall des „Molochens“ für fremde Götter. Durch den Moloch wirst du zum Zombie.
Aber jetzt, in dieser Notlage (in der Aussicht, zum Zombie zu werden) können wir erkennen, dass wir eine echte Chance haben in diesem Leben, aber nur wenn wir der Energie folgen. Wenn wir uns ihr voll anvertrauen. Ihr unser Schicksal überantworten mit der Bitte, uns von nun an zu führen.
Die erste Konsequenz dieser Einstellung ist, dass wir akzeptieren, was uns geschickt wird, dass wir dankbar sind für jeden Schritt, der uns, wenn manchmal auch durch bittere Erfahrungen hindurch, doch zu immer tieferer Bewusstheit führt. Immer, indem wir die Widersprüche klären, die noch in uns sind, einen nach dem anderen. Diese Prozedur lässt sich nicht vermeiden und auch die unangenehmen Erfahrungen, die mit jeder Ent-Täuschung verbunden sind, lassen sich nicht vermeiden. Nur auf diesem Weg können wir Klarheit gewinnen.
In bitteren Erfahrungen werden wir immer wieder kapitulieren müssen. Doch immer wieder werden wir uns gerade durch unsere Kapitulation wieder aufgehoben wissen und sehr froh und voll Energie. Nicht mehr voll mit unserer Energie, sondern voll kosmischer Energie, die nichts Mysteriöses ist, sondern eben unsere Lebenskraft, die ja immer schon da ist, die nun aber endlich konzentriert wirken kann, weil wir sie nicht mehr behindern. Wir bestehen ja aus dieser kosmischen Energie. Und wenn wir uns ihr nicht mehr entgegenstellen, begreifen wir mehr und mehr, dass sie unerschöpflich ist, unendlich. Das ist die Bedeutung des achtarmigen Shiva der Hindus oder der „Kräfte“ der Erlöserfigur im Film „Matrix“. So ein Mensch hat plötzlich „vielfache“ Energie. Nichts kann ihm gleichtun oder ihm etwas anhaben.
Logischerweise benützt er diese Energie nun aber anders als zuvor, wo er noch mithilfe des Moloch sein eigenes Süppchen kochen wollte. Er benutzt sie für das Ganze, und dafür gibt er alles hin.
Hingabe ist der Einstieg und Hingabe ist das Ergebnis. Aber jetzt ist die Energie da, vorher schien sie zu fehlen, einfach weil sie nicht geeint war, sondern zerrissen in tausend Ideen und Verpflichtungen. Nun ist Konzentration da. Und daher Durchschlagskraft.
Auf diese Weise konnten die legendären Israeliten das legendäre Ägypten verlassen: Indem sie in ihrer Verzweiflung diese Kraft entdeckten. Diese Kraft schafft Wege. Nicht wir sind es, die der Kraft die Wege ebnen, sondern sie ist es, die uns die Wege ebnet. Es ist wie geschrieben steht, dass sie dafür sorgt, „... dass sein Fuß an keinen Stein sich stoße“. Unser Fuß ist gemeint, wenn wir ihr folgen. Die Kraft ebnet uns den Weg. Wir brauchen nur zu folgen.
Ihr folgen heißt, aufmerksam sein auf das, was ist. Dann können wir nämlich den Weg vor uns erkennen. Wir erkennen dabei aber nicht nur unseren eigenen Weg, sondern auch die Wege derer, mit denen wir zu tun haben. Wir können sie fühlen. Wir können fühlen, was wir ihnen und uns zumuten können und was die für alle Beteiligten fruchtbarste Lösung wäre. Wir werden es Schritt für Schritt erkennen.
Unser Führer (wenn wir der Energie folgen) ist unsere Sehnsucht. Sie ist wie ein Engel, der uns begleitet und der uns den Weg zeigt. Es ist letzten Endes die Sehnsucht nach dieser Einheit, nach Verschmelzung mit der großen Energie, mit dem großen Bewusstsein des Alls. Sie führt uns Stufe um Stufe tiefer in die Erkenntnis Gottes [und damit des Lebens] ein. Und umso tiefer wir die Energie erkennen, umso tiefer sehen wir, was Not tut um uns herum und wie wir dieses allgegenwärtige Vakuum [die Not ist ja das Niemandsland zwischen den gegebenen Energielinien] mit unserer Energie füllen können, die nun eins ist mit der kosmischen Energie. So gut es eben geht.
Wir haben und behalten dabei selbstverständlich unsere eigene Form. Aus ihr entspringt unsere spezielle Art der Kommunikation mit der Welt, mit den Menschen. Durch unsere Bewusstheit werden wir auf diesem Wege Meister der Kommunikation. Wir leisten unseren Teil, damit die Menschheit der Bewusstheit einen Schritt näher kommt. Alle arbeiten daran.
Allerdings gibt es auch die, die an der Einschläferung der Menschen arbeiten, weil sie daran verdienen. Auch sie sind wertvoll, weil sie die notwendigen „Prüfungen“ bieten. Und die sich einschläfern lassen, müssen schmerzlich lernen, dass das nicht gut tut. Der Schmerz ist der Wecker. Oder er will der Wecker sein. Wenn wir den Schmerz betäuben, kann er uns natürlich nicht wecken. Er muss dann intensiver werden. Irgendwann kommt dann die Zeit, zu kapitulieren. Bei vielen geschieht das erst am Totenbett. Das ist sehr spät. Immerhin, wenn sie da kapitulieren, können sie wenigstens da die wohltuende Einheit erfahren und in dieses Bewusstsein hinein ihren Geist aufgeben.
Kapitulation hat immer diese wohltuende Wirkung. Es ist die Wirkung der Wahrheit. Es ist (daher) die Wirkung des zu Hause angekommen Seins. Weil wir nun im Eins sind, fühlen wir uns vollkommen getragen. Und genau das ist der Fall. In der Wahrheit öffnet sich uns der Weg. Indem wir unsere Schwachheit eingestehen, erfahren wir nämlich eine ganz andere Kraft als unsere eigene, eine Kraft ohne Grenzen. Erst durch unsere Schwäche konnten wir sie sehen, die Kraft des Einen.
Warum wirkt diese Kraft dann gewöhnlich bei den Schwachen nicht, warum scheint es, dass so viele einfach vor die Hunde gehen? Weil sie immer noch bei sich selbst um Rat suchen, weil sie immer noch aus dem Fundus des Üblichen schöpfen, auch wenn der längst ausgeschöpft ist. Sie können sich nicht vorstellen, dass es da noch etwas Anderes geben könnte, dass von unerwarteter Seite Hilfe kommen könnte. Und dadurch blockieren sie diese Hilfe.
Entgegen dem, was scheint, sind Selbstmörder aller Arten meilenweit von Kapitulation entfernt. Sie sind enttäuscht, weil ihre Erwartungen nicht eingetroffen sind. Aus Ärger darüber, dass die Wirklichkeit nicht ihren Vorstellungen entspricht, bringen sie sich um. Sie sind nicht bereit, ihre Vorstellungen, ihre Erwartungen fallen zu lassen und nachzufühlen, was ihre wirkliche Sehnsucht ist. Sie sind nicht bereit, ihre Identifikationen aufzugeben, sie sind nicht bereit, ihre wirkliche Identität anzunehmen. Sie identifizieren sich mit einem von außen übernommenen Bild, einem Kunstprodukt, das ihnen eine irgendwie besondere (wenn auch noch so mickrige) soziale Stellung gibt. Sie verlangen nach Anerkennung dieser künstlichen Identität. Logischerweise wird diese Anerkennung aber verweigert, weil alle ja sehen können, dass es sich nicht um etwas Echtes handelt. Und so müssen sie zugrunde gehen – es sei denn, sie würden (wenigstens im letzten Moment noch) ihren Stolz erkennen und ihr Haupt beugen, also kapitulieren. Dann sind sie gerettet, aber dann sind sie nicht mehr die, die sie waren. Ihre Erwartungen sind weggeschmolzen, geblieben ist ihre echte Sehnsucht, und für die finden sie nun Unterstützung. Das Gleiche gilt für alle anderen Menschen, die irgendwelche ruinösen Wege gehen. Das Ruinierende kommt von der Einbildung, also vom Fehlen des Fühlens. Ein ruinöser Weg geht zu Ende durch das sich Einfügen in das Ganze – entweder durch den Tod oder durch die Umkehr, durch die Kapitulation. Kapitulation ist im Leben der (einzige) Schlüssel zur Beendigung allen Leidens.
Aus diesem Grund ist die Kapitulation als Weg bei uns ja gerade durch die Anonymen Alkoholiker bekannt geworden, die, am Abgrund stehend, diesen Weg entdeckten, so wie ich ihn auch da entdeckte.
Was auf die Kapitulation folgt, ist das, was die Japaner „katsugen“ nennen, spontane Bewegung. Auch dann im Alltag. Ein heilendes Verhalten. Ein Verhalten, das, weil es vollkommen natürlich ist, die Ausscheidung alles Vergiftenden zur Folge hat. Alte Wunden können heilen. Und dann werden die so Geheilten selbst zu Heilern, denn für sie als wirklich Gesunde ist auch die tägliche Aufnahme einer gewissen Menge neuen Gifts o.k. – wie es beispielsweise unvermeidlich ist in der Auseinandersetzung mit Menschen, die noch in ihren Vorstellungen leben und die daher stets das Gift um sich sprühen, das aus den Verletzungen stammt, die sie erlitten haben.
In der Kapitulation werden diese Verletzungen angenommen. Dadurch können sie heilen. Es wird verstanden und es wird vergeben, obwohl es nichts zu vergeben gibt. Es ist ja nur Unverständnis, das verletzen lässt und das braucht Zeit und Erfahrung, um sich aufzuklären. In der Kapitulation entsteht jene tiefe Einsicht in die Zusammenhänge, die jeden Groll besänftigt und statt dessen Mitgefühl erzeugt. Das ist etwas Anderes als Verzeihen. Es ist die Erkenntnis, dass Verzeihen nicht nötig ist. Was vielleicht nötig ist, damit ein Mensch, der andere verletzt, geheilt wird, ist eine tiefe Zuwendung. Das heißt aber nicht, dass diese Zuwendung notwendigerweise von uns kommen muss oder kann. Es gibt keine moralische Pflicht. Was von uns kommen soll, ergibt sich aus der Kommunikation unseres eigenen Wesens, unserer Natur, unseres innersten Kerns mit unserer Umwelt. Das heißt, es ergibt sich aus unserem „Fühlen“.
Kapitulation führt zum Fühlen. Ohne Kapitulation gibt es kein Fühlen.
Warum aber kommt Kapitulation nicht, wenn wir sie wollen? Sie zu wollen, wäre keine Kapitulation. Kapitulation ist natürlich, wenn wir am Ende sind – oder wenn wir uns erinnern, dass wir eigentlich längst am Ende sind, dass wir die Vergeblichkeit allen Tuns längst erkannt haben, aber einfach immer weiter gemacht haben, als ob nichts wäre. Wenn wir uns erlauben, uns daran zu erinnern, kommt Kapitulation ganz natürlich. Und diese Erinnerung ist jedem möglich, der es wagt, wirklich tief in sein Inneres hineinzuschauen.
Es braucht eine Art Meditation – nicht unbedingt im „Sitzen“, aber im einfach ganz da Sein, egal ob im Sitzen, Liegen, Gehen oder Stehen. Wir müssen einfach die Bewusstheit tief in uns einkehren lassen, bis wir an dem Kern unseres Nichtwissens stehen, an dem undurchdringlichen Dunkel der Realitäten unserer Existenz. Wenn wir da stehen [vor der Sphinx], brauchen wir Hilfe. Unsere Konzepte kennen diesen Bereich nicht. Sie helfen uns nichts, deshalb müssen wir hier ja kapitulieren. Es gibt nur eine Kraft, die uns hier weiterhelfen kann und die wird uns zugänglich, indem wir ihr unsere Hilflosigkeit gestehen. Und genau dadurch wachsen wir hinein in unsere Fähigkeit zu Fühlen.
Manche werden an dem Punkt krank. Wenn diese Krankheit nicht zum Tod führt, ist es die bekannte „Schamanische Krankheit“. Von manchen Schamanen wird berichtet, dass sie mehr als ein ganzes Jahr bettlägerig waren, bevor sie zu Schamanen wurden. Die Krankheit ist ausgelöst von den Konzepten, die überwunden werden müssen, mit denen wir uns aber identifizieren. Die schamanische Krankheit ist eine Existenzkrise, in der sich klärt, wer wir eigentlich sind. Sobald es sich geklärt hat, sehen wir uns selbst nicht mehr isoliert, sondern als ein besonderes Muster jener einen kosmischen Kraft, die uns erzeugt hat und die uns am Dasein erhält und die uns ausgestattet hat mit dem Instrument des Fühlens. Im Fühlen kommt die Heilung. Von da an weiß dieser Mensch, woran auch die anderen Menschen leiden. Er kennt es von sich selbst. Er kann es daher fühlen. Er ist jetzt ein Heiler. Er ist es geworden durch seine bedingungslose Kapitulation vor dieser einen Kraft. Und so können wir es auch werden. Wir können in solche Tiefen unserer Existenz hinabsteigen, dass wir kapitulieren müssen. Von da an führt uns jedes Leiden jeder Art immer erneut zur Kapitulation, bis alle Leiden geheilt sind.
Inzwischen ist auch die eigene Aufgabe geklärt. Es ist eine Art „Lebensaufgabe“. Auch da ist wieder die „Auf-gabe“, die Hingabe enthalten. Wenn wir uns nicht mehr selbst mit Hilfe unserer Vorstellungen steuern, dann steuert eben jene eine Energie und sie steuert uns, wie sie es sieht und nicht wie wir es sehen. Sie steuert uns in ihrem Sinn. Tatsächlich aber ist dieser Sinn unser eigener Sinn aus dem tiefsten Grund unseres Seins heraus. Auf ihrem Kurs befinden wir uns in unserer ureigensten Heimat. Wohler könnten wir uns daher nicht fühlen, auch wenn nach wie vor vieles weh tut. Ein bewusster Mensch ist ja nicht gefühllos, sondern zutiefst gefühlvoll. Er fühlt daher die Schmerzen, die Menschen einander zufügen. Es tut ihm weh. Aber das ist jetzt nicht mehr das „Leiden“ von vorher. Es ist nur der Schmerz der momentanen Situation, nichts Bleibendes, sondern etwas Flüchtiges, so flüchtig eben wie die Realität, in der ständig alles fluktuiert. Ein fühlender Mensch ist daher einer, der das japanische „katsugen“ lebt, der einfach fühlt und sich lebt nach den gegebenen Möglichkeiten, ohne Ansprüche und doch voller Ansprüche, eben je nach dem, was möglich ist.
Selbstverständlich gibt es da keine Moral, weil die Moral immer beschränkt ist und nun keine Beschränkungen mehr gelten. Trotzdem gibt es in der Regel kein „unmoralisches“ Verhalten, denn das Fühlen bedingt natürlich Mitgefühl und daher eine natürliche Mitmenschlichkeit. Es gibt aber keine Schranke in dem, was Menschen miteinander tun möchten. Sie dürfen alles miteinander tun, außer sich verletzen – es sei denn eine bewusste Verletzung hätte ihren Grund darin, dass sie auf die Bewusstheit eines Anderen in einem günstigen Augenblick in der Weise einwirkt, dass die Verletzung hinterher eingesehen und geheilt wird und von einer weit darüber hinausgehenden Heilung gefolgt wird, die alles Bedauern vergessen machen wird für immer. Es wird kein Ausnutzen der Schwäche geben, aber immer eine Stärkung. Moral ist in der Bewusstheit weit überholt. Das Wissen kommt jetzt aus der fühlenden Verbundenheit nicht nur mit dem einen Gegenüber, sondern gleichzeitig mit dem Ganzen. Mehr ist nicht möglich. Jesus hat das seinerzeit so ausgedrückt: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, dann kommt ihr nicht in das Himmelreich.“ Wie aber kann die Gerechtigkeit aber größer sein als die der strengsten Moralisten? Nur durch das Fühlen. Nur da gibt es den Zugang zum realen Himmelreich, also zum wirklichen Glück, zum höchsten Glück.
Das reicht an Theologie. Nun muss die Praxis folgen. Bei mir und bei dir.
Es folgt ein sehr praktischer Abschnitt:
Die Zerstörung des World
Trade Centers
(12. 9. 2001)
Gestern ist das World Trade Center zerstört worden, das Symbol der unerschöpflichen Machbarkeit.
Es ist ein Schock.
Lebe ich zu aufwendig, frage ich mich? D.h. ich frage mich, ob ich eventuell auch dazu beigetragen habe, dass der Hass dieser Gruppe von Menschen solche Ausmaße annehmen konnte.
Auffällig bei der Fernsehberichterstattung war an diesem Tag (dem Tag danach), dass kein einziger Reporter die Frage stellte, was diese Terroristen überhaupt wollen.
Bei Tausenden Toten und einem Sachschaden von vielen Milliarden ist es schon erstaunlich, dass anscheinend niemand wirklich wissen will, warum es geschehen ist. Man gibt sich zufrieden mit der offensichtlich dummen Erklärung, dass diese Leute eben „Verbrecher“ seien.
Es ist anzunehmen, dass die Anschläge unter diesen Umständen intensiviert werden werden, dass das eben erst ein harmloser Anfang war, im Vergleich zu dem, was noch kommen wird.
Dass diese Gruppe gleich drei Ziele allerhöchster Bedeutung für die technisierte Welt mit solcher Präzision getroffen hat, gibt doch zu denken – besonders wenn wir an die vergleichsweise effektlosen Materialschlachten der NATO im Irak oder in Jugoslawien denken.
Was macht den Unterschied zwischen diesen Leuten und der bestausgerüsteten Armee der Welt?
Es ist die Konzentration. Der Anschlag war wie ein Karateschlag: Alle Energie auf einen Punkt geeint. Höchste Durchschlagskraft.
Ein Pilotenausbilder der Lufthansa meinte, dass normale Piloten derartige Meisterflüge nicht hinkriegen würden.
Die Frage lautet daher: Wie ist solche Konzentration möglich?
„Dummer Zufall“? Wohl nicht.
Diese Tat erinnert an manche der unglaublichen biblischen Siege. Auch da war es ja diese hohe Konzentrationsfähigkeit verzweifelter Menschen, die sie möglich gemacht hat – etwa die Geschichte, in der Gideon mit dreihundert Mann eine Armee von 30.000 vernichtend schlägt.
Daher muss ich noch einmal fragen, was diese Leute wollen. Mit meiner ersten Frage, ob ich zu aufwendig lebe, aber meine ich doch, den Punkt schon getroffen zu haben.
Die Frage ist also nicht so sehr, wie wir sie bekämpfen können – obwohl das natürlich auch sein muss –, sondern wie wir ihren Schmerz lindern können, damit sie besänftigt werden.
Der Zeitpunkt ist jetzt günstig für das Erwachen eines neuen Bewusstseins. Der Anschlag zwingt uns geradezu, uns zu fragen, ob wir eigentlich weiterhin die Politik unterstützen wollen, die den armen Ländern diese billigen Preise abtrotzt, durch die sie nicht hochkommen können.
Oder auch, ob wir weiterhin die Augen vor einer der Quellen des Hasses verschließen wollen, nämlich vor Israel und seiner Politik den Palästinensern gegenüber.
Aber nicht nur ein politisches Bewusstsein kann unter diesen Umständen wachsen, sondern auch das individuelle.
Wir müssen uns doch fragen, ob das, was wir bisher für den Sinn unseres Lebens gehalten haben, wirklich der Sinn ist?
Wenn wir überlegen, wie die Leute in Afghanistan leben, unter welch einfachen Verhältnissen, um nicht zu sagen, in welcher Not, dann relativieren sich viele Dinge, die uns sonst so wichtig sind, dass sie schon begonnen haben, uns zu beherrschen – so sehr, dass uns unsere Anstrengungen dafür krank machen. Wir können durch dieses Bewusstsein eine größere Freiheit bekommen, so sehr wir auch versucht sind, zu glauben, unsere Freiheit würde eingeschränkt.
Was müsste geschehen, damit auch unsere Handlungen die selbe Durchschlagskraft haben, wie die dieser Terroristen? Wir müssten voll hinter dem stehen, was wir tun, wir müssten uns von allen Zweifeln befreit haben. Der Weg da hin kann aber darüber führen, dass wir zunächst von den Zweifeln überschwemmt werden bis hin zur völligen Verzweiflung. Und in ihr können wir uns gezwungen sehen, zu kapitulieren vor der großen Kraft, in ihr können wir sehen, dass eine Lösung nur im Einklang mit dieser Kraft möglich ist. Dann schlägt die Verzweiflung um in Konzentration, eben an dem Punkt der Verzweiflung, an dem wir erkennen, dass es für uns nichts mehr zu verlieren gibt.
„Freedom is just another word for nothing left
to loose“, heißt es in einem alten Song.
An diesem Punkt können wir nur sterben oder „bewusst werden“, d.h. uns lösen von allen Vorstellungen. Unterscheiden zwischen Vorstellung und Wahrnehmung. Nicht mehr von irgendwelchen Ideologien gesteuert werden, sondern eben von der Wahrnehmung – von einer Wahrnehmung einer Tiefe, die sich die Vorstellungsgesteuerten nicht vorstellen können.
Deshalb sind Ereignisse, wie dieses gewaltige Attentat so unglaublich, weil die Menschen nicht bedenken, wozu der Geist fähig ist. Eine Gruppe verzweifelter Menschen ist das Gefährlichste, was es gibt. Sie sind zu allem fähig.
Wir können nur den Grund finden für ihre Verzweiflung und ihnen helfen, ihre wunden Stellen zu heilen.
Eine Eskalation ist sonst ohne weiteres möglich.
Vielleicht lagert ja schon seit Jahren eine Atombombe in New York oder an einem ähnlich symbolträchtigen Ort. Vielleicht braucht es nur noch die Eingabe des Codes, um sie auszulösen.
Wenn der Grund für ihre Verzweiflung nicht entdeckt und heilend behandelt wird, wird das jetzige Ereignis harmlos sein im Vergleich zu den Ereignissen, die noch auf uns zukommen werden.
Selbst wenn dieser legendäre Bin Laden umgebracht wird, solange sich die Stimmung nicht verändert, wird er Nachfolger haben. Etwas muss hier heilen, sonst werden wir alle in Angst und Schrecken leben müssen.
Kapitulation würde hier bedeuten, diese Realität zu sehen und folglich intensivste Anstrengungen zu unternehmen, damit eine Heilung erfolgen kann.
Wir können mitwirken daran, dass diese Heilung möglich wird, indem wir nämlich anfangen zu verstehen, dass diese Welt eins ist und dass das für uns etwas bedeutet. Nicht unbedingt, dass wir als Entwicklungshelfer in die dritte Welt gehen, aber dass wir uns beteiligen an der Linderung von Leid in allem, was wir tun. Wir können beispielsweise bei uns selbst anfangen, bei unserem eigenen Leid. Wir können anfangen mit unserer eigenen Kapitulation, damit, dass wir uns dem Einen anvertrauen, dem sich diese Verzweifelten auch anvertraut haben. Aus dem Einen kam diese Kraft für sie, es kann auch uns die Kraft geben, die wir brauchen, in unserem Fall dann hoffentlich Heilkraft, denn verletzen tun schon genug.
Die neue Sicht heißt: die Sicht der einen Welt. Das gilt auch rein persönlich. Meine Kraft ist keine andere, als die der Terroristen. Es gibt nur diese eine Kraft. Der Auszug der Israeliten aus Ägypten war ja auch von einer Reihe von großen Katastrophen für die Ägypter begleitet. Als es an ihre Existenz ging, haben die Ägypter schließlich nachgegeben und die Israeliten ziehen lassen. Es hat eine Bewusstseinsveränderung eingesetzt. So wurden die Israeliten frei. Vielleicht werden die Palästinenser und die ganze islamische Welt auch auf diese Weise frei – und andere mit ihnen.
Die Befreiungsbewegung, die jetzt im Gang ist, hat auch eine Ähnlichkeit mit der der Arbeiterklasse in den industrialisierten Ländern vor einem Jahrhundert. Auch das hat viel Blut gekostet – und dann stellte sich zur Überraschung aller heraus, dass die neue Politik auch noch gut war fürs Geschäft. Das war ja doch die Erkenntnis aus der Weltwirtschaftkrise der Zwanzigerjahre. Vielleicht wird es ja mit der dritten Welt ähnlich sein, sobald sie ihre Rechte durchgesetzt hat, d.h. sobald für ihre Produkte ein gerechter Preis gezahlt wird, z.B. für das Öl. Die Amerikaner hüten nicht umsonst ihre Ölreserven. Sie wissen, dass es viel mehr wert ist, als sie zu zahlen bereit sind.
Ein Bewusstsein dieser Art muss wachsen, damit die Gefahr gebannt werden kann. Alle Menschen müssen respektiert werden, sonst entsteht unausweichlich irgendwo wieder diese tödliche Konzentration von Energie, von der wir eben eine Kostprobe erlebt haben.
Die eine Welt verlangt nach einer Bewusstheit ihrer Einheit. Das sollte niemand wundern. Der Anschlag war nur ein Zeichen dafür, ein Hinweis, eine Warnung.
Nun, wo wir jedes Land dieser Welt im Nu erreichen können, ist natürlich jedes Land dieser Welt schon unser Nachbar, der uns nicht unbekümmert lassen darf – in unserem eigenen Interesse.
Und wenn es bloßer Neid wäre, was diese Leute bewegt! Es liegt an uns, ob wir diesen Neid schüren durch Demonstrationen unserer Macht oder ob wir auch gelegentlich nachfragen, wie es den weniger Erfolgreichen geht und wo wir vielleicht behilflich sein könnten. Und es wird sich zeigen, ob wir wirklich behilflich sind oder nicht.
Diese Leute müssen die eine Kraft in dieser grauenhaften Weise benützen, weil wir sie nicht zum Heilen benützen, obwohl wir die Mittel dazu hätten! Würden wir sie auch benützen, dann wären wir der Gefahr schon lange vorher begegnet, dann hätten wir den Schmerz dieser Leute schon längst bemerkt und wir hätten die Tragödie längst abgewendet – durch Heilung.
Es wird Zeit für eine weltweite Solidarität – und dafür, unser Leben anzuschauen: unsere Schmerzen und die Schmerzen unserer Umgebung, unsere Sehnsucht und ihre Sehnsucht.
Bisherige Religion
und die Religion der Zukunft
(15. 9. 2001)
Die bisherigen religiösen Formen haben die Aufmerksamkeit auf ein Detail gerichtet, das heute nicht aktuell ist, nämlich das Jenseitige. Damit will ich nicht sagen, dass das Jenseitige nicht wieder aktuell werden kann. Das nächste mal aber nur in erhöhter Bewusstheit. Zur Zeit befinden wir uns nicht in dieser Phase der Entwicklung, sondern die gegenwärtige Phase braucht ein anderes Detail des Ganzen als Symbol für das Ganze. Es ist diesmal das Ganze selbst, auch so bezeichnet, also nicht mehr „Gott“, denn es ist „das Ganze“. Das Ganze ist natürlich auch „die Kraft“ und das Leben selbst. Wir könnten es genauso gut „Gott“ nennen, wenn sich dieser Begriff nicht mit einschränkenden Bedeutungen gefüllt hätte. Was „Gott“ genannt wird, ist eben leider oft nicht das Ganze, sondern ein Etwas gegenüber der Welt, als ein Zweites. Aber es gibt kein Zweites. Es gibt nur Eines. Und in dem sind wir alle enthalten.
Wir sind nur die Erscheinungsformen dieses Einen – daher aber genuin das, was die Christen als „Sohn Gottes“ bezeichnen. Nur ist es uns eben nicht bewusst. Daher vernachlässigen wir uns selbst. Wir stellen unser Licht unter den Scheffel. Doch in Wahrheit sind wir das Höchste, das es gibt. Wenn wir es nur bedenken würden. Dann würden wir von selbst bewusst werden. Denn das ist die logische Konsequenz. Und bewusst werden heißt, sich des Ganzen bewusst zu werden.
Jeder Mensch, der ehrlich sich selbst gegenüber ist, muss sich eingestehen, dass er insgeheim weiß, dass er das Höchste ist, was es in der Welt gibt. Doch in dem Augenblick, wo jemand das bewusst wird, wird ihm auch bewusst, dass die anderen ebenso wie er selbst „das Höchste“ sind. Er wird sie daher mit Respekt behandeln.
Das ist das, was dann zur „Nächstenliebe“ verkommen ist als eine moralische Tugend, anstatt einfach eine logische und emotionale Konsequenz der Bewusstheit zu sein.
„Sei fest und korrekt“, heißt es im I Ching immer wieder. Das ist gemeint. Bewusst sein und handeln.
Und bewusst was? Immer wieder zunächst bewusst seine Wünsche formulieren und äußern. Das ist der Weg. Und zu den Wünschen der anderen Stellung nehmen. Vielleicht gibt es ja Gemeinsamkeiten. Dann können Wünsche in Erfüllung gehen. Im gegenseitigen Einvernehmen. Ohne Beschwerden. Das ist die Harmonie, die möglich ist. Es ist nicht die Harmonie der Wunschlosigkeit, denn die zu behaupten, ist in jedem Fall eine Lüge. Dich vor Enttäuschungen zu bewahren, indem du keine Wünsche mehr äußerst, führt nur dazu, dass dir immer weniger Wünsche erfüllt werden, bis irgendwann aus diesem Grund dein Lebenswille schwächer wird und erlischt.
Daran leiden und sterben die meisten Menschen. An ungeäußerten Wünschen. Sie machen krank. Ungeäußerte Wünsche machen todkrank.
Bewusstheit kann das verhindern.
Jede Therapie kann nur darauf hinarbeiten. In der Medizin ist das noch nicht wirklich bekannt. Man verzichtet auf Bewusstheit und schneidet einfach das Störende weg. [Und das gleiche gilt von der bisherigen Politik.] Und der unerfüllte Wunsch bleibt weiter unerfüllt, aber man ist jetzt zusätzlich auch noch verstümmelt.
Ich sage natürlich nicht, man sollte darauf verzichten, das Störende wegzuschneiden, aber man sollte nicht das alleine tun. Man sollte das Problem an der Wurzel packen, die Wünsche entdecken und den Weg zu deren Erfüllung beschreiten. Dann ist die Krankheit nicht mehr nötig.
In der Politik ist es ähnlich. Auch da wird nicht das Ganze gesehen. Auch da werden ganz offenkundige Bedürfnisse einer großen Zahl von Menschen nicht berücksichtigt, weil der ganzheitliche Blick fehlt. Die Folge sind Erscheinungen wie der Terrorismus. Er ist ja wie eine Krankheit der Gesellschaft. Nicht nur der Organismus, auch die Gesellschaft muss geheilt werden. Und der Terrorismus ist eines ihrer Krankheitssymptome. Es reicht nicht, ihn wegzuschneiden. Eine Heilung kann nur erfolgen, wenn der Grund für das Symptom erkannt ist. Alles andere verstümmelt – und nicht nur bei denen, die weggeschnitten werden, sondern auch bei denen, die wegschneiden. Sie schneiden etwas von sich selbst weg. Nämlich genau das, was sie heilen könnte. Sie sind doch ein Spiegel dessen, was sie tun. Was sie wegschneiden wird ihnen selbst fehlen. Nämlich die Aufmerksamkeit auf ihr eigenes Ganzes. Sie behalten eine ideologische Sicht des Lebens, eine eingeschränkte Sicht, eine paranoische Sicht und deren Kehrseite, die Raubtiersicht.
Die Paranoiker können nicht erkennen, dass alles gut ist. Sie glauben sich isoliert und ausgesetzt. Sie fühlen sich von allem bedroht. Die Ursache dafür ist einfach, dass sie die Einheit nicht erfahren haben. Ihnen fehlt diese Dimension der Bewusstheit. Es wäre aber nicht schwer, sie zu gewinnen. Es würde genügen, sich wirklich berühren zu lassen von der Bedrohung und einfach weiter ehrlich zu sein. Das ja ohnehin vorhandene Grauen bringt, sobald es eingestanden ist, die Einsicht in die Einheit von selbst. Ehrlichkeit führt in jedem Fall zur Kapitulation. Aber natürlich ist die Illusion der Getrenntheit sehr stark. Daher erscheint Kapitulation als ein Kraftakt der Selbstaufgabe, aber in der Verzweiflung ist es kein Kraftakt mehr, sondern nur noch ein Nachgeben, auf das die Einsicht in das Ganze folgt. Und in ihr erscheint das größtmögliche Glück, dieses „endlich zu Hause angekommen“ Sein, dieses sich angenommen Wissen, sicher, geborgen, vollkommen aufgehoben.
Von da an gibt es keine Erwartungen mehr, sondern nur noch die Freude über jeden erfüllten Wunsch, so wie bei den Kindern eben [„wenn ihr nicht werdet wie die Kinder...“]. Und von da an wird jeder Wunsch geäußert. Es gibt kein Beleidigtsein mehr auf eine Ablehnung hin, sondern nur noch die Weiterverfolgung der Wünsche eben dort, wo sie erfüllt werden.
Das bedeutet nicht, dass es von da an keine dauerhaften Beziehungen mehr gibt oder Lebensbündnisse. In einer bestehenden Beziehung werden bestimmte Wünsche aber eben immer wieder geäußert werden müssen, und es muss auch immer wieder für die Erfüllung geworben werden, denn es gibt keinerlei legalistischen Zwang.
Falls ein Partner auf Dauer nicht hört, ist die Beziehung ohnehin zuende, einseitig gekündigt. Das ist übrigens das Einzige, was eine Beziehung beenden kann, wenn einer auf Dauer nicht hört und durch nichts zur Umkehr bewegt werden kann. [Und natürlich kann eine Beziehung nicht als beendet betrachtet werden, wenn über die Situation nicht gesprochen wurde. Es gibt daher letzten Endes nur eine einvernehmliche Trennung.] Dann darf der andere sich wieder als „frei“ betrachten. Das ist der wirklich gültige Grund für eine Lösung der Beziehung, nicht die Tatbestände, die noch im Neuen Testament angeführt werden: „Ehebruch“ etc.. Ehebruch ist ja nur ein spezieller Fall, in dem diese Gehörlosigkeit vielleicht vorhanden – in dem sie vielleicht aber auch nicht vorhanden ist. Unter Umständen gefährdet das, was „Ehebruch“ genannt wird, die Partnerschaft ja gar nicht, die doch auf einer freien Vereinbarung freier Menschen beruht und zu dieser Vereinbarung kann durchaus gehören, anzuerkennen, dass eine spontane Begegnung [die zum Geschlechtsakt führt] etwas Richtiges haben kann, so wie etwa die spontane Begegnung von David und Batseba – ganz abgesehen von den möglichen Beziehungsvarianten der Mehrehe.
Die Zeit der Rechte aufeinander ist vorbei. Keiner hat ein Recht, doch jeder darf sich was wünschen. Es gibt nur ein freies „Ja“, ein erzwungenes wäre keines. Und Steinigung auf Ehebruch ist eben nur noch eine erschütternde Reminiszenz auf barbarische Zeiten.
Wir leben im Zeitalter des Respekts voreinander. Wir respektieren ein „Nein“, weil wir die Wahrheit respektieren und nicht in der Lüge leben wollen.
Dafür braucht es keine Moral mit ihren Gesetzen, dafür braucht es nur Bewusstheit. In der Bewusstheit herrscht keine Willkür irgendeines Teils, deshalb ist Bewusstheit immer so „ethisch“ wie möglich und deshalb löst die Bewusstheit alle Probleme und deshalb heilt sie alle Leiden. Zwang dagegen schafft immer neue Leiden.
Bewusstheit löst alle Arten von Problemen, weil Bewusstheit zur Kommunikation führt, zur Kommunikation der Wünsche und zur Kommunikation der Fähigkeiten. Kommunikation überbrückt alle Gegensätze, die zwischen den Geschlechtern samt den damit verbundenen Konflikten genauso wie die Gräben zwischen den sozialen Klassen – vor allem aber die Gräben in uns selbst. Diese Art der Kommunikation mit uns selbst führt uns nämlich in unsere tiefsten Tiefen und zeigt uns, wer wir wirklich sind. Diese Art der Kommunikation führt uns zum Ganzen, sie führt uns zu dem, was früher „Gott“ genannt worden ist, das nun aber umfassender verstanden werden kann, eben als das Ganze, als das eine Wesen, das Wesen des Alls und unser Wesen. Sie führt uns da hin zu sehen, dass wir wirklich göttliche Erscheinungen sind. Dass wir aber nur dann auch als solche leben können, wenn wir das erkannt haben. Das ist die Bedeutung des Ausspruchs bei Johannes, dass wir die Macht hätten, Kinder Gottes zu werden – eben nicht, dass wir es nicht längst gewesen wären, aber dass wir es nur sein können, wenn wir uns dessen auch im vollen Umfang bewusst sind. Und das bedeutet logischerweise, dass wir nicht glauben, nur wir wären göttliche Erscheinungen. Diese beschränkte Sicht tritt aber häufig im Zustand der Paranoia auf, als deren Gegenpol, als Zustand der Manie. In der Manie glauben Menschen, sie wären etwas Göttliches, die anderen aber wären nur gewöhnliche Geschöpfe. Und entsprechend führen sich die Maniker dann auch auf, unerträglich für die anderen, weil völlig durchgedreht. Die Phase der Paranoia ist eben noch nicht beendet. Sie wird erst beendet, wenn dieser Mensch bereit ist für die tiefere Wahrheit, nämlich dass alles eins ist und er/sie nur ein Teil, eben ein besonderer Ausdruck des einen Wesens, so wie alle anderen auch.
Von da an muss die Bewusstheit sich ausbreiten in alle Lebensbereiche hinein.
Darum sollte es in jeder Religion gehen und nur darum. Alles andere ist Missbrauch und Aberglaube. „Aberglaube“ ist ja ein Glaube, der nicht bewirkt, was er verspricht, bzw. ein Glaube dessen unbewusste negative Nebenwirkungen die positiven Wirkungen zunichte macht. Und „Missbrauch“ sind Geschäfte mit der Unbewusstheit, wenn sie im Namen des „Einen“ getätigt werden [zweites der „zehn Gebote“]. Das geschieht ja immer um Macht und anderer Vorteile willen, für Ehre, Geld, Einfluss etc.. Die gegenwärtigen Strukturen der Kirche und ihrer Riten zeigen, dass der Missbrauch immer noch vorhanden ist. Und diesem Missbrauch entspricht in gleichem Maß der Aberglaube, mit dem der Missbrauch gerechtfertigt wird. Sie sind die zwei Seiten einer Medaille. Genau diesen Missbrauch hat Jesus bei den religiösen Autoritäten seiner Zeit festgestellt. Luther hat ihn vor 500 Jahren festgestellt und ich stelle ihn heute immer noch fest. Bewusstheit ist in diesen Bereich immer noch nicht ganz vorgedrungen. Es ist auch zu peinlich. Aber es ist beweisbar: Die Strukturen der Vorschriften, Vorgehensweisen und Riten zeigen es. Ihre Ausgangsbasis ist oft nicht Kapitulation, nicht Hingabe, nicht der Heilige Geist, sondern ein anderer Geist, der Geist der Separatheit, des Ausscherens aus dem Ganzen, eben um sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Dieser Geist braucht zu seiner Rechtfertigung immer einen Aberglauben, eine Ideologie. Hier ist der Ort, wo der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben wird. Angst ist die Basis. Die Heilung fehlt. Das ist bedauerlich. Heilung ist jedem zu wünschen. Die abgetrotzten Vorteile bringen sie nicht [die Heilung].
Die Heilung kommt von der Wahrheit, denn die Wahrheit führt zur Kapitulation des separaten Wesens und zum sich Einfügen in das Ganze. Die Heilung ist besser als alle „Vorteile“. Sie bringt dann allerdings sogar Vorteile, aber nicht auf Kosten anderer, sondern zugunsten anderer, weil die Geheilten sich selbst und damit alles ins Ganze reinvestieren, damit die Bewusstheit wachsen kann. Das ist das Gesetz des Ganzen. Dem haben die bewussten Menschen sich eingefügt. Sie durchschauen daher jede Ideologie und jeden Aberglauben, denn sie sehen die Separatheit.
Sie zeigt sich in der offenbaren Lüge, darin beispielsweise, dass versprochene Vorhersagen nicht eintreffen, etwa das Erscheinen des Heiligen Geists im Vollzug eines bestimmten Ritus oder das Verschwinden eines üblen Geists bei einem anderen Ritus. Die positive Wirkung tritt nicht ein, obwohl es behauptet wird. Man hat dies schon länger bemerkt und daher den Ritus selbst juridisch-dogmatisch abgesichert als „opus operatum“, indem man also sagte, dass der Vollzug genügt. Leider ist das aber ein Irrtum. Der Irrtum entstammt einem Verschleierungsversuch. Indem man die Kirche der Prüfbarkeit entheben wollte, musste man sie zu einer Art magischen Institution machen, mit unschätzbaren, unergründlichen magischen Kräften ausgestattet. So hat man die Magie für den Geist substituiert. Natürlich war das ein schlechter Tausch. Das Ergebnis war eine Masse Hypnotisierter (unbewusst Abhängiger), abhängig von einer Schar privilegierter Hypnotiseure/Manipulatoren, die leider aber selbst unbewusst und abergläubisch waren, aber logischerweise nicht böse über die Vorteile, die ihnen dadurch erwuchsen und daher durchaus geneigt, auf diese Weise weiterzumachen.
Die Unbewusstheit entschuldigt ihr Vorgehen. Sie sind wahrhaftig Opfer ihrer eigenen Ideologie, wenn auch angenehm entschädigt durch Position, Ansehen, guten Lebensunterhalt. Einige sind für die Ideologie sogar in den Tod gegangen. Sie haben die Bewusstheit sicher erfahren, in der sich jede Ideologie auflöst. Die anderen können sie nicht erfahren, jedenfalls so lange nicht, solange sie als unbewusste Manipulatoren agieren.
Es geht mir hier nicht um eine Anklage, sondern nur um die Feststellung eines Bedauerns. Wir alle sind Menschen und allzu versuchbar. Bewusste Menschen wissen das. Sie erheben sich nicht über irgendjemand. Aber sie nennen die Dinge beim Namen. Darauf will ja auch die Szene im Schöpfungsbericht hinaus, wo der Menschen allen Wesen Namen gibt. Die richtigen Namen sind immer die Namen der Wahrheit. Und die richtigen Namen heilen. Bewusstheit heilt.
Es ist höchste Zeit für die Kirche, sich zu besinnen und den Tatsachen ins Auge zu sehen. Es wird Zeit, sich selbst zu verstehen, d.h. sich eingebettet ins Ganze zu sehen und zu sehen, was das Ganze wirklich ist.
Daraus ergeben sich natürlich viele praktische Konsequenzen.
Zunächst eine schonungslose Aufdeckung der Lügen der Vergangenheit. Durch Beweise. Ich werde sie liefern, andere werden sie liefern und viele haben sie bereits geliefert.
Der nächste Schritt ist Kapitulation, das Haupt beugen vor der Wahrheit.
Darauf folgt der nächste Schritt, nämlich die nötigen Klarstellungen. Es geht im Grund nur darum, dass selbst die Kirche auch praktisch anerkennt, dass es da noch jemand/etwas über ihr gibt, nämlich das Ganze. Und das ist heute auch das Ganze der Welt. An ihm wird sich zeigen, ob die Kapitulation vollzogen ist. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen, heißt es ja. Das Ganze anerkennen, heißt natürlich anerkennen, dass das Ganze seit je her überall wirkt und nicht nur im Religionenfundus von Palästina. Das heißt anerkennen, dass es andere, ebenbürtige Wege gibt, etwa den Weg des Islam oder den Weg des Buddha oder die Wege der Hindus oder die Wege der Indianer oder die Wege der Australischen Ureinwohner oder anderer. Das bedeutet, ihre ebenbürtige Wahrheit anerkennen. Der Menschensohn ist seit je her überall am Werk, die Menschen zu größerer Bewusstheit zu führen. Und mehr ist nicht möglich. Alles andere ist Aberglaube.
Der Ursprung des Aberglauben ist die [unerkannte] lokale Beschränktheit am Ort des Ursprungs einer Religion. Diese Beschränktheit muss heute gesehen werden. Es wird daher jetzt für alle Religionen Zeit, diesen lokal beschränkten Aberglauben mit Verstehen zu durchleuchten und die Wahrheit zu sehen, nämlich dass alles [dass das Ganze] seit je her überall wirkt, weil es ein einziges lebendiges Wesen ist, das sich entwickelt, das mit aller Kraft Bewusstheit entwickeln will und entwickelt. Bewusstheit seiner selbst. Den gesamten Gang seiner Entwicklung zu überblicken, das ist Bewusstheit und in ihm gleichzeitig doch allein konzentriert auf einen Punkt zu bleiben, das ist Bewusstheit. Das Ganze selbst möchte, dass wir es sehen und dass wir es so sehen.
Das Ganze ist das Unvorstellbarste überhaupt. Alles ist doch darin enthalten. Das ist der Sinn der Feststellung aller Religionen, dass Gott etwas Unvorstellbares sei. Das heißt aber nicht, dass es nicht erfühlbar wäre.
Alles ist sinnvoll nur in diese eine Richtung: Bewusstheit. Wenn die Religionen anfangen, davon zu sprechen, haben sie zu ihrem Ursprung zurückgefunden, der immer in Bewusstheit lag. Bedauerlicherweise gibt es in allen Religionen aber eben auch die Tendenz zur Korruption, zum Ausscheren aus dem Ganzen, um etwas für sich privat zu gewinnen. Ihre Worte sprechen vom Ursprung, aber ihre Taten weisen in die andere Richtung. Die Wahrheit ist der Schlüssel zur Umkehr, zur Rückkehr ins Ganze. Die Wahrheit ist der Schlüssel zur Bewusstheit. Nämlich: Die Wahrheit aushalten, dass wir nicht nur nicht perfekt [denn in Wirklichkeit sind wir perfekt], sondern völlig pervertiert sind in dem, dass wir uns vom Ganzen separiert haben. Sobald wir zurückkehren, sind wir nämlich perfekt. Das Ganze hat uns gefehlt. Dieses Fehlen kann uns nur krank machen. Die Krankheit ist ein Anzeiger, dass etwas nicht stimmt. Es ist nicht die Frage nach einer Schuld, sondern nur die Frage nach dem, was uns fehlt. Diese Frage wird uns gesund machen. Sie wird uns heilen, egal an welcher Krankheit wir leiden. Die Heilung wird aber nicht unbedingt in einer Rettung unseres Lebens bestehen, sondern im Heimfinden, und wenn es nur für Tage oder Stunden oder Sekunden war. Die es erfahren haben, sind angekommen und können gut hinübergehen, sie sind bestens vorbereitet, hinüberzugehen in die andere Sphäre, von der wir nichts wissen.
Die „Auferstehung Jesu“ sagt nichts – und doch alles – über ein Leben nach dem Tod. Sie ist ein Mythos. Sie ist wahr, aber nicht in dem gleichen Sinn, in dem kürzlich das World Trade Center zerstört worden ist, deshalb ein Mythos. Sie ist eine Wahrheit einer tieferen Ordnung: So einer wie Jesus repräsentierte das Leben selbst. Wer sollte das Leben umbringen? Das geht nicht. Das Leben lebt immer weiter und es geht durch die Phase des Todes hindurch zu einer neuen Form, immer wieder. Das Leben ist Bewusstheit durch Tod und Auferstehung hindurch. Diesen Geist hat Jesus offenbar gemacht und dieser Geist pflanzt sich seit je her fort. Er ist ja immer da in allem und in jedem. Die Dunkelheit entdeckt in sich immer mehr durch ihr Leiden den Weg zum Licht. Aber es ist ein Weg, es ist keine „instant“-Erleuchtung. Es braucht die Erfahrung des Leidens. Sonst fällt das Loslassen den meisten doch zu schwer. Gut natürlich, wenn ein Mensch nicht zu sehr dafür leiden muss.
Den Grad des Leidens, so wurde früher [von Hindus und Buddhisten] gesagt, bestimmt das Karma, das jemand in früheren Leben auf sich geladen hat. Was immer es bestimmen mag, wir brauchen das nicht in irgendeiner Weise dogmatisch festlegen, das Leiden ist da, es ist eine Realität, und warum auch immer manche Menschen so viel davon aufgebürdet bekommen, sie müssen es tragen, wenn es da ist. Es ist ja ihre Chance, nämlich zurückzukehren in das Ganze. Von da an wird es verwandelt sein. Wir lehnen es dann nämlich nicht mehr ab, sondern wir stimmen ihm zu, denn es ist uns vom Ganzen verordnet, aus welchem Grund auch immer. Wir werden es verstehen, in dem wir es annehmen. Wir nehmen es an, weil wir das Ganze annehmen, wie es uns annimmt. Wir haben darin eine Rolle zu spielen und wir stimmen dieser Rolle zu. Und (nur) in dieser Rolle wachsen wir über uns selbst hinaus, denn nun sind nicht mehr wir es, die uns lenken, sondern es ist das, was Jesus seinen „Vater“ nannte. Es ist unser Vater. Es sorgt sich um uns, denn wir sind ihm wichtig. Es wird Zeit, dass wir das erkennen.
Das ist das neue Christentum. Das ist der neue Geist: Bewusstheit. Oder, nochmals in den Worten Jesu: der Geist der Wahrheit. Und genau das ist auch das alte Christentum. Wir können zu ihm zurückkehren, aber heute auf neuen Wegen.
Die Wege haben sich auch in der Vergangenheit immer wieder gewandelt. Sie werden sich weiter wandeln, weil die Entwicklung nicht aufgehalten werden kann. Entweder die Wege wandeln sich mit oder sie müssen/werden verlassen werden. Das ist die Wahrheit der Stunde.
Wir können dem Christentum nicht zum Vorwurf machen, dass es im Mittelalter versagt habe, es musste wie die ganze damalige Welt durch eine Phase der Integration grausamster Stammeskulturen mit der Zivilisation der Römer. Das hat zunächst das Licht der Erkenntnis wieder verdunkelt. Das hat das magische Element in der Religion verstärkt. Und der Informationsvorsprung hat Privilegien gebracht. Auch das ist normal.
Auch das Fallen in einer Versuchung ist normal, das geschieht in der separaten Existenz ständig, sogar die größten Asketen fallen, und wenn nur in Gedanken. Sie wissen es. Es gibt nur ein Ende dieses Fallens und das ist die Rückkehr ins Ganze.
Jesus war in dem Ganzen und er hat seine Rolle gespielt, die ihm vom Ganzen zugedacht war. Der Vater hat ihn gelenkt. Wir sollen [in der Nachfolge Christi] auch vom Vater gelenkt werden. Niemand lenkt besser. Deshalb gewinnen die „Guten“ im Mythos immer gegen die „Bösen“. Die „Bösen“, das sind die Separierten. Sie sind böse, weil ihnen etwas fehlt. Sie versuchen alles, um es zu substituieren, aber es gelingt ihnen nicht. So werden sie böse. Das ändert zwar auch nichts, aber dadurch können sie sich weiterhin im Recht fühlen. Es ist ihnen etwas verweigert worden, deshalb wollen sie es sich anderswo holen, ein Defizit durch ein Übermaß von etwas anderem ersetzen. Das aber ist ein schlechter Tausch. Es ist ungesund. Aber wenn man schon mal in dem Teufelskreis gefangen ist, dann sieht man auch keinen Ausweg, als immer so weiter zu machen, bis es eines Tages ein böses Erwachen gibt. Die Wahrheit lässt sich nicht für immer verbergen. Sie drückt sich selbst aus. Der innere Widerspruch wird irgendwann eine nach außen sichtbare Form annehmen, etwa die Form einer Krankheit, eines Unglücks oder einfach des psychischen Grauens der Vergeblichkeit.
Aber: „Wenn ein Mensch schuldig geworden ist, auf dem Weg wird er entkommen“, heißt es bei Lao-tse. Entkommen heißt loskommen von der Schuld, vollkommen entschuldigt werden. Der Weg (für alle Menschen und natürlich für alle Religionen) ist die Rückkehr ins Ganze. Sie geschieht allein durch Bewusstheit. Durch Wahrheit. Auf diesem Weg wird alles gut. Es ist eben wie bei der Rückkehr des verlorenen Sohnes. Was immer er sich zuschulden hat kommen lassen. Er wird aufgenommen, wenn er zurückkehren will. Alles ist vergeben und vergessen. Aber natürlich nicht für den Zurückgekehrten. Er wird von selbst, aus seiner Natur des Ganzen heraus, Schadenersatz leisten, nach seinen Kräften und natürlich auf seine Art. Das ist nun aber keine Demütigung mehr, weil ohnehin das ganze Leben eine Art Dienst geworden ist, ein durchaus freudiger Dienst aber, auch im Fall des Schadenersatzes.
Auch die Stars haben ihre Rolle in dem großen Konzert. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Bewusstheit vieler von ihnen die unsere übersteigt. Sie haben ihren Dienst angetreten, und dieser wird in ihrem Fall reich belohnt. Sie haben eine gute Rolle zugeteilt bekommen, die natürlich ihre besonderen Schwierigkeiten und ihre Fallen hat. Auch sie stehen im Dienst der Bewusstheit, sogar Pornostars stehen im Dienst der Bewusstheit und genauso Prostituierte. Aber sie sind sich dessen oft nicht bewusst. Manche erliegen einer der Fallen auf ihrem Weg. Vielleicht werden sie drogensüchtig oder der Ruhm steigt ihnen zu Kopf und sie werden überheblich oder sie sondern sich sonstwie ab. Das alles hat natürlich Konsequenzen, nämlich Schmerzen und diese Schmerzen führen sie entweder zur Kapitulation oder zum Tod. Also auch in diesen Fällen zur Rückkehr in die Einheit. Wenn sie sich fragen, was los ist, werden sie es erkennen.
Wir brauchen keine Angst haben, dass die Einheit uns unsere Individualität raubt, denn das Gegenteil ist der Fall. In ihr erblüht unsere Individualität erst.
Die bei so vielen vorhandene Angst, die Individualität zu verlieren, ist auch mitverursacht durch die Bigotterie, durch den Aberglauben der traditionellen Religionen mit seinen sektenhaften Beschränkungen. In einer Sekte verliert man ja tatsächlich seine Individualität. Gewisse Fakten der eigenen Natur dürfen da nicht sein. Man wird mit ihrer Hilfe schuldig gemacht und dadurch abhängig vom Vergebensmodus der Sekte. Das ist bei allen Sekten so, auch in der katholischen Kirche.
Anders verhält es sich aber bei den ursprünglichen Einweihungskulten, die Formen künstlicher Beschränkung als Mittel der Bewusstheitsentwicklung einsetzen und dabei wissen, was sie tun. Oft sind von solchen Kulten aber inzwischen auch nur noch leere Traditionen übrig geblieben und das Ziel ist aus den Augen verloren worden. Was dann noch hält, ist der Aberglaube, und hinter ihm der Nimbus, der vielleicht noch nicht erloschen ist. Solange dieser Funke der Wahrheit noch da ist, ist auch eine Wiederbelebung möglich. So auch in der katholischen Kirche.
Eine Frage, die bleibt, ist die, wie die katholische Kirche ohne Gesichtsverlust kapitulieren kann? Durch den Geist wird es möglich. Der Geist zeigt uns nämlich, dass wir alle fehlbar sind und dass es nur darauf ankommt, so schnell wie möglich wieder zu ihm zurückzukehren. Auch die Kirche wird einen verständnisvollen Vater vorfinden, wenn sie zu ihm zurückkehrt.
Es muss einfach eine Öffnung stattfinden in diese Richtung. Es braucht keine Schulderklärungen, obwohl die auch sein dürfen und zu keinem Gesichtsverlust führen werden. Eine Schulderklärung ist aber keine Bedingung. Es reicht die Öffnung. Es reicht, das Hindernis zu beseitigen und den Geist wieder strömen zu lassen. Alles andere ergibt sich von dort aus.
Es gibt auch keine Vorwürfe, es gibt nur Feststellungen von Tatsachen. Offenbare Behinderungen des Geists müssen beseitigt werden. Das geschieht, wie gesagt, am Besten durch eine geistige Öffnung, durch eine erlaubende Haltung, durch eine nicht bewertende Haltung, durch eine Haltung des Ja der Wahrheit gegenüber – und damit verbunden eine Bereitschaft, sich vielfältig überraschen zu lassen, ohne beleidigt zu sein.
Das für die Religion Gesagte, gilt natürlich auch für andere Bereiche der Gesellschaft, für die Medizin und für die Politik. Auch sie können die Rückkehr ohne Gesichtsverlust hinkriegen. Sie bietet ja eine reale Lösung ihrer ungelösten – und bis jetzt für unlösbar gehaltenen – Probleme. Beide müssen eben einen bewussten und als ebenbürtiges Ziel definierten Beitrag leisten zur Entwicklung des Unentwickelten. Ebenbürtig zum Geschäft. Ohne Entwicklung des Unentwickelten wird das Geschäft nämlich absterben. Es geht also nicht um irgendwelche karitativen Akte, sondern um die Urbarmachung eines neuen Bodens. Urbarmachung für die eine Welt. Es geht nicht darum, die Technisierung zurückzudrängen, wie manche Neidgeplagte es gerne darstellen möchten, sondern es geht darum, die Technik allen zur Verfügung zu stellen, die sie wollen. Es geht darum, auch das Ganze des Möglichen zu nutzen.
Genauso kann auch die Medizin auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn sie das Ganze mit einbezieht und die Menschen in ihrer psychischen und sozialen Verflochtenheit sieht. Moderne Formen der Psycho-Therapie haben inzwischen längst unmittelbar von den technisch unentwickelten „Medizinmann-Kulturen“ gelernt, etwa in Afrika – während sich die Medizin, fixiert nur auf die Bekämpfung der Symptome, nur um die Rezepturen der Medizinmänner interessiert hat, nicht für ihre Arbeitsweise [vgl. de Rosny]. Ein Ergebnis dieser neueren Entdeckungen ist beispielsweise das Familienstellen [B. Hellinger]. Es zeigt den Menschen unserer Kultur ihre Verflochtenheit, insbesondere den tatsächlichen Einfluss der Ahnen und anderer familiärer und weiterer sozialer Strukturen auf das Individuum.
Der Schlüssel zur neuen Welt ist das Ganze. Immer wenn das außer acht gelassen wird, wenn auf die alten partikularistischen Methoden vertraut wird, wird es Schwierigkeiten geben, die mit diesen Methoden eben nicht mehr in den Griff zu kriegen sein werden, wie etwa im Fall des Terrorismus. Was hilft die modernste Militärtechnik gegen ein internationales Netz von Menschen, die entschlossen sind? Sie sind nicht mehr ein lokal begrenzter Krankheitsherd, sie sind wie Metastasen. Was für eine Art von Bestrahlung oder Chemotherapie soll gegen sie helfen?
Es geht daher um Einsicht in den Gesamtzustand. Und diese Einsicht muss auf allen Ebenen der Gesellschaft stattfinden. Die Religionen sollten die Vorreiter auf diesem Gebiet sein und daher aufhören, ihr separates Süppchen zu kochen. Dieses Bewusstsein muss sich verbreiten. Auf diesem Wege – und nur auf diesem Wege – wird die Botschaft auch die Taliban und ähnliche Gruppen erreichen. Sonst werden die Krebszellen wachsen und sich weiter ausbreiten. Es ist nicht eine Frage der Moral, sondern eine Frage des Überlebens. Ein kollektives Umdenken muss einsetzen. Natürlich auch in der Religion – den Islam eingeschlossen [vgl. den folgenden Artikel über das Missverständnis des Bilderverbots].
Wir müssen natürlich bei uns anfangen: Wir müssen unseren Empfangsapparat auf den Empfang des Ganzen einstellen.
Es wird dann natürlich ganz konkrete Veränderungen brauchen, auch in der Religion. Sie muss den Ballast der Geschichte abwerfen und neu anfangen mit dem Geist des Einen. Die Lehren werden sich deutlich erkennbar verändern, damit das Ganze klar erkennbar wird und auch die Riten werden sich [befreit vom historischen Ballast] sehr verändern, damit dieser Geist wieder wirklich spürbar wird. In jeder Zeit ist dieser Prozess vollzogen worden, in unserer Zeit ist er noch nicht vollzogen worden, es gibt erst Ansätze dazu. Eine gewisse Bereitschaft zu einer Analyse der Situation. Und eine gewisse, wenn auch noch so geringe Bereitschaft zum Experiment. Die Glut ist noch nicht ausgelöscht. Gleichzeitig aber ist die Paranoia stark, die Angst, sich etwas zu vergeben – wo es doch in Wirklichkeit alles zu gewinnen gibt.
Wir brauchen die eigene Tradition nicht vergessen, wenn wir die anderen Traditionen anerkennen – und mit „anerkennen“ meine ich nicht die mehr als zaghaften Zugeständnisse des zweiten Vatikanums, das sich ja damit begnügte zu meinen, dass andere doch auch gewisse Wahrheiten gefunden hätten, wenn auch nicht die Wahrheit, denn dazu müssten diese Anderen schließlich doch erst zum Christentum bekehrt werden. Was für ein paranoischer Hochmut da noch drin steckt! Was für eine Unbewusstheit. Es wird Zeit für einen Quantensprung. Wenn das Christentum oder die katholische Kirche ihn nicht vollziehen kann, wird es untergehen, wenn es ihn aber vollziehen kann, dann kann ihn der Islam auch vollziehen. Und dann ziehen alle am gleichen Strang.
Sie werden dann gemeinsam mit anderen Einrichtungen darauf achten, dass die Unzufriedenheit und die Unruhe nirgends über ein gewisses Maß ansteigt, denn ihre Beobachter werden rechtzeitig melden, was getan werden kann, um den an einem bestimmten Ort herrschenden Schmerz zu lindern.
Eine massive Entwicklungspolitik wird so einsetzen. Und es wird eine ganzheitliche Entwicklungspolitik sein, auch in den industrialisierten Ländern. Auch die Menschen hier bei uns müssen ja einen Entwicklungsschritt vollziehen, besonders persönlich. Sie müssen lernen, Konflikte durch Kommunikation zu lösen und zu verstehen. Sie müssen lernen, ihre eigenen Bedürfnisse zu äußern und die von anderen geäußerten Bedürfnisse zu respektieren. Das ist der Weg, wie er sich im alltäglich-persönlichen Bereich darstellt. Es ist einfach der Weg der Wahrheit.
Die alten biblischen Geschichten reichen dafür nicht mehr. Sie sind für die meisten Menschen in solche historischen Fernen gerückt, dass sie nicht mehr unmittelbar verstanden werden. Es braucht daher neue Geschichten. Und es gibt sie. Sie könnten gesammelt werden. Das wäre eine Aufgabe für eine neue Offenbarungsforschung, die sich nicht mehr mit der Bibel begnügt, sondern die davon ausgeht, dass die Offenbarung nie aufgehört hat, dass sie gegenwärtig ist, das sie aber entdeckt werden muss. Dazu braucht es aber ein demütiges sich Beugen vor der Wahrheit. Und dazu wieder braucht es den Willen dazu. Der Widerstand gegen die Wahrheit muss aufhören. Die Angst muss dem Vertrauen weichen. War das nicht der alte „Glaube“? – Und was ist im Vergleich dazu das übliche „Glaubensbekenntnis“? Aber die Einsicht ist eine Gnade. Wir können sie nicht erzwingen. Sie wird vom Ganzen verliehen. Doch zu unserem Glück drängt sie uns das Ganze geradezu auf. Es braucht daher nur eine gewisse Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Die können wir uns wenigstens wünschen, das Ganze bitten, uns für es zu öffnen. Dann erleben wir unsere Kapitulation. Und in ihr die Heilung.
So entsteht auch eine völlig neue Art religiöser Missionierung:
Die neue Art der Missionierung wird eine Missionierung zur Bewusstheit sein, nicht zur Aufgabe der eigenen Traditionen, sondern zum Überdenken dieser Traditionen mithilfe dessen, was eine geeinte Welt heute möglich macht.
Es wird eine echte Begegnung sein im gegenseitigen Respekt, nicht in der Auffassung, man habe es mit primitiven Untermenschen zu tun.
Dass heute Medizinmänner aus aller Welt bei uns Seminare abhalten, zeigt, dass die Stammeskulturen einen großen Schatz an Weisheit bergen oder geborgen haben. Und diesen Schatz bieten sie uns an. Und ihr Einfluss auf unsere Kultur nimmt zu. Zurecht. Denn dieser Schatz ist allzu lange mit Füßen getreten worden. Dieser Einfluss darf auch den bei uns traditionellen Religionen nicht vorenthalten werden. Alles gehört zusammen. Nur das Ganze liefert ein korrektes Bild.
Konkret bedeutet das, dass sich die traditionelle Religion mit der Arbeit der Medizinmänner auseinandersetzen muss, insbesondere dort, wo die Medizinmänner eine Wirkung erreichen, die die traditionellen Riten nicht mehr erreichen.
Man muss sich doch fragen, warum das so ist, denn irgendwo haben die traditionellen Religionen offensichtlich den Pfad der Wahrheit verlassen, sonst wären ihre Riten immer noch wirksam. Auf diese Weise wird man feststellen, wo man selbst einen Aberglauben entwickelt hatte und wo man daher selbst dem Bild des primitiven Untermenschen glich, das man den anderen andichtete.
Von da an wird die Missionierung nur noch ein Dienst sein. Die Bilder der eigenen Religion aber werden natürlich weiterhin fruchtbare Bilder sein, die sich jetzt aber einfach mit den anderen Bildern gleichberechtigt mischen werden, die an einem bestimmten Ort traditionell üblich sind. Eine Erweiterung der Bewusstheit wird einsetzen auf beiden Seiten. Die Kommunikation wird für beide eine Bereicherung sein. Es wäre schon sehr dumm, diese Kommunikation einseitig zu blockieren, etwa durch ausschließende Dogmen oder Alleinseligmachungsanspüche, während doch gleichzeitig nicht mehr zu leugnen ist, dass die traditionellen Riten bei uns wegen ihrer weitgehenden Unwirksamkeit unglaubwürdig geworden sind. Zu sagen, „wir haben einen Weg“ ist etwas anderes als zu sagen, „wir haben den einzigen Weg.“ Das kann nur eine Lüge sein.
Ich persönlich habe in meinem Leben Repräsentanten verschiedener Religionen und auch von Stammeskulturen getroffen, die mir gezeigt haben, dass sie einen echten Weg haben und dass dieser Weg ebenbürtig ist etwa dem christlichen Weg. Die Wahrheit ist weiter verbreitet, als die traditionellen Richtungen anzuerkennen bereit sind.
Diese Wahrheit sollte zur Kenntnis genommen werden, denn die Folgen einer weiteren Leugnung werden nicht angenehm sein, besonders für das Christentum, nämlich wachsendes Desinteresse und schwindende materielle Ressourcen. Es kann natürlich sein, dass die Wahrheit erst dann zur Kenntnis genommen wird, wenn diese Folgen wirklich spürbar eingetreten sind. Um den Prozess etwas zu beschleunigen, appelliere ich an die einzige gemeinsame Instanz, die Vernunft.
Es ist klar, dass Menschen, die glauben, allein sie hätten die Wahrheit keine sehr wahrheitsliebenden Menschen sein können. Überheblichkeit ist der Grund für ihre Ignoranz. Es gibt nur einen Ausweg daraus, nämlich sich davon überzeugen, dass auch auf anderen Wegen die Wahrheit gefunden werden kann und unterscheiden lernen, wo die Wahrheit ist und wo noch welche Arten von Aberglauben herrschen.
In dieser Unterscheidung liegt der heutige mögliche Exorzismus – eben in der Unterscheidung der Geister, indem die Dinge so genannt werden, wie sie sind. Nichts anderes hatte Jesus im Sinn mit seinen Exorzismen – und Paulus mit seinen. Immerhin hat Paulus ja die Apostel erfolgreich exorziert und ihnen gezeigt, dass sie sich öffnen müssen für die Welt als Ganzes. Dass sie also ihren völkischen Partikularismus aufgeben müssen, dass dieser Partikularismus ein übler Geist ist, nämlich genau der Dämon, den Jesus bekämpft hat und der ihn umgebracht hat.
Nun ist dieser Dämon wiedergekehrt in Form der legalistischen Auslegung der Bibel und der Dogmen. Das ist zwar in allen großen Religionen der Fall, vielleicht aber besonders stark in der katholischen Kirche. Anstatt des Fühlens herrscht wieder das Gesetz. Es ist das alte Problem. Das ist der Name des Dämons. Das Gesetz – und (und das ist die Lüge) die gleichzeitige Behauptung, „die Wahrheit“ zu haben, die aber in Wirklichkeit verlorengegangen ist mit dem Verlust des Fühlens. Die religiösen Funktionäre wählten die Sicherheit des Gesetzes, weil sie sich der Unsicherheit der göttlichen Führung nicht anvertrauen wollten. Diese Linie bestimmt den Mainstream aller großen Religionen. Sie bestimmte die Religion der Juden zur Zeit Jesu. Er als Mann des Fühlens konnte von den Gesetzesgläubigen nicht geduldet werden. Er musste beseitigt werden, denn er zeigte ihnen ihre Paranoia. Eine Schwäche aber konnten sie nicht eingestehen. Sie hatten doch die Wahrheit. Also musste der weg, der das in Frage stellte. Ich stelle es heute wieder in Frage.
Die Wahrheit ist heute, wie von Jesus vorhergesagt, nicht mehr „hier oder dort“, sondern in ganz anderen soziologischen Formationen bewusst. Überall gibt es die, die zu ihr gelangt sind. Sie sind heute unabhängig von irgendwelchen religiösen Institutionen. Bewusstheit ist an keine Kultur gebunden. Sie entspringt meistens dem Leiden. Und da Menschen immer und überall leiden, gibt es immer und überall die, die sie gefunden haben. Früher mussten sie sich in den religiösen Mainstream einfügen, heute aber gibt es alles überall und daher können sie es sich erlauben, einfach sie selbst zu sein, ohne sich in eine bestimmte geistige Richtung einordnen zu lassen – aber auch sicher ohne Verleugnung ihrer Herkunft, sondern natürlich eher mit einem Schwerpunkt darauf, so wie beispielsweise für mich meine christliche und katholische Herkunft äußerst wichtig ist. Von da beziehe ich ja einen unendlich reichen Schatz an Bildern, die Menschen etwas sagen. Und was ich von den anderen Religionen weiß, füge ich natürlich diesem Schatz hinzu. Und daraus ergibt sich – über die sonstige Bereicherung hinaus – ein gegenseitiges Verstehen dieser Traditionen.
Dieses Verbindende muss ausgesprochen werden. In ihm ist das gemeinsam Menschliche. Das Trennende ist Lokalkolorit. Es muss erkannt werden, dass dieser Bereich [des Lokalkolorits] aus diesem Grund nicht zum Bereich wesentlicher Lehraussagen gehören kann. Beispielsweise wird die Bedeutung der Lehre, dass Jesus Gottes Sohn war, überdacht werden müssen und damit zusammenhängend auch die Lehre von der Trinität. Es wird Zeit für ein erweitertes Verständnis, also ein Verständnis, dem alle Menschen, egal welcher Religion, zustimmen können. Das ist das Wesentliche, das Übrige ist nur lokaler Brauch, eine Art geistiger „Tracht“. Die Bräuche dürfen natürlich so bleiben, wie sie sind. Es muss niemand „umerzogen“ werden. Sondern überall muss einfach etwas mehr Bewusstheit entstehen. Alles andere ergibt sich von dort aus. Und vielleicht gibt es gar nichts anderes. Warum auch? Nur darum geht es doch, die Kleidung spielt nicht so viel Rolle. Und doch, warum sollte man sich nicht genau so kleiden, wie man will, so dass man sich eben wohl fühlt, so wohl wie nur möglich. Und das betrifft auch die geistige Tracht. Durch die Bewusstheit wird hier Toleranz vor den geistigen Trachten anderer Gegenden entstehen. Und die Menschen werden mehr unterscheiden können zwischen dem Wesentlichen und dem Unwesentlichen. Dadurch wächst das Fühlen und im Fühlen zeigt sich der Geist, der im Gesetz eben verlorengegangen war. So finden wir durch Bewusstheit zum Geist und ohne den Geist ist das Leben in Wirklichkeit überhaupt nicht lebenswert. Kein Wunder also, dass wir so anfällig sind, im Sinn von Krankheiten und Gebrechen. Es fehlt der Geist. Das Gesetz wird zu einer Art Moloch. Es führt nicht zu dem, was es behauptet. Es führt nicht zum Geist. Aber es führt zum Leiden.
Das Gesetz ist eine Art Zwischenstufe zwischen wirklicher Religion und Geschäftswelt, eine Art Handel, eine Art Versicherung, eine Art Jenseitsversicherung, Einzahlung in die himmlische Bank durch Finanzierung der Priester. Das hat es seit je her überall gegeben. Die Traditionalisten betreiben dieses Geschäft. So gerne sie ihn auch hätten und so sehr sie sogar behaupten, ihn zu haben, fehlt ihnen doch der Geist. Sie haben sich nur geistig hineingesteigert in eine Vorstellung vom Geist und diese mit Werten befrachtet, damit sie zu einer Art Zugpferd für die eigene Moral werden kann. Diese Vorgehensweise ist sicher kein Fehler, aber sie führt leider nicht zur ganzen Wahrheit. Jenseits dieser Vorstellung gibt es nämlich die Wirklichkeit und die stimmt mit der Vorstellung häufig nicht überein, weil die Vorstellung ja immer hinter der Zeit herhinkt. Kaum hat sie die letzte Krise verarbeitet, kommt schon ein neues Problem, in dem ihm seine Erfahrungen vielleicht sogar im Weg stehen. Es braucht also eine andere Art der Sensitivität als die des schwerfälligen Vorstellungsapparats, eine Unmittelbarkeit, ein direktes Sensorium für das Richtige.
Dieses Sensorium „sechsten Sinn“ zu nennen, würde es schon wieder einschränken, denn es ist viel mehr als das, es ist unmittelbare Wahrnehmung. Was da wahrgenommen wird, ist eine Art von Anziehung oder Abstoßung. Das ist die Summe aus allen auf diese Situation bezogenen Daten oder Fakten unseres Lebens für diesen Augenblick. Dieser Anziehung gilt es zu folgen. Sie läuft wie eine deutliche Spur vor uns her. Natürlich müssen wir ihr mit Aufmerksamkeit folgen. Sonst werden wir die Spur nicht finden. Sobald wir sie gefunden haben, folgen wir unserer Natur, unserer Seele, wir folgen Gott, der uns so haben wollte, wie wir sind. Von da an kann es nur besser werden. Denn wir werden natürlich das meiden, was uns abstößt, denn da zieht uns wirklich nichts hin – es sei denn, wir würden gezogen von unserem „Auftrag“ vom Weltgeist. Dann ist das eben die Spur, der wir folgen müssen, wenn wir in der Wahrheit bleiben wollen. Es könnte auch uns treffen, wie es Jesus getroffen hat, dass wir nämlich auf diesem Weg unser Leben sehr früh verlieren, aber das ist rein statistisch sehr unwahrscheinlich, falls es uns jedoch tatsächlich treffen sollte, werden wir auch da wissen, dass wir uns auf dem Pfad der Wahrheit befinden. Eine Personifikation der Bewusstheitserweiterung für viele. Und daher werden wir uns auch auf diesem Weg geborgen wissen.
„Herr, du bist mein Hirte, ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir. Du weidest mich auf grüner Au. Und müsst ich selbst wandeln im Tal der Todesschatten, ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir.“ Was gibt es Schöneres, als das sagen zu können? Selbst in der Hölle den Himmel zu sehen, denn der Himmel besteht ja in der vollkommenen Übereinstimmung, in dem vollkommenen Einklang mit den Gezeiten des Universums. Das kann natürlich physisch sehr schmerzhaft sein. Aber das Wissen darum wird Heilung bringen. Und in diesem Wissen zu sterben bedeutet „ewig leben“. Dann hat unser Beitrag zur Bewusstheit einen bleibenden Eindruck hinterlassen und er wird gegenwärtig bleiben durch seinen Effekt. Kein Wunder, dass Menschen, die einen derartigen Eindruck hinterlassen haben, „Heilige“ genannt worden sind. Es kann unsere Bewusstheit daher nur fördern, wenn wir uns mit ihren Lebensentscheidungen auseinander setzen. Aber natürlich auch mit den Lebensentscheidungen anderer. Es geht ja darum, dass wir uns von jeder Ideologie befreien und hinter die Dinge schauen. Und das können wir nur, wenn wir vergleichen, wenn wir uns anderen Erfahrungen aussetzen. Selbst prüfen, anstatt Urteile zu übernehmen etc..
Bewusstheit ist angesagt. Bewusstheit bringt Heilung.
Es geht also nicht um die Verwirklichung eines Ideals. Denn jedes Ideal ist ein vorgeprägtes Bild. Es geht um ein Leben jenseits dieser Art Bilder. Ein Leben jenseits der Idole. Ein Leben jenseits der fremden Götter. Die Heilung liegt jenseits von allem Bekannten. Sie ist eine Überraschung, denn sonst hätten wir sie ja längst selbst gefunden mit all unseren Vorstellungen darüber, was es sein könnte. Wir müssen uns bereit machen für eine Überraschung. Darum geht es, nicht um ein Idol, das wir schon kennen. Das bedeutet die Lehre von dem einen Gott. Es gibt nur eine Wahrheit, nämlich die persönliche. Deshalb ist Gott ein persönlicher. Es ist ein Gott der persönlichen Überraschungen, ein Gott der persönlichen Wunder. Daneben gibt es aber natürlich auch den anderen Aspekt, den Aspekt der allgegenwärtigen Kraft. Sie repräsentiert das Andere, das aber auch unsere eigene innerste Natur ist. Beide Aspekte zu sehen, das Ich und die Welt und in beidem etwas Göttliches erkennen, etwas Wunderbares, etwas Geliebtes, ausgestattet mit dem o.k.-Siegel des höchsten Prüfstands. Wenn wir das sehen, können wir auch schon ehrlich sein und sagen, was wir möchten. Unser Wunsch ist schließlich der Wunsch des Allerhöchsten – Ehrlichkeit vorausgesetzt. Durch die Ehrlichkeit finden wir nämlich unseren Weg. Ehrlichkeit bezieht sich auf das, was wir wünschen. Wenn wir hier mit Tabus belegt sind, haben wir Schwächungen einprogrammiert, die wir besser los werden sollten, sofern sie unserem ehrlichen Wünschen entgegenstehen [Gelegenheit für „Therapie“]. Und los werden wir sie am besten wieder, indem wir uns unser Leiden durch das Hindernis zum Bewusstsein kommen lassen, also wieder über den Weg der Kapitulation.
Daher geht der Weg in jedem Fall über die Kommunikation der Wünsche. Sie ist die Basis der Bewusstheit. Die Wünsche an den lieben Gott, sind natürlich an ihn zu übermitteln. Wie? Durch ein Eintauchen in die Kraft, die uns und die Welt gleichermaßen belebt. Sie wird uns antworten „von außen“, d.h. durch Begegnungen, die zur rechten Zeit zustande kommen auf unerklärlich Weise, „zufällig“ und doch gar nicht zufällig. Wenn die Zeit reif ist, gibt es Früchte zu ernten. Das sind die Geschenke des Ganzen an uns. Wir müssen natürlich auch schauen, was gerade wo reift. Dieses Schauen ist der Hauptbestandteil der Bewusstheit, bewusste Aufmerksamkeit.
Bewusstheit ist ein Bereich, der sich dem Denken nicht entzieht, der aber durch das Denken nicht voll erkannt werden kann. Dieser Bereich kann nur erfühlt werden. Und erstaunlicherweise zeigt sich, dass das Fühlen unendlich feiner und schärfer als das Denken begreift. Eine deutliche Einladung, im Zweifelsfall dem Fühlen zu folgen und damit die Bewusstheit zu erweitern. Und so immer mehr dem Fühlen zu folgen, das einen wunderbaren Bereich der Wirklichkeit eröffnet. Wirkliche Wunder werden möglich auf diesem Weg. Der Glaube versetzt tatsächlich Berge, aber es ist klar, dass das nicht der Glaube derer ist, die sonntäglich das Glaubenbekenntnis sprechen. Sie versetzen nämlich keine Berge. Aber es gibt Leute, die Berge versetzt haben durch ihren Glauben an ihre innere Führung.
War Hitler einer von ihnen, werden Sie jetzt vielleicht fragen? In dem Sinn, dass er einen Glauben hatte, auf jeden Fall, nur fehlte ihm die Gabe der Unterscheidung der Geister, denn der Geist, den er aufgeschnappt hatte, diese maßlose Überheblichkeit, war letzten Endes auch für ihn nicht gerade vorteilhaft. Er ist seinem Dämon in die Falle gegangen und Millionen mit ihm. Das Ganze produzierte aber, wie immer in so einem Fall, von selbst die andere Seite, nämlich die Reaktion auf diese Überheblichkeit. Sie erschien zunächst als Vision von einer humaneren Welt, und in Form von Menschen, die bereit waren, dafür auch ihr Leben einzusetzen, wodurch die Monstrosität der Nazis beendet wurde. Anschließend konnte diese Vision dann auch in anderen Gegenden der Welt [wenigstens ein Stück weiter] tatsächlich verwirklicht werden – wenn wir nur an die Aufhebung der Kolonialherrschaften denken, die durch den Abscheu vor den Nazis sicher enorm beschleunigt wurde. Der Kurs, der von da her gelegt ist, weist weiterhin in Richtung humanerer Welt, in der Eigenheiten toleriert werden, solange sie nicht in die Rechte dritter eingreifen.
Was noch nicht ausreichend entwickelt ist, ist die Entwicklungshilfe. Es braucht hier jede Art von Hilfe – auch bei uns, wie schon gesagt.
Ähnliches gilt natürlich entsprechend auch für unsere gegenwärtige Terrorwelle.
Der Geist, dem es heute zu folgen gilt ist der Geist des Ganzen. Es ist der Geist des Fühlens. Darin liegt die Erlösung auch vom Terror. Wir sind eine Welt. Wenn wir fühlen, werden wir sie teilen und gut verwalten, damit sich alle entwickeln können. Jeder Fühlende wird sich dafür einsetzen in seinem Bereich. Wir wollen unsere Fähigkeiten ja weitergeben. Aufmerksam machen, einfühlsam machen. Von da breitet sich eine neue Form von Zufriedenheit aus, eine heilende Zufriedenheit aus dem Bewusstsein der Einheit, des Einklangs von innen und außen. Das wird nur möglich durch das Fühlen. Deshalb ist das Fühlen die Religion der Zukunft, die Religion der einen Welt. Erst im Fühlen wird ein Mensch wahrhaft „kat-holisch“. Wirklich universell. Und das ist dann gleichzeitig wirklicher Islam. Und das ist dann ebenso wirklicher Hinduismus und wirklicher Buddhismus. Und nichts anderes. Ein fühlender Mensch ist mit dem Einen verbunden. Und er tut nicht mehr seinen Willen, sondern den Willen des Vaters. Er empfängt seine Inspiration aus dem Nichts, aus der Leere der Buddhisten. Aber er weiß: Sie ist verbindlich. Seltsamerweise besteht die menschliche Freiheit darin, diese Verbindlichkeit wahrzunehmen und anzunehmen. Sie ist nicht kodifiziert und auch nicht kodifizierbar, sie ist nur unmittelbar wahrnehmbar. Und gleichzeitig widerspricht sie den Kodizes nicht – es betrachtet diese aber nur als Wegweiser, als Denk-Mal, und nicht als einen Zwang. Der oberste Wegweiser ist das Fühlen. Damit wir fühlen können, dürfen wir unsere Wahrnehmungsfähigkeit durch nichts einschränken lassen. Wir müssen alles für möglich halten. Unser Urteilsvermögen darf nicht getrübt oder gefärbt sein oder sonst wie präjudiziert. Nur so können wir herausfinden, was uns wirklich gut tut. Wir können das ja nirgends nachlesen, wir können es nur erfühlen.
In diesem Fühlen hat sogar die Moral Platz, als eines der Fakten des Lebens, und zwar in der ihr zukommenden Position als einer der Lehrer des Fühlens, keinesfalls aber als Behinderer. Leider wird Moral aber oft zur Behinderung eingesetzt – aus Angst, weil der behauptete Glaube eben in Wirklichkeit fehlt und daher nur ein Aberglaube ist. Deshalb haben die Sektenmenschen immer etwas Steifes. Es wird Zeit, das zu bedenken. Vielleicht wäre es möglich, sie aufzulockern, damit sie wieder durchatmen können. Dann kommen sie auf den Weg des Fühlens, denn sie fühlen, wie gut das tut. Und das ist der Anfang eines neuen Lebens.
Das verhängnisvolle
Missverständnis
des Bilderverbots im Islam
(14. 10. 2001)
Die Taliban in Afghanistan und Pakistan – und sie sind nur eines der bekannt gewordenen Beispiele aus weiten Kreisen des „Islam“ – halten sich unter anderem für gottesfürchtig und für treue Erfüller der Anweisungen des Koran, weil sie, wie sie glauben, sich an das strenge Bilderverbot halten. Bedauerlicherweise aber unterliegen sie einem verhängnisvollen Irrtum:
Sie glauben, das Bilderverbot beziehe sich (nur) auf äußerliche Abbildungen. Aus diesem Grund haben sie die alten buddhistischen Denkmäler zerstört.
Gleichzeitig aber hegen und pflegen sie detaillierte innere Abbildungen, Vorstellungen von dem, was ihrer Ansicht nach gottgefällig ist und von dem, was ihrer Ansicht nach Gott missfällt (als ob sie Gott wären). In ihrem Hochmut halten sie sich für Erfüller des Willens Gottes. Aus diesem Grund heißen sie den Terrorismus willkommen. Diese Haltung bezeugt ihre inneren Götzen-Bilder, die von nichts anderem genährt werden als von ihren Minderwertigkeitsgefühlen und ihrem Neid.
Anstatt den Dschihad nach innen zu führen, wie Mohammed das gefordert hat, nämlich als die „Bemühung“ (das ist die wörtliche Übersetzung des arabischen Wortes) um Überwindung ihrer Vorurteile (= ihrer Götzen), glauben sie, ihn nach außen führen zu müssen gegen Menschen und Staaten, von denen sie persönlich keinerlei Leid erfahren haben. Anstatt selbst die Verantwortung für sich zu übernehmen – machen sie andere verantwortlich für alles, was ihnen missfällt.
Aus koranischer Sicht sind die Taliban und ähnliche Gruppen daher nur bedauernswerte Götzendiener, die ihren Götzendienst (nämlich ihr Abschieben ihrer Verantwortung) aber mit Rechtgläubigkeit tarnen. Es gibt also auch unter den sogenannten „Moslems“ (in Wirklichkeit wäre ein „muslim“ nur einer, der sich hingegeben hat und dadurch Frieden erlangt hat), ja gerade unter denen, die sich für besonders gottesfürchtig halten, eine unschätzbare Menge von hochmütigen Ungläubigen, die sich selbst an die Stelle Gottes setzen und die den wirklichen Islam mit allen Mitteln verhindern wollen, um selbst recht zu haben. Nichts kapiert vom Bilderverbot, ihre Kaaba voller Götzen, ihr ganzer „Islam“ nur purer Aberglaube.
Natürlich ist es nötig, wachsam zu sein, damit das, was ich hier sagte, nicht auch wieder zu einem Götzenbild wird.
The
Prohibition of Images in Islam
and
the Disastrous Consequences
of
Misunderstanding that Commandment
(Oct. 14th 2001)
The Taliban in Afghanistan and Pakistan – and
they are only one of the known examples out of the wide ranges of “Islamic”
subcultures – take themselves for godfearing and for true observers of the
commandments of the Koran, because, so they believe, they obey the strict
Koranic prohibition of images.
Unfortunately they succumb to a terrible
misunderstanding: They believe, the prohibition of images is intended (only)
for sensual images. Out of that misunderstanding they destroyed the ancient
Buddhist monuments in Afghanistan.
At the same time though these people lavish
care and attention to inner images, to ideas of what, in their view, is godly,
and of what, in their view, god will disapprove of (as if they were god
himself). In their hypocrisy and arrogance they take themselves for executives
of the will of god. In that train of thought they also welcome any kind of
terrorism – an attitude that attests to the fact of their inner idolatry, which
is brought to life and nourished by nothing but their feeling of extreme
inferiority and envy. Poor guys!
Instead of waging the “jihad” towards
themselves as the prophet Mohammed has demanded, namely as an “effort” (that is
the literal translation of the Arabic term “jihad”) to overcome their own
prejudices (which are the only possibly dangerous idols), they monstrously dare
to state, an outward war should be waged against people and nations, that in no
way have harmed them personally. Instead of taking on their responsibility for
themselves, they hold others responsible for everything that displeases them.
From the Koran’s point of view the Taliban and
similar groups therefore only are very pitiful worshippers of idols, who
disguise their idolatry (= that they just pass on their responsibility to
others) as “true observance”. So even among the so called “Muslim” (in original
Arabic the term “muslim” is reserved for someone who has surrendered to the
supreme power and that way has attained to peace), especially among those who
consider themselves to be godly in a very deep way, there is an inestimable
quantity of arrogant unbelievers, who sat themselves on the throne of god
trying to prevent the real “Islam” (= peace by surrendering) by all means, just
to be able to keep their self-image of being righteous.
Since they have not the least understanding of
the Koranic commandment prohibiting imagery, their Kaaba is filled with idols –
and their “Islam” is purely superstitious. We all have seen the horrors that
are created by such idolatry.
But of course we too must stay vigilant, lest
we ourselves should fall into idolatry.
Wie sieht das Leben im Reich
Gottes
in unserer Zeit aus?
(21. 10. 2001)
Es ist ein Leben voll Ehrlichkeit. Das ist alles.
Zunächst Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.
Daraus folgt automatisch eine größere Bewusstheit.
Ehrlichkeit heißt „wahrnehmen, was ist“. Und dann klar äußern, was man wünscht. Natürlich nicht dumm plump, sondern mitfühlend mit denen, von denen man etwas wünscht, voll Achtung.
Zusätzlich noch in dem Bewusstsein, dass das Äußern eines Wunsches verletzlich macht. Wir müssen uns dem Risiko einer Ablehnung aussetzen. Und wir müssen eine Ablehnung ohne Groll akzeptieren, weil wir doch die Freiheit des Anderen achten, weil wir ihn achten als ein ebensolches göttliches Wesen, wie wir selber es sind. Aber indem wir es tun, nämlich unsere Wünsche äußern, gehen wir auf eine vollkommen natürliche Weise auf den Anderen ein. So will es die Natur. Und auf diese Weise ist die Wahrscheinlichkeit einer Ablehnung viel geringer als unter anderen Umständen, wenn der Wunsch nämlich nicht geäußert wird. Es besteht einfach die höchstmögliche Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs unter Berücksichtigung der Freiheit des Anderen, auch „nein“ zu sagen.
Wenn wir diese Freiheit nicht achten würden, könnten wir uns selbst auch nicht mehr achten. Und gleichzeitig würden wir uns der maximalen Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns aussetzen. Tatsächlich ist die Tendenz dazu, die Freiheit des Anderen zu missachten bei den meisten Menschen vorhanden, sofern das Nichtachten der Freiheit des Anderen nicht sogar sehr deutlich ausgeprägt ist. Gröbste Missachtungen der Freiheit des Anderen werden „kriminell“ genannt und öffentlich bestraft, weniger gravierende (in ihren summierten Folgen aber oft nicht weniger schlimme) zählen zu den täglichen Unannehmlichkeiten des Lebens.
Das Nichtachten der Freiheit des Anderen ist aber nicht nur für die eine Belastung, deren Freiheit missachtet wird, es ist auch wie ein Fluch, der auf dem Missachter lastet, ein böses „Karma“. Wir alle kennen diese Tendenz von uns selbst. Woher immer diese schicksalhafte Neigung kommen mag, sie ist mehr oder weniger stark ausgeprägt bei jedem von uns da – wir können sie entweder als eine Herausforderung annehmen und überwinden, oder sie ablehnen und scheitern. Und wir können sie nur auflösen, indem wir den Anderen ganz bewusst vollkommen achten.
In diesem Geist [und im Wissen um die verhängnisvolle Wirkung, die es hätte, wenn sie es nicht täten] haben sich die urzeitlichen Jäger bei ihren Opfern entschuldigt, bevor sie sie töteten, um sie zu essen und in der japanischen Kultur ist diese Haltung noch in der Geste der Samurai bewahrt, die sich, im Fall einer Hinrichtung, bevor sie den tödlichen Schlag ausführten, ebenfalls bei dem Todgeweihten entschuldigten für dieses plötzliche Ende des Lebens, das sie ihm bereiten mussten.
Wer die Freiheit des Anderen achtet, hat sein eigenes Karma (die Belastung, die er von seinen Vorfahren übernommen hat) bereits aufgelöst.
Die Auflösung des Karma [und damit die Auflösung jeden Grolls und jeder Überheblichkeit] ist unsere erste Lebensaufgabe. Sie führt zu dem was Jesus „Wiedergeburt“ genannt hat. Danach folgt ein neues Leben und eine neue Lebensaufgabe – ein Leben für die Anderen. Und zwar genau da, wo man sich befindet. Jeder in seinem Umkreis – das hat Jesus ja gemeint mit dem „Nächsten“.
Dabei braucht sich keiner unter Wert verkaufen. Deshalb hat Jesus gemeint, wir sollen unser „Licht nicht unter einen Scheffel stellen“. Nächstenliebe heißt nicht das, was üblicherweise „Selbstlosigkeit“ genannt wird, denn „der Arbeiter ist seinen Lohn wert“. Nur ohne „Selbstlosigkeit“ ist unsere Nächstenliebe frei von jeder Art (eingebildetem) Anspruch, einfach frei, ein natürlicher [der Trägheit entgegengesetzter] Impuls, der mit dem Wissen um die Richtigkeit verbunden ist. Es ist nicht ein „Gefühl“, sondern ein vollkommen bewusster Impuls.
So einem Impuls zu gehorchen, gibt ein absolutes Wohlgefühl, ein Gefühl der totalen Übereinstimmung – eine Art Einssein mit dem göttlichen Willen, ein vollkommenes im Einklang Sein, ein paradiesisches Gefühl. Das ist bei Gott im Himmel sein. Das ist im Reich Gottes leben.
Es geht nur im absoluten Respekt, vor sich selbst und vor den Anderen. Und der ist nur möglich durch vollkommene Ehrlichkeit.
Dann beginnen die Wunder.
Für den, der den Weg geht, sind es vor allem Wunder der Bewusstheit, des immer tieferen Eindringens in das Göttliche – in einer harmonischen Weise, eingeladen, nicht einfach eingedrungen.
Wenn die Bereitschaft da ist, sich vom Göttlichen leiten zu lassen, beginnt der wirklich bewusste Teil der Reise durch das Leben. Es ist eine Reise ohne Grenzen.
Die Tiefen des Wesens Gottes offenbaren sich in den Tiefen des Lebens. Und in die können wir nur eintauchen, indem wir uns ihr ganz überlassen – und ebenso ist es mit dem Leben. Indem wir uns ihm überlassen, überlassen wir uns ihr. Dem Leben in uns, das uns führt – in einer unfehlbaren Weise – genau zu unserer Bestimmung, was immer die sein mag. Indem wir ehrlich sind, überlassen wir uns ihm ganz von selbst und gleichzeitig haben wir die größten Chancen zu überleben und zu gedeihen. Wieder sind wir dort: bei der größtmöglichen Harmonie.
Wohin das führt weiß keiner: „Kein Auge hat es geschaut und kein Ohr hat es vernommen, was Gott denen bereitet, die ihn lieben“. Aber was sollte es anderes sein als größtes, unvorstellbares Glück.
Wo sogar wir, die wir erst am Anfang dieses Weges stehen, von seiner Größe überwältigt sind – die tiefer eindringen, sehen seine Größe noch viel mehr und ihre eigene Nichtigkeit und gleichzeitig ihre Bedeutung.
Alles ist gut. Es gibt keinen Grund für Angst. Wer sich traut, loszulassen von seinen Vorstellungen (darauf bezieht sich das Bilderverbot im Judentum und im Islam), wird tausendfach belohnt. Seine Träume werden übertroffen, nicht nur wegen verwirklichter Ziele, sondern auch und ganz wesentlich wegen der Befriedigung, die die Bewusstheit verleiht im Wissen um den Einklang. Außerdem gibt es auch deshalb keinen Grund zur Angst, weil ein vollkommener Schutz besteht – selbst in einen natürlich doch möglichen Tod hinein. „Und müsst ich selbst wandeln in Todesschluchten, ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir.“ Deshalb gibt es wirkliche Märtyrer und wirklich unschuldige Opfer. Die sind eins mit der Kraft, in absoluter Harmonie. Sie nehmen es Gott nicht übel, weil sie sehen, dass diese Einheit sie mit viel mehr belohnt, als dieses Leben hier zu bieten hätte. Für sie ist sogar der Tod kein Verlust, sondern ein Gewinn. Hoffentlich können wir so einen Tod sterben, wann immer das sein mag ob in Kürze oder erst nach vielen Jahrzehnten dieses Lebens.
Ein Leben in dieser Bewusstheit ist ein Leben im Himmel, also im Reich Gottes. Bewusst immer nur nach der Einheit suchen, nach dem Richtigen. Genau das ist ja dann zu dem begrifflich rationalisierten „Achtfachen Pfad“ des Buddha geworden. Ein nur rationales Befolgen des Achtfachen Pfads wäre aber noch nicht das Befolgen seiner Intention, das wirkliche Befolgen ist immer erwogen und erfühlt und nicht erdacht. Das ist der Buddha. Er lebt nur, was er fühlt. Das ist alles, was er weiß. Alles andere hält er für einen möglicherweise nur hohlen Mythos, für Illusion, Maya. Nur was wir fühlen, können wir wissen. Alle Theorie ist kein Wissen, es ist nur Bildwerk.
Das Bildwerk ist verboten. Das heißt aber nicht, dass man nicht bildende Künste in irgendeiner Form ausüben sollte, man sollte sich nur dessen bewusst bleiben, was ist, dass ein Bildwerk der Wirklichkeit nämlich niemals auch nur entfernt nahe kommt – wohl aber eine eigenständige Wirklichkeit hat, deren Bedeutung sich im Laufe der Zeit ändert wie eine Sprache und die daher nicht unbedingt positiv ist, solange nicht auch sie von Bewusstheit durchdrungen ist.
Das ist die Bedeutung des Bilderverbots. Deshalb sollte man nicht an irgendwelchen Vorstellungen haften – was aber eben wieder nicht heißt, man sollte nicht eine Vorstellungskultur pflegen. Wir müssen mit allem arbeiten, was uns zur Verfügung steht. Wir müssen nur immer wieder darauf hinweisen, dass die Bilder nicht die Wirklichkeit sind, dass wir uns aber an der Wirklichkeit orientieren müssen, die eben immer viel differenzierter ist als jedes Bild. Zu unserem Glück. Denn dadurch bekommen auch wir in unserer Besonderheit ein Recht und nicht nur als soziale Nummer. Ein Nummerndasein kommt nur heraus, wenn wir uns an Bildern orientieren.
Deshalb heißt es: „Du sollst Dir kein Bild machen“. Die Bibel hat die Folgen der Missachtung des Bilderverbots an konkreten Beispielen beschrieben (die Zeiten vielfältiger Sklaverei, denen Israel ausgesetzt war etc.). Wegen der historischen Ferne aber werden diese Beispiele oft nicht mehr verstanden. Auch die heutige Sklaverei beruht natürlich auf einer Missachtung des Bilderverbots, nämlich auf der oft mit „individueller Gleichheit“ begründeten Schematisierung des Lebens in der Gesellschaft, mit seinen immer mehr standardisierten Anforderungen und Bewertungen. Wohl dem, der diese Standards [und seine Fähigkeit oder Unfähigkeit, sie zu erfüllen] nicht als Bild [als Wertung] von sich selbst oder als Bild des Anderen übernimmt. Und doch: Auch wenn die individuelle Gleichheit nicht die Leistungsfähigkeit betrifft, so ist die individuelle Gleichheit im Sinn des Werts des Seins eines Menschen sozial doch zu achten, besonders im juridischen Bereich, aber auch im persönlichen Umgang, weil wir ja wissen und fühlen können, dass wir alle die gleiche menschliche Natur haben mit ihrem Ursprung im und in ihrer Berufung zum Göttlichen. Diese Tatsache wahrzunehmen wiederum, ist eine Quelle der spontanen gegenseitigen Achtung und des Mitgefühls.
Ein wesentliches Ergebnis dieser Art das Leben und die Menschen zu betrachten, ist das Wagnis, die Wünsche zu äußern, bis hin zu den höchsten Wünschen.
Zunächst müssen diese Wünsche in uns überhaupt erst erscheinen dürfen. Dazu müssen wir unsere innere Zensur aufheben. Dann können wir sie betrachten ohne Vorurteil, die ganze Reihe unserer möglichen und unmöglichen Wünsche. Und dann, wenn wir sie wirklich allen den nötigen Respekt entgegengebracht haben, sehen wir schon den Wunsch, der genau jetzt passt, mit dem wir uns gut fühlen. Und dann entwickelt dieser Wunsch seine eigene Energie. Wir brauchen fast gar nichts mehr tun, außer eben die Richtung nicht aus den Augen verlieren. Wir brauchen nur aufmerksam sein, der Motor der Erfüllung treibt das Auto unseres Lebens von selbst. Wir sind gewissermaßen lebende „cruise missiles“. Der Kurs ist uns vorgeben durch unsere Wünsche. Sie sind das, wohin es uns zieht – natürlich meine ich hier nicht die unguten unbewussten Anziehungen von dunklen Ahnen oder Peers, die uns schicksalsmäßig behindern. Die müssen erst bewusst werden. Dann werden auch sie uns dienen. Dann sind wir frei. Frei für unsere Sehnsucht – die uns natürlicherweise ins Unbekannte führt, in Richtung Abenteuer. Einfach der Wahrheit folgen führt genau in das Abenteuer, das für uns bestimmt ist. Den Wünschen folgen heißt ja, einen Widerspruch in uns nach dem anderen aufzulösen. Das setzt uns natürlich automatisch in Widerspruch zu unserer Umwelt, die unsere Wünsche ja nicht unbedingt willkommen heißt – insbesondere wo unsere Wünsche natürlicherweise zusätzlich auch auf die Überwindung der Widersprüche in unserer Umgebung zielen. Wir sind ja doch an unserem Platz auch die Antwort auf die Krise der Welt. Und eine heilende Antwort ruft zunächst und später dann vielleicht noch mehr, den Widerspruch der Kräfte hervor, die von dem Widerspruch (der Krankheit) profitieren. Ein Leben dieser Art ist daher ein Leben im vollen Risiko in allen Bereichen. Aber im Risiko liegt das Leben.
Das bedeutet „Glauben“ oder ein Lebens des Glaubens. Es ist ein Leben im Risiko, im Risiko der Wahrheit. Der „Lohn“, d.h. die logische Konsequenz dieses Lebens, ist – trotz aller unvermeidlichen Frustrationen – höchstes Glück.
Die Wahrheit liegt in der Kraft, die alles belebt. Nur da. Ein Gleichnis von ihr zu werden. Das ist das Ziel und dann folgt das Leben als dieses Gleichnis, nicht als eine Leistung, sondern als Ausfluss und Erscheinung dieser Kraft selbst. Es wäre ein Wahnsinn, zu glauben, man könnte das schaffen, denn es ist nicht zu schaffen – und wir brauchen es gar nicht schaffen, denn es ist schon geschaffen, wir brauchen es nur zulassen. Es wartet schon sehnsüchtig in uns, zugelassen zu werden. Wir werden aufleben, sobald wir es zulassen. Ungeahnte Kräfte werden in uns erscheinen – eigentlich werden sie jetzt nur sichtbar und daher erst jetzt einsetzbar, weil sie ja jetzt nicht mehr in einer selbstsüchtigen Weise verwendet werden können.
Es soll heute viele Epiphanien [= Erscheinungen Gottes auf Erden] geben. Jeder ist dazu berufen. Es ist schade für jeden, der diesem Ruf nicht folgen kann – ins Reich Gottes, in den Himmel. Zunächst hier auf Erden, aber von da an genau dort, wohin immer die Reise uns führen mag.
Die Reise in den Himmel beginnt damit, dass du deine Angelegenheiten in Ordnung bringst, d.h. dass du deine unerledigten Geschäfte endlich erledigst, damit du frei wirst von Schuld, also von allen berechtigten Forderung an dich, weil du dir eben was zuschulden kommen hast lassen oder eben Schulden (vorwiegend wohl nicht finanziell, sondern aus unausgeglichenem Geben und Nehmen in Beziehungen) gemacht hast – und wer hat sich nichts zuschulden kommen lassen und wer macht keine derartigen Schulden! Jeder! Wir alle sind schwache Geschöpfe und wir brauchen uns nicht einbilden, das je nicht mehr zu sein, ganz gleich, was wir je erreichen mögen. Keiner ist gut. Deshalb hat Jesus ja so darauf bestanden, nicht „gut“ genannt zu werden. Er wusste, dass er es nicht ist, weil eben keiner gut ist, außer der Kraft, die das alles am Leben erhält und die er „Vater“ genannt hat. Diese Kraft ist sein Vater und unser Vater und sie/er ist immer bei uns, ganz gleich, was wir tun oder angestellt haben mögen. Wir brauchen keine Angst haben, diese Kraft ist immer da. Sie erhält uns am Leben, sie speist jede unserer Handlungen und auch alles Unbewusste. Und sie ist gleichzeitig das Bewusstsein, das das Ganze enthält und erhält und auch noch in eine Richtung treibt, nämlich in Richtung größerer Bewusstheit. Wir brauchen keine Angst haben, dass wir verloren gehen könnten. Sie hat alles unter Kontrolle, aber sie lässt uns teilhaben an ihrem Werk. Sie lässt uns sein, wie wir sind. Sie vertraut, denn sie weiß, dass wir letzten Endes alle gesteuert werden von dem Programm, das sie uns von Anfang an eingepflanzt hat, nämlich nach dem Licht zu streben, nach Auflösung unserer dunklen Stellen.
Von selbst brechen diese dunklen Stellen auf wie Geschwüre oder auch wie Pickel auf der Haut. Gesellschaftlich schauen dann diese Pickel aus wie Kriminalität und die Geschwüre wie Kriege. Es ist ein Ausbruch eines Widerspruchs. Er tritt zutage. Irgendwann muss jeder Widerspruch zutage treten. Das hat Jesus gemeint, als er davon sprach, dass die Geheimnisse von den Dächern gerufen werden würden. Die Widersprüche drängen nach Auflösung, nach einer Einigung, nach „Synthese“, wie Hegel gesagt hat. Eine wirkliche Einigung ist Licht. Licht kommt von der Aufdeckung der dunklen Stellen. Gesellschaftlich sind die dunklen Stellen nicht nur die offiziell als „kriminell“ bezeichneten Menschen, die dunklen Stellen liegen auch in dem, was diese Menschen dazu gemacht hat, also in allem Niederdrückenden in der Gesellschaft, in den nicht notwendigen Zwängen. Dazu gehört auch das hoch geachtete, aber zu einem Zwang gewordene Streben nach Reichtum, nach Ansehen, nach Sex und Zärtlichkeit, nach Bequemlichkeit – aber auch das nach Gut-Sein. All unser Streben muss durchleuchtet werden, damit sich zeigt, was wirklich nötig ist. – Womit ich nicht sagen will, dass es je eine Gesellschaft ohne jede Kriminalität geben wird. Wir sind davon jedenfalls noch beinah unendlich weit entfernt. In diesem Leben werden wir die total harmonische Gesellschaft jedenfalls nicht erleben. Wir müssen aber in der Welt leben, die jetzt ist. Wir [die wir nach Aufdeckung unseres Dunkels streben] können jedoch in dieser Welt Inseln bilden, auf denen andere Gesetze herrschen – eigentlich nur eines und das ist das Gesetz der Wahrheit. Und vielleicht werden diese Inseln zu der neuen Erde werden.
Die Wahrheit muss von uns ausgehen, wenn wir Teil einer solchen Insel sein wollen. Wenn wir uns dazu entschlossen haben, werden wir feststellen, dass wir auf diesem Weg Wegbegleiter finden werden, die sehr froh darüber sein werden, diesen Weg und uns gefunden zu haben. Und damit leben wir schon nicht mehr allein auf dieser Insel. Und dabei ist diese Insel keineswegs eine Sekte, denn die Wahrheit sprengt jede Sektengrenze. Die Wahrheit ist nur dem erträglich, der sich selbst für sie öffnet.
In den Sekten gibt es immer Tabus, dunkle Stellen, die erst durchleuchtet werden müssen. Vor der Wahrheit hat letzten Endes keine Sekte Bestand. Ihre Beschränktheit zeigt sich. Wenn ihre Initiatoren und ihre Mitglieder diese Beschränktheit zugegeben würde, gäbe es kein Problem, aber sie wird verheimlicht und Vollkommenheit wird vorgegeben, obwohl doch offensichtlich ein Teil der Wirklichkeit aus dem Bewusstsein ausgeklammert wird, mit Tabus belegt wird. So etwa auch gewisse Aspekte der Sexualmoral der katholischen Kirche. – Nicht dass nicht doch auch etwas für sie spräche, aber als Gewissenszwang ist das Gesamtpaket unerträglich. Nur frei ist sie erträglich, nur bewusst, nicht als Zwang. Der Gewissenszwang ist das Dunkle an den Sekten. Er ist überhaupt das Kennzeichen alles Sektenhaften. Das Dunkle sind nicht ihre Regeln. Für manche mögen die genau richtig sein. Deshalb dürfen im heutigen Reich Gottes auch die Sekten sein. Einige ihrer Mitglieder werden es ohnehin als ihre Aufgabe empfinden, die dunklen Stellen aufzuhellen. So wirkt diese Kraft. Es geht von selbst. Wir brauchen uns darum nicht sorgen – es sei denn, dies sei unsere Berufung.
Alles ist erlaubt, aber nicht alles fördert unsere Bewusstheit. Die Bewusstheit muss das Erste sein, dann ist alles erlaubt. Und mit Bewusstheit meine ich selbstverständlich nicht bloß den Verstand, sondern vor allem das Fühlen und das Mitfühlen. Dann geht es ohnehin nicht mehr um die Frage, ob etwas erlaubt ist, denn was erlaubt und was geboten ist, zeigt sich einem fühlenden Menschen von Schritt zu Schritt unmittelbar aus der Situation. Tabus irgendeiner Art kann es da nicht geben, höchstens eine freiwillige Beschränkung aus experimentellen Gründen, eben um tiefer in die Bewusstheit einzudringen. (So sind die Askese- und Meditationsanweisungen der verschiedenen spirituellen Schule zu verstehen. Es handelt sich um Experimente mit dem Ziel der Bewusstseinserweiterung).
Das sind die Regeln, die im heutigen Reich Gottes gelten. Es ist ein Reich freier Menschen, die ihr Leben bewusst und selbstverantwortet leben und die alle anderen Menschen als ihresgleichen achten als Erscheinungen „Gottes“, als Erscheinungen der Kraft, die alles belebt – so wie natürlich Tiere und Pflanzen und die ganze Natur auch auf ihre je eigene Weise. Allem gebührt diese Achtung, aber nicht bloß in einem romantisch indianischen oder romantisch islamischen Sinn, sondern alle Dimensionen des Lebens einschließend. Die so leben, bilden das heutige „Volk Gottes“. Es lässt sich heute aber nicht mehr so fassen, dass es nur in einer einzigen Gruppierung zu finden wäre, denn es ist in allen Gruppierungen (u.a. auch in allen Religionen) vorhanden. Das muss anerkannt werden. Jede Alleinseligmachungsbehauptung einer Gruppe ist eine Lüge. Die Realität zeigt, dass es auch andere Wege gibt. Das ist die übergeordnete Wahrheit, obwohl eine Alleinseligmachungsbehauptung für die Mitglieder einer bestimmten Gruppe für eine gewisse Zeit schon einen Sinn machen und in dieser Phase ihrer Entwicklung für sie genau richtig sein kann. Aber im Hinblick auf das gesamte menschliche Entwicklungspotential bleibt diese Behauptung eben ein dunkle Fleck, der gemäß Dogma nicht beleuchtet werden darf. Der Intention als Bewusstheitsexperiment nach ist das in Ordnung, aber darüber hinaus hält das Dogma der Realität nicht stand – für die, die tiefer in die Bewusstheit hineingehen. Nur sie können ermessen, was das Reich Gottes eigentlich ist [niemals die, die in einem Sektenbewusstsein stehen bleiben]. Die tiefer in die Bewusstheit hineingehen, handeln ja nicht mehr gemäß einer Norm, sondern gemäß ihrem Fühlen. Und was sie fühlen, ist das Drängen zum Licht, zur Bewusstheit. Nur das ist es letztlich, was sich gut anfühlt. Und dabei kommt keiner zu Schaden. Das Reich Gottes ist ein Gewinn auf allen Linien für alle Beteiligten. Es ist das Reich, in dem das Glück herrscht, der Himmel.
In diesem Bewusstsein beispielsweise haben die Väter Amerikas das Streben nach Glück in ihrer Verfassung verankert. Deshalb sind die USA immer noch weltweit die führende Nation. Sie haben diese Vision ja immer noch. Diese Vision war bahnbrechend auf dem Weg zur Bewusstheit und sie ist es noch. Die Frage ist nur, was das „Glück“ bedeutet. Deshalb ist es so wichtig, die auch in unserer westlichen Industriekultur bestehenden Tabus zu durchleuchten mit der Frage, wo sie dem Glück im Wege stehen. Und natürlich auch hier wieder fühlend und nicht im Sinn irgendeiner Profitmaximierung oder Lustmaximierung oder irgendeiner anderen Maximierung, denn es geht um die Balance, um das „Auffüllen der Täler und Gräben und das Abtragen der Berge und Mauern“, wie der Prophet schon sagte. Es geht um Ermöglichung anstatt Verunmöglichung. Es geht um das Abnehmen von überflüssigen Lasten, um immer tiefere Sicht das Ganzen und darin Verstehen, und darin sehen, dass jegliche Schuld bereits erlassen ist. Gott will uns nicht Lasten auferlegen, sondern abnehmen. „Kommt alle zu mir, ihr Mühseligen und Beladenen“. Immer wieder hat Jesus gesagt, „tröste dich, deine Sünden sind dir vergeben“. Nicht dass er sie vergeben hätte, er hat nur gesehen, dass sie schon vergeben sind, und das hat er mitgeteilt. Und weil er es gesehen hat, konnten die betreffenden Menschen es auch sehen und sie konnten aufatmen. So wurden sie geheilt.
Heilung ist das, was das Reich Gottes zutiefst kennzeichnet. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Wenn Heilung nicht stattfindet, gibt es mindestens noch eine gravierende dunkle Stelle. Dann ist die Suche noch nicht beendet. Die Suche endet erst in der vollkommenen Heilung. Nicht bloß in der Heilung einer Krankheit, sondern in der Heilung des ganzen Menschen, die nur durch bleibendes Glück erfolgen kann. „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir“, sagt deshalb Augustinus. Wenn das Herz in der pulsierenden Energie ruht, ist Heilung da. Diese Ruhe ist logischerweise nichts Statisches, sondern höchst dynamisch, immer abgestimmt auf die gegenwärtigen Schwingungen oder energetischen Züge, die auf uns wirken.
Heilung ist ansteckend, genauso ansteckend wie die Krankheit, wenn auch nicht durch einen physischen Virus, sondern durch einen geistigen, durch eine Art Schlüssel zur höchsten Bestimmung. Und dieser Schlüssel ist so leicht zu merken: Es ist einfach die Wahrheit. Wenn wir unsere Augen vor ihr nicht verschließen, wenn wir uns lösen von unseren Konzepten und schauen auf das, was ist – auf das, was wir wirklich empfinden – dann sind wir schon auf dem Weg.
Was dann kommt, ist nicht irgendein Jesus aus der Vergangenheit, sondern der Himmel hier und jetzt und wir sind darin der neue Jesus, der jetzt allen den „Vater“ zeigt. Das hat Jesus gemeint mit seiner Aussage, dass die Menschen der Zukunft „den Menschensohn auf den Wolken des Himmels kommen sehen“ werden. Aus dem undurchsichtigen unserer Existenz kristallisiert er sich heraus. Das ist die Wiederkehr „Christi“, die er vorhergesagt hat – nicht ein kosmisches Schauspiel der Wiederbelebung eines Menschen aus der Vergangenheit. Der „Christus“ (zu deutsch „der Gesalbte“ – und warum sollte das nur eine einzige historische Person sein, warum sollte der nicht immer wieder kehren und außerdem vielleicht nicht nur einer zu einer Zeit, vielleicht gibt es jederzeit Dutzende, Hunderte, Tausende überall) ist etwas Lebendiges, etwas, das jetzt da ist – verborgen (noch) in den meisten, in einigen aber sichtbar. Der Christus ist einfach unsere innerste Natur. Deshalb hat sich ja Jesus immer wieder „Menschensohn“ genannt, um genau das zu sagen. Die Leute haben es nur nicht verstanden und alles in einen Mythos verpackt, in dem das Wesentliche zwar schon enthalten ist, aber eben mit der Gefahr großer und sehr verhängnisvoller Missverständnisses – wie es in den Gräueln der Kirchengeschichte ja ganz offenbar geworden ist und wie es in kleinerem Maßstab immer noch offenbar wird in den immer noch ausgeübten Zwängen.
Es ist klar, dass ein „Reich Gottes“ nichts Zwanghaftes sein kann, sondern nur etwas Freies, so frei wie das All, das von selbst seine Ordnung findet und alle Zwänge überwindet. Nur freie Menschen können im Himmel leben, die Gezwängten leben noch in der Hölle. Es geht nicht darum, nicht in die Hölle zu kommen, es geht heute darum, aus der Hölle zu entkommen, in den Himmel zu kommen, denn die Hölle kennen die meisten nur allzu gut. Sie fürchten sie gar nicht mehr, sie sind die Hölle so sehr gewohnt, dass sie schon glauben, das muss so sein. Aber es muss nicht so sein. Also wenn du dich wie in der Hölle fühlst in irgendeiner Hinsicht, dann schau dich mal um, wie du da rauskommst. Es muss nicht so sein. Natürlich musst du für dein Leben schon Energie einsetzen, sonst kannst du nirgendwohin kommen. Das ist ja logisch. Zuerst aber schauen – und annehmen, was ist – dann kommt die Einsicht von selbst und aus ihr die Energie für das Handeln. So läuft das im Reich Gottes. In der gewöhnlichen Welt dagegen gibt es viel künstlichen Einsatz und viel Kraftaufwand und Verschleiß für Nichtigkeiten. Und genau das ist es, was die Hölle erzeugt. Es ist eine Art Sklaverei. Wenn wir also unseren überflüssigen und zerstörerischen Kraftaufwand entdecken, zeigt sich darin der Weg aus der Sklaverei, aus der Hölle heraus. „JAHWE“ befreit immer noch. Aber natürlich ist die Zeit danach vielleicht kein Honigschlecken. Wir müssen unser Leben ja auch aufbauen und dabei natürlich da beginnen, wo wir sind, egal, wo das ist. Das verlangt Einsatz und Risiko. – Wegen des anwesenden Vertrauens aber keinen Stress.
Wie ist es aber mit denen, die in der Hölle „absahnen“? Sie brauchen dazu schon eine gewisse Bewusstheit. Aber ein wesentliches Stück Bewusstheit fehlt, nämlich das Mitgefühl. Dieses Fehlen wird ihnen eines Tages schmerzhaft zum Bewusstsein kommen. Auf ewig lässt sich die Wahrheit nämlich nicht verbergen. So sind die sagenhaften Ägypter im sagenhaften Roten Meer ertrunken, als sie die sagenhaften Israeliten, die sich gerade aus der Sklaverei befreit hatten, verfolgten. „Im Meer“ heißt natürlich in der Unbewusstheit, da sind sie ertrunken und da ertrinken sie heute immer noch. All ihr Gewinn hilft ihnen ab einem bestimmten Punkt nichts mehr, da sind sie dann selbst nur noch Sklaven ihrer eigenen Ideologie. Ins Reich Gottes können sie nicht kommen, solange ihnen nicht bewusst wird, was sie tun. Sonst aber könnte ich nichts zu ihrer Verurteilung anführen. Ich verurteile sie vielmehr überhaupt nicht, sie müssen selbst sehen, wie sie sich aus ihren eigenen Verstrickungen befreien. Ich habe Mitgefühl mit ihnen. Sie sind ja selbst Opfer und ausgeschlossen vom Sehen der Wahrheit. Das ist schade.
Die im Himmel werfen keine Steine. Sie verstehen alle Dimensionen des Menschlichen sehr gut. Sie verurteilen die Sklavenhalter nicht, sie raten nur den Sklaven, sich die Sklaverei nicht länger gefallen zu lassen und nach Wegen zu suchen, sie zu überwinden. Wie das legendäre Beispiel der Israeliten zeigt, kommt dem, der vertraut, die ganze Natur zu Hilfe. Es gibt also einen Weg heraus aus jeder Sklaverei. Geh den Weg also und verurteile deinen früheren Herrn nicht, der ja nur eine Chance benützt hat, die du ihm geboten hast. Entzieh ihm diese Chance. Und schau auf die Chancen, die du selbst hast. Der Schlüssel zum Himmel ist Bewusstheit. Und zu ihr finden wir nur durch die Wahrheit und das Annehmen dessen, was ist, als eine Herausforderung.
In unserer Umwelt liegen immer Chancen und Fallen. Wer aufmerksam ist, wird sie unterscheiden lernen. Aber auch die im Himmel tappen in Fallen – ja die Fallen sind gerade das universelle Instrument der Erweiterung der Bewusstheit. Nach jedem Fall ist ein Stück Dunkelheit aufgehellt, jedes mal geht es einen Schritt weiter und tiefer. So ist der Weg.
Das ist der Hintergrund des „felix culpa“ der Osternacht. Es handelt sich eben nur nicht um ein einziges Ereignis der Vergangenheit, sondern um ein immer erneut gegenwärtiges Ereignis. Es ist unser Lebens-Ereignis, Schuld und Erlösung in einem, es führt uns zum Leben (zur Wiedergeburt) auf einer neuen Ebene, und unsere Wiedergeburt ist genau so, wie Jesus es dem Nikodemus erklärt hat.
Die Wahrheit führt immer zur Kapitulation und die Kapitulation führt immer zu der Kraft, die alles belebt (zu „Gott“) und damit zur Wiedergeburt und in den Himmel.
Das müsste genügen als Anleitung für den Weg. Damit sind auch gleichzeitig alle früheren Offenbarungen durchleuchtet und neu erklärt einschließlich die von Jesus, Mohammed und Buddha und aller anderen so oder anders genannten „Propheten“. Auch das „Siegel der Propheten“ kann nicht für alle Zeiten ausschließlich „das Siegel“ bleiben.
Es wird in der Religionsgeschichte nie wieder ein „für alle Zeiten“ geben, denn die Zeiten ändern sich ständig, und der Glaube, etwas für alle Zeiten festschreiben zu können, kann nur ein Irrglaube sein – womit ich nicht sagen will, dass die historischen Beispiele von Abraham über Jesus und Mohammed über Bhagwan bis herauf zu den heutigen westlichen und östlichen Meistern, sowie von den Aborigenes bis zu den Indianern nicht doch als historische Beispiele für alle Zeiten gültig bleiben werden, aber eben als historische Beispiele, die erst in unsere Zeit bzw. in unsere Kultur übersetzt werden müssen, die erst mit dem heutigen „Zeitgeist“ [im Sinn von A. Mindell] in Einklang gebracht werden müssen. Mit „Zeitgeist“ meine ich die Lösungs-Vision der gegenwärtigen Zeit und Kultur, das „Bild“ [nicht im Sinn von Idol, sondern eben im Sinn des großen visionären Bilds des Lao-tse], in dem Bewusstheit aufleuchtet. Auch das zu wissen, ist wesentlich für das Reich Gottes heute.
Wir müssen erkennen, dass es viele Wege gibt und dass daher keine einzelne der alten Religionen mehr behaupten kann, sie allein habe den Weg. Unzweifelhaft gibt es gültige traditionelle Wege in allen Kulturen und außerdem gibt es noch die verschiedenen Wege der Sucher, die auch entweder in einen der traditionellen Wege münden oder die selbst einen neuen Weg entdecken, wie es beispielsweise u.a. die Gründer der Anonymen Alkoholiker taten. Heute werden aber mehr und mehr die in den Vordergrund treten, die verschiedene Wege getestet haben und die darin zum neuen Leben gekommen sind. Mehr und mehr entsteht ja heute eine Weltkultur – und die braucht auch eine neue Welt-Religion, eine Religion für alle – und das kann nur die Religion der Wahrheit sein, die ich hier darzustellen versuche. Sie achtet alle Religionsgründer, ihre Heiligen und ihre Tradition. Sie würde keiner die Möglichkeit, ein wirklicher Heilsweg zu sein, absprechen. Sie sieht nur, dass es diese Qualitäten in allen Religionen gibt, dass daher keine „besser“ oder „wahrer“ ist als eine andere. Und die neue Religion orientiert sich an allen in der Weise, dass eine jede dunkle Stelle in einer Tradition durch ein Licht aus einer anderen Tradition erhellt wird, sodass damit auch innerhalb einer Tradition eine Klärung alles noch Dunklen stattfinden kann. Das ist die neue Religion. Sie schließt alle alten in sich ein, nicht in einer synkretistischen (das wäre eine künstliche, rationale Übernahme von Bräuchen und Riten, wie dies tatsächlich in manchen esoterischen Zirkeln geschieht) Weise, sondern geführt und ausgewählt durch das Fühlen, also durch genau das, was am Ursprung aller religiöser Traditionen gestanden hat. Es ist also eine originäre neue Religion, die trotzdem mit keiner der alten in Widerspruch steht. Vielmehr soll diese neue Religion in die alten Traditionen eindringen und sie transformieren. Das ist es, was „der Geist“ heute will. Das ist das Gebot der Stunde.
So hat diese neue Religion auch Formen und Rituale, die aber viel informeller sind als die alten. Die Zeit der klassischen Riten, die die letzten zweitausend Jahre gekennzeichnet haben, ist vorüber. Die heutigen Riten werden von Leuten veranstaltet, die einen Weg gefunden haben. Sie nennen ihre Riten daher oft „workshop“. Manche von solchen „workshops“ sind natürlich nicht von Leuten geführt, die die Wirklichkeit wirklich erkannt haben, sondern von Schülern solcher Leute, oder sogar von Schülern solcher Schüler. Es ist daher nicht alles vertrauenswürdig, was es da gibt. Außerdem gibt es, wie schon gesagt, auf diesem Gebiet auch verschiedene Geschäftemacher und es gibt Sekten, die Menschen unter Umständen in üble Situationen bringen können, weil es ihnen in Wirklichkeit nicht um eine Heilung, sondern nur um eine Gewinnung von Mitgliedern geht, also darum, abhängig zu machen. Es gibt also eine Art „Spiritu-Mafia“, in der sich einige bereichern und den Dienst nicht leisten, den sie zu leisten vorgeben, ja nicht leisten können, weil sie selbst den Weg nicht zu Ende gegangen sind, die daher das Leiden nicht vermindert, sondern erhöht. Aber alles ist möglich. Und ein bewusster Mensch kann auch in den Fängen einer „Spiritu-Mafia“ oder in einer Sekte genau das erfahren, was er für seinen weiteren Weg erfahren muss. Daher geht es mir nicht um eine Verurteilung, sondern nur um die Aufforderung, zu unterscheiden, genau hinzuschauen und hinzufühlen und die Wahrheit das Urteil sprechen zu lassen.
Niemand kann urteilen über den Weg eines anderen. Ein Mensch kann verloren erscheinen und doch gerettet sein. Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, wie verloren wir selber immer wieder sind und was für ein Glück es ist, dann wieder ein Stück weiter sehen zu dürfen. Aber wenn wir in dem anderen das Göttliche sehen – und vielleicht noch, wo es sich gerade befindet auf seiner Reise zu sich selbst – dann leisten wir die beste Hilfe, die möglich ist. Indem wir die Potenz als real sehen, erlauben wir ihre Realisierung und dadurch kann der andere es sich auch erlauben. Das war das Geheimnis der Heilungen Jesu. Und außerdem sah er die Hindernisse der Realisierung und er sprach sie an und sie verloren dadurch ihre Wirklichkeit, ihr illusionärer Charakter wurde offenbar. Das ist das Geheimnis jeder Heilung. Die Hindernisse sind nur Illusionen, die Realisierung ist bereits da, sie ist unsere Natur. Sie möchte so gerne erkannt und gelebt werden. Wir können ihr vertrauen. Sie arbeitet nicht gegen uns. In ihrem innersten Kern strahlt die alles belebende Kraft. Sie weiß alles, vor allem weiß sie, was wir wirklich brauchen und das gibt sie uns – in Form unseres Schicksals. Sie wirkt immer genau das, was wir jetzt brauchen für unseren weiteren Weg – und wenn das jetzt unser Tod wäre oder jegliches Leiden. Indem wir ihre Herausforderung annehmen, werden wir uns dieser Kraft bewusst. Und dann werden unsere Illusionen durchsichtig für die Wirklichkeit. Und wir sind wieder bei der Heilung.
So wirkt die Kraft unfehlbar in jedem Menschen auf seine Weise, aber doch immer in Richtung Bewusstheit und in Richtung Aufhellung jeglichen Dunkels.
Dass das Dunkel in manchen Zeiten zuzunehmen scheint, diese wiederkehrenden kulturellen Rückschläge sind nur darauf zurückzuführen, dass eine neue Gruppe von Barbaren an die Kultur anzuschließen war. Es ist bis heute so, dass dieser Integrationsprozess Dunkelheit ausbreitet, gleichzeitig jedoch verringert sich das Dunkel der Barbaren, sie werden zivilisiert und damit bewusster, sie erreichen eine neue Ebene, sie treten ein in eine größere Ganzheit, sie lernen über den Rand ihrer bisherigen Welt hinauszusehen. Doch bevor sie sich integrieren, sind die Barbaren noch zornig und neidisch auf die Zivilisierten und greifen sie daher an. Sie glauben, sie müssten das doch auch haben können, was diese haben, nur leider wissen sie noch nicht, wie es erarbeitet werden kann, sie können es (noch) nur als mögliche Beute sehen. Es wird eine Weile brauchen, bis sie nach und nach erkennen, wie diese angenehmen Dinge und Lebensumstände entstehen und wie sie sie selbst herstellen können – und dass das eine bisher unbekannte Disziplin erfordert. Sobald sie das erkannt haben, hat sich ihre Bewusstheit schon wesentlich erweitert. Und ihre Barbarei hat ein Ende.
Auch bin Laden und die Taliban sind solche Barbaren. Die ganze islamische Kultur ist gerade dabei, integriert zu werden und die Taliban bilden die Abwehr mit ihrem Festhalten an ihrer partikularistischen Sicht und ihrer Paranoia, anstatt dass sie die Chance sehen würden, die eine liberale politische Ordnung gerade für sie bietet. Das ist schade, aber unvermeidlich, denn jede Integration macht auch Angst und irgendwo muss sich diese Angst äußern. Sie äußert sich mit Recht. Wenn dieser Gruppe nicht gezeigt werden kann, dass sie keine Angst haben brauchen, werden sie sich nicht beruhigen. Das ist nur logisch. Um das aber als logisch zu erkennen, ist es nötig zu sehen, was gerade geschieht – eben die Integration der islamischen Welt – so wie sie in den westlichen Industriestaaten zur Zeit geschieht, wo es ja eine friedliche Koexistenz gibt und keinerlei Einschränkungen der Frömmigkeit. Diese Integration macht aber eben vielen Angst. Besonders jene schieben dann die „Schuld“ an persönlicher Armut etc. auf diese Integration – als ob es solche Armut früher nicht genauso gegeben hätte. Dass es sie gegeben hat, zeigt ein Blick in die Bibel, wo berichtet wird, dass manche Hungersnöte so arg waren, dass Mütter ihre Kinder aßen.
Etwas anderes ist natürlich der Schaden, der durch die Kolonisierung angerichtet wurde. Er zeigt sich als eine Schuld unserer Kultur, die noch nicht (zur Gänze) zurückbezahlt ist. Wir können sie nur zurückzahlen, indem wir jetzt von den für „primitiv“ Gehaltenen lernen – warum nicht auch vom Islam, (nicht gekettet an die kulturbedingten Inhalte des Koran und doch) von dem, was „Islam“ bedeutet, nämlich Hingabe. Unsere Schuld ist es, ihnen, die jetzt paranoische Angst haben, die Ehre zu geben, die ihnen gebührt, dafür dass in ihrer Kultur noch in einem großen Maß bewahrt ist, worum es im Leben wirklich geht: Bewusstheit – dort natürlich auf etwas anderes gerichtet, als wir es gewohnt sind und daher überraschend und manchmal auch befremdlich. Diese Bewusstheit zu sehen, das schulden wir den Mitgliedern dieser Kultur. Wenn wir sie sehen, ist unsere Schuld beglichen – denn der Kolonialismus war ja begründet in der Annahme, es gebe so etwas wie Untermenschen, die man beherrschen solle. Wir müssen dieses Urteil aufheben. Dann sind wir frei im Umgang mit ihnen. Dann ist alles in Ordnung.
Das bedeutet aber in der Praxis, dass wir die (auch uns) befreiende Kraft der Widerstandsströmungen in der islamischen Welt sehen, ein Potential, das sich Achtung erzwingt. Indem wir ihnen diese Achtung freiwillig geben, brauchen sie nichts mehr erzwingen. Und wir brauchen uns nicht mehr zwingen lassen.
So kann sich auch auf diese Weise der Himmel auf der Welt ausbreiten und gegenseitige Achtung und gegenseitiges Vertrauen, auch im gesellschaftlichen Bereich.
Und wir müssen damit beginnen, wir persönlich. Es gibt keine Alternative – aber gibt es eine lohnendere Herausforderung?
Das war zum persönlichen hinzu der geopolitische Aspekt des Reiches Gottes auf Erden, der früher „Heilsgeschichte“ genannt worden ist. Wir müssen erkennen, dass die Heilsgeschichte oder der „göttliche Heilsplan“, von dem in der Bibel berichtet wird, heute nicht mehr als regional oder kulturell beschränkt betrachtet werden kann, sondern dass die göttliche Kraft logischerweise schon immer und überall wirkt – natürlich auf eine wirklich wirksame Weise – dass die Welt daher nicht warten musste auf Jesus oder Mohammed oder Buddha. Es hat sie immer gegeben, die die Wirklichkeit erkannt haben. Und es gibt sie auch heute, überall auf der Welt gibt es sie, in allen Kulturen.
Es hat von Zeit zu Zeit immer aber auch Leute gegeben, die diese „Frohe Botschaft“ in eine Form gekleidet haben, die von einer übergeordneten kulturellen Einheit verstanden werden konnte – und das muss natürlich immer wieder neu geschehen, damit es eben die jeweils heutigen Menschen verstehen. Im Unterschied zu allen früheren Zeiten schließt die heutige Form alle Kulturen ein und keine aus, auch alle Subkulturen, das ganze Spektrum der menschlichen Wirklichkeit. Alle müssen die Botschaft verstehen können. Und alle können sie verstehen, denn es ist, wie gesagt, einfach die Wahrheit.
Die heutigen Priester sind einfach Priester der Wahrheit, von niemand ordiniert, als von der Wahrheit selbst. Das ist die einfache heutige Botschaft, die für die heutigen Menschen „kein Joch“ ist, sondern eine Befreiung. „Fürchtet euch nicht“ hat es ja immer geheißen und so heißt es heute immer noch. Keine Angst, alles ist bestens. Du kannst dich angenommen fühlen und aus diesem Gefühl der vollkommenen Geborgenheit heraus kannst du all das anpacken, das dich belastet und es überwinden, eines nach dem anderen in absoluter Siegesgewissheit – denn die Kraft ist mit dir, immer und überall, wenn du in der Wahrheit bist. Die Wahrheit ist das, was ist. Was immer an Wünschen besteht und an Notwendigkeiten und an unbewussten Kräften. Das zu betrachten, ist die Wahrheit betrachten. Die Wahrheit sind alle wirkenden Kräfte zu sehen und in der Wahrheit setzt sich ein Mensch mit ihnen auseinander. Er verschließt sich ihnen nicht. Die Wahrheit verbietet jede Zensur. Dadurch wird die Wirklichkeit durchsichtiger in immer tiefere Tiefen hinein. Das war der Weg, den Jesus gegangen ist. Genau das macht ihn zu einem Beispiel, das heute noch genauso gilt – nur ist es wegen der aus seinen Aussagen entstandenen historischen Formulierungen nicht mehr so leicht, zu verstehen, aus welcher Wirklichkeit heraus er gelebt hat, dass es nämlich nur die Wahrheit war. Er hat jedoch vorsorglich ausdrücklich darauf hingewiesen. Es war und es ist heute noch genauso nichts als die Wahrheit. In ihr „schwingt der Geist“ (Gen 1,2). „Im Geist und in der Wahrheit“ lebt der zu Lebzeiten Wiedergeborene; daraus erfolgt seine Wiedergeburt und es ist die Wiedergeburt des Ewigen selbst an seinem Platz. Diese Art zu leben ist heute genauso möglich und man braucht dazu kein Mönch sein. Aufmerksam sein auf die Wahrheit reicht. Was immer dabei herauskommt, es wird ein Beitrag zur Bewusstheit der Menschheit sein, ein evolutionärer, ein schöpferischer Schritt.
Das ist das Leben im Reich Gottes heute.
Die Transformation der
christlichen Religion
(30. 10. 2001)
Es gibt eine Form des Christentums, die in keinerlei Widerspruch steht zu den anderen Religionen, zu Buddhismus, Islam, Hinduismus, Judentum, Schamanen etc..
Und gleicherweise gibt es eine Form des Islam genauso wie eine Form des Buddhismus, etc. die in keinerlei Widerspruch stehen zur christlichen Religion.
Diese Form jeweils ist die künftige Gestalt dieser Religionen.
Wenn die lokalen Dogmen zuende gedacht sind, werden sie als das erkannt, was sie sind, eben lokale Dogmen, die lokale Färbung der einen Wahrheit. Und diese lokalen Farben sind anderswo natürlich anders. Die Wahrheit ist aber die gleiche, in welche Geschichten und Hüllen sie auch immer gekleidet sein mag.
Die lokalen Dogmen haben ihre Bedeutung, da mit ihrer Hilfe der jeweilige Mythos seine Wirkung tun kann. Aber wenn er seine Wirkung getan hat, ist der Mythos eben das, was er ist, ein Mythos, eine Geschichte, die etwas bedeutet und die eine positiv verzaubernde Wirkung haben kann – die aber, wenn sie nicht verstanden wird, unter Umständen eine sehr destruktive Wirkung hat, wie etwa in den vielen Formen des religiösen Wahns, der viel weiter verbreitet ist, als allgemein angenommen wird, der bei weitem nicht auf die Psychiatrie beschränkt, sondern auch in durchaus geachteten Kreisen anzutreffen ist, denn Wahn ist jeder Aberglaube. So wie früher der Glaube an die Hilfe der Götter als Aberglaube bezeichnet worden ist, so muss auch heute jeder wirkungslose (oder negativ wirkende) Glaube als Aberglaube bezeichnet werden, als Wahn. Wahn ist letzten Endes alles, solange ein Mensch nicht heimgefunden hat zu seinem Ursprung, solange er nicht erkennt und lebt, was die schöpferische Kraft von ihm will – die schöpferische Kraft und nicht irgendein Dogma. Solange das Dogma nicht erkannt ist, lebt der Mensch im Wahn, nämlich in dem Wahn, er wüsste Bescheid. Wer die Kraft erlebt hat, weiß, dass er nie Bescheid wissen wird. Er erkennt seine absolute Geringheit – und gleichzeitig seine Göttlichkeit. Und er versteht den Mythos und alle Menschen in ihren Stärken und Schwächen.
Bei denen, die die Kraft noch nicht erlebt haben, ist der Mythos oder das Dogma ein zum Stillstand gekommenes Bild, ein ursprünglich reiches Bild, das sie aber in einer sehr eingeschränkten Weise verstehen, und mit diesem eingeschränkten Verständnis beurteilen sie nun die ganze Welt – und verstehen daher gar nichts. Da liegt der Grund für das strenge Bilderverbot im Judentum und im Islam. Die sich dessen nicht bewusst sind, urteilen, sie schließen aus, sie meinen, sie wären besser. Welche wahnhaften Folgen das hat, zeigen die religiös motivierten Kriege und Intrigen aller Zeiten. Die größten Gräuel sind schon religiös gerechtfertigt worden und sie werden auch heute noch so gerechtfertigt.
Und doch kann es sein, dass ein Kampf tatsächlich gerechtfertigt ist, weil die Freiheit verteidigt werden muss. Und das wird Opfer unter denen fordern, die unsere Freiheit beschränken wollen, hoffentlich nur geringe. Dieser Kampf erfordert vor allem aber unser eigenes Opfer, unsere vollkommene Hingabe an das Ganze, das von uns aber nur verlangt, dass wir uns von allen starren Bildern, von aller Einbildung lösen. Dadurch werden wir erfüllt von Mitgefühl mit uns selbst und mit unseren Gegnern, mit allen, deren Widerstand überwunden werden muss. Nur mit Mitgefühl kann er überwunden werden, nur durch Mitgefühl kann Harmonie erreicht werden – niemals durch ein vorgegebenes Bild, wie der Moral, Bilder machen nur abhängig von denen, die sie vorschreiben. Mitgefühl dagegen bewirkt Einigung.
Es ist nicht auszudenken, wohin die Reise einer geeinten Menschheit führen kann, einer nicht im Zwang, sondern in der Freiheit geeinten Menschheit, einer Menschheit, in der die gegenseitige Wertschätzung im Zentrum jeden Handelns steht. Natürlich kann da jede Not besiegt werden. Die ganze Menschheit wird zu einem einzigen Organismus, der über sich hinauswächst, aber nicht in Form einer Krebsgeschwulst, wie jetzt teilweise noch, sondern bereits geheilt und stets achtend auf das Gleichgewicht.
Auf das Gleichgewicht achten heißt, den Hunger stillen und den Überfluss absondern und das bedeutet, die schlecht versorgten Regionen aufschließen und besser einbinden und den Überfluss fruchtbringend verteilen. Das wird die (sozialen und die individuellen) Krankheiten der Menschen heilen.
Auf diese Weise wird der heutige Menschheitstraum wahr werden. Wie die Menschen ehedem Unmögliches vollbrachten und die Pyramiden bauten, so werden sie heute den Weltraum erobern, dort auf andere Intelligenzen treffen und mit ihnen zusammen den Prozess der Bewusstheit weiterführen.
Was von Jesus da noch übrig sein wird? Alles. Ja er wird viel besser verstanden werden, wie bisher. Er wird vollkommen verstanden werden. Viele werden sein wie er, auf ihre eigene Weise natürlich. Auch von den „Aliens“. Sie werden ihn kennen und verstehen lernen und wir wieder werden ihre Weisen kennen lernen und von ihnen wieder neu inspiriert werden zu dem noch größeren Bild des Ganzen.
Jesus wird in diesem Prozess gegenwärtig sein und in ihm wird sich alles klären. Aber das Dogma wird erkannt sein und kein Zwang mehr. Es wird daher auch nicht mehr so wichtig sein, weil es eben nur eine von so vielen möglichen Perspektiven ist und weil es so viele andere Wege auch noch gibt.
Die Formen der christlichen Religion mögen sich vielleicht gar nicht allzu sehr verändern. Aber wenn das Verständnis da ist, werden sie sich anpassen an die heutige Gestalt, die ich eben dargestellt habe.
Der Wahrheit folgen heißt aber auch erkennen – und das sollte eine Warnung sein: Alle, die ich verachte, deren Schicksal muss ich erfahren, damit ich sie nicht mehr verachte, sondern damit ich sehe und verstehe. Das ist die Intention unserer Natur, unser natürliches inneres Entwicklungs- oder Lern-Programm, das oberste Programm unserer Sehnsucht. Es erzeugt unter Umständen Krankheiten und Leiden, denn es treibt uns in Richtung Mitgefühl. Erst wenn das Mitgefühl vollkommen erwacht ist, ist das Leiden nicht mehr nötig, dann lebt „der Christus“ in mir, der Heiler. Er ist (immer schon) meine innerste Natur, zunächst aber unerkannt. Dann aber führt mich meine Sehnsucht zu meiner Natur, zu mir selbst. Die Sehnsucht ist das Selbstfindungsprogramm der Natur. Es wirkt universell. Es verfügt über alle mögliche Information und es bewirkt (im Außen) die erstaunlichen „Zufälle“, die uns auf unserem Weg führen.
Wir müssen aber erst lernen, auf diese Führung zu vertrauen und sie unterscheiden lernen von den Stimmen der Verführer, die uns vom Ganzen ablenken. Diese Unterscheidung lernen wir, indem wir sämtliche inneren Stimmen vor uns erscheinen lassen und sie betrachten und fühlen, wie sie sich anfühlen, was sie bewirken, wie sie uns möglicherweise verändern. Dann werden wir wissen, was das Beste für uns ist. Dann werden wir die Führung entdecken in uns und in den „Zu-Fällen“ unseres Lebens.
Solange wir uns selbst zensurieren, können wir die Stimmen nicht klar unterscheiden, weil wir uns selbst im Fühlen behindern, indem wir genuine Teile von vornherein ausschließen. Selbst wenn es kriminelle Neigungen wären, dürften wir sie nicht aus unserem Bewusstsein ausschließen – oder es könnte sich bitter rächen in einem Augenblick der Unachtsamkeit. Wenn wir sie uns aber zum Bewusstsein kommen lassen, und uns in sie einfühlen, werden wir schnell entdecken, ob sie sich wirklich gut anfühlen oder ob sie nur wieder eine von unseren Illusionen waren. Unsere Natur führt uns schon und zwar zu dem, was uns fördert und sie lenkt uns von dem ab, was uns schadet. Wenn wir aber Dinge leugnen, kann die Führung nicht wirken. Das oberste Gebot ist daher Ehrlichkeit, Treue zur Wahrheit, jedenfalls uns selbst gegenüber. Daraus entsteht die innere Führung und sie wird mit der Zeit immer klarer, umso weiter wir unsere Dunkelheit aufklären, unsere Tabus, unsere Unberührbarkeiten, unsere Schwächen. Wir brauchen nur achten auf das, was ist. Dann wird sich alles klären.
Was immer dafür nötig sein mag, damit wir uns selbst zur Ehrlichkeit anhalten, müssen wir einsetzen und wenn es irgendwelche regelmäßigen Rituale wären, denen wir uns unterziehen. Es wird aber Teil unserer Ehrlichkeit sein, diese Mittel als Mittel zu identifizieren und ihnen keinen Absolutheitsanspruch zuzugestehen, denn es gibt immer auch andere Wege – für andere. Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Die Wahrheit ist das Ziel und sonst nichts. Alles andere sind Mittel, von denen aber die einen für die einen und die anderen für die anderen geeignet sind. Kein Mittel darf irgendjemand aufgezwungen werden. Sie alle müssen ein freies Angebot sein und bleiben. Das bedeutet „Religionsfreiheit“.
Staaten, die ihren Bürgern ihre Religion vorschreiben, müssen daher damit aufhören. Auch in islamischen Staaten muss die volle freie Religionsausübung (natürlich einschließlich Werbung) für die Angehörigen aller anderen Religionen garantiert werden und zwar für alle ihrer Varianten – auch für alternative Formen ihrer eigenen Religion (z.B. Sufis aller Schattierungen und auch individuelle Formen).
Aber auch in unserem Geist müssen wir alle diese Formen zulassen, sie fühlen, dann werden wir sehen, was davon für uns taugt.
Zulassen macht aber zunächst oft Angst. Etwas Neues, Unbekanntes kommt auf uns zu und wir wissen noch nicht, was es mit uns machen wird. Diese Angst ist normal. Sie verschwindet, indem wir etwas kennen lernen. So geht der Weg. Mit der Zeit lernen wir uns besser kennen, gerade im Umgang mit dem immer Neuen. Das ist der Weg zum Fühlen, d.h. zum tiefen Wahrnehmen dessen, was ist. Die Wahrheit führt notwendig zum Mitgefühl. Und danach sind die Formen nicht mehr wichtig – obwohl es gut sein kann, dass wir unser Leben der Weitergabe der Formen widmen, die uns in die Freiheit (also zur Wahrheit) geführt haben, sei das eine traditionelle oder sei es eine moderne Form oder überhaupt eine persönliche Entdeckung.
In dem, was ich hier gesagt habe, scheint von einer christlichen Form nicht viel übrig – und doch ist die ganze Form pur christlich, die christliche Urform. Die Form, die Jesus verkörpert hat, wofür er gelebt hat und wofür er gestorben ist. Genau das hat ihm Unsterblichkeit verliehen auch nach außen hin. Genau von dieser Form spreche ich, es ist die (unendlich variable) Form der Wahrheit. Sie kann nur in Freiheit existieren, zur Not in einer inneren Freiheit. Doch die äußere Freiheit sollte nicht fehlen. Wenn sie aber doch fehlt, ist das eben unsere Herausforderung. Jesus ist ihr nicht ausgewichen und wir brauchen es auch nicht. Die der Wahrheit folgen, werden überleben. In unseren Zeiten und in unserer Kultur fehlt diese äußere Freiheit ohnehin nicht. Daher sollte es uns umso leichter fallen, unsere Freiheit zu entdecken. In unserer Freiheit erscheint „der Christus“ oder auch „der Vater“, jedenfalls eine klare innere Führung und Unterstützung auch von außen.
Die Wirklichkeit verbeugt sich vor der Wahrheit. Das ist ein Naturgesetz. Natürlich gibt es auch den Widersacher, also die Kraft, die sich gegen die Wahrheit stellt und sie wird aktiv, indem wir mit der Wahrheit aktiv werden, trotzdem bleibt das Überwiegen der Unterstützung deutlich spürbar. Sie ist immer stärker als der Widersacher. Das ist bei allen so, die sich der Wahrheit verschrieben haben. Die schöpferische Kraft überwiegt und durchschaut die opponierenden Kräfte. Das ist Bibel und Urchristentum pur.
Die historisch entstandenen Formen sind nicht mehr so wichtig, nachdem das erkannt ist. Sie mögen zwar für manche wichtig sein und bleiben, aber die, denen sie wirklich wichtig sind, werden das nicht zum Anlass nehmen, andere, denen diese Formen nicht so wichtig sind, auszuschließen. Eine Hilfe darf nicht zum Hindernis werden, so wie das in vielen gegenwärtigen (auch christlichen) Ambientes – noch – der Fall ist.
Im Grund geht es um Heilung. Und sie liegt allein in der Wahrheit. Dahin transformiert [auch] die christliche Religion – zurück zum Ursprung.
Das Erfolgsrezept
(9. 11. 2001)
Tun, was nötig ist. Das ist das ganze Geheimnis des Erfolgs und möglich wird das, indem wir die Dinge einfach sofort erledigen ohne Zögern. Dann staut sich nichts an. Und das, was sich doch anstaut [wie jeder Hunger oder jeder Drang zur Notdurft, der unvermeidlich irgendwann wiederkommt], wird irgendwann ganz klar anstehen als Priorität eins und dann ist es so weit, es zu erledigen, aber nicht früher. Wenn es Spaß macht oder wenn es drängt, ist der richtige Zeitpunkt. (Leute, die sich die Dinge über den Kopf haben wachsen lassen, müssen allerdings zuerst einiges Gestrüpp entfernen, bevor sie ihre Lage überblicken können, doch von da an gilt das hier Gesagte auch für sie.) Das zu wissen spart ungeheuer viel Energie, weil der Wunsch nach Erledigung doch die notwendige Energie erzeugt. Es ist kein künstlicher Krafteinsatz nötig. Wir müssen nur auf das laufende Energie-„Band“ aufspringen und schon geht es von selbst.
Dadurch entsteht mit minimalem Aufwand ein erfolgreiches Leben.
Die Dinge sofort erledigen heißt natürlich, sich eine Liste von den Dingen machen, die erledigt werden müssen in der Priorität ihrer entsprechenden Dringlichkeit. Eine Art Bilanz ist angesagt. Und außerdem eine Zukunftsprojektion, eine „Vision“. Was soll herauskommen bei dem Ganzen? Wohin soll die Reise unseres Lebens führen?
So werden immer tiefere Schichten unseres Wünschens erfühlbar und erfüllbar. Und die Erfüllung wird den Grad unserer Meisterschaft anzeigen. Der Erfolg wird sich zeigen. Und jeder Misserfolg wird uns zeigen, in welchen Bereichen unser Fühlen noch nicht tief genug geht.
„Er demütigt sich selbst zum geeigneten Mittel”, heißt es im I Ching. Um tun zu können, was nötig ist, müssen wir uns zunächst (wie wir zunächst [fälschlich] meinen könnten) „demütigen“, heruntersteigen von unserem hohen Ross und der Einbildung wir hätten einen Anspruch auf irgendetwas. Erst wenn wir das nicht mehr glauben, erst in der Kapitulation können wir erkennen, was wirklich nötig ist. Und dann können wir es auch tun.
Unser Entschluss zur Bewusstheit wird uns wach halten. Erfolg ist garantiert. Nicht nur geschäftlich, sondern auch privat.
Der Einstiegspunkt in diese Art zu leben ist ein Prozess der Ernüchterung, der in eine vollkommene Aufgabe aller Eigenmächtigkeit mündet. Die Sucht, vor der wir kapitulieren, heißt Überheblichkeit. Sobald wir unsere eigene Überheblichkeit sehen können, können wir die Überheblichkeit überall erkennen, aber wir verurteilen sie jetzt nicht mehr, sondern wir verstehen sie als ein Leiden – weil die Sucht nach Überheblichkeit letzten Endes ja nie befriedigt werden kann, sie führt daher in eine permanente Frustration. Aber indem wir die Überheblichkeit nach unserer Kapitulation überall sehen und sogar tolerieren können, können wir sie auch benützen und das ist von unschätzbarem Wert. Wir können dadurch auch von den weiterhin Überheblichen größtmögliche Unterstützung in dem bekommen, was wir tun. Nicht gerade durch Erpressung, aber doch durch den deutlichen Hinweis darauf, dass unser Tun dem Ihren mindestens gleichwertig ist. Die unbewusst Hochmütigen
werden erkennen, dass sie durchschaut sind und daher werden sie kooperieren.
Kapitulation ist ein Akt vollkommenen Vertrauens. Es ist das Vertrauen darauf, dass wir von Natur aus gut genug konstruiert sind, um in uns unseren besten Lebenskurses zu entdecken. Schließlich haben die Ameisen keine Bücher, und wissen doch genau, was sie zu tun haben. Warum sollten die Menschen das also nicht genauso genau und unmittelbar erkennen können.
Was auf die Wiederkehr des Vertrauens folgt, ist der Test, ob dieses Vertrauen wirklich gerechtfertigt ist. Und dieser Test wird unfehlbar positiv ausfallen für alle, die sich selbst gegenüber ehrlich sind. Natürlich werden wir anerkennen müssen, dass eine gewisse [unter Umständen sogar eine große] Anzahl von Fehlschlägen völlig normal ist. Wir sind ja schließlich nicht allmächtig, sondern eben begrenzt und außerdem gehören zur Erfüllung eines Wunsches immer zwei und wenn der andere nicht will, gibt es keinen Weg. Wir müssen uns einfach noch einmal auf den Weg machen – so wie die Apostel es taten, als sie nach erfolglos durchfischter Nacht noch einmal die Netze auswarfen, weil Jesus es ihnen empfohlen hatte. Das ist die richtige Einstellung für den Erfolg.
Wer nach einem Misserfolg sich selbst bedauert, verschwendet seine Energie und behindert sich gleichzeitig suggestiv. Also Schluss mit dem Selbstmitleid. Wir müssen unsere Lage einfach realistisch sehen, das sehen, was not-wendig ist, was die Not wendet, was also tatsächlich hilft. Wir müssen schon unsere ganze Energie einsetzen, um die Not zu wenden. Das ist ja klar. Wir müssen uns konzentrieren bei dem, was wir tun und prüfen, ob unsere Mittel reichen für einen Erfolg. Sonst sparen wir uns unsere Energie besser. Aber wenn wir die Energie eingesetzt haben und Misserfolg ernten, wird uns das auf keinen Fall entmutigen, denn wir wissen inzwischen ja, das ein gewisser Prozentsatz an Fehlschlägen völlig unvermeidlich ist. Es ist außerdem unser Lehrgeld. An den Fehlschlägen lernen wir, wo unsere Mittel ungenügend waren oder wo einfach eine Inkompatibilität bestand. Auch da gibt es keine Bewertung, wir stellen das Nichtpassen einfach fest und wenden uns dem Nächsten zu. Und wenn unsere Mittel ungenügend waren, prüfen wir, ob wir mehr investieren möchten und was wir zu bieten haben. Und dann treffen wir unsere Entscheidung. Die ist dann natürlich durchzuführen – oder, wenn sie nicht durchgeführt wird, ist erneut zu prüfen, was im Wege steht. Und so werden die eigenen Schwächen und die Stärken sehr schnell erkannt und natürlich für den Erfolg nutzbar.
Eventuell störende Gefühle müssen bewusst durchleuchtet werden, damit wir sehen, ob es sich um echte Warnungen handelt oder nur um einen unerledigten Rest aus der Vergangenheit, der eben jetzt erledigt werden muss, wo er auftaucht. So wird das Dunkel in unserem Leben immer geringer und unsere Kraft immer umfassender.
Natürlich darf auch das sofort-Erledigen nicht zu einer Manie werden. Wir brauchen ja (für einen fühlenden Menschen selbstverständlich) auch Rekreation (samt Leerlaufbewegungen), Erholung – und vor allem immer Entspannung [also auch während einer Erledigung], so gut es eben geht. Wir finden sie, indem wir immer wieder zurückkehren in jenen Zustand der Entspannung, der im Augenblick der ersten und bei jeder darauf folgenden Kapitulation da war. In diese Leere des „Ich“ dringt dann ja die kosmische Energie ein, vor der wir kapituliert haben. Mit dieser Energie, die ohnehin unsere eigene Lebenskraft ist, sind wir unschlagbar – werden wir unschlagbar, denn es ist ein langwieriger Prozess, der Prozess, in dem wir unser Ich (= unser Bild von der Welt) loslassen und uns dem All ergeben – und dabei unser wahres (natürliches) Ich entdecken, das wir fortan verkörpern.
Damit ist der Weg des Erfolgs gleichzeitig auch ein spiritueller Weg, ja der höchstmögliche spirituelle Weg, weil er in immer tiefere Bewusstheit führt.
Selbstverständlich müssen wir uns fragen, was für uns ganz persönlich Erfolg wäre, was wirklich ein Erfolg wäre, was uns unserem Glück tatsächlich näher brächte. Und eine Antwort auf diese Frage wird zunächst gar nicht so leicht sein, weil unser Ausgangspunkt ja immer ein Zustand voller Illusionen ist. Erfolg ist für uns ja auch gesellschaftlich bewertet. Wir bekommen von Haus aus ein gewisses Bild von dem mit, was Erfolg sein soll. Tatsächlich ist Erfolg für uns aber möglicherweise etwas ganz anderes, daher müssen wir uns erst lösen von unseren (privaten und gesellschaftlichen) Vorstellungen und uns einfühlen in unsere ganz persönliche Sehnsucht. Also was ist unser Traum? Und indem wir Schritte darauf zu machen, entdecken wir unsere Illusionen, teils über die Schwierigkeiten des Weges, teils, weil sich auch unsere Sicht des Zieles durch unsere Erfahrung verändert. Der Traum muss also präziser werden. Enttäuschungen sind normal auf diesem Weg zur Bewusstheit, denn nur durch Enttäuschungen werden wir unsere Täuschungen los. Das ist zwar schmerzhaft, aber unvermeidlich und daher kein Grund zur Klage. Eher ist Dankbarkeit angebracht.
Daher ist das Vermitteln der nötigen Enttäuschungen auch ein wesentlicher Teil der Arbeit eines spirituellen Lehrers, neben dem Hinführen zur Vision – und damit zur Energie.
Ein Glück sind Enttäuschungen natürlich nur für die, die daraus lernen – so langsam dieses Lernen auch gehen mag, denn manchmal gibt es auch Stagnationen. Auch das ist normal. Irgendwann wird das Problem dann aber so dringend, dass wir uns gezwungen sehen, etwas zu tun. Und dann tun wir das, was notwendig ist. Das ist das Erfolgsrezept. So einfach, so schwierig und so effektiv.
Merken brauchst du dir nur eines: ehrlich sein. Das reicht, alles andere kommt von selbst.
Was ist Religion – was ist Therapie – was sind
Übergangsrituale?
14. 1. 2002
Religion ist der Weg zum normalen Leben.
Das gewöhnliche Leben der meisten Menschen ist kein normales Leben, weil es geprägt ist durch innere Brüche.
In der christlich-jüdischen Tradition werden diese Brüche auf den Sündenfall im Paradies zurückgeführt. Da heißt es, der erste Bruch sei entstanden, als die Menschen ihr eigenes Urteil an die Stelle der Weisung durch „Gott“ setzten, also ihrem inneren Sehen.
Alle Religionen aller Kulturen sind Versuche, diese Brüche zu heilen und dadurch zur unmittelbaren Wahrnehmung zurückzukehren.
Bildlich-schematisch ließe sich der Prozess etwa so darstellen:
Unser Leben, konkretisiert durch unseren Körper, ist vergleichbar mit einer gewachsenen Schicht, in der es durch gewisse seismische Erschütterungen (Schocks) tektonische Verschiebungen gegeben hat, durch die die Wahrnehmung nicht mehr den direkten Weg nehmen kann, sondern mehrfach gebrochen ist – und darüber hinaus sind diese Brechungen kompensiert durch das, was die Inder Maya nennen, also durch Vorstellungen, durch Illusionen, durch Denkmuster.
Anders ausgedrückt, gewisse Bilder der Realität aus der Vergangenheit haben sich bleibend in uns festgesetzt, also eingeprägt, was dazu führt, dass wir die Gegenwart in manchen Zusammenhängen so wahrnehmen, als lebten wir immer noch in jener prägenden Situation der Vergangenheit. Da die real gegenwärtige Situation aber nur gewisse Anklänge an jene früher erlebte Situation enthält, die nämlich das Interpretationsmuster der Vergangenheit auslösen, sich im übrigen aber von der vergangenen Situation unterscheidet, können wir auf die gegenwärtige Situation nicht adäquat reagieren. Das können wir aber wegen der die Wahrnehmung überlagernden Prägung nicht wahrnehmen. Stattdessen verstricken wir uns in Rationalisierungen, die auch noch die Tatsache der Unangemessenheit unserer Reaktion vor unserm Bewusstsein verbergen. Wir wundern uns nur darüber, dass unser Handeln nicht den gewünschten Effekt hat – und beginnen daraufhin, auch noch unsere Frustration zu kompensieren, indem wir unseren gut/schlecht-Listen frönen, also uns etwas (eine vermeintliche „Belohnung“) holen, was im Moment gar nicht passt oder etwas verweigern, was im Moment aber richtig wäre. So entsteht der Teufelkreis, der sich in dem, was wir als „normales Leben“ zu kennen glauben in vieler Hinsicht immer wiederholt, bis wir daran am Ende sogar zugrunde gehen. Klar, dass das kein normales Leben ist, sondern eben nur das gewohnte Leben.
Heutzutage gibt es verschieden Wege, die uns helfen können, zu einem normalen Leben zurückzufinden: Psychotherapie, Hypnose, Bioenergetik, Tai chi, Tanzen, Meditation, Yoga, Visualisationen und andere Formen der ganzheitlichen Durchdringungen unseres Seins.
Aus diesem Grund können uns diese Wege helfen, die tektonischen Verschiebungen in unserem Inneren zu überbrücken oder sogar rückgängig zu machen, damit der ursprüngliche Fluss unserer Wahrnehmung und der Reaktion unseres Organismus darauf wiederhergestellt wird.
Der traditionelle Weg da hin ist der Weg der Religion und in ihr der Weg der Initiation. Es ist ein radikaler Weg. Die Initiation hatte von je her ihren angestammten Platz in den Übergangsritualen. Die weisen Alten bereiteten die Jugendlichen vor auf das selbstverantwortete Leben als Erwachsene. Sie zeigten ihnen, wie sie trotz der erlittenen Schocks und Verletzungen, die natürlich auch in ihnen jene verhängnisvollen Brüche erzeugt hatten, den einzig rettenden Weg finden konnten, nämlich den Weg zur unmittelbaren Wahrnehmung.
[Von der ursprünglichen Erkenntnis dieses Weges leiten heutige Sekten, die diesen Weg überhaupt nicht mehr verstehen, ihre dogmatische Idee ab, durch das Fürwahrhalten gewisser „Glaubenswahrheiten“, wären sie „gerettet“ (im Englischen „saved“). Die Anhänger dieser Sekten finden durch die Annahme dieser „Wahrheiten“ aber nicht zur unmittelbaren Wahrnehmung, sondern (wie die Gegenspieler Jesu, die Pharisäer) nur zu größerer Eingebildetheit, also zu neuen Kompensationen. Das hier Gesagte gilt nicht nur für christliche, sondern auch für islamische Sekten und für gewisse Sekten aller anderen Religionen und auch für manche Traditionen der sogenannten Naturreligionen.]
Die Initianden jeder ursprünglichen Tradition wurden (gut vorbereitet) in eine für den Verstand und für alle Erfahrung unlösbare, lebensgefährliche Situation geschickt. Sie hatten keine Wahl. Sie mussten ihre inneren Brüche überbrücken und dazu eine verbündete Kraft finden, die das leisten konnte (und die sie auch später immer dann herbeirufen konnten, wenn sie diese Hilfe brauchten). Die Verbündeten, die sie fanden, waren „Hilfsgeister“ der verschiedensten Ordnungen, vom Tiergeist über die Elementargeister bis hinauf zu jenem „Geist“, aus dem die ganze Welt hervorgegangen ist.
[Grundsätzlich ist „Geist“ eine Art Bild-Funktion des Ganzen als eine innere Wahrnehmung, immer die genaue Antwort auf die Situation aus der Sicht des Ganzen. Dieser Geist drückt sich Symbolen aus, so eben auch in der Symbolik der Elementargeister oder in der anderer Archetypen. Und im nächsten Schritt zeigt der Geist den konkreten nächsten Schritt.
Geist zeigt immer die größere Synthese, die Lösung, die ein Mensch in seiner Froschperspektive nicht wahrnehmen kann. Deshalb ist Geist für das „Ego“ nicht wahrnehmbar. Ein normaler, d.h. ein vollkommen ehrlicher Mensch aber, steht immer in Verbindung mit dem Geist, denn so ein Mensch sieht ja die Begrenzungen der Froschperspektive und durch den Geist kann er sie überschreiten.]
Der „Name“ des Geists des Ganzen ist selbstverständlich, wie die Bibel und auch Lao-tse es verlangen, unaussprechlich. Aus diesem Grund führen die Buddhisten alles auf das Nichts zurück, im Grund eben auch auf so etwas wie den „Geist“ des Nichts, dem das All entspringt, auch wenn sie jenes durch ihre „Beschwörung“ (ihre Meditation) eintretende Nicht-Ich, aus dem die Antwort auf die Not kommt, eben auch nicht benennen und wenn doch, dann höchstens als „Leere“ [wie im „Hanya shin gyo“] – übrigens genau entsprechend der Symbolik der physischen Leere der Kaaba in Mekka.
Auch die Tiergeister der „Naturvölker“ erscheinen nur im Nicht-Ich. [Wenn nötig erscheinen nicht nur Tier-Geister, sondern wirkliche Tiere oder Menschen oder Situationen etc.] Sobald das wissende (aber durch seine Froschperspektive beschränkte) Ich ausgeschaltet ist, wirkt der Geist des Ganzen, indem er die „Bilder“ [oder sogar physischen Wirklichkeiten] zeigt, die die Gefahren der gegenwärtigen Situation überbrücken. So erscheint aus dem Ganzen ein (vielleicht lokaler) Verbündeter, aber jedenfalls einfach eine andere Kraft, eine Nicht-Ich-Kraft. Und durch die können wir die Kluft überbrücken.
Allerdings ist das Wort „Kraft“ schon zu viel. Durch „irgendetwas Anderes“ bekommen wir Antwort. Die Initiation bringt die Menschen in Kontakt mit diesem unnennbaren Anderen und mit dessen Antwort.
Es ist allen Beteiligten (vielleicht unausgesprochen aber doch) vollkommen klar, dass die Perspektive, die aus diesem Anderen uns zukommt, die Perspektive des Ganzen ist. Die Initianden verlassen also ihre gewohnte (beschränkte) Welt und sie öffnen sich dem All – und von da kommt die Lösung. Sie öffnen sich jener Sphäre, die ein Individuum seiner Froschperspektive enthebt, die den Orientierungslosen gewissermaßen an eine Art Satellitennavigation anschließt.
Auf dem Weg zwischen der beschränkten und daher tödlichen Frosch-Perspektive des Individuums und der letzten Endes rettenden Perspektive des Alls liegen grauenhafte Gefahren. In der Perspektive des Alls ist das Individuum ja nicht mehr als solches existent. Verständlicherweise macht diese Aussicht zunächst extreme Angst. Ja sollen wir denn in unserem eigenen Leben gar nichts mehr zu reden haben wenn wir doch immer dem Geist folgen müssen? Und diese Angst begleitet uns und sie nimmt unzählige Formen an: die gefährlichen Monster des Initiationsweges [von der neunköpfigen Schlange, über Skylla und Karybdis bis zu den Zauberspiegeln Klingsors und darüber hinaus].
Jene Schocks, die die tektonischen Verschiebungen in uns ausgelöst haben, waren ja real. Und die Kräfte, die sie ausgelöst haben, sind immer noch da. Sie sind keine Einbildung, und sie können uns augenblicklich auslöschen, wenn das unser Schicksal sein soll. Auf uns allein gestellt, können wir gegen sie nicht bestehen.
Um diesen Gefahren nicht zu erliegen, brauchen wir ein unbrüchliches Vertrauen darauf, dass das Leben so eingerichtet ist, dass Hilfe kommt, wenn wir sie brauchen, auch wenn alles dagegen spricht. Davon, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist, sprechen die weisen Alten, die die Jungen in dieses Ritual einführen. Sie sind der lebendige Beweis dafür, dass sie die Wahrheit sagen.
Sie leben aus einem Wissen heraus, das gewöhnlich, d.h. bei den meisten Menschen in unserer initiationslosen Kultur, durch die Barrieren verborgen ist, die von den erlittenen Schocks ausgelöst worden sind und die durch die Initiation überwunden werden sollen. „Die Alten“ der initiatorischen Stämme und auch Menschen bei uns leben ein Leben, nach dem sich alle Gebrochenen sehnen, ein wirklich normales Leben. Die Sehnsucht danach ist bei allen vorhanden. Sie ist der Antrieb zur Suche nach diesem normalen Leben, nach dem direkten Weg, nach Heilung.
Die Gebrochenen wundern sich oft über das, was den Geheilten möglich ist. Sie glauben oft, das Außergewöhnliche, das sie an diesen beobachten, wäre das, worauf es ankommt. Dieser Glaube kommt aus dem Kompensationssystem, das sie aufgebaut haben, sie wollen ja gut sein und nicht nur das Gewöhnliche, sondern auch das Außergewöhnliche meistern. Das normale Leben erscheint ihnen oft gar nicht erstrebenswert.
Sie forschen mit den Kriterien dieses Kompensationssystems. Und so sind sie fasziniert von Leistung, und damit von allem Außerordentlichen, wie etwa wenn ein Yogi sich für ein Jahr in einem Sarg begraben lassen kann und dann wieder zum Leben erwacht. Aber gewisse Frösche in afrikanischen Wüsten können das besser: Sie erwachen nach vielen Jahren vollkommener Trockenheit immer noch zum Leben, wenn plötzlich wieder Wasser kommt. Und Castanedas Don Juan spricht von den unglaublichen Praktiken mancher Zauberer früherer Generationen, die in die Welt irgendwelcher Elementargeister überwechseln und so hunderte von Jahren leben konnten – aber eben als Gefangene ihrer Errungenschaft. Das alles sind zwar spektakuläre geistige Erfahrungen, aber nicht das, worum es geht. Es sind nur so etwas wie spirituelle Zirkusnummern.
Näher an dem, worum es geht, ist eine andere Geschichte Castanedas, in der er von einer Verfolgung durch einen urzeitlichen Tiger erzählt, der fähig war, seine Gedanken zu lesen – und wie er in dieser Erfahrung lernte, sich auf eine Wirklichkeitsebene einzustellen, die jenseits der Gedanken liegt, in der es nur ein unmittelbares Wahrnehmen und Befolgen des idealen Kurses gibt. Näher an der auch dem Alltagsdenken verständlichen Wirklichkeit liegt außerdem die Geschichte des biblischen Gideon, dem es ebenso auf genau diese Weise gelang mit 300 Mann eine Armee von 30.000 vernichtend zu schlagen.
Lao tse sagt dazu nur: Selbst „wer schuldig ist, auf dem Weg [des Tao] wird er entkommen.“ Bei Lao tse spielt sich die Spiritualität im normalen Leben ab und sie bezieht sich nur darauf. Und bei Jesus ist es genauso.
Es geht, wie schon gesagt, darum, die gebrochene Wahrnehmung, die gleichzeitig immer untrennbar verbunden ist mit einer individuellen Froschperspektive, zu überbrücken durch eine Steuerung „von oben“, also durch eine Art Satellitennavigation. Das Prinzip ist einfach: Der Geist der Vereinzelung wird ersetzt durch den Geist des Ganzen. Dialektiker erinnern sich jetzt sicher an Hegels „These, Antithese, Synthese“, aber es ist mehr als das. Der Geist des Ganzen ist mehr als eine Multisynthese und nichts intellektuell Herstellbares. Er übersteigt den Schatz jeder Erfahrung. Er entstammt einer ganz anderen Sphäre, der Sphäre der direkten Wahrnehmung, nicht der Schlussfolgerung.
Die Initiation der Naturvölker bietet einen Zugang zum Geist des Ganzen. Die Initiation ist ein Ergebnis der Verbindung zum Geist des Ganzen. Der Geist des Ganzen hat sie geboten. In den Zeiten nach den Stammeskulturen haben sich neue, kulturübergreifende Formen der Initiation entwickelt. Schließlich aber sind die Riten vielfach erstarrt. Die völlig veränderten sozialen Bedingungen in der industriellen Gesellschaft haben viele der alten Initiationswege ihrer Bedeutung beraubt. Das, was in der Initiation geschieht aber ist dadurch nicht beseitigt worden, denn es ist lebensnotwendig.
In unserer initiationslosen Kultur läuft der alte Prozess der Initiation nun nicht mehr kollektiv gesteuert, sondern schicksalhaft individuell ab: Schwere Krankheit, Schicksalsschläge, besondere Umstände des Lebens lösen den Suchprozess aus. Dazu kommen jene scheinbar zufälligen, der bleibenden direkten Wahrnehmung vorausgehenden vorübergehenden Erlebnisse der Einheit. Das sind die berühmten „spirituellen Erlebnisse“, „peak experiences“, mystische Erlebnisse. Früher wurde oft von „Verzückung“ gesprochen, weil diese Erlebnissen oft von unerklärlichen körperlichen Zuckungen begleitet sind. Natürlich haben diese Zuckungen damit zu tun, dass die tektonischen Verschiebungen in Bewegung geraten – ähnlich den Zuckungen der Erdkruste in den Erdbeben. Nicht selten geschieht es daher, dass Menschen durch solche Erlebnisse nicht zurechtgerückt, sondern (zunächst anscheinend) vollends verrückt werden. Viele der psychiatrischen Patienten hatten genau solche Erlebnisse der ruckartigen Bewegung ihrer tektonischen Schichten. Die ganze bekannte Welt ist dadurch für sie verrückt worden. Sie erkennen sie und sich selbst nicht wieder. Und die neue Position, in der die Schichten wieder zur Ruhe gekommen sind, ist weder die gewohnte noch die ursprüngliche. Sie stimmt mit den bekannten Kriterien nicht überein. Es würde weitere Verrückungen brauchen, damit die Wahrnehmung, die dann zustande kommt, wieder kommunizierbar wird, sodass andere sie wiedererkennen können. Da dieser Prozess in der medizinischen Wissenschaft aber nicht bekannt ist, wird er einfach als „Störung“ betrachtet und behandelt (also nicht in Richtung Auflösung, sondern nur wieder kompensatorisch).
Seit dieser Prozess zumindest in spirituellen, aber auch in manchen therapeutischen Kreisen bekannt geworden ist, gibt es überall auf der Welt Bemühungen, auf diese Verrückungen spezifisch zu reagieren.
In der Spanne zwischen der natürlichen Gewachsenheit, in der der ursprüngliche Fluss der Wahrnehmung ungebrochen ist und der ursprünglichen Ver-Rücktheit, die durch jene Schocks ausgelöst worden ist, und die zu den erwähnten psychisch-tektonischen Verschiebungen geführt hat, liegen die Heilungs-Wege, die eingeschlagen worden sind.
Ursprünglich, wie gesagt, waren es die Initiationswege und im Erwachsenenalter dann die schamanischen Heilungsrituale, durch die die tektonischen Verschiebungen wieder zurechtgerückt oder überbrückt wurden. Aber auch die modernen Therapieformen sind diesen Verrückungen auf der Spur.
Die heutigen Entspannungstechniken etwa gehen davon aus, dass ein entspannter Körper zu einer ungebrochenen Wahrnehmung fähig ist und daher aus sich heraus und von selbst sämtliche notwendigen Selbstheilungskräfte mobilisiert. Das ist das Grundkonzept der Hypnose-Therapie. Die Wiederherstellung der Ganzheit, eine Aufhebung der Verschiebungen durch Entspannung. Durch Entspannung ist sehr viel möglich. Wenn jedoch gleichzeitig, wie das meistens der Fall ist, geistige Konzepte der ver-rückten Welt festgehalten werden (und das ist deshalb fast unvermeidlich, weil die Entspannungszustände spätestens dann aufhören, wenn die Pflichten des Alltags wieder rufen, in denen die Brüche und Verrückungen ja als „normal“ gelten, weil es fast niemand gibt, der sie nicht hat), ist die Wirkung der Entspannung nur sehr beschränkt. – Es sei denn, jemand benützt sie wirklich als ein Instrument, sich selbst kennenzulernen.
Heutige Therapie weiß daher auch von einem habituellen Charakterpanzer, der eben auf jenen Vernarbungen der Brüche beruht, die aus den ursprünglichen Verletzungen entstanden sind. Hier setzt die Bioenergetik an. Sie treibt die Anspannung an jenen Punkt, an dem die seismischen Wellen zu laufen beginnen – in der Hoffnung, dass die tektonischen Platten auf diese Weise an ihren Ausgangspunkt zurückkehren und dadurch eine durchgehende Wahrnehmung wieder ermöglicht wird. Die Bioenergetik ist vor allem dadurch beschränkt, dass den meisten ihrer Therapeuten dieses, ihr eigenes Funktionsprinzip nicht ausreichend bewusst ist. Außerdem natürlich in der Angst der Klienten vor dem zu erwarteten inneren Erdbeben. Trotzdem sind mit dieser Methode große Erfolge erzielt worden. Das innere System kann damit durchlässiger werden.
Die Erfolge der Psychoanalyse und der darauf aufbauenden analytischen Techniken beruhen auf der Bedeutung der geistigen Kongruität. Indem innere Widersprüche aufgeklärt werden, blockierende Ängste etwa auf Ursprungssituationen zurückgeführt und damit verstehbar gemacht werden, sind anfänglich ähnliche erdbebenartige Veränderungen geschehen. Heute werden mit der Methode allerdings vor allem die Kanten der inneren Brüche abgerundet. Die Wahrnehmung fließt dann zwar immer noch über mehrere Ecken und nicht direkt, aber etwas glatter. Dass die Brüche heute nur noch in den seltensten Fällen zurückgebildet werden, liegt vor allem daran, dass ein neues geistiges System, nämlich ein Erklärungsschema über die Wirklichkeit gestülpt wird, nämlich jenes psychoanalytische, intellektuelle Schema. Die Erschütterungen, die durch die analytischen Erkenntnisse ausgelöst werden, werden genau durch dieses Schema gebremst. Außerdem wird die auf die Verletzung folgende Vernarbung nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. Schließlich aber bleiben auch weitere entscheidende Einflüsse unberücksichtigt, beispielsweise die Einflüsse der Ahnen und der Familien(system-)konstellation.
Die Einflüsse der Familienkonstellation demonstriert heute die systemische Therapie und erzielt damit spektakuläre Heilerfolge, die aber insofern auch wieder nur Teilerfolge sind, weil die Aufmerksamkeit gerade auf diese Einflüsse eingeschränkt wird.
Die Einflüsse der Familienkonstellation und der Ahnen fokussiert das Familienstellen nach Hellinger. Indem Hellinger mit seiner Methode eine schamanische Tradition in unsere Kultur importiert, ist er der Ganzheitlichkeit zurzeit wohl am nächsten, insbesondere wo ihm Psychoanalyse und Entspannungstechniken nicht fremd sind. Was im Familienstellen geschieht, ist kein intellektueller Prozess, sondern ein ganzheitliches sich Einfühlen in die personal-geistigen Strömungen, die von den Anfängen der Geschichte herkommend in einem bestimmten Individuum münden und dessen Schicksal formen.
Aus diesen Gründen sind spirituelle Erlebnisse in Zusammenhang mit Familienaufstellungen keine Seltenheit. Die Wirkung ist vergleichbar mit gewissen Drogenerlebnissen, die eine ähnlich tiefe, vielleicht allerdings sogar eine noch tiefere Einsicht ermöglichen. Aber wie diese haben auch jene nur eine vorübergehende Wirkung. Die Tiefe der Einsicht kann nicht aufrechterhalten werden, weil die Gewohnheiten und Zwänge des Alltags die alten Strukturen und Programme großteils reinstallieren. Es braucht also zusätzliche Wege.
Eine ganz andere Art Zugang zur Ganzheit eröffnet sich durch Übungen wie das Tai Chi oder das japanische Gyoki, Castaneda’s Tensegrity oder vergleichbare Praktiken aus anderen Kulturen oder spirituellen Schulen. Auch Feldenkrais gehört hierher. Durch eine fließende Bewegungspraxis wird hier der gebrochene Grund neu aufbereitet – einerseits durch Konzentration der Aufmerksamkeit auf das bereits natürlich Fließende, andererseits durch Graben neuer Bahnen für den durchgehenden Fluss. Es ist klar, dass Jahrzehnte des Übens notwendig sind, um eine ausreichende Komplexität neuer (Wahrnehmungs- und Reaktions-)Bahnen durch die gebrochenen Schichten zu graben. – Aber auch Schamane oder spiritueller Meister wird einer wohl kaum von heute auf morgen.
Wir sehen, dass alle diese Methoden gewisse Bereiche der Brechungen heilen können und dass sie allesamt Schritte sind auf dem Weg der spirituellen Entwicklung, in der ein Mensch letztlich alles einsetzen muss, um nach vielen Jahren der Suche und der Bemühung tatsächlich zur direkten Wahrnehmung zurückzufinden.
Diese Entwicklung setzt, wie schon gesagt, ein mit ersten spontanen Erfahrungen einer anderen (nämlich einer ungebrochenen) Wirklichkeit. Danach folgt (in unserer initiationslosen Kultur) die Suche nach Menschen mit Erfahrung auf diesem Gebiet. Es ist vorteilhaft, sich von Erfahrenen beraten zu lassen. Dann kommt das Erproben verschiedener Methoden und das Sammeln eigener Erfahrungen.
Der spirituelle Weg ist ein Weg des Nichtwissens, daher des Forschens, der Erschütterungen und Zusammenbrüche und dabei ein schrittweises Erkennen einer durch alles hindurch tragenden Kraft und ein immer größer werdendes Vertrauen in diese Kraft und schließlich die dauernde Übergabe des eigenen Schicksals an diese Kraft.
Voraussetzung dafür ist totale Ehrlichkeit. Diejenigen, die diese Ehrlichkeit aufbringen und den ganzen Weg gehen, werden, wenn sie zur Ganzheit zurückgefunden haben, Meister genannt.
In heutiger therapeutischer Sprache ist das, was bei der Initiation geschieht, das Erlernen vollkommener Entspannung bei gleichzeitiger größter Konzentration, also ein Loslassen, ohne den Fluss der Energie zu stoppen. Dabei erscheint gleichsam aus einem Nebel – aus dem Nebel der als Illusion erkannten, zunächst aber als solche angenommenen „Wirklichkeit“, die sich durch die Erschütterungen auflöst – jene Instanz in uns, die jederzeit alles weiß, was für uns von Bedeutung ist. Sie wird zugänglich, wenn die tektonischen Verschiebungen entweder zurückgebildet (etwa durch Bioenergetik oder durch schicksalhafte Erschütterungen) oder durch jene Perspektive des Ganzen (flash-artig oder bleibend) überbrückt sind.
Das treibende Element bei dieser Suchbewegung ist unsere Sehnsucht. Sie ist ein eingebautes biologisches Programm, das uns keine Ruhe lässt, solange wir sie nicht im Ganzen gefunden haben. Sie treibt uns auf den Weg der Suche nach dem direkten Weg, nach einem Leben ohne Ersatz, nach einem Leben in der Wahrheit, in der Unmittelbarkeit.
Die inneren Brüche, die uns der Unmittelbarkeit entreißen, zeigen sich auch als Brüche der zwischenmenschlichen Kommunikation. Extrem gestört ist diese ja in den psychiatrischen oder in kriminellen Phänomenen, aber die Störung ist auch bei den ganz gewöhnlichen Menschen vorhanden, vor allem in den Beziehungen, in denen Unbewusstheit vorherrscht, also überall dort, wo Menschen über ihre Froschperspektive nicht hinauszusehen vermögen.
Die traditionellen Religionen bieten Wege an, heraus aus der Froschperspektive, hin zu einer Perspektive des Ganzen. Gebete und Gottesdienste sind solche Wege, weil es darin ja immer darum geht, das ganze Leben aus der Perspektive des Ganzen zu betrachten. Doch ist die Tradition gleichzeitig auch das Hindernis dafür, dass sich die Perspektive des Ganzen auch einstellt, weil sie selbst wieder einen Partikularismus erzeugt und darüber hinaus noch durch die Gewohnheit und das Brauchtum eingeschränkt wird, eine Art Trägheit, die den radikalen Anspruch der religiösen Ursprünge (nämlich die unmittelbare Wahrnehmung) auf das den Massen Erträgliche reduziert (es nämlich in eine Moral umwandelt, die in das Ich integriert werden kann, wodurch die andere Dimension des Nicht-Ich überflüssig wird [klarerweise sind wir hier am Kernpunkt der Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Pharisäern und dem ewigen Problem der Priesterreligion]) und damit eine Religiosität erzeugt, die mit echter Spiritualität nicht mehr viel zu tun hat.
Der Übergang zwischen der Konzentration auf das eigene Interesse (der Froschperspektive) und der Perspektive des Ganzen, in der die Person des Einzelnen unter Umständen (wie im Beispiel Jesu) vollkommen auf eigene Ansprüche verzichten muss und ohne Aussicht ausgelöscht wird („mein Gott, warum hast du mich verlassen?“) erregt viel Widerstand. Selbstlosigkeit ist eine echt harte Nuss. [Logischerweise meine ich die Selbstlosigkeit, die dem Geist folgt und nicht die, die sich wegwirft, die letztere wird oft mir der ersten verwechselt.]
So regten sich die Existentialisten auf über das „in die Welt geworfen“ Sein, darüber also, dass sie von Anfang an nicht gefragt wurden und am Ende womöglich auch einfach ausgelöscht werden sollen. Es ist das Nichtwissende Aufbegehren gegen die Ordnung der Welt.
Die Menschen wollen nicht ganz weg sein – und dieser Wunsch nach einer Art „ewigem Leben“ prägt die menschheitlichen Vorstellungen von den letzten Dingen, also von einem eventuellen „Leben nach dem Tod“. Etwas anderes als dieses (irdische) Leben können sich die meisten Menschen nur schwer vorstellen, daher sind die meisten Jenseitsbilder so diesseitig. Daher wünschen sie sich eine Art Gemeinschaft der Heiligen, in der sie als die, die sie sind, weiterleben können, nur eben in ausschließlich angenehmer Gesellschaft. Sie selbst könnten ja so bleiben wie sie sind, meinen sie bei dem Gedanken an den Himmel, in den sie gern kommen möchten, wenn nur die anderen anders wären, nämlich durch und durch gut, dann wäre das der Himmel. Logisch, dass das so nicht gehen kann. Doch wie wäre es, wenn wir uns einfach als einen Punkt der Bewusstheit im All sehen würden, der sich schon während des Lebens weitet [letztlich durch die Erkenntnis, dass es so etwas wie „Gute“ oder „Böse“ überhaupt nicht gibt, sondern nur mehr oder weniger bewusste Menschen] und der sich möglicherweise ohne Ende weiter weiten kann – sowohl im Detail als auch im Ganzen, sämtliche Gestalten dazwischen eingeschlossen. Dann bleibt es bei einer Gemeinschaft der Heiligen, nämlich derer, die teilhaben an dieser Ausweitung der Bewusstheit, die sich dabei natürlich auch gegenseitig wahrnehmen und miteinander interagieren – aber mit der Aufmerksamkeit nicht auf dem Verharren, sondern auf das immer weiter vordringen in das All, sowohl im Detail als auch im Ganzen – und dabei immer vertrauter werden mit dem Geist des Ganzen, aus dem alles hervorgegangen ist. Was könnte es Größeres geben?
Und erst eine Einstellung dieser Art kann einem Menschen schon zu Lebzeiten erlauben, die Perspektive des Ganzen zu erfahren. Alles Andere hieße ja, die Froschperspektive in die Ewigkeit übertragen, was natürlich nicht gehen kann. Trotzdem wird genau das ständig versucht, wie sämtliche Gräuel der Religionsgeschichte zeigen. Am Ursprung der Religion aber steht natürlich die Perspektive des Ganzen und zu dieser Perspektive soll sie auch hinführen.
Der Unterschied zwischen Therapie und Religion besteht vor allem darin, dass Religion von Anfang an und zwar bewusst auf die Perspektive des Ganzen hinzielt, während Therapie von der Froschperspektive ausgeht und nach und nach versucht, diese zu erweitern, gewöhnlich aber ohne das Ziel einer Perspektive des Ganzen.
Zu Anfang braucht es Landkarten, um den Weg zu finden, aber sobald sich die eigene, d.h. die ungebrochene Wahrnehmung einstellt, erübrigen sich die Landkarten, die der aktuellen Situation ja nie gerecht werden können. Denn jenseits der Welt der Brüche gibt es ein Leben der direkten Sicht. Da immer noch eine zutreffende Karte finden zu wollen, wäre ein Wahn, eine Verleugnung dessen, was ja schon da ist: die direkte Sicht.
Zunächst aber gibt es die Karten, und mit ihnen die bezeichneten Wege, wie religiöse Praxis, Visualisierungen, Hypnose, Bioenergetik, Tanzen, Psychotherapie, Tai chi etc. etc..
Das Erreichte wird aufrechterhalten durch Umsetzung der Einsicht in die Praxis. Es ist ein langwieriger Prozess des sich Erinnerns. Zuerst gelingt die Erinnerung [an die Perspektive des Ganzen] nur in wenigen Situationen, dann kann das sich Erinnern ausgeweitet werden bis die Perspektive des Ganzen selbst in überwältigenden Situationen (Krankheit, Folter …) nicht verloren geht. Das sich Erinnern ist eine freiwillige Auslöschung des Ich. Ich gehe nicht mehr aus von einem gewissen Selbstverständnis meiner selbst, sondern davon, dass ich eine Funktion des Ganzen bin. Daher tue ich was zu tun ist, nicht von einem Ego-Standpunkt aus, sondern aus der Perspektive des Ganzen.
Vergessen bedeutet Überwältigtwerden von irgendwelchen partikulären Kräften, begleitet immer von einer Form von Paranoia/Größenwahn. Sich Erinnern bedeutet in Kommunikation mit dem Ganzen treten – und das braucht Konzentration. In der Praxis bedeutet das mit einem Ohr auf das Ganze hören und mit dem anderen auf das Geschehen des Augenblicks. Sich immer wieder erinnern ist der Weg, die Intention dazu auch formulieren und wenn nötig, das Ganze innerlich um Hilfe bitten. Die Hilfe kommt unfehlbar. Das ist meine Erfahrung. Die Hilfe scheint nur dann nicht zu kommen, wenn wir etwas Eigenmächtiges wollen, das der Perspektive des Ganzen nicht entspricht.
Sobald die direkte Sicht da ist, zeigt sich, dass ein Leben aus der Sicht des Ganzen ein ganz normales Leben ist. Nichts Außergewöhnliches geschieht. Wunder sind da völlig überflüssig (sonst hätte Jesus wohl vom Kreuz heruntersteigen müssen, wozu ihn einige ja aufgefordert haben sollen). Dass Menschen wie Jesus Wunder gewirkt haben, liegt daran, dass er dieses ganz normale, fühlende Leben geführt hat und dass die anderen das als ganz wunderbar empfanden.
Er war einfach ein Fühlender, ein durch und durch Wahrnehmender. Die Basis dieser Art zu leben ist dies: Der Stoffwechsel bestimmt das Leben des Weisen. Wenn er müde ist, schläft er und wenn er hungrig ist, isst er und er weiß natürlich auch, dass er sich um sein Essen und um sein Dach über dem Kopf kümmern muss. Und er tut es. Die Zengeschichte vom Ochs und seinem Hirten beispielsweise zeigt den ganzen Weg: Am Ende hebt der, der alles gefunden hat, was es zu finden gibt, nicht ab in ein Wolkenkuckucksheim [das nämlich ist in Wirklichkeit, was sich so viele als den „Himmel“ vorstellen], sondern er geht wie schon zu Anfang auf den Markt und er mischt sich unter die Menschen. Natürlich jetzt mit tiefem Verstehen für alles. Er zeigt (nicht weil er etwas zeigen will, sondern einfach indem er es tut), dass Religion nichts Besonderes ist, sondern eben diese direkte Wahrnehmung und dass es daher nicht um spirituelle Zirkusnummern geht. Die „peak experiences“ sind für ihn längst vorbei, weil die direkte Sicht nun Alltag ist – und doch reichen seine Bewusstheit und sein Verstehen immer weiter, so weit, dass er nun vielleicht gar nicht mehr eingreift, weil er jetzt sieht, dass alles ohnehin schon auf dem besten Weg ist und dass er nicht mehr tun kann, als sein eigenes Leben zu leben, wohin immer ihn das führen mag.
Eine Erklärung in drei Teilen:
I. Meine Vision
6. 3. 2002
Ich visualisiere und konkretisiere zur gleichen Zeit, mit der Visualisierung immer einige Schritte voraus. Das ist mein Weg.
Zunächst visualisiere ich den großen Geist, aus dem die ganze Welt hervorgegangen ist, dem die Welt entsprungen ist, weil er seine Fülle nicht für sich behalten konnte, der in seiner Alleinheit förmlich explodiert ist und sich vergossen hat in das All.
Dann visualisiere ich mich als ein Produkt dieser Kraft, die meinen Körper auf so unglaublich wunderbare Weise funktionieren lässt – und die natürlich auch den Geist auf so wunderbare Weise funktionieren lässt, am besten durch den Glauben an die eigene Bedeutung für das All.
Ich visualisiere mich als das Zentrum des Universums, als einen Punkt gewissermaßen, an dem sich der große Geist manifestiert hat, in mir.
Ich visualisiere mich als die Augen und Ohren des großen Geists, als den, der die Welt aus der Perspektive des großen Geists betrachtet.
Ich werde bekannt mit dem großen Geist – nicht indem ich jetzt größenwahnsinnig werde, sondern indem ich die tatsächliche Größe dieser Realität betrachte. Und ich sehe meine mir vom großen Geist zugedachte Rolle in dem großen Spiel der geistigen Kräfte auf diesem Planeten.
Mir ist die Rolle zugedacht, diesen einfachen Weg in der Sprache der heutigen Zeit darzustellen samt seiner Potenz, alle im Geist zu einen.
Ich kenne einen Weg da hin, der für alle gangbar ist.
Jeder kann ihn genau da beginnen, wo er gerade ist. Egal wie schwach. Solange noch ein Lebensfunke da ist, d.h. so lange der Körper noch funktioniert, ist Kraft da und diese Kraft, egal wie minimal, wenn auch mikroskopisch klein, egal wie viel, das Etwas, das da ist, kann eingesetzt werden.
Es ist wie mit Jesu Gleichnis von den Talenten. Egal wie wenig, es geht nur um den Einsatz. Dann wird alles möglich. Von jeder Ausgangsposition aus. Natürlich nur das, das im natürlichen Lauf der Dinge liegt. Wunder eingeschlossen, aber nicht zu erwarten.
Aber für Größenwahn wird es da keinen Grund geben, weil jeder gleichzeitig mit seine Größe auch seine Kleinheit erkennt. Jeder ist mit Fehlern behaftet. Es gibt keine Reinen. Es gibt nur Eingebildete, die glauben, sie wären rein. Keiner ist rein. Jeder ist fehlbar. Wir müssen erkennen, dass wir aus uns selber nichts können. Alles ist uns gegeben. Wir dürfen nichts für selbstverständlich erachten. Es gibt andere, die ein Schicksal tragen müssen, das wir nicht tragen möchten. Dürfen wir uns unserer Privilegiertheit rühmen? Nein. Wir sind nicht besser als die, die wir als „Abschaum“ betrachten. Wir hatten doch nur zufällig bessere Ausgangsbedingungen. Es ist nicht unser Verdienst. Wir könnten genauso an ihrer Stelle sein. Es gibt also keinen Grund, auf irgendjemand herunterzuschauen. Wir sind nicht besser als irgendwer. Wir sind genauso schwach, wie die Schwächsten, wenn wir ihre Bedingungen ertragen müssen.
Wir alle sind Menschen, Wesen, die, wie alles sonst auch, nach dem Licht streben. Die meisten von uns haben in ihrer Entwicklungsphase nicht genug davon bekommen und haben daher dann auch wenig zu geben. All das ist purer Zufall.
Ich meine, dieser Standpunkt ist dem des Karma in der heutigen Zeit überlegen, weil es jetzt darum geht, die Vorurteile zu beseitigen. Und das geht nur, wenn das Schicksal – bis zu einem bestimmten Punkt – purer Zufall ist. Sonst bilden sich die besser Gestellten etwas ein auf ihre Position und schauen auf die anderen herunter. Das ist nicht im Sinn des großen Geists.
Im Sinn des großen Geists ist es, dass alle gleich sind, dass jeder in seinem Sosein respektiert wird. Dass er nicht in irgendeiner Weise abgewertet wird, weil er vielleicht nicht so äußerlich sichtbar erfolgreich ist. Jeder hat seine eigenen Kämpfe auszufechten. Es gibt keine Wertunterschiede nach der Art der Aufgabe, die einem Menschen durch seine besondere Position im All zukommt, es gibt nur diese besondere und einzigartige Aufgabe, die uns durch unser Schicksal präsentiert wird.
Der Obdachlose hat seine Lebensschwierigkeiten, die an Intensität dem des Generaldirektors in nichts nachstehen. Wir können allen nur danken dafür, dass sie ihre Position im All eingenommen haben, wer sie auch sind, wie sehr oder wie wenig sie in der Gesellschaft geachtet werden.
Aber wir können den Unzufriedenen auch einen Ausweg zeigen aus ihrer Unzufriedenheit.
Es ist ein Weg, den ich nach Jahrzehnten der Suche wiederentdeckt habe. Natürlich hatten ihn andere schon längst vor mir auch entdeckt. Abraham hatte ihn beispielsweise vor viertausend Jahren schon [wieder]entdeckt. Er wird immer wieder entdeckt, weil es der logische Weg ist – jenseits aller Superstition.
Er beginnt mit der ersten Visualisierung, die ich oben beschrieben habe.
Und der Weg mündet in das Wahrnehmen der eigenen Berufung im All, also der idealen Position. Der Weg beginnt also mit einer gewissermaßen von außen angeregten Visualisierung, die dann übergeht in die persönliche Vision.
Die persönliche Vision schafft Realitäten. Sie wirkt echt schöpferisch. Sie ist ja nicht unser Verdienst, sondern sie ist schon längst da, sie ist in unserem Bauplan vorgesehen. Es ist daher in keiner Weise unsere Kraft oder unser Verdienst, es ist einfach nur die Folge der Tatsache, dass die große Kraft diesen Weg für uns vorgesehen hat, weil sie uns so gemacht hat, dass immer größere Sensitivität möglich ist, wenn wir ihrem Wirken in uns kein Hindernis in den Weg stellen. Dann beginnt sie, uns zu entwickeln, nach ihren Kriterien. Das Ergebnis kann nur optimal sein. Die ganze große Kraft wird unser ehrliches Bemühen unterstützen.
Natürlich geht das nicht ohne Ehrlichkeit. Ehrlichkeit ist das oberste Gebot. Höher als das erste der zehn Gebote, das doch auch dieses einschließt, weil es ihm zeitlich, also entwicklungsmäßig vorausgeht: Ehrlichkeit ist die Basis für diese Entwicklung. Ohne Ehrlichkeit bleiben die Möglichkeiten beschränkt und dem Unglück ist Tür und Tor geöffnet.
Ehrlichkeit ist die Eingangspforte zu diesem Weg.
Es geht nicht um Moral. In keiner Weise. Moral erzeugt nur Dünkel. Aber Moral ist nicht nötig, denn Ehrlichkeit reicht. Die Menschen sind nämlich so gebaut, dass sie von selbst gutherzig sind, wenn diese Gutherzigkeit nicht blockiert wird durch irgendeine Art von Unterdrückung. Wir brauchen also keine Angst haben, dass die Welt entgleist, wenn wir ihr die Freiheit geben.
Die Freiheit führt zu einem viel besseren Ergebnis zumindest für die, die sie praktizieren. Der Weg der Freiheit ist daher der einzige Weg, der es wert ist, propagiert zu werden. Freiheit und Bewusstheit sind eins. Ein Mensch, der bewusst ist, ist frei, sogar wenn er in Ketten gelegt sein sollte. Sogar noch im Moment der Hinrichtung oder des normalen Todes.
Freiheit und Bewusstheit bewirken ein optimales Verhalten. Natürlich sind unserer Macht Grenzen gesetzt. Wir haben unser Leben nicht in der Hand. Wir können es nur bewusst leben, egal wo es uns erwischt hat, egal was unser Schicksal, unsere Aufgabe ist. Die große Kraft bestimmt den Kurs. Wir dürfen aber davon ausgehen, dass sie die, die sie bestimmen lassen, bestmöglich fördert.
Ob wir uns ihr anvertrauen, liegt im Bereich unserer Freiheit und zwar in der Freiheit eines jeden existierenden Menschen.
(Womit ich nicht sagen will, diese Möglichkeiten der Freiheit wären in anderen Bereichen der Existenz, etwa auf Pflanzen- oder Elektronenebene nicht gegeben. Ich gehe im Gegenteil davon aus, dass diese Freiheit überall auf der Welt existiert, auf jeder Ebene des Seins.
Es wäre dumm, wenn die Physiker diese Möglichkeit nicht in Betracht ziehen würden. Es wäre eine Art von Ignoranz. Wirkliche Wissenschaft muss mit allem rechnen. Alles andere wäre Scheuklappentum.)
Wir haben die Wahl zwischen zwei Wegen:
Der eine Weg ist der Weg des Fressens und Gefressen Werdens, der ständigen Bedrohtheit und Angst. Dies ist die Welt von Paranoia und Größenwahn. Jeder spielt dem anderen ein Theater vor, um sich damit etwas zu erwirtschaften. Aber das ist dumm. [Das war gemeint mit den sogenannten „niederen Instinkten“, einfach ein Stadium niedriger Bewusstheit.] Es gibt einen intelligenteren Weg [der aber nicht unbedingt „mehr Intelligenz“ im üblichen Sinn des Worts erfordert]:
Der andere Weg ist der Weg des Vertrauens. Er führt uns zur vollkommenen Entspannung, so dass der Stoffwechsel unseres Organismus keinen Hindernissen mehr begegnet, keinen angstbedingten Verengungen von Gefäßen und Nervenleitungen.
Stress führt zu Stoffwechselstörungen. Mangel an Herausforderungen auch. Es gibt daher nur einen Weg zu wirklicher Heilung: Sich aus seiner Froschperspektive zu erheben und sich als das Auge Gottes zu erkennen und von da an die Welt und alles in ihr mit den Augen Gottes zu betrachten. Dann entfaltet sich unser Weg von selbst vor uns.
Und er entfaltet sich zunächst als Vision und dann als deren Konkretisierung. Ein immer tieferes Eintauchen in die Geheimnisse der Schöpfung und des Schöpfers.
Das hat Jesus gemeint mit seinem „Sucht zuerst das Reich Gottes, alles andere wird euch nachgeworfen werden.“ Es wird uns nachgeworfen werden. Das ist ganz realistisch gemeint, nicht buchstäblich natürlich, aber so, dass für uns gesorgt ist, sobald wir uns auf diesen Weg begeben.
„Suchet und ihr werdet finden!“ Das ist keine Illusion, es ist die Wirklichkeit. So läuft das Leben.
Sobald wir ihm vertrauen, ihm glauben, werden wir vom großen Geist bedient. Er serviert uns die Gelegenheiten. Wir brauchen sie nur noch ergreifen. Und die Gelegenheiten werden immer genau unserem Stand und unserer Kraft angemessen sein. Wenn wir glauben, ist unser Weg vorgezeichnet, es ist der Weg zu immer mehr Kraft, weil wir immer mehr entdecken, wie die große Kraft uns unterstützt. Und umso umfassender wir sie am Werk sehen können, umso mehr werden wir ihre reale Wirkung spüren. Und es wird eine sehr positive Wirkung sein, eine fördernde Wirkung für uns selbst und für unsere ganze Umgebung.
So wird sich das neue Wort [vom neuen Weg] ausbreiten, einfach durch Sympathie.
Die Menschen werden den Respekt lieben, der ihnen entgegengebracht wird und sie werden diesen Respekt gerne auch allen anderen entgegenbringen. Das ist die Quelle der Sympathie, die allein das (natürliche) Propagandamittel sein wird für diesen neuen/alten Glauben.
Jede Gewalt, so wie sie früher bei der Ausbreitung von Religionen oft gegeben war, kann keine Sympathie bringen, höchstens Angst und Beklemmung. Daher wird Gewalt kein Mittel sein, nicht für die Religion.
Sie wird jedoch ein Mittel bleiben für die, die in der Welt der Paranoia befangen bleiben. Und die wird es weiter geben auf der Welt.
Aber durch die Neue alte Botschaft werden Paranoiker und Größenwahnsinnige immer weniger Anklang finden, denn die Sehnsucht wird sich ausbreiten, wie eine Wolke [hier ist in unserer heutigen Wirklichkeit der Punkt des Bilds von der Wiederkehr Christi]. Und diese Wolke der Sehnsucht wird die Menschen massenhaft erfassen, denn in ihr werden sie sich aufgehoben fühlen und bei sich in besten Händen. Diese neue Aussicht wird die Menschen begeistern. Denn sie werden persönlich plötzlich die Chance entdecken zu ihrer persönlichen Entfaltung. Ein Licht wird ihnen aufgehen. [Natürlich genau jenes legendäre, immer wieder prophezeite erlösende Licht.] Jenes uranfänglich göttliche „Es werde Licht – und es ward Licht“ wird eine für uns erfahrbare Realität.
Dieses Licht wird die Menschen fesseln, weil sie in ihm ihre Freiheit erkennen können. „Meine Bürde ist leicht“ hat Jesus gesagt. Genau das hat er auch gemeint.
Die Menschen werden erkennen, dass das Ergebnis den Preis nicht nur wert ist, sondern allen Einsatz vervielfacht.
Es wird der logische Weg sein. Er wird eine neue Kultur der Menschheit begründen, die natürlich von unseren heutigen Gegebenheit ausgeht. Kein zurück in die Steinzeit. Vorwärts geht der Weg. Alles dem Alten nachtrauern wird nur hinderlich sein.
Ein Bild wird entstehen, wie in der ganzen Welt Frieden sein kann.
Und dieses Bild wird realisiert werden. Es ist möglich.
Es braucht nur diesen Weg, der beginnt mit der Visualisierung der großen Kraft. Sie ist der Schlüssel zu allen Geheimnissen, besonders zu unseren eigenen Geheimnissen. Alles wird uns bewusst werden auf diesem Weg. Aber keine Angst! So schlimm es um uns auch stehen mag, es gibt einen Weg [„Wenn einer schuldig geworden ist, auf dem Weg wird er entkommen.“ Lao-tse]. Wir brauchen also die Augen vor unserem Unglück und vor unserer Unzufriedenheit nicht verschließen, denn es gibt einen Weg zur Zufriedenheit für jeden und daher auch für uns.
Und dieser Weg ist um nichts schwerer, als der möglicherweise verhängnisvolle Weg, den wir zu der Zeit gehen, wenn wir von dieser Möglichkeit zum ersten Mal hören. Der Weg zur Erfüllung unserer Träume ist nicht schwerer als der Weg des Misstrauens und des Konkurrenzkampfs und auch nicht schwerer als der Weg der Trägheit, der Resignation, ja viel leichter als alle diese. „Mein Joch ist sanft“, sagt daher Jesus. Es ist das Joch der Bewusstheit.
Joch deshalb, weil es einen Einsatz erfordert, aber der Einsatz, den die Trägheit zur Folge hat, ist unvergleichlich belastender. Joch bedeutet freiwilliger Einsatz, Trägheit bedeutet unfreiwilliger Einsatz, und wesentlich heftigerer Art. Die Opfer sind nicht zu beneiden.
Manchmal gibt es natürlich unschuldige Opfer, also solche, die trotz Bewusstheit Opfer geworden sind. Sie sind mit Bewusstheit Opfer geworden und das ist etwas völlig anderes, als unfreiwillig Opfer zu sein. Ganze Kaskaden an Licht, das allen anderen Menschen leuchtet, entstehen durch solche freiwilligen Opfer. Die unfreiwilligen Opfer umgibt nur Dunkelheit. Das ist nicht sehr angenehm.
Dabei ist der Schritt von der Dunkelheit ins Licht so klein.
Das kleine Wort „ich will“ ist der Schlüssel zum Licht.
Wir müssen das „Es werde Licht!“ sprechen, sonst wird es niemand für uns tun.
Und wir sind legitimiert dazu – auch vom Anfang des Schöpfungsberichts, der ja unsere Situation schildert: „Die Erde war wüst und wirr. Finsternis lag über der Urflut.“ Unsere Situation ist aussichtslos. Doch so ist es nur bevor wir den nächsten Satz hören: „Und der Geist Gottes schwang über den Wassern.“ Im Chaos sind wir nicht allein, der Geist Gottes ist längst da, er brütet bereits etwas aus. Er wird es uns mitteilen, nämlich das „Gott sprach: Es werde Licht – und es wurde Licht“. Wir sind doch die Materialisierung Gottes an dem Platz, an dem wir stehen. Natürlich sind wir auch Gottes Mund, aus dem es nun tönt: „Es werde Licht!“ Nicht wir müssen es sprechen, Gott selbst spricht es durch uns. Wir müssen uns ihm nur als sein Sprachrohr zur Verfügung stellen.
Von da an beginnen unsere Angelegenheiten, sich zu klären.
Also was sollte uns hindern, diesen Weg zu beschreiten?
Angst? Nein, es ist ein Weg aus der Angst heraus in das Vertrauen. Ein Weg der Entspannung und gleichzeitig immer tieferer Konzentration. Der Weg der Bewusstheit eben.
Er beginnt mit einer Visualisierung, mit der Visualisierung der Wahrheit über diese Welt und unserer Position darin.
Der Anfang ist reine Übungssache. Es geht darum, dass wir uns daran erinnern. Wir müssen dann die Zeiträume der Erinnerung ausdehnen, uns möglichst viel erinnern. Von da an kommt uns die ja immer schon vorhandene Energie von der anderen Seite entgegen und hilft uns beim Erinnern, erinnert uns. Von da an geht es gewissermaßen von selbst. Denn nun empfinden wir unseren Einsatz nicht mehr als Last, sondern als Befreiung.
Die ersten dieser Erlebnisse, sind möglicherweise so intensiv, dass sie als eine Art Wunder erlebt werden, als das Wunder der Erleuchtung. Hier besteht die Gefahr, dieses Erlebnis zu überhöhen und sich [in der Welt von Größenwahn und Paranoia verharrend] etwas darauf einzubilden. Wenn wir dieser Gefahr nicht erliegen, indem wir uns eben daran erinnern, wer wir sind, kommen diese Erlebnisse öfter. Später gewöhnen wir uns an den Effekt und wir lernen, den Prozess selbst einzuleiten – und aus der Verbindung zur großen Kraft heraus zu leben.
Das Ende ist der Anfang. Wir werden von da an immer durch die Augen Gottes schauen und daher sehen, wo was Not tut. Da liegt unsere Aufgabe – auf welchen Gebiet immer das sein mag. Jeder kennt seine Stärken, die gilt es einzusetzen.
II. Der Weg im „Plan“ des Weltgeists
02_03_08
Ich weiß heute, dass der Weg, von dem ich spreche, eine herausragende Rolle spielen wird, sogar was die künftige Weltgeschichte betrifft. Er könnte auch sehr hilfreich sein im Finden einer Lösung des gegenwärtigen Konflikts der Kulturen, denn es ist ein Weg für alle. Mehr und mehr Menschen werden diesen Weg zu ihrem machen, weil er effektiv ist und jeden persönlich und sozial optimal fördert.
Niemand muss seinen Glauben aufgeben, aber jeder kann darin seine Bewusstheit erweitern und damit zu einem völlig neuen Verständnis seines Glaubens gelangen, in dem dann alle anderen Glaubensrichtungen eingeschlossen [und nicht wie bis jetzt ausgeschlossen] sind.
Es ist die neue Basis gegenseitigen Verstehens, die heute notwendig ist, um den Kampf zwischen den Kulturen umzuwandeln in einen Kampf miteinander statt gegeneinander und zwar in die Richtung, in die die Paradiesvisionen aller Religionen seit je her schon deuten.
Das sollte doch allen ein Anliegen sein. Ich bin sicher, es ist eins und nicht nur eins unter vielen, sondern das zentrale Anliegen überhaupt. Das ist die Basis des neuen Weges, der doch nur der alte ist [für alle Kulturen], aber doch heute neu [in allen Kulturen] definiert werden muss, damit dieser Einigungsprozess in Gang kommen kann.
Niemand kann verlieren auf diesem Weg. Alle können nur gewinnen. Es ist eine win/win-Konstellation.
Die, die jetzt imstande sind zu dieser neuen Sicht, müssen den Weg vorangehen. Die anderen werden folgen.
Es gibt keine Alternative zu diesem Weg in seinen vielen Formen, außer dem fortdauernden sich gegenseitig Niedermachen und Abschlachten, wie es jetzt geschieht. Ich finde, das muss aufhören und alle müssen daran mitarbeiten.
Eine wichtige Basis für diese Arbeit sind die Religionen, die ja bis jetzt leider zu sehr viel gegenseitigem Nichtverstehen beigetragen haben, obwohl sie doch das Paradies anstreben. Das ist schade. Dieser Kurs muss geändert werden.
Jede dieser Religionen ist daher aufgefordert, ihren Dogmenschatz auf jene Dogmen zu überprüfen, der diesem Nichtverstehen Vorschub leistet. Diese Dogmen sind zu überdenken. Ein tieferes Verständnis dieser Dogmen muss gefunden werden. In ihrem gegenwärtigen Verständnis sind sie für die Menschen schädlich. Das heißt aber nicht, dass die Formulierungen an sich unrichtig oder schädlich wären. Sofern ihr gegenwärtiges Verständnis aber diese schädliche Wirkung hat, müssen sie eben untersucht werden und das offenbar vorhandene grundlegende Missverständnis der betreffenden Formulierung (dieses Dogmas) muss im Licht der größeren Einheit entdeckt und revidiert werden.
Ich habe die grundlegenden Dogmen zumindest der großen Religionen [und auch einiger kleinerer] studiert und ein neues Verständnis dieser Dogmen gefunden, ein Verständnis auf das sich alle Religionen einigen können, weil es sie alle auf einer höheren Ebene neu versteht und eint. [Mit „höher“ meine ich keine Wertung, sondern einfach die übergeordnete logische Ebene, die Ebene der Synthese – womit ich natürlich nicht „Synkretismus“ meine.] Wenn sich die Religionen auf solche neue Erklärungen ihrer Dogmen einlassen können, hat die nächste Etappe der Bewusstheitsentwicklung eingesetzt. Dann macht die Menschheit einen Sprung nach vorn, in ein bisher ungeahntes Potential der Bewusstheit mit allen politischen Konsequenzen und auf der persönlichen Ebene mit massenhaften realen spirituellen Erfahrungen, die alle bisherige religiöse Theorie weit hinter sich lassen. Statt zu glauben können die Menschen – und zwar sehr viele – selbst erfahren und daher wissen.
Natürlich ist der erste Schritt zu dieser Erfahrung ein Schritt ins Nichtwissen, ein Schritt des Vertrauens, des Glaubens, nämlich des Glaubens an die tatsächliche Verbindung mit der Kraft, die das ganze All hervorgebracht hat. Von einem Bewusstsein der „Gotteskindschaft“ ist früher gesprochen worden oder von einem „Bund mit Gott“.
Das verlangt in Konsequenz natürlich einen Sprung, heraus aus dem, was wir vorher als „gesichertes Leben“ angesehen haben, in das Risiko. Ohne Risiko wäre es kein Glauben. Wir müssen also etwas wagen – letztlich unser Leben einsetzen für -?
Für die Wahrheit. Für unsere Wahrheit. Der Sprung besteht darin, dass wir uns zeigen und uns nicht mehr verstecken hinter Formeln oder Formulierungen, etwa hinter religiösen Bekenntnissen. Das Wagnis besteht nämlich genau darin, dass es darum geht, uns so zu zeigen, wie wir wirklich sind, und uns so mitzuteilen. Das Wagnis besteht in der Ehrlichkeit. – Natürlich meine ich nicht eine blöde Ehrlichkeit, die, ohne die Situation zu fühlen, etwas Preis gibt, was an der Stelle vollkommen verschwendet ist. Es geht darum, einfach (ohne dahinter liegende Theorie) sich zeigen, sich zumuten, seine Wünsche äußern – natürlich wieder an die geeigneten Adressaten. Und darauf vertrauen, dass sich daraus letzten Endes [nach der logisch folgenden vermehrten Wunscherfüllung und Befriedigung] auch eine persönliche Aufgabe ergibt im Sinn des Weltgeists.
Das ist der Weg, die persönliche „Berufung“ zu entdecken. Es geht nur durch vorbehaltlose Ehrlichkeit. Alle Wünsche müssen sein dürfen. Mit dem Respekt vor uns selbst entsteht der Respekt vor den anderen. Wenn wir sein dürfen [so wie wir sind], dürfen die auch sein. Das ist ganz normal.
Dagegen wenn uns unsere Lebensberechtigung aberkannt wird (in den Wünschen der anderen), dann ist ja klar, dass auch wir Tötungswünsche entwickeln und diese möglicherweise sogar verwirklichen. Das ist die momentane Situation in vielen Ländern der Erde.
Wie wär’s daher mit Respekt? Respekt verlangt aber, dass die Widersprüche aufgeklärt werden. Respekt verlangt Verstehen. Und indem ich den anderen (beispielsweise von einer anderen Religion) verstehe, muss ich auch seinen Glauben verstehen. Und Verstehen bedeutet, zustimmen Können. Das aber wieder verlangt mit Sicherheit ein neues Verständnis des eigenen Glaubens. Die allgemeine Bewusstheit wird dadurch auf eine neue Ebene gehoben.
Daher bitte ich noch einmal alle Mitglieder aller Religionen [wie wahnsinnig, wie absurd zu glauben, sie würden mir zuhören?], ihre eigene Religion nach den Lehren zu erforschen, die einen Widerspruch mit anderen Religionen darzustellen scheinen und diesen Widerspruch so lange zu betrachten, bis er sich löst. Die Tatsache des Widerspruchs zeigt mit Sicherheit auf ein Missverständnis. Diese Auseinandersetzung ist harte Arbeit, aber es geht. Steine beginnen zu schmelzen, die Dinge kommen in Fluss, sobald ein Mensch zur Lösung entschlossen ist. Das ist der andere mögliche Weg, der erste bestand im Verstehen der anderen Religion.
Es ist ein völlig logischer Weg, das aufzugreifen, was am meisten Reibung verursacht und zu versuchen, diese Reibung abzustellen. In der Technik hat man die Reibung schon ganz gut abgestellt, aber wie steht es in unserem persönlichen Leben und in der Gesellschaft und in der Weltgemeinschaft?
Daher einer der ersten Schauplätze dieses neuen Weges: die Partnerschaft. Auch da geht es nur darum, sich zu zeigen, sich zuzumuten, die Wünsche zu äußern – und logischerweise das alles auch seinem Partner / seiner Partnerin zu erlauben. Ein gemeinsamer Weg kann nur dort gefunden werden, wo Übereinstimmung ist. Und auch da können die Reibungspunkte entdeckt und bearbeitet werden, aber eben wieder nur, wenn Ehrlichkeit herrscht, was ab dem Moment an ja der Fall ist, wo einer sich zeigt, so wie er ist, ohne Theater, ohne Tünche, einfach wahrhaftig.
Da entsteht von selbst eine Atmosphäre, in der beide erkennen können, dass sie einfach bedürftige Wesen sind, die sich doch freuen über jeden Wunsch der ihnen erfüllt wird und die daher auch Verständnis haben und damit eine gewisse Gewogenheit für die Wünsche des Anderen. Das hebt die Bewusstheit mit Sicherheit – und es löst die Probleme der Partnerschaft, samt den Folgen für Nachwuchs etc..
Ein weiterer Schauplatz wäre der der Unternehmen. Für ein auf diesem Weg geführtes Unternehmen wird es wichtig sein, gut zu kommunizieren mit den Mitarbeitern und mit den Kunden, sowie auch mit der Konkurrenz. Und eine für alle profitable Lösung finden. Jetzt herrscht oft eine Ausbeutungsmentalität. Das muss nicht so bleiben. Es gibt auch hier das win/win-Modell, in dem sowohl die Kunden als auch die Mitarbeiter als auch die Aktionäre profitieren. Wer würde sich solche Unternehmen nicht wünschen? Es ist möglich, aber es braucht dazu eine bewusste Entscheidung für diese Unternehmenskultur. Und dieser Weg bietet eine Basis für eine derartige Entscheidung.
Ein weiterer Schauplatz ist beispielsweise die Psychiatrie. Hier ist es so, dass die traditionelle Psychiatrie von der These ausgeht, eine psychische Erkrankung wäre eine angeborene Stoffwechselstörung, die nur durch lebenslange medikamentöse Behandlung unter Kontrolle gehalten werden kann. Es gibt keine Heilungsaussichten, es gibt nur eine chemische Linderung der Symptome.
Hier würden die Patienten sich fragen, ob dieses Dogma das letzmögliche Verständnis ihrer Krankheit ist oder ob es auch noch andere Perspektiven geben könnte. Und ich präsentiere ihnen die ganz andere Perspektive: Anstatt sich als kaputte Produkte des Zufalls zu betrachten, verdammt zu lebenslänglicher Reparaturbehandlung, können sie sich als ein Wunder der Schöpfung betrachten, nämlich einfach als eine der Erscheinungen der großen Kraft, als Kind Gottes, und als solches berufen zur persönlichen Entfaltung. Dann nämlich bekommt die Erkrankung einen neuen Sinn. Sie ist nun nicht mehr ein unglückseliger Defekt, sondern der Versuch einer Lösung eines Defekts, der ganz wo anders herkommt. Und so können sie ihre Erkrankung verstehen und sie können das, was sie notwendig gemacht hat, nun mit anderen Mitteln erreichen, nun, da die Bewusstheit dafür ausreicht. Dann ist die Krankheit nicht mehr notwendig und dann wird sie verschwunden sein. Klar dass so Geheilte einen Quantensprung der Bewusstheit gemacht haben – und dass sie für die Sozialkassen keine Belastung mehr sein werden, sondern im Gegenteil wertvolle Therapeuten. Also wer sollte sich eine derartige Entwicklung nicht wünschen?
Was braucht diese Entwicklung? Glauben, wie alles andere auch. Irgendwer muss anfangen, zu vertrauen, dann breitet sich das Vertrauen aus. Am besten daher die unangenehm Betroffenen, die Leidtragenden, die Kranken. Auch sie müssen nur ehrlich sein, bzw. sich um Ehrlichkeit bemühen, denn keiner ist auf Anhieb ehrlich, das braucht ein Training, ein ständiges sich darum Bemühen.
Der erste Anfangspunkt dieser Ehrlichkeit ist, zu erkennen, dass wir selbst das Wichtigste sind, das es gibt auf der Welt, nämlich der wandelnde Gott auf Erden. So unglaublich das im ersten Moment für einen psychisch Kranken sein mag – oder eine geglaubte Selbstverständlichkeit für manche Maniker. Es ist möglich, ein Verständnis diese Tatsache zu gewinnen, das nichts Größenwahnsinniges hat. Denn natürlich sind wir gleichzeitig ein Nichts im Vergleich zu dem Vielen – aber eben doch das Wichtigste auf der Welt. Das sind die zwei Ebenen, die zwei Pole zwischen denen wir uns bewegen. Und es wird gut sein, uns immer beider Seiten bewusst zu sein. Sonst bleiben wir in den Fängen der Krankheit, die ja gerade in diesem Ungleichgewicht liegt.
Und so geht der Weg auf allen anderen Ebenen auch. Es beginnt mit absolutem Respekt vor uns selbst, im Bewusstsein der Tatsache, dass jeder Mensch eine Erscheinung Gottes auf Erden ist. Und daraus folgt das Vertrauen in das Leben. Denn die große Kraft will logischerweise, dass es uns gut geht, dass wir wachsen und gedeihen können. Deshalb bringt doch die Bibel das Bild mit dem Garten, den Gott gepflanzt hat, als etwas, das gehegt und gepflegt wird. So sind wir gedacht von der schöpferischen Intention und nicht nur gedacht, sondern wir werden tatsächlich gehegt und gepflegt. Das merken wir, sobald wir uns auf diesen Weg begeben. Vorher aber arbeiten wir dieser natürlichen Pflege oft entgegen durch unreflektierte Ansichten und Einstellungen, die auf uns in dieser Situation gar nicht passen. Daher müssen wir lernen, auch in uns selbst auf die Widersprüche zu achten und uns auch selbst in der Weise pflegen, dass wir die Reibungen abbauen und das Gleiten erleichtern. Und auch dadurch erreicht die Bewusstheit eine neue Ebene.
Es gibt keinen Bereich des Lebens, der davon nicht profitieren könnte.
Ich kann nur hoffen, dass sich niemand daran stößt, dass ich von diesem Weg in solchen Tönen spreche, die leicht für größenwahnsinnig gehalten werden können. Für mich persönlich gibt es keinen Grund, mir auf irgendetwas etwas einzubilden. Durch den Zufall meiner Lebensgeschichte bin ich auf diesen Weg der Suche und des Findens geschickt worden. Ich wurde nicht gefragt. Es wurde mir nur eine Situation nach der anderen präsentiert. Ich hatte nicht die Wahl, abzulehnen. Es wäre unmöglich gewesen. Aber das Ergebnis ist diese heutige Beschreibung des Weges. Und diese Beschreibung kann für alle passen. Durch sie kann eine neue Einigung der ganzen Menschheit entstehen und ein Schub in der Bewusstheit der Menschen, dessen Folgen noch gar nicht auszudenken sind.
„Es ist möglich“, das ist die heutige „Frohe Botschaft“. Es geht nur um diese Möglichkeit, darum, dass sie ergriffen und realisiert wird von möglichst vielen, denn diese Bewegung wird ein Segen sein für die ganze Menschheit.
Sogar Atheisten können sich für diesen Weg entscheiden, weil der Gott, die Kraft, an die wir uns wenden, ja nicht jener mythische alte Gott ist, der da irgendwo draußen sitzt und uns misstrauisch beobachtet und uns in die ewige Hölle wirft, wenn wir etwas nicht schaffen. Diesen Gott gibt es in Wirklichkeit nämlich gar nicht. Daher haben die Atheisten Recht, wenn sie sich weigern, an diesen Gott zu glauben, an dieses Horrorgespenst. Dieses Horrorgespenst ist ein Produkt der Welt der Paranoia. Solange dieses Gespenst uns verfolgt, können wir die wirkliche Kraft des Universums nicht sehen. Wir müssen und wir können aber in die andere Welt überwechseln, in die Welt des Vertrauens und dann können wir die große Kraft wirklich „sehen“ und erleben. Und diejenigen, die sich als „Atheisten“ betrachten, können das auch. Alles, was dazu nötig ist, ist eine realistische Einstellung dem Leben gegenüber, denn dann wird man sich einfach der Instrumente bedienen, die wirklich helfen. Das ist absolut ohne jeden Aberglauben realisierbar. Trial and Error, die uralte wissenschaftliche Methode, reicht dafür aus.
Aber – wie schon gesagt – ist es nicht ohne Risiko realisierbar. Und Fehlschläge auf dem Weg des Lernens müssen als normal einkalkuliert werden. Die ganzen Rückfälle in die Unbewusstheit, die wir erleben werden, könnten uns sogar entmutigen, wenn wir nicht dann, wenn wir wieder mit der Kraft verbunden sind, wahrnehmen könnten, dass sie keine Phantasie ist, sondern Realität. Wir müssen uns auf viele Fehlschläge einstellen. Diese Fehlschläge sind in Wirklichkeit aber gar keine Fehlschläge, sie sind nur die notwendigen Stationen unseres Suchprozesses, durch den wir uns nach und nach [nach den Erfahrungen mit unserem Handeln und mit unseren Einstellungen] immer schneller und immer feiner einstimmen lernen in den Geist des Ganzen.
Das, was ich „Geist des Ganzen“ nenne, ist eine Perspektive, nämlich ein Schauen und Wahrnehmen durch die Augen des einen großen Geists. Damit wir das können, müssen wir unsere Vorstellungen zumindest für diese Zeit suspendieren, da sie sonst die Wahrnehmung so überlagern würden, dass eine wirkliche Wahrnehmung gar nicht mehr möglich wäre. Dieser Weg, die Vorurteile zu überwinden, macht es notwendig, auch äußerlich, physisch, körperlich, geistig, intellektuell und mit allen unseren Gaben all das zu betrachten, woran wir uns stoßen und zu versuchen, es zu verstehen mit allem Wohlwollen, das uns möglich ist. Erst wenn wir es voll verstanden haben, wenn wir ihm voll zustimmen können, haben wir unser Vorurteil überwunden. – Mit diesem Zustimmen meine ich nicht, dass wir real etwas geschehen lassen sollen, was uns nicht recht ist. Dagegen müssen wir natürlich eintreten. Aber es wird uns sehr helfen in unserer Auseinandersetzung mit den Widrigkeiten des Lebens und der Menschen, wenn wir verstehen.
Der Prozess, des sich Befreiens von den eigenen Vorurteilen, ist in verschiedenen spirituellen Schulen als ein „Reinigungsprozess“ beschrieben worden. Diese Reinigung besteht nicht in einer Gehirnwäsche. Um eine solche geht es allerdings in manchen Sekten. Durch Gehirnwäsche wird der Schmutz aber nicht beseitigt, sondern vermehrt. Das Gehirn muss nicht, kann gar nicht gewaschen werden. Nur neue Vorurteile können durch Gehirnwäsche eingeprägt werden. Unser Wahrnehmungs- und Welterfassensinstrument verfügt aber über ganz natürliche Ausscheidungsmechanismen. Ihnen gemäß wird etwas ausgeschieden, wenn es erledigt ist. Durch Gehirnwäsche werden Fragen nicht erledigt, sondern nur weiter nach hinten rangiert, wo sie aber nicht auf Dauer festgehalten werden können, weil die Suche nach Wahrheit in uns doch mächtiger ist, als alle Tabus.
Das Leben drängt mit Macht nach Entfaltung. Das ist eine Naturgegebenheit. Es ist die Grundlage der Natur. Es ist eben jene eine Kraft, die überall nach Durchsetzung drängt. Es fehlt also nirgendwo an Kraft. Die Kraft ist immer da, die Frage ist nur, ob wir auf sie eingestimmt sind oder nicht. Wenn nicht, werden wir gegen sie arbeiten und uns damit selbst behindern. Wenn wir uns auf sie einstimmen, steht sie uns zur Verfügung. Aber es ist klar, dass die persönliche Lebensreise nun der privaten Sphäre enthoben ist. Nun sind nicht mehr wir die Herren unseres Lebens, nun ist diese Kraft der Herr unseres Lebens – ganz so wie die heiligen Schriften aller Völker es sagen. Sie ist es zwar immer schon der Herr gewesen, aber solange wir diese Tatsache nicht erkannten, versuchten wir, unser privates Süppchen zu kochen im großen Konkurrenzkampf. Die Bibel würde sagen „in der Welt des Baal“, eben jenes vermeintlichen Gotts, der die Welt des Fressens und Gefressen Werdens beherrscht.
Die Welt des biblischen „Jahwe“ unterscheidet sich grundlegend von der Welt des biblischen „Baal“. Die Welt Jahwes ist die Welt des Vertrauens. Die Welt des Baal ist die Welt von Größenwahn und Paranoia. Sie ist von Angst beherrscht. Angst verengt bekanntlich die Gefäße, bewirkt also Stoffwechselstörungen. Für die Unterlegenen in diesem System wird sich das in Form von Krankheiten ausdrücken, für die es keine Heilung geben wird, weil die Krankheiten ja nur Ausdruck eines grundlegenden Fehlers in der Lebenseinstellung sind. Damit sage ich nicht, dass die Kranken selbst schuld wären an ihrer Krankheit. Sie sind es nämlich nicht, es ist eine Erkrankung des ganzen Systems, zu dem man gehört. Die Individuen, die es trifft haben nicht unbedingt etwas dazu beigetragen. Sie haben die Schwäche entweder ererbt oder über die Wege der sozialen Kommunikation übertragen bekommen.
Die „Möglichkeit“, von der ich spreche, besteht darin, dass ein Mensch, der zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Leben sieht, wie es um ihn steht, ein neues Leben beginnen kann, in dem andere Gesetze herrschen, in dem Licht auf die dunklen Stellen geworfen wird. Es wird auch Licht auf die Kräftekonstellationen seiner Ahnen und seiner Umgebung geworfen, sodass er/sie sich selbst versteht und sich geführt sieht von dem einen großen Geist. Von da an beginnt logischerweise die Heilung. Solange ein Mensch im Dunkel der Welt der Angst lebt, gibt es keine Heilung. Heilung gibt es nur in der Welt des Vertrauens. Das Licht, das in dieser Welt scheint, ist das Licht der Bewusstheit.
All die großen revolutionären Ideen unserer Geschichte, wie die französische Revolution oder die kommunistische Revolution hatten das irgendwo im Hintergrund, aber eben als ferne Vision und daher setzten sie am falschen Punkt an. Die Heilung kommt eben nicht von der Vernunft, sondern von der Bewusstheit, in der die Vernunft nur ihren natürlichen bescheidenen Platz einnimmt neben all den anderen Wahrnehmungen. Und sie kommt auch nicht durch das Gemeinschaftseigentum an Produktionsmitteln, das kann vielleicht ein Ergebnis sein in einer späteren Phase der Entwicklung, aber es ist nicht die Schlüsselstelle. Die Schlüsselstelle der Veränderung ist die Bewusstheit, die Sensitivität, die Aufmerksamkeit. Und das sich Respektieren. Und die anderen respektieren, logischerweise, denn durch fehlenden Respekt den anderen gegenüber würden wir die Realität ignorieren. Und das könnte nicht lange gut gehen. Aus diesem Respekt ergibt sich von allein eine gerechtere Verteilung der Güter und der Information, so wie die Kommunisten es ersehnt hatten. Dieser Weg ist daher auch ein Weg für Kommunisten. Natürlich nur, wenn ihnen wirklich die Gemeinsamkeit ein Anliegen ist, nicht wenn sie nur eine Ideologie im Kopf haben. Die Ideologen werden diesen Weg ablehnen, wie alle Apparatschiks überall. Für die echten Kommunisten aber eröffnet dieser Weg ganz neue Chancen für die Realisierung ihres Traums von der Gemeinschaft. Es ist eine zwangfreie Realisierung von Gemeinschaft, nicht verordnet, sondern frei gewählt – aber letzten Endes doch nicht „frei“ gewählt, denn unsere Natur hat schon vor uns gewählt und uns ein inneres Bild des Himmels mitgegeben, in dem eine Gemeinschaft von sich gegenseitig respektierenden freien Wesen versucht, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Jeder in seinem Bereich.
Die Verwirklichung beginnt damit, dass wir mit dem schon Beschriebenen beginnen, dass wir anfangen, uns selbst und alle anderen als einzigartige Erscheinungen der großen Kraft zu erkennen und uns ganz natürlich entsprechend zu verhalten. Ohne Moral, ohne behördlichen Zwang, ohne inneren geistigen Zwang etwa durch eine Ideologie, also einfach von selbst. Nur so fühlen wir uns wohl und nur so können wir es den anderen auch erlauben, sich ebenso wohl zu fühlen.
Selbstverständlich werden wir da Dienste, die für uns angesagt sind, nicht verweigern. Durch jeden Dienst werden wir wachsen. Wir sind am Ende die Beschenkten. Die notwendigen Dienste ergeben sich aus unseren Begegnungen. Da sind die „Nächsten“ zu finden, von denen Jesus gesprochen hat. Da, wo wir sind, müssen/dürfen wir uns einsetzen. Indem wir dem großen Geist folgen, werden wir nicht mehr fragen, was bringt es uns, sondern es wird uns eine Freude sein, zu geben, was wir haben.
Solange die Nächstenliebe ein Gebot ist, sind wir nicht da. Wenn es eine Freude wird, sind wir da. Sobald wir uns auf den großen Geist einstimmen, sind wir da. Und da ist immer alles ok. Da ist alles gut.
III. Ich bin vollkommen in Deiner Hand
11. 3. 2002
In der Kapitulation sage ich: Ich bin vollkommen in Deiner Hand. Und ich meine in der Hand der großen Kraft, aus der alles hervorgegangen ist und die auch jetzt den vollkommenen Überblick über die Lage hat. Und schon öffnet sich dieser Überblick.
Aber wie funktioniert das? Was geschieht, wenn ich das sage?
Ich vertraue auf etwas, das in mir ist. Ich vertraue also darauf, dass dieses Wissen auch irgendwo in mir selbst ist, dass in mir zumindest ein Organ ist, das Zugang hat zu diesem Wissen. Wenn ich danach forsche, werde ich irgendwann herausfinden, wie dieses Organ zu gebrauchen ist. Indem ich darauf vertraue, werde ich es sehr schnell erfahren. Ich habe es bereits erfahren. Daher weiß ich, wovon ich rede.
Und außerdem vertraue ich darauf, dass ich so gebaut bin, dass etwas in mir nach Vollkommenheit strebt, mich in die Richtung [auf ein besseres Leben] zieht. Es ist eine Art inneres Programm – genau das Programm, das schon die ganze Evolution gesteuert hat. Es ist, logischerweise, auch in mir. Es äußert sich in unserer Sehnsucht. Und die bringt auch die Energie mit, die notwendig ist zur Realisierung der notwendigen Schritte. Diese Energie ist erfahrbar. Ich erfahre sie. Daher weiß ich, dass sie da ist – und zwar nicht nur für mich.
Und dann vertraue ich auch noch darauf, dass es etwas in mir gibt, das erkennen kann, wie ich mich genau dem Ziel meiner Sehnsucht nähere [es ist so etwas wie eine multiple-way-communication-Flugsteuerung für meinen Flug durch die Realität] und was ich dafür als nächstes [an Aufgabe, an Training, an Herausforderung] brauche und das auch imstande ist, die Weichen dafür zu stellen, sodass es zu den notwendigen Begegnungen kommt. Es ist also eine Art urteilender und fürsorgender Instanz – deren Urteile nichts zu tun haben mit unseren täglichen Urteilen und Bewertungen, sondern die einfach feststellt, was ist und was daher gebraucht wird. Und deren Einfluss weit über meine Person hinausgeht, weil sie offenbar so etwas wie Rufe auszusenden imstande ist, vielleicht vergleichbar mit den Rufen, die die Gralsritter hören konnten. In Wirklichkeit können alle diese Rufe hören, und alle werden von solchen Rufen auch gesteuert, wenn vielleicht auch nicht bewusst. Sogar die biblischen Heuschrecken und die Frösche haben diese Rufe gehört, zumindest in der Geschichte vom Auszug der Israeliten aus Ägypten.
Das Vertrauen in diese Instanz zeigt mir die Situationen, die mir mein Schicksal beschert, in einem ganz anderen Licht. Etwa eine Erkrankung ist dann nicht mehr nur ein wohl oder übel zu erduldendes Schicksal, sondern sie wird zu einer Herausforderung, zu einer Gelegenheit, etwas über mich und die Welt zu erfahren. Und wenn ich die Herausforderung angenommen habe, wird die Krankheit [irgendein Leiden] irgendwann nicht mehr nötig sein, weil ich sehe, woher sie kommt, welche Kräfte sie hervorgebracht haben. Ich werde mich mit diesen Kräften dann bewusst auseinandersetzen, nämlich da, wo sie mir in sichtbarer Gestalt begegnen im realen Leben.
Und so werde ich ein neues Leben zu leben beginnen, indem ich mich dieser Kraft vollkommen anvertraue. Sie hat für alles gesorgt. Ich brauche nur noch auf sie achten und ihren Hinweisen folgen.
Das ist der Weg. Für mich. Und ich kann diesen Weg nur allen empfehlen. Es ist ein Weg der optimalen Förderung der ganzen Existenz in jeder ihrer Dimensionen. Es findet eine völlige Neugestaltung statt. Ein neues Leben. Das Leben überhaupt. Eine Entfaltung, der kein Ende gesetzt sein wird. Auch nicht durch den Tod. Die Bewusstheit bleibt erhalten, wo immer sie dann wirken mag. Dieses Leben hat kein Ende. Es hat nur immer neue Phasen höherer Bewusstheit und tieferen Verstehens. Wir sind jetzt da, wo wir sind, egal wo das sein mag. Von jedem Punkt aus ist dieser neue Lebenskurs möglich. Es gibt keine Nachteile. Es ist der Weg, der die Angst überwindet, der Weg, der das Göttliche in uns zum Erscheinen bringen wird. Wer sollte sich darüber nicht freuen? So kommt der Himmel auf die Erde! Für alle ist es möglich, jederzeit, egal von welchem Punkt der Existenz aus. Warum länger in der Hölle bleiben? Es ist nicht nötig.
Und keiner muss mehr Angst haben, dass er nicht sein dürfte. Alle Varianten dürfen sein. Wir sind Menschen, bedürftige Wesen. Jedem, der ehrlich ist, ist das klar. Wir müssen uns als das akzeptieren, was wir sind, egal was. Damit fängt es an. Indem wir uns, als der Dreck, als der wir uns möglicherweise gerade fühlen, dem Himmel zuwenden und unsere Lage aus den Augen Gottes betrachten. Wenn wir genau schauen, werden wir sofort erkennen, dass wir gewissermaßen Gottes anderes Ende sind – im Sinn der mythischen Uroboros-Schlange, die sich selbst betrachtet wie ein Gegenüber, obwohl sie doch eine ist. Und so werden wir sehen, dass in uns selbst diese göttliche Kraft gegenwärtig ist [das war der ursprüngliche Sinn des Glaubens an „den Sohn Gottes“ bzw. an die Gotteskindschaft], ja dass wir sie im eigentlichen Sinn des Wortes sogar sind.
Das Problem begann, gemäß Bibel ja dadurch, dass die ersten Menschen ihr traditionell und durch die zufällige persönliche Geschichte geformtes Urteil dem Urteil der großen Kraft entgegensetzten – also indem sie eine Froschperspektive entwickelten, und glaubten, die große Welt wäre tatsächlich so, wie sie sie sich in ihrem beschränkten Sichtkreis vorstellten. Sie entwickelten Kategorien und urteilten gemäß ihren Kategorien mehr als gemäß dem Urteil des großen Geists. Dadurch entwickelten sich Widersprüche, weil der große Geist ja weiterhin die Welt lenkte in seinem Sinn. Und diese Widersprüche wurden als der Verlust des Paradieses erlebt.
Und dann wurde dieses Problem auch noch weitergegeben, sodass wir alle es geerbt haben.
Biologisch betrachtet, ist es einfach die menschliche Entwicklung, die eben über die Entwicklung des Begriffssystems geht mit all den Problemen, die daraus entstehen. Es ist eine unvermeidbare Entwicklung. Aber damit ist die Entwicklung ja nicht abgeschlossen. Nun folgt eine neue Phase. Ein Erinnern an die Kraft. Und dann werden die beiden Systeme verbunden. Das System der Begriffe mit dem mysteriösen System der Kraft. Das Ergebnis ist vor einigen Jahrzehnten als der Traum von der „Selbstverwirklichung“ zumindest intendiert gewesen, andere suchen es als Erleuchtung. Es ist das sich reale Erinnern an die Kraft – natürlich dann auf sie achten – ohne unsere Begrifflichkeit zu verlieren, und ohne uns deshalb für „schlecht“ oder „unwürdig“ zu halten, weil wir bedürftige und in unserer Bedürftigkeit schwache Wesen sind, die oft genug darin auch fallen. Das alles gehört dazu. Es ist kein Hindernis für die Verbindung mit dem Geist.
Es gibt nur ein Hindernis und das ist der Stolz. Wenn ich es besser weiß und dem großen Geist nicht traue, muss ich natürlich weiterhin meinen eigenen Rezepten folgen. Dann muss ich noch Geduld haben, bis die Folgen des darin liegenden Widerspruchs sich materiell niederschlagen und mir Misserfolg bescheren. Es ist unausweichlich. Wenn ich nicht mit dem großen Geist übereinstimme, erzeuge ich einen Widerspruch. Er wird mich zu Fall und dadurch hoffentlich zum Nachdenken bringen.
Mit Übereinstimmung mit dem Geist meine ich natürlich nicht jene sektenhafte Hallelujah-Übereinstimmung, bei der jedes Mitglied gewisse Bereiche von sich verleugnen muss, sondern die Übereinstimmung mit dem großen Geist, die mir in meiner individuellen Situation sehr individuelle Möglichkeiten der Entfaltung zeigt – natürlich unter Einschluss aller Sinne und meines persönlichen Urteilsvermögens, nicht einfach blind einer möglichen Illusion folgend. Bewusst eben. [Dahin führt uns schon allein die Biologie.] Es ist eine neue Ebene der Bewusstheit, die über Klugheit und Instinkt hinausführt.
Und das sollte keine positiven Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit dieses Menschen haben? Es ist klar, dass dieser Weg in jeder Hinsicht fördert.
Dabei müssen wir nur unserer Natur Raum geben. Uns respektieren in unserem ganzen Sein. Dann stoßen wir von selbst auf den Geist als unserem Grund.
Alle Weg führen da hin, sobald wir unseren Geist öffnen, sobald wir anfangen, uns unserer selbst bewusst zu werden. Und wenn wir am Grund unserer Existenz angekommen sind, folgt ganz von selbst unsere Kapitulation vor der großen Kraft. Dann wissen wir: Wir sind vollkommen in ihren „Händen“. Und wir brauchen keine Angst mehr haben, denn sie ist mit und in uns in jedem Augenblick. Und ihre Intention wird durch uns real.
Die Meditation
(ursprünglich intendiert für psychiatrisches Fachpersonal) 02_03_22
Meine Meditation ist sehr einfach. Sie schließen die Augen, atmen gut und gehen in sich selbst an einen angenehmen Ort. Lassen Sie alles los, auch was Sie in den Händen halten, legen Sie es einfach an einen sicheren Platz, vielleicht unter Ihrem Stuhl. Sie dürfen sich jetzt ganz entspannen. Alles ist in bester Ordnung. Sie sind vollkommen sicher.
Fühlen Sie jetzt, wie gut es ist, so bei sich zu sein. Und wenn Sie sich an ihrem angenehmen Ort so richtig gut fühlen, denken Sie jetzt an all das, was Sie in letzter Zeit verunsichert hat. Betrachten sie es von dem sicheren Ort aus, an dem Sie jetzt sind.
Und Sie werden jetzt die Lösungen sehen, ihre Lösungen.
Und Sie werden diese Lösungen behalten, wenn Sie wieder zurückgehen in Ihren Alltag. Sie brauchen sie jetzt nicht festhalten. Sie können vertrauen und loslassen.
Sie können es daher nun einfach wagen, meinen Worten zu folgen und mich jetzt begleiten (mit allen Ihren Sinnen) auf eine Reise durch das Universum und zurück an dessen Ursprung.
Sie wissen von den Dimensionen des Alls, von seinen Milliarden von Milchstraßen, die teils Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sind, und Sie wissen von unserem Sonnensystem mit seinen Planeten und von uns auf einem von ihnen, wie winzige Würmer, unscheinbarst, als eine äußerst unwahrscheinliche Chance der Evolution, und vielleicht sind wir auch nicht die Einzigen unserer Art in den unermesslichen Weiten des Universums.
Und Sie wissen, dass all das vor mehr als zehn Milliarden Jahren in einem gewaltigen Urknall begonnen haben soll.
Was für gewaltige Energie sich da entladen hat. Unvorstellbar.
Und dann ist diese Energie offenbar nicht einfach in Trägheit übergegangen, sondern sie hat das All in eine Richtung gedrängt, die am Ende uns Menschen hervorgebracht hat. Es war diese eine ursprüngliche Energie, die das alles hervorgebracht hat und diese Energie lenkt bis heute alles im Universum. Und es wäre daher nicht unbedingt intelligent, zu glauben, diese Energie hätte keine Bewusstheit – auch wenn diese Bewusstheit in einer gewissen Hinsicht auch unbewusst erscheinen mag, als sprachlose „Materie“ – aber gerade in dieser anscheinend sprachlosen Materie sehen wir doch durchgehend einen unverkennbaren Trend der Evolution und zwar genau den Trend hin zur Bewusstheit – gipfelnd in uns Menschen, zumindest unserer Anlage nach, also intendiert. Und dann setzt sich dieser Trend in unserem persönlichen Leben fort in dem unauslöschlichen Drang zur Realisierung dieser Bewusstheit. Es ist offenbar eine Art inneres Programm, das uns in diese Richtung drängt. Jeder Mensch hat diesen Drang und dieses Programm. Das Leiden drängt uns in diese Richtung und die Sehnsucht. „Der Himmel und die Hölle“, von denen die alten Religionen sprechen, bewegen uns tatsächlich. Von beiden Seiten drängt uns das Leben zu unserer vollkommenen Entfaltung.
Wir haben diesen Drang, diesen Weg nicht geschaffen. Es ist der Weg der gesamten Evolution von Anfang an und er wirkt in allem. Er ist uns eingebaut wie allem anderen auch. Von wem ist er uns eingebaut? Natürlich von dieser einen großen Energie. Sie wollte gerade auch uns und sie wollte und sie will immer noch, dass wir uns vollkommen entfalten. Und dadurch drängt sie uns schon von Natur aus in Richtung Bewusstheit. Es ist gar nicht unsere Wahl, aber wir werden uns unzufrieden fühlen, bis wir diesen Weg nicht bewusst eingeschlagen haben. „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir“, sagte daher einst der alte Kirchenlehrer Augustinus. Und dieses „dir“ oder „du“, von dem er spricht, ist jene eine große Kraft, die alles hervorgebracht hat. Seltsamerweise wird diese Kraft oft als kalt und gefühllos betrachtet, aber sie ist weder kalt noch gefühllos, im Gegenteil. Sie fühlt alles. Sie fühlt auch, was wir fühlen, denn wir sind doch eine Äußerung von ihr. Und natürlich können wir in direkte Kommunikation treten mit ihr, mit dem großen Du. Und da zeigt uns dieses Du unsere Chancen und es gibt uns natürlich auch die nötige Kraft, wenn wir durch sie und in Übereinstimmung mit ihr ein lohnendes Ziel sehen.
Logischerweise will diese große Kraft nicht unsren Untergang, sondern sie will, dass wir uns entfalten. Sie steht voll hinter uns. Und sie kennt von ihrer übergeordneten Warte aus den idealen Weg für uns – besser als wir selbst. Wir selbst sind mit unserer Weisheit ja nur bis da hin gelangt, wo wir sind. Wenn wir unzufrieden damit sind, dann gibt es hier ein Angebot: Wir können uns auf die Perspektive der großen Kraft einstellen, auf die Perspektive der Kraft des Ganzen und durch diese Perspektive Lösungen für uns selbst finden, die wir auf unserem bisherigen Kurs durch das Leben nicht finden haben können.
Deshalb ist die Übereinstimmung mit der großen Kraft das erste Ziel auf dem Weg zu unserem neuen Leben. Die Übereinstimmung mit der großen Kraft gibt unendliches Vertrauen. Und das Vertrauen entkrampft. Und dann beginnen die Dinge, sich zu lösen.
Das ist die Wirkung von Spiritualität.
Es kommt nun darauf an, diese Meditation öfter zu machen, immer wieder, möglichst täglich, irgendwann bald natürlich mit eigenen Worten. Dann beginnen die Dinge, sich zu lösen.
Und nun schauen wir noch einmal auf die Lösungen, die wir vorhin für uns selbst gefunden haben. Es ist leicht, uns wieder an sie zu erinnern: Wir brauchen uns nur noch einmal die Frage zu stellen, womit wir denn unzufrieden sind in unserem Leben, und dann die Antwort zu betrachten, die jetzt aus unserer ja gegenwärtigen Verbundenheit mit der Perspektive des Ganzen kommt.
Und auch jetzt brauchen wir nicht festhalten, was wir gesehen haben, denn wir können an diesen „Ort“ jederzeit zurückkehren, auch im Alltag, wir brauchen uns nur immer wieder die Frage stellen, womit wir denn unzufrieden sind in unserem Leben und uns dann einstellen auf die Perspektive des Ganzen. Sie wird kommen. Garantiert. Jederzeit. Es ist nicht schwer.
Und damit haben wir einen unschätzbaren Leitfaden für unser Leben entdeckt, den Ariadnefaden heraus aus unserem Labyrinth. Wir können diese Sicht jetzt jederzeit einblenden in allen konkreten schwierigen Fragen unseres Lebens.
Die Aussichten, die diese Sicht eröffnet, sind gewaltig, aber diese Sicht ist keine Errungenschaft. Sie ist ein Geschenk, das jedem gegeben wird, der es will, weil doch diese Kraft selbst uns zu dieser Sicht drängt. Diese Sicht ist daher etwas völlig Natürliches. Sie braucht auch keinerlei übernatürliche Annahmen und daher ist sie auch für Atheisten geeignet. Sie sucht keinen Gott irgendwo, denn sie weiß doch, dass die große Kraft das Wesen von allem ist. Wir brauchen sie nicht suchen. Wir brauchen nur unsere Augen aufmachen und sehen.
Und unsere Augen öffnen lernen wir in dieser Meditation.
In knappen Worten: Wir brauchen uns nur an die gewaltige Energie erinnern, die dieses Universum aus sich hervorgebracht hat. Und daran, dass diese Energie nicht blind ist, sondern dass sie auf unsere Entwicklung gedrängt hat und uns dadurch entstehen hat lassen, einfach durch den normalen evolutionären Druck in der Materie.
Und da sind wir nun und in uns die Bewusstheit und in ihr unsere Chance.
Die Perspektive des Ganzen ist die rettende Perspektive.
Das ist Spiritualität.
Bewusstheit.
Analyse des posthumen Erscheinens Jesu
anhand der Emmaus-Geschichte
(28. 4. 2002)
Die Emmausgeschichte (Lk 24, 13-35) gehört wahrscheinlich zum Legendengut des Lukas, trotzdem eignet sich die Geschichte als exemplarische Erzählung sehr gut dazu, zu verstehen, was mit der „Auferstehung Jesu“ gemeint ist:
Die beiden Jünger treffen am Tag nach der Kreuzigung auf ihrem Weg in ihr Heimatdorf Emmaus einen Fremden, der sie dazu veranlasst, sich ihre Erlebnisse mit Jesus noch einmal zu vergegenwärtigen. Der Fremde ist daher der Ehrengast und als dieser bricht er beim Abendessen das Brot. Und da läuft der Prozess ab, der später als „Auferstehung Jesu“ bezeichnet wird:
1. Im Augenblick des Brotbrechens erscheint aus ihrer doch extrem frischen Erinnerung das Bild Jesu und überlagert das Wahrnehmungsbild des Fremden. Sie sehen Jesus.
2. Aber sofort werden sie ernüchtert durch ihre Erkenntnis: Jesus ist tot und begraben. Er wird nie mehr wieder kommen! Nie mehr! Das ist ihnen so vollkommen klar, wie es uns klar sein würde.
3. Einen Augenblick später aber wird ihnen klar, dass Jesus ihnen doch alles bereits gesagt und gezeigt hatte, was es zu sagen oder zu zeigen gab. Es war nun klar an ihnen, seine Art zu leben aufzugreifen, sich innerlich so einzustellen, wie er eingestellt war, so aufzutreten, wie er aufgetreten war, so zu leben, wie er gelebt hatte.
4. In dem Moment, in dem sie aus ganzem Herzen „ja“ dazu sagten und sich diesem neuen Leben verschrieben – ist Jesus in ihnen lebendig geworden mit der ganzen Gewissheit seiner Gegenwart. Und damit ist er tatsächlich wiedergekehrt, tatsächlich auferstanden von den Toten.
Entscheidend zum Verständnis dieser biblischen Bilder und Formulierungen ist die (damals nicht mögliche) Unterscheidung zwischen „objektiv“ und „subjektiv“: Alle biblischen Auferstehungsberichte sind Aussagen über objektive Sachverhalte. Jesus ist in seinen Schülern tatsächlich wieder lebendig geworden. So wie er selbst es in seinen Aussagen über das Früchtebringen schon beschrieben hatte, war er der Same, der in die Erde gefallen ist – und bis heute Millionenfache Frucht gebracht hat.
Was subjektiv mit ihm geschah, weiß niemand. Die biblischen Auferstehungsberichte jedenfalls berichten nichts darüber. Sie berichten ja nur über „Erscheinungen“, also über ein (objektives) Erleben der Schüler Jesu – oder ihre subjektive Wahrnehmung.
Die Unterscheidung von subjektiv und objektiv ermöglicht eine genaue Analyse von Erscheinungen aller Arten, Erscheinungen von Verstorbenen genauso wie psychiatrische Erscheinungen, also Halluzinationen, aber auch mystische Erlebnisse.
Wenn beispielsweise ein Verstorbener entweder in einer Seance oder spontan „erscheint“, ist damit nichts über das subjektive Befinden des angeblich Erscheinenden ausgesagt, es ist nur etwas ausgesagt über den, der die Erscheinung (objektiv) wahrnimmt. Die bisherige Betrachtungsweise hat objektiv und subjektiv immer als eins gesehen. Dadurch sind gewaltige Missverständnisse entstanden, unter anderem eben die Meinung, das Grab Jesu wäre wirklich leer gewesen, weil eben Jesus seinen alten Körper in der Auferstehung wieder belebt habe. Und allein dieses Missverständnis (weil eben das Bild des leeren Grabes mit einem real leeren Grab verwechselt wurde) hat unglaublich viel Leid über die Menschen gebracht, durch die religiösen Auseinandersetzungen und gegenseitigen Verurteilungen und Verfolgungen. Die Unterscheidung von subjektiv und objektiv aber löst das Missverständnis auf:
Die Erscheinungen Jesu sagen nichts aus über die subjektive Existenz Jesu nach seinem Tod. Sie machen nur eine Aussage über eine Wirkung, die Jesus samt seinem Tod auf seine Schüler gehabt hat.
Es ist daher nicht notwendig, irgendwelche Erscheinung zu leugnen oder zu unterscheiden zwischen wahren oder unwahren Erscheinungen oder zwischen „echten“ und „unechten“ mystischen Erlebnissen. Die Wahrnehmung einer [jedweder] Erscheinung ist zunächst eine objektive Tatsache und muss als solche respektiert werden. Die Bedeutung und Interpretation des Inhalts dieser Tatsache ist aber immer eine subjektive, bezogen auf die Person, die die „Erscheinung“ hat, niemals bezogen auf die Person, die angeblich erschienen sein soll. Über die ist [auch durch die verlässlichsten „Seher“] weiterhin nicht mehr bekannt als die Wirkung, die sie auf die Person hat, die die Erscheinung hat. Wenn diese Person ratlos ist, kann ihr (therapeutisch) geholfen werden, wenn die Person dadurch aber innere Klarheit gewinnt über den Sinn des eigenen Lebens ist es diese Klarheit selbst, die wieder anderen helfen wird. So etwas war bei den Erscheinungen Jesu der Fall. Sie haben seine Schüler verwandelt. Aus ängstlichen Durchschnittsmenschen wurden Menschen, die die Welt veränderten. Aber alle Aussagen, die aus den Auferstehungs-Erscheinungen Rückschlüsse auf die Seins- und Befindlichkeitsebene Jesu ziehen, sind ganz klar illegitim.
Im Fall psychiatrischer Erscheinungen, also Halluzination und dergleichen, kann der Patient durch die Unterscheidung von „objektiv“ und „subjektiv“ verstehen, dass seine Wahrnehmung nicht [unter keinen Umständen] in Frage gestellt werden kann, es geht nun also nur noch um die Interpretation und deren Nutzung für das eigene Leben. Dadurch werden die Patienten nicht, wie durch die bisherige psychiatrische Sichtweise, entwertet, sie werden aber an die Aufgabe verwiesen, die das Leben diesen Patienten durch ihre Wahrnehmungen eben gestellt hat. Es muss ihnen nun nur noch geholfen werden, eine Lösung für die Widersprüche zu finden, auf die die Erscheinungen hindeuten. Darauf allein muss sich das therapeutische Bemühen konzentrieren.
Die Unterscheidung zwischen „subjektiv“ und „objektiv“ liefert aber beispielsweise auch eine Erklärung dessen, was in einer Familienaufstellung geschieht: Derjenige, der die Aufstellung macht (nicht der Leiter, sondern der Klient) bringt sich mit all seinem bewussten und unbewussten Wissen ein. Es geschieht so eine Art Invokation oder eine Projektion dieses [objektiv vorhandenen] Wissens in das Feld der Aufstellung. Der Klient oder Patient hat auch alles Wissen, das für die Lösung seines Problems relevant ist, aber es ist ihm nicht zugänglich. Die Projektion nach außen ermöglicht ihm und seinen Helfern aber einen Überblick. Die energetischen Verflechtungen beispielsweise mit den Ahnen und mit anderen Familienangehörigen werden sichtbar. Die Aufstellung ist eine objektive Darstellung dieses energetischen Geflechts aus der Perspektive des Patienten. Kein Detail dieser Ansicht muss übereinstimmen mit subjektiven Empfindungen oder Anschauungen anderer Beteiligter an dem Geflecht. Es geht in einer Familienaufstellung ja nicht darum, eine intersubjektiv übergeordnete Objektivität zu erreichen [wie etwa in einem Gerichtsprozess], sondern die Objektivität des Patienten reicht aus für die Lösung. Alle anderen Perspektiven der anderen Beteiligten können nur als subjektiv bezeichnet werden und sie scheiden damit als wirkende Faktoren aus. Die einzige andere Objektivität, die noch eine Rolle spielt, ist die der menschlichen Natur, die sich aber auch im Patienten als subjektives Wahrheitsempfinden vorhanden ist in Form von Archetypen der Beziehungen. Die Aufgabe des Familienstellens besteht also darin, diese Archetypen der Beziehungen in Beziehung zu setzen zu dem persönlichen Empfinden der real erlebten Beziehungen. Aus dem Vergleich dieser beiden Bilder [des kollektiven mit dem persönlichen] entsteht das Lösungsbild. Die subjektiven Empfindungen der anderen Beteiligten spielen dafür erst dann eine Rolle, wenn in dem Klienten während seiner Suche nach einer Lösung ein Interesse daran erwacht, also nur insofern, als sie eine Lücke in der Wahrnehmung des Klienten bilden, deren Schließung für die Lösung notwendig ist.
Auf die Frage nach dem subjektiven Schicksal Sterbender scheint die Gerichtsrede Jesu zu antworten. Doch auch sie macht keine konkreten Aussagen. Sie bringt nur Bilder, die darauf aufmerksam machen, dass das Leben nicht ewig dauert, dass es also gut sein wird, es nicht ungenützt verstreichen zu lassen – Jesus rüttelt auf etwa nach dem Muster von „Was bringt es euch, wenn ihr nur die grüßt, die euch grüßen?“
Eine andere Quelle könnte die Reaktion Jesu auf die Geschichte mit der Frau sein, die nacheinander von sieben Männern geheiratet worden war und alle überlebt hatte. Wem wird sie also nach der Auferstehung gehören? Leider enttäuscht Jesus auch hier die Fragesteller mit seiner Aussage, dass die Verstorbenen nicht heiraten, sondern dass sie sind „wie Engel“. Denn – wie sind Engel? Es sind „Boten Gottes“, aber damit ist noch nicht einmal gesagt, dass sie eine subjektive Existenz haben, denn es kommt ja nur darauf an, dass die Botschaft den erreicht, für den sie bestimmt ist; die Botschaft kann ja sogar in einem Stein liegen, über den ein Mensch stolpert oder in irgendetwas sonst, was [zumindest in dieser Beziehung] kein subjektives Bewusstsein hat. Also ist auch die Aussage „wie Engel“ nicht im Mindesten eine konkrete Aussage über ein Leben nach dem Tod, sondern nur die Ablehnung der primitiv materiellen Vorstellungen der Pharisäer und der Sadduzäer.
Am ehesten finden wir bei Paulus eine Antwort, wenn er sagt: „Kein Auge hat es gesehen und kein Ohr hat es gehört, was Gott denen bereitet, die ihn lieben.“ Aber natürlich ist auch da nur der Sehnsucht die Tür geöffnet ohne auch nur den winzigsten Hinweis auf ein Wie.
Das einzig Konkrete zu der Frage nach dem subjektiven Schicksal eines Sterbenden ist das „er wird abwischen alle Tränen“.
Und dass es im Gegensatz dazu auch die Möglichkeit geben könnte zu „Heulen und Zähneknirschen“.
Es gibt weiters keine Angaben über eine Dauer des „ewigen“ Lebens. Es könnte sich auch um einen einzigen Augenblick vollkommener Klarheit handeln oder es könnte in einer Reihe von Wiedergeburten bestehen.
Alles ist offen. Wir wissen nichts – wir wissen nur, dass Jesus auferstanden ist, nicht unbedingt subjektiv, sicher aber objektiv.
Zusammenfassung der Begriffe:
„Die Wahrnehmung ist für den Wahrnehmenden bestimmt“, sagen die Yoga Yutras. Aus der objektiven Tatsache der Wahrnehmung von „etwas“ dürfen keine Rückschlüsse auf die subjektive Existenz des Wahrgenommenen gezogen werden. Die objektive Existenz des Gegenstands ist in der Wahrnehmung gegeben. Die objektive Existenz bedeutet aber nicht, dass eine Wahrnehmung durch einen anderen Menschen nachvollzogen werden könnte. Das ist nur möglich, wenn der Gegenstand der Wahrnehmung auch subjektiv, also auch für sich, existiert.
Und dann gibt es eine Zwischenstufe, etwa von Projektion. In der Projektion existiert ein Gegenstand als solcher auch nicht für sich, sondern er wird von einem Menschen [oder einem Geist, also von einer intersubjektiven Gruppierung] projiziert, so dass andere diese Projektion wahrnehmen können.
Mit solchen Projektionen arbeiten beispielsweise die Familienaufstellungen oder die Schamanen.
Ebenfalls in diese Kategorie einzuordnen sind die [mythischen] Bilder sowohl der Religionen als auch der Ideologien.
Eine Religion geht aus von einem realen, d.h. subjektiv für sich existierenden Menschen oder von einer ganzen Reihe solcher Menschen.
Diese realen Beispiele oder Vorbilder unterscheiden sich von späteren Mystifikationen [beispielsweise der Präexistenz Jesu oder Mohammeds] genau dadurch. Die Mystifikationen sind Projektionen, die helfen sollen, das Original-Bild zu stabilisieren [eine Art Anti-Oxidationsmittel], ihm die Beliebigkeit zu nehmen.
Es wird vorteilhaft sein, diese Tatsache als solche zu erkennen. Dann hört sich der Aberglaube sofort auf. Dann erfolgt keine Verwechslung mehr von Bild und Wirklichkeit.
Holocaust
(12. 4. 2002)
Die Juden sind nicht so sehr deshalb in den Holocaust gekommen, weil sie ihren Bund mit Gott vergessen hatten, sondern weil ihr Opfer „heilsgeschichtlich“ notwendig war. Sie wurden vom großen Geist als sein Eigentum beansprucht (wie Jesus beansprucht worden war) und die Waagschale geworfen – und das hat die Entscheidung gebracht für eine neue Welt.
Deshalb haben die Juden auch ein Anrecht auf eine neue Heimat.
Umkehr
2002_04_12
Ich weiß, dass die Umkehr eine reine Gnade ist, nichts, das ich tun könnte. Trotzdem muss ich mich bemühen, aber die Umkehr kommt nicht durch mein Bemühen, sie ist kein Verdienst, sie ist ein reines Geschenk aus einer anderen Sphäre.
In der Sphäre des Ego, in dem das Bemühen angesiedelt ist, gibt es keine Umkehr, die Umkehr besteht ja gerade darin, dass sich die andere Sphäre öffnet und die öffnet sich von der anderen Seite, wenn wir bereit sind.
Immerhin sagt Jesus: „Klopft an und es wird euch aufgetan.“ Aber unser Anklopfen muss [und wird am Ende] schon aus dem demütigen Geist der anderen Sphäre inspiriert sein.
Kindlich bitten.
Bitten im Wissen um das eigene Unvermögen.
Ich bitte dich, lieber Gott, hab Erbarmen mit mir stolzem Menschen und zeig mir meine Hartherzigkeit. Und lass mich meine Hartherzigkeit unterscheiden von der notwendigen Strenge zu mir selbst und zu den anderen.
Theologische Inzucht
(19. 4. 2002)
Jesus hat gesagt: „Was habt ihr davon, wenn ihr nur die grüßt, die euch grüßen?“
Und Paulus meinte: „Prüft alles, behaltet das Gute.“
Keiner von beiden sagt: „Und dann [wenn euer Dogmengebäude steht] beschäftigt euch nur noch mit eurem eigenen Kram.“ Aber das ist die Dummheit, an die sich viele der Theologen halten [zumindest von den christlichen und den islamischen].
Eine Sexuelle Kultur
20. 4. 2002
Eine sexuelle Kultur muss heute neu entstehen, weil die sexuellen Kulturen des Patriarchats nicht mehr funktionieren, weil sie der heutigen Lage der Welt nicht mehr angemessen sind.
Die heutige sexuelle Kultur beruht auf der Freiheit, die sich die Leute heute ohnehin nehmen. Anstatt irgendetwas zu verdammen oder zu verbieten, muss das, was getan wird, zunächst verstanden und dann auch „offiziell“ gewährt werden – und gesichert.
Es muss klar sein, dass alles menschlich und möglich ist, dass es bei allem eventuellen Restriktionen nur darum gehen kann, die Integrität der Person unter allen Umständen zu schützen, d.h. dass Schaden abgewendet wird. Eine freiheitliche Gesellschaftsordnung muss vor allem die Freiheit schützen und in ihr logischerweise die Integrität [also wieder die Freiheit] der Person. Es darf keine Übergriffe geben, keinen Eingriff in Rechte Dritter. Nur da ist Zwang erlaubt, wo die Freiheit und die Integrität der Person in Gefahr sind.
Das bedeutet, dass heute jede Art von sexueller Freiheit nicht nur als tatsächlich vorhanden, sondern auch in ihrer Eigenart respektiert werden muss, solange eben nicht in die Rechte [die Integrität und Freiheit] eines anderen eingegriffen wird.
Das bedeutet aber nicht, zu sagen, jede sexuelle Spielart sei für jeden empfehlenswert. Jeder muss das selbst finden, was für ihn/sie in Wahrheit Frieden und Zufriedenheit bringt. Jeder trägt die Verantwortung dafür selbst und allein.
Keiner ist ein Opfer, außer der, der sich selbst zum Opfer erklärt und nur solange er das tut. Es gibt für jeden [und für jede Entwicklungsstufe der Bewusstheit] eine Form von Sexualität, die passt – und sei es völlige Abstinenz. Nur eine Form kann niemals passen, nämlich eine solche, die den Partner / die Partnerin missachtet.
Die neue Ordnung der Sexualität wird sich unter den Prämissen von Freiheit und Respekt von selbst herauskristallisieren. Das ist der natürliche evolutionäre Vorgang. Der Unterschied zur alten Ordnung besteht darin, dass jetzt keine patrilineare Ordnung mehr herrscht, sondern eine demokratische Ordnung, in der die Freiheit und die Integrität der Person den obersten Platz in der Wertehierarchie einnehmen.
Das bedeutet, dass bei jeder Partnerwahl eine Auseinandersetzung stattfinden wird. Und dass auch in dieser Kommunikation Richtung und sozialer Wert der Person nach dem tatsächlichen, gefühlten Wert bemessen werden wird.
Der sexuelle Wert ist auch ein sozialer Wert, aber eher ein instinktiver – deshalb aber umso unumstößlicher. Um das zu veranschaulichen: Der sexuelle Wert einer Person nimmt normalerweise mit der Vitalität zu und daher mit dem Alter ab, er kann unter Umständen aber mit zunehmendem Alter weiter zunehmen, wenn der betreffende Mensch eine Entwicklung zu größerer Bewusstheit durchgemacht hat und außerdem nimmt er noch zu durch den sozialen Wert [damit meine ich Geld und Ansehen, die den sozialen Wert ja spiegeln] dieser Person.
Durch diese natürlichen Vorgaben sind die Möglichkeiten der Partnerwahl eingegrenzt. Eine Filmschauspielerin wird kaum einen ungebildeten Hilfsarbeiter zum Partner wählen – es sei denn dieser wäre von ungewöhnlicher Attraktivität, also Sex Appeal. Und dann [weil Sex-Appeal ja eine soziale Kompetenz einschließt] hat er auch die Fähigkeit mit ihr auf einer Ebene zu kommunizieren.
Es geht um Kommunikation. Darauf beruht die neue sexuelle Kultur. Alles ist erlaubt, außer jemandem schaden. Aber die Bedürfnisse müssen kommuniziert werden. Korrespondierende Partner müssen gefunden werden. Und dieses Finden ist ein fortwährender Prozess. Nichts kann als gesichert gelten im Leben. Wir müssen daher stets neu finden. Auch in einer bestehenden Partnerschaft. Sonst hört sie auf, zu leben, zu bestehen.
Dieser Prozess ist ein ständig erneuerter Prozess.
Egal welchen Perversionen jemand frönen mag, er/sie muss Partner dafür finden – und wenn einer ein Monomane ist, dann muss er eben mit diesem Schicksal zu Recht kommen. Auch das erfordert Kommunikation.
Und Kommunikation bewirkt Toleranz. Die Unterschiede werden sichtbar und sie werden respektiert. Das heißt ja nicht, dass sich jeder auf alles einlassen muss, natürlich nur auf das, auf das er sich einlassen will. Freiheit ist die oberste Direktive sowie die Integrität der Person. Darauf achtet jeder bei sich selbst, und nur auf die, die nicht auf sich selbst achten können, achtet die Gesellschaft.
Die neue sexuelle Kultur mag zunächst chaotisch erscheinen, aber sie wird sich gesellschaftlich klären in dem Maß, in dem die sexuelle Kommunikation zunimmt, in dem Maß, in dem jeder sich zeigt [wie die Tiere das stets tun], so wie er ist, ohne Angst.
Dazu, diese [krank machende] Angst zu nehmen, braucht es die neue sexuelle Kultur. Jeder darf sein, auch die perversesten Perversionen, solange niemand damit geschadet wird. So gibt es beispielsweise eine Indianergeschichte, die erzählt, wie es dazu kam, dass ein Sohn mit seiner Mutter geschlafen hat, und dass das letzten Endes, nachdem das bekannt wurde, niemand mehr im Stamm verurteilt hat.
Die eventuell befürchteten psychischen Schäden durch solche Erlaubnis besonders die Jugend betreffend [Sokrates ist ja als „Verführer der Jugend“ hingerichtet worden], werden gerade vermieden durch die frühe Aufforderung schon an das Kind, auf das zu achten, was da ist, was heraus will. Nur indem das herauskommen darf, kann sich die Spreu sehr schnell vom Weizen sondern. Wenn es aber nicht herauskommen darf, wird sich ein innerlicher Druck anstauen, der das Fass irgendwann zum Platzen bringt. Und das ist dann ein wirklicher Schaden. Also braucht es keine Einschränkungen der [sexuellen] Freiheit, außer in dem genannten Bereich der sozialen Sicherung der Freiheit und der Integrität der Person.
Jeder muss für sich selbst prüfen, was gut ist, was sie/ihn zufrieden macht.
Und wenn das in einer fortgesetzten Reihe von Eroberungen bestünde und wenn sämtliche Treueschwüre gebrochen würden! Niemand hat ein Recht auf einen anderen Menschen. Eine Beziehung muss errungen und gepflegt werden – durch Kommunikation natürlich, egal welcher Art diese Beziehung ist. Und darüber sollte sich jeder im Klaren sein. Es gibt keine Garantie. Es gibt nur die Möglichkeit einer Vereinbarung von Fall zu Fall – wobei natürlich immer alles mitschwingt, also beispielsweise auch die emotionalen und realpolitischen Gründe für eine stabile Zweierbeziehung.
Und natürlich spielen auch die Möglichkeiten der Ansteckung durch Krankheiten eine Rolle. Wie sagte schon der Apostel Paulus? „Alles ist erlaubt, aber nicht alles tut gut.“
Jeder muss natürlich prüfen und alles tun, um nicht ein Opfer zu werden – und wenn er es geworden ist, sich aus dieser Opferrolle befreien. Es ist nötig zum Gestalter, zum Schöpfer des eigenen Lebens zu werden. Das ist der göttliche Schöpfungsauftrag an den Menschen, deshalb heißt es ganz realistisch am Anfang der Bibel, Gott habe den Menschen nach seinem Bild gemacht, als eine Kopie von ihm. Das ist ein Auftrag, ein Schöpferauftrag für das ganze Leben.
Gott kommuniziert ständig mit allem. Gemäß dem biblischen Schöpfungslied hat er den Menschen gefragt, welche Art Gefährtin er möchte und sie entsprechend geschaffen aus einem [als ein] Teil von ihm als das korrespondierende Gegenüber. Das bedeutet Kommunikation.
Und was soll denn kommuniziert werden, wenn nicht die Wahrheit? Alle andere Kommunikation ist doch der Kommunikation nur abträglich. Die Wahrheit ist das, was der Fall ist. Deshalb heißt es in der Bibel ja immer „sie erkannten einander“, wenn zwei Partner sich gefunden haben.
Und natürlich müssen wir mit Täuschungen rechnen. So wie die Spinne im Netz Fliegen fängt, so werden auch Menschen anderen Menschen auf den Leim gehen. [Dracula ist das Symbol dafür]. Das wird so bleiben, aber [auch bei uns persönlich] abnehmen in dem Maß, in dem sich Bewusstheit verbreitet. Indem wir mit Täuschungen rechnen, wird sich unsere Bewusstheit erweitern und wir werden Täuschungen erkennen.
Ein Täuschungsmanöver ist allerdings auch gefährlich für den, der täuscht, er/sie riskiert damit unter Umständen seine Existenz, wenn seine Täuschung nicht im Einklang ist mit seinem Gegenüber.
Auf diese Weise gibt es nur freiwillige Opfer. Denn auch die, die unfreiwillig Opfer geworden sind, werden ihre Perspektive sofort ändern und ihre Situation annehmen, so wie sie ist, und von da aus in eine bessere Zukunft gehen. Sie werden die Energie des Schmerzes nutzen zur Veränderung.
Das bedeutet sexuelles Lernen. Es ist eigentlich kein Lernen, sondern ein sich Öffnen für die Vielzahl an Möglichkeiten, es ist eine Art Sehen Lernen durch Beseitigen der Scheuklappen verschiedenster Art, beispielsweise die Auffassung, eine Ehe begründe einen Besitzanspruch oder die Auffassung, Homosexualität oder Prostitution sei etwas Abscheuliches. Es gibt nur ein Kriterium und das ist die Wahrheit, unsere eigene Wahrheit. Das Sehen war natürlich immer schon da, aber es war uns durch unsere Scheuklappen nur im beschränkten Umfang möglich. Wenn die Scheuklappen weg sind, ist die Sicht frei. Das ist nichts Mysteriöses. Das ist rein logisch.
Deshalb sagt Lao tse, es sei nicht nötig zu lernen, sondern es gehe darum, zu verlernen. Die Scheuklappen sind uns ja nicht angeboren, sondern erlernt.
Wenn ich von der Integrität der Person sprach, meinte ich darin eingeschlossen natürlich die Kinder, die aus Beziehungen der verschiedensten Art hervorgehen. Ihr Aufwachsen muss gesichert werden. Dafür ist nach den Eltern vor allem die Gemeinschaft zuständig, die auch dafür neue Wege finden muss. Auch das gehört zur sexuellen Kultur, da die Sexualität ja doch hauptsächlich für den Fortbestand der Menschheit da ist. Auch diese Tatsache wird ihren Niederschlag im sexuellen Verhalten finden.
Ganz von selber werden Menschen immer wieder Familien gründen und sich um ihre Kinder kümmern und zwar in der Weise, dass es die Kinder möglichst einmal besser haben als ihre Eltern, dass sie also von ihnen profitieren in jeder Hinsicht. Wir brauchen keine Angst haben, dass die Menschheit ausstirbt. Die Kinder werden auch das bekommen, was sie brauchen, vor allem Liebe, also das Bewusstsein, dass jemand sie mag und für sie da ist. Das gehört ja zur menschlichen Natur.
Aber darüber hinaus müssen neue/alte soziale Formen für das Aufwachsen der Kinder [wieder]gefunden werden. In alten Stammeskulturen war es oft der ganze Stamm, der sich um den Nachwuchs gekümmert hat, wer halt gerade Zeit hatte. Und deshalb sind da vor allem die Alten zu den Erziehern der Jungen geworden. Und das war gut, denn die Alten haben natürlich schon den weiteren Horizont.
Etwas Ähnliches muss sich heute entwickeln – vielleicht rein praktisch als Kombinationen von Kindertagesstätten und Altenheimen. Um sexuelle Übergriffe zu vermeiden, könnten die Kontakträume ja für alle gemeinsam sein, also entsprechend groß angelegt mit Kontrollen an den Ein- und Ausgängen. Und da würde sich die ganze Kommunikation abspielen, frei, ohne jeden Zwang. Ganz von selbst würden da ähnliche Strukturen entstehen, wie in den alten Stammeskulturen. Geschichtenerzähler würden sich finden und Zuhörer für sie. Andere würde die Kinder praktische Dinge lehren, beispielsweise musizieren oder singen oder etwas bauen oder etwas zerlegen, je nach dem, was gerade ansteht.
Was zwei Menschen miteinander machen, geht sonst niemand etwas an, es sei denn, einem wird Unrecht zugefügt, also körperlicher Schaden.
Um die Psyche muss sich jeder selber kümmern. Verantwortung ist gefragt. Wer in eine Sucht oder in eine andere Abhängigkeit hineinschlittert [früher hätte man gesagt „in einen Götzendienst“], sollte sich dessen bewusst werden. Und wer ein Opfer geworden ist, muss alles tun, um sich zu befreien – oder sich nicht weiter beklagen über sein Opferdasein, weil er es dann ja offensichtlich selbst will. Nur – niemand kann und darf beurteilen, ob jemand alles tut, außer die Person selbst. Aber eben auch ein Opfer hat Verantwortung, auch ein Opfer, das schon alles getan hat, und trotzdem Opfer geworden ist, muss weiter alles tun, bis es frei ist. Das ist die Regel auf allen Ebenen.
Und diese Regel stimmt überein mit den obersten Werten einer jeden Religion. Konflikte mit unteren Werten [der Religionen] sind unter dieser Perspektive als untergeordnet zu betrachten.
Wer in einer Partnerschaft abhängig geworden ist, sollte sich dessen bewusst werden und dann entscheiden, ob er in dieser Position bleiben will oder ob er sich verändern will. Die anderen zu verändern ist ja bekanntlich nicht möglich. Die anderen können sich nur freiwillig ändern, vielleicht aber ändern sie sich durch unser angenehmes oder herausforderndes Beispiel.
In der sexuellen Kultur spielt natürlich auch die Gentechnik eine Rolle, eine gestaltenden Rolle. Was spricht dagegen, dass versucht wird Gendefekte auszuschließen? In dieser heutigen Debatte über die Gentechnik mit dieser großen Angst vor Manipulation und vor der Abtötung von vollkommenen Menschen muss klar sein, dass sich diese Technik ohnehin durchsetzen wird, weil sie einfach eine Möglichkeit ist. Und es ist sinnlos, zu spekulieren über den Zeitpunkt der Erschaffung [der „Seele“] eines Menschen, etwa im Augenblick der Befruchtung des Eies. Selbst Thomas von Aquin meinte ja noch, dass die Seele erst in einen Menschen einkehre, wenn sich die Knochen formten und ähnliches habe ich von islamischen Sufis gehört.
Das Familienstellen hat außerdem gezeigt, dass jede Abtreibung eine Trauer zur Folge hat und dass sich Schäden einstellen, wenn die Trauer nicht zugelassen wird, weil ihre Wahrnehmung aus ideologischen Gründen ausgeschaltet wird. Das ist, was der Fall ist. Es geht ja um eine erweiterte und vertiefte Wahrnehmung. Daher ist es nur nötig, diese Zusammenhänge zu erkennen und selbstverantwortlich zu lösen. Es kann keinen gesellschaftlichen Schutz des Embryos geben. Dieser Bereich gehört zur Sphäre der Eltern, es geht um ihre Verantwortung für ihren eigenen Seelenfrieden. Den müssen sie finden. Und das geht nur durch Vertrauen in den Prozess von Versuch und Irrtum.
Das betrifft eben auch die Gentechnik. Was die Eltern – unter Beachtung gewisser allgemein gültiger Regeln etwa dem Hippokratischen Eid entsprechend – wünschen und erlauben, soll möglich sein – und wenn die Eltern künftiger Langzeitraumfahrer sich ihre Kinder etwa mit vier Armen und ohne Beine wünschen würden. Wer weiß, welche Notwendigkeiten oder Bedürfnisse noch entstehen werden? Alles ist möglich, auch in dieser Beziehung. Und selbst wenn es dabei gelegentlich zu Fehlern kommt. Auch heute werden behinderte Kinder geboren, das wird durch den Einsatz der Gentechnik sicherlich nicht vermehrt, sondern verringert werden. Wir brauchen also keine Angst davor haben. Wir können sie begrüßen als eine positive Erweiterung unserer Möglichkeiten.
Und selbst wenn es eines Tages so kommen würde, dass alle Kinder nur noch im Labor wachsen würden von der Befruchtung bis zu ihrer Geburt, auch das würde nur kommen können, wenn es sich bewährt.
Wir brauchen keine Angst haben, dass die Menschen aufhören Menschen zu sein. Sie werden immer fühlen, was ihnen nicht gut tut und sie werden das meiden und sich in die Richtung orientieren, die ihn gut tut. Daran wird alle Gentechnik nichts ändern. Sonst wären die Menschen nicht lebensfähig.
Ein Lösungsbild für den Kulturkonflikt
zwischen dem Islam und dem Rest der Welt
(20. 4. 2002)
Es gibt zwei Stufen.
Die erste Stufe ist die der Lösung des Konflikts in Palästina. Jetzt bietet sich dafür eine einmalige historische Chance.
Es wird aber notwendig sein, sich zu lösen von dem Konzept der zwei Staaten. Es wird notwendig sein, das ganze Gebiet zu einen.
Sharon ist gerade dabei, das zu tun. Er wird die Terrornetze zerschlagen und dabei wird sich eine neue Ordnung ergeben.
Entweder die Palästinenser lassen sich darauf ein [und ergreifen die Chance, die für sie darin liegt, nämlich die Mehrheit in diesem Staat zu sein und die Politik daher entscheidend mitzubestimmen] oder sie lassen sich nicht darauf ein [weil sie aus ideologischer Verbohrtheit die Chance gar nicht sehen können].
Wenn sie sich darauf einlassen, dann, wie gesagt, haben sie eine faire Chance auch in der Zukunft und in jeder Beziehung.
Wenn sie sich nicht darauf einlassen, dann haben sie ein großes Problem. Sie werden zwar ihren separaten Staat bekommen, aber darin aushungern – oder stetige strenge Kontrollen der Israelis [oder einer internationalen Friedenstruppe] dulden müssen.
Und dann bleibt natürlich das Problem der geteilten Stadt Jerusalem. Wie kann nur irgendwer denken, das könnte lange gut gehen? Der nächste Konflikt ist da ganz klar vorprogrammiert.
Wenn sie sich aber darauf einlassen, dann bedeutet das natürlich auch eine Angleichung der Bildungschancen und –voraussetzungen für die Palästinenser. Sie können sich zusammen mit den Israelis [und logischerweise unter deren Führung, weil sie ja im Land ihrer Träume leben] ein Paradies aufbauen, um das sie alle rundherum beneiden werden, was zur Nachahmung anregen wird.
Ein von beiden Seiten als „pluralistisch“ definierter Staat Palästina/Israel wäre ein wahrer Segen für die ganze Welt.
Die zweite Stufe hängt insofern mit der ersten zusammen, als eine Lösung des Palästinakonflikts natürlich eine Entspannung bringen wird, die sich beispielgebend auch auf andere Gebiete des Kulturkonflikts auswirkt.
Die zweite Stufe betrifft die Bekämpfung des Terrorismus, dem sich die USA verschrieben haben im Namen der Freiheit für alle Menschen.
Diese zweite Stufe wird ein Umdenken von Seiten der Moslems auch in religiösen Angelegenheiten notwendig machen.
Und auch hier gibt es wieder die zwei Möglichkeiten, nämlich einer Annahme der Herausforderung oder einer Ablehnung dieser Herausforderung und einem Beharren auf dem Besserwissen.
Die Annahme der Herausforderung bedeutet Respekt vor allem Menschlichen, also vor allen Möglichkeiten menschlichen Lebens. Das bedeutet natürlich eine Abkehr von der Einteilung der Menschheit in Gläubige und Ungläubige, in der ein Mensch als solcher gar nicht mehr wahrgenommen wird, sondern nur noch das Etikett. Und es bedeutet eine Abkehr von der Bewertung des Koran als unüberholbare letzt- und allein gültige Offenbarung für alle Menschen und eine Anerkennung der Tatsache, dass Gott viele Wege hat, mit den Menschen zu kommunizieren und dass es dazu letztlich gar keine bestimmten Instrumente oder Institutionen braucht.
Die Annahme der Herausforderung bedeutet Frieden.
Die Ablehnung der Herausforderung bedeutet Krieg, ganz im wörtlichen Sinn – oder eine völlige Isolierung aller Staaten, die sich nicht ausdrücklich und nachweislich mit allen Mitteln für die Verfolgung jeder Art von Terrorismus einsetzen. Und das setzt eben auch diese Aufklärungsarbeit voraus, durch die die gegenwärtige Überhöhung des Koran aufgehoben wird. Die jüngste islamische Erkenntnis geht schon in diese Richtung, indem sie sagt, dass die Scharia nichts mit dem Koran zu tun hat.
Insofern hat der gegenwärtige Kulturkonflikt sehr gute Aussichten, die Bewusstheit überall auf der Welt zu heben, denn er kann nur durch eine höhere Bewusstheit aufgehoben werden.
Beide Parteien müssen die Lage von einer übergeordneten Perspektive, nämlich von der Perspektive des Ganzen aus betrachten und von da her ihre Schlussfolgerungen ziehen, anstatt auf ihrer Froschperspektive zu beharren.
Insofern wird die Politik Sharons natürlich nicht das bewirken, was Sharon vermutlich beabsichtigt, nämlich die Stärkung eines rassisch gereinigten Israel, sondern die Juden müssen einfach mit den Palästinensern teilen, was da ist.
Genauso natürlich haben auch die Anschläge bin Ladens nicht nur das bewirkt, was sie erreichen wollten, sie haben ja auch den Bewusstheitsprozess in Gang gesetzt, der Positionen wie die Bin Ladens in Zukunft unmöglich machen wird.
Das ist immer das Paradox der Geschichte. Der Wille stößt zwar etwas an, indem er etwas erzwingen will, aber das Ergebnis ist nie das Gewollte, denn das Gewollte stellt sich als ein Hirngespinst der Froschperspektive heraus, das natürlich angesichts der Perspektive des Ganzen aufgehoben wird – und zwar letzten Endes ohne Reue, sobald die Herausforderung angenommen ist.
Für den Fall, dass die islamische Welt die Herausforderung nicht annimmt, droht ihr völlige Isolierung und damit eine Art Aushungern, wie es die Sowjetunion erlebt hat, mit dem Bankrott am Ende. Das ist kein sehr angenehmer Weg.
Und natürlich ist der Weg des Terrors kein religiös begründbarer Weg, obwohl er gerade angeblich-religiös begründet wird. In Wirklichkeit ist es nur ein Weg der Sturheit und der Paranoia bei gleichzeitigem [religiös illusioniertem] Größenwahn. Es hat nichts mit Religion zu tun. Es ist im Grund ein Minderwertigkeitskomplex bei gleichzeitiger Leugnung dieses Komplexes und der Kompensierung durch eine religiöse Phantasie. Anstatt die tatsächlich vorhandene Minderwertigkeit zu sehen und da anzusetzen, um den eigenen Wert zu erhöhen, glaubt man, man selbst habe bereits den höchstmöglichen Wert, denn man habe die höchste Wahrheit und die anderen wären minderwertig, weil sie Ungläubige seien. Logisch dass das eine völlig bornierte und der Realität nicht angemessene Sichtweise ist, die nur Frustration und Misserfolg ernten kann.
Es ist natürlich nicht angenehm, erkennen zu müssen, dass man sich auf einer vergleichsweise primitiven Kulturstufe festgefahren hat, dass man, einer eingebildeten religiösen Wahrheit zuliebe, nicht zur Kenntnis genommen hat, wohin sich der Rest der Menschheit in der Zwischenzeit bewegt hat.
Dabei würde die Weiterentwicklung der religiösen Wahrheit nicht den geringsten Abbruch tun, aber natürlich muss eine höhere Stufe der Bewusstheit erreicht werden, eine tiefere Einsicht in die Wirklichkeit und in die Geheimnisse Gottes. Der Horizont muss sich weiten. Die ganze Welt muss einbezogen werden – samt ihren real vorhandenen verschiedenen Wegen zum Heil.
Alles, was nötig ist, ist, auf den Größenwahn zu verzichten, nämlich zu glauben, besser zu sein als irgendjemand sonst aufgrund der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Glaubenssystem.
Alle Wege sind gleichberechtigt. Jeder Mensch steht im Kontakt mit dem Ganzen, jeder auf seine Weise. Daher ist Toleranz das oberste Gebot, das Einzige, was mit Gewalt durchgesetzt werden darf.
Das setzt natürlich – und das sage ich speziell den gläubigen Moslems – Vertrauen voraus, wirklichen Glauben an den einen allmächtigen Herrn und Schöpfer dieser Welt, und damit logischerweise daran, dass er die Zügel doch bereits in der Hand hat und dass wir darauf bauen können. Wenn dieses Vertrauen nicht da ist, ist Toleranz unmöglich.
Wenn die Toleranz aber da ist, geht alles andere von selbst, nämlich das sich Einbinden in die größere Einheit. Dann ist der Islam keine Gefahr mehr für den Rest der Welt und der Rest der Welt keine Gefahr mehr für den Islam, daher ist Integration möglich – natürlich nicht im Sinn eines Verlusts der Eigenständigkeit und der Eigenart, sondern im Sinn einer Weiterentwicklung des islamischen Geists – aber eben nicht mehr im Sinn einer Indoktrinierung und mit politischem Zwang, sondern in Freiheit.
Und das betrifft natürlich genauso die Juden. Sie sollen doch ihren Tempel haben – natürlich unter Einbeziehung der gegenwärtigen Realitäten, etwa der Moschee und den Kirchen auf dem Tempelberg. Diese Kultstätten müssen eben eingebunden werden in das größere Heiligtum. Anstatt die Anderen rauswerfen zu wollen, muss der Tempel eine Einheit erzeugen unter den Religionen. Dann entspricht er dem, was die heutige Rolle des Volkes Gottes nur sein kann, nämlich wieder die eines Vorbilds, dem die anderen gerne nacheifern. Die bisherigen Heiligtümer auf dem Tempelberg müssen eben als Arten von Vorhöfen des Allerheiligsten des Tempels betrachtet werden.
Und dieses Allerheiligste des Tempels können dann die Moslems genauso respektieren, wie die Juden die Moschee und die christlichen Kirchen respektieren können. Und dieses Allerheiligste muss nicht unbedingt auf dem Punkt stehen, auf dem bereits ein Heiligtum steht – wenn sich eine Mehrheit der Juden aber darauf versteifen würde, dann könnte das Allerheiligste ja sogar [bei den heutigen baulichen Möglichkeiten kein Problem] über diesem Heiligtum errichtet werden gleichsam auch als Symbol für die Himmelfahrt Mohammeds an dem Punkt. Das könnte doch im Sinn aller sein, auch der Christen, die des Ursprungs ihrer Religion auch da gedenken und symbolisiert sehen können.
Also was für eine gewaltige Chance für die Menschheit!
Selbst Buddhisten und Hindus werden dort hin pilgern, um eine besonders intensive Erfahrung von dem zu bekommen, was der göttliche Geist [oder für die Buddhisten die Leere] hervorbringen kann an Geist unter den Menschen, nämlich Bewusstheit.
Genau das kann eine ganz neue Ära einer Weltkultur einleiten, die zu einer bis jetzt ungeahnten Blüte der Menschheit führen kann.
Ich bin also durchaus kein Antiislamist. Ich sehe nur, dass die Moslems möglicherweise die Hauptlast an dieser Einheit zu opfern haben und dass ihnen das nicht leicht fallen wird. In dieser einzigartigen historischen Situation wird es aber möglich durch diese Vision. Einmal gesehen, wird ihr Lösungsbild die Sehnsucht der betroffenen Menschen wecken und nicht aufhören, zu arbeiten, bis die Vision realisiert ist. Davon träume ich und ich weiß, es ist möglich.
Es wird Zeit, dass wir den Glauben an diese Möglichkeit erzeugen, damit die Möglichkeit Wirklichkeit werden kann. Auf diese Weise entsteht Segen aus dem Glauben.
So wie es bisher ist, entsteht Unheil aus dem Glauben. Es ist ganz klar, dass das nicht korrekt sein kann. Setzen wir uns doch für das Heil ein und nicht mehr für das Unheil!
Wir müssen zu der höheren Perspektive finden, in der sich die Konflikte zur Zufriedenheit aller lösen. Es gibt sie. Es braucht dazu aber viel Kommunikation, das heißt viel Willen zu verstehen. Und die Bereitschaft, die eigenen Positionen ein wenig zu lockern, damit die neue Perspektive sich einstellen kann. Es kann nur die Perspektive eines Himmels für alle sein. Die Zeiten der Perspektiven des Ausschließens sind vorbei. Niemand kann sich mehr isolieren. Die ganze Welt ist die heutige Herausforderung für alle.
In ihr das Paradies aufbauen, das ist die Herausforderung. Das Paradies ist natürlich kein Schlaraffenland. Alles Gute muss geschaffen werden. Und dafür braucht es Zusammenarbeit unter einem Geist, unter dem Geist des Ganzen, auf den sich ja doch alle einigen können, weil sie alle doch den Geist des Ganzen verehren. Sie müssen sich jetzt nur einer neuen Dimension dieses Ganzen öffnen.
Dieses Projekt sollte doch für alle eine Herausforderung sein, für die es sich lohnt, zu leben, das dem Leben Sinn gibt und Glück bringt für uns und für alle. Wo soll denn das Paradies sein, wenn wir es nicht erzeugen? Wie wollen wir je da hinkommen [auch nach dem Tod], wenn wir uns nicht dafür einsetzen? Es ist unmöglich. Aber es ist möglich, wenn wir die Herausforderung annehmen.
Also an die Arbeit.
Wir müssen natürlich zuerst selbst die Perspektive des Ganzen bekommen, indem wir uns auf sie einstimmen. Wir müssen die Hülle von Größenwahn und Paranoia durchbrechen. Sie hüllt uns ein wie die Schale das Küken. Und so wie das Küken von innen peckt und drückt, so peckt und drückt die Henne von außen, wenn es für das Küken Zeit ist, zu schlüpfen. In unserem Fall peckt und drückt von innen her unsere Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation des Grauens, und von außen drückt und peckt der Geist des Ganzen, der doch gesehen werden will. Aus ihm entstehen die Situationen, die gelöst werden müssen und er präsentiert auch die Lösung, und seine Lösung ist eine Lösung, in der alle gewinnen, in der es keine Verlierer gibt, in der Träume wahr werden – nämlich der ewige Traum vom Paradies.
Das ist der Sinn des heutigen Weltkonflikts. Er zeigt sich in diesem Lösungsbild.
A Vision
Of the Solution of
the Cultural Conflict
Between Islam and
the Rest of the World
02_04_20
There are two steps.
The first step is the solution of the conflict
in Palestine. Now there is a unique historic chance.
In order to grasp it, it will be necessary to
let go the concept of the two separate states. It will be necessary to unite
the whole territory.
Sharon is doing just that. He will demolish the
network of terrorists and after he has accomplished that goal a new order will
arise.
Either the Palestinians will get involved into
that [and grasp their chance to be a majority in the new common state and to
take part in the process of formulating its policy] or they will refuse to take
part in it [because out of ideological inflexibility they are unable to see
their chance].
If they refuse to get involved, they will have
a big problem. Though they will get their separate state, they will starve out
in many ways and they will have to tolerate severe surveillance by Israeli
police or by an international peace corps.
And then the problem of the divided city,
Jerusalem, still remains. Does anyone really think that could work out
permanently? Of course the next conflict would then already be pre-programmed.
But if they agree to a common project of course
the educational opportunities of the two groups will become more and more
alike. Together with the Israelis [and under their leadership – since they live
in the land of their dreams] the Palestinians will be able to build up a
paradise, and all their neighbours will be envious, and will want to copy their
model.
A pluralistically based state of
Palestine/Israel indeed would be a blessing for the whole world.
The second step in some way is connected to the
first one, because a solution to the conflict around Palestine naturally would
bring relaxation and serve as an example for other areas of the cultural
conflict.
The concern of the second step is the fight
against terrorism. The US already is waging that fight in the name of freedom
for every human being.
That second step will demand of the Muslims to
rethink their religious positions.
And here again there are the two possibilities,
either to accept the challenge or to refuse and to insist on already knowing it
all.
To accept the challenge means respect before
every human being and every form of human life. That naturally means stopping
to divide humanity into believers and unbelievers, because in such a division
one person cannot be perceived as such but only as a classified object. That
also means stopping to see the Qur’an as the only valid and unsurpassable
revelation for all human beings of all times, and it means accepting the fact,
that god has many ways to communicate with human beings and that no special
instruments or institutions are needed for that.
Accepting the challenge means peace.
Refusing the challenge means war, literally –
or a complete isolation of all states, that have not proof of employing all
means to prosecute any kind of terror. And that includes the mentioned
informational campaigns against the presently inflated view of the Qur’an. The
latest Islamic insight already points in that direction, denying the
rightfulness of a conjunction between the Sharia and the Qur’an.
Insofar the present cultural conflict has very
good prospects, to raise consciousness all over the world, because it can be
solved only by a higher awareness.
Both parties must view the situation from a
superior perspective, from the perspective of the whole, and draw their
conclusions from there, instead of insisting on their worm eye’s view.
Insofar the politics of Sharon will not result
in what Sharon probably has in mind, it will not produce a racially clean
Israel, but the Jews will have to share all that’s there with the Palestinians.
[Similarly the terrorist acts of bin Laden did
not result only in what he had intended, they also did start a process of
awareness, that in the future will render positions as that of bin Laden
impossible.]
Such is the paradox of history: The will is
pushing at something, trying to force it, but the result never meets what was
intended, because the original intention always proves to be a mere fantasy
from worm’s eye view. It necessarily looses its validity in the perspective of
the whole – at last without remorse, as soon as the challenge is accepted.
In case the Islamic world should not accept the
challenge, it might get isolated completely and starved out as the Soviet Union
was, having to admit its bankruptcy in the end. That is no desirable path.
And, naturally, there cannot be any religious
justification of terror, even though exactly that is being tried. In truth
terrorism only is a path of stubbornness and paranoia with simultaneous
[religiously illusioned] megalomania. There is no real relation to religion. In
reality the religious justification of terrorism is compensation for feeling
inferior and at the same time denying that fact and compensating that untruth
by a religious fantasy. Instead of realizing the fact of inferiority and go
from there to increase one’s value, one believes to already have the highest
value possible, because one believes to be in possession of the highest truth
and everybody, who does not confess that same dogma would have to be inferior
because he would be an unbeliever. It is only logical that such stubborn and
unrealistic views can produce only frustration and failure.
Of course it does not feel good to be forced to
realize to have got stuck on a rather primitive level of cultural development,
because out of being infatuated with an only imaginary religious truth [the
belief in the inferiority of all other beliefs], one has not taken notice of
the movement the rest of humanity meanwhile has taken.
On the other hand, continuing and cultivating
the development of understanding, would not diminish the value of the real
religious truth [the “Islam”, which is surrender to the supreme Lord] – of
course that development would have to take place within the realm of a higher
consciousness, within a deeper insight into reality and into the secrets of the
godhead. The horizons will have to open. The whole world will have to be
included – including all of the numerous ways to salvation present in the
present whole of humanity.
What’s necessary is, to abstain from
megalomania, to abstain from believing to be better than anyone else for the
sole reason of adhering to a specific system of belief.
Every spiritual way has its own value. Every
human being is in contact with the whole, every one in his own way. Therefore
tolerance is the topmost value and the only one that legitimately may be
enforced by law.
That, naturally, - I say that specifically to
the Muslims - depends on trust, on true trust in the one almighty Lord and
creator of this world, and along with that trust, logically, the belief that he
already has in his “hands” the reins, and that we can build our lives on that
base. Without that trust tolerance simply is impossible.
But if tolerance is present, everything else
will go by itself, namely the integration into the bigger unity. Islam will not
be a danger any more for the rest of the world – and the rest of the world then
will be of no danger for Islam. That way integration is possible. Of course I
mean a kind of integration that will do no damage to the autonomy and
individuality of religious expression that rather will open up the
possibilities but in the sense of continuing to develop the Islamic spirit –
but now without indoctrination or using politic force, but in freedom.
And that of course is also true for the Jews.
Why should they not get their temple? But,
naturally, that will be possible only if they can respect the present
realities, the mosque and the churches on the area respectively. These smaller
sanctuaries will have to be integrated into the greater sanctuary. Instead of
trying to kick out the others, the temple must create unity among the three
religions. Only then will it be built – according to nowadays function of the
“people of god”, which again only can be the function of a model, attractive
enough for others to imitate. Under such conditions the present sanctuaries on
the temple mount might be seen as kinds of forecourts to the inner sanctum of
the temple.
Under such conditions the Muslims could respect
that inner sanctum of the new temple just as much as the Jews can respect the
mosque and the Christian churches. Of course that inner sanctum does not necessarily
have to be built on the exact terrestrial spot of the old one, it [and that
would be no problem for nowadays construction faculties] could be built high
above, possibly above the Dome of the Rock, simultaneously as a symbol of the
ascension of the prophet Mohammed to heaven that is said to have taken place on
that exact spot. So, that project could be in accord with everyone, with the
Christians too, who also could commemorate their own origin at that spot and
therefore could choose to see that construction as a symbol of their own.
What a mighty chance for all of humanity!
Even Buddhists and Hindus might then come to
that place, to get a very special and intensive experience of what the divine
spirit [or – for the Buddhists the emptiness] can bring forth among human
beings, to an impressive manifestation of the peace bringing force of the
spirit called awareness.
Exactly that might introduce a whole new era of
world culture and lead to a blossoming and prosperity of the whole human race
unprecedented up to this day.
So I am not an anti-Islamist. But I see that
the Muslims probably will have to sacrifice more to that unity than the others.
It will not be easy for them, to give up their fancy of superiority. But in our
unique historic situation it will become possible through such a vision. Once
seen, that image of the ideal solution might stir up the yearning and not stop
until the vision is realized. That is my dream and I know its realization is
possible.
It is about time for us to create the belief in
that possibility, so that the possibility may turn into reality. That way
blessing will radiate from the belief.
Up until now beliefs rather seem to be creating
disaster. Clearly that cannot be correct. So let’s work towards the blessing
and stop working disaster!
We must find to the higher perspective, in
which the conflicts already are solved to everybody’s satisfaction. It is
there. But it will take much communication, a lot of will to understand, and to
loosen up one’s own positions just a little, so that the new perspective can
come. It will have to be a perspective of heaven for everyone. The times of
excluding each other are over. The world as a whole nowadays is the challenge
for everyone.
The challenge is, to build paradise within that
whole. Of course the paradise is no Cockaigne. Everything good has to be
created by manpower. And that needs cooperation under one spirit, under the
spirit of the whole. But all can unite in that spirit, because all religions
already revere that spirit of the whole. They only need to open up to a new
dimension of it.
How could that project not be a challenge for
everyone, a challenge that makes sense, which is rewarding, bringing happiness
to us and to all. How could we hope for paradise [including that after death]
if we wouldn’t be ready to devote our energy to it? It is impossible. But it
will become possible, if we accept the challenge.
So on to work!
Naturally we ourselves need to get the
perspective of the whole first, by tuning into it. We must break the hull of
megalomania and paranoia. It is enveloping us like the eggshell envelopes the
chick. And as the chick is pecking and pressing from inside, so the hen is
pressing and pecking from the outside, as soon as the chick is ready to hatch.
In our case our discontent concerning the gruesome reality of exploding tension
is pecking and pressing inside, and on the outside the spirit of the whole is
pressing and pecking, because it wills to be acknowledged. The spirit of the
whole on the one hand is producing the situations that have to be solved and on
the other it also provides the solutions. And in its solutions everyone will
win. There are no losers! Dreams will come true and become reality, at last the
eternal dream of paradise.
That is the meaning of nowadays world conflict.
Enveloped in such a vision it might become understandable to everyone.
Auferstehung – objektiv und subjektiv
24. 4. 2002
Objektiv hat die Bewusstheit Jesu überlebt. Sie lebt noch heute und belebt immer noch viele Menschen.
Was subjektiv aus Jesus geworden ist, weiß niemand. Erst wenn wir an der Schwelle stehen, werden wir es wissen.
Wir wissen jetzt nur so viel, dass immer, wenn wir am Ende sind und wenn wir kapitulieren, ein neues Leben für uns beginnt, nicht aus uns, sondern geschenkt. Warum also sollte das bei unserem Tod anders sein?
Der Tempelberg
Wie sich die Menschen durch ein Bild verändern werden
27. 4. 2002 00:30
Das Bild, das ich meine, ist ein Bild eines Projekts, das, wie ich meine, im Israelischen Fernsehen und über die arabischen Sender des Gebiets immer wieder gezeigt werden muss. Es zeigt ein Modell der gesamten Anlage des Neuen Tempels der Juden, insbesondere das Allerheiligste – errichtet hoch über dem Felsendom. Eine architektonische Wunderkonstruktion, die natürlich weder das Landschaftsbild, noch irgendetwas am Betrieb des gegenwärtigen Tempelbergs stört.
Die ganze Anlage ist ein Symbol für die Einheit der Religionen – unter Bewahrung ihrer jeweils verschiedenen Formen. Aber es ist eben ein Symbol in Gestalt des Allerheiligsten des neuen Tempels. Dieses Symbol können alle drei Religionen auf ihren eigenen Ursprung beziehen, auch die Moslems, denn der Raum über dem Felsendom ist ja der Ort der Himmelfahrt ihres Propheten Mohammed.
Logischerweise ist die Einheit kein reines Geschenk, denn jeder von den Dreien muss dafür von ihm lieb gewonnen Vorstellungen Abschied nehmen.
Die Israelis müssen Abstand nehmen von ihrer Idee des separaten Staates der Juden, denn nur ein Gesamt-Palästina kann die Lösung sein in Hinblick auf einen dauerhaften Frieden. Die Christen und die Moslems müssen jeweils Abstand nehmen von gewissen Interpretationen ihrer Lehre.
Die Christen müssen sich beispielsweise verabschieden von ihrer Idee, dass Jesus das einzige wirkliche Kind Gottes ist. Sie brauchen damit nichts aufgeben und können doch ein völlig neues, und gleichzeitig völlig authentisches und biblisches Verständnis von dem gewinnen, was Jesus gesagt und getan hat.
Die Moslems müssen sich verabschieden von ihrer Idee, dass der Koran die allein und letztgültige Offenbarung ist, die allen anderen überlegen ist und nicht durch die Umstände einer neuen Zeit überholt werden kann. Sie können sich dadurch lösen von ihrem Zwang, die Zeit anzuhalten und aufspringen auf den bereits längst abgefahren Zug, auf dem der Rest der Welt schon sitzt. Sie werden eine moderne Form des Islam entwickeln, die die ursprüngliche Spiritualität wieder belebt und gleichzeitig alle Möglichkeiten der heutigen Wissenschaft und Technik einbezieht.
Und die Juden müssen sich auf ihre moderne Rolle als „Volk Gottes“ besinnen, dem es jetzt eben bestimmt ist, ein Symbol für die Einheit zu erschaffen. Nämlich das beschriebene Bild umzusetzen – und dabei die auf dem Tempelberg vorhandenen Heiligtümer der anderen Religionen nicht anzutasten, aber einzubeziehen in den Tempel gewissermaßen als Vorhöfe des Allerheiligsten. Und natürlich müssen sie die Palästinenser wieder in ihrem Land willkommen heißen und mit ihnen teilen, was da ist, selbstverständlich mit gleichem Stimmrecht. Sie müssen doch Vertrauen haben in ihre Vorbildrolle. Sie bekommen dafür ihren ersehnten Tempel und sie müssen nicht mehr in dem Land enger Grenzen und in einer geteilten Stadt leben. Vor allem aber haben sie ihre alte Funktion wiedergefunden: Sie sind reinstalliert als Volk Gottes, als Beispiel für alle Welt.
Und so werden alle profitieren von der Lösung.
Jerusalem's
How People will be
Changed by an Image
02_04_27
The image I mean is a model of a project. It
will have to be presented over and over again on all channels of TV in the
area, Israeli and Arab. It shows the complete conception of the New Temple of
the Jews, especially the inner sanctum – constructed high above the Dome of the Rock. It will have to be an
architectural masterpiece. It must neither spoil the scenery nor the landscape
nor must it disturb in any way the present operations on the Temple
Mount – and, of course, it must be terror-proof.
The complete
construction will be a symbol of unity among religions – safeguarding their
different forms. But it is a symbol in the form of the inner sanctum of the New
Temple. All three of the religions will be able to relate to that symbol
as to their own origin, even the Muslims, because it will take exactly the
space above the Dome of the Rock where the Ascension of their prophet Mohammed
took place.
Logically the unity will
not come for free. Every one of the three will have to sacrifice some beloved
fantasies.
The Israelites will have
to let go of their idea of a separate state of the Jews, because only a united Palestine
can be the solution – if permanent peace is the goal.
Christians and
Muslims will have to let go of some interpretations of their belief.
The Christians
for example will have to say good bye to their idea that Jesus is
the only proper child of god. They will not have to change anything else, and
still gain access to a completely new and at the same time completely authentic
and biblical understanding of what Jesus has said and done.
The Muslim will have to
let go of their idea, that the Qur’an is the only revelation that is valid till
the end of all times, superior to all other revelations and that cannot be
surpassed by any unforeseeable circumstances of a new era. That way they will
be able to let go of their vice, to stop the times, and jump onto the train, on
which the rest of the world already is sitting. They will develop a modern form
of Islam, revive the original spirituality, and at the same time use all the
possibilities of modern science and technology.
And the Jews will have
to realize and accept their modern role as “god’s own people”, destined now to
create a symbol of unity such as the image described above – not touching any
of the already existing sanctums of the other religions but to include them
into their New Temple, like forecourts of the inner
sanctum. And of course they will have to welcome the Palestinians again in
their country and share with them what is there, naturally on the basis of “one
man one vote”. They must trust their role as a model. In exchange they will get
the long dreamt of temple and they no longer will need to live in a land with
extremely complicated borders and in a divided city. But most important of all
they will again find their old function: They will be reinstalled as “god’s own
people”, and as a model for the whole world.
That way all will
profit.
Das Problem der Jenseitshoffnung
(5. 5. 2002)
Die theologische Jenseitshoffnung verführt dazu, den Tod in seiner Endgültigkeit nicht zu akzeptieren, nicht wirklich ernst zu nehmen, durch die Hoffnung auf ein Danach. Das ist eine Einstellung, die sich selbst sabotiert, weil dadurch der Auseinandersetzung mit dem Tod ausgewichen wird, wodurch das Sterben in diesem Leben unter Umständen verhindert und dadurch eine Wiedergeburt in diesem Leben unmöglich wird.
Bild und Realität
( 7. 5. 2002)
Es ist wesentlich, das Bild nicht mit der Realität zu verwechseln. Das ist nur eine Variation der Selbstverständlichkeit, dass die Landkarte nicht mit der Landschaft verwechselt werden darf mit tiefgreifenden Konsequenzen, nicht nur für die Therapie, sondern auch für die Religion.
Es geht nicht darum, die Bilder wegzurationalisieren zugunsten einer platten Erklärung. Es braucht beides, Bild und Erklärung. Aber, wenn das Bild nicht mehr als Bild gesehen, sondern mit der Realität verwechselt wird [wenn die Erklärung also darin besteht, das Bild für die Realität zu halten], herrscht das, was man „Aberglaube“ nennt.
Ein Beispiel einer solchen Verwechslung des Bilds mit der Realität ist ein häufig anzutreffendes Verständnis des Bilds des Propheten Ezechiel von der Wiederbelebung der Knochen durch JAHWE. Ezechiel schildert nur ein Bild. Viele Fromme später aber haben das Bild als die Wirklichkeit genommen und sich daraus Vorstellungen gezimmert über ein subjektives Leben nach dem Tod. Dadurch hat das Bild seine transformierende Kraft verloren, da es doch wesentlich zumindest auch auf eine Transformation in diesem Leben zielt. Wir selbst sind doch oft diese vermoderten Knochen, weil wir lebend schon tot sind, weil das Leben aus uns gewichen ist, indem wir uns in Gewohnheiten eingemauert haben. So wird es zu einem Bild, das jetzt auf uns wirken kann, das uns jetzt für die andere Dimension öffnen kann. Dann ist das Bild reflektiert, d.h. auf unsere persönliche Realität angewandt. Dann wird das Licht der Aufklärung in unser Dunkel geworfen. Wir werden bewusster unserer Selbst wie unserer Einbettung in unsere Umgebung.
Ohne Reflexion [also das Bild für eine platte Realität genommen, die vielleicht entweder bereits gegenwärtig oder irgendwann im buchstäblichen Sinn eintreten wird] sind die Bilder gefährlich, weil sie dunklen Strömungen des Unbewussten oft ihren destruktiven Pfad ermöglichen, wie das beispielsweise in den Hexenverfolgungen oder auch im Nationalsozialismus geschehen ist.
Es geht also nicht darum, die Bilder abzuschaffen, sondern die Bilder zu reflektieren – und sie dann als geistige Kräfte zu sehen, die wir für uns benützen können, anstatt unbewusst durch ihre Wirkung von unserer Wirklichkeit abgelenkt zu werden. Dieser Vorgang ist es ja, was die Schamanen als „Verlust der Seele“ bezeichnen. Und sie haben Recht, wenn sie diesen Vorgang in einem Bild von Hexerei beschreiben. Nur reflektiert werden die Energielinien sichtbar, die zum Verlust der Seele geführt haben [bei den Schamanen ähnlich wie im Familienstellen] und dann ist auch eine Umkehr möglich. Wenn nun aber [das Bild für platte Realität genommen wird und] ein Hexer „draußen“ [also in der Wirklichkeit] zur Strecke gebracht wäre, wäre doch seine Wirkung damit noch nicht aufgehoben. Das ist daher nicht der Weg der Schamanen. Sie suchen ein Verstehen zu ermöglichen und eine neue Orientierung, indem sie die Kraftlinien der Hexerei aufdecken, indem sie das Bild reflektieren, nicht indem sie es für platte Realität nehmen.
Wenn Bild und Realität verwechselt wird, stürzt man sich auf einen äußeren Feind, auf einen Sündenbock. Es ist ja bekannt, dass das nicht nur den Hexenwahn, sondern auch jeden heutigen Fanatismus bringt.
Ein anderes, bei uns weit verbreitetes, und oft als harmlos betrachtetes heutiges Beispiel sind die Vorstellungen über den Alkoholismus. Der Alkoholiker wird als der Schuldige gesehen. Das ist eines der Bilder, die heute mit der Realität verwechselt werden. Es wird dabei nicht gesehen, dass, wenn man den Süchtigen aus dem Verkehr zieht, man noch nicht das eigentliche Problem der Koabhängigkeit angegangen hat, ohne das der Alkoholismus oder eine andere Sucht diese verheerende Wirkung auf ganze Generationen nicht haben könnte. Es gehören eben immer zwei dazu, einer der es macht und einer, der es mit sich machen lässt. Ich rede hier von erwachsenen Menschen, die eben ihre Verantwortung und damit die Wahrung ihrer Souveränität übernehmen müssen. Auch die, die es mit sich machen lassen, müssen also einen Ausweg aus ihren Abhängigkeiten finden. Es reicht nicht, wenn sie den Süchtigen beschuldigen. Das Problem sitzt bei ihnen selbst.
Ähnliches finden wir in der Politik, wo auch oft irgendwelche Schuldigen gefunden werden, auf die man alle seine eigenen Probleme projizieren kann. Und das tun immer alle verfeindeten Parteien. Sie finden alles in Ordnung bei sich selbst und nichts bei den Feinden. Ihre Wahrnehmung ist extrem beschränkt durch das Bild, das sie anbeten oder verteufeln und das sie für platte Realität halten. Jetzt beispielsweise zwischen Israel und Palästina oder vor kurzem noch zwischen Serben und Albanern im Kosovo. Auf dieser Basis kann keine Lösung gefunden werden.
Es ist das ganze Netz von energetischen Verflechtungen, das gesehen werden muss, um eine Lösung zu finden. Dann ist das Bild [beispielsweise vom Alkoholiker oder vom Feind als der Symbolfigur oder dem Symptomträger in einem ganzen Komplex von energetischen Verflechtungen] reflektiert. Dann bezieht es das ganze Netz sozialer Verflechtungen ein. Dann wird sichtbar, dass von realen Personen oder Werten Kraftlinien ausgehen, natürlich nicht nur von den Lebenden, auch von den Ahnen und von vergangenen Situationen. Dann können die Kräfte gesehen werden, die in diesem Netz wirken. Und dann kann diesen Kräften, je nach ihrer Art, begegnet werden.
Durch diese Art von Reflexion müssen
alle Lebensbereiche durchleuchtet werden. Das ist der gegenwärtige Weg. Diese
Erkenntnis setzt sich bereits immer mehr durch. Nicht nur persönlich, auch
politisch – zumindest ist das die Zielvision.
Auf diese Weise lösen sich die Ideologien auf. Der Aberglaube verliert seine Attraktion. Der Faschismus geht [erst dadurch] zu Ende.
Bewusstheit breitet sich aus.
Der Totalangriff gegen jede Moral:
Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter
(2002-05-15)
Meistens wird das Gleichnis Jesu vom Barmherzigen Samariter (Lk 10, 25-37) als Beispiel der ganz neuen Moral des Neuen Testaments gebracht. Das ist ein grobes Missverständnis. Dass dieses Missverständnis kaum je von jemand bemerkt wird, liegt an der Gehirnwäsche, die fast alle Bibelleser hinter sich haben. Wegen verfestigter Begriffskopplungen können sie die Zusammenhänge nicht mehr erkennen. Sie sind durch ihre religiöse Erziehung unfähig gemacht worden, das Offensichtliche zu sehen. Sie sind also in der gleichen Situation wie die Zuhörer Jesu, denen er dieses Gleichnis erzählt, nur dass diese Geschichte durch die vorangegangene Umprogrammierung für die heutigen Zuhörer viel von ihrer Kraft verloren hat.
Die Zuhörer Jesu sind von Moral geprägt. Als Archetypen der Moralgeprägten verwendet Jesus in seiner Geschichte einen Priester und einen Schriftgelehrten. Er verwendet zwei, um die unterschiedlichen Färbungen der Gehirnwäsche, denen sich die beiden unterzogen hatten, zu berücksichtigen und um sich nicht dem Einwand der Parteinahme für eine der beiden Richtungen auszusetzen, die ja beide unter seinen Zuhörern gegenwärtig waren.
In die heutige Zeit übersetzt, müsste man vielleicht an einen fundamentalistisch gebildeten Kirchenfunktionär und an einen kirchlich liberal sozialisierten Fachmann denken oder überhaupt nur an einen Fundamentalisten und einen Liberalen, beide aber gehobene Bildungsstufe, etwa Universitätsabschluss.
Am Schwierigsten ist es, heute ein Äquivalent für den Samariter zu finden. Er war als Kaufmann immerhin also auch nicht ungebildet, außerdem muss er erfolgreich gewesen sein, denn er hatte Geld, das er entbehren konnte. Aber er war ein verhasster Ausländer, der von den religiösen Gesetzen der Juden keine Ahnung hatte. Ihm fehlte also die Gehirnwäsche, die den Priester und den Gesetzeslehrer auszeichneten [dieses Wort verwende ich hier keineswegs abschätzig, denn in Kreisen von Gesetzeslehrern und Priestern gilt es ja damals wie heute als ein Zeichen gefährlicher Unzuverlässigkeit, wenn es bei einem Menschen Anzeichen dafür gibt, dass diese Gehirnwäsche entweder nicht stattgefunden oder nicht ausreichend gewirkt hat]. Er hatte nicht, wie das heute vielleicht gesagt werden würde, die Nächstenliebe „verinnerlicht“ [was nur ein anderer Ausdruck für Gehirnwäsche ist]. Er war wohl eher kein religiöser Mensch, sondern einer, der an Geschäften interessiert ist, der sich dabei aber nicht an irgendwelche anerkannten Methoden der Profitmaximierung hält [seine Berufsgenossen mögen ihn deswegen für ein bisschen beschränkt halten], sondern der auf seine eigene Wahrnehmung vertraut.
Das also sind die drei Akteure der Geschichte. Zwei von ihnen sind vollgestopft mit Moral und genauesten Gesetzeskenntnissen, also im besten Sinn gebildet, der dritte von absolut unzuverlässiger, ja gefährlicher Herkunft.
Seltsamerweise ist es in unserer Geschichte aber gerade der moralisch ungebildete Ausländer, der von der Situation zum Handeln bewegt wird – nicht zum moralischen Handeln, sondern zum morallos-menschlichen Handeln, zu einem Handeln der menschlichen Natur gemäß, während beide Sorten der moralisch Gebildeten ihre barmherzige Natur durch ihre Bildung wegrationalisiert hatten.
Jesus formuliert daher nicht ein neues Gebot, sondern im Gegenteil, er formuliert ein Anti-Gebot. Das wird auch aus seiner Umkehrung der Fragestellung sichtbar: Der Gesetzeslehrer will eine Auskunft über eine moralische Anforderung an ihn. Jesus aber verweigert die moralische Auskunft. Er antwortet ihm nicht wie wir es erwarten würden: „Der Überfallene wäre der Nächste zu allen drei Passanten gewesen“. Er fragt statt dessen: „Wer von den Dreien ist dem Überfallenen am nächsten gekommen“? In heutigen Worten hätte er auch fragen können: „Zwischen welchen der drei Paare hat die Kommunikation funktioniert?“ Der Priester und der Schriftgelehrte hatten ihre Kommunikationsfähigkeit verstellt (blockiert) durch ihr moralisches Wissen. Die Kommunikationsfähigkeit des Kaufmanns war nicht verstellt, seine fühlende Natur war intakt. Deshalb konnte er berührt werden vom Schicksal des Überfallenen. Die Moral ist also nicht die Lösung, sondern sie ist die Ursache des Problems. Durch sie geht das natürliche Mitgefühl verloren. Das ist die Aussage Jesu.
Jesus formt die Frage des Pharisäers, die eine moralische ist – „was muss ich tun, wer ist mein Nächster, also bei wem muss ich meine Moral anwenden - und bei wem brauche ich sie nicht anwenden“ - um in eine Frage der Faktizität und damit formuliert er eine antimoralische Perspektive.
Faktizität hat mit Moral nichts zu tun. Es besteht keine Steuerung durch ein Ideal, durch einen Wert, sondern die Steuerung erfolgt durch das Fühlen. Es ist auf das Angenehme gerichtet, auf das sich Wohl Fühlen. Der Kaufmann fühlte sich wohl, indem er half. Das war sein Motiv. Es hatte kein Ideal, keine begrifflich definierten Werte. Er war in keiner Weise außengesteuert, wie der Priester und der Schriftgelehrte es waren, er trachtete nach nur Harmonie in seinem Inneren. Der Priester und der Schriftgelehrte hatten diese Harmonie in ihrem Inneren durch ihre Moral aus den Augen verloren.
Der Kaufmann hätte sich ohne sein natürliches Mitleid nicht wohl gefühlt. Mit Wohl Fühlen meinte ich nicht die Abwesenheit von Schmerz oder eines Mangels oder eines Überschusses, ich meine die innere Integrität. Nur in ihr ist ein Wohl Fühlen möglich, auch wenn die äußere Situation sehr unkomfortabel sein mag. Es geht nur um die innere Integrität, die innere Übereinstimmung, die Wahrheit. Das ist es, was Jesus erreichen will bei seinen Zuhörern.
Mit Moral geht das nicht, denn Moral ist immer etwas Eingebildetes – im strikten wie im übertragenen Sinn des Wortes. Sie ist etwas von außen kommendes Künstliches, das das natürliche Empfinden behindert. Moral entspringt einem grundlegenden Misstrauen gegen die Natur, also gegen die Schöpfung. Moral ist immer ein grundlegendes Misstrauen gegen Gott. Jesus dagegen sieht Gott als seinen Vater und er vertraut ihm und seiner Schöpfung unbedingt. Daher braucht er keine Moral. Und daher entlarvt er die Moralisten immer wieder als Ungläubige.
Die Geschichte, die Lukas erzählt, ist zwar vielleicht gar nicht von Jesus, sondern wieder „nur“ so eine Legende, die einfach etwas immer wieder Kehrendes, Typisches in die Form dieser Geschichte kleidet. Aber sie beschreibt das Wesentliche der Lehre Jesu.
Die andere Seite dieser Lehre findet sich in der nun mit Sicherheit von Jesus selbst aufgeworfenen Forderung des Nicht-Urteilens.
Die Moralisten sind ja bekannt für ihre moralischen Verurteilungen, die sie – wie könnte es anders sein – gewissermaßen aus Rache für die Unannehmlichkeiten der Selbstbeschränkung, die ihnen die Moral auferlegt, denen überbraten, die sich den Zwang der Moral nicht antun. Deshalb sagt Jesus „urteilt nicht“ und er macht sich zum Anwalt der Morallosen, der Prostituierten, der Ehebrecher, der Zöllner etc.. „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“, hatte es ja immer schon geheißen.
Manche wundern sich aber, wie Jesus angesichts seiner eigenen obersten Direktive, nicht zu urteilen, sich selbst nicht den geringsten Zwang dabei antut, gewisse Leute in Grund und Boden zu verdammen und wie er dazu kommt, manchen von den Menschen so etwas wie ewige Verdammnis anzudrohen.
Das hat mit der Gehirnwäsche und mit der mit ihr zusammenhängenden Eingebildetheit der gehirngewaschenen Menschen zu tun, also mit deren Glauben, sie wären über die „Sünder“ erhaben. Jesus hat bei seinen Gerichtsankündigungen nicht die Absicht irgendwelche Aussagen über irgendwelche künftigen Ereignisse zu machen, er greift nur die vorhandenen Bilder auf – und wendet sie gegen ihre Benützer, die mit diesen Bildern ja nur andere Menschen abqualifizieren wollten. Jesus sagt gewissermaßen nur: Nein, nicht diese „Sünder“, sondern ihr selbst, ihr, die ihr euch für gerecht haltet, werdet euch am Ende als Verdammte finden, wenn ihr euch durch das Gesetz das Hirn so sehr vernebeln lasst, dass euch das Menschliche nicht mehr bewegt.
Jesus urteilt dabei nicht von einem moralischen Standpunkt aus, sondern für ihn ist die Fassade der Menschen durchsichtig, weil er selbst in Einklang mit seinem Wesen steht, weil er nichts „glaubt“, sondern weil er wahr nimmt, was ist. Er glaubt nicht an den Vater, sondern er weiß sich eins mit ihm. Er glaubt nicht an die Propheten, weil es ihm so anerzogen worden wäre, sondern er kennt die Propheten aus seiner eigenen Erfahrung. Und deshalb durchschaut er jeden angelernten „Glauben“ und alles sonstige Unechte.
Er urteilt nicht moralisch, sondern er nennt die Dinge nur beim Namen – so wie Lao-tse es sagt: „Der Weise nennt das Kranke ‚krank’“.
So ein Weiser ist Jesus, nicht mehr und nicht weniger. Eine Verurteilung kommt dabei nur heraus für die, die selber mit dem Mittel der Verurteilung arbeiten. Sie schlägt er mit ihren eigenen Waffen. Zur Ehebrecherin sagt er bloß „Tu es nicht mehr“.
Er durchschaut natürlich die „Pharisäer“ [als Archetypen der religiös Gebildeten, derer, die das Gesetz verinnerlicht haben] in ihrer Hohlheit, die gegeben ist, weil sie nicht fühlen, sondern alles im Leben nur nach den Kriterien ihres Denkens beurteilen.
Und natürlich macht Jesus klar, dass nicht nur die Pharisäer in dieser Weise hohl und unecht sind, sondern dass das Urteilen [das Abqualifizieren durch Einordnen in gewisse Kategorien] eine Volkskrankheit ist, von der alle mehr oder weniger betroffen sind [, dass „die Pharisäer“ diese Krankheit aber schüren].
Er fordert auf zu einem neuen, zu einem bewussten Leben, das eben zuerst ein Sterben des Menschen voraussetzt, der sich mit seinen [aus der Gehirnwäsche stammenden] Urteilen identifiziert. Wenn dieser urteilende [mit Früchten vom Baum der Erkenntnis gespeiste] Mensch gestorben ist [der gleichzeitig ohnehin bloß ein wandelnder Toter ist], dann gibt eine Neugeburt, ein neues Leben. Und das ist dann schon das ewige Leben, nicht weil es nach dem Tod des gesamten Menschen käme, sondern weil sich dieser Mensch nicht mehr absondert vom Fluss des ewigen Lebens – so wie sich die Urteilenden absondern [und damit das Lebendige, die Lebensquelle in sich selbst abtöten].
Die gegenwärtige Weltlage einschließlich Perspektive
und Visionen von Lösungen
17. 5. 2002
Ich betrachte hier besonders den Einfluss der Religion.
Eine Erneuerungsbewegung (ein revival) muss durch alle drei Religionen Palästinas gehen.
Dieser Prozess muss politisch gefördert werden.
Dabei kommt dem Islam eine Schlüsselrolle zu:
Von dort kommt eine Herausforderung – nicht nur militärisch.
Sie bezieht sich auch und gerade auf die Religion des Islam selbst und insbesondere auf ihre Interpretation. Diese Interpretation muss sich ändern, muss sich öffnen.
Parallel dazu müssen sich Christentum und Judentum auch ändern und jeweils den anderen in seinem vollen Recht neben sich akzeptieren und ihn nicht länger ablehnen.
Es braucht eine Reform Richtung Toleranz und mehr als das, nämlich Verstehen.
Es ist möglich, zu verstehen.
Es ist möglich, die jeweilige religiöse Sicht des anderen von innen her nachzuvollziehen, d.h. es ist für einen Christen möglich, sämtliche islamischen Glaubensvorstellungen bejahend nachzuvollziehen.
Eine neue Sicht der eigenen Religion wird dabei entstehen, denn wir müssen uns ja fragen, wie wohl ein Moslem etwa das Dogma verstehen könnte, dass Jesus Gottes Sohn sei, wo doch im Koran steht, dass es ferne sei von Gott, einen Sohn zu haben. Wie also könnte so jemand das Dogma trotzdem bejahen?
Er kann es nur bejahen, indem er die Sohnschaft ausdehnt auf alle Menschen, ja auf alles Geschaffene, besonders aber auf sich selbst.
Das ist dann wieder vereinbar mit dem alleinigen Gott – und was damit nicht vereinbar ist, kann so nicht stimmen. Es kann sich nur um eine lokale Interpretation handeln, die dem Druck der Prüfung unter einer höheren Perspektive nicht standhält, daher keine Dauer haben kann.
Die höhere Perspektive ist die Perspektive des Ganzen, das natürlich auch alle anderen Richtungen einschließt. Im Ganzen gibt es ja die verschiedenen Religionen, mit zum Teil [scheinbar, nämlich bis nach der Prüfung unter der neuen Perspektive] einander widersprechenden Auffassungen.
Ich behaupte nun, es ist möglich, in diesem Wissen um das Ganze, wechselweise den Teil zu betrachten, mit dem man sich identifiziert und auch die anderen Teile, mit denen die anderen sich identifizieren. Und dabei alle in ihrer Eigenart vollkommen respektieren – jetzt aber doch manches ein wenig anders sehen und zwar auf jene Weise, die sich schließlich durchsetzen wird auch in den einzelnen Religionen. Sie alle werden erkennen, dass sie bisher eine verkürzte Sicht ihrer eigenen "Glaubensgeheimnisse" hatten, dass sie jetzt aber eine Stufe tiefer eindringen dürfen und die anderen darin miteinbeziehen.
Das ist nicht eine Frage einer moralischen Toleranzforderung, sondern eine logische Konsequenz aus dieser Betrachtung.
Diese Betrachtung ist auch keine Ideologie, denn sie beschränkt sich nicht auf eine Sorte von Bildern, sie bezieht alle ein.
Diese Betrachtung ist aber auch nicht nur die Betrachtung der Vernunft, sie stimmt auch emotional, weil wir alle doch die Sehnsucht nach umfassender Gemeinschaft in uns haben.
Heute ist diese Sehnsucht oft frustriert, weil die bestehenden Gemeinden oft nicht die nötige Offenheit haben. Sie sind oft zu lokalen Brauchtumsgruppen geworden, die Wert auf Abgrenzung legen, durch Forderung eines bestimmten, ihnen genehmen Verhaltens. Sie sind also fern von dem alten „kat-holischen“ Ideal [dem Ideal der Allgemeingültigkeit]. Die Situation ist ähnlich dem, was Jesus an der Religion seiner Zeit kritisiert.
In dieser Betrachtung geht es außerdem nicht nur um eine Betrachtung der Religionen, sondern auch um eine Betrachtung der anderen Phänomene unserer Welt, etwa des Kampfes um politischen Einfluss und direkter militärischer Machtausübung.
Was bewegt die amerikanische Militärmaschinerie? Wie groß ist der Anteil der Rüstungsindustrie? Was sind rein ökonomische Interessen anderer Industriezweige? Welche Ängste und Hoffnungen sprechen die politischen Parteien in den wichtigsten Ländern (natürlich einschließlich der islamischen Welt) an und welche Konsequenzen hat ihre Politik?
All das zusammen erst ergibt ein Bild, und dazu gehören auch die Träume, von denen die Menschen bewegt werden, also insbesondere das, was Hollywood liefert, auch das gehört ganz wesentlich dazu. Da werden Visionen produziert, Visionen einer besseren oder einer schrecklicheren Welt. Das sind die neuen Prophezeiungen. Da finden wir heute die apokalyptischen Bilder und die himmlischen Visionen. Die heutige Geheime Offenbarung ist ja nicht geheim. Sie zieht die Massen ins Kino und vor den Bildschirm.
Aber sogar die Brauchtumsvereinigungen, einschließlich der Religionen in ihrer konkreten Form haben ihr Recht und gehören dazu. Wir müssen auch fühlen, was sie bewegt und sie verstehen.
Und sogar die Amokläufer bei uns gehören dazu. Auch sie beklagen ja etwas zutiefst. Wir müssen es sehen – ohne zu glauben, wir müssten zu den gleichen Resultaten kommen wie sie, weil wir ja doch auch ihre verborgenen Motive erkennen, ihren engen Horizont, und daher eine andere Lösung sehen. Wichtig ist ja nur, dass wir eine Lösung sehen. Dann haben wir die Perspektive des Ganzen und in ihr „das große Bild“, von dem Lao-tse spricht, „dem sich das Erdreich zuwenden wird“.
Im großen Bild müssen alle enthalten sein, da darf niemand ausgeschlossen sein, da müssen wir mitfühlen können mit jedem, auch mit dem abscheulichsten Verbrecher oder Penner. Wir müssen seine Not sehen.
Und das ist jetzt wieder nicht eine moralische Forderung, sondern eine logische Konsequenz aus unserem Entschluss, die Perspektive des Ganzen zu erkennen und nach ihr zu leben.
Der Faschismus der dritten Welt
und seine Überwindung
21. 5. 2002
Früher benützte fast jedes Volk die Bezeichnung "Mensch" nur für sich selbst. So führen die Gründungsmythen der verschiedenen Völker den Ursprung der Menschheit immer auf den Ursprung ihres Stammes zurück.
Später [als die Stämme zu Völkerschaften verschmolzen] wurde dieser Mythos dann variiert, indem gesagt wurde: Wir [zunächst Nationen gegen andere, dann Teile der Welt gegen andere] sind besser, ihr anderen seid minderwertig. Ein sehr spätes, aber archetypisches Beispiel für diese Darstellung ist der Nationalsozialismus. Ähnliche Ideologien waren zu der Zeit aber nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Teilen der Welt vertreten.
Durch die Gräuel des Nationalsozialismus aber hat sich in der industrialisierten Welt das Denken verändert. Es ist klar geworden, dass alles daran gesetzt werden muss, damit so etwas nie wieder geschehen kann. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und des Service für alle hat sich als Selbstverständlichkeit im Denken der ersten und der zweiten Welt verankert. Eine andere Situation aber herrscht in der dritten Welt. Sie befindet sich noch in einem anderen Entwicklungsstadium, auch geistig, in einer anderen historischen Phase, in einer anderen Phase der Bewusstheitsentwicklung.
Wenn wir in der Geschichte zurückgehen - auch wenn nur indem wir uns in eine andere, der gegenwärtigen Kulturen begeben - finden wir zunehmend einen faschistischen Standpunkt. Deshalb fühlten sich vor Jahrhunderten in unserer Kultur beispielsweise auch die europäischen Einwanderer in Amerika im Recht, die Indianer zu verdrängen und, so weit sie sich nicht verdrängen ließen, sie auszurotten und deshalb fühlten sie sich auch im Recht, die Schwarzen wie Ware zu behandeln und zu versklaven.
Faschistische Vorstellungen waren der Ursprung der Sklaverei und zwar von beiden Seiten. Auf afrikanischer Seite wurden unliebsame Konkurrenten auf diesem Weg beseitigt, auf europäischer Seite glaubten die Christen, die (schwarzen) Afrikaner oder die (roten) Indianer seien keine vollwertigen Menschen.
Heute, nach dem Ende des Hexenwahns und nach dem Sieg der Aufklärung glauben die Christen in ihrer Mehrheit das nicht mehr. Im Islam ist das noch anderes, denn ein maßgeblicher Teil der Moslems glaubt heute noch, dass alle ausgerottet werden dürfen, die in ihrem Sinn "Ungläubige" sind, die sich also trotz Bekehrungsaufforderung nicht zu ihrer Ansicht bekehren. Nach dem Koran sind als „Ungläubige“ die gemeint, die keiner „Buchreligion“ angehören. Der Vorstellung der radikalen Moslems nach aber sind dann auch die gemeint, die sich nur noch nominell "Christen" nennen, es in ihrer Sicht aber nicht sind, wie beispielsweise „die Amerikaner“. So konnte der Angriff auf die World Trade Center von vielen Moslems "ehrlichen Herzens" als echte Glaubenstat gefeiert werden. Sie glauben diesen Wahnsinn tatsächlich. Es ist klar, dass es sich dabei um eine unaufgeklärte Kulturstufe handelt, die überwunden werden muss.
In ähnlicher Weise halten allerdings auch die Israelis die Palästinenser für Untermenschen, die kein eigenständiges Recht zu einem selbständigen Leben haben, jedenfalls nicht in ihrem Staat. Sie denken ja an sich als an das Auserwählte Volk Gottes, das das Recht habe, auf ihrem alten Stammesgebiet einen eigenständigen Staat zu bilden und dort nach den Regeln ihrer Religion zu leben. Und dazu gehört natürlich ein Jerusalem, über das sie die volle Kontrolle haben und dazu gehört auch der Bau eines Neuen Tempels an der Stelle des Alten.
Die Palästinenser bestätigen das Bild der Israelis von ihnen als Untermenschen durch ihre irrationalen (und wie nicht nur die Israelis glauben, menschenunwürdigen) Aktionen, beispielsweise die Selbstmordattentate, aber auch dadurch, dass die staatliche Gewalt der Autonomiebehörde in keiner Weise dem, was wir „Rechtsstaatlichkeit“ nennen, entspricht. Es herrscht da ja offensichtlich Anarchie, d.h. die Macht des Stärkeren. Diese Macht fasziniert und diese Faszination wird religiös und brauchtumsmäßig verbrämt, gerechtfertigt und überhöht. In Wirklichkeit ist es purer Faschismus.
Als ich in Ägypten zum ersten Mal den Ton islamischer Predigten hörte, ohne arabisch zu verstehen, war ich extrem beunruhigt, weil ich diesen Ton sonst nur von Tonaufnahmen der Nazi-Propaganda des dritten Reichs kannte. Ein ähnlicher Ton hatte damals allerdings auch bei den Amerikanern geherrscht, die zu der Zeit ja nur eine graduell geringere Nazi-Ideologie hatten, weil der Rassenwahn auch dort als selbstverständlich akzeptiert war, zumindest was die Schwarzen betrifft. In den islamischen Umgebungen aber herrscht dieser Ton heute noch, sogar in Deutschland.
Eines der letzten Überbleibsel [und gleichzeitig eine der Wurzeln] dieser Ideologie in unserer Kultur ist der Glaube der Christen, sie als Einzige hätten als Gründer ihrer Religion den einzigen Sohn des einzigen Gottes und auf das Gleiche läuft der Glaube der Moslems hinaus, sie hätten das absolut unübertreffliche Buch.
Beide Glaubensformulierungen hatten im Ursprung nicht diesen Sinn der Ausschließlichkeit, diese Bedeutung bekamen sie erst mit dem Bedürfnis nach Abgrenzung gegen die, die diesen Glauben nicht teilen wollten – also auf ganz ähnliche Weise wie die „primitiven“ Stämme, die, wenn sie auf andere Stämme trafen und sich um Reviere stritten, diese einfach nicht als vollwertige Menschen betrachteten und sich erlaubten, ihre Gegner als Untermenschen wie Schädlinge abzuschlachten.
Durch diese Art Ideologie waren von Anfang an die Kämpfe der Stämme gegeneinander möglich und bis herauf in unsere Zeit werden diese Kämpfe immer noch dadurch gerechtfertigt. Aber heute ist diese Ideologie fehl am Platz. Heute wissen wir, dass es nur eine Art kollektiver Wahnsinn ist, der nur unermessliches Leid verursacht und nichts bringt. Ein loose/loose Konstellation.
Als eine Reaktion darauf gehört "Going Native" heute zum guten Ton. Aber das ist nicht eine Korrektur [also nicht eine Betrachtung von einer höheren Perspektive aus], sondern nur eine Umkehrung der faschistischen Gedankengänge [also einfach nur die Parteinahme für die Opfer - ohne Synthese] und genau das wird bei der heute modischen Sympathie für diese Gedanken überhaupt nicht bedacht. Diese Art Umpolung ist auch gegeben, wenn jetzt gegen die Globalisierung oder für die dritte Welt mit dem Hintergedanken geredet wird, die dort seien gut [und als "Ausgebeutete" unschuldige Opfer] und nur wir [als Ausbeuter] seien schlecht.
Ein ganz anderes Bild bietet sich uns, wenn wir uns ehrlich fragen, warum die Wirtschaft in der dritten Welt nicht funktioniert. Da sehen wir nämlich, dass die „Ausbeutung“ dabei gar nicht die Rolle spielt, die wir ihr gerne zuspielen und wir sehen außerdem, dass ein ganz wesentlicher Grund auch dafür, dass Ausbeutung dort überhaupt möglich ist, in der offenen Nazi-Ideologie liegt, mit der in vielen dieser Länder Politik gemacht wird. Aus dem traditionellen Glauben an die eigene Privilegiertheit kommt ja die "Korruptions"-Mißwirtschaft, die Bevorzugung der eigenen Familie, des eigenen Clans und Stammes und die Versuchung, die anderen auszurotten, sobald sich die Möglichkeit dazu bietet, wie das in Ländern der dritten Welt oft der Fall ist und wie kürzlich in extremster Form demonstriert in Afrika im Genozid in Ruanda. Es ist purer Faschismus. Das ist die eigentliche Form von Unterentwicklung, die bisher zu wenig gesehen wird. Und dazu kommt die Bevölkerungsexplosion.
Die Frage ist natürlich, wie unter den gegebenen Bedingungen eine Entwicklung möglich ist. Es ist ja ein Teufelskreis, weil die Erfolglosigkeit die faschistischen Tendenzen noch verstärkt. Also welche Art Entwicklungshilfe ist nötig? Ich meine, es braucht zuerst eine Art Vision, ein Bild eines Paradieses. Das hat es beispielsweise ja in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg gegeben. Deshalb gab es das Wirtschaftswunder. Und darin hat sich der Faschismus aufgelöst, nämlich wirklich aufgelöst. Es gab ein im Westen weltweites Bild einer friedlichen Entwicklung. Jeder wusste, dass er seinen Beitrag dazu leisten musste, wenn er es erleben wollte. Und jeder tat es. Und so kam es.
So ein Bild muss auch für die dritte Welt entstehen. Und in diesem Bild muss der Islam natürlich seinen Platz haben. Aber es wird ein neuer Islam sein. In diesem Bild müssen alle Platz haben, aber jeder mit einer neuen Perspektive, nämlich mit der Perspektive des Ganzen.
Und dann braucht es natürlich eine Art Marshall-Plan für die
dritte Welt, allerdings im Wissen um die dort gegebenen Korruptionsbedingungen
und daher natürlich abgesichert durch eine entsprechend kontrollierte
Infrastruktur, damit die Mittel auch für die Entwicklung eingesetzt werden, für
Bildung und Ausbau der Kommunikationsnetze, sowie gleichzeitig für
traditionelle Wirtschaft. [Ein wichtiger Aspekt dabei wird auch die folgende
Erfahrung sein:
"I realized we needed to be in the
development business, not the charity business," says Megarry. (Tools for
Development started 15 years ago by Roy Megarry, 65, the former publisher of Canada's prestigious Globe & Mail newspaper.)]
Natürlich werden die Erfahrungen Indiens mit seiner Unabhängigkeit eine große Rolle spielen. Schließlich hat Gandhi den Indern damals ja eine solche Vision gegeben. Und dann natürlich Südafrika – aber auch Kuba und Argentinien in seiner momentanen Lage. Alle positiven und negativen Erfahrungen der jüngeren Geschichte weltweit werden das Bild beeinflussen und zeichnen und sich in den konkreten Projekten niederschlagen. Nur durch so ein Lösungs-Bild kann der tatsächlich herrschende Faschismus samt seiner Korruption aufgelöst werden und erst das wird den großen Entwicklungsschritt möglich machen.
Ohne eine solche Vision wird es den religiösen Fanatikern im Islam nicht möglich sein, den eigenen Faschismus zu erkennen und abzulegen. Die Vision muss daher auch ein neues Bild des Islam einschließen. In diesem Gesamtbild wird die ursprüngliche Bedeutung des Bilds vom unüberholbaren Buch wieder sichtbar werden, nämlich dass das ganze Buch ein geeignetes Bild ist, eine überaus wertvolle Orientierungshilfe, aber eben nicht eine buchstäbliche Vorschrift, sondern dass die konkreten Vorschriften zwar anhand dieses Bildes, aber doch in dieser heutigen Welt neu gefunden und formuliert werden müssen. Wenn anerkannt ist, dass es neben den Bildern des Koran in der Welt auch noch andere Orientierungshilfen dieser Art geben kann, kann der Islam integriert werden in das Ganze und doch seine Eigenständigkeit behalten. Es ist nur logisch.
Und die Christen müssen Ähnliches anerkennen – oder sie müssen sich radikal wandeln und wirkliche Christen werden – nämlich Versöhner. Dann wird es ihnen ohnehin eine Selbstverständlichkeit sein, die anderen zu verstehen, sonst würden sie diese Rolle ja nicht spielen können. Und damit werden sie das Faschistische, das sich besser glauben, bei sich selbst auflösen.
Was die erste und die zweite Welt betrifft, so besteht ihr Faschismus darin, dass sie die Rohstoffpreise diktieren und die dritte Welt dadurch nieder halten. Sie müssen realistische Preise zahlen für die Produkte, die sie von dort wollen, wie die ja auch realistische Preise zahlen müssen für ihre Produkte. Zu diesem Diktat jedenfalls darf das Militär nicht eingesetzt werden. Zur Bekämpfung des Faschismus aber darf es eingesetzt werden – zumindest so weit er Auswirkungen auf die erste oder zweite Welt hat, wie beispielsweise in Terroranschlägen, und nach Beschluss der Vereinten Nationen. Es ist klar, dass Terror nicht geduldet werden kann. Generell muss das Militär dafür eingesetzt werden, einen weltweiten Schutzraum für die Entwicklung zu gewährleisten, in dem Sinn, wie ich sie oben beschrieben habe, eigentlich als eine Art Weltpolizei.
Es versteht sich von selbst, dass eine Weltpolizei eine andere Bewaffnung braucht und viel weniger kosten wird als ein Militär gegeneinander stehender Blöcke, wie in der Vergangenheit. Um die Militärindustrie nicht zu beeinträchtigen, kann ihr Potential ja für die Eroberung des Weltalls eingesetzt werden, von wo ja auch Profite zu erwarten sind.
Um die Entwicklung in diesem Sinn zu gewährleisten, müssen sich auch die erste und die zweite Welt einer Art Weltregierung unterwerfen – ohne sich aber ihrerseits von der dritten Welt etwas diktieren lassen zu müssen. Es muss eben verhandelt werden.
Die Kosten die daraus für die erste und die zweite Welt entstehen (besonders durch die höheren Rohstoffpreise), müssen dort durch eine allumfassende Rationalisierung der Verwaltung eingespart werden. Und insgesamt muss die Bildung verbessert werden, um die Chancen für alle zu erhöhen. Es braucht ja geeignete Leute für neue Unternehmen. Darin liegt die Quelle der neuen Konjunktur. So lange diese Umstrukturierung nicht gezielt angegangen wird, wird die Konjunktur lahmen. Aber das Ende des Faschismus in der ersten und in der zweiten Welt wird die dortige Konjunktur beleben und zwar in einem bisher noch gar nicht vorstellbaren Ausmaß.
Es ist eine win/win Konstellation. Alle gewinnen, alle müssen nur von ihrer Sturheit lassen und sehen, dass die Anderen auch ihr Recht haben.
Der erste Schritt auf diesem Weg ist die Vision, in der alle eine Einladung auch für sich persönlich sehen können. Nicht eine pessimistische Vision, wie in Huxleys Brave New World, sondern eine positive, in der wirklich alle zufrieden werden können.
Ein Bild vom Paradies zu schaffen, ist doch die ureigenste Aufgabe aller Religionen. Sie müssen dabei natürlich mit gutem Beispiel vorangehen und die anderen voll anerkennen als gleichberechtigte Wege. Dann können sie zusammen an diesem Bild arbeiten, dem Bild vom Paradies, das natürlich ein irdisches sein muss.
Sufis haben mir einmal erzählt, dass nach der Machtübernahme durch Mohammed in Mekka an den Straßen Körbe mit Geld aufgestellt wurden, aus denen sich jeder bedienen konnte. Das ist eine schöne Vision! Um so etwas zu erreichen, braucht es zunächst einen Zwischenschritt, ein Bild vom Weg. Und dieses Bild muss natürlich aus Elementen der heutigen Welt geschaffen sein und nicht aus irgendwelchen mittelalterlichen Atrozitäten.
Dieses Bild wird auf jeden Fall Kooperation einschließen und zwar als dessen Basis. Und es ist die Kooperation, derentwegen jenes Bild vom Paradies gebraucht wird. Die Menschen lassen sich nur einen durch ein realistisches Bild vom Himmel auf Erden. Das Bild muss die Frage beantworten, wie das Paradies jetzt sofort verwirklicht werden kann. Es darf kein gewaltsamer Weg sein und es braucht eine Möglichkeit der Realisierung für jeden an seinem Platz und zwar sofort – denn wir mit unserer beschränkten Lebenszeit können nicht warten, bis sich die Welt verändert hat. Wenn das Bild von uns verlangen würde [wie das beispielsweise in den kommunistischen Staaten der Fall war], darauf zu warten, würde es scheitern.
Es braucht also ein Modell für jeden Menschen, wie er seine Freiheit jetzt sofort verwirklichen kann.
Die alte Weisheitsliteratur aller Völker bietet Vorbilder dafür. Vom I Ging bis zur Bibel und bis zum Koran. Weil es heute aber nicht leicht ist, die alten Bilder noch zu verstehen, braucht es heute ein neues Bild, ein Bild eben, das unsere heutige Welt als Paradies zeigt – und unseren persönlichen Weg darin.
Ein Projekt für Frieden im Nahen Osten
– und weit darüber hinaus
Die
Antwort der Religion auf den Kampf der Kulturen
19. 5. 2002
Allen bisherigen Friedensplänen für den Nahen Osten fehlt eine echte und völlig neue Vision. Deshalb möchte ich Ihnen jetzt das Projekt eines Neuen Tempels in Jerusalem vorstellen – als ein Symbol der Einheit zwischen den drei Religionen dieses Gebiets. Ich hoffe sehr, dass Sie das Projekt anspricht:
Ein Neuer Tempel in Jerusalem
Die Idee hört sich im Moment vielleicht völlig utopisch an, realisiert aber, würde sie einen Quantensprung in der Entwicklung des Weltfriedens bewirken. Es handelt sich um den Neubau des Jerusalemer Tempels - als ein Symbol der Einheit der Religionen:
Der Tempel kann ja nicht stehen, wo der alte Tempel gestanden hat, weil der Platz belegt ist durch Heiligtümer der Christen und der Moslems. Daher müsste eine Plattform in der Größe des künftigen Tempels errichtet werden - vielleicht dreihundert Meter von der Oberfläche entfernt, aber genau über dem Felsendom, der oben gespiegelt werden müsste, als die Basis des dort zu errichtenden Allerheiligsten des Tempels.
Das Allerheiligste des künftigen Tempels muss genau diese Stelle einnehmen, weil diese Stelle den Ursprung aller drei Religionen in der Hingabe Abrahams bezeugt. Und deshalb ist das auch der Ort der Himmelfahrt des Propheten Mohammed geworden. Das Allerheiligste des Tempels exakt an dieser Stelle zu errichten, ist damit eine offizielle Anerkennung des Islam als eine Religion nach dem Willen Gottes. Aus diesem Grund müsste dieses Allerheiligste zumindest in seiner äußeren Gestalt von einem islamischen Architekten entworfen werden – etwa nach dem Vorbild der Lampe, die auf fast jedem islamischen Gebetsteppich abgebildet ist.
Der Felsendom, der diese Stelle auf dem Boden einnimmt, ist eine Moschee, aber eine sehr untypische, denn er ist eben eine Gedenkstätte, weshalb sich seine Architektur auch nicht zufällig an das Modell der Grabes- und Auferstehungskirche anlehnt. Und damit sind auch die Christen noch einmal einbezogen in diese Achse – mit dem sich hingebenden Christus als Achse – auch im Allerheiligsten selbst.
Der Rest der Gestaltung der Tempelanlagen auf diesem „fliegenden Teppich“ müsste eine rein jüdische Angelegenheit sein. Da könnten nun etwa die Maße des salomonischen Tempels angewandt werden – mit Ausnahme der Position und des äußeren Designs des Allerheiligsten. Das ist das Zugeständnis, das die Juden an die Einheit der Religionen machen und an ihre wiedergefundene Rolle als das auserwählte Volk Gottes, also ihr Tribut an die Zeit.
Die Christen zahlen ihren Tribut in Form der Anerkennung des Islam und die Moslems zahlen ihren Tribut, indem sie anerkennen, dass der christliche Weg dem islamischen in nichts nachsteht.
Und alle zahlen einen weiteren Tribut in der Anerkennung der Tatsache, dass das Gespräch Gottes mit den Menschen durch keine vergangene Offenbarung je abgeschlossen war, sondern dass es für immer weitergehen wird und dass in ihm die Essenz aller Religionen liegt.
Ich, der Übermittler dieser Nachricht, bin katholischer Theologe und Psychotherapeut. Ich habe vier Jahre in den USA gelebt und ein Jahr in Ägypten. Ich bin mit allen großen Religionen sehr gut bekannt durch persönliche Erfahrung ihrer Praxis. Aus meiner Seelsorge-Arbeit in der Psychiatrie kenne ich die Gefahren mentaler Fallen und ich sehe alle Nah-Ost-Parteien gefangen in ihrer Konfrontation ohne Vision und ohne Zugang zu einer höheren Perspektive. Doch der Geist unserer Zeit sorgt für die Vision – ich habe sie soeben präsentiert.
A Project for Peace in the
Middle East – and far beyond
Religion’s Answer To The Struggle Between The
Cultures
5_19_2002
All initiatives for the Middle East must fail
because there is no real vision - on neither side.
Therefore I want to introduce to you the
project of a New Temple in Jerusalem - as a symbol of unity among the three
religions of the area.
I hope very much that you will appreciate this
project.
At the moment the idea may sound completely
utopian, but in the process of realization it will prove itself to be the main
motor of developing world peace.
My vision is like this:
As everyone knows the New Temple cannot be
built on the location the old one was, because that space is already taken by
Therefore, in my picture, a platform of the size
needed by the New Temple will have to be built high above the area, maybe three
hundred meters above the Dome of the Rock. The Dome of the Rock architecturally
will have to be mirrored above, and exactly the space of the mirror image will
have to be used as the new Inner Sanctum of the New Temple, because that spot
is witness to the origin of all three religions in the surrender of Abraham.
That’s why it also was the exact location of the ascension of the prophet
Mohammed to the heavens and therefore it is sacred to the Muslims. So that
architectural part would be a manifestation and official recognition of Islam
as a religion according to the will of god. For that reason that part of the
construction would have to be designed by an Islamic architect – maybe
according to the traditional image found on most Islamic praying carpets of
“the lamp in the niche”.
On the ground that space is taken by the Dome
of The Rock which is a very atypical mosque, because it is a memorial site and
its architecture not accidentally is following the model of the Holy Sepulcher,
which at the same time is the church of resurrection. And so the
The rest of the conception of the New Temple on
this “flying carpet” of course would be a purely Jewish concern. They might use
the measurements of the Temple of Salomon – with the exception of the position
and the outer design of the inner sanctum. That will be the Jewish tribute
towards the unity of all religions and toward fulfilling their new role as Gods
Own People, their tribute to the world and to the times.
The
And all three of them will pay one further
tribute by recognizing the fact, that the dialogue of god with his creation
never has been perfected by any revelation of the past; it still is present and
will continue through all times; and that dialogue always will be the essence
of all religion.
A few model-pictures, showing that platform for
the New Temple integrated in the landscape of Jerusalem you will find nearby.
I, the transmitter of this message, am born
1944 in Austria. I am a Catholic theologian and psychotherapist. I have lived
in the US more than four years, and in Egypt nearly one year. I know all the major
religions quite well through personal experience of their practices. From
working in psychiatry I also know very well the possibilities of getting caught
in any kind of mental trap – as I see all of the Middle East parties being
trapped in a confrontation with no vision nor any access to a higher
perspective. The spirit of our times provides the vision – I just presented it.
Armageddon
Notizen zu einem
Gespräch mit Mitgliedern des Sufi Ordens von Scheich Nazim
21. 6. 2002
Der bekannte Sufi-Scheich Nazim hat die Vision, dass es in Kürze zu einer weltweiten kriegerischen Auseinandersetzung kommen wird und dass „die Namen der Menschen bereits ausgelöscht sind im Buch des Lebens“.
Seine Anhänger erinnerten an das biblische Armageddon und meinten, dass das jetzt kommen werde.
Hier wird [für mich] offensichtlich in verhängnisvoller Weise ein Bild mit der Realität verwechselt, so wie eben oft die Landkarte für die Landschaft gehalten wird.
Das Bild (die Landkarte), das Scheich Nazim gebraucht, ist richtig: Natürlich sind die Namen der Lebenden bereits ausgelöscht, denn alle ohne jede Ausnahme werden sterben. Und für alle wird die Auseinandersetzung mit ihrem Tod die Stunde der Wahrheit bringen.
Das Ganze aber für ein real geografisches und historisches Schauspiel zu halten, das ganz konkret mit modernster Waffentechnik aufgeführt werden wird in einer Art drittem Weltkrieg, ist eben eine Verwechslung von Bild und Realität.
Viele der ersten Christen waren davon überzeugt, dass der Weltuntergang und die Wiederkehr Christi noch zu ihren Lebzeiten [als eine äußerliche, konkret historische Gestalt] stattfinden wird. Sie verwechselten ebenso dieses Bild [Jesu] mit der Realität. Nach einiger Zeit wurde den Christen klar, dass das real-äußere Weltende erst später kommt. Das war eine der ersten Ernüchterungen in der Geschichte des Christentums – nachdem bereits eine allererste Entillusionierung stattgefunden hatte, als die Jerusalemer Gemeinde, deren Mitglieder der Brüderlichkeit wegen alles verkauft hatten, bankrott war und durch Sammlungen in allen anderen Gemeinden am Leben erhalten werden musste. Auch da war schon ein Bild mit der Realität verwechselt worden, die sinngemäße Anwendung mit einer buchstäblichen. Die Verschiebung des Weltendes war einigen der Autoren der Bibel ziemlich peinlich. Sie mühten sich ab mit letztlich unbefriedigenden Umerklärungen, und manche hielten fest an der buchstäblichen Interpretation, also an dem, was wir heute als eine Verwechslung von Bild und Realität bezeichnen können – eine Ausdrucksweise, die es damals noch nicht gab.
Die Fundamentalisten aller Religionen und aller Zeiten verwechseln immer Bild und Realität.
Unbewusst scheinen sie zu glauben, sie wären verpflichtet, Bild und Realität zu verwechseln, weil sie sonst um die Wirkung des Bildes fürchten müssten – was für einen bewussten Menschen nicht zutrifft, denn ein bewusster Mensch setzt sich natürlich mit der Realität seines Todes auseinander. Bei ihm hat das Bild bereits seine Wirkung getan, er hat bereits verstanden und daher braucht er das Bild nicht krampfhaft festhalten, wie die ängstlichen Buchstabengläubigen es tun müssen.
Bei Träumen ist uns klar, dass es sich um Bilder handelt, deren symbolische Bedeutung erst erkundet werden muss.
Für die Bibel ist die Traumsprache ganz normal. Da werden desöfteren Menschen, die quicklebendig herumlaufen, als „tot“ bezeichnet und es wird von der Möglichkeit gesprochen, dass diese Menschen wieder lebendig werden, wiedergeboren werden können. An der Tatsache dieses Sprachgebrauchs gibt es keinen Zweifel, wie das Beispiel vom „verlorenen Sohn“ zeigt. Das Bild wird wie eine Landkarte verwendet für eine analoge Realität. Es ist klar, dass es nicht wörtlich verstanden werden kann, sondern eben nur als Bild.
Auch auf Aussagen vom Ende der Welt und vom letzten Kampf der Mächte um die Herrschaft in der Welt trifft der analoge Sprachgebrauch zu. Es geht einfach um die existentielle Auseinandersetzung eines jeden Menschen mit dem Wesen seiner Existenz.
Ein Nichtverstehen des analogen Sprachgebrauchs der heiligen Schriften hat in der Geschichte bereits verheerende Folgen gehabt [alle Arten von Religionskriegen und Verfolgungen anders Denkender] und es hat auch heute noch verheerende Folgen.
Ein Nichtverstehen [oder Missverstehen] des Bildes, also der Vision von Scheich Nazim, kann ebenso verheerende Folgen haben. Wenn Scheich Nazim das Missverständnis nicht aufklärt, kann er dadurch mitschuldig werden am Tod Tausender oder sogar von Millionen von Menschen – und zwar so [das war bei diesem Gespräch für mich klar erkennbar]:
Menschen, die glauben, dass ihr Name im Buch des Lebens ohnehin bereits ausgelöscht ist, haben nichts mehr zu verlieren. Sie werfen ihr Leben weg [ohne die analog-existentielle Bedeutung des Bildes für ihr Leben zu erkennen] – für eine Ideologie. In ihrer Ideologie [biblisch und koranisch gesprochen, in ihrem „Götzenbild“] hat „das Böse“, „der Feind“, einen Namen in der äußeren Welt: Es sind die, die einen anderen Glauben haben – weil ja auch der Glaube nicht als das gesehen wird, was er ist, nämlich ein Vertrauen darauf, dass Gott die ganze Welt und alle Lebewesen in ihr weise lenkt, sondern der Glaube wird von den Fundamentalisten aller Arten immer als ein bestimmtes Glaubensbekenntnis gesehen, in diesem Fall nämlich als das Bekenntnis zum Buchstaben des Koran. Alle, die diesen Glauben nicht haben, werden als „Ungläubige“ und daher als Feinde betrachtet. Angewandt auf die heutige Welt bedeutet das: Es gibt die „Gläubigen“ – und das sind alle, die sich an die Regeln des Koran halten – und die Ungläubigen und das sind alle, die sich an diese Regeln nicht halten. Auch in dieser Beziehung wird also das Bild [dass der Koran nämlich beschreibt, was Hingabe ist] verwechselt mit der Realität der Hingabe. Wirkliche Hingabe hat mit einem bestimmten Bekenntnis natürlich nichts zu tun – im Gegenteil: Alle, die glauben, sie hätten die Hingabe, weil sie das Bekenntnis haben, geben sich natürlich nicht wirklich hin, sondern sie haben einen Ersatz für die reale Hingabe gefunden, nämlich ihr Bekenntnis und ihre Treue zum Buchstaben [dessen bildlich-analoge Bedeutung sie nicht verstehen].
Scheich Nazim kann durch die Verbreitung seiner Vision unter Umständen zum Millionenfachen Mörder werden, weil seine Vision den Boden bereitet für mörderische Konsequenzen dieses fundamentalistischen Missverständnisses.
Die bei diesem Gespräch real Anwesenden Anhänger von Scheich Nazim hatten, wie mir scheint ausnahmslos, das Bild von einer islamischen Welt, die mit Ausnahmen [den Ungläubigen im eigenen Land] identisch ist mit der geografischen Verbreitung des Islam als Konfession. Und sie alle hatten ein zweites Bild, nämlich das des Feindes, und dieses Feindbild war ebenso identisch mit der geografischen Verbreitung der nicht- oder kaum islamischen Gebiete. Grob standen in dem Bild also Amerikaner und Juden den Arabern und sonstigen Muslimen gegenüber.
Wenn Menschen, die so ein Bild haben [wo doch der Koran alle Bilder verbietet!], dazu noch die Vision des Endkampfes gegeben wird, das diese Menschen natürlich ebenso buchstäblich und nicht analog verstehen, dann müsste dem Verbreiter dieses Bildes klar sein, dass dieses Bild die logische Wirkung hat, dass sich mehr und mehr Menschen [unter denen, die sich für „gläubig“ halten] finden werden, die ihr Leben wegwerfen, um diesem Feind zu schaden. Da der Feind eben plakativ mit der nominell nichtislamischen Welt identifiziert wird, sind dann Anschläge, wie die gegen das World Trade Center ganz normal. Und der Urheber [oder Verstärker] des Bildes vom Armageddon trägt dafür eine Mitverantwortung.
Das islamische Kommunikationssystem
24. 6. 2002
Das islamische Kommunikationssystem unterscheidet sich von den Kommunikationssystemen im Rest der Welt grundlegend: Es ist ausschließlich auf persönlichem Vertrauen aufgebaut.
Wenn dieses persönliche Vertrauen besteht, funktioniert die Kommunikation, wenn es nicht besteht, funktioniert sie nicht.
Alle Frustrationen westlich kultivierter Menschen in islamischen Ländern beruhen darauf. Das wird aber oft nicht erkannt. Man spricht dann davon, dass man in diesen Ländern eben „Zeit“ brauche oder ähnliches. Es hat mit Zeit aber nur so viel zu tun, als es eben Zeit braucht, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Westlich kultivierte Menschen können nämlich auch später die Erfahrung machen, dass plötzlich eben nichts mehr geht, wenn etwa durch irgendeine Äußerung oder Handlung von ihnen das Vertrauensverhältnis in irgendeiner Weise gestört wurde.
Aufgrund dieses Systems sind etwa Terrornetze etc. samt dem nötigen Geldtransfer kein Problem, denn das System ist von außen nicht einsehbar und auch keines seiner Teilsysteme. Das ist die Stärke dieses Systems.
Das Problem dieses Systems ist seine ungeheure Schwerfälligkeit im Großen. Das ist der Hauptgrund für die kolossale wirtschaftliche Rückständigkeit der ganzen islamischen Welt [etwa im Gegensatz zu hinduistischen und buddhistischen Einflussbereichen]. Während in der westlichen Kultur sachliche Vereinbarungen geschlossen werden, die mit den involvierten Personen nichts zu tun haben, geht es in der islamischen Welt nur um die Belange der involvierten Personen und alle Vereinbarungen bleiben stets von diesen abhängig. Und diese Personen wiederum stehen in einem hierarchischen sozialen Gefüge [genau gesagt: eines Feudalsystems], das auf persönlichen Loyalitäten beruht [bei uns in der Nibelungensage archetypisch erzählt], in dem es als normal gilt, dass ein Fremder abgeblockt und auch abgezockt wird. Nach außen bestehen also so etwas wie Zensur- und Zollschranken. Der Zoll [als vertrauensbildende Maßnahme oft im Vorhinein gegeben in Form von Bestechungsgeldern] begründet dann wieder das Vertrauen, und manchmal ersetzt dieser Zoll das Vertrauen. Von diesen Zöllen muss natürlich etwas an die nächste Instanz abgegeben werden, die von dem Fremden durchlaufen werden möchte. Dort wird der Fremde dann wieder abgezockt oder abgeblockt. Das geht so lange, bis der Fremde irgendwann kein Fremder mehr ist, sondern ein Teil des Systems. Es beginnt aber augenblicklich wieder, sobald er sich in irgendeiner Weise nicht systemkonform verhält.
Das System ist hermetisch abgeschlossen. Ein Eindringen ist, wie die westlichen Geheimdienste sehen, kaum möglich.
Frank Herbert hat das System fantastisch beschrieben in seinem Roman „The Santaroga Barrier“.
Es ist ein rigoroses System von Belohnung und Bestrafung mit der selbstverständlichen Todesstrafe auf alle Angriffe gegen das System selbst. Grundlage des Systems der islamischen Welt ist eben der „Islam“. Es wäre allerdings ein Missverständnis, zu glauben, es ginge dabei um eine Religion. Es geht nämlich keineswegs um Hingabe an Gott, sondern ausschließlich um die Hingabe an das System, an die äußerlichen Regeln des Systems, um den Brauch, wie der vollkommen unkoranische Terror gegen Frauen deutlich zeigt, der in weiten Gebieten als selbstverständlich und als unverzichtbar islamisch gilt. In der Vergangenheit sind islamische Heilige sogar hingerichtet worden, weil sie die Wahrheit mehr achteten als das System.
In dem System geht es auch nicht um soziale Gerechtigkeit. Dass in dem System möglicherweise Millionen verhungern, macht nichts aus. Das sind eben die, die es nicht schaffen, bei den Führern des Systems Vertrauen zu gewinnen. Sie werden [aus der Sicht des Systems ganz natürlich] ausgeschieden – was die vom Ausscheiden Bedrohten natürlich umso loyaler macht. Aus ihnen rekrutieren sich heute die Selbstmordattentäter.
Es handelt sich um eine instinktiv geregelte menschliche Gesellschaftsordnung, die der Hackordnung bei den Hühnern ähnelt, aber eben menschlich ist. Deshalb gibt es auch in den westlich kultivierten Gesellschaften immer wieder das, was hier als „Abstürze“ in „Niederungen“ betrachtet wird: Bestechungen, Vetternwirtschaft etc.. Diese Phänomene werden bei uns als etwas Unkultiviertes gesehen, während sie im islamischen Bereich ganz wesentlich zur Kommunikationsstruktur der Kultur gehören.
Gleichzeitig erweckt dieses System bei uns aber auch Sympathie, weil es etwas sehr Natürliches hat, weil es eben tatsächlich auf persönlichem Vertrauen beruht.
In der westlichen Kultur nimmt den Platz des persönlichen Vertrauens ein anderes System ein, das auch ausdrücklich auf Vertrauen beruht und nach diesem sogar benannt ist, nämlich das Kredit-System. Demjenigen wird Geld gegeben, der kreditwürdig ist, dem man also glaubt, dass er es zurückzahlen kann. Es geht da aber nicht um persönliches Vertrauen, sondern um ein Vertrauen in die Sache – was unserer Kultur diese eigenartige Kühle gibt [mit oft entfremdender Wirkung], in der sich viele verloren fühlen.
In der westlichen Kultur herrscht eben durchgehend ein anonymes und doch individuell wirkendes Rechtssystem – im Gegensatz zu dem sehr persönlichen aber nicht individuell wirkenden Feudalsystem des Islam. Auch unsere Industriekultur ist aus einem Feudalsystem hervorgegangen. Das Persönliche ließ sich aber durch die immer größere Notwendigkeit von Abstraktion nicht länger halten, sein Netz von Kraftlinien wurde ersetzt durch jenes neue Beziehungsgeflecht, das in den Gesetzeswerken der Industriekultur zum Ausdruck kommt.
Das Feudalsystem mit seinen Stammes- und Clanorganisationen ist den wirtschaftlichen Gesetzen der heutigen Welt nicht mehr angemessen. Heute geht es um andere Arten von Einheiten, um viel schneller wechselnde Loyalitäten. Sie bestimmen unsere Kultur. Die Feudalsysteme werden also umgewandelt werden und eine völlig neue Gesellschaft wird entstehen.
Die Religion muss das berücksichtigen. Die feudalen Kulturen stehen an der Schwelle zur Modernität. Sie können den Strom der Zeit nicht aufhalten, das Feudale an ihnen wird auf der Strecke bleiben. Sie können nur mitgehen oder stranden – dabei möglicherweise allerdings denjenigen, die mitgehen, das Leben zur Hölle machen, etwa durch Terror. Am Ende aber werden sie keine Wahl haben. Sie können die Zeit nicht aufhalten.
Sie müssen aber nicht bis zum Ende warten. Sie können schon vorher mitgehen, nämlich sofort und freiwillig. Die Religion geht dabei nicht zugrunde, wie das Beispiel der christlichen Religion zeigt, die diese Entwicklung bereits hinter sich hat.
In den modernen individuell-demokratischen Gesellschaften ist bekanntlich ja auch für die Muslime Platz. Sie können ihre Religion frei ausüben, solange sie niemand zu ungesetzlichen Taten verleiten. Und die Muslime genießen diese Freiheit auch – und doch hat es bei vielen den Anschein, als ob sie nur darauf warten, dass sich eine Chance bietet, diese Freiheit für alle anderen aufzuheben und einen Gottesstaat auszurufen, in dem Angehörige anderer Religionen dann ihre Religion nicht mehr so frei ausüben dürfen, wie die Muslime jetzt, wo sie beispielsweise, wie das in Staaten mit islamischen Recht der Fall ist, für ihre Religion nicht mehr werben dürfen oder als Nicht-Muslime gar den Friedensgruß „Salamu Aleikum“ bei Todesstrafe nicht aussprechen dürfen (wie kürzlich tatsächlich erfolgte Hinrichtungen in Pakistan zeigen). Ganz zu schweigen von den grauenhaften mittelalterlichen Praktiken islamischer Gerichtsbarkeit, wie Hand abhacken etc..
Der Brauch des Handabhackens ist ein gutes Beispiel dafür, dass die feudalen Strukturen nicht mehr funktionieren, etwa das Almosensystem [eine der „fünf Säulen des Islam“], sonst würde Diebstahl nicht in so gravierendem Ausmaß zunehmen, dass man sich im Sudan bereits Handabhackmaschinen anschaffen musste, um dem rapide steigenden Bedarf gerecht zu werden. Der Fehler ist also bereits tief ins System eingedrungen.
Statt den Fehler aber da zu sehen, wo er ist, wird die Aufmerksamkeit auf einen äußeren Feind gelenkt, der angeblich an allem schuld ist. Der Sündenbock gehört natürlich nicht zum eigenen System. Am besten geeignet für diese Rolle ist daher die vorderste Front des nichtfeudalen Gegensystems, die USA [die ja schon durch ihre Entstehungsgeschichte antifeudal sind].
In den USA gibt es außerdem alles, was diejenigen, die die USA als Feind sehen, auch gerne hätten, aber nicht haben. Daher sind die Amerikaner schuld daran, dass sie es nicht haben. Auch afrikanische Medizinmänner kennen als Erklärungsmuster für das Unglück des Einen, den erstaunlichen Reichtumszuwachs eines Anderen. Und in geschlossenen [natürlicherweise feudalen] Stammesgesellschaften das trifft auch zu, aber nicht mehr in unserer Zeit, auch nicht in den islamischen Gesellschaften. Alles ist viel zu komplex geworden, als dass es ein Feudalsystem noch steuern könnte. Das Feudalsystem funktioniert nicht mehr. Aber anstatt das zu sehen, bekämpft man einen Außenfeind mit Terror. Tatsächlich aber hat in unserer Welt der Reichtum des Einen mit der Armut des Anderen nichts zu tun, denn beide leben in völlig unterschiedlichen Regelkreisen, die sich gegenseitig gar nicht wirklich beeinflussen. Der wirtschaftliche Einfluss der USA ist nicht die Ursache der Armut so vieler Araber. Die Armut so vieler Muslime ist bedingt durch die ungeheure Vermehrung der Ärmsten, die vom System nicht mehr verkraftet wird und gleichzeitig noch dadurch, dass sich einige wenige Fürsten und ihre Familien persönlich bereichern, auch heute noch Tausendundeine Nacht Märchenwelten für sich verwirklichen, während die zunehmenden Massen hungern und ausgeschlossen sind von allen Bildungsmöglichkeiten etc., eben weil die Reichen zu wenig Lust haben, ihre Einkünfte aus den Bodenschätzen des Landes mit ihren Landsleuten zu teilen.
Wenn die Aufmerksamkeit der Muslime auf diese realen Zusammenhänge gerichtet würde, könnte eine Veränderung zum Positiven erreicht werden, durch den Neid aber und die von ihm verursachte Projektion der „Schuld“ auf die reicheren Nationen kann höchstens einiges von dem zerstört werden, was diese Anderen haben, ohne sich selbst zu nützen.
Das zu erkennen ist aber nur möglich für Menschen, die die Perspektive des Systems verlassen können, um ihre Situation von einer höheren Perspektive aus zu betrachten.
Das bedeutet aber, in eine größere Ganzheit einzutreten, deren Gesetze nun nicht mehr die alten, feudalen Stammesgesetze sind, sondern zunächst die in unserer Zeit üblichen sachlich rechtlichen Individual- und Korporationsgesetze, also das, was in der ersten Welt bereits seit sehr langer Zeit vorhanden ist – und dort auch sehr blutig erkämpft werden musste: Die freiheitliche Gesellschaftsordnung mit seiner Rechtstaatlichkeit, jenseits des Feudalsystems, die ihrerseits aber selbst gerade mitten im Umbruch ist, weil die internationalen Korporationen ja längst mit den Staaten in Konkurrenz getreten sind und die staatliche Organisationsform selbst in Frage stellen – auch da braucht es eben die Perspektive der größeren Ganzheit.
Das feudale islamische Kommunikationssystem wird daher nach und nach abgelöst werden durch das staatlich-individuell organisierte Kommunikationssystem der ersten Welt und dieses Kommunikationssystem wird abgelöst werden von den heutigen Notwendigkeiten der grenzenlosen Kommunikation. Dieser Prozess ist unaufhaltsam. Er ist bedingt durch die veränderten demografischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, die sich mit denen der Zeit des Propheten Mohammed nicht mehr vergleichen lassen.
Der Teufelswahn
26. 6. 2002
Menschen mit Teufelswahn leiden daran, dass sie immer wieder glauben, sie wären der Teufel und sie wären in der Hölle.
Diesem Wahn zugrunde liegen frühkindliche Schlüsselerlebnisse, in denen die Eltern des betroffenen Kindes diese Begriffe verwendet haben oder gar das Kind selbst als „Teufel“ bezeichnet haben.
Diese Bezeichnung hat wohl der Erfahrung und den Ausdrucksmöglichkeiten der Eltern entsprochen, die sich in den betreffenden Situationen einfach nicht mehr zu helfen wussten. Das Kind aber war in diesen Situationen ebenso hilflos, weil es sich vollkommen ignoriert und missverstanden fühlte und seinem Gefühl nach völlig zu Recht verrückt spielte.
Um einen Teufelswahn loszuwerden, ist es nötig diese Zusammenhänge zu verstehen. Es handelt sich um einen Teufelskreis einander bedingender Missverständnisse und Fehlhaltungen aufgrund von Prägungen fehlerhafter Begriffsbildungen [auch bei den Eltern], deren [fehlerhafte] Elemente durch starke Sanktionen [extreme Schuldgefühle, Höllenängste] geschützt sind.
Das Zentrale an der fehlerhaften Begriffsbildung ist, dass nicht verstanden wird, was „böse“ bedeutet, nämlich dass jeder Mensch in gewissen Situationen böse wird, wie das jeder von sich selbst und von anderen kennt.
Bei Menschen mit einem Teufelswahn ist das „böse“ abgelöst von dem natürlichen böse Werden und zu einer selbständigen [philosophisch-moralischen] Kategorie geworden, die dem als solches gedachten „Bösen“ oder dem „Teufel“ zugeordnet ist. Diese Kategorie bildet den Kern eines jeden Teufelswahns. Sie ist eine irreale Kategorie, der allerdings eine [nicht als solche erkannte] archetypische Wirklichkeit entspricht, die sämtliche Wirkungen des natürlichen böse Werdens einschließt. Das natürliche böse Werden aber kommt eben nicht aus einer dem „Guten“ entgegen gesetzten „bösen“ Welt, sondern es ist ein natürlicher [instinktiver] Verteidigungsmechanismus, der einsetzt, wenn alle anderen zur Verfügung stehenden Mittel versagen.
Ein Ausweg aus dem Teufelswahn ist nur möglich durch Verstehen.
Zunächst müssen wir das Verhalten der Personen verstehen, die die Prägeerlebnisse auslösen. Wir müssen also verstehen, was beispielsweise bei einer Mutter [oder einem Vater] abläuft, die ihr Kind schlägt, nämlich, dass sie mit dem Verhalten des Kindes in der speziellen Umgebung vollkommen überfordert ist. Ihr Repertoire an Verhaltensstrategien ist erschöpft. Daher wird sie böse und schlägt das Kind – oder nennt es darüber hinaus gar noch einen „Teufel“. Das ist bedauerlich, aber verstehbar. Eine Lösung [für die Mutter und für das Kind] besteht nicht in der moralischen Verurteilung ihres Verhaltens, sondern sie kann nur darin bestehen, ihre Hilflosigkeit zu sehen und ihr zusätzliche Verhaltensmöglichkeiten zu zeigen.
Als Betroffene [als Kinder einer solchen Mutter] sind Menschen mit Teufelswahn aber zunächst unfähig, dieses Verhalten zu verstehen. Sie identifizieren sich ja mit dem Kind, das das Verhalten der Mutter auch nicht verstehen, sondern nur verurteilen kann.
Das Kind ist böse geworden, weil es sich nicht verstanden fühlte, weil die Mutter es nicht verstanden hat, dem Kind zu erklären, warum sie so und nicht anders handeln muss.
Wenn eine Mutter es immer wieder nicht versteht, ihr Verhalten dem Kind zu erklären und dem Kind auch zu erklären, warum manche seiner Wünsche im Moment nicht erfüllt werden können, kann es leicht geschehen, dass das Kind vor lauter Nichtverstandensein ausflippt und vollkommen verrückt spielt, so verrückt, dass die Mutter auf die Idee kommt, ihr Kind einen „Teufel“ zu nennen.
Und wenn dies oft geschieht, kann es sein, dass dieses Kind später, wenn es erwachsen geworden ist, und wieder in eine Situation kommt, in der es sich so vollkommen unverstanden fühlt, wieder am liebsten ausflippen würde, sich das mittlerweile aber nicht mehr getraut. Es spürt nur den Hass gegen diese nichtverstehenden Menschen oder gar gegen die nichtverstehende Welt [hier liegt auch der Grund für Amokläufe]. Gleichzeitig erlebt es sich selbst als unschuldig [an der Situation], und baut sich in seiner Phantasie eine ideale heile Welt auf, in der seine Wünsche erfüllt werden. Weil es sich diese Welt doch so sehr wünscht, will es deren Bedingungen überall einfordern, natürlich vergeblich, was seine Frustration noch steigert. Und so kann es geschehen, dass sich dieses Kind, erwachsen geworden und gerade in Umkehrung seiner unrealistischen Vorstellungen, plötzlich und ohne Vorwarnung selbst als wirklichen Teufel erlebt.
Das Kind hat unbewusst und unfreiwillig die Begriffe der Eltern übernommen und es wendet diese Begriffe, die die Eltern in Bezug auf das Kind noch bildlich verwendet hatten, nun buchstäblich auf sich selbst an und glaubt nun, tatsächlich der Teufel zu sein.
Damit sind wir beim Teufelswahn mit seinen unendlichen Varianten von Höllenerlebnissen. Eine Befreiung daraus ist mit normalen psychiatrischen Mitteln kaum möglich, weil es sich ja um tiefe frühkindliche Prägeerlebnisse handelt, die durch schwere Sanktionen geschützt sind vor Veränderung oder Löschung.
Eine Aufhebung ist nur möglich durch eine gleichzeitige allmähliche Annäherung an das Verstehen von verschiedenen Seiten.
Zunächst gilt es, das Paradox der Situation zu sehen: Menschen mit Teufelswahn erleben ja das Verhalten vieler anderer Menschen als ihrem Ideal nicht gemäß und daher zu verurteilen. Sie erleben gewissermaßen sich als die Unschuldsengel von lauter Teufeln umgeben, die ihnen Übles wollen und die ihnen das Gute, das sie ihnen, wie sie glauben, schulden, vorenthalten. Sie sind daher oft endlos damit beschäftigt, sich über das Verhalten der anderen Menschen zu ärgern und es zu verurteilen.
Wie schon gesagt, haben sie sich eine der Realität entgegen gesetzte Idealwelt aufgebaut und sie halten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln fest an dem Glauben, so müsste es eigentlich sein: Die Menschen müssten immer lieb und nett zueinander sein, hilfsbereit, immer für sie da, nichts verlangend, aber alles gebend. In dem Maß, in dem die Realität von diesem Ideal abweicht, sind sie enttäuscht [ohne je ihre Täuschung aufzugeben] und daher endlos beleidigt – und dann schlägt ihr Beleidigtsein [in dem sie sich doch als unschuldige Opfer fühlen] plötzlich und ohne erkennbaren Grund um in die Vorstellung, sie selbst seien der Teufel.
Für einen nicht Betroffenen Menschen ist das ein vollkommen logischer Vorgang, der in der Widersprüchlichkeit der phantasierten Idealwelt begründet ist, für den Betroffenen aber liegt der Zusammenhang vollkommen im Dunkeln. Seine Logik muss daher sichtbar gemacht werden.
Jedes Ansprechen solcher Zusammenhänge wird aber von einem Menschen mit Teufelswahn gleichzeitig immer als eine existentielle Bedrohung erlebt. Es muss daher äußerst achtsam geschehen – und doch immer das Maß von Rücksichtnahme überschreitend. Der Teil, der schmerzt, ist es ja, der heilt. Und so geht die Heilung dann zwar sehr sehr langsam und mit vielen Rückschlägen, aber doch Schritt für Schritt voran.
Etwas vom Wichtigsten dabei ist es, klar zu machen, dass Verurteilungen nicht nur einen eskalierenden Effekt haben, sondern dem Verstehen direkt entgegengesetzt sind, das Verstehen und damit die Heilung also behindern, dass es daher immer und überall äußerst wichtig ist, Verurteilungen zu vermeiden.
Dazu müssen alle Situationen, in denen Verurteilungen gewohnheitsmäßig auftauchen, neu gesehen werden unter dem Gesichtspunkt des Verstehens. Dabei wird nach und nach klar, dass ein Teil dessen, was als jetzt Verletzung erlebt wird, in Wirklichkeit gar keine Verletzungen sind, sondern eben Versuche, den Teufelskreis zu durchbrechen und dann wird außerdem klar, dass die abscheulichen Monster, von denen die wirklichen Verletzungen ausgehen, selbst nur arme Teufel sind, die leider [wegen all der Frustrationen, die sie selbst ständig erleiden] sich nicht anders zu helfen wissen als damit, um sich zu schlagen. So entsteht Mitgefühl mit denen, die bisher für „böse“ gehalten worden sind.
Gleichzeitig muss geübt werden, zu sich selbst zu stehen, ohne sich über irgendjemand zu überheben, vor allem auch zu den eigenen Schwächen zu stehen, sie also nicht zu verbergen, sondern zu sagen, wann die Grenze erreicht ist – sich also auch selber nicht zu verurteilen, sondern sich auch selber zu verstehen und zu akzeptieren.
So bewegt sich nach und nach das Leben eines Menschen mit Teufelswahn weg vom ständigen sich gegenseitig Verurteilen und Niedermachen hin zu einem sich gegenseitig Verstehen und Aufbauen. Der Wendepunkt ist da, wo dem Betroffenen klar wird, dass er nicht damit rechnen kann, dass die Anderen sich an sein Idealbild halten, sondern dass er selbst damit beginnen muss, zu verstehen, zunächst sich selbst und parallel damit auch die Anderen.
Die Gefolgschaftstreue im Islam
6. 7. 2002
Durch die auf die Religion gestützte Feudalstruktur herrscht in den islamischen Gesellschaften eine Art instinktive Gefolgschaftstreue ganz ähnlich wie die Treue des Rudels zu seinem Führer in den Tiergesellschaften.
Das ist auch der Grund für die große Sympathie für den Nationalsozialismus, die in islamischen Gebieten heute noch sehr weit verbreitet ist.
Das Ideal des starken Führers, der unter völliger Missachtung möglicher Vorteile für die eigene Person vollkommen aufgeht in seiner Führeraufgabe, erscheint ihnen von Hitler erfüllt.
Als nächstes ist diesem Ideal die Führungsmacht USA sehr nahe gekommen durch ihre selbstlosen Einsätze besonders im zweiten Weltkrieg, sowie in all den späteren weltweiten Engagements der USA einschließlich des kalten Kriegs.
Die Gefolgschaftstreue richtet sich aber gern auf eine Person, nicht auf ein Land, daher entsprachen die USA nie wirklich den Helden, die sich die islamischen Menschen erträumten und daher gab es immer auch Widerstand gegen ihre Führungsmacht und ihren Führungsanspruch.
Trotzdem wurde die USA, wie es einem Tierrudelführer gebührt, idealisiert und sie blieb größtenteils unangefochten, nicht nur im Siegeszug von Coca Cola und Hollywood.
Durch die Ereignisse des Elften September ist aber eine Wende eingetreten. Die USA haben Schwäche gezeigt. Und wie das in Tierrudeln ist, wo ein Rudelführer Schwäche zeigt, gerät die Gefolgschaft ins Wanken. Große Teile des Rudels agieren jetzt ihre bisher hinuntergeschluckten Aggressionen gegen ihren Rudelführer aus und sammeln sich um den Herausforderer, der nun seinerseits idealisiert wird.
In unserem Fall war der Herausforderer bin Laden. Er hat es geschafft, zwei ganz wesentliche Symbole der Macht in den USA und der gesamten industrialisierten Welt zu zerstören bzw. erfolgreich anzugreifen, das World Trade Center und das Pentagon. Und nun möchte er [sofern er noch lebt, falls er nicht mehr lebt, dann möchten das seine Nachfolger – etwa Saddam Hussein] den alten Rudelführer vollends ausschalten. Und die Anhänger sehen eine Chance, sie jubeln ihm zu und bestärken sich gegenseitig in diesem [doch eher illusionären] Ziel.
Auf solche Wirkkräfte jedenfalls lassen die Schriften einer bedeutenden Saudi-Oppositionsgruppe in London schließen und vieler anderer islamischer Wortführer, die jetzt ihre Opposition gegen die USA formulieren.
Es ist daher nicht weiter erstaunlich, dass der alte Rudelführer USA den Kampf entschlossen aufnehmen und dabei keinerlei Rücksichten auf die Kosten nehmen will, offenbar in der Annahme, dass es in diesem Setting ausschließlich um den Machtbeweis geht.
„The real causes“
of the conflict in
the
2002_07_11
Some people worry the Temple-Project
would not take into account „the real causes" of the conflict.
As I see it, the conflict in the
Middle East is a typical conflict of the type "I am right, you are
wrong". And the best remedy for such conflicts is to raise one's
perspective to a higher level, to the level where both can be right.
The level of this higher perspective
commonly is known as the level of spirituality (the level of
"religion" often remains on the lower "I am right, you are
wrong" level, as you can see in this conflict). Therefore it needs a
symbol both parties can agree on. Both (or all three - the
Zur Frage der Theodizee
12. 7. 2002
Gott lässt alles zu. Könnte er irgendetwas verhindern? Nein!
Er könnte es nicht einmal wollen. Schließlich hat er die Welt doch so gemacht, wie sie ist. Er kann sich doch nicht selbst widersprechen.
Sind dann die Aussagen über die Allmacht Gottes Unsinn? Im üblichen Sinn, also sofern sie von einer widersprüchlichen Vorstellung von Gott ausgehen, sind sie tatsächlich purer Unsinn. Und alle fundamentalistischen Sekten aller Religionen gehen von so einer widersprüchlichen Auffassung aus. Sie haben etwas nicht zu Ende gedacht.
Von „Allmacht“ kann nur gesprochen werden in Hinblick auf die Tatsache, dass das ganze All von dieser einen Kraft stammt.
Will Gott also auch das Böse?
Die Idee vom „Bösen“ selbst beinhaltet einen inneren Widerspruch, ist also auch purer Unsinn. „Böse“ werden ist ja nur ein Resultat der Behinderung.
Es verhält sich damit so:
Sobald etwas ist, wirft es einen Schatten. Das ist unvermeidlich. Dadurch ergeben sich Nachteile [Depravationserscheinungen] für die im Schatten. Das lässt sich nicht verhindern.
Außerdem: Sobald etwas entsteht, muss es auch wieder vergehen: Der Tod ist notwendig.
Kann Gott irgendetwas dagegen tun? Nein.
Gott „tut“ überhaupt nichts, niemals. Er ist ja kein Mensch, er ist eine Kraft, nämlich die Kraft, aus der alles hervorgegangen ist – auch wir Menschen.
Wir (mit unserer primitiven, abergläubischen, fundamentalistischen, kindlichen Phantasie) wünschen uns, dass Gott uns „hilft“.
Wie kann er „helfen“? Solange wir abergläubisch sind, werden wir das nicht verstehen. Wenn wir verstehen wollen, müssen wir sehen:
Gott, die schöpferische Kraft, tut nichts, sie kann überhaupt nichts tun.
Aber diese Kraft ist – und weil sie da ist, können wir von ihr profitieren – wie alles von je her von ihr profitiert hat und wie ihr alles und jedes sein Dasein und Leben verdankt. Wie können wir profitieren?
Diese Kraft hat uns so gemacht, dass wir uns normalerweise hervorragend entwickeln und dass wir hervorragend funktionieren, eigentlich perfekt.
Das Problem: Es gibt Hindernisse (Schatten), sie behindern unsere Entwicklung und unsere Funktionen.
Wie kommen wir da raus? Wie können wir trotz Behinderungen zur Perfektion finden?
Für einen Behinderten, also für alle von uns, weil wir ja alle immer wieder behindert werden, gibt es zwei Verhaltensmöglichkeiten:
1. sich ärgern – und als Folge des sich Ärgerns Aggressionen gegen andere oder gegen sich selber entwickeln samt den darin eingeschlossenen beschädigenden Handlungen oder auch depressiv werden. – Das ist es, wofür sich die meisten entscheiden. Sie verbreiten die Beschädigungen weiter und bestärken sie. Ihnen kann „Gott“ nicht helfen.
2. akzeptieren.
Wer sich ärgert, verkrampft sich. Wer akzeptiert, kann sich entspannen.
Wer sich verkrampft, beschädigt sich – zusätzlich zu den Schäden, die er bereits hat – noch selbst weiter, weil er durch den Krampf gar nichts mehr mitkriegt. Und er blockiert die schöpferische Kraft. Er betreibt eine „lose/lose“-Konstellation.
Wer entspannt ist, bei dem kann die schöpferische Kraft wirken und sich entfalten – und sie wirkt erlösend: Die Phantasie produziert Ideen, die Sinne arbeiten optimal und alle Kräfte zur Umsetzung stehen zur Verfügung. Er schafft eine win/win-Konstellation, indem er sich der schöpferischen Kraft öffnet.
So „sorgt“ „Gott“ für die Seinen [also für diejenigen, die ihn machen lassen, so wie „er“ es längst gemacht hat] – ohne etwas zu tun.
Und das, obwohl „er“ die unvermeidlichen Beschädigungen durch die gegenseitigen Behinderungen der „Geschöpfe“ nicht nur nicht verhindert, sondern natürlich von Anfang an bewusst [aber in keiner Weise willkürlich] eingeplant hat, als Mittel der Weiterentwicklung der Schöpfung hin zur Bewusstheit.
Die Christen haben ein bisschen was davon kapiert, indem sie in der Osternacht singen „O felix culpa …“.
Das ganze Gefüge der Schöpfung ist ein logisches. Gott hätte seine Schöpfung daher gar nicht anders machen können. Sie ist in jedem Detail notwendig so, wie sie ist.
Insofern ist auch klar, dass der „Teufel“ [also die Behinderung] ein Geschöpf Gottes ist und in seinen Diensten steht – immer noch und für immer. „Er“ ist ein positiver Faktor, der Motor der Evolution. Er sorgt für die Auseinandersetzung mit den Schatten und damit für kreative Lösungen, aber gleichzeitig sorgt er damit auch für die Ausscheidung der Verweigerer und er hebt die Annehmenden auf eine neue Ebene der Bewusstheit.
Wenn Sie jetzt sagen: aber er sorgt nicht nur für die Ausscheidung der Verweigerer, sondern auch Unschuldiger, kann ich nur sagen: Alle sind unschuldig, die Schuldigen genauso wie die Unschuldigen. Auch die Schuldigen können nichts dafür, dass sie den Bedingungen ausgesetzt waren, denen sie ausgesetzt waren und die sie eben so geformt haben von ihren Voraussetzungen aus. Keiner hat sich selbst oder seine Bedingungen gemacht.
Natürlich sind auch die Annehmenden unschuldig, aber sie wissen es. Es ist nicht ihre Kraft, die sie blühen lässt. Es ist reine Gnade, nicht geschuldet, ein reines Geschenk. Sie danken dafür ohnehin ohne Unterlass.
Und was die Untergehenden betrifft: Für sie gilt das Gleiche: Sie können sich entweder ärgern, oder annehmen. Wenn sie annehmen, sind sie schon erlöst und erleben den schönsten Tod, den man sich nur vorstellen kann, denn sie wissen sich eins mit der großen Kraft. Sie werden „Danke“ sagen für ihren Tod und für ihr Leben. Und darin werden sie „ewig“ leben, nämlich jetzt total.
Denen, die sich ärgern, wird ihr Leben entrissen, denn sie wollen es nicht loslassen, weil sie noch nicht richtig gelebt haben, weil sie zur Erkenntnis des Geheimnisses des Lebens noch nicht vorgedrungen sind.
Aber was können die dafür, werden Sie vielleicht jetzt fragen? Sie können auch nichts dafür. Und wir wissen nicht, was beim Tod geschieht, ob die schlechteren Ausgangsbedingungen für sie entscheidend bleiben oder ob sie nicht wieder und wieder eine Chance bekommen, sich umzuentscheiden – so dass am Ende vielleicht wieder alle eins sind. Wir wissen nicht, was beim Tod geschieht. Und wir kennen das für uns Menschen Höchstmögliche nicht. Aber wir brauchen auch nicht dogmatisch behaupten, dass alle erlöst werden, auch da würden wir unserer Ehrlichkeit Grenzen setzen.
Wir können nur hoffen. Aber wir haben allen Grund dazu, wegen der positiven Erfahrungen, die wir machen können, wenn wir unser Schicksal und jede Behinderung annehmen. Es wird also eine durch Erfahrung bestätigte Hoffnung.
Unser Glaube beruht daher auf Erfahrung. Er ist kein Fürwahrhalten von Sätzen. Und unsere Erfahrung sagt uns: Gott ist gut, ja nicht nur gut, er ist perfekt – und seine Hilfe für uns ist auch perfekt. Umso mehr wir uns auf sie einstellen, umso mehr werden wir sie erfahren. Sie könnte nicht besser sein. Sogar wenn wir gerade eine große Enttäuschung erlebt haben. Wir sagen nur danke für jeden Hinweis, der uns näher an die Wahrheit bringt, dass wir uns endlich nichts mehr vormachen, sondern die Welt annehmen, wie sie ist und uns selbst, wie wir sind.
Dann ist die Theodizee, also die Frage nach dem Sinn des Leidens, geklärt.
Und auch Buddha wäre mit dieser Erklärung einverstanden. Es ist ja gleichzeitig genauso seine Schlussfolgerung, dass das Ende des Leidens darin besteht, es anzunehmen – also Abstand zu nehmen von der Gier, die zum Ausdruck kommt durch das sich Ärgern – in dem ja ein ungeheurer Anspruch steckt.
Somit sind Buddha und Jesus eins. Jesus hat das Annehmen ja demonstriert bis zum Letzten.
Logischerweise bedeutet das Annehmen nicht ein Hinnehmen. Es ist das Annehmen einer Herausforderung. So hat Jesus seinen Tod gesehen. Er ist daher in keiner Weise bemitleidenswert [womit ich natürlich nicht sagen will, wir könnten oder sollten nicht mit ihm mitfühlen, denn es wäre tatsächlich sehr lehrreich für uns, zu fühlen, was er gefühlt hat], sondern nur bewundernswert. Er ist kein Opfer. Er ist der Souverän, auch im Tod. Kein Wunder, dass er solche Beachtung gefunden hat, und viele auch etwas dumme Nachfolger, die mehr versucht haben, Details aus seinem Schicksal zu imitieren, als ihn zu verstehen. Aber sie haben es versucht. Und dafür sind sie alle zu bewundern.
Wir müssen aber unseren eigenen Weg finden. Er ist einfach.
Er beginnt mit der Herausforderung durch unsere Behinderungen.
Ärgern wir uns oder nehmen wir sie an?
Es geht ja immer um eine Befreiung aus der Sklaverei. Sie beginnt mit der Annahme der Hausforderung.
Auch der hinduistische Ardschuna nimmt die Herausforderung an – und Mohammed nimmt sie ohnehin immer wieder an in jeder Phase seines Lebens. Ein archetypisches Beispiel aus der Bibel ist Israel, der sogar mit Gott gekämpft hat.
Alle Religionsstifter haben das gelebt, auch die Samurai leben genau das. Auch die Medizinmänner der Stammesreligionen – eben auf ihre Weise. Es ist die eine alte spirituelle Weisheit: Wenn du aufgibst, hast du alles. Das ist die Lehre der Theodizee. Das ist die Lehre aller Meister. Surrender.
Wem sich ergeben? Natürlich der Kraft, die uns ins Dasein gerufen hat und die mit uns ist in allen Phasen unseres Lebens [„näher als unsere Halsschlagader“, lautet ein islamischer Spruch]. Wir können ihr bedingungslos vertrauen.
Das Vertrauen erfordert dennoch einen ungesicherten Sprung. Es ist der Sprung vom sich Ärgern [in seinen ganzen Formen von der Aggression bis hin zur Depression] zum Annehmen der Herausforderung. Dann ist die Kraft da, die alles in der Welt lenkt. Dann lenkt sie auch uns – zu unserem größten Vorteil, weil uns alle unsere Fähigkeiten zur Verfügung stehen, seit wir der Kraft nichts mehr entgegensetzen.
Es ist vom „Tod des Ego“ geredet worden oder dergleichen, was heute kaum noch jemand versteht. Das ist gemeint. Wir müssen sterben, als Möchtegerne, die unser Schicksal in der Hand zu haben glauben. Wir müssen aber nichts glauben. Wir müssen nur realistisch sein und unsere Lage so sehen, wie sie ist. Das genügt, dann werden wir schnell sehen, was los ist in unserem Leben und dass wir unser Schicksal nicht in der Hand haben. Dann können wir aufgeben – und im Vertrauen auf die schöpferische Kraft unser Schicksal als Herausforderung annehmen in einer positiven Weise, also nicht mehr im Trotz gegen das Leben, sondern im Einklang mit ihm. Das heißt „aufgeben“ oder „kapitulieren“. Es heißt nicht resignieren, sondern die Herausforderung annehmen – sich dem Herrn [der Realität] beugen und auf seine volle Unterstützung bauen und daraus Lösungen empfangen.
Das Aufgeben betrifft also nur unsere Illusionen, zu denen natürlich gehört, dass wir glauben Herr unseres Lebens zu sein. Wir sind es nicht. Und sobald wir den wirklichen Herrn anerkennen und ihm folgen, sind wir gerettet – nicht in dem metaphysischen Sinn der evangelischen Freikirchen, sondern im buchstäblichen Sinn. Von nun an haben wir den besten Führer, der nur möglich ist, nämlich uns selbst – jenes von der schöpferischen Kraft perfekt erschaffene Wesen, das Wege findet, mit Behinderungen fertig zu werden. Denken wir nur an Helen Keller oder Mutter Teresa oder Amma in Indien. Das ist gelebte Theodizee. Leben angenommener Herausforderung. Es geht auch ohne Heiligengloriole. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass diese Menschen eine gute Einstellung dem Leben gegenüber gefunden haben und daher in bewundernswerter Weise leben konnten und leben können.
Das ist das eine und einzig Spirituelle, das es gibt. Alles andere [also alle Esoterik, sofern sie sich anders versteht] ist Hokus Pokus, nichts dahinter als Einbildung. Nur ist natürlich die Kraft der Einbildung eine unserer Fähigkeiten und wir dürfen sie benützen in der Bewältigung unserer Herausforderung.
Und so haben auch die Mythen der Religionen ihren Sinn. Es geht nur darum, nicht irgendwelchen Illusionen zu erliegen, etwa durch ein buchstäbliches Verständnis der Bilder, also durch Verwechslung der Karte mit dem Territorium. Die Bilder sind nur eine Karte für unser Leben. Sie können auch zur Behinderung werden, wenn wir sie so verstehen, dass sie uns behindern, als Zwang. So sind sie nicht gemeint. Sie sind zu unserer Förderung gemeint, als belebende Bilder, nicht als solche, die uns zur Erstarrung bringen. So war die Befreiung, die Jesus gebracht hat, eine Befreiung von der Sklaverei des Gesetzes – ohne auch nur einen Buchstaben aufzuheben. Es ist eine Befreiung von jedem Gesetz – natürlich wieder nicht als Zwang und daher nicht eine Befreiung von dem Gesetz, dem er sich freiwillig unterwirft, weil es zu seinen Gunsten wirkt.
Was dann aber zu unseren Gunsten wirkt, das können wir nur erkennen, wenn wir der Situation, in der wir stehen, nachfühlen. Zu unseren Gunsten ist niemals das, was nur aus der Froschperspektive so erscheint, sondern nur, was auch aus der Perspektive des Ganzen so erscheint. Ich rede also nicht für einen Egoismus der Froschperspektive, in dem sich beispielsweise befeindete Völker befinden, die immer alles Schlechte beim Feind und alles Gute bei sich selber sehen und sich nicht aufraffen können zur Perspektive des Ganzen, weil die ihnen doch ihren so schönen Größenwahn nehmen würde.
Ein Leben aus der Weisheit der Theodizee ist immer ein Leben des Respekts vor der ganzen Wirklichkeit, also ein Leben unter der Perspektive des Ganzen.
Die Leiden, die die Menschen befallen, sind immer dieser Art: Sie stammen aus dem nicht Annehmen – also aus dem intendierten Ausschluss eines Teils der Realität. Jeder Ausschluss ist aber eine Illusion, denn wir leben in der ganzen Realität. Das zu akzeptieren bedeutet „annehmen“. Sobald wir angenommen haben, brauchen wir uns paradoxer- und logischer Weise um unsere Leiden nicht mehr kümmern, um die kümmert sich dann „der liebe Gott“, nämlich die Kraft, aus der wir hervorgegangen sind. Darin besteht dann die tatsächliche körperlich-materiell spürbare Hilfe „von oben“, die wir erfahren können, und die ohne übernatürliche Erklärungen doch genau das ist, wofür früher übernatürliche Erklärungen abgegeben worden sind. Die „Gnade“ ist schon da, sobald wir sie annehmen. Wir brauchen uns nur noch auf unsere Herausforderung konzentrieren.
Aber natürlich gehört zu unserer Herausforderung auch, dass wir uns um unseren Körper kümmern, dass wir also auch medizinisch das veranlassen, was nötig ist, so wie wir uns ja auch ganz selbstverständlich um unser Essen, um unsere Wohnung und um unsere Kleidung kümmern. Nur wird das alles zu keiner Besessenheit mehr. Die Sucht ist zu Ende. Wir sind frei – eben dafür unsere Herausforderungen anzupacken. Das ist Surrender.
Wir müssen laufen wie ein Langstreckenläufer. Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse hatte ich beim Berggehen als Jugendlicher. Anfangs hatte ich mir meine Kraft nicht richtig eingeteilt. Ich hatte das Ziel im Auge und ich habe mir meine Kraft eingeteilt bis zu diesem von mir vorgestellten Zielpunkt, dem Berggipfel. Dann aber war der Weg länger, als ich gedacht hatte und ich hatte fast keine Kraft mehr für das letzte Stück. Als mir das aufgefallen war, habe ich meine Kraft anders eingeteilt. Ich habe mich „auf Unendlich“ eingestellt, also darauf, dass ich so, wie ich ging, unendlich weit gehen könnte, ohne zu erschlaffen. Von da an war es egal, wie weit es noch war. Ich ging einfach in meinem Tempo, das von nichts mehr diktiert war als von der übergeordneten Perspektive, die meinen Körper genauso einbezog wie die Landschaft und den Weg. Auf diese Weise muss auch das Leben angegangen werden. Wie wenn es unendlich wäre. Wir müssen unseren Rhythmus und unser Sosein als unsere Basis nehmen und einfach achtsam sein auf alles, also alles respektieren, unseren Körper genauso wie unseren höheren Ziele. Wir sind niemandes Sklave, weder eines Triebs noch einer Vision, aber wir respektieren beide – auch unsere Tendenz, uns zu ärgern, aber wir sehen sie als was sie ist, nämlich eine „Versuchung“ zum Größenwahn, also zu einer unrealistischen Übersteigerung, die nur unangenehme Folgen haben kann.
Es gibt natürlich Zeiten, wo man sich wehren muss. Nur, mit Ärger kommen wir da nicht weit. Auch wenn wir uns wehren müssen, sollten wir uns nicht von negativen Emotionen leiten lassen. Das macht uns nur unachtsam. Wenn wir fühlen, dass unsere Freiheit ungebührlich eingeschränkt wird, müssen wir überlegen, was wirklich eine Veränderung zum Positiven bewirkt. Wir müssen von der Realität ausgehen und der ins Auge blicken. Wir müssen uns den Schmerz bewusst machen, als Schmerz nicht als Ärger oder als Depression! Dieser Schmerz ist die Realität. Von der müssen wir uns führen lassen zu einem Zustand, in dem der Schmerz nicht mehr ist. Das ist Annahme der Herausforderung. Wir müssen durch den Nebel der Emotionen hindurch auf den Kernpunkt der Realität vorstoßen, auf den Konflikt- oder Schattenpunkt, also auf die Behinderung, also auf den Auslöser des Schmerzes. Ihn zu fühlen und doch nicht von ihm weggerissen zu werden, da die Balance zu finden, ist der Weg der Heilung – oder wie es früher gesagt wurde „des Heils“.
Daher wird der Weg der Bibel zurecht als ein „Heilsweg“ beschrieben – nur sind daraus eher Unheilswege daraus gemacht worden, wie wir das bei vielen Sekten und auch in der gegenwärtigen kulturellen Auseinandersetzung zwischen dem Islam und dem Rest der Welt sehen. Wo die Emotionen herrschen, lässt sich kein Weg finden. Es braucht die höhere Perspektive. Da zeigt sich der Ausweg – aus allen Konflikten. Und zwar liegt er immer in einer „win/win“-Konstellation. Selber das bekommen, was man braucht, und das auch den anderen zugestehen. Das ist das normal Menschliche. Es ist der Weg des „Menschensohns“, der Weg des Erlösers. Also warum ihn nicht gehen?
Jeder Konflikt lässt sich lösen im gegenseitigen Respekt. Das ist die Herausforderung eines Konflikts – nicht nur an die anderen, sondern auch an sich selbst. Nämlich in sich selbst Raum zu schaffen für den anderen. Das bedeutet, seine Grenzen ausweiten. „Toleranz“ ist es auch genannt worden, aber dadurch zu einem moralischen Gebot verkommen, zu dem viele keine Lust haben. Aber das in sich Raum schaffen ist keine Frage der Moral, sondern nur eine Frage der Realität. Es geht nur darum, einen realistischen Standpunkt einzunehmen und den anderen in seinem Anderssein [als eine Realität, die uns betrifft] zu akzeptieren, mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass er dann auch uns akzeptieren kann. Aber die verfeindeten Parteien sind immer so verliebt in ihr Selbstbild, dessen Attraktivität zu einem großen Teil darauf beruht, dass es den anderen abwertet, um sich selbst entsprechend zu erhöhen. Das ist purer Faschismus und das Gegenteil der Theodizee. Es beruht auf der falschen Entscheidung, statt annehmen, eben ablehnen, beleidigt und böse reagieren, eben den Schatten weitergeben, statt ihn in Licht zu verwandeln. Das ist schade. Wir Menschen haben die Möglichkeit und unsere tiefste Sehnsucht treibt uns, diese Möglichkeit der Evolution zu verwirklichen. Wir sind also von innen her auf diese Lösung vorprogrammiert, aber eben wieder nicht als Zwang, sondern eben durch den Drang zum Abenteuer, zum Risiko, zum Spiel, zur Neugier. Also es macht auch noch Spaß – genauso wie Hollywood sich das immer erträumt.
Die neue arabische und islamische Politik
13. 7. 2002
Für die arabischen Staaten steht an, dass sie ihre Energie anders einteilen, dass sie das Geld aus dem Erdöl nicht für überflüssige Rüstung ausgeben, sondern für Projekte, die ihrer Bevölkerung dienen.
Sie müssen die Energie, die sie im Überfluss haben, ich meine nicht das Erdöl, sondern die Sonne, verwenden, um überall riesige Meerwasserentsalzungsanlagen zu errichten und Pipelines von Wasser in die Wüste, um eventuell sogar Wälder anzulegen und neue Mikroklimatas zu schaffen, in denen ein erträgliches Leben möglich ist. Auf diese Weise können sie den Hunger in ihren Ländern aus der Welt schaffen. Das Geld dazu kommt aus dem Export von Erdöl. Das wäre eine „win/win–Konstellation“. Der Rest der Welt, allen voran die USA, bekommt dann sein Erdöl und die Staaten, aus denen das Öl kommt, entwickeln mit dem Geld neue Ressourcen.
Dieser Entwicklungsschritt ist jetzt höchst an der Zeit, denn China holt mächtig auf und die Araber und die anderen islamischen Staaten geraten immer mehr ins Hintertreffen. Terror ist nicht die Lösung. Die Terroristen bestärken nur die beharrende Haltung, die sich gegen die Öffnung richtet, dagegen dem anderen Raum zu geben und sich auch selbst den nötigen Raum zu nehmen.
Der erste Strang der neuen Politik aber muss in der Bildung bestehen als Voraussetzung für jede Art von Industrie, die ja aufgebaut werden muss bis zu der Zeit, in der das Erdöl versiegt sein wird.
Das Konzept „Schuld“ ist obsolet
17. 7. 2002
Der moralische Teil des Konzepts der Schuld entspricht nicht der Realität, er ist eine Fiktion, die den Tatsachen nicht gerecht wird.
Die Tatsachen sind die, dass es ein unausgeglichenes Geben und Nehmen gibt und dass ein Überhang an Geben unter Umständen einen rechtlichen Anspruch begründet, dass es einen moralischen Anspruch aber nicht gibt.
Der Ausgleich im Geben besteht außerdem nicht unbedingt darin, dass jeder Austausch ausgeglichen sein muss, denn es gibt auch ein berechtigtes einseitiges Geben oder Nehmen. Der Ausgleich besteht nämlich wie in allen Kreisläufen darin, dass der Überschuss abgegeben wird und dass das Nötige eingeholt wird. Jeder gibt von seinem Überschuss und holt sich etwas für seinen Mangel.
Wenn sich jetzt jemand beschwert, nicht genug bekommen zu haben, muss klar sein, dass der moralische „Rechtsanspruch“, den er erhebt, in Wirklichkeit gar nicht besteht. Denn in jedem Austausch bleibt doch jeder frei, eine Rückgabe auch zu verweigern. Es ist dann an dem, der den Anspruch gestellt hat, seine Konsequenzen daraus zu ziehen, und eine solche sollte in seinem eigenen Interesse nicht sein, dass er auf seinem ideellen Anspruch beharrt. Ein Rechtsanspruch besteht nur bei bestehenden Verträgen.
Es geht mir nicht darum, einen Täter oder einen Schuldner, der den Ausgleich verweigert, zu rechtfertigen, sondern darum, dem vermeintlichen Opfer einen Ausweg zu zeigen aus seinem Gefühlschaos.
Dazu noch ist die Frage nach der subjektiven „Schuld“ eines Täters oder eines Schuldners zu klären.
Die instinktive Reaktion auf eine Behinderung ist, dass der in irgendeiner Weise Behinderte böse wird. Im Idealfall erreicht er damit den Behinderer und löst in ihm ein Erschrecken aus, das ihm die Wirkung, der von ihm ausgehenden Behinderung zum Bewusstsein bringt und ihm ermöglicht, dem anderen eventuell aus dem Weg zu gehen. Das ist der Sinn dieses biologischen Programms. Wenn der Behinderer aber nicht greifbar ist [oder eventuell zu mächtig], richtet sich das böse Sein oft gegen Dritte, die mit der Sache nichts zu tun haben. Da beginnt das Problem. Es ist ein Problem der Unbewusstheit. Die „schuldig“ Genannten sind Menschen, die böse oder bei Aussichtslosigkeit depressiv geworden sind, weil sie behindert wurden. Und aufgrund weiterer Behinderungen sind sie nicht imstande, ihre Behinderungen zu reflektieren. Solche Menschen zu verurteilen, sie also „schuldig“ zu sprechen, fügt den bereits vorhandenen Behinderungen noch eine weitere hinzu. Mitgefühl mit ihrer Behinderung dagegen würde für sie erlösend wirken. Solches Mitgefühl hatte Jesus. Damit waren die Menschen, die ihm begegneten, ihre Schuld los. Weil er diesen Zusammenhang sah, hat er vor dem Verurteilen gewarnt und für das Mitgefühl plädiert. Mitgefühl ist einfach das Wahrnehmen einer Tatsache, es ist ohne jegliche Moral.
Verurteilung hat ihren Ursprung immer in Moral, also in einem sozialen Regelsystem, das bekanntlich immer hinter den Umständen der Zeit herhinkt, wo es immer wagende Pioniere braucht, die dem Alten widerstehen. Sie sind es, die das Neue möglich machen. Jesus war so ein Pionier. Die Pioniere sehen die Dinge wie sie sind, d.h. in ihrer Relativität. Sie lehnen daher die Verurteilung ab, in der die Relativität eben nicht gesehen wird. Sie plädieren für das Echte, nicht für das Angelernte. Das Angelernte führt zur Verurteilung, denn da gibt es richtig und falsch. In der Natur gibt es das nicht, da gibt es nur stärker und schwächer, sich durchsetzen oder unterdrückt werden. Das hat nichts mit richtig und falsch zu tun, sondern nur mit Fähigkeiten und Einsatz. Da die Fähigkeiten naturgegeben sind, geht es nur um den Einsatz.
Es geht daher auch nicht darum, die Schwachen zu verurteilen oder die Rücksichtslosen, sondern es geht darum, sie zu verstehen. Dann können sie geführt werden, auch die Rücksichtslosen. Im Neuen Testament steht dafür die Geschichte von der Begegnung Jesu mit dem Zöllner Zachäus. Mitgefühl heilt, Verurteilung macht krank und böse, weil sie zusätzlich noch behindert.
Deshalb ist das Konzept „Schuld“ obsolet. Es trifft weder den individuellen noch den sozialen Aspekt dessen, was in dem Begriff selbst gemeint ist.
Früher war man auf Unterscheidung aus und man hat grobe Unterscheidungen getroffen, gut/böse. Heute ist man immer noch auf Unterscheidung aus, aber es geht um viel feinere Unterscheidungen, in denen dann gut/böse überhaupt keine Rolle mehr spielt.
Es geht heute einfach darum, die Menschheit als einen Organismus zu sehen, in dem jeder Teil seine wichtige Rolle im Ganzen spielt und nicht wegzudenken ist. Es geht daher um eine Konstellation, bei der alle gewinnen und möglichst niemand verliert, denn die Verlierer sind gefährlich oder zumindest eine Last, wozu also sich welche züchten durch Verurteilungen und Ausgrenzungen?
Viel besser als Hitler und die Nazis zu verurteilen, ist Mitgefühl mit ihnen zu haben, mit ihrer Schwäche, die sie so verzerrt durchsetzen müssen. Arme Teufel – nur natürlich, dass solche armen Teufel immensen Schäden anrichten und Menschen umbringen, das darf nicht zugelassen werden. Entscheidend aber ist die Einstellung, ihnen gegenüber.
Arme Teufel sind nicht attraktiv, Verurteilte aber sind oft Helden mit ungeheurer Anziehungskraft, wie wir an A Qaeda und an den palästinensischen Selbstmordattentätern sehen können. Wer also an der Wirkung interessiert ist, und alle behaupten, es zu sein, muss sehen, dass die Verurteilung nicht den Erfolg hat, den man sich von ihr verspricht. Sie schmeichelt nur dem eigenen Ego – und macht damit das Gleiche, wie der Verurteilte. Das ist schade, vergeudete Energie.
Es gibt eben den anderen Weg, der ohne Verurteilungen auskommt, der die Menschen gewinnt, anstatt sie zu verstoßen.
Lao tse beschreibt diesen Weg so: „Die gewöhnlichen Menschen vertrauen den Treuen, den Untreuen vertrauen sie nicht. Der Weise vertraut auch den nicht Vertrauenswürdigen.“ Er gewinnt sie.
Auch was die subjektive Seite des Begriffs „Schuld“ betrifft, müssen wir sagen, dass der Begriff heute unangemessen ist, weil unzureichend. Es ist besser von Verantwortung vor sich selbst zu sprechen. „Schuld“ ist hier zwar ein Faktum der Realität, aber eben nicht als moralische „Schuld“, sondern ausschließlich als Frage nach unausgeglichenem Geben und Nehmen, wie schon oben beschrieben.
Ein Mensch, der sein Leben selbstverantwortet lebt, gibt sich Rechenschaft über sein Geben und Nehmen. Und das Kriterium ist nur das wohldosierte und genau gerichtete Abgeben des Überschusses und desgleichen beim Ausgleich des Mangels – eben nicht nur für sich selbst, sondern in Beziehung zu den Überschüssen und Mängeln seiner Umwelt.
„Schuld“ und „Strafe“ sind der Realität nicht angemessen. Die Strafe bewirkt nicht, was sie zu bewirken verspricht, nämlich eine Besserung. Sie bewirkt eine Verschlechterung. Sie macht den schon bösen noch mehr böse. Das hat Jesus gesehen. Deshalb hat er von diesem Weg abgesehen, den seine Nachfolger dann wieder aufgegriffen haben.
Und auch die ursprüngliche Absicht der alttestamentlichen Regel „Aug um Auge“ ist keine moralische und es ist auch keine Strafabsicht, sondern es geht einfach darum, den Missetäter fühlen zu lassen, was er angerichtet hat in seiner ganzen Tragweite.
Diese Art sozialer Dimension der Missetat entspricht den heutigen Verhältnissen aber gar nicht mehr. Die heutigen sozialen Maßnahmen müssen, den heutigen Unterscheidungsmöglichkeiten entsprechend, viel mehr einbeziehen. Sie müssen vor allem die persönliche Ebene einbeziehen, denn die spielt in unserer Zeit die Hauptrolle.
Auf der persönlichen Ebene aber gibt es eine Auflösung ohne „Sühne“. Lao tse sagt dazu: „Wer schuldig ist, auf dem Weg wird er entkommen“.
Der „Weg“, von dem er spricht und der als „Tao“ bekannt ist, ist der Weg des Fühlens und des Wahrnehmens und des Fließens im Strom des Seins.
In unserer Zeit braucht es daher Schulen dieser Sensitivität. Sie werden von anderen Kriterien ausgehen, als von „Schuld“ und „Strafe“. Sie werden die Kraftlinien sichtbar machen, die dazu geführt haben, dass ein Mensch so ist, wie er ist und die ihn festhalten in einer ungünstigen Position. Das Gebot der heutigen Zeit ist es, die Menschen frei zu machen, so weit es möglich ist, gehorsam nicht mehr dem Gebot eines Despoten, sondern Gehorsam dem eigenen Sein gegenüber, das sich von selbst einordnet in das große Ganze. Diese Freiheit ist nur möglich von einer umfassenden Schau aus – und die ist nur zu erlangen, wenn die Widersprüche geklärt sind, wenn das Dunkel aufgehellt ist. Daher ist der vorgezeichnete Lebensweg eines jeden Menschen, ein Weg zur Bewusstheit.
Die Realität ist eben nicht zu ändern: Aus Steinen sind bewusste Menschen geworden und auch die Menschen selbst müssen, jeder für sich, diese Evolution nachvollziehen vom unbewussten Stein zum Fließen der Bewusstheit. In dieser Evolution gibt es verschiedene Ebenen, die gewöhnlich Generationen dauern, bevor ein Aufstieg in eine höhere Ebene möglich wird. Das meine ich jetzt nicht in einem esoterisch-gnostischen Sinn, sondern im Sinn der tatsächlich vorfindbaren Stadien und Stammes- und Familientraditionen, von denen jedoch keine ein unbedingtes Verdikt für ein Individuum ist, es ergeben sich daraus aber gewisse soziale Wahrscheinlichkeiten. Daher wird es immer so sein, dass viele Menschen sehr unbewusst leben und in diesem unbewussten Leben stark verstrickt sind und dass es immer relativ wenige sein werden, die zu vollem Bewusstsein erwacht sind. Aber die Aufgabe dieser Wenigen ist es eben, die Bewusstheit der anderen zu fördern. Das ist nicht eine moralische Verpflichtung, sondern es ist eine innere Aufgabe, von der die Bewussten wissen.
Es geht also darum, wegzugehen von dem Konzept der Schuld hin zum Konzept der Bewusstheit und des differenzierten Wahrnehmens.
Diesem neuen Konzept [das natürlich das alte und immer schon ursprüngliche Konzept der Evolution selbst ist, das auch in den alten Meistern und in ganzen Stämmen sichtbar geworden ist], muss sich die Religion heute verschreiben – wie immer schon – wenn sie wahr sein will. Sie muss abrücken vom Konzept der Schuld hin zu der differenzierten Betrachtung, in der sich jede Schuld auflöst, weil die Kraftlinien sichtbar geworden sind. Dann wird die Religion wieder eine heilende Wirkung haben.
Der Gott dieser Religion ist die Kraft der Evolution, die auch in uns wirkt und die uns in Richtung Bewusstwerden treibt. Wir können darauf vertrauen. Es ist so etwas wie ein biologisches Programm, das allem Sein eingepflanzt ist. Es treibt uns und alle [schon die Elektronen] in Richtung Auflösung der Widersprüche, die uns in unserer sozialen Programmierung eingebläut worden sind. Dazu müssen die Widersprüche oft erst klar werden, sich also leider oft sehr drastisch zeigen, eventuell sogar in kriminellen Aktivitäten oder in politischem Wahnsinn.
Was da ist, muss ans Licht kommen. Wo Dunkel war, muss Licht werden.
Daher ist es nötig, auch denen, die kriminell geworden sind, die Chance zu geben, das Licht zu sehen, d.h. sich selber wirklich zu verstehen. Es ist dazu nötig, die Kraftlinien sichtbar zu machen, die zu dem Zustand geführt haben und ein Mitgefühl [im Gegensatz zum Selbstmitleid, das ja schon ein Produkt der Depression ist, in der die Wahrnehmung ja bereits stark eingeschränkt ist] mit sich selber zu entwickeln für das Grauen, das ihm zugrunde liegt. Ein Fehlen von Licht kann nur durch ein mehr an Licht überwunden werden. Mit den üblichen religiösen Methoden heute ist das nur bei wenigen möglich, die meisten Kriminellen werden sich von der Religion eher vergewaltigt fühlen. Sie werden sie nur in einem abergläubischen Sinn verstehen können. Und sie wollen ja gerade nicht abergläubisch sein. Es gibt aber einen Zugang zu ihnen, der keine übernatürlichen Annahmen verlangt, nämlich den Zugang des Forschens und Verstehens der Zusammenhänge – in dem natürlich bei dem Forscher immer mitschwingt, dass er selbst bereits die großen Zusammenhänge versteht, besonders das Wirken der schöpferischen Kraft in uns. In diesem Geist hat Jesus den Zöllner vom Baum heruntergeholt. Er hat seine Sehnsucht angesprochen und damit den Bann gelöst, in dem Zachäus stand und der ihn zum Ausbeuter gemacht hatte.
Dieser Bann, in dem fast alle Menschen mehr oder weniger stehen, ist wieder nichts Mystisches [das ist kein „Teufel“ am Werk], sondern es sind die Kraftlinien, die sie mit ihrer Vergangenheit verbunden haben. Jesus hat diese Kraftlinien nicht abgeschnitten, sondern er hat die Verbindung mit der schöpferischen Kraft in dem Mann angesprochen und damit ist eine größere Kraft ins Spiel gekommen, die die alten Fesseln gesprengt hat. Schamanen würden das als eine schamanische Tat ansehen.
Schamanen sehen diese Kraftlinien in Form archetypischer Bilder und durch diese Bilder verständigen sie sich mit ihren Klienten und führen sie zurück zur Kraft ihrer Seele, eben zu der schöpferischen Kraft in ihnen.
Jesus hat ebenso archetypische Bilder verwendet, etwa das Bild des himmlischen Vaters. Es ist ein Bild. Seine Realität ist eine andere, nämlich die der Wirklichkeit, in der die schöpferische Kraft ja wirkt auch ohne solche Bilder. Die Linien der Verstrickung in eine Starre ist bei den Gnostikern so beschrieben worden, dass eine Seele ein Lichtfunke sei, der ins Dunkel der Materie gefallen sei und sich daraus befreien müsste, um wieder zum Licht zurückzukehren. Auch das ist ein Bild und nicht die Realität. Das Bild mit der Realität zu verwechseln war das Problem der Gnostiker. Die Realität ist, dass der Gott, von dem alles seinen Ursprung hat und der sich in seiner Schöpfung verströmt hat, in ihr wieder zum Bewusstsein kommt, überall danach drängt, zum Bewusstsein zu kommen. Darum geht es daher in jeder menschlichen „Suche“. Wieder Augustinus: „Unruhig ist unser Herz bis es ruht in Dir.“ Es ist ein natürliches Programm, der tiefste Drang aller Evolution. Ans Licht! Das Programm enthält nicht einen bestimmten Kurs, sondern nur den Drang zur Auflösung der Widersprüche. Das reicht. Dieser Drang ist der Drang der Evolution vom Urknall an. Auch der Urknall selbst wird als eine solche Auflösung eines Widerspruchs zu verstehen sein und ich sehe den Widerspruch, der durch den Urknall aufgelöst worden ist, in Gott selbst.
So gesehen gibt es wieder keine Schuld, denn dieser Drang nach Auflösung der Widersprüche nimmt die abenteuerlichsten Formen an, so bunt wie die Welt, auch so grauenhaft. Aber so betrachtet, gibt es eine Lösung, nämlich diesen natürlichen Drang zu unterstützen, wodurch der betroffene Mensch möglicherweise manche der gefährlichen Klippen umschiffen kann.
Diese Unterstützung sieht auf gewissen Ebenen der Entwicklung so aus, dass grauenhafte Formen das Grauen auch von außen gespiegelt bekommen. Die Ebene des „Aug um Auge“ ist also eine spontane Realität des Lebens und darüber hinaus als Gesetz kennzeichnend für eine bestimmte Stufe der Evolution der Bewusstheit. Es geht daher nicht darum, sie abzuschaffen [das wäre gar nicht möglich, weil es eine notwendige Evolutionsstufe ist, die auch heute noch für gewisse Menschen ansteht], sondern darüber hinaus zu sehen.
Wer darüber hinaus sieht, sieht die Perspektive des Ganzen. Er ist bewusst – und ist sich damit auch seiner eigenen Beschränktheit und Fehlerhaftigkeit [= Behindertheit] bewusst. Aber diese Fehler [aus den vergangenen Behinderungen] spielen für ihn jetzt nicht mehr die Rolle, die sie zu seinen unbewussten Zeiten gespielt haben. Sie sind kein Verhängnis mehr, sondern jetzt Teil der Perspektive des Ganzen. Das Karma ist aufgelöst, aber es bleibt doch die Behinderung, wie beispielsweise bei dem biblischen Jakob, der von seinem Kampf mit Gott einen bleibenden Schaden in der Hüfte davongetragen hat. Das ist unser menschliches Schicksal, was das Materielle betrifft, sind wir nicht perfekt, wir müssen ja auch sterben, aber was das Geistige betrifft, sind wir perfekt samt unserer Behinderung. Und das führt uns über den Tod hinaus – wieder nicht unbedingt subjektiv persönlich [also materiell], aber was unseren Geist betrifft.
So lebt beispielsweise Jesus heute noch unbezweifelbar als ein bewusstseinsfördernder Geist. Leider wird sein Name von bewusstseinstötenden Menschen [unbewusst] missbraucht – aber auf der Stufe der Bewusstheit, auf der sie sich befinden, ist das eben unvermeidlich. Es ist ein notwendiges Evolutionsstadium. In diesen Stadium befindet sich der religiöse Mainstream – und auch der Mainstream der Esoterik. Aber, richtig gefördert, kann ein Mensch solche Stadien abkürzen. Das meint Jesus mit seinem „wenn diese Tage nicht abgekürzt würden, könnte es kein Mensch ertragen“. Sie werden abgekürzt durch diejenigen, die Ihrer Aufgabe, Bewusstheit zu verbreiten, nachkommen. Aber jeder kann eben nur das aufnehmen, was seinen Fähigkeiten entspricht – und die Fähigkeiten wieder entsprechen den jeweiligen Evolutionsstufen.
Das Konzept „Schuld“ entspricht eben auch einer bestimmten Stufe der Evolution der Bewusstheit. Es ist genauso wie das der Beschuldigung von unserer heutigen Warte aus betrachtet, ein dunkles Konzept, eine Art Neandertal-Konzept.
Das sich schuldig Fühlen entspricht subjektiv dem Konzept der Schuld. Es ist ein ähnlich dunkles, unreflektiertes Gefühl wie Hass. Genausogut wie das sich schuldig Fühlen könnte eine Religion auch Hass predigen, was ja oft genug auch geschieht.
Die biblische Geschichte vom Beschuldiger Kain dagegen lehrt etwas anderes, nämlich die Erhellung dieser dunklen Gefühle; sie lehrt Bewusstheit.
Solange Menschen dem dunklen Schuldgefühl folgen und sich von ihm leiten lassen, sind sie gefangen in einer Emotion, aus der es keinen Ausweg gibt. Sie leben in einer Fiktion, die sie für die Realität halten. Das ist auch der Grund für die Erfahrung, dass der Weg zu Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Die Welt des gut/böse und von Schuld und Strafe ist fiktiv, weil sie nicht funktioniert. Das Ziel der Absicht, nämlich die Besserung, wird nicht erreicht.
Der Weg der Besserung im Konzept der Schuld beruht ja gerade auf den guten Vorsätzen, die leider unrealistisch sind und sein müssen, weil sie die wirklichen Zusammenhänge, die Kraftlinien, nicht mit einbeziehen. Auch die „Reue“ bleibt daher kurzsichtig, obwohl sie ein gewisses Wahrnehmen des Leidens am eigenen Unvermögen einleiten kann, das dann zu einem Nachforschen nach den Gründen führen kann – mündend in der vollständigen Kapitulation vor der alles beherrschenden schöpferischen Kraft, dies jedoch sehr selten tut. Und kaum je dringt die Reue zu den Wurzeln des Übels vor. Eine wahre Umkehr kann es aber nur geben, wenn die Zusammenhänge, also die wirkenden Kräfte verstanden werden. Und da kommen wir mit dem Konzept der Schuld nicht hin. Im Gegenteil, in dieser Einsicht löst sich jede Schuld und jede moralische Beurteilung auf. Stattdessen entsteht, wie gesagt, Mitgefühl. Erst auf dieser Ebene der persönlichen Evolution ist ein Mensch frei. „Frei“ heißt frei von unbewussten Zwängen, daher frei, sich nach bestem Wissen zu entscheiden. Von da an folgt dieser Mensch nicht mehr einem äußeren Gesetz, sondern seiner eigenen Wahrnehmung, die er jetzt ja nicht mehr bezweifeln muss. Es gibt also keine [äußerlichen, sozialen] moralischen Kriterien zu einer Verurteilung mehr, es gibt nur noch ein Kriterium und das ist das der inneren Wahrheit. Doch darin gibt es auch weiterhin eine Feststellung von Tatsachen, der Diagnose dessen, was ist, das Sehen einer bestimmten Evolutionsstufe der Bewusstheit.
So etwas war das „Urteil“ Jesu über die Pharisäer. Er hat nur festgestellt, dass sie sich auf einer vergleichsweise primitiven Evolutionsstufe der Bewusstheit befanden. Das hat sie geärgert. Aber es war keine moralische Verurteilung, es war nur die Feststellung dieser Tatsache. Er hat sie gewissermaßen gewogen und für zu leicht befunden. Dass sie sich geärgert haben, lag daran, dass ihnen jemand einen Spiegel vorgehalten hat, gesagt hat, dass ihr Selbstbild mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt, und dass sie deshalb so machtlos waren. Dieser kurze Blick in die Realität, den Jesus ihnen vermittelte, riss ein großes Loch in ihr Bild von sich selbst. Sie haben sich revanchiert durch ihr Todesurteil gegen ihn – wie diese Art Leute auf dieser Evolutionsstufe das eben immer machen. Sie müssen geifern und Feuer speien. Sie sind die leibhaftige Form des Drachens, von dem die Bibel spricht.
Die Höllenbrut ist ein Ergebnis des nicht Annehmens dessen, was ist. Wer seine Behinderungen nicht vollkommen annimmt, kann in sich nur Hass erzeugen. Diesen Hass versuchen religiös-zwanghafte Leute aber mit einem perfekten Regelsystem zu überwinden, in dem es klare Unterscheidungen von gut und schlecht gibt, die Moral. Sie wollen sich einem Zwang unterwerfen, um einen Ausweg zu finden aus ihrem unbewussten Grundwiderspruch, nämlich dass sie das Leben nicht so annehmen, wie es ist. Sie wollen es beherrschen – aber es lässt sich nicht beherrschen, es lässt sich nur annehmen.
Es geht nun aber wieder nicht um eine Verurteilung der Höllenbrut, die sich oft einen heiligen Anschein gibt, sondern darum, sie zu verstehen. Solange noch ein Widerspruch da ist oder ein Verteidigen eines Bildes, also der klassische Fall des Götzendiensts, ist die Hölle noch da. Erst wenn die Bilder vollkommen als das anerkannt sind, was sie sind, nämlich Bilder, nicht die Wirklichkeit, ist die Wirklichkeit da. [Natürlich ist das der Sinn des Bilderverbots in den Religionen, wird aber meistens missverstanden als Verbot äußerlicher Bilder] Die Wirklichkeit „ersetzt“ die Bilder. Sie ist Bild genug. In ihr ist alles sichtbar, auch die geheimsten Regungen.
Einem, der sieht, kann nichts verborgen werden, jedenfalls nichts, was ihn wirklich interessieren würde. Es wird sich seinem Blick entdecken. So hat sich die Natur der Pharisäer [ihr „Ego“], also der damaligen Frommen, den Blicken Jesu enthüllt und er hat sie gesehen als „übertünchte Gräber“, also als unehrliche Menschen, als Menschen, die noch nicht zu vollem Bewusstsein gelangt sind, aber den Anspruch erheben, bei vollem Bewusstsein zu sein. Das bedeutet Verstehen. Er musste sie mit ihrem Widerspruch konfrontieren und ihnen demonstrieren, was Bewusstheit wirklich heißt, nämlich dieses Sehen der Wirklichkeit. Und aus diesem Sehen der Wirklichkeit heraus hatte Jesus die Kraft, die heilt. Die Pharisäer hatten die nicht. Und doch behaupteten sie, zu wissen, was der Allmächtige will. Da sie ihr Gesicht wahren wollten, obwohl sie längst entlarvt waren, mussten sie ihn beseitigen. Das ist der Gang der Dinge. Aber sie hatten die Chance und einige von ihnen haben sie auch ergriffen und ihren Widerspruch betrachtet und aufgelöst.
Die Materie ist träge, daher konnten sich viele nicht in Richtung Bewusstheit bewegen. Sie haben sich wie Kain von ihren ihnen unbewussten Emotionen wegreißen lassen und haben ihren Bruder getötet in dem Glauben, einen Feind beseitigt zu haben. Dieser „Feind“ ist eine Illusion, die bedingt ist durch den inneren Widerspruch, durch die dunkle Stelle, denn der „Feind“ ist eigentlich ein Freund, ein Freund der Evolution, der persönlichen Entwicklung hin zur Freiheit. Aber genau von diesem Freund fühlen sie sich bedroht, weil er auf ihre dunkle Stelle zeigt.
Sie sind Vertreter des Konzepts der Schuld, der Verurteilung, des Zwangs. Er ist ein Vertreter der Freiheit, der Bewusstheit, der differenzierten Betrachtung und der Konzentration auf das Wesentliche. Und bei ihm gibt es daher keine Schuld. Sie ist schon vergeben. Sie hat im Grund nie existiert – nur deshalb kann er immer wieder vergeben. Es ist keine Leistung, sie zu vergeben, er stellt nur die Tatsache fest, dass sie nicht mehr existiert, obwohl sie gerade vorher doch noch da war als ein lähmendes Schuldgefühl. Im Verstehen hat es sich aufgelöst. Das ist sein Weg, eben ein heilender Weg. Nur, die Pharisäer hätten sich den Widerspruch, der in ihnen war, selbst niemals vergeben können, denn in ihrer Welt durfte es einen solchen Widerspruch nicht geben. Sie hätten es nicht toleriert. Ihre Welt wäre zusammengebrochen. Es wäre zwar dann die wahre Welt sichtbar geworden, doch sie hatten sich schon vollkommen mit ihrer Welt identifiziert, sodass der Untergang dieser Welt ihr vermeintlicher Tod gewesen wäre. Deshalb haben sie mit Tod reagiert.
Die Pharisäer von damals sind ein Bild für eine gewisse Kategorie von Menschen, die sich zu allen Zeiten solche Selbstbilder basteln. Sie sind auch heute unter den Frommen zu finden, etwa unter Sektenangehörigen jeder Art, die ja immer genau zu wissen meinen, was gut ist und was schlecht. Für sie ist das Konzept der Schuld wesentlich, denn es hilft ihrer Unterscheidung – aber diese Unterscheidung ist eben noch nicht fein genug, wie die Urteile der Pharisäer über die Taten Jesu zeigen. Und das gleiche gilt von den Urteilen von Sektenangehörigen über andere Menschen.
Eine feinere Unterscheidung ergäbe sich beispielsweise, wenn ein solcher verurteilter Mensch oder auch der Verurteilende sich in einer Familienaufstellung befinden würde. Da würden Kraftlinien sichtbar, die ein besonderes Verhalten, das der moralischen Norm nicht entspricht, verstehbar und korrigierbar machen. Im Konzept der Schuld verharrend aber ist eine Korrektur nicht möglich, weil sich die Natur nicht vergewaltigen lässt. Die Entwicklung ist ein Prozess, der gewissen Gesetzmäßigkeiten gehorcht, und diese Gesetzmäßigkeiten werden im Konzept der Schuld nicht ausreichend beachtet. And die Stelle des natürlichen Gesetzes wird ein künstliches Gesetz gesetzt. Doch die Natur bleibt natürlich bestehen und sie wird sich durchsetzen. Der Drang zum Licht wird sich durchsetzen über alle Widerstände hinweg.
Auch die historische Evolution der Menschheit als Gattung ist ein Prozess, der zu immer größerer Bewusstheit einer immer größeren Zahl führt. Bis am Ende eben das Bewusstsein des einen Organismus der Menschheit sich überall ausgebreitet haben wird. Das ist nicht ein frommer Wunsch, sondern die beobachtbare Richtung der menschlichen Evolution. Jesus hat das schon gesehen in seinem Bild vom Weinstock und den Reben. Heute können wir dieses Bild noch konkreter fassen und eben sagen, dass die ganze Menschheit – nicht nur die Anhänger Jesu – dieser Organismus sind und dass jeder Mensch seine Funktion darin hat wie jede Zelle im Körper. Das ist das Bild für unsere Zeit. „Christus“ steht für das [heilige, heile und heilende] Ganze. Da „Christus“ heute im Christentum aber nicht für das Ganze steht, sondern für das Partikuläre einer Religion, müssen wir heute auf dieses Wort verzichten. Es geht um das Ganze und nur darum. Unser Glück können wir nur finden, wenn wir uns daran orientieren. Das ist unsere innere Bestimmung. „Gott“ ist ein anderes Wort für das Ganze, aber auch an diesem Wort stoßen sich einige. Wir können auch darauf verzichten und nur vom „Ganzen“ sprechen. Darauf können sich alle einigen, auch die Atheisten.
Im Ganzen aber gibt es die verschiedenen Evolutionsstufen und unter ihnen auch die Stufe der Moral, der Schuld, der Verurteilung und darüber die Stufe des Verstehens. Das ist die Richtung der Evolution, in der vielleicht aber Stufen übersprungen werden können.
Es gibt also tatsächlich so etwas wie Himmel und Hölle. Sie sind einfach die verschiedenen Bewusstseinszustände, in denen sich die Menschen befinden. Die Hölle, das ist die Abhängigkeit, der Zwang; der Himmel, das ist die Freiheit.
Die Abhängigkeit tut weh. Sie macht böse. Der Ausweg aus ihr besteht aber nicht im Verharren im böse Sein, sondern im Annehmen der Herausforderung.
Die einzige Schuld, die wir dem Dasein gegenüber haben, ist die dass wir uns befreien.
Dass wir das aber nicht „schaffen“ können, müssen wir wissen. Wir können es nicht. Wir müssen unsere Beschränktheit annehmen – dann ist sie paradoxerweise überwunden, weil dann etwas anderes uns regiert, als unsere beschränkten Vorstellungen. Dann kann uns eine Kraft lenken, die alle Vorstellung übersteigt. Das ist das Geheimnis Jesu und seiner Nachfolger.
„Vergib uns unsere Schuld“ bedeutet, dass wir unser Unvermögen eingestehen und dass wir um Hilfe bitten. Es bedeutet Kapitulation. Von dem Moment unserer Kapitulation an ist die schöpferische Kraft Herr unseres Lebens. Und wir werden erkennen, dass sie unser Vater ist. Viele von denen, die diese Formel täglich sprechen, haben keine Ahnung von dieser Dimension. Sie glauben ja, ihr Vater wäre irgendwo anders und sie müssten in komplizierten Ritualen Kontakt mit ihm aufnehmen. Und tatsächlich ist das natürlich ein Weg, aber eben eine Vorstufe des Bewusstseins.
Auf dieser Vorstufe ist das Konzept der Schuld angemessen, später nicht mehr.
Ein neues Paradigma der „Schuld“ und des
Bösen
24. 7. 2002
Es ist nötig, die Relativität zu
sehen.
Es geht nicht um etwas Absolutes [alles Absolute ist immer nur eine Fiktion, denn das Absolute ist absolut undarstellbar], sondern darum, etwas zu erreichen, nämlich eine Verbesserung. Um diese Verbesserung zu erreichen, müssen zunächst möglichst viele irrationale [unbewusste] Schuldgefühle weg, weil sonst die nötige Konzentration fehlt. Erst wenn ein Mensch frei ist, sich selbst zu sehen, kann er effektiv handeln.
Ich sage nicht, dass der einzelne Mensch, nachdem er entschuldigt worden ist, nicht bei sich doch so etwas wie einen Eigenanteil an einem bestimmten Fehler entdecken kann, dann aber nicht als eine "Schuld" in der Vergangenheit, sondern nur als eine Schuld in der Gegenwart, nämlich einfach als eine Aufgabe, die er nun wahrnehmen kann, ohne irgendwelche belastenden [und in der Vergangenheit festhaltenden] Schuldgefühle. Statt eines negativen und daher auch behindernden Antriebs (durch ein Schuldgefühl) kommt jetzt ein positiver Antrieb durch einen Wunsch nach Verbesserung.
In der biblischen Geschichte von Kain geht es genau um diesen Eigenanteil: Die Stimme war da, die Kain gewarnt hat, also sein Sinnenapparat hat funktioniert, aber er konnte nicht auf die Stimme hören, weil die Emotion [der Ärger] ihn bereits erfasst und mitgerissen hatte. Das ist der klassische Fall.
Der einzige Ausweg besteht darin, diese Stimme ernst zu nehmen, aus dem Fehler zu lernen und das bewusst zu trainieren. Den Weg allerdings, den Kain gewählt hat, nämlich von lebenslänglichen Schuldgefühlen, den hätte er vermeiden können - eben indem er jetzt auf diese Stimme hört. Dann hat er seinen Eigenanteil geleistet. Und dann ist die Schuld getilgt, egal wie hoch sie gewesen sein mag.
So muss „Schuld“ heute gesehen werden.
Gebet – und: die Natur der Natur
3. 8. 2002
Ich bitte Dich, lieber Gott, führe mich richtig.
Ich habe nur Dich als Führung.
Das heißt, ich habe letzten Endes nur das, was Du mir gegeben hast, das Sensorium meines Körpers.
Ich kann nur darauf vertrauen, dass Du mich gut gebaut hast, dass Du mir auch Korrekturmechanismen eingebaut hast, Programme, die mich richtig führen, wenn ich sie nur arbeiten lasse.
Ich bemühe mich sehr, sie nicht zu behindern und genau zu fühlen.
Mehr kann ich nicht tun. Der Rest ist Deine Sache, den Rest musst Du tun.
Also ist da noch ein Rest, der nicht von meinem Sensorium abhängt, aber doch von diesem wahrgenommen werden kann. Das weiß ich. Ich habe es immer wieder erfahren.
Und dieser Rest ist die Wirkung der Intention, die sich in mir bildet durch die innere Übereinstimmung – und sei es in der Kapitulation.
Die Kapitulation mündet in das Gebet, dass ich gerade sagte.
Mit dem Sensorium meine ich natürlich auch mein soziales Sensorium – das in alle Dimension unserer heutigen Welt reicht. Ich nehme ja wahr, was geschieht und das wirkt auf mich, ob ich will oder nicht - ich kann mich also entscheiden, es bewusst wahrzunehmen, anstatt mich unbewusst fortreißen zu lassen von einer Strömung, wie die faschistischen oder die kommunistischen oder die anderen ideologischen Strömungen in der Gesellschaft – aber auch in der Familie und in den persönlichen Beziehungen, wo sie sich in Form von Abhängigkeiten zeigen, also von Unbewusstheit.
Der Weg aus den Abhängigkeiten geht nur über vollkommenes Vertrauen in das eigene Sensorium.
Nur unsere eigenen Sinne können uns zeigen, was wirklich der Fall ist.
In dieser Wahrnehmung zeigt sich, wo die Übereinstimmung liegt und wo die Widersprüche sind. Wir sehen also die richtige Einstellung dem eigenen Leben und der Welt gegenüber.
So formt sich jene Intention, die die Dinge wirklich bewegen kann – im Sinn des I Ching, wo es heißt „Die innerste Wahrheit bewegt sogar Fische und Schweine“.
Diese Wirkung beruht auf der innigsten Verbundenheit eines jeden Wesens mit dem Rest der Welt. Die innerste Wahrheit kann von den Betroffenen wahrgenommen werden und bei ihnen, wenn sie ehrlich sind bewusst, oder sonst kann sie eventuell auch unbewusst wirken und sie bewegen.
Diese Wirkung ist nicht die Wirkung irgendeiner Übernatur. Es ist die Wirkung der Natur.
Sie beruht auf der Tatsache, dass alles in der Welt innigst miteinander verbunden ist. Und zwar nicht nur diejenigen, die in unmittelbarem Kontakt stehen, auch diejenigen, die sehr weit voneinander entfernt sind, denn die Welt ist wirklich eins.
So werden heute eben Menschen bewegt von dem, was in ganz anderen Erdteilen geschieht. Sie werden angezogen. Etwas in ihnen – ihr Selbstkorrekturprogramm zunächst und dann, wenn die Korrektur erfolgreich abgeschlossen ist, zieht uns der nächste Hauptwiderspruch, in dem wir stehen in unserem familiären und weltweiten sozialen Netz.
Wenn unsere Widersprüchlichkeit ihre Lösung gefunden hat in dem, was „Hingabe“ genannt worden ist oder „Kapitulation“ oder „Akzeptieren“, und wenn wir die in uns wirkende schöpferische Kraft des Universums ihre Arbeit tun lassen, werden wir zu Erlösern für andere. Das ist der natürlich vorgegebene Weg, dessen Natur eben in der allgemeinen Verbundenheit aller mit allem liegt. Es geht Richtung Ausgleich der Gegensätze.
Das ist das alte Evolutionsprogramm von Anfang an. Schon die Elektronen leben so und alle anderen Teilchen und Kräfte. Das ist der Motor der Evolution, ein Programm, das die Materie in Bewusstheit verwandelt und schon von Anfang an ein real vorhandenes Bewusstsein der Materie darstellt. Wer könnte sagen, Elektronen seien nicht bewusst und sie hätten nicht eine eng eingegrenzte, aber doch vorhandene Wahlmöglichkeit oder Freiheit?
Aber natürlich werden auch sie bewegt durch die Intention, also durch den ausgerichteten Willen, der dann ausgerichtet ist, wenn er mit sich selbst übereinstimmt und nicht mehr gespalten ist. Von da an wirkt das, was Castaneda „Wille“ genannt hat, also eine produktive Kraft – die aus der Ausrichtung der Energie in eine Zielrichtung hervorgeht, so etwas wie ein punktförmiger Laser, der alles durchschneidet – aber natürlich nicht im Sinn eines Schneidens, sondern im Sinn einer Prägung, einer Formung nach einem Bild.
Das ist der Hintergrund der Wunder.
Solche Wunder sind nicht nur persönliche Heilungen, sondern es gibt diese Wunder auch sozial. Das deutsche „Wirtschaftswunder“ nach dem zweiten Weltkrieg war ein solches Wunder. Die Intentionen der Menschen haben sich ausgerichtet auf ein besseres Leben. Und sie haben es bekommen.
Das Beispiel zeigt, dass einiges möglich ist, wenn sich die Menschen einig sind – und natürlich ist noch viel mehr möglich als das, weltpolitische Wunder.
Solche Wunder betreffen auch die persönlichen Beziehungen. Auch da kann die Intention in vollkommener Harmonie mit sich selber sein und dadurch den anderen erreichen.
Das ist der „Sauerteig“, von dem Jesus gesprochen hat, aber bei anderen Anlässen hat er von der Kraft der Wahrheit gesprochen und beides meint das Selbe. Dasselbe wie das I Ching mit der „innersten Wahrheit“. Das ist dann „im Geist und in der Wahrheit“.
Die Kraft, die da wirkt, ist, wie gesagt, nichts Übernatürliches, es ist die Kraft der Schöpfung, die seit je her immer und überall alles wirkt.
Es geht nur darum, zuerst dieses Selbstkorrekturprogramm zu entdecken in sich selbst. Und sich ihm dann anvertrauen.
Das ist der „Glaube“, der verlangt ist. Es ist kein „Glaube“ an irgendwelchen Hokuspokus, sondern der Glaube an die Natur, an die Gutheit der Schöpfung auch in uns. Dass wir darauf vertrauen, dass wir von Anfang an gut gebaut sind, dass wir unserem Schöpfer also vertrauen, dass er uns richtig führt. Wir haben ohnehin keine Wahl. Wenn wir in irgendeiner Weise abhängig bleiben, werden wir immer leiden. Wenn wir das Leiden überwinden wollen, müssen wir uns daher unabhängig machen.
Und das sich unabhängig Machen, ist keine Leistung, obwohl es von außen betrachtet vielleicht wie eine gewaltige Leistung der Selbstdisziplin erscheinen mag, aber die Energie, die die notwendige Veränderung bewirkt, ist schon da, vor unserer Intention. Unsere Intention erzeugt sie nicht, wir stellen uns nur auf sie ein. Die Intention ist also keine Krafterzeugung, sondern nur eine genaue Einstellung auf unsere Realität. Ein Wahr Nehmen dessen, was ist.
Es ist uns gegeben, das zu vermögen.
Warum sollten wir dieses Talent daher nicht nutzen? Es macht uns frei. Natürlich fordert es uns auch total. Aber das ist o.k., es ist keine Last, sondern eine Befriedigung. Deshalb sagt Jesus „mein Joch ist sanft“. Er sagt nicht, dass es kein Joch ist, aber dass es leicht zu ertragen ist, weil es eben die Energie schon in sich hat. Wir brauchen sie nur zulassen, sie wirken lassen durch uns. Wir müssen uns ihr nur zur Verfügung stellen, ganz und gar, echte „Sklaven Jahwe’s“, genau so, wie das Alte Testament es meint.
Gleichzeitig also Knecht und vollkommen frei.
Die anderen, die das nicht erfahren haben, sind nur Knechte, aber eben nicht der schöpferischen Kraft, sondern irgendwelcher „irdischen Mächte“, sie dienen dem „Mammon“ oder irgendeinem anderen Götzen, irgendwelchen Bildern eben, denen sie gleichförmig werden wollen. Sie haben sich selbst noch nicht gefunden. Sie haben Angst vor der Knechtschaft, obwohl sie sich mitten in ihr befinden, und obwohl sie sich in ihr befinden, fürchten sie doch die Konsequenz der Freiheit, nämlich jene andere Knechtschaft – ohne zu wissen, dass diese andere Knechtschaft die tatsächliche Freiheit ist – nämlich die Übereinstimmung von innen und außen.
Es reicht nicht, dass jemand handelt, wie er sagt, dass er also „beim Wort genommen“ werden kann. Es ist darüber hinaus notwendig, mit sich selbst übereinzustimmen, also vollkommen ehrlich zu sein sich selbst gegenüber.
Nur so entsteht die befreiende Intention, die heilende Intention.
Und wenn sie entstanden ist, breitet sie sich aus, weil sie ja [wie „Gott“ von Anfang an] nicht bei sich bleiben will, weil sie sich von Natur aus verschenken will, denn darin liegt die größte Befriedigung.
Natürlich kann sich niemand verschenken, der nicht mit sich selber eins ist.
Das können wir immer wieder beobachten, wie manche Gastgeber sich bei dem Gast gleichzeitig für ihre Gastfreundschaft rächen. Sie tun offenbar etwas, was sie gar nicht tun wollen, daher bauen sie Fehler ein, d.h. eine unbewusst wirkende Kraft baut Fehler ein. Diese Menschen sind so sehr in Konventionen gefangen, dass sie nicht wahrnehmen können, was sie tun, sie stehen unter einem Zwang.
Diese zwanghaften Menschen können der Gesellschaft schon auch gute Dienste leisten, aber die liegen eben auf dem Gebiet für das sie offen sind, also innerhalb ihrer Konventionen und Zwänge, während sie gleichzeitig für das Wesentliche verschlossen sind, für die Wahrheit. Die erschiene ihnen doch zu riskant.
Aus dem inneren Widerspruch entsteht Leiden.
Der frustrierte Teil, „das frustrierte Kind“, baut nicht nur Fehler ein, es braucht auch eine Ersatzbefriedigung für das nicht erfüllte Sehnen, es hat daher eine Sucht. Das ist das Grundmuster der Sucht. Und diese Sucht erzeugt ein zu Viel, das der Organismus auf Dauer nicht abbauen kann, woraus dann neue körperliche Leiden entstehen. Manche dieser körperlichen Leiden sind auch ererbt, weil nämlich auch Vorfahren einer Sucht zu sehr gefrönt haben, weil sie zu sehr frustriert waren, ohne den Ausweg zu entdecken, nämlich das Selbstkorrekturprogramm. Ihre Konventionen (ihre Zwänge, das „Recht-tun Wollen“ des inneren Kindes, das der überwältigenden Macht der Eltern ausgesetzt ist) haben ihnen nicht erlaubt, ihm zu folgen.
Der Zwang beginnt daher schon im zarten Kindesalter. Das Leben beginnt, wie gesagt, bereits mit Vorbelastungen – mit dem was einmal „Erbsünde“ genannt worden ist, was heute aber keiner mehr versteht. Das ist gemeint.
Es sind die Lasten, die unsere Eltern schon von ihren Vorfahren übernommen haben und zu tragen hatten und die bereits sie deformiert haben.
Für manche sind diese Deformationen möglicherweise unausweichlich und unheilbar, für andere aber gibt es einen Ausweg. Er kommt aus dem Wahr Nehmen.
Wenn jemand unter der Last einer Sucht stöhnt, kann er sich das bewusst machen. „Um Gottes willen, wohin bin ich nur geraten, in die totale Abhängigkeit. Ich will aber frei sein, Du hast mich doch frei gewollt, also hilf mir jetzt, da raus zu kommen.“ Und ich stelle mich auf meine düstere Wahrheit ein und spüre den Schmerz, den sie enthält. Und der Schmerz wird mich bewegen, die Wahrheit wird mich bewegen. Das ist das Selbstkorrekturprogramm.
Indem wir gegenüber dem, was wir fühlen, aufmerksam sind, werden wir automatisch in die heilende Richtung gedrängt.
Das ist der Weg.
Das ist das einzige, was einem Menschen gesagt werden kann, der heil werden möchte. Alles andere muss er selbst herausfinden, durch Versuch und Irrtum, durch Experimente, die seine Wahrheit zutage fördern.
Den Mut und die Energie dazu liefert unsere Lebenskraft, die ja die schöpferische Kraft ist.
Der Geist der Samurai
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Was einen Karateschlag betrifft, ist er das Resultat der Intention, d.h. der Ausrichtung des Willens auf die Schwachstelle. So dringt der Schlag durch.
Das ist der Geist der Samurai und der Geist aller Meister.
Die Energie, die da wirkt, ist die schöpferische Energie, die überall da ist und die wirkt durch die Kraftlinien der Wahrheit. Die Wahrheit spürt sie auf – ohne wissen zu können, wie das genau geht. Vielleicht kommt dieses Wissen zu einem späteren Zeitpunkt auf dem Weg auch dazu. Dann wird das Durchdringen umso tiefer sein. Und natürlich geht es nicht darum, einen Stapel Ziegel zu zerschlagen, aber der zerschlagene Stapel Ziegel ist ein „Sinnbild“ dieser Durchschlagskraft.
Und da wird nun klar, was ein „Sinnbild“ ist, nämlich ein Bild, das einem bestimmten Zustand unserer selbst genau entspricht im übertragenen Sinn oder im wörtlichen Sinn, ein Lösungsbild. Die Wahrheit enthält gleichzeitig ein Lösungsbild.
Ein solches Wahrheits-Sinnbild hat Mishima formuliert als seine Beschreibung des Verhaltens eines Kriegers in jeder Lebenssituation. Die Kriegerhaltung ist ein bestimmter „Geist“, eine bestimmt Einstellung dem Leben und der Welt gegenüber, sie beinhaltet die Annahme der Herausforderungen des Lebens, was immer die sein mögen, zuerst durch das sich Befreien von den alten Abhängigkeiten und dann das andere befreien Helfen, nämlich genau die, zu denen wir „gerufen“ sind, „gerufen“ wie Lohengrin in der Nibelungensage. Gerufen werden wir natürlich zu denen, denen wir eine Antwort geben können, die bereit sind für unsere Antwort, die genau das brauchen, was wir zu geben haben. Und wir selbst sind unwillkürlich auf der Suche nach diesen Leuten oder Dingen, für die wir eine Lösung darstellen. Etwas treibt uns, sie zu finden, so wie die Intention des Karateschlags eine Spalte in dem Material findet. So findet eine bestimmte Intention der Schwäche uns als Heilmittel. Etwas korrespondiert, eine Resonanz entsteht.
Der „Himmel“, der die Rufe der Notleidenden hört, ist die natürliche Resonanz im All, mit der niemand rechnen kann, die aber da ist und in Anspruch genommen werden kann.
Die Bereitschaft, die eigene Wahrheit zu sehen, ist die einzige Bedingung.
Das einzige Hindernis ist die Angst
8. 8. 2002
Was hindert Dich, was bewirkt, dass Du nicht durchdringen kannst?
Die Angst.
Sonst nichts.
Angst wovor?
Vor den Reaktionen, die folgen auf die Aktion, denn natürlich folgen Reaktionen. Es gibt keinen Schutz vor den Reaktionen. Kein lieber Gott kann dich schützen. Nein, es gibt keinen Schutz vor den Reaktionen – außer nicht handeln – und das ruft seine eigenen unvermeidlichen Reaktionen hervor.
Die Angst vor den Reaktionen ist die Behinderung der Depressiven [sie ist der Grund für ihre Depression und sie verstärkt sich in einer sich aufschaukelnden Bewegung] und diese Angst hindert auch die „Normalen“ und macht auch sie manchmal depressiv. Sie hindert alle, die nicht durchdringen.
Wie können wir diese Angst überwinden?
Es gibt nur die eine Möglichkeit, nämlich dass wir trotz Angst einfach handeln – nicht irgendwie durchgedreht, wahnsinnig, sondern ganz normal menschlich.
Das Geheimnis liegt darin, dass es einzig notwendig ist, ehrlich zu sein.
Dann – wenn der Schutz der Rituale [der Religion oder der Konvention] aus welchen Gründen auch immer weg ist [und wer ehrlich ist, wird möglicherweise auf diesen Schutz verzichten müssen], wenn also die Angst herrscht – kann eine neue Form von Schutz kommen. Diese neue Form von Schutz hat zur Bedingung die Ehrlichkeit.
Gegen das, was der Fall ist, kann niemand etwas einwenden. Wenn wir ehrlich [ohne Jammern] darstellen, wie es uns geht, erwecken wir automatisch Sympathie. Die Wahrheit dringt durch. „Sie bewegt sogar Fische und Schweine“, sagt der Autor des I Ching. Das ist die tiefste Weisheit, die es gibt. Es sind nicht die tausend Regeln irgendeiner Religion, es ist einfach Ehrlichkeit. Das war die großartige Entdeckung Abrahams.
Der Schutz, den die Wahrheit bietet, ist unübertrefflich. Das hat auch Jesus festgestellt, deshalb hat er sich gegen die Moral der Hypokriten gewandt und hat sich einen „Freund der Zöllner und Huren“ nennen lassen.
Die Wahrheit schützt uns allerdings nicht vollständig vor Angriffen [als eine mögliche Variante der Reaktionen], aber in den Fällen, in denen Angriffe trotzdem kommen, gibt sie uns Kraft, ihnen zu begegnen. Und das beginnt schon auf der untersten Stufe, der einer extremen Depression, wo gar nichts mehr möglich scheint, weil gar nichts mehr interessiert.
Zunächst ist die Wahrheit jederzeit zugänglich. Unser Körper ist der Schlüssel. Mit ihm erfahren wir Freuden und Leiden. Und zumindest das Leiden ist [auch für angeblich völlig freudlose Menschen] jederzeit wahrnehmbar – und daher ist die Wahrheit jedem, der bei Bewusstsein ist, jederzeit zugänglich. Es ist möglicherweise eben die Wahrheit des Leidens.
Daher ist dieser Weg für alle gangbar, egal, wo sie sich befinden mögen, egal wie aussichtslos ihre Situation erscheinen mag.
Es braucht nur einen winzigen Schritt, eine winzige Bejahung dieser Wahrheit, dieser Realität. Eine minimale Quantität von Anstrengung, wie sie selbst dem depressivsten Depressiven möglich ist von Zeit zu Zeit.
Dann, wenn er diesen winzigsten Schritt gegangen ist, kommt die Kraft der Wahrheit und hilft, indem sie [durch das Bild der Sehnsucht] eine Ausrichtung der Energiekanäle bewirkt, eine Bündelung der zur Verfügung stehenden Kräfte; und diese Ausrichtung der Energiekanäle verstärkt sich durch sich selbst, weil die Energie ja schon immer danach drängt, endlich durchzukommen. So ist es dann die erste Energie, die sich einen Weg bahnt, wir müssen ihr den Weg nur initial ermöglichen, wir müssen unsere Sperre nur ein winziges Stück aufheben, gerade so wenig, wie wir vermögen.
In der alten theologischen Sprache ist es daher „Gott“, der uns den Weg bahnt – nicht wir ihm, sondern er uns. Das ist wesentlich, weil es die Wahrheit ist, d.h., weil es tatsächlich so geschieht. Das ist auch die Bedeutung der Aussage „sola fide“. Was wirkt, ist nicht unsere Kraft, es ist die schöpferische Kraft, die uns schon erzeugt hat, die uns am Leben erhält und die immer und überall wirkt. Sie heilt alle unsere Leiden.
Dass wir uns ein wenig trauen, bewirkt daher, dass wir uns mehr trauen, nicht weil unsere Kraft jetzt stärker wäre, sondern weil wir durch die andere Kraft unterstützt werden, weil die jetzt in uns wirken kann, weil wir uns ihr ein winziges Stück aufgemacht haben.
Also, wir brauchen keine Angst haben. Wir brauchen diese minimale Intitialinitiative nicht zurückhalten aus Angst, dass wir später versagen werden, denn wir werden auch später gar nichts leisten müssen, wir brauchen nur der Kraft erlauben in uns und durch uns zu wirken. Dann ist immer genau die Kraft da, die nötig ist für den nächsten Schritt.
Wir brauchen also keine Angst haben, es ist nicht mehr von uns verlangt, als dass wir folgen. Wir brauchen nur hintergehen, die Kraft geht uns voran [wie damals die „Feuersäule“ den Israeliten], wir brauchen nur hinter ihr her gehen. Sie wird uns den Weg zeigen und uns eben sogar vorangehen.
Um den Heilungsprozess zu starten, brauchen wir nur unsere Aufmerksamkeit ein wenig auf die Wahrheit zu lenken, auf unseren Schmerz und auf unsere Sehnsucht frei zu sein, also auf die beiden Pole der Kräfte, die auf uns wirken. Von da an brauchen wir nur noch folgen.
Dieses anfängliche die Aufmerksamkeit ein wenig lenken ist das notwendige sich Öffnen.
Was dann geschieht ist nicht spektakulär, denn die Entwicklung geht wie jedes Wachstum langsam. Es gibt Rückfälle. Wir werden unsere Aufmerksamkeit wieder abgleiten lassen, sie uns wieder entgleiten lassen. Aber irgendetwas, wird uns irgendwann wieder erinnern, dass wir das schon einmal gemacht haben und dann können wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf unsere Wahrheit lenken. Und dann geht es wieder ein Stück voran. Und mit der Zeit immer mehr, irgendwann exponentiell.
Bei manchen kann die Heilung auch als ein augenscheinliches Wunder erfolgen, nämlich sehr schnell. Bei ihnen sind wahrscheinlich die Bedingungen günstig für eine Art Kettenreaktion, eine sehr schnelle Eskalation der Ausrichtung der verschiedenen Energieströme bis zur vollen Konzentration.
Die Bedingungen für diese Hingabe sind eben bei den Menschen ganz unterschiedlich und kein Anlass für eine Bewertung in einem moralischen Sinn.
Manche führen schlechtere Ausgangsbedingungen auf „Sünden“ der Vorfahren zurück, ich finde es besser, von „nicht gelungener Achtsamkeit“ zu sprechen; manche sprechen von „Karma“, also von einer Folge des Verhaltens in früheren Leben. Es ist egal. Unsere Bedingungen sind, wie sie sind, und wenn wir sie nicht mögen, müssen wir einen Weg heraus finden. Es hilft uns nicht einen Schuldigen zu finden. Niemand nimmt uns die Verantwortung für unser Leben ab.
Die Verführung [zur „Sünde“ oder zur Unachtsamkeit] ist ja gegenwärtig und sie besteht immer darin, dass etwas für „gut“ gehalten wird, was gar nicht gut ist.
Entweder sind das gesellschaftliche „Werte“, die überschätzt werden und dadurch verlocken oder es sind vergangene Erfahrungen von „gut“, die unverhältnismäßig stark anziehen – sich also nicht in Harmonie mit der Gesamtsituation befinden. Aber auch die Instinktreaktionen können zur Versuchung werden, nämlich zu einer Kraft, die uns überrollen kann, sodass wir nicht mehr wahrnehmen können, weil wir zu sehr getrieben sind.
Wenn wir uns der Wahrheit, und sei es unserem Schmerz und unserer herzzerreißenden Sehnsucht, öffnen, werden wir das Unverhältnismäßige sehen, und zwar genau in dem Maß, in dem es uns gelingt, uns zu öffnen, uns ihr anzuvertrauen. Und damit haben wir ein Fahrzeug heraus aus der Not. Es ist nicht von uns geschaffen, sondern es steht schon bereit, uns abzuholen, wenn wir uns ihm anvertrauen.
Es fährt uns heraus. Der Chauffeur ist die Wahrheit. Das Fahrzeug fährt mit der schöpferischen Energie. Wir brauchen daher keine Angst haben, dass wir das schaffen müssten. Wir müssen nur diesen winzigen Spalt öffnen, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Wahrheit lenken, dann läuft der Karren von alleine.
Nach „der“ Wahrheit zu suchen ist sinnlos. Was immer wir da an Abstraktem finden werden, es ist nicht die Wahrheit. Wahrheit gibt es für uns nur in Form unserer Wahrheit. Wir brauchen sie daher nicht suchen, sie ist schon da. Wir brauchen nur zu schauen.
Auch wenn unsere Wahrheit das pure Grauen sein sollte, was immer sie ist, sie ist es, die uns rettet. Wir müssen uns ihr anvertrauen – und mit dem „Müssen“ meine ich wieder diese winzige Einstellungsveränderung, dieses winzige Vertrauen, dieses winzige uns Trauen, das kann uns niemand abnehmen.
Die Monster, von denen wir uns vielleicht umgeben glauben, werden uns nicht überwältigen, sie werden uns nichts anhaben können, gerade durch die Wahrheit. Das ist das Geheimnis des Weges. Wenn wir unser Unvermögen eingestehen, nicht im Sinn einer Panik oder Resignation, sondern im Sinn der Annahme unseres möglichen Endes bei gleichzeitigem Vertrauen, dass wir [durch die schöpferische Kraft] in besten „Händen“ sind, beginnt die Walze unserer Evolution zu laufen [unsere Entwicklung] und sie ist nicht mehr zu stoppen. Und sie ebnet uns den Weg zu immer mehr Bewusstheit, zu immer mehr Wahrnehmung dieser Kraft und zu immer weiterem Aufblühen. Sie walzt die Monster nieder, die ohnehin nur Illusionen sind. Sie können uns nichts mehr tun.
Von uns aus gesehen ist der Treibstoff dieser Walze zu gleichen Teilen der Schmerz [als Schub] und die Sehnsucht [als Zug]. Das Bild unserer Erfüllung [der Sehnsucht] hat mit dem Schmerz thematisch nicht das Geringste zu tun. Wenn wir nur den Schmerz betrachten – ganz viele sind davon vollkommen hypnotisiert – dann gibt er keinen Schub, sondern er wirkt blockierend. Als Treibstoff kann er aber wirken, wenn wir trotz Schmerz unsere Aufmerksamkeit auf das Ziel unserer Sehnsucht lenken, auf das Wunder, auf das hin unser Leben intendiert ist.
Das scheint vielleicht zu viel verlangt von einem Depressiven, ist es aber nicht, denn es geht, wie gesagt, nur um eine winzige Kleinigkeit, um eine winzige Verlagerung der Aufmerksamkeit weg vom Schmerz hin zu unserem Traum. Der Schmerz ist nur der Anknüpfungspunkt, das, was in jedem Fall zugänglich ist, seine nicht zu leugnende Realität verbindet uns eben mit der Realität, mit der Wahrheit. Von diesem Anknüpfungspunkt aus können wir dann mit unserer Aufmerksamkeit auf unseren Traum überwechseln. Der Weg der Heilung geht also von der Wahrnehmung des Schmerzes zur Weiterleitung der Aufmerksamkeit auf das Wunder und durch das Bild der Erfüllung zu der Kraft, die die Erfüllung schaffen kann und die nicht unsere ist, sondern die schöpferische Kraft selbst. Unser Eigenanteil ist eben diese Weiterleitung der Aufmerksamkeit auf das Bild der Erfüllung. Dann kommt Kraft für den Weg dorthin.
Eines der größten Hindernisse auf diesem Weg sind die Schuldgefühle. Durch sie trauen wir uns nicht, wir glauben, wir hätten kein Recht. Deshalb stehen oft Schuldgefühle am Eingang einer Depression. Und sie verhindern den Ausgang.
Nichts überwindet die Schuldgefühle besser als die Wahrheit, nämlich einfach die Kräfte zu sehen, die am Werk sind, die Forderungen, denen wir nicht gewachsen sind – und dann unsere Sehnsucht nach Freiheit. In dieser Spannung kann die Energie zur Lösung aufsteigen. Wir brauchen keine Angst haben, sie steigt auf und sie zieht uns mit zu unserer Heilung.
Die Wahrheit ist nämlich, es gibt keine Schuld. Selbst wenn wir schuldig geworden wären, indem unser Geben und Nehmen unausgeglichen war, wir konnten es nicht vermeiden, solange es uns nicht gegeben war – solange wir es selbst tun und erreichen wollten. Sobald wir die Wahrheit aber wirken lassen, ist jede Schuld ausgelöscht. Denn dann wissen wir, dass es ohnehin immer nur diese Kraft ist, die alles bewirkt. Ohne sie sind wir machtlos. Und welche Schuld sollte ein Machtloser haben? Er ist doch höchstens zu bedauern – so weggerissen von irgendwelchen Emotionen.
Die einzige Verantwortung, die wir haben, ist die, der Kraft zu vertrauen. Auch ein Depressiver kann sich dem Vertrauen zuneigen, ein wenig, und das genügt, denn dieses Wenige wird dann von selbst mehr werden.
Die Wahrheit ist in jeder Hinsicht wunderbar. Sie bringt uns auf den Kurs in Richtung Wunder, auf dem sich jede Angst als vollkommen unnötig herausstellt.
Wenn die Angst weg ist, ist es ganz natürlich, dass wir uns hinter das stellen, was aus uns heraus will. Und daher wird es sich nicht vermeiden lassen, dass wir durchdringen zu dem, was wir möchten.
Das menschliche Tier
18. 9. 2002
Zunächst ist es ein Fakt, dass die Menschen eine Tiergattung darstellen, ein Tier mit einer besonderen Fähigkeit, der Sprache und der darauf beruhenden Reflexionsfähigkeit.
Diese speziell menschliche Fähigkeit ist bei einem großen Teil der Mitglieder der Gattung nur rudimentär ausgebildet. Die meisten Mitglieder der Gattung haben ihre Rationalität nicht sehr weit entwickelt, sie sind weitgehend unbewusste Instinktwesen, beherrscht von Sex, Besitz und Geltung. Unter diesen jedoch existieren, wie es scheint seit je her, Schulen der Bewusstheit. Durch sie wird es Individuen möglich, den Zwang, den der Instinkt ausübt, durch Bewusstwerdung zu überwinden und eine größere Freiheit zu erreichen.
Diese Schulen der Bewusstheit haben immer den Instinktbereich einbezogen als eine menschliche Realität, aber sie haben auf Unabhängigkeit davon hingearbeitet.
Ein Schlüssel zu dieser Unabhängigkeit ist die jeweils übergeordnete Betrachtungsebene, die den Zwängen des kleineren Systems entrinnen lässt. Es gibt ganze Hierarchien solcher übergeordneter Betrachtungsweisen, doch an oberster Stelle, alle anderen übersteigend, bietet die Realität die Betrachtungsweise aus der Perspektive des Ganzen, also aus der Perspektive der Kraft, die alles hervorgebracht hat.
Auf dem Weg solcher Schulen haben die Religionen eine Massenanhängerschaft. Gerade dadurch aber [weil sie die unbewussten Instinktmenschen zu integrieren sucht] haben sich in den Religionen Missverständnisse gebildet über die Grundaussagen ihrer Stifter. Diese [beschränkt verstandenen] Grundaussagen bewirken [dadurch] eine Abgrenzung zu allen, die andere Grundaussagen machen [also die Stifter der anderen Religionen, die aus ihrer besonderen historischen Situation aus einen anderen Aspekt des Ganzen beleuchteten, und deren Anhängerschaft]. Diese Abgrenzung bzw. Einschränkung wird insbesondere dadurch erreicht, dass die Grundaussagen der Stifter, die ursprünglich relativ zu den Gegebenheiten und zur Begrifflichkeit jener Zeit verstanden worden sind, zu absoluten Dogmen erhoben und so in einer historische Gestalt konserviert werden, die den neuen historischen Umständen natürlich niemals ganz gerecht werden kann. So sind die Anhänger der Religionen immer in Gefahr in dieser Kombination der beiden Wirkungen, nämlich dem Einfluss der Instinktebene und der Beschränkung des Ganzen zu einem Partikularen, ihre Wirkung als Schule der Bewusstheit zu verlieren oder wenigstens unnötig zu begrenzen.
Allerdings sind die Menschen so gebaut, dass in diesem Fall andere Einrichtungen in Erscheinung treten, die die evolutionäre Rolle der Bewusstheitsschule weiterführen. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen hat es daher immer neue Propheten oder Lehrer gegeben und zu gewissen Zeiten ist die kulturelle Evolution durch unabhängige intellektuelle Bewegungen vorangetrieben worden, wie in unserer Kultur in Form der Evolution der Wissenschaften, in früheren Zeiten etwa in Medizinmanntraditionen.
Die Wissenschaften allerdings sind wieder der gleichen Gefahr ausgesetzt und bereits erlegen, wie die Religionen, und vor ihnen schon die Herrschaft der Medizinmänner, nämlich wieder den Bereich des für real Gehaltenen künstlich zu beschränken. Allerdings gibt es auch im Bereich der Wissenschaften immer wieder so etwas wie „Propheten“, die neue Wege einschlagen.
Nicht nur in den Wissenschaften oder in den Religionen, auf allen Gebieten des menschlichen Lebens gibt es diese Lehrer der Bewusstheit, nämlich Menschen, die aufgrund ihres besonderen Schicksals, die ganze Realität entdeckt haben, so wie beispielsweise auch die Anonymen Alkoholiker sie entdeckt haben.
Es gibt letzten Endes für alle Menschen nur die zwei Lebensmöglichkeiten, nämlich entweder ein Leben in Freiheit oder in Abhängigkeit; egal ob es die Abhängigkeit von einer chemischen Substanz oder die Abhängigkeit von anderen Menschen ist. Abhängigkeit geht immer zurück auf persönliche Programmierung; diese [der Realität nicht entsprechende] Programmierung drückt sich in bestimmten stereotypen Verhaltensmerkmalen aus, die von der Abhängigkeit herrühren und die im Endeffekt das Erreichen des Ziels verhindern, also Leiden verursachen, und daher Kompensation [die Sucht] nötig machen. Und da ist es dann das Leiden, das den Evolutionsprozess [das Bewusstwerden] vorantreibt und uns zwingt, unser Leben zu verändern, kreativ zu werden.
Insgesamt ist zu sagen, dass sich die gesamte Menschheit immer noch in Evolution befindet. Die Entwicklung vom Stein zur Bewusstheit geht immer noch weiter. Auch unter den Menschen gibt es die „Steine“ und diejenigen, die dem Zwang der Materie weniger unterworfen sind.
Da sich der Zwang der Materie nicht gänzlich überwinden lässt, gibt es nur die Möglichkeit, ihn einzubeziehen, ihm sein Recht zu geben, die Bedingungen zu akzeptieren, die nicht zu ändern sind, sie aber natürlich gleichzeitig zu überlisten, wie ja bereits die Vögel die Schwerkraft überlistet haben, so natürlich die Menschen umso mehr.
Dieser Evolutionsprozess betrifft zurzeit mehr als je zuvor die Zwänge der Gemeinschaften, denen ein Mensch angehört. Sie werden immer mehr überbrückt, weltweit. Das betrifft die Familie genauso wie die Religionen, die Staaten etc. Diese Brücken haben zwar immer schon existiert, aber sie sind nur wenig genutzt worden. Jetzt werden sie viel stärker genutzt. Die Globalisierung macht es möglich.
Techniken der Deprogrammierung breiten sich daher aus, die eben immer mehr Menschen erlauben, diese Brücke zu benützen und damit eine höhere Perspektive einzunehmen und letzten Endes sich selbst zu finden, was immer das sein mag.
Dann ist das Tier ein wirklicher Mensch geworden.
Das Tierische ist unbewusst sehr stark den Zwängen der Natur unterworfen, der Mensch unterwirft sich diesen Zwängen bewusst und überwindet sie dadurch, weil dann bewusst jene andere Kraft wirkt, der alles möglich ist.
Genau darin besteht die Bewusstheit, dass die Realität gesehen wird, wie sie ist, eben einschließlich jener Kraft, aus der alles hervorgegangen ist. Und diese Bewusstheit offenbart die Kraftlinien der Wirklichkeit und gewährt dadurch Einsicht oder Aussicht auf die Punkte, durch die Einfluss genommen werden kann. Und die Kraft selbst ist es, die diesen Einfluss dann auch nimmt – nachdem wir ihm bewusst zugestimmt haben, zustimmen konnten, weil wir die Kraft schon am Werk gesehen haben.
Alles, was nötig ist, um die Kraft am Werk zu sehen, ist die Voraussetzung, dieser Ordnung der Dinge zuzustimmen, also sich als das bestimmende Element wegzunehmen und die tatsächlich bestimmende Kraft also solche anzuerkennen und wirken zu lassen. Also einfach Ehrlichkeit, die möglich wird durch eine positive Anerkennung der Realität, durch ein jedem sein Recht zuerkennen – auch dem Verworfensten. Solange das nicht da ist, ist auch keine wirkliche Ehrlichkeit da. So lange existiert ein Schatten auch auf der eigenen Seele, weil da dieses Element ja auch verurteilt wird.
Bewusstheit bedeutet daher nicht urteilen. Es bedeutet, den Sündefall rückgängig machen, also die Unterscheidung von „gut“ und „schlecht“ aufheben und statt dessen „sehen“, nämlich die wirkenden Kräfte sehen, die zu einem bestimmten Verhalten führen. Bewusstheit bedeutet daher verstehen.
Verstehen ist nur möglich nach einer gründlichen Deprogrammierung. Die einprogrammierten Unterscheidungen müssen aufgehoben werden, nämlich relativiert, bezogen auf den Ursprung, auf die verborgene Absicht. Von der erfolgten Deprogrammierung an ist ein Mensch frei, einem Programm entweder zu folgen oder nicht zu folgen, wenn es nicht angemessen ist, vorher war er gezwungen in jedem Fall zu folgen, wodurch viele neue Widersprüche entstanden sind.
Diesen Vorgang haben die Hindus „Karma erzeugen“ genannt, denn die neuen Widersprüche erzeugen reale Probleme, die in der Folge durchlebt werden müssen und die gerade durch das Durchleben einen läuternden Effekt haben, der das Karma dadurch [durch den Lehreffekt der unangenehmen Erfahrungen] nach und nach auflöst, bis kein neues Karma mehr erzeugt wird und statt dessen das alte abgebaut werden kann. Dann besteht Harmonie, weil der Mensch dann einfach dem Fluss folgt, weil er nicht mehr aus angelernten Programmen lebt, sondern nur noch der Kraft folgt, sich von ihr tragen lässt und dadurch zu einem leuchtenden Beispiel wird.
Die Entwicklung vom Tier zum Menschen ist also die Befreiung aus dem Karma, also aus den Zwängen der Programmierung.
Zu wissen, dass das der Weg ist, kann diesen Weg beträchtlich abkürzen. Denn dann wird nicht mehr über die Härten des Schicksals gejammert, sondern das Schicksal wird angenommen, was immer es sein mag. Solange ein Mensch jammert, bleibt er in seiner Entwicklung stehen – bis die Folgen dieses Stehenbleibens derart unangenehme Wirkungen haben, dass sie ihn veranlassen, weiterzugehen, sein Jammern zu überwinden und zu beginnen, sein Schicksal zu durchdringen und nach Auswegen zu suchen. Das ist das natürliche Entwicklungs-Programm, das die Evolution insgesamt und auch in uns Menschen vorantreibt. Das Übel [in Form unserer inneren und äußeren Widersprüche] treibt uns voran – bis es nicht mehr das Übel ist, das uns treibt [weil wir über es hinausgewachsen sind, weil wir unsere persönlichen Widersprüche aufgelöst haben], sondern unsere genuine Rolle im Ganzen.
Manchmal kann es geschehen, dass unsere inneren Widersprüche [vor allem der Widerspruch zwischen unserer persönlichen Programmierung, die wir durch unsere Erziehung erfahren haben und unserem menschlichen Instinktprogramm einschließlich der Rückkopplungen in unseren sozialen Kontakten] uns krank machen, sei es körperlich oder seelisch. Dann ist es dieser neue Zustand der Krankheit, der unsere Herausforderung darstellt. Dann [spätestens] müssen wir dem Problem auf den Grund gehen, also den Widerspruch finden, der uns krank macht.
Am Eingang der Krankheit kann manchmal ein Erleben stehen, das in anderen Zusammenhängen gewöhnlich als ein „Erleuchtungserlebnis“ beschrieben wird. Es ist ein echtes Erleuchtungserlebnis, weil für einen Moment oder eine Weile die persönliche Programmierung aufgehoben wird, weil unsere ganze Welt aufgehoben wird. Eine ähnliche Wirkung können gewisse Drogen haben oder andere Konstellationen von Ereignissen, die unserem Organismus eben klar zeigen, dass er sich gegenüber dem Verhalten, das von dem konditionierten Verhaltensprogramm stammt und den gesamten Menschen nicht leben lässt, wehren muss, dass er diese Programmierung ausschalten, zunichte machen muss oder, wenn wir dazu nicht imstande sind, dass dieses biologische Selbstkorrektur-Programm eben unsere Programmierung zunichte macht. So sind wir gebaut, dass das Menschliche sich durchsetzen will. Irgendwann stellt etwas im Organismus fest, dass dieses Leben [im Widerspruch] nicht lebenswert ist und stellt sich auf Selbstzerstörung ein, als Warnung zuerst, aber wenn darauf keine erlösende Veränderung folgt, dann endgültig. Und es ist nicht nur das menschliche Tier, das leben will, es ist der ganze Mensch. Wenn er nicht mehr imstande ist, die auftretenden Widersprüche aufzulösen, verliert er Lebenssinn und Lebenskraft. Und das bedeutet das Ende. Aber eben nicht sehr schnell, sondern der Organismus ist sehr zäh, er versucht immer wieder auf verschiedenste Weisen, einen Ausweg zu finden. So sind wir gebaut. Es ist ein automatisches Suchprogramm, das da in uns arbeitet. „Was Du suchst, ist das, was sucht“, sagte Franz von Assisi.
Die Sehnsucht des Menschen ist es, frei zu sein. Wenn klar ist, dass er nicht [wenigstens innerlich] frei sein kann, stirbt er. Aber die Sehnsucht arbeitet gegen die Unfreiheit, sie ist stets auf der Suche nach einer Lösung, und zwar immer wieder. Deprogrammierung schafft die Basis für die Erlösung, die vom Leben selbst bewerkstelligt wird.
Natürlich kann die Deprogrammierung letzten Endes nicht durch irgendeine ideologische Institution erfolgen. Ein Bild kann anfangs helfen, sich auf die größere Realität einzustellen, doch es sollte nie aus den Augen verloren werden, dass es nicht um das Bild, sondern nur darum geht, sich auf die größere Realität einzustellen, die uns selbst als das biologische Wesen sieht, das wir sind und die uns gleichzeitig eine Rolle im Gesamt der Evolution zuschreibt.
Hier ist es wichtig anzumerken, dass es egal ist, auf welcher Stufe der Evolution sich ein Mensch befindet, ob er mehr dem Stein ähnelt oder mehr dem Geist, auf eben dieser Stufe der Evolution ereignet sich für ihn der Schritt darüber hinaus. Es gibt daher kein besser oder schlechter unter den Menschen [das gibt es nur in Bezug auf eine Leistung im Tauschhandel], sondern es geht nur um die Frage, ob sich ein Mensch letzten Endes einlassen kann auf die Herausforderungen des eigenen Lebens. Wenn er sich nicht darauf einlassen kann, weil irgendein eingeprägter Befehl es verhindert, dann entstehen Probleme mit unangenehmen Wirkungen, also neue Herausforderungen, die zu den bestehenden noch hinzugefügt werden, um so eine Ladung zu erreichen, bis eine Reaktion erfolgt, entweder Zusammenbruch oder Abschütteln durch einen Sprung auf eine andere Ebene. So ist das auf allen Ebenen der Bewusstheit, wahrscheinlich ist es schon bei den Elektronen so. Ich vermute das, weil ja bereits auf diesem Niveau der Bewusstheit [die sich ja in einer bestehenden Struktur, etwa der Atomstruktur samt ihrem Beziehungsgeflecht, äußert] ganz offenbar evolutionäre Kräfte wirken, sonst hätte Evolution ja überhaupt nicht stattfinden können, natürlich hatte sie auf dieser Ebene längst begonnen. Sie zielt auf den Geist, auf Bewusstheit, auf ein sich bewusstes Einblenden in das Ganze und darauf, es und durch es wahrzunehmen.
Wer könnte behaupten, die Elektronen könnten das nicht oder die Amöben oder die Viren – und wären also nicht im Vollsinn des Wortes genauso „Kinder Gottes“ wie wir? Wir sind natürlich anders und in diesem Anderssein müssen wir es doch wieder sein und es leben! Aus seiner Totalität heraus leben, in der, wie gezeigt, alles seinen idealen, evolutionären Platz hat, die Schrecken genauso wie die Freuden des Lebens.
Die Kraft muss wachsen
30. 9. 2002
Die Kraft muss wachsen. Und das geht ganz von selbst.
Wir könnten den Wachstumsprozess künstlich beschleunigen wollen im Sinn von Karrieredenken, aber das funktioniert letztlich nicht. Wer bei dieser Art Denken stehen bleibt, wird irgendwann fallen. Und der Fall wird ihn verletzen, wenn nicht töten.
Die Kraft muss von selbst wachsen, wie eben irgendein organisches Gebilde wächst, das ja nicht in der Fabrik hergestellt wird. Daher muss die Kraft wie ein Organismus gepflegt werden. Sie braucht Nahrung und Ausscheidung, Lehre und Anwendung, und sie wächst ganz spontan in unserem Dialog mit der Wirklichkeit.
Was immer wir anfangen möchten im Leben, es muss auf diese Weise wachsen, sonst wird nichts daraus. Wir können ja auch eine Pflanze nicht aus sich herausziehen, wir müssen ihr Zeit zum Wachsen geben. Sie macht das von ganz alleine, wenn sie entsprechend versorgt wird. Und genau so müssen wir auch die Pflanze unserer Kraft versorgen.
Wie versorgen wir die Pflanze unserer Kraft?
Ganz einfach dadurch, dass wir auf die Quelle unserer Kraft schauen, auf das, was wir möchten und dass wir unsere Fühler in diese Richtung ausstrecken. Von dort kommt dann eine Reaktion, eine Ablehnung vielleicht zuerst, aber wenn klar ist, dass es uns ernst ist, ein vorsichtiges, gegenseitiges sich Abfühlen und dann wieder entweder Zustimmung oder Ablehnung.
Wir haben keinerlei Anspruch auf irgendetwas, wir müssen um alles immer in irgendeiner Weise werben. Jeder kennt das in der Partnerwahl, genauso ist es auf allen anderen Gebieten auch. Wir müssen etwas bieten, dann bekommen wir auch was. Wenn wir unser Bestes geben, bekommen wir auch das Beste. Das ist logisch.
Wie können wir unser Bestes geben?
Nur indem wir uns voll konzentrieren. Und voll konzentrieren können wir uns nur auf etwas, auf das wir uns freiwillig einlassen und nur wenn es keine Störungen der Konzentration gibt. Da es solche Störungen aber immer geben wird, müssen wir sie einbeziehen in unser Lebenskonzept, in unser Zeitmanagement und auch in unsere Aufmerksamkeit. Wir müssen den Störungen freiwillig den Raum geben, der ihnen zukommt. Störungen nicht zu akzeptieren, würde bedeuten, einen Teil der Realität auszublenden. Wir müssen ihnen den Raum geben, den sie sich ohnehin nehmen – also freiwillig annehmen, was unvermeidlich ist, aber natürlich nicht mit Zähneknirschen annehmen, sondern als eine Herausforderung, in der unsere Chance liegt.
Beim Wachsen der Kraft geht es darum, die ganze Realität als Herausforderung anzunehmen und von Moment zu Moment unsere ganze Kraft dafür einzusetzen, die auf uns zuströmende Wirklichkeit wahrzunehmen und uns von denjenigen Elementen, die unserer Intention entgegenstehen, nicht bedrücken, sondern aufwecken zu lassen, sie von der Perspektive des Ganzen her zu erkennen und ihnen von dieser Perspektive her zu begegnen, entweder um sie im Einklang mit dem Ganzen auszuschalten oder um uns von ihnen korrigieren lassen.
Letzten Endes werden wir auf diesem Weg dahin kommen, dass es in unserem Leben nichts mehr gibt, mit dem wir nicht übereinstimmen.
So bezieht die Hege der Kraft eine Bewusstheitsentwicklung mit ein. Und eine immer tiefere Konzentration.
Ein wichtiges Element in der Hege der Kraft ist daher eine vertiefte Wahrnehmung. Sie wird möglich, indem wir unser anfängliches Gedankenchaos dadurch ordnen, dass wir offene Fragen klären. Das bedeutet, dass wir ein jedes unserer Geschäfte, das wir angefangen haben, ehestmöglich abschließen, dass wir also keinesfalls trödeln oder Altes, schon Durchgekautes immer wieder aufwärmen. Abschließen heißt abschließen, es ein für allemal hinter uns bringen. Einen Schlussstrich ziehen und keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Dadurch wird mit der Zeit die Anzahl der gleichzeitig laufenden Geschäfte auf ein erträgliches Maß reduziert und schließlich entsteht jenes Zeitmanagement, von dem ich vorher gesprochen habe, in dem ich mir klar mache, was in meinem Leben ich wie viel Raum geben möchte, besonders zeitlich. Damit ich nicht stöhne unter Verpflichtungen, muss ich mich organisieren, was aber nicht eine Disziplinierung im Sinn von Zwanghaftigkeit bedeutet, sondern eben wieder jenes allmähliche Wachstum, in dem eben eine Zelle nach der anderen abgeschlossen wird nach einem gewissen, in unserer Sehnsucht gründenden Plan.
Alles hat seine Zeit. Was gerade an der Reihe ist, erkenne ich daran, dass es mich jetzt zu sich hin zieht. In diese Richtung strecke ich meine Fühler aus. Ich versuche, in Kontakt zu treten. Wirklicher Kontakt [Rapport] kann nur in einem Zustand gelingen, in dem jene Anziehung [oder Abstoßung] so stark geworden ist, dass sie mich bewegt – dass nicht ich mich bewegen muss. Nur dann habe ich die volle Konzentration – alle künstliche Anstrengung [Zwanghaftigkeit] führt zu Fehlleistungen oder zu anderen Schäden, schließlich auch im Organismus.
Das Leben bringt ständig Abwechslung, weil durch die Komplexität unseres Organismus ständig neue Dinge im Vordergrund treten. Das muss klar gesehen werden. Es gibt in uns eine Art natürliches Programm zur Verarbeitung der Realität, das die jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse [Lade- und Entladezustände], die von innen kommen, mit den von außen auftauchenden Gelegenheiten oder Hindernissen [also mit den Lade- und Entladezuständen unserer Umwelt] abstimmt [und umgekehrt].
Deshalb zeigt das I Ching den Weg des Folgens in Hexagramm II, wo es um den Weg der Kreatürlichkeit geht. Der ideale Weg alles Geschaffenen ist nicht der des Bestimmens, sondern der des Folgens.
Karriere ist gewöhnlich ein Weg des Bestimmens [also des Zwangs], nicht des Folgens. Deshalb erzeugt es diese gesundheitlichen Schäden. Wenn Karriere auf dem Weg des Folgens möglich ist, ist das unvergleichlich viel besser, nämlich verbunden mit dem Gefühl und dem Wissen von Harmonie. Dann hat sie nichts Künstliches mehr, sondern sie stimmt. Und dann macht Karriere auch nicht mehr krank.
Erfolg ist auf dem Weg des Folgens nicht nur möglich, sondern natürlich, weil sich unsere Chancen in der Realität zeigen. Da erleben wir Anziehung und Abstoßung. Und indem wir folgen, finden wir, was uns anzieht und wir gehen weg, von wo wir abgestoßen werden. Es ist also der einfachste Weg überhaupt, denn wenn wir folgen, brauchen wir auch keine eigene Energie, außer der, die wir sowieso schon brauchen, um zu leben. Es ist also gleichzeitig der ökonomischste und der ökologischste Weg.
Wir müssen warten, bis ein Maß voll ist, wir müssen unsere Ladezustände beachten und ihnen folgen, also die Energie ernten, wenn sie reif ist, dann geht es von selbst, womit ich natürlich nicht sagen will, dass wir uns dann von Emotionen fortreißen lassen sollten, denn immer sollen wir uns ja von dem bestimmen lassen, was wir wollen. Emotionen sind einfach innere Kräfte, die wir [ähnlich äußeren Kräften] benützen können, als Trägerwelle gewissermaßen, aber als unser Instrument, nicht als unser Herr.
Volle Kraft heißt volle Konzentration nach innen und nach außen. Sie wird möglich, indem wir aufmerksam sind, auf das, was wir möchten. Mangel und Überschuss begründen unser Möchten, unsere Sehnsucht. Und von unserer Sehnsucht her kommt die [innere] Welle, die wir benützen können, auf der wir reiten können, die uns die Arbeit abnimmt, indem sie uns bei unserer Arbeit trägt. Aber natürlich dürfen wir dabei unseren Organismus nicht vergessen, der die Arbeit ausführt. Dieser hat nämlich seine eigenen, uns auch beschränkenden und natürlich zu berücksichtigenden Bedingungen und Bedürfnisse [Lade- und Entladezustände] und nur wenn wir diese auch anerkennen und in unserem Zeitmanagement berücksichtigen, wird er seine volle Kraft erlangen, zufrieden sein und uns damit am besten dienen.
Auf diesem Weg gibt es nach oben hin keine Grenze. Berühmte Vorbilder mögen uns zu weit entfernt erscheinen – bis wir selbst diesen Weg betreten haben – der doch offen steht für jeden. Wer es fassen kann, der fasse es, die anderen, die es nicht fassen können, werden es gar nicht bemerken, sie werden es nicht verstehen, obwohl es so einfach ist. Wer Ohren hat zu hören, der höre, und der hört auch. Wer keine Ohren hat zu hören, der hört es nicht, der braucht noch eine Weile des sich künstlich Abmühens und der Frustrationen, bis er Ohren bekommt, bis er lernt, zu folgen.
Das ist der Weg der Kraft. Etwas ganz Natürliches. Einfach folgen. Und eines nach dem anderen erledigen mit voller Konzentration, weil nichts Unfreiwilliges daran ist. Dieser Weg führt vorwärts, immer weiter vorwärts, in Richtung Erfüllung der Wünsche, die bei manchen so sind, wie bei Gandhi oder bei Mutter Teresa, bei anderen wieder wie bei Arnold Schwarzenegger etc.. Jeder ist anders, und daher sind auch die Ergebnisse anders. Aber es geht in allem um das Gleiche, nämlich darum, dass die Schöpferkraft sich voll entfalten kann. Sie wird nur dann in unserem Sinne arbeiten, wenn wir folgen, wenn wir uns sensibilisieren, indem wir aufmerksam sind auf das, was wir wollen und auf das, was die anderen wollen, wie wir also Geben und Nehmen am Besten auf die Reihe kriegen, so, dass unser Leben so wird, wie wir es gerne hätten – und möglichst, natürlich, dass es auch für die anderen so wird, wie sie es gerne hätten, denn sie sind ja unsere natürlichen Genossen. Sie sollen mit uns genießen, wie wir auch mit ihnen.
Auf diesem Weg wächst die Kraft ganz von selbst, nach und nach, wie es bei einem organischen Prozess eben ist.
Und ich folge, indem ich die Initiative ergreife und meine Fühler ausstrecke in die Richtungen, in die es mich zieht.
Was heißt „dem Geist folgen“?
8. 10. 2002
Der Geist ist berühmt, nicht erst seit Jesus sein Kommen ankündigte. Und doch, wer kennt ihn schon, wer weiß schon, wie es möglich ist, ihn zu entdecken und ihm zu folgen?
Zunächst ist es notwendig, zu wissen, dass der Geist aus dem Nichts kommt. Er kommt nicht von irgendeiner Hierarchie. Auch in der Hierarchie kommt er aus dem Nichts.
Hier treffen sich Christentum und Buddhismus.
Bei den Buddhisten ist das bekannt, aber dass der Geist auch im Christentum aus dem Nichts kommen soll, ist nicht sehr bekannt. Die Christen scheinen zu glauben, er käme aus der Erfüllung der Gebote.
Tatsächlich aber hat Jesus klar darauf hingewiesen, dass er gehen müsse, damit der Geist kommen könne. Die Jünger konnten das gar nicht verstehen, solange er da war. Erst durch das Nichts, das sein Tod für seine Schüler bedeutete, waren sie bereit, den Geist aufzunehmen, nämlich den Sprung zu tun von der Konsumentenseite auf die Produzentenseite, auch sich selbst dem Risiko des Nichts auszusetzen, dem sich Jesus die ganze Zeit ausgesetzt hatte, bis zuletzt.
Jesus, so wird gesagt, war „gehorsam bis zum Tod“. Was heißt „gehorsam“, wem ist er gefolgt? Zu sagen „dem Vater“ ist viel zu billig, es wiederholt nur seine Worte, die aber Zuhörern galten, denen diese Worte etwas sagten, aber heute in unserer vaterlosen Zeit [ich beziehe mich hier weniger auf A. Mitscherlich als auf die amerikanischen Soap Operas, in denen die Väter nur noch bedauerliche Komikfiguren sind, denen selber jegliche Orientierung fehlt], was bedeutet das heute?
Andere Worte für Gehorsam sind „Gewissen“ oder „innere Stimme“, doch wie können diese [die in der heutigen Zeit Manche zu Dummheiten, zu Gräueltaten oder zum Suizid treiben] zu verlässlichen Führungsinstrumenten werden?
Es braucht dafür wirkliches da Sein – also weder Büchern folgen, noch Gefühlen folgen, sondern umfassendes Fühlen, mit allen Sinnen und mit Verstand. Ich meine natürlich nicht „nachdenken“, sondern das Fühlen der ganzen Realität. Wenn das Fühlen gelingt, wird sich das so auswirken, dass die Dinge funktionieren, die wir wollen.
Durch das Fühlen der Realität [das nur möglich ist, wenn wir unsere voreingenommene Sicht, also uns selbst, suspendieren] entdecken wir den Geist, dem wir dann folgen können.
Bei dieser Gelegenheit entdecken wir aber auch, dass die Herrschaft Gottes über die Welt gerade darin besteht, dass „er“ überall an Ort und Stelle fühlt, was nötig ist – und dass „er“ das nicht etwa „tut“, indem „er“ überall hin “geht“ und nachkontrolliert, was ist, sondern gerade indem „er“ als der/die/das konkrete Daseiende an genau der Stelle, an der es [und da sind wir selbst natürlich eingeschlossen] sich befindet, fühlt. Gewissermaßen „vertraut“ „er“ seinen Geschöpfen so sehr, dass er ihnen die Schöpfung vollkommen überlässt, indem „er“ natürlich gleichzeitig und nicht „extra“ in ihnen nicht nur anwesend ist, sondern sie selber zur Gänze wirklich ist – und gleichzeitig auch noch den Überblick und eine Intention für das Ganze behält.
Deshalb ist es auch in diesem Sinne wahr, dass der „Herr“, von dem die Bibel redet, nicht ein Außerirdischer ist, sondern einfach immer und überall die gegenwärtige Gesamt-Realität.
Im Bild vom Surfer lässt sich das gut zeigen. Ein Surfer muss sich der Welle total unterwerfen, indem er ihre Bedingungen vollkommen akzeptiert und sich bewusst ist, dass er seinerseits der Welle keinerlei Bedingungen setzen kann. Er kann sich nur anpassen, er ist also der totale Sklave der Welle. Und dennoch ist er gerade dadurch vollkommen frei, weil er gerade dadurch die Kraft der Welle für seine Gestaltungs-Wünsche nutzen kann.
Die wichtigste Daseinbedingung des Surfers ist es, die Welle zu fühlen mit allen Sinnen und mit dem Verstand.
Das Beispiel des Surfers zeigt auch noch die andere Seite des Fühlens, denn gleichzeitig mit dem Fühlen muss der Surfer ja auch schon reagieren.
Das Fühlen ist also vergleichbar mit dem Ausstrecken von Fühlern, die gleichzeitig auch noch auf die Umgebung reagieren können.
Berechnung allein hätte da keine Chance, sie ist selbst bei höchsten Rechengeschwindigkeiten viel zu langsam.
Wenn wir fühlen, was da ist, fühlen wir gleichzeitig, wie es benützt werden kann. Ein zweiter Zweig des Fühlens geht nämlich nach innen, denn unser Tun soll ja einen Sinn haben – und welchen, wenn nicht den, dass wir erreichen, was wir brauchen. Es geht also darum das Bild unserer Sehnsucht mit dem Bild der Realität zur Deckung zu bringen.
Auf diesem Weg werden wir erkennen, dass wir der Punkt im Universum sind, an dem Gott [für uns] wahrnimmt und gleichzeitig seinen Willen äußert. Der Wille Gottes geht in die Richtung, dass unser Potential sich optimal entfaltet. Ich bin daher das Zentrum der Welt und der Maßstab aller Dinge – aber logischerweise nicht im Sinn von [egoistischer] Willkür, denn das Beste für mich kann ich nur erreichen in Harmonie mit dem Ganzen, und das ist so für alle, für jeden an seiner Stelle. Und weil wir von Haus aus fühlende Wesen sind [die nach innen und nach außen gleichzeitig fühlen und auch noch gleichzeitig reagieren], geht unsere Entwicklung in Richtung Erfüllung unserer Wünsche.
Wir nehmen die Wirklichkeit wahr, um sie zu benützen und zu gestalten, eben beides im Sinn des Ganzen, ganz so, wie das ein Surfer macht.
Fühlen ist eben keine Einbahnstraße. Es geht ja um unsere Reaktion, die natürlich wiederum Reaktionen nach sich zieht – das Ganze ist also eine Art Konzert, in dem ein neues Bild entsteht, das dann das weitere Geschehen leitet, indem es sich nach gewissen Gesetzen [„the laws of form“] entwickelt, wobei wir [also unsere Form] natürlich an seiner Entwicklung beteiligt sind, weil wir es ja wahrnehmen und gestalten.
Indem wir dem Fühlen folgen, so wie „er“ selbst (die schöpferische Kraft, aus der das Universum hervorgegangen ist, wie oben beschrieben) von Anfang an ausschließlich dem Fühlen folgt, werden wir „vollkommen wie unser himmlischer Vater“.
Zunächst scheint in „seinem“ Fühlen viel unbewusst zu bleiben, doch es drängt auf allen Ebenen mit Macht zur Bewusstheit, deshalb die Evolution.
Wenn ein Mensch „dem Geist“ folgt, ist das Fühlen bewusst geworden, dann ist Gott zu sich selbst gekommen und wir in ihm. [Womit ich natürlich nicht sagen will, das Fühlen auf einer anderen Ebene der Existenz, der Elektronen etwa oder der Photonen oder eines Tieres oder einer Pflanze, sei nicht göttlich oder weniger wert als das eines bewussten Menschen.]
Selbst das Fühlen irgendwelcher „Scheusale“, kann nicht als minderwertig eingeschätzt werden. In diesem Fall erreicht es aber nicht die tiefstmögliche Tiefe, weil die umfassende Bewusstheit fehlt; deshalb formuliert es eben nur den Schatten in seiner tiefsten Tiefe, schafft aber nicht den Sprung ins Licht, zumindest noch nicht. Aber es macht Erfahrungen, es macht letzten Endes die Erfahrung der Vergeblichkeit all seiner Bemühungen „für“ sich selbst und stößt damit schmerzhaft an die Grenzen seines Horizonts voll ‚Sehnsucht nach Überwindung des Schmerzes.
Und deshalb brauchen wir uns auch angesichts äußerster Gräuel um die Existenz des Universums keine Sorgen machen.
Wenn selbst die Elektronen fühlen, wird schließlich alle Welt im Sinn des Ganzen reagieren, nämlich im Sinn einer Lösung auftretender Probleme. Sicher auch so wie im biblischen Fall des intendierten Opfers Isaaks, wo sich ein Widder zur Verfügung stellt. Oder auch wie im Fall medizinischer Wunder. Da dringt eine Form der Kommunikation in Bereiche vor, die dem Zugang gewöhnlicher Betrachtung verschlossen sind.
Auf dem Weg der Aufklärung der Widersprüche ist es ja zunächst oft ein Irrtum, vielleicht sogar ein Wahn, der als „die Realität“ erscheint, als „Maya“. Und es ist gar nicht anders möglich [und daher kein Fehler], als dieser „Maya“ zu folgen, denn Maya ist das Einzige, was uns zur Verfügung steht. Alles was an diesem Punkt nötig ist, ist Konzentration und daraus folgend die Kommunikation des Gefühlten. Es geht also nur darum, das was uns gegeben ist, zu 100% ernst zu nehmen, also in diesem Fall, Maya ernst zu nehmen. Nur indem wir einen Irrtum ernst nehmen, kann er sich aufklären. Abrahams Idee, seinen Sohn zu opfern war natürlich ein Irrtum, ein Wahn, aber genau indem er ihm folgte, klärte sich der Irrtum auf – und nicht nur für ihn, sondern auch für unzählige Generationen nach ihm. Dieser Akt des Gehorsams, dieses dem für wahr gehaltenen Irrtum Folgen löste einen Schritt der Evolution der Bewusstheit für die ganze Menschheit aus. Dafür ist Abraham ein Beispiel, nicht für die Wahrheit seiner Vorstellung. Diese war Maya, doch durch seinen Gehorsam gegenüber Maya hat Maya sich aufgelöst. Und genau so löst sich auch das Ego (und jede Form der Sucht) nicht dadurch auf, dass wir es (sie) bekämpfen, sondern indem wir dem Gegebenen folgen und indem wir die Folgen fühlen und uns durch sie bewegen lassen. So klärt sich Maya und so korrigiert sich für uns unser eigener Lebens-Kurs.
Durch sein Fühlen hatte die Welt Erbarmen mit Abraham und ein Widder stellte sich als Opfer zur Verfügung, so wie sich später Jesus zur Verfügung gestellt hat zur Auflösung des spezifischen religiösen Wahns seiner Zeit.
Und Abraham hat sich von seinem Erlebnis bewegen lassen. Er ist abgerückt von seiner Vorstellung und er hat die Wirklichkeit ein Stück tiefer gefühlt. Das ist es, was „dem Geist folgen“ bedeutet. Und das ist auch das „Folgen“, das das I Ching im Hexagramm II beschreibt. In ihm liegt „die Kraft aus dem Nichts“ des Buddhismus. Indem wir „uns“ herausnehmen [= auf unsere kleine Perspektive verzichten] und [dem, was uns gegeben ist] folgen finden wir uns selbst. Das ist das Wunder. Ein Wunder der Dialektik, der Dialektik der Schöpfung – oder besser: der Dialogik. Es geschieht ja ein Dialog zwischen den Polen. Diesen Dialog zu fühlen legt uns die Welt zu Füßen – nicht im Sinn einer Weltbeherrschung, sondern im Sinn des Dienens, des der Welt Dienens. Das ist dem Geist folgen und höchste Selbstverwirklichung in einem.
Hingabe des eigenen Selbst und alles dafür gewinnen, das All gewinnen, indem Du eins mit ihm wirst. Da darf nichts mehr dazwischenstehen zwischen uns und dem All. Dann werden wir aus dem Nichts gespeist mit dem All. Dann ist unser Handeln nicht mehr „Tun“, sondern „Nicht-Tun“, wie Lao tse es sagt – und auch Castaneda.
Jesus sagt, es ist möglich, doch – wer möchte schon sein Schicksal? Es lohnt sich, ein wenig genauer hinzusehen: Sein Schicksal ist das Schicksal eines Samurai, Harakiri in Vollendung. Die Samurai hielten diese Art zu leben auch für möglich. Das war ihr Geist.
In allen Völkern gibt es diese Weisheit, aber bei uns ist diese Weisheit verdeckt worden durch Formeln und Gesetze [durch eine Wiederrichtung „des Gesetzes“ ganz gegen die Intention des Stifters]. In seinem Kern, gemäß ihrem Stifter und vieler seiner Nachfolger ist das Christentum eine Samurai-Religion. Alles andere ist ein Missverständnis, ein Aberglaube, also ein Glaube, der nicht zu diesem Geist der Freiheit führt, sondern unter die Diktatur des beschränkten menschlichen Geists, des Brauchtums, also in eine Form von Sklaverei, eine Sucht, nämlich danach, die Verantwortung abzugeben, und damit in Unbewusstheit stecken zu bleiben. In diesem Fall hat die Trägheit gesiegt, „der Abgrund“ – dessen Ansicht dann aber doch wieder das göttliche „es werde Licht“ provoziert.
Das Gesetz und die Freiheit
Abraham, Jesus, Sensitivität
und unsere Gotteskindschaft
8. 11. 2002
Was Abraham entdeckt hat, war die Lüge der Religion.
Zu seiner Zeit war es die Religion der Antike, die ursprünglich auch einmal aus einer gewissen Sensitivität entstanden ist, die zu dieser Zeit aber zu einem unsensiblen starren Regelsystem verkommen war, das nur noch Aberglaube war. Abraham erkannte das und er entdeckte die unmittelbare Wahrnehmung dessen, was richtig ist, erneut. Er entdeckte dadurch in sich eine unmittelbare Führung und diese Führung bestand nicht in einer "Stimme" wie bei den Schizophrenen [so missverstehen ja viele Psychologen und Psychiater die Phänomene, die die Bibel auch in Zusammenhang mit Abraham beschreibt], sie entstand einfach aus seiner Aufmerksamkeit, aus seiner Sensitivität. Er spürte sich und er spürte die anderen, er fühlte, wie es ihm selbst ging in Bezug auf alle seine Belange und er fühlte, wie es den anderen ging mit ihm und mit allen ihren Belangen. Die innere Führung, der er folgte, war also keine mysteriöse Führung "von oben", es war einfach unmittelbare Wahrnehmung.
Von dieser unmittelbaren Wahrnehmung hat er seinen Leuten erzählt. In ihr kommunizierte er mit seinem einen Gott, der lebendigen Kraft, die er als in allem und allen wirkend wahr nahm. Und es war daher sonnenklar für ihn, dass aus dieser Kraft, die alles belebt und treibt, die ganze Welt entstanden war.
In späteren Generationen jedoch wurde aus dieser Wahrnehmung ein Gesetz, weil die Menschen eine Anleitung wollten und ihnen auffiel, dass sich sensitive Menschen auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, dass sie nämlich nicht töten, nicht ehebrechen etc. und diese Beobachtungen haben sie aufgeschrieben, doch damit begann bereits der Verfall der "Religion", denn mit diesen Anleitungen begann die Gefahr, sich von diesen statt von der wahrgenommenen Realität leiten zu lassen, die Lehre nicht mehr als Anregung zu betrachten, als Hilfe im eignen Forschen, sondern als blinde Regel; die Rückbeziehung auf das Wahre wurde so nach und nach zum Zwang und dieser Zwang wurde dann für das Wahre gehalten. So entstand das Zeitalter des Gesetzes.
Zunächst war es zudem auch noch so, dass die religiösen Führer erkannten, dass die unbewussten Massen nur durch Zwang einigermaßen im Zaum gehalten werden konnten [wie Tierrudel ja auch durch die überlegene Kraft ihrer Rudelführer in eine funktionierende Struktur gezwungen werden – letzten Endes zum Wohle aller], das war also auch noch im Sinn der ursprünglichen Erfahrung; dann aber haben die religiösen Führer selbst vergessen, worum es ging und dann haben sie auch selbst das Gesetz für „die ganze Wahrheit“ gehalten. Und damit war die Zeit des Verfalls der Religion gekommen, denn das Gesetz ersetzte nun die Sensitivität.
Jesus hat die Sensitivität wiederentdeckt. Dadurch dass er sie fühlte, konnte er die Menschen heilen. Genau dadurch, dass er fühlte, war er frei vom Gesetz und wiedergeboren. Er hatte diese ganz andere Art des Lebens wiederentdeckt, die des unmittelbaren Fühlens dessen, was ist. Daher brauchte ihm niemand sagen, wie er sich zu verhalten hatte, er verhielt sich ohnehin mitfühlend. Er brauchte kein
Gesetz, das ihm das sagte. Er entsprach der Essenz des Gesetzes präzise. Seine Sinne führten ihn – die Sinne, die die schöpferische Kraft ihm gegeben hatte, "der Vater". Was die Priester sagten, war für ihn daher nicht nur kalter Kaffee, es war ein abscheulicher Zwang, der nicht geeignet war, das zu erreichen, was vom ursprünglichen Gesetz, also von der ersten Kodifizierung, den ersten Niederschriften über das Verhalten von Leuten, die ihrer Sensitivität folgten, beabsichtigt war. Deshalb trat er gegen die zwanghaften Gesetzeshüter auf. Deshalb verspottete er sie gelegentlich sogar – obwohl er das Gesetz selbst als die kondensierte Erfahrung der Vorfahren schätzte – weil sie so vollkommen uneinfühlsam waren und doch glaubten, alleine recht zu haben, alleine die Wahrheit zu verkörpern, von der sie doch so meilenweit entfernt waren, da sie ohne zu fühlen die Menschen dem Gesetz unterwerfen wollten und nicht sehen konnten, dass es nur als eine Hilfe gedacht war und nicht als Zwang.
Auch wir, wenn wir Jesus nachfolgen wollen, wenn wir "wiedergeboren" werden wollen, brauchen das Gesetz nicht ablehnen, wir müssen nur, wie er, wissen, dass es eine Phänomenologie ist und nicht "die Wahrheit". Wir können es achten, aber wir müssen wissen, dass es nur gedacht ist für unsere „Hartherzigkeit“, für unsere Holzköpfe, weil und so weit auch wir selbst nicht fühlen und uns daher gesagt werden muss, was richtig ist. Diejenigen aber, die selbst fühlen, fühlen es und niemand braucht es ihnen zu sagen.
Menschen, die fühlen, nehmen mit allen Sinnen wahr, mit allen ihren menschlichen Fähigkeiten, einschließlich des Verstandes. Sie hören den Menschen zu, mit denen sie es zu tun haben, sie sehen sie an, versetzen sich in sie hinein – und sie achten auch auf die Erfahrungen ihrer Vorfahren, beziehen sie in ihr Fühlen ein.
Es ist von da her ganz klar, dass Menschen, die aus ihrem Fühlen heraus leben, ein ganz anderes Leben führen als die, die einem Gesetz folgen, ganz klar, dass sie viel lebendiger sind, viel unmittelbarer. Das ist der Grund, warum gesagt worden ist – und sie haben es von sich selbst gesagt – dass sie gewissermaßen "wiedergeboren" worden sind, dass für sie ein ganz neues Leben angefangen hat, dass sie jetzt ein völlig unmittelbares und reales Leben führen, im Vergleich zu dem alles Vorhergehende, nur unechter Schein war.
Und damit sind sie echte „Kinder Gottes“ geworden. Und zwar genau in dem Sinn, in dem Jesus „Sohn Gottes“ genannt wird. Von da an folgen auch sie dem Vater. „Der Vater“, der Schöpfer, der Erhalter, der Evolutor, der Bewusstmacher, ist ja der Fühlende schlechthin. Als seine Kinder fühlen sie auch und auch sonst werden sie dem Vater gleichförmig. Das bedeutet „Kind Gottes“ sein, also das, was der Evangelist Johannes meint, wenn er sagt, „er gab ihnen die Macht, Kinder Gottes zu werden“ und das, was Jesus meint, wenn er sagt „wenn eure Gerechtigkeit nicht größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer …“ und „seid vollkommen wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“. Bei einem fühlenden Menschen sind diese Bedingungen erfüllt, durch ein Gesetz können sie niemals erfüllt werden.
So ist die Gottessohnschaft Jesu zu verstehen. Der hellenistisch inspirierte Mythos vom universell einzigen Sohn Gottes war gut für den jetzt zu Ende gehenden hellenistischen Äon. Er drückte das für die Menschen dieser Kultur richtig aus. [Es ist wichtig, zu sehen, dass alle Dogmen einer Religion ihren richtigen Sinn haben, dass das aber nicht ein Sinn ist, der für ewige Zeiten gilt, sondern für eine bestimmte Kulturstufe, in einer weiteren muss der Sinn neu ausgedrückt werden, damit er wieder verstanden werden kann.] Heute muss der Mythos, den die Muslime und die Juden schon seit je her ablehnen, daher zurückgeführt werden auf die Realität von der universellen Einzigartigkeit eines jeden Kindes Gottes, weil unsere Kulturstufe diese anderen Religionen mit einbeziehen muss.
Der Mythos macht eine wahre Nachfolge ohnehin unmöglich, weil dann ja der wesentliche Teil der Gotteskindschaft, nämlich die göttliche Natur fehlt. Wenn die Christen daher ihre Vergötzung des Menschen Jesus auf diese Weise loslassen und zurückführen auf die dahinter liegende Realität, können auch die Muslime und die Juden sich wieder auf das Wesentliche besinnen und ihre Vergötzungen loslassen.
Alle können zurückkehren zum Fühlen. Keiner braucht das zu fürchten. „Fühlen“ bedeutet ja Fühlen, also Mitgefühl mit sich und mit den anderen. Was sollte da verkehrt sein? Es ist der Idealfall und entspricht dem Gesetz voll. „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“, heißt es ja schon bei den Propheten (Hos 6,6 und Amos 5,21).
Es ist außerdem klar, dass ein mitfühlender Mensch lösungsorientiert ist und dass bei seinen Lösungen alle profitieren.
Die vier Lebensziele der Hindus
Ein klarer Wegweiser
auch für uns
23. 11. 2002
1. Das erste Lebensziel ist die Lust.
Auf der Stufe der Lust ist Lustverzicht unmöglich, weil die Lust immer Priorität hat. Daher gibt es auf dieser Stufe keinen Erfolg, denn Erfolg setzt immer temporären Lustverzicht voraus. Daher herrscht auf der Stufe der Lust immer Elend und Frust. Die Menschen auf dieser Stufe machen meist Gott oder die oberen Gesellschaftsklassen verantwortlich für ihren Frust, dass es an ihnen liegen könnte, können sie sich nicht vorstellen. Früher ist die unterste Kaste mit diesem Lebensziel identifiziert worden, heute auch.
Wenn jemand die Beschränkungen, die dieses Lebensziel mit sich bringt bemerkt, hat er die unterste Stufe im Evolutionsprozess der menschlichen Bewusstheitsentwicklung bereits durchschritten. Er ist bereit für die nächste Stufe, für den Erfolg.
Dabei ist es wichtig, festzuhalten, dass die Tatsache, dass sich jemand auf der untersten Stufe der menschlichen Evolution befindet, kein Werturteil rechtfertigt. Ein Mensch, der in diese Kaste hineingeboren wird, kann nichts dafür; von klein auf lernt er nichts anderes kennen, als den Horizont dieses Lebensziels. Eine gewaltige Anstrengung ist erforderlich, um die Kastenschranke zu durchbrechen und jemand, der das schafft, ist persönlich natürlich viel höher zu bewerten, als einer, der in die oberste Kaste hineingeboren worden ist und in ihr verbleibt, also keinen weiteren Evolutionssprung vollzieht.
Sobald jemand die ihm nächstgelegene Kasten(=Klassen)grenze überschreitet, kennt er den illusionären Charakter sämtlicher Kastengrenzen und er steht gewissermaßen außerhalb des Kastensystems – in dem er aber natürlich doch jetzt lebt und dessen Regeln für ihn zu den realen Ausgangsbedingungen seines weiteren Lebens gehören.
2. Das Lebensziel Erfolg
Wenn jemand glauben kann, es sei möglich, Erfolg zu haben, ist er gleichzeitig auch bereit, auf eine gewisse Menge Lust zugunsten dieses Ziel zu verzichten. Das Ziel „Lust“ beherrscht ihn nicht mehr. Jetzt beherrscht ihn das Ziel „Erfolg“. Er tut alles für den Erfolg, bis hin zur Selbstaufgabe. Aber der Erfolg ist sein Horizont. Weiter kann er nicht sehen. Früher sind mit dieser Stufe besonders die Bauern, Handwerker und Händler identifiziert worden, heute müssen natürlich alle dazugerechnet werden, für die es eine Karrieremöglichkeit gibt.
Auch hier braucht es einiges, die Beschränkung zu sehen, die dieses Lebensziel bedeutet. Jemand muss schon sehr oft erlebt haben, dass das Erreichen eines Erfolgs keine lange Zufriedenheit bewirkt, weil sich das Hochgefühl schnell abnutzt und dann braucht es schon wieder den nächsten Erfolg und den nächsten usw.. Sobald jemand die Beschränktheit, die dieses Lebensziel mit sich bringt, erkennen kann, kann er auf der Leiter der menschlichen Evolution wieder eine Stufe aufsteigen.
Natürlich gilt auch hier, was ich schon zuvor sagte, dass die Höhe der Stufe kein Werturteil rechtfertigt, jede Stufe ist notwendig, die Entwicklung vollzieht sich Schritt für Schritt, kein Schritt kann ausgelassen werden.
Was könnte nun aber die Auflösung des Dilemmas sein, in dem sich ein Mensch befindet, der entdeckt, dass der Erfolg letzten Endes keine Zufriedenheit bringt? Es ist dieses bisher noch nicht gründlich beachtete Etwas, das es ihm bereits ermöglicht hat, dem Zwang zur Lust zu entkommen, die Pflicht.
3. Die Stufe der Pflicht
Auf der nächsten Stufe der menschlichen Bewusstheitsevolution, auf der Stufe der Pflicht, setzt sich die Einsicht durch, dass der Erfolg in vielem auch vom Zufall abhängt, dass ein Erfolg daher nicht dazu berechtigt, sich für gut zu halten und ein Misserfolg nicht unbedingt etwas damit zu tun hat, dass ein Mensch eben nicht so gut ist. Um diese neue Erkenntnis im Bewusstsein zu halten sagt Krishna in der Bhagavadgita „Widme die Früchte deiner Arbeit mir“, also kümmere dich nicht um Erfolg oder Misserfolg, tu einfach deine Pflicht.
Gesellschaftlich wird diese Erkenntnis mit den Priester-Kasten identifiziert und auch mit dem Militär. Spirituell begründet diese Erkenntnis die Stufe des Gesetzes. Und als diese wird diese Bewusstseinsebene auch bei den unteren Kasten propagiert – und ein gewisses Minimum wird gleichzeitig mit Gewalt durchgesetzt.
Die Priester und Gesetzeshüter sind immer in Gefahr, zu meinen, Ihre Stufe sei die höchste, oder auch nur, sie seien aufgrund ihrer Kastenzugehörigkeit etwas Besseres als die Angehörigen niedrigerer Evolutionsstufen. Diejenigen, die das glauben, sind, was ihren persönlichen Wert betrifft, einem großen Teil der Angehörigen einer niedrigeren Kaste unterlegen und auf jeden Fall unter dem Wert eines Menschen anzusiedeln, der die Schranken der Lust gerade durchbrochen hat, denn sie haben noch nichts durchbrochen, ihre Bewusstheit ist noch nicht an die Grenzen ihres Lebenszieles vorgestoßen. Sie stagnieren möglicherweise in ihrer Entwicklung und erweisen sich für den Evolutionsprozess als unbrauchbar.
4. Die Stufe der Freiheit
Diejenigen aber, die auf der dritten Stufe der menschlichen Evolution ihre Lektion lernen, nämlich die Grenzen des Horizonts der Pflicht zu erkennen, sind bereit für die nächste Evolutionsstufe, sie sind bereit für die Freiheit.
Durch die Pflicht haben sie gelernt, alles tun zu können. Sie sind nicht mehr unter dem Zwang der Lust und nicht mehr unter dem Zwang des Erfolgs und nun auch nicht mehr unter dem Zwang der Pflicht – was könnten sie also noch tun wollen? Durch ihr Training in den vorangegangenen Phasen haben sie gelernt, sich vollkommen anzupassen. Und diese Fähigkeit können sie jetzt benützen. Sie sind vollkommene Rezeptoren geworden für alle Impulse aus ihrem Inneren genauso wie für alle Impulse, die von außen kommen. Sie sind also zu einer zentralen Schaltstelle geworden. Sie werden nicht mehr beherrscht von subjektiven Süchten, sie sind jetzt fähig, eine allem übergeordnete Perspektive einzunehmen und daher sozusagen als „Bote Gottes“ zu handeln.
So sind sie jetzt keinem Menschen mehr unterworfen, sondern nur noch dem einen Ganzen, dessen unverfälschter Ausdruck sie geworden sind.
Kein Wunder, dass solche Menschen mit Titeln wie „Buddha“, „Avatar“, „Prophet“, „Messias“, oder sogar „Sohn Gottes“ bedacht worden sind.
Die Freiheit, die diese Menschen jetzt haben, ist, subjektiv betrachtet, gleichzeitig unendlich und gleichzeitig null. Unendlich deshalb, weil sie das, was sie jetzt tun wollen, zu hundert Prozent auch tun dürfen und können, null deshalb, weil das, was sie auf dieser Stufe natürlicherweise wollen, ja der bestmögliche Dienst am Ganzen ist.
Bemerkenswert für diese Stufe ist aber, dass die drei vorangegangenen Lebensziele erst jetzt vollkommen verwirklicht sein können. Zuvor hatte jede Befriedigung gleichzeitig ihren Pferdefuss, jetzt ist sie frei davon, aber natürlich ist sie nicht frei von dem Preis, den alles hat.
Der „Pferdefuss“ ist ja nur ein Zeichen der Unbewusstheit, was den Preis betrifft. Insofern schlägt da dann etwas unvermutet aus.
Auf der Stufe der Freiheit ist alles erlaubt, aber der Preis ist nicht mehr unbewusst oder unbekannt, sondern er wird freiwillig gezahlt. Und das ist jetzt eine Neuformulierung der Aussage des Paulus „alles ist erlaubt, aber nicht alles tut gut“, alles ist erlaubt, aber alles hat seinen Preis und der ist nun bekannt und der Mensch ist auf dieser Evolutionsstufe frei, ihn ohne Murren zu bezahlen oder zu verzichten. Moral kommt dabei nicht ins Spiel, sie spielt nur eine Rolle bis herauf zur Stufe der Pflicht. Diese Unterscheidung scheint dem Paulus noch nicht ganz klar gewesen zu sein.
Die Vier Lebensziele der Hindus können daher viel beitragen zum Verständnis des Christentums und aller anderen Religionen.
Erst auf der Stufe der Freiheit gibt es echte Spontaneität. Die Spontaneität a la Hollywood, die besonders den Unterklassen so imponiert, ist eine eingebildete Spontaneität. Menschen, die dieser Spontaneität folgen, sind einfach Sklaven ihres Triebs – die allerdings dadurch, dass sie diesem Trieb unbedingt folgen, schon von da her ganz natürlich an die Grenzen des Horizonts der Lust geführt werden.
Die Gefahr der Stagnation [und damit des Nichtbestehens der Prüfung des Lebens] betrifft daher [nicht diejenigen, die das Gesetz nicht erfüllen, sondern] vor allem die Menschen, die, egal auf welcher Stufe der Evolution, sich fernhalten von den Grenzen, die dem Auftrag ihres jeweiligen Horizonts nicht wirklich folgen, die sich eben immer und überall zurückhalten, die ihr ganz persönliches Wesen eben nicht zum Ausdruck bringen, die Gott [ihren Ursprung] also nicht respektieren, weil sie nicht vertrauen, weil sie ihr Talent vergraben …
Der Weg der Evolution der menschlichen Bewusstheit beginnt mit der Frage: „Wessen Sklave bin ich, in welchem Netz von Verstrickungen befinde ich mich, was zieht mich, was schiebt mich, was hindert mich?“ Wenn diese Frage entsteht, ist das Überschreiten der nächsten Grenze nicht mehr weit. Die vier Lebensziele der Hindus sind ein gutes Werkzeug, um auf diese Frage zu stoßen und jede Stagnation zu überwinden.
Zu 1Kor 15,28
22. 12. 2002
„Wann ihm das All
aber unterworfen wurde, dann wird der Sohn selbst sich dem unterwerfen, der ihm
das All unterwirft, damit Gott alles in Allem sei.“
Paulus bringt einfach auf den Punkt, worum es geht.
Er sagt, zuerst muss sich der Christus durchsetzen, dann wird der Christus sich unterwerfen.
Das bedeutet, zuerst muss unsere innere Natur siegen, dann können wir uns unterwerfen, denn – „der Christus“, das ist die in Gen 1,26 erklärte göttliche Abkunft des Menschen, also unsere wirkliche Natur. Unser Leben ist der Beweis dafür, denn – in der Lebenseinstellung, die auf diesem Bewusstsein beruht, finden wir unsere tiefste Identität, unser wahres Ich, das Ziel unserer Sehnsucht.
Außerdem erkennen wir in der Beleuchtung des Kontrasts zwischen unserem Ist-Zustand und dieser Sehnsucht unsere sonst verborgenen Abhängigkeiten. In der Bibel [und im Koran] wurden diese Abhängigkeiten als Ursache allen Übels ,,Götzendienst“ genannt, heutige Therapeuten sprechen von nicht bewusst wahrgenommenen Abhängigkeiten und daher von einem zu erhellenden Unbewussten.
„Der Christus“ ist demgegenüber der menschliche Kern, der zum Vorschein kommt, wenn alles Unbewusste aufgeklärt ist. Wenn ein Mensch also unbehindert von unbewussten Blockaden seiner Natur folgt, erscheint er als „ein Christus“ in seiner natürlichen Menschlichkeit und Menschenfreundlichkeit. Wenn alle Ressentiments abgebaut sind, dann kommt diese unsere natürliche Natur [im Gegensatz zu der durch unsere behindernden Umstände angenommenen Natur] zum Vorschein, die Art Natur, die auch die Natur Jesu war, die Natur, die unser „himmlischer“ Vater uns gegeben hat, also die „Form“, die die schöpferische Kraft in unserer Art angenommen hat.
Diese Natur kommt nicht zum Vorschein durch irgendwelche Moral oder durch sonstigen Zwang, sondern nur durch Sensitivität, also durch Bewusstheit und durch die Absicht, es gut zu machen und nicht überrascht zu sein über Fehler.
Fehler sind ganz normal. Wir lernen über Versuch und Irrtum. Wir müssen den Versuch aber erst mal wagen – und welchen Versuch? Den Versuch, es gut zu machen, effektiv zu sein, das zu erreichen, was wir intendieren. Dazu natürlich dürfen wir nicht mehr zwanghaft unseren unbewussten, einprogrammierten Mustern folgen. Wir müssen [immer] imstande sein, neu zu prüfen, was jetzt effektiv sein könnte, wir müssen also aufmerksam sein, das heißt bewusst.
Wenn jemand sagt, das ist mir zu anstrengend, ich will lieber einen leichteren Weg gehen, dann brauchen wir ihn nicht zurückhalten, dann muss er erst die anderen Erfahrungen machen, vor allem Erfahrungen des Scheiterns. Nur diejenigen, die bereit sind [entweder weil sie diese Erfahrungen schon gemacht haben oder weil sie aufgrund günstiger Umstände von vornherein vertrauen], können die Worte hören. Die anderen glauben es noch nicht, sie müssen erst die Erfahrungen machen, die sie lehren, zu hören, denn nur darum geht es.
In der Lebenspraxis dieses Weges geht es daher um Hören und in der Konsequenz des Hörens dann logischerweise darum, dem Gehörten zu folgen – also Wünsche zu erfüllen, am besten natürlich Wünsche, die erst geahnt werden, die also noch gar nicht an die Oberfläche gedrungen sind. Diese Wünsche des Anderen zum Bewusstsein zu bringen und sofort in einer positiven Weise zu beantworten, das ist der Weg. Auf diesem Weg gewinnen wir den Anderen, auf diesem Weg werden wir, wie Jesus es gesagt hat, zu „Menschenfischern“.
Wenn wir eine Lösung erreichen wollen, dann müssen wir als Gelöste handeln, und das bedeutet eben, dass wir den anderen gewinnen, in jedem Moment neu. Wir können ihn nicht mit alten Formeln gewinnen, obwohl die natürlich auch dabei sein dürfen, weil sie ja zu unserer Geschichte gehören, aber wir müssen sie doch jetzt neu auf die gegenwärtige Situation anwenden. Als Gelöste leben bedeutet, in der Hingabe leben, die aus der Bewusstheit hervorkommt, aus dem Wahrnehmen dessen, was wir wollen und was der andere will.
Die Wünsche des Anderen erfüllen, heißt aber nicht, ihnen zwanghaft (aus einer Moral oder aus einem anderen Zwang heraus) nachzugeben [das wäre, was heutige Therapeuten „Ko-Abhängigkeit“ nennen], sondern ihnen nur so weit nachzugeben, wie dies auch dem eigenen, von einer übergeordneten Perspektive aus wahrgenommenen Lösungsbild entspricht; es geht ja um eine Einigung, nicht um Zwang, und daher natürlich auch nicht darum, sich dem Zwang eines anderen zu unterwerfen, sondern dem anderen immer nur so weit entgegenzukommen, als es auch der eigenen Sehnsucht entspricht oder der eigenen Einsicht in die unvermeidlichen Kosten eines Unternehmens und sei es des Unternehmens, mit seiner Partnerin zu sprechen.
Wir müssen überlegen, welcher Einsatz was bringt und dann natürlich das tun, was in seinem Effekt unserer Intention entspricht, was die Kommunikation also vertieft, bewusster macht, auf den Punkt bringt. Wenn wir effektiv sein wollen, dürfen wir natürlich nicht verletzend vorgehen [außer wir würden klar sehen, dass das in diesem Moment angebracht (= effektiv im Sinn unserer Intention) ist], nicht mit Vorwürfen irgendeiner Art, sondern den Standpunkt des anderen einnehmend, verstehend, auch eingedenk der eigenen Fehler und Schwächen. Das bedeutet natürlich aber auch, dass wir dem anderen sagen, wenn wir verletzt sind durch etwas, was er/sie getan hat.
Das wiederum macht eine Unterwerfung notwendig unter die mögliche Folge, dass unser Eingeständnis der eigenen Schwäche zum Angriff gegen uns benützt wird. Nur werden wir jetzt auf einen Angriff anders reagieren, nicht mehr durch einen Gegenangriff [zu dem uns möglicherweise außerdem die Kraft fehlt, wie in allen Fällen des Mobbing], sondern eben durch Verstehen, durch ein Eingehen auf uns selbst und auf den anderen, damit ein möglicher Ausgleich der Interessen entstehen kann. Ziel ist natürlich nicht ein fauler Kompromiss, sondern ein sich Einigen wie bei einem Handel unter Gleichen, ich geb dir das, du gibst mir das. Das bedeutet „Respekt“ vor der göttlichen Erscheinung des Anderen.
Der Ausgleich steht allerdings erst am Ende der persönlichen Entwicklung, zunächst stehen wir in der Bringschuld, denn um jemand zu gewinnen, müssen wir in Vorleistung treten. Und damit wir dazu fähig werden, müssen wir uns als erstes mit unseren eigenen Abhängigkeiten auseinandersetzen, sie erst überhaupt einmal erkennen. Damit erledigen sich unsere Vorwürfe gegen die Abhängigkeiten des Anderen von selbst. Und das wird uns sehr helfen, denn, so sehr wir uns über den Anderen vielleicht ärgern mögen, Vorwürfe bringen einfach nicht das Ergebnis, das wir erreichen wollen, sie bringen nur Abwehr. Wenn wir etwas erreichen wollen beim Anderen, können wir das nur, indem wir diese Abwehr umgehen, indem wir uns aller Urteile über ihn enthalten und dann uns ihm zeigen. Nur damit können wir ihn gewinnen. Das, diese Bescheidenheit und Ehrlichkeit, dieser Mut zur Schwäche, ist das Neue, das jetzt die Beziehung charakterisiert. Es geht um ein klares Angebot und um eine klare Nachfrage. Uns muss klar sein, dass wir etwas bieten müssen, wenn wir etwas wollen und dass wir es zuerst bieten müssen. Erst dann können wir nach etwas fragen und selbst um etwas bitten. Das gilt auch in Notfällen, also wenn wir nichts zu bieten haben und nur Hilfe brauchen. Auch da müssen wir unsere Bitte anbieten [die ja wie ein Schuldschein ist] und uns einem möglichen Nein aussetzen.
So sieht Bewusstheit praktisch aus.
Und dadurch, dass wir mit unseren Beziehungen jetzt auf diese Weise bewusst umgehen, werden wir menschlich. So wird der Christus in uns lebendig und er fängt an zu herrschen. Und wenn er alles beherrscht, dann unterwirft er sich selbst dem Herrscher des Alls, damit dann Gott alles in allem sei.
Die schöpferische Kraft hat natürlich seit je her immer und überall geherrscht und es gibt in der Wirklichkeit nichts, wo sie nicht herrscht. Aber wir haben die Fähigkeit, uns für die Wirklichkeit blind zu machen und uns einzubilden, selber zu herrschen. Doch dann geraten wir in Widerspruch zur universellen Herrschaft der schöpferischen Kraft und sie wird uns unweigerlich durch frustrierende Erfahrungen schmerzlich lehren, unsere Illusion zu durchschauen.
Jesus ist deshalb der exemplarische „Christus“, weil er in exemplarisch reiner Weise den Herrscher herrschen hat lassen. Dadurch ist er der Archetyp des Menschseins geworden, später als der einzige „Sohn Gottes“ oder gar als „Gott selbst“ missverstanden [obwohl die Aussagen auch ihre berechtigte Bedeutung haben, denn wenn unsere Illusionen weg sind, dann ist unser Handeln etwas Göttliches]. Aber nur als Archetyp kann er der Typ sein, dem wir gleichförmig werden wollen in unserer Einstellung dem Leben gegenüber. Und nur so können wir entdecken, dass dieser Typ [der Typ der nicht herrscht, sondern folgt] unser eigener Typ ist, unsere innerste Sehnsucht.
Erst in dieser Art Leben können wir wirklich loslassen und uns entspannen und gleichzeitig zupacken, wenn es nötig ist, denn dann hält uns nichts mehr fest, dann sind wir direkt in der Spur des Göttlichen und unser Handeln ist nicht mehr vermittelt durch unsere Urteile über „gut“ und „schlecht“, die laut Gen 2,17 ja die Ursache sind für unser Unglück.
Logisch, dass wir dann auch mehr von dem erreichen, was wir wollen [weil wir damit den Sündenfall rückgängig gemacht haben und wieder ins Paradies zurückgekehrt sind] – aber es ist nun nicht mehr das, was wir vorher wollten, „Gott“ hat ja nun die Zügel in der Hand, wir haben sie „ihm“ übergeben.
„Ihm“, „Gott“? Wer soll das sein? Es ist das Leben, es sind die Situationen, in denen wir stehen. In diesen Situationen begegnet „Er“ uns von außen. Nur da gibt es einen „Nächsten“, der kein Gedankenobjekt ist, sondern ein realer Mensch. Wenn wir ihn respektieren, werden wir alle Wesen so gut wie möglich bedienen, und damit werden auch wir selbst so gut wie möglich gut bedient werden.
„Gott herrscht“ bedeutet, dass wir uns an die Situation hingeben, in der wir stehen, in jedem Moment neu, dass wir unser Gegenüber als etwas Göttliches sehen, in normaler Sprache als einen ernstzunehmenden Menschen, der leben will, so wie wir auch, und der eben auch nur kriegen kann, was wir ihm geben oder was andere ihm geben. Und was will der Andere? Letzten Endes das Gleiche wie wir, nämlich dass seine Sehnsucht Erfüllung findet. Wenn wir uns daher gegenseitig Sehnsüchte erfüllen können, dann bringt uns das den Himmel auf die Erde. Wenn Gott also herrscht, dann leben wir im Paradies.
Unter diesem Aspekt müssen wir werben für das, was wir wollen und uns dann freuen, wenn wir es bekommen, es als Geschenk sehen – und daher nicht frustriert sein, wenn wir es nicht bekommen, wenn das unverdiente Geschenk also ausbleibt. Wir haben keinerlei Anspruch. Wir brauchen aber auch keine Angst haben, dass unsere Not nicht gewendet wird, denn wenn wir uns trauen, zu sagen, was wir möchten und bereit sind, den Preis zu bezahlen, werden wir, so gut es nur geht, unsere Wünsche erfüllt bekommen. Unsere Chancen sind dann also optimal. Und wir brauchen auch keine Angst haben, unsere Bedürftigkeit und unsere Mängel zu äußern, denn wir wissen: Jeder hat Wünsche und jeder hat Fehler, beides ist ganz normal und unvermeidlich. Aber wichtig ist, dass wir zu dem stehen, was da ist, dass wir unsere Fehler also auch zugeben, besonders, wenn sie uns vorgeworfen werden. – Wenn wir den anderen gewinnen wollen, müssen wir wissen, wir haben keine Kontrolle über den Anderen. Wir können daher auch Vorwürfe und ungerechte Behandlungen nicht verhindern, wir können uns nur an unsere eigene Neigung zu verletzen erinnern und verstehen, dann haben wir eine Chance. Dann können wir den Anderen gewinnen. Es gibt nur diesen einen Weg. Alles andere führt nur zur Frustration. Jeder Zwang hat seinen Teufelsfuß. Frieden gibt es nur durch Übereinstimmung. Die muss erreicht werden. Und wir müssen damit anfangen. Das ist die Regel.
Unter dieser Regel müssen wir laufen wie in einem Wettkampf. Wir müssen so laufen, dass wir siegen. Das meint Paulus. Das ist angewandte Bewusstheit.
Genau so ist auch Jesus mit den Menschen umgegangen. Er hat ihre Sehnsucht gefühlt und er ist ihr entgegengekommen.
Damals gab es viele individuelle körperliche Heilungen, heute ist vielleicht auch noch eine andere Art von Heilung gefragt, und sie wird dadurch möglich.
In dieser Bewusstheit hat ein neues Leben für uns schon begonnen; es ist das göttliche Leben, es ist unser zweites Leben, unsere Wiedergeburt zu Lebzeiten.
Was ist nun aber mit dem von Paulus auch angesprochenen „Leben nach dem Tod“?
Wenn wir in dieser Bewusstheit nicht nur durchs Leben, sondern auch in den Tod gehen, dann kann es durchaus sein, dass wir bewusst in ein anderes Leben gehen, dass wir durch den Tunnel des Todes hindurch bewusst bleiben. Und sollten wir unser Bewusstsein verlieren, wie im Schlaf, dann könnte es darauf ankommen, dass wir bereits vorher in unserem Leben genug Übereinstimmung gefunden (= erzeugt) haben, dass wir damit zufrieden sein können, sodass wir unser Leben nicht bereuen müssen. Und wir werden es sicher nicht bereuen müssen, wenn wir an uns gearbeitet haben, egal in welchem Stadium wir ausgeschieden sind, denn dann werden wir von der göttlichen Kraft wissen und davon, dass sie unser Wesen ist, das uns niemals im Stich lassen kann.
Die einen werden also möglicherweise sehenden Auges überwechseln in die andere Dimension eines anderen Lebens, die anderen werden vielleicht von der Kraft transponiert werden und dann feststellen, dass es genau richtig war, wie wir jetzt auch feststellen können, dass unser Schicksal uns genau angemessen ist.
Aber wir brauchen ein Leben nach dem Tod nicht dogmatisieren. Wir können auch mit denen in Frieden leben, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben mögen. Für sie gilt natürlich dieselbe Regel. Wenn sie so sensitiv wie möglich werden und bewusst, dann wird ihr Leben so reich wie möglich. Daher ist es für dieses Leben egal, ob einer an ein Leben nach dem Tod glaubt oder nicht. Für einen, der jetzt richtig lebt, ist es tatsächlich egal, ob es ein solches Leben nach dem Tod gibt, denn sein Einsatz ist doch schon in diesem Leben optimal. Befriedigend ist ohnehin nur das Leben eines Samurai, also die Art des Lebens, wie Jesus es geführt hat. Schon im Leben ist das Leben Jesu ja unübertrefflich, nicht weil er so gut war, sondern weil er durch sein Fühlen und durch seine Unterwerfung Gott gleichförmig geworden ist. Er war eins mit der Kraft, ein Meister des „Kung Fu“, der innersten Wahrheit. Was könnte besser sein? Nur so sind wir vollkommen, wie unser himmlischer Vater vollkommen ist [der es regnen lässt über Gute und Schlechte].
„Gott folgen“ heißt, an der Stelle, an der wir stehen, uns dem Leben aussetzen; im Vertrauen auf die stets gegenwärtige schöpferische Kraft so handeln, dass das Beste dabei herauskommt, so wie Jesus es auch gemacht hat.
„Ihn hat es das Leben gekostet“, könnten wir denken – aber wir sind nicht er. Uns muss es daher nicht das Leben kosten. Abraham, der im gleichen Geist gelebt hat wie er, ist schließlich „alt und lebenssatt“ gestorben. Aber es wird uns in jedem Fall unser altes Ich kosten, denn das kann nicht mit uns überwechseln in die andere Dimension, denn in der anderen Dimension herrscht Gott. Und niemand kann zwei Herren dienen.
Das Ich ist der Götze – so scheint es allerdings nur, denn eigentlich ist es nicht unser wirkliches Ich, aber wir identifizieren uns eben mit den Götzen. In der Einbildung, für die wir uns halten, werden wir zu Sklaven unserer Abhängigkeiten. Wegen der Einbildung wollen wir sie ja nicht loslassen. Wenn wir sie aber loslassen, entdecken wir, dass wir etwas viel Besseres dafür bekommen, nämlich genau das, was wir ersehnen. Aber nun sind wir nicht mehr die Gleichen, denn das Ich, das sich in uns sehnt, ist unser göttlicher Kern, und im Bewusstsein vereint mit ihm sind wir nun in einem neuen Leben.
Der [recht verstandene] Glaube an den historischen Jesus ist deshalb [für die Christen] so wichtig, weil er sie auf diesen Weg führt. Sobald wir auf diesem Weg sind, sind wir selbst der Christus. Und der unterwirft sich freiwillig der schöpferischen Kraft, denn sie führt ihn am besten, viel besser als die besten Pläne eines noch so klugen Ich es könnten. Unter der Führung der schöpferischen Kraft entwickelt sich unser Weg organisch, nicht mehr durch Zwang, wie noch unter der Führung des Ich.
Zwang bedeutet, Beelzebub mit Beelzebub austreiben. Das ist nicht nötig, wir brauchen nur folgen, sensitiv werden, spüren, wahrnehmen. Dann ist unsere Reaktion schon richtig.
In dem Moment, in dem uns das alles bewusst wird, ist die Erleuchtung da – der Punkt der unio mystica ist erreicht. Dann gibt es nur noch eine Konsequenz: Hingabe an dieses Eine.
Ausgeliefert sein an dieses Eine ist, wie schon gesagt, nicht eine Frage der Faktizität, sondern nur eine Frage der Bewusstheit. Unterworfen sind wir ja ohnehin, warum also nicht freiwillig? Dann nämlich sind wir im Fluss – und frei.
Durch unsere Unterwerfung gewinnen wir die Freiheit, das ist das Paradox des Lebens. Deshalb sagte Lao-tse „es ist widersinnig den Wesen“, und deshalb kommen immer nur wenige dort hin, „die kleine Schar“, von der Jesus gesprochen hat, die beschränkte Zahl der Auserwählten in der Apokalypse. Aber deshalb bringt Jesus das Gleichnis vom Schatz und von der Perle. Für „diejenigen, die Ohren haben“, zahlt es sich aus.
Dass es nur um Bewusstheit geht, ist natürlich keine neutestamentliche Ausdrucksweise, aber „Bewusstheit“ bezeichnet in der Sprache unserer Zeit genau das, was Jesus oder Paulus intendieren.
Bewusstheit bedeutet das Sehen der Resonanz der Kräfte, der osmotischen Organisation des Kosmos. Bewusstheit bedeutet daher sehen, „wie Karma entsteht“, also sehen, dass eine künstliche [dem „gut“/“schlecht“ unterscheidenden Denken entspringende, nicht akzeptierende] Haltung und Handlung unerwünschte Nebenwirkungen hat. Nur das Folgen hat keine Nebenwirkungen, nur indem wir uns den Gegebenheiten unterwerfen und von diesen selbst bewegt werden, bleiben wir frei von Karma – eben wie ein Surfer sich der Welle zu 100% unterwerfen muss, damit er auf ihr reiten kann. Umso besser wir die Welle wahrnehmen, umso länger können wir oben bleiben und umso freier sind wir in unseren Bewegungen. So ist es mit allem. Deshalb: Unterwerfung macht frei.
Aber nun ist schon klar, dass es nicht um die Unterwerfung unter irgendeinen alten Aberglauben geht, sondern um die Unterwerfung unter die gegenwärtige Realität in ihrer ganzen Tiefe. Logischerweise geht es natürlich auch nicht darum, sich von irgendwelchen Realitäten wegschwemmen zu lassen, sondern sie zu benützen, wie ein Surfer die Welle benützt. Das braucht natürlich Sensitivität.
Sensitivität ist Bewusstheit. „Mitfühlen“ hat es der Buddha genannt. Die Nächstenliebe ist ein Prüfstein dafür, nicht als eine Leistung, als eine Moral, sondern als ein Zeugnis der Fähigkeit des Fühlens, als Bewusstheit. Sollte sich ein Mensch [durch Zwang] zur Nächstenliebe verbiegen, würde ihm das gar nichts helfen, denn er würde in seiner Unbewusstheit verharren, und der Pferdefuß würde sich zeigen, der Zwang würde sich rächen, wir würden uns rächen, entweder an den Anderen oder an uns selbst dafür, dass wir uns einem fremden Gott unterwerfen. Es geht daher in keiner Weise um Moral. Bewusstheit ist alles. Das ist der ganze Inhalt der Religion. Darin besteht der Christus und der Buddha, das allein macht einen Propheten, einen inspirierten Menschen, allein Sensitivität, Wahrnehmen, Bewusstheit.
Sensitivität ist uns möglich durch die uns angeborene Apparatur unserer Informationsverarbeitung. In ihr gibt es eine Funktion, die automatisch mit der Idee kommt, in der die Lösung liegt. So sind wir gebaut. Dieses Lösungs-Programm ist unserem Betriebssystem eingebaut. Aber dieses Programm kann erst wirken, wenn wir ihm nicht etwas Erdachtes, etwas Errechnetes entgegensetzen. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir nicht denken sollten. Das Denken ist eine unserer Fähigkeiten, aber für einen fühlenden Menschen hat es eine untergeordnete Rolle. Seine Entscheidungen kommen nicht aus dem Denken, sondern aus dem Fühlen, aus dem Wahrnehmen der ganzen Realität, von der das Denken nur ein kleiner Ausschnitt ist.
Durch dieses Wahrnehmen auch der Ergebnisse des Denkens wie aller anderen Faktoren unserer Realität kann die Lösung automatisch erscheinen und wir können sie aufspüren. Diese automatische Lösungs-Funktion ist das, was oft auch „innere Stimme“ genannt worden ist. Sie genau zu hören, sie unterscheiden zu können von Verführungen, die möglichen Fallstricke zu erkennen, verlangt einiges an Sensitivität. Das alles sind die Bedingungen der Bewusstheit, des Wahr-Nehmens der Realität.
Ein Mensch, der die Realität wahr nimmt, nimmt natürlich auch die Kraft wahr, die die Realität beherrscht in den vielen ihrer Ausformungen. Er nimmt damit „den“ wahr, der ihm das All unterwirft – und gerade indem er sich „ihm“ unterwirft, wird das All ihm unterworfen.
Die Formel des Paulus ist in beide Richtungen richtig, ja nur in beide Richtungen ist sie richtig.
Das „nicht mehr Knechte, sondern Freunde habe ich euch genannt“, ist eine genauso wesentliche Perspektive dieser Realität wie die des (dann logischerweise freiwilligen) „Sklaven JAHWE’s“.
Die „Freiheit des Christenmenschen“ beruht auf der Wahrnehmung dieser Realität, auf der Wahrnehmung der Dialektik des Lebens, in dem Freiheit erlangt wird durch Unterwerfung und in der Zwang entsteht durch Bestehen auf der Freiheit. Während der Trotzige erfährt, „nichts geht mehr“, erfährt der, der sich freiwillig unterwirft, dass alles geht, dass im Extremfall auf den Tod die Auferstehung folgt – genau in die Art von Leben, für die wir jetzt bereit sind.
„Dass Gott alles in allem sei“ bedeutet, dass wir das auch sehen, dass wir uns entsprechend verhalten, dass wir allem mit höchstem Respekt begegnen, dass wir uns lösen von allem Schema. Dieser Aussage begegnen wir in allen spirituellen Traditionen, wie in dem radikalen Agnostizismus des Abraham, im Verbot des Aussprechens des Namens Gottes, in dem als solches missverstandenen Bilderverbot, in der Aussage der Buddhisten „triffst du Buddha unterwegs, töte ihn“, in dem islamischen „la ilaha illallah“ (es ist kein Gott außer „der“ Gott), in der These Bultmanns von der radikalen Entmythologisierung durch Jesus, in Rahners radikalem Agnostizismus.
Damit Gott für uns alles in allem sein kann, müssen wir unserer Welt unmittelbar begegnen, von Gott zu Gott gewissermaßen; weder ein Bild von uns selbst noch ein Bild von unserem Gegenüber darf uns behindern. „Der“ Gott des Islam ist daher der allgegenwärtige. „Der“ Gott des Abraham ist der, der ihn befähigt hat, selbst wahrzunehmen und auch die Buddhisten müssen sich lösen von dem Mann, der Buddha genannt worden ist, sie müssen selbst leben. Wer „sein Licht unter den Scheffel“ stellt, stellt Gott unter den Scheffel, der ihn schließlich mit allem ausgestattet hat, was nötig ist – auch mit der Sehnsucht nach Rückkehr zu unserem Ursprung, die uns zu immer mehr Bewusstheit drängt, in der schließlich klar wird, dass es nur einen Weg zur inneren Widerspruchsfreiheit gibt, nämlich dass wir dem Instrumentarium vertrauen, das uns gegeben ist, dass wir schließlich also die Kraft der Evolution uns lenken lassen, nicht blind, sondern hellwach.
Warum lebende Propheten bei Priestern* und
Schriftgelehrten unbeliebt sind
25. April 2003
[* ich spreche hier selbstverständlich von dem biblischen Archetyp, nicht von katholischen Priestern.]
Weil sie aus Erfahrung sprechen und von da aus die Priester und Schriftgelehrten angreifen, die aus der ursprünglichen Erfahrung lebendiger Menschen eine in vieler Hinsicht unpassende Theorie gemacht haben, aus der sie moralische Forderungen ableiten. Die Priester und Schriftgelehrten haben keine persönliche Erfahrung, sie kennen Gott nur von Hörensagen, spielen sich aber als Experten auf, weil sie die toten Propheten studiert haben – ohne je zu einer eigenen Erfahrung gelangt zu sein.
Gelegentlich machen auch Priester und Schriftgelehrte die Erfahrung, aber nur selten, weil sie sich kaum von ihrem Dünkel, bereits zu wissen, lösen können.
Die Erfahrung, von der ich spreche, ist nicht auf Propheten beschränkt. Auch ganz normale Leute kommen zu der Erfahrung. Sie wirken dann aus dieser Erfahrung heraus in ihrer Umgebung ohne Amt und Würden.
„Liebe“ ist diese Erfahrung genannt worden, die an sich jeder Mensch machen kann, die niemand ausschließende Liebe. Deshalb wurde gesagt: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott“. Solange diese Erfahrung da ist, wird Gott in diesen Menschen sichtbar.
Doch alle Worte über die Liebe helfen nichts, wenn die Erfahrung fehlt.
Dann nämlich wird die Liebe [die ja etwas Natürliches ist] zu einem Ideal bzw. zu einem Gebot. Die Folge ist „das Gesetz“, von dem Paulus sagt, es sei in Christus überwunden. Und es hilft nichts, wenn das Gesetz in den schönsten und idealsten Worten ausgedrückt wird. Es gibt nur die zwei Möglichkeiten, entweder Gesetz oder Erfahrung. Die Nachfolge Christi kann nicht darin bestehen, dem Gesetz zu folgen. Sie kann nur darin bestehen, nach der Erfahrung zu streben und dann aus ihr heraus zu leben [was etwas völlig anderes ist als das moralische Fitnesstraining des Gesetzes]. Jedem Menschen ist die Erfahrung möglich – ja sie ist gar nicht weit entfernt, nur, von der Theorie aus, vom Gesetz aus, gibt es keine Möglichkeit heranzukommen. Es sind dies zwei vollkommen voneinander getrennte Welten.
Das spüren die Diener des Gesetzes, die Priester und die Schriftgelehrten. Sie spüren, dass sie vom Wesentlichen unendlich weit entfernt sind. Das ärgert sie und deshalb verfolgen sie die Propheten – wie schon Kain seinen Bruder Abel.
Was meine persönliche Erfahrung anbelangt: Ich bin durch alle Theologie und Frömmigkeit nicht zur Erfahrung der Liebe Gottes gelangt, dafür aber später [weil ich einfach der Fährte der Wahrheit folgte und alles, was mir verlogen schien, hinter mir ließ] durch eher „zufällige“ existentielle Erfahrungen [in denen mir u.a. auch Jesus sichtbar geworden ist] und dann durch die Anleitung verschiedener Meister aus verschiedenen Kulturen und Religionen – und dann erst auch in kirchlichen Übungen. Deshalb weiß ich von den vielen Wegen. Und deshalb weiß ich, dass jeder die Möglichkeit zu einem Zugang hat, dass daran absolut nichts Exklusives ist. – Und dennoch werden die Zugänge so wenig genutzt. Jesus sagte, das ist deshalb so, weil die Priester und Schriftgelehrten die Zugänge besetzt halten und versperren. Aber keine Angst – es gibt unzählige andere Zugänge. Und wenn die Erfahrung einmal da ist, sind auch die Priester und Schriftgelehrten kein Hindernis mehr, allerdings sind sie auch keine große Hilfe, weil ihnen die Erfahrung großteils ja fehlt. Immerhin sind sie so etwas wie Museumswärter, durch die ein angehender Künstler Anschauungen von früheren Kunstwerken bekommt, die ihm natürlich die Notwendigkeit, selbst Zugang zur Inspiration zu finden, nicht abnehmen können, die ihm aber immerhin das Erkennen echter Inspiration erleichtern.
Die Erfahrung, von der ich sprach, ist nämlich immer verbunden mit Inspiration, also mit dem Sehen des Weges, der immer eine Lösung darstellt der gerade anstehenden Probleme.
Im Unterschied zu den Lösungen des Gesetzes, die [bestenfalls] einfach eine Hochrechnung vergangener Erfahrungen sind, sind die Lösungen der Inspiration immer neu – weshalb die Propheten sagen „singt dem Herrn ein neues Lied“, während die Priester nur die alten singen.
Natural principles
of international law and
conduct
03_08_11
The principles of international law and conduct
are derived from the principles of individual conduct:
Any individual who is not willing or able to control
its inner drives and thereby violates the rights of another individual is
considered a criminal and in some cases as mentally deranged. This is true in
every state or nation on this planet.
The same rule applies to the states. Any state
must control the individuals and groups within and subdue them to its law. Of
course the state cannot avoid that some individuals commit criminal actions,
but it can put these individuals to justice, at least it must give its best
trying. Similarly the state may not be able to avoid criminal actions by groups
of its citizens, but it is obliged to enforce criminal prosecution.
If a state is not willing or able to control
its inner forces and if thereby the rights and borders of another state are
violated or threatened to be violated, this state has to be considered a
criminal state or a state in the state of civil war. In both cases
international actions have to be taken against this state.
As long as there are private armed forces
within a state that are not 100% subdued to the rule of law [as for example
private security services in western democracies are – in contrast to groups
like Hamas in Palestine or the armed forces of the drug bosses in South
America], this state has to be considered as being in a state of civil war [or
as supporting these groups].
In terms of individual conduct such a person
would be called a schizophrenic [or a criminal]. As soon as such a person would
threaten to harm anybody society would take action and lock this individual up
in a psychiatric ward [or in prison] for the full duration of the implied
danger.
Therefore: In case a state is not
willing or able to control its inner groups and either itself or other nations
are in danger to get hurt the international community is obliged to intervene
and to enforce control over these groups or – if no international force would
be installed to take control over such a state – other states whose rights are
infringed by such uncontrollable groups would have the right to intervene to
protect its citizens.
Konstellationen und ihre Wirkungen
Ein Erklärungsmodell
für die Wirksamkeit von Familienaufstellungen
03_12_06
Bei Familien– oder anderen therapeutischen „Aufstellungen“ erhebt sich immer die Frage, wie die Repräsentanten oft ohne jede sachliche Information sehr genau gewisse typische Befindlichkeiten der von ihnen repräsentierten Personen beschreiben können, und auch wie die Wirkungen möglich sind, die nach solchen Aufstellungen zu beobachten sind. Es geht also um die Wirkung von Aufstellungen auf die Aufgestellten, auf die Aufsteller, auf den Leiter der Aufstellung wie auch auf die repräsentierten [aber abwesenden] Mitglieder des Systems.
Für mich ist klar, dass es die Konstellationen an sich sind, die wirken.
Vor Jahrtausenden bereits wurde die Wirkung von Konstellationen beschrieben in den mythischen Deutungen der Sternenkonstellationen.
Sternenkonstellationen werden seither als Bilder für bestimmte persönliche Befindlichkeiten präsentiert. Und dass der Moment, an dem ein Mensch zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt, eine besondere Bedeutung hat, ja sogar eine Art Prägung bewirken kann, sollte uns nicht wundern.
In Familienaufstellungen werden sowohl Konstellationen der Ahnen dargestellt als auch Konstellationen der gegenwärtigen Beziehungen. Die horoskopischen Konstellationen schwingen gewöhnlich nur im fernen Hintergrund mit als Grundgeprägtheiten der einzelnen Personen.
Jedes Individuum steht damit von Anfang an in einem Netz von Beziehungen und die Beziehungen selbst sind schon immer Beziehungen zu Konstellationen der verschiedensten Arten, also zu sozialen (persönlichen, kulturellen, politischen etc.) Konstellationen, zu umweltbezogenen (landschaftlichen, klimatischen, interstellaren etc.) Konstellationen, wie zu den intrapersönlichen Konstellationen, die ja als innere Repräsentanzen der auf uns wirkenden Kräfte betrachtet werden können.
Alle diese Konstellationen wirken durch das Bild, das sie darstellen, auf das Individuum wie eine Art „Geist“, denn die äußere Situation äußert sich im Innern als eine Stimmung; die Konstellationen, denen wir ausgesetzt sind, „bilden“ also einen unter Umständen dominierenden Geisteinfluss auf den geformten Punkt, der wir sind. Dieser Geist [die Stimmung] lässt sich in Worten beschreiben – und genau das geschieht in den verschiedenen Arten von Aufstellungen von Systemen. Geist ist also nach außen hin eine Konstellation, er stellt ein Beziehungsgeflecht dar.
Weil jede Konstellation ein Beziehungsgeflecht repräsentiert, entsteht für den Betrachter ein komplexes Bild von Befindlichkeiten, die in Geschichten gekleidet werden können, in archetypische Geschichten über diese Konstellationen, in Geschichten von der Traumebene. Im Fall abstrakter Konstellationen – wie in einer Aufstellung oder im Sternenhimmel – sind dies zunächst Anthropomorphisierungen und damit Dramatisierungen der Dynamik der Konstellationen.
Gegenwärtige Konstellationen, etwa einer Aufstellung [„Konstellation“ könnte damit den früher gebräuchlichen Begriff „Gestalt“ ablösen, weil „Konstellation“ rein mathematisch abstrakt sein kann und damit umfassender ist], rufen aus dem biologischen Gedächtnis Erinnerungen der Evolution [von solchen Konstellationen] ab, weil analog ähnliche Konstellationen ja während des ganzen Evolutionsprozesses immer wieder durchlebt worden sind, sodass sie sich sogar schon in den Genen niedergeschlagen haben. Dazu enthält auch die Gegenwart selbst die sich wieder immer in einer begrenzten Zahl typischer, analog ähnlicher Konstellationen darbietende Totalität allen Seins – auf den Punkt gebracht etwa in den Linien und in den 64 Hexagrammen des I Ching – typische Bilder, die jeder kennt aus der Erfahrung mit sich selbst, mit Bekannten, Fremden, alles Gelesenen, Gehörten, Gesehenen. Darüber hinaus sind in den gegenwärtigen Konstellationen auch die Erfahrung der [und Prägungen durch die] Ahnen eingeschlossen, jeweils wieder als eine Abfolge archetypischer Konstellationen, korrelierend mit den Erinnerungen der Evolution und wie sie, in Formen vergleichbar mit den Hexagrammen des I Ching oder mythischen Bildern, in uns gespeichert.
Das Mediale beim Nachempfinden von Konstellationen – wie das in systemischen Aufstellungen geschieht, aber auch beim Betrachten von Sternenkonstellationen – ist die Fähigkeit, solche Geschichten zu „sehen“, bzw. durch die vordergründige Konstellation veranlasst zu werden, eine Verbindung zu dem Fundus der Archetypen in uns selbst herzustellen und aus ihm eine Interpretation dieser Konstellation zu schöpfen.
Diese Fähigkeit wird während des Prozesses der persönlichen Reifung geschult durch Auseinandersetzungen mit den archetypischen Konstellationen, die wir kennen aus unserer persönlichen Erfahrung, aus der Literatur oder aus dem Erzählstoff der Tradition; dadurch wird eine Art Abtastung der eigenen inneren evolutionsgeschichtlich akkumulierten Archetypen erreicht und damit deren Ortung und Identifizierung.
Noch vor dieser äußeren Schulung aber steht eine stets vorhandene, meist allerdings unbewusste Verbindung mit dem Gedächtnis der Evolution in uns, die unserer primären Orientierung in der Welt dient. Die Orientierung ist möglich aufgrund der analogen Ähnlichkeiten der gegenwärtigen Situationen mit den archetypischen Situationen, um die herum unser Gedächtnisspeicher angelegt ist. Die Verbindung mit dem Gedächtnis der Evolution in uns wird zugänglich durch eine Art „zweiter Aufmerksamkeit“ – so genannt von Carlos Castaneda, im Gegensatz zur „ersten“ Aufmerksamkeit, die sich auf die jeweils gegenwärtige äußere Situation richtet. Diese „zweite Aufmerksamkeit richtet sich auf die inneren Repräsentanzen, also auf das, was durch die äußeren Ereignisse in uns zum Schwingen gebracht wird, und damit auf die als Archetypen wirkenden Kräfte. Die „zweite Aufmerksamkeit“ tritt durch Bindung/Fesselung/Fixierung der ersten Aufmerksamkeit spontan in den Vordergrund und kann auf diese Weise auch wiederum geschult werden. Auf diesem Prinzip beruhen die verschiedenen Meditationstechniken, u.a. auch die systemischen Aufstellungen.
Die „zweite Aufmerksamkeit“ tritt auch in den Vordergrund, wenn Konstellationen vollkommen abstrakt dargestellt werden als komplexe geometrische Muster, wenn nur ein „Wahrnehmer“ der Konstellation gegenübertritt – sei es als äußerlicher Betrachter, wie im Fall von Sternenkonstellationen, oder als Darsteller, der die Position einzelner Elemente der Konstellation einnimmt, wie in „Aufstellungen“ mittels Figuren. Die Fesselung der ersten Aufmerksamkeit geschieht dabei dadurch, dass die abstrakte, rein geometrische Struktur der Konstellation die einzige Information ist, die dem Wahrnehmer zugänglich ist.
Gewöhnlich stehen dabei natürlich die Figuren wieder für Menschen und werden sowohl vom „Patienten“ wie vom Leiter der Aufstellung als solche gedacht, aber die Figuren geben keine wie immer gearteten, über ihre relative Position hinausgehenden, subliminalen Informationen.
Eben so wurden ursprünglich auch die Sternenkonstellationen betrachtet. Sterne und Planeten wurden als Personen gedacht, weshalb sie Götternamen bekamen. Und als Personen wurden sie in Handlungen, in ein Verhalten zueinander imaginiert bzw. es wurde eben aus den „Archetypen“, also aus dem Schatz der Erinnerung an die immer wiederkehrenden Konstellationen, geschöpft und so wurden sämtliche Götterhimmel samt den dazugehörigen Geschichten, wie sie sich in den Mythologien der Völker niedergeschlagen haben, aus einer beschränkten Zahl von abstrakten Grundmustern hervorgesponnen.
Das I Ching zeigt, wie aus der binären Basis im nächsten Schritt acht Elemente werden und diese durch Kombination zu 64 archetypischen Grundsituationen des Lebens mit ihren jeweiligen Schwerpunkten bzw. Ansatzpunkten für Veränderungen.
In der Kulturgruppe, in der unsere geistigen Ahnen beheimatet waren, wurde der Prozess dieses Hervorspinnens archetypischer Geschichten und Lösungen „Offenbarung“ genannt – die natürlich verzerrt sein kann, wenn die betreffenden Menschen sich der großen Kraft des Ursprungs noch nicht wirklich hingeben und ihre eigenen Interessen beimischen, weshalb in den Offenbarungen oft vor „Wahrsagern“ gewarnt wird. Diese Gefahr allerdings ist in systemischen Aufstellungen nicht in dem Masse gegeben, weil das persönliche Interesse hier kaum eine Rolle spielt.
Zu einer Offenbarung gehört natürlich die Fähigkeit der „zweiten Aufmerksamkeit“, die gegenwärtigen Konstellationen und ihr konfliktreiches Zusammenspiel unter dem Gesichtspunkt des Gedächtnisses der Evolution jeweils von einem „übergeordneten“, die Gegensätze einschließenden Standpunkt aus zu betrachten. Das ist möglich, weil im Lauf der Evolutionsgeschichte ja in analogen Formen immer alle Konstellationen schon erlebt worden sind und weil es in der Gegenwart einen Zugang zu diesem Wissen gibt. Und von dem analog bereits erlebten, übergeordneten Standpunkt aus kann die Lösung für jedes gegenwärtige Problem ebenfalls in analoger Form gesehen werden, einschließlich der Kosten der Lösung.
Bei systemischen Aufstellungen entstehen dadurch aus chaotischen Ausgangssituationen gelöste Konstellationen, die wiederum zurückwirken auf die repräsentierten Personen – auch ohne dass diese persönlich einbezogen werden müssen. Durch eine Veränderung der Konstellation [= des Systems] verändern sich nämlich notwendigerweise auch die einzelnen wiederum archetypischen Rollen – etwa in der Art, wie sich die Rolle des Tyrannen nur so lange spielen lässt, als es eine ausreichende Anzahl hilfloser Untertanen gibt.
Aus diesem Grund ist es wegen der oft erstaunlichen Wirkungen systemischer Aufstellungen nicht nötig an mysteriöse telepathische Fernwirkungen zu denken – und auch „morphogenetische Felder“ brauchen nicht bemüht zu werden, es sei denn diese wären, wie eben beschrieben, archetypisch evolutionsgeschichtlich gedacht.
Beziehungskrisen
04_01_19
In jeder Beziehung gibt es Krisen, viele Beziehungen zerbrechen daran, einige gehen in einen Zustand permanenten kalten Krieges, in einigen Beziehungen verändern die Partner ihre Haltung zueinander und entwickeln damit genau die Möglichkeit, von der zu Anfang alle geträumt haben.
Das Grundmuster der Beziehungskrisen ist einfach:
Nach der anfänglichen Phase der Verliebtheit, während der ein biochemisches Programm der Natur dafür gesorgt hatte, dass jeder der beiden Partner immer wieder über seinen Schatten springt und dem anderen entgegenkommt, beginnen die Krisen. Nachdem die für die Verliebtheit typischen besonderen chemischen Prozesse eingestellt sind, erfolgt zunächst eine Desillusionierung. Die Glorifizierung des Partners hört auf. An die Stelle des aufeinander Zugehens treten Forderungen an den Anderen – und, da diese natürlich ohne Glorifizierung nicht mehr ohne weiteres erfüllt werden, Vorwürfe.
Der Partner wehrt sich gegen die Vorwürfe und er grenzt sich ab gegen die Forderungen. Das wiederum führt auf beiden Seiten zu verstärkten Vorwürfen und Forderungen. Emotionen schaukeln sich hoch und Krach entsteht, weil die Vorwürfe und Forderungen nun mit Vehemenz vorgetragen werden. Das geht sehr oft bis zu physischer Gewalt.
Die physische Gewalt hat im günstigen Fall eine kathartische Wirkung, ähnlich der eines Gewitters. Wenn es dabei einen hoffnungslos unterlegenen Partner gibt, führt das entweder zu einer permanenten Tyrannei [wie oft, wenn der Mann im Suff die Frau schlägt, diese aber von ihm emotional abhängig ist] oder zu einer Trennung.
In jedem Fall aber erzeugt die physische Gewalt Angst, weil auch im Fall eines positiven Ausgangs nie klar ist, wie der nächste Krach ausgehen wird, ob er nicht in einer gefährlichen physischen Verletzung enden wird. Diese Angst unterminiert die Beziehung. Es wird daher klar, dass Gewalt keine permanente Lösung sein kann.
Wenn es an diesem Punkt zu keinem Umdenken kommt, gibt es die Möglichkeit von der Phase des heißen in die Phase des kalten Krieges einzutreten und von nun an zu koexistieren und auch zu kohabitieren, mangels besserer Einfälle, aus Gewohnheit und auch um in der Umgebung nicht aufzufallen, die Beziehung so fortzusetzen, als ob nichts wäre und einen Modus Vivendi zu finden, der es erlaubt, die Feindseligkeiten immer unter dem Niveau des offenen Ausbruchs zu halten, zumindest unter dem Niveau physischer Gewalt.
Über weite Strecken wird in der Phase des kalten Krieges nicht miteinander geredet, zumindest nicht über die Erwartungen, die die beiden aneinander haben, sondern nur über notwendige Erledigungen, objektive Ereignisse der Außenwelt etc. Das kann unter Umständen Jahrzehnte so gehen. Besonders ist das der Fall, wenn gemeinsamer Besitz die beiden aneinanderkettet, auch gemeinsame Kinder können der Grund sein.
Weder in der Phase des heißen noch in der Phase des kalten Krieges machen sich die Partner bewusst, was sie tun. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass sie eine grundlegende Veränderung der Beziehung in der Hand hätten. Sie kennen zwar den Spruch „der Klügere gibt nach“, würden das Nachgeben aber als eine Niederlage sehen. Daher können sie nicht nachgeben. Der Blickwinkel ist der von Über- oder Unterlegenheit, also ein Blickwinkel der Macht. Im Status Quo des kalten Krieges haben beide gleiche Macht, keiner verliert das Gesicht. Die Bedingung ist, dass keiner nachgibt. Und wenn mal einer doch nachgibt, macht er sogleich die Erfahrung, dass er das besser nicht getan hätte, denn dann bekommt er die Macht des anderen zu spüren.
Sofort heißt es dann: „Da siehst du’s ja, du gibst es ja selber zu, dass du unrecht hast; ich hab’s dir ja immer gesagt, dass ich recht habe“, usw.
Unterwerfung oder permanenter Krieg, das ist die Perspektive dieses Stadiums der persönlichen Entwicklung der beiden Partner.
Dabei ist die Lösung nur einen Gedanken weit entfernt. Es geht über eine Veränderung der inneren Einstellung.
Es wird bei einem der beiden Partner anfangen: Einer wird zuerst des ständigen Kämpfens müde werden und sich fragen, ob es da nicht einen anderen Weg gibt. Er wird einfach stehen bleiben und schauen, was da eigentlich geschieht. Und er wird sehen: Da stehen Forderungen gegen Forderungen und Vorwürfe gegen Vorwürfe. Beide möchten etwas bekommen und weil und solange sie es nicht bekommen, weigern sie sich, zu geben. Und weil das auf beiden Seiten so ist, verweigern sich beide. Beide sind darauf programmiert, den anderen zuerst zum Nach-Geben zu bringen und da es ihnen nicht gelingt, bekommt keiner was. Eine typische Verlier-/Verlier-Situation. Keiner kann gewinnen, weil keiner verlieren will.
An diesem Punkt der Analyse setzt die Frage ein, was die Situation grundlegend verändern würde. Das Nachgeben ist ja vorher schon als Lösung ausgeschieden, weil dann ja der andere gewinnt und man selber verliert. Wie also ist ein Nachgeben möglich, ohne dass der andere Partner triumphiert als der Sieger, der es immer schon wusste und der eben Recht hat?
Möglicherweise braucht es an diesem Punkt einen Hinweis von außen, aber grundsätzlich ist es möglich, das Koan auch selbst zu knacken:
Die Perspektive muss umgestellt werden vom Fordern zum Geben. Wenn einer der beiden Partner erkannt hat, dass er selbst durch seine fordernde Einstellung verhindert, dass er bekommt, was er möchte, kann er sich entschließen, seine Einstellung zu ändern. Anstatt das Nachgeben als Schwäche zu sehen, kann er es als eine Stärke sehen. Weil er als erster zu der Einsicht gelangt ist und daher mehr sieht als der Partner, kann und muss er die Führung in dieser Angelegenheit der Partnerschaft übernehmen.
Natürlich besteht an diesem Punkt die Gefahr der Überheblichkeit. Ihr kann am besten begegnet werden durch die Erinnerung an die eben noch vorhandene eigene Einstellung des Forderns. Dann wird klar, dass es nicht um ein „wer ist besser“ geht, sondern um eine Verbesserung des Ganzen – und das ist nur möglich ohne Überheblichkeit; es ist nur möglich mit dem demütigen Wissen um die eigene Schwäche, die sich eben bis zu diesem Zeitpunkt in dem Nichtnachgeben geäußert hat, das die Beziehung bis jetzt im Zustand des Krieges festgehalten hat.
Sobald das einem der beiden Partner klar ist, kann und muss er nun freiwillig die Rolle eines Dieners der Beziehung einnehmen. Der Diener tut nicht unbedingt, was verlangt wird [das tut der Sklave, also der Abhängige in einer Beziehung], sondern der Diener tut, was dient, was der Beziehung dient.
Der Diener hört also auf, sich zu verweigern und er geht auf den Partner ein – aber nicht, indem er sich selbst für nichtexistent erklärt, sondern indem er den Partner auch auf die Realität seiner eigenen Existenz hinweist.
Er verweigert sich der Forderung des Partners nicht länger, sondern er geht ein auf sie, aber so, dass dem Partner klar wird, dass es nicht nur nach seinem Kopf gehen kann, sondern dass der Partner doch ihn zum Partner gewählt hat und dass er daher auch die Persönlichkeit des Partners mit in Betracht ziehen muss. Er fordert ihn daher auf, mit ihm gemeinsam eine für beide akzeptable Lösung zu finden.
Zunächst wird der Partner einen üblen Trick hinter der neuen Rolle des Dieners der Beziehung vermuten und ihn entsprechend behandeln, ihn mit neuen Vorwürfen deswegen überhäufen. Das ist ein kritischer Zeitpunkt, an dem die Gefahr besteht, dass der eben selbstgekürte Diener wieder zum Opponenten des alten Machtspiels wird, indem er von der Gewohnheit in die alte Rolle hineingerissen wird. Das wird sicher einige Male geschehen, bis die neue Rolle ganz klar ist.
Die neue Rolle des Dieners der Beziehung beruht auf vollkommenem Respekt, Respekt vor der Person des anderen und Respekt vor sich selbst.
Alle Vorwürfe, die nun natürlich weiterhin vom anderen kommen, werden vollkommen ernst genommen, aber nicht als objektive Tatsache, sondern als subjektive Wahrnehmung des Partners. Und der Partner wird behutsam und einfühlsam darauf hingewiesen. Ein typischer Satz für diese Phase der Beziehung wäre: „Ich kann verstehen, dass du wütend bist, weil du so lange nicht bekommen hast, was du möchtest. Ich nehme deinen Wunsch vollkommen ernst und ich werde alles tun, was möglich ist, um ihn zu erfüllen – allerdings kann ich es natürlich nur auf meine Weise tun, denn du richtest deinen Wunsch ja schließlich an mich.“
Es wird Zeit brauchen, aber nach und nach wird der Partner einsehen, dass er vom anderen nicht genau das haben kann, was er möchte, sondern nur das, was der andere geben kann, dass die Lösung also nicht in einer einseitigen Domination liegen kann, sondern nur in einem gemeinsamen Bemühen.
So wird das Paradigma der Partnerschaft von einer Frage der Macht zu einer Frage des Miteinanders werden.
Das anfänglich unbewusste Erkennen, das den biochemischen Prozess der Verliebtheit ausgelöst hat, wandeln die beiden nun um in ein bewusstes Erkennen, indem sie sich entschließen, sich und ihren Partner endlich ernst zu nehmen. Und auf diese Weise werden sie das, was am Anfang von selbst da zu sein schien – die „Liebe“ – erst jetzt gewissermaßen aus dem Nichts erschaffen.
„Wenn dich einer auf die linke Backe schlägt, dann
halt ihm auch die andere hin“ (Mt 5,39)
25. 1. 2004
Normalerweise wird dieser Spruch supermoralisch verstanden. Der Satz hat aber nicht das Geringste mit Moral zu tun, sondern nur mit der Anerkennung der ganzen Tiefe der Realität, also mit Respekt.
Wenn jemand diesen Satz moralisch versteht und meint, er müsse die „Größe“ haben, jemandem, der ihn auf die linke Backe schlägt, auch die rechte hinzuhalten, hat er nichts verstanden. Dann will er nur zu einer bestimmten sozialen Gruppe gehören.
Die Bedeutung ist eine ganz andere.
Jesus zeigt die Bedeutung, als er im Hohen Rat vor seiner Verurteilung verhört wird. Da gibt ihm ein Gerichtsdiener eine Ohrfeige (Joh 18,22). Jesus hält ihm nun nicht die andere Backe hin, sondern er fragt ihn, warum er ihn geschlagen habe. Was zeigt er damit? Jesus zeigt, wie er das immer tut, dass es nicht um den Buchstaben geht, sondern um den Geist – oder, wie wir heute sagen würden, um Bewusstheit.
Der Geist ist nicht da, wenn einer seinem Angreifer doof wörtlich die andere Backe hinhält. Der Geist kann nur da sein, wenn einer, wie Jesus es getan hat, bei seiner Wahrheit bleibt – und weiterhin eine Angriffsfläche bietet, wenn er eben weder flieht noch zum Gegenangriff übergeht, sondern nur bei sich bleibt, wenn er sich vom Angreifer nicht beirren lässt, wenn er nicht abrückt von seiner Position. Der Geist ist da, wenn einer in dieser Situation den Respekt bewahrt vor sich selbst und vor seinem Angreifer – eben so wie Jesus es gemacht hat, der zu dem Gerichtsdiener sagte: „Habe ich etwas Unrechtes gesagt, so beweise es mir, habe ich aber recht geredet, warum schlägst du mich?“ (Joh 18,23).
Der totale Respekt holt das Höchstmögliche aus einem Menschen heraus. Und es geht dabei nicht um ein moralisches Gebot, sondern einfach um die Anerkennung der Realität. Wir können uns beim Handeln von unseren Emotionen bewegen lassen – und damit eine endlose Spirale von Gewalt und Gegengewalt auslösen oder wir können uns von der Wahrheit bewegen lassen, die uns sagt, dass wir beide Sprosse des Allerhöchsten sind und daher beide ein Recht haben, zu sein; dann wird sich diese Wahrheit durch unser Handeln durchsetzen – selbst wenn wir dabei untergehen. Und sogar in diesem Fall werden wir das Ziel unseres Lebens genau dadurch erreicht haben, nämlich dazu beitragen zu können, dass die Bewusstheit mehr wird in der Welt.
Moral dagegen ist immer ein Stück Dunkelheit, ein Stück Zwang, ein Stück Unbewusstheit, so hochmoralisch irgendein moralisches Handeln auch sein mag. Das Instrument der Moral ist die Ausschlussdrohung. Es ist eine Art Dressurmaßnahme. Aus Angst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, verhalten sich die Menschen moralisch. Mit dieser Angst kann ich mich selbst oder auch einen Gegner in Schach halten. Aber Respekt gibt es da nicht.
Respekt nimmt den Gegner ernst wie er ist, ohne ihm nachzugeben und ohne ihn zu verurteilen. Respekt fordert ihn auf, sich seines Tuns bewusst zu werden, denn diejenigen, die nicht wissen, was sie tun, weil sie beispielsweise in Abhängigkeit von jemand anderem handeln, leben nicht ihre volle Potenz. Für einen bewussten Menschen ist das sehr bedauerlich.
Daher hält ein bewusster Mensch die andere Wange hin. Es ist eine Möglichkeit, einen Traum zu erfüllen, nämlich Bewusstheit zu verbreiten.
Auch Gandhis gewaltloser Widerstand folgte diesem Modell.
Sola fide – allein durch Glauben
25. 1. 2004
„Allein der Glaube rechtfertigt vor Gott“, so ungefähr sagte es der große Reformator Martin Luther im Anschluss an Paulus (Röm 3,28), um gegen Auswüchse der Bußpraxis der katholischen Kirche zu protestieren. Heute wird dieser Satz von der katholischen Kirche bestätigt. Aber was bedeutet er?
Von welchem „Glauben“ ist da die Rede? Etwa von dem Glauben der sogenannten „Glaubensbekenntnisse“? Nein, diesen Glauben bekennen viele, die weit entfernt sind von der Rechtfertigung – auch wenn sie sich gerechtfertigt fühlen, weil sie durch ihr Bekenntnis „dazugehören“.
Aber was soll „Rechtfertigung“ vor Gott bedeuten? Warum sollte sich irgendwer rechtfertigen müssen, wofür? Gehört für Gott irgendwer nicht dazu?
Das alles deutet eher auf obrigkeitsstaatliche Gehorsamsübungen, eine mittelalterliche Angelegenheit.
Was mit „Glauben“ im Kern gemeint ist, finden wir woanders. Es wird am besten an einem Satz klar, der zunächst das Gegenteil des ersten Satzes zu bedeuten scheint, nämlich „Handeln ohne zu glauben“. Gemeint ist ein Handeln ohne jede Sicherheit, ein Handeln im vollen Risiko, ein Handeln, obwohl alle sagen würden, „das kann unmöglich gelingen“, also ganz offenbar ein Handeln für das es kein vorgefertigtes Glaubensbekenntnis gibt.
Und doch ist das gemeinte Handeln weder willkürlich noch grundlos.
Es schöpft aus dem Nichts.
Dem bewusst erfahrenen und zugelassenen Vakuum der Not folgt eine Vision, die eine noch nie da gewesene Lösung zeigt und gleichzeitig folgt die Kraft, ihr Bild zu materialisieren. Was da geschieht, ist eine Schöpfung aus dem Nichts – wie jede Schöpfung von Anfang an.
Insofern haben die Buddhisten recht, wenn sie sagen, dass das All nicht aus Gott, sondern aus dem Nichts hervorgeht. Und die Theisten haben recht, wenn sie meinen, dass das All im Nichts schon als Potenz vorhanden ist und wenn sie diese Potenz „Gott“ nennen. Gott ist nichts, Gott ist reine Potenz. Und zu dieser Potenz haben wir Zugang.
Sola fide bedeutet daher, es wagen, sich dem Nichts auszusetzen und sich von der imminenten Vernichtung bewegen zu lassen.
Ein Handeln von da her ist gleichzeitig ein Nicht-Tun, in der Bedeutung die Lao-tse oder Castaneda vorschlagen, denn was aus dem Nichts hervorkommt, unterliegt nicht unserer Kontrolle, es ist eine Resultante der Realität, es ist eine perfekte, aber zuvor nicht gekannte Antwort auf unsere Situation. Wir hätten niemals auf die Idee kommen können. Es ist reine „Gnade“, ein reines Geschenk ohne jedes Verdienst.
Sola fide bedeutet dadurch aber auch, sein ganzes Sein dafür aufs Spiel zu setzen – so wie die Samurai es tun.
Und damit wären alle vereint.
Verrückt – Normal
15. 2. 2004
Verrückt sind Menschen, die subjektiv für objektiv halten, die also meinen, die Welt sei so, wie sie sie wahrnehmen
Bei Sinnen sind Leute, die subjektiv und objektiv unterscheiden können – falls sie die beiden doch mal verwechseln, sind sie zu diesem Zeitpunkt verrückt, was natürlich gelegentlich jedem passiert.
Verrückt sind Menschen, die verstanden werden wollen
Bei Sinnen sind Leute, die verstehen
Verrückt sind Leute, die nach Schuld suchen
Bei Sinnen sind Leute, die Lösungen finden
Verrückt sein bedeutet, das Negative vermehren
Bei Sinnen sein bedeutet, umsteigen auf etwas Besseres
Wiedergeburt
7. 2. 2004
Die Wiedergeburt beginnt mit dem Verlust des Lebens.
Das abgeschnitten Werden vom Leben beginnt mit dem sich Überheben.
Das sich Überheben ist unvermeidlich. Es beginnt mit der Möglichkeit dazu – und es ist eine positive Fähigkeit und eine notwendige Etappe auf dem Weg. [„O felix culpa“, heißt es deshalb in der christlichen Osternachtliturgie.]
Genau betrachtet beginnt das sich Überheben mit der Unzufriedenheit Gottes mit sich selbst. Es reicht „ihm“ nicht, bei sich zu sein, er muss sich auch noch verschenken.
Von hier nimmt das Unheil seinen Lauf – aber auch unsere Chance.
Von da an gibt es [uns als] Wesen, die nicht sein möchten, was sie sind, bzw. nicht sind, was sie sein möchten.
Das „Ihr werdet sein wie Gott!“ der Schlange im Paradies bringt das nur auf den Punkt. Die Nichtse möchten alles sein, sie möchten sein wie Gott. Sie möchten ihr Nichts nichten.
Logischerweise geht das nicht.
Es geht nicht so.
Es geht anders.
Das ist das Paradoxe. Die unbedingt sich durchsetzen wollen, die unbedingt mit dem Kopf durch die Wand wollen, können das nicht begreifen.
Alles ändert sich aber, wenn ein Jemand an einem bestimmten Punkt seines Daseins sein Nichts-Sein begreift und annimmt.
Als Gott begriff und annahm, dass er durch sein für sich Sein nur ein Nichts war, konnte er sich verlieren – und genau dadurch wieder zum Ziel werden für alles, was er verloren hatte.
Und weil wir ja etwas von dem sind, was Gott verloren hat, gilt dieses Paradoxon auch für uns, auch wenn unsere evolutionären Vorfahren für uns schon ein Stück zurückgelegt haben auf dem Weg zurück zu ihm. Egal wo wir uns vorfinden auf diesem Weg, egal wie entwickelt und bewusst wir bereits sein mögen, es kann auch für uns erst dann weiter gehen, wenn wir [meist nach schmerzlichen Phasen vergeblichen Aufbegehrens] begreifen und annehmen, dass wir nur ein Nichts sind, solange wir für uns sind. Erst dann können wir kapitulieren und uns verlieren – und ganz bewusst den über uns herrschen lassen, der ohnehin herrscht. Genau dadurch kehrt das Verlorene heim; Gott kommt wieder zu sich selbst – und wir werden Zeugen dieser wunderbaren Tatsache, die sich ja in uns, um uns und durch uns ereignet.
Wenn wir das begreifen, rebellieren wir nicht mehr gegen unser Schicksal, dann wollen wir nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand, dann wollen wir stattdessen lieber Gott schauen.
Das Paradox ganz klar formuliert:
Unter der Bedingung, dass wir unsere Nichtigkeit anerkennen, haben wir Zugang zu unserer göttlichen Natur.
Nur als Sklaven Gottes werden wir frei.
Jesus drückt es so aus: „Wer sein Leben für sich behalten will, wird es verlieren, wer es aber hergibt, wird das ewige Leben dafür bekommen“ – und mit dem Hergeben meint er natürlich nicht unsren Tod, sondern das Abgeben der Kontrolle.
Jesus ist den Weg vorangegangen. Er weiß wovon er spricht. Er tut schon zeitlebens nicht seinen Willen, sondern den Willen des Vaters. Und er sagt uns durch Johannes, dass wir ebenso Kinder Gottes werden können, wie er es ist, indem wir uns dem Willen Gottes unterwerfen, indem wir ihm sein Leben anvertrauen, der es ohnehin zu 100% in der Hand hat.
Das Durchgangstor in die „ewige Seligkeit“ ist das Nichts. Wieder, nicht der Tod, sondern die Nichtung unserer (ohnehin nur eingebildeten) Separatheit.
Durch unsere eingebildete Separatheit sind wir abgeschnitten vom Fühlen und deshalb wollen wir mit dem Kopf durch die Wand. Indem wir die Separatheit (unser „Ego“) aufheben, können wir (wieder) fühlen – aus dem Einklang mit dem Ganzen. Und erst dann sind wir – paradoxerweise – ganz in unserem Eigenen.
Im Ganzen gesehen sind wir – und das gilt von allem anderen genauso – von vornherein [also noch bevor wir auch in unserem Bewusstsein eins geworden sind mit dem Ganzen] und zu jeder Zeit die logische Antwort des Ganzen auf die Fragen seiner Teile. [Das meint auch der indische Philosoph Patanjali, wenn er im Yoga Sutra sagt: „Das Wahrzunehmende ist {als Antwort} für den Wahrnehmenden bestimmt“.] Deshalb heißt es im Johannesevangelium, dass am Anfang der Logos war, und dass alles durch ihn geworden ist und dass nichts von dem Gewordenen ohne ihn geworden ist.
Diese von uns unabhängige logische Realität unserer selbst wird zu unserer bewusst als solche erlebten und gestaltbaren persönlichen Realität, wenn wir uns nicht mehr vom Ganzen separieren. Weil Jesus wie kaum ein anderer eins geworden ist mit dem Ganzen, mit dem „Vater“, ist er für Johannes der Archetyp des materialisierten Logos. In der Theologie des Johannes gibt es deshalb drei Bilder des Logos bzw. des Sohnes Gottes: den Logos selbst, Jesus und uns – denn auch in unserem Fall kommt die Antwort auf unsere vor dem Angesicht des Nichts gestellten Fragen direkt von jenem uranfänglichen Logos, den Jesus deshalb auch „Tröster“ nennt oder „Beistand“. Wenn wir uns als Nichts angenommen haben, erscheint der Logos nicht nur wahrnehmbar in uns, sondern weil wir ja im Grunde nicht mehr da sind, weil wir nur noch sein Medium sind, erscheint er an unserer Stelle. Deshalb ist die Redeweise des Johannes korrekt.
In der Sprache unserer Zeit ausgedrückt: Indem wir uns nicht mehr vom Ganzen separieren, wird unsere persönliche Perspektive logischerweise die Perspektive des Ganzen mit allen Konsequenzen: Indem wir unsere Separatheit aufheben, werden wir damit gleichzeitig zum Erben des Ganzen. Und wir erben nicht etwas, und auch nicht viel, sondern alles, 100%, das Ganze. Nichts wird zurückgehalten. Es liegt nur noch an unserer Intention und unserer eventuell noch vorhandenen Zurückhaltung, wie umfassend unser Fühlen werden kann. [Sufi-Meister haben in dem Zusammenhang von Menschen gesprochen, die zum „Pol ihrer Zeit“ werden, weil sie in ihrem Fühlen die gesamte Menschheit einschließen.]
Und nun verstehen wir, welches Privileg es ist, Gottes Sklave werden zu dürfen, denn die meisten dürfen es nicht, weil sie zu eingebildet sind, weil sie ihre Erfüllung immer noch in dem suchen, wie Gott zu werden, weil sie immer noch selbst glänzen wollen, weil sie immer noch „Luci-fer“ sein wollen, Licht-Träger. Doch Lucifer kann vor Gott nicht bestehen, von dem doch alles Licht kommt. Er muss in dem Vergleich abstürzen und er wird sich über die Unmöglichkeit, auf seinem Glanz-Weg zum Höchsten zu gelangen, zeitlebens ärgern und deshalb versuchen, andere zu seinem „ich-werd’s-euch-schon-zeigen“-Weg zu animieren – aus dem allerdings tatsächlich ganz große und unsterbliche Leistungen hervorgehen, vor denen gewissermaßen sogar Gott (obwohl er natürlich deren eigentlicher Urheber ist, weil es doch er ist, der dem Luci-fer seine Fähigkeit zu glänzen verliehen hat) seinen Hut ziehen würde. Es geht hier ja nicht darum, einen Weg als Irrweg zu verurteilen, sondern nur darum zu zeigen, dass es einen Weg gibt, der über den Weg des Glänzens hinaus führt und dass der Lucifer-Weg samt seinen erstaunlichen Leistungen nur eine Versuchung ist, auf halbem Wege, selbstfixiert, stehen zu bleiben, und dass dieser andere Weg darin besteht, dass Gott für uns alles in Allem ist.
Der Sohn, der seine Abstammung erkannt hat, wird auf Luci-fers Glänzen nicht mehr hereinfallen. Er wird statt dessen eine Wiedergeburt erleben, nämlich genau die Wiedergeburt als wirklicher Sohn, die am Anfang des Markusevangeliums beschrieben wird, mit der Stimme vom Himmel, die diese innere Wirklichkeit nach außen hin ausdrückt.
Und damit ist der Zyklus vollendet. Der Sündenfall ist überwunden. Gott ist aus der Fremde in seine Heimat zurückgekehrt. Er hat sich selbst gefunden – in uns.
Bleibt noch die Frage zu klären, was Sklaven Gottes denn so tun.
Sie leben gemäß dem Logos als Antwort auf die ihnen gestellten Fragen. Sie sind offen für den Anspruch des Alls – der immer konkret ist.
Ein Beispiel für diese Art zu leben, das Jesus gebracht hat, ist das des barmherzigen Samariter. Der barmherzige Samariter ist nicht barmherzig, weil sein Moralkodex es ihm gebietet [das wäre der Lucifer-Weg], sondern, weil die konkrete Situation ihn anspricht. Er ist doch die Antwort! – Jesus fasst diesen Zusammenhang in den Begriff vom „Nächsten“; er meint damit einfach die konkrete Lebenssituation, die in einem Menschen, der dafür offen ist, die göttliche Barmherzigkeit hervorruft.
Auf Schritt und Tritt sind wir dem An-Spruch des Alls ausgesetzt.
Ausgangspunkt der Wahrnehmung dieser Anfrage ist immer das Nichts, die Leere, das „arm sein im Geist“. [Falls an der Stelle des Nichts wir selbst stehen mit unseren subjektiven Interessen, können wir die Anfrage nicht hören]. Dann kann auf eine leere Leinwand etwas projiziert werden, nämlich das, was da ist. Das Ergebnis ist [in dem der durch diese innere Einstellung bereit ist, zu hören] Respekt vor der Realität, Respekt vor dem, was uns begegnet und die entsprechende Antwort des Ganzen auf den Anspruch.
Im Lauf der Kirchengeschichte sind für Menschen, die einen spirituellen Weg gehen wollen, die sich also bereit machen wollen, den Anspruch des Ganzen zu hören, drei Regeln gefunden worden, die ihnen dabei helfen können, die drei Mönchsgelübde, die aber nicht nur für Mönche gedacht sind, sondern die jeder Mensch sinngemäß beachten kann: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Diese drei Regeln können denjenigen, die sie verstehen, helfen, den Geist zu lösen von den Dingen, die den Geist der meisten Menschen in Schach halten: Geld, Sex und Selbstbestimmung. Diese drei sind die Kräfte, die unsere Wahrnehmung mehr als alles andere verzerren. Der Sinn der Mönchsgelübde ist es daher, die innere Freiheit von diesen Verzerrungen wiederzugewinnen, und so eine wirkliche innere Leere zu erreichen, die ein Wahrnehmen des Anspruchs möglich macht, den der Kosmos – nämlich unsere konkrete Umgebung – auf Schritt und Tritt an uns stellt.
Sklaven Gottes leben also in ständigem Bewusstsein der Realität ihres Nichts und damit in ständigem Respekt vor allem, was ihnen begegnet. Sie leben aber als Sklaven Gottes und nicht als Sklaven irgendwelcher Wesen, die ihnen begegnen. Daher sind sie ihnen gegenüber in keinem Augenblick in irgendeiner Weise abhängig oder ko-abhängig, sondern sie sind stets frei. Und das ist möglich, weil sie nicht ihrer persönlichen Perspektive folgen, in der sie natürlich vielfältig verwickelt sind, sondern weil sie einer übergeordneten Perspektive folgen, der Perspektive des Ganzen – der Perspektive Gottes.
Wiedergeburt ist also die Auferstehung des durch die „Sünde“ – also durch das sich Absondern von der Lebensquelle im Ganzen – eigentlich Toten, bzw. nur eingebildet Lebendigen, zum Leben aus der Fülle des Alls. Dieses „wirkliche Leben“ der „Auferstandenen“ mag sich vom „Scheinleben“ der Menschen auf dem Luci-fer-Weg für einen entfernten Beobachter auf weite Strecken kaum unterscheiden. Und doch ist die Unterscheidung nicht nur logisch korrekt, sondern letzten Endes auch wirksam, denn spätestens im Tod zerbricht die Illusion und die Menschen des Luci-fer-Weg erleben das Nichts als Vernichtung all ihrer Anstrengungen und all ihres Glanzes, während die Sklaven Gottes da immer schon waren und daher ganz natürlich, wie Jesus es ausgedrückt hat, „eingehen in die Freude ihres Herrn“.
Die Emmausgeschichte
9. 5. 2004
Die Geschichte [Lukas 24, 13-33] ist bekannt, den meisten aber rätselhaft, wenn sie sie nicht schon wegen ihrer so märchenhaften erscheinenden Züge einfach zu den unbrauchbaren Zeugnissen abgelegt haben. Ich will versuchen zu zeigen, dass die irreal erscheinenden Elemente verstanden werden können und dass die Geschichte dann einen außerordentlich realistischen Einblick in das gibt, was mit „Auferstehung“ gemeint ist.
Die Geschichte:
„Am gleichen Tag waren zwei von
den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von
Jerusalem entfernt ist. Sie sprachen miteinander über all das, was sich
ereignet hatte.
Während sie redeten und ihre
Gedanken austauschten, kam Jesus hinzu und ging mit ihnen. Doch sie waren wie
mit Blindheit geschlagen, so dass sie ihn nicht erkannten.
Er fragte sie: Was sind das für
Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet? Da blieben sie traurig
stehen, und der eine von ihnen - er hieß Kleopas - antwortete ihm: Bist du so
fremd in Jerusalem, dass du als einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort
geschehen ist?
Er fragte sie: Was denn?
Sie antworteten ihm: Das mit
Jesus aus Nazaret. Er war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem
ganzen Volk. Doch unsere Hohenpriester und Führer haben ihn zum Tod verurteilen
und ans Kreuz schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der
Israel erlösen werde. Und dazu ist heute schon der dritte Tag, seitdem das
alles geschehen ist. Aber nicht nur das: Auch einige Frauen aus unserem Kreis
haben uns in große Aufregung versetzt. Sie waren in der Frühe beim Grab, fanden
aber seinen Leichnam nicht. Als sie zurückkamen, erzählten sie, es seien ihnen
Engel erschienen und hätten gesagt, er lebe.
Einige von uns gingen dann zum
Grab und fanden alles so, wie die Frauen gesagt hatten; ihn selbst aber sahen
sie nicht.
Da sagte er zu ihnen: Begreift
ihr denn nicht? Wie schwer fällt es euch, alles zu glauben, was die Propheten
gesagt haben. Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine
Herrlichkeit zu gelangen? Und er legte ihnen dar, ausgehend von Moses und allen
Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.
So erreichten sie das Dorf, zu
dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wolle er weitergehen, aber sie drängten
ihn und sagten: Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend, der Tag hat sich
schon geneigt. Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben.
Und als er mit ihnen bei Tisch
war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es
ihnen.
Da gingen ihnen die Augen auf,
und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr.
Und sie sagten zueinander:
Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und
uns den Sinn der Schrift erschloss? Noch in derselben Stunde brachen sie auf
und kehrten nach Jerusalem zurück, und sie fanden die Elf und die anderen
Jünger versammelt.“
An dieser Geschichte sind einige äußerst Dinge sonderbar, um nicht zu sagen unmöglich:
Die beiden Jünger, die jahrelang mit Jesus unterwegs gewesen waren, sollen viele Stunden mit ihm unterwegs gewesen sein und tiefe Gespräche geführt haben und ihn während all dessen nicht erkannt haben?
Das ist kaum zu glauben. Eher kommt diese Darstellung daher, dass sie eine spätere Sicht des Ereignisses zurückprojiziert worden ist auf das Ereignis selbst, dass also in einem geistigen Sinn gesagt wird „es war Jesus“.
Was hätte ein journalistischer Begleiter der Gruppe beobachtet? Hätte er beobachtet, wie Jesus sich nach dem Brotbrechen in Luft auflöst? – denn „dann sahen sie ihn nicht mehr“! Was hat sich da also abgespielt?
Damals gab es für die Darstellung geistiger Wirklichkeiten nur die Möglichkeit, sie als physisch-faktische Ereignisse zu beschreiben, als handle es sich um Ereignisse der alltäglichen Wirklichkeit – obwohl es sich um Ereignisse einer anderen Wirklichkeit handelt. Von einer anderen Wirklichkeit zu reden hätte damals niemand verstanden, denn für die Menschen dieser Zeit und Kultur gab es nur eine Wirklichkeit. Erst heute steht uns die Möglichkeit offen, geistige Wirklichkeiten als solche zu beschreiben und sie damit von der Alltagswirklichkeit zu unterscheiden.
Wenn wir die Geschichte mit diesem Instrument der Unterscheidung betrachten, das in unserer gegenwärtigen Kultur allgemein akzeptiert ist, sehen wir vielleicht das Folgende:
Die beiden Jünger befinden sich auf der Flucht. So wie die in Jerusalem zurückgebliebenen Apostel sich einsperrten aus Angst, das gleiche Schicksal wie Jesus zu erleiden, so wollten diese beiden weg aus der Gefahrenzone, weg aus der Hauptstadt, in der ihr Meister getötet worden war und in der es jederzeit geschehen konnte, dass die Behörden nun nach dessen Schülern fahnden würden. Daher wollten sie die Gefahr hinter sich lassen und nach Hause gehen.
Weil es damals wohl kaum öffentliche Verkehrsmittel gab, mussten viele Menschen auch weitere Strecken zu Fuß zurücklegen – auch Jesus war mit seinen Jüngern zu Fuß von Galiläa nach Jerusalem gegangen.
Es dauerte daher nicht lange, bis sie auf ihrem Weg jemand trafen, der in die gleiche Richtung ging. Es heißt, sie trafen Jesus, erkannten ihn aber nicht. Aber wenn wir ihre reale Situation betrachten – im Gegensatz zu der geistigen Wirklichkeit, die erst später offenbar wird – dann treffen sie einen Fremden. Immerhin ist er ja so fremd, dass er nicht weiß, was sich in den letzten Tagen in Jerusalem abgespielt hat. Das ist die Alltagsrealität. In der Alltagsrealität begegnen sie einem Fremden.
Da dieser Fremde keine Ahnung hat, was geschehen ist, müssen die Jünger ihm alles erklären. Der Fremde weiß zwar nichts über die Tagesaktualitäten, aber er hat eine Menge Ahnung von der Bibel und vom menschlichen Leben. Er begreift daher schnell, was die Jünger ihm erzählen. Er begreift, wie die Beiden dazu kommen in diesem Jesus den Messias zu sehen, und er begreift auch ihre Verzweiflung, ihre zerstörten Hoffnungen. Er möchte ihnen helfen, indem er ihnen erklärt, dass die Sache nicht so hoffnungslos ist, wie sie meinen. Deshalb sagen sie später, dass ihnen das Herz brannte in ihrer Brust – besonders, weil er ihnen begreiflich macht, dass dieses Ende, das sie so verzweifelt macht, von Anfang an geplant war, dass es so kommen musste, dass Jesus offenbar einer war, der den göttlichen Plan erfüllte, und dass sie daher sicher sein konnten, dass die Geschichte nicht mit seinem Tod endete.
An diesem Punkt scheinen die Wanderer ihr Ziel erreicht zu haben, Emmaus. Da der Fremde sich verabschieden will, bitten ihn die Jünger, doch bei ihnen zu bleiben – nachdem sie durch ihn wieder Hoffnung gefasst hatten – auch wenn sie noch nicht wussten, wie die Geschichte weiter gehen konnte.
Er blieb. Und nachdem in dem Haus, in dem sie eintrafen, die Neuigkeiten ausgetauscht waren, vor allem die vom Tod Jesu – und von dem winzigen Pflänzchen Hoffnung, dass der Fremde in ihnen erweckt hatte – gab es etwas zu essen.
Beim Essen bekam der Fremde, der ihnen schon so weit die Augen geöffnet hatte, den Ehrenplatz zu Tisch. Und wie das damals üblich war „nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen“ – genauso wie Jesus es mit ihnen schon so oft gemacht hatte.
In diesem Augenblick sahen sie daher Jesus das Brot brechen. Und nun ereignete sich eine ganze Kaskade von Erkenntnissen, die schließlich darin gipfelte, dass sie Jesus als einen Lebenden erlebten.
Doch diese Kaskade von Erleuchtungen begann mit einer grauenhaften Erkenntnis, die sie am Boden zerstörte: Nachdem sie Jesus in dem Fremden gesehen hatten, während er das Brot brach, wurde ihnen nämlich mit einem mal klar, dass Jesus tot war und begraben und dass er nie wiederkehren würde, nie, nie, nie. Tote kehren nicht zurück. Alle Hoffnung, die sie auf den Menschen gesetzt hatten, dessen Leiche jetzt in Jerusalem in ihrem Grab lag, mussten sie nun ein für allemal begraben.
Aber genau an diesem Punkt, als sie an der Talsohle ihrer Verzweiflung angelangt waren mit den Erkenntnis dieses endgültigen, unwiderruflichen Endes Jesu, kam die Erinnerung, dass Jesus ihnen tatsächlich all das angekündigt hatte. Aber in diesem Augenblick war diese Erinnerung nicht einfach eine Erinnerung, sondern sie war ein Schock, der ihre bisherige Existenz auslöschte – und diesen Wesen, die sie auch ohne jedwede Identität immer noch waren, eine völlig neue Welt zeigte, in der das bisher Unverständliche und vollkommen Unakzeptierbare plötzlich mit einem Schlag vollkommen klar war. Die Leiche im Grab hatte mit dem Jesus, den sie als Messias kennen gelernt hatten, nichts zu tun. Der Jesus, den sie gekannt hatten, war nicht in dieser Leiche, er war in dem Geist, aus dem heraus er gelebt hatte – und der war nicht tot, sondern er lebte – und zwar mehr denn je. Er hatte soeben von ihnen Besitz ergriffen.
Was er ihnen längst angekündigt hatte, was sie aber weder verstehen noch akzeptieren hatten können, das war jetzt, in diesem Augenblick, Wirklichkeit für sie, eine Wirklichkeit, die sie bis in die letzte Faser ihrer Existenz spüren konnten: Sie waren es jetzt, die das Leben von Jesus fortführen mussten – und die es auch konnten, weil er nicht nur mit ihnen war, sondern weil seine Mission zu ihrem Wesen geworden war und weil die Kraft, die ihn gelenkt hatte, nun auch sie lenkte.
Der Fremde war jetzt nicht mehr wichtig. Sie sahen ihn nicht mehr und auch Jesus sahen sie nicht mehr im Außen. Und doch, das wussten sie, war er es gewesen, der den Gang der Dinge so gelenkt hatte, dass das jetzt mit ihnen geschehen hatte können. Die Erkenntnis, die sie jetzt erfüllte, war das Einzige, das jetzt zählte. Sie hatten erlebt, dass Jesus lebt – und das mussten sie den anderen Jüngern, die sie ratlos und verzweifelt zurückgelassen hatten, mitteilen.
Und so liefen sie zurück nach Jerusalem und sie fanden die elf und die übrigen Jünger – und sie erfuhren, dass diese auch schon erfahren hatten, was sie ihnen erzählen wollten.
Und so ist die Erfahrung von der Auferstehung des Messias zur Grunderfahrung der Bewegung geworden, die Jesus nachfolgte.
Wenn wir nun diese Erfahrung mit der Frage verknüpfen, was Auferstehung ist, was Wiedergeburt ist und was bei unserem Tod geschieht, kommen wir von hier geradewegs zu dem, was Paulus im fünfzehnten Kapitel des ersten Korintherbriefs schreibt.
Paulus unterscheidet etwas mehr als Lukas die geistige Wirklichkeit von der Alltagswirklichkeit, daher gibt es in seiner Erklärung keine groben Ungereimtheiten, es gibt nur Fragen, die geklärt werden müssen – aber die Antworten des Paulus sind an manchen Stellen nicht leicht zu verstehen.
Paulus leugnet nicht die Realität des Todes, wie es manche Berichte von den Erscheinungen des Auferstandenen zu suggerieren scheinen. Das „rühr mich nicht an!“, das der Auferstandene Maria Magdalena sagt, deutet schon in diese Richtung. Paulus aber ist noch klarer. Er legt Wert darauf, festzustellen, dass das, was stirbt, nicht das ist, was aufersteht.
Was stirbt, ist das Körperliche, was aufersteht, ist etwas Geistiges – und doch muss dieses Körperliche diese Auferstehung bewirken (oder zumindest ermöglichen), indem es, wie er sagt „eintaucht ins Unverwesliche und dies Sterbliche muss eintauchen ins Unsterbliche“ (15,53).
Genau das ist bei den Jüngern in Emmaus geschehen: Mit ihrem sterblichen Geist sind sie eingetaucht in den unsterblichen Geist, in den Willen des Vaters, und darin gewissermaßen neu geboren worden und sie leben von da an nicht mehr aus ihrem sterblichen Geist, der in dem Moment gestorben ist, sondern sie leben von jetzt an aus dem unsterblichen Geist, aus dem heraus auch Jesus gelebt hatte, der ihnen dieses Vermächtnis hinterlassen hatte – und der dadurch für sie für immer in ihnen leben würde.
Wir, die wir keine Zeugen der damaligen Ereignisse sind, sind durch die Überlieferung dennoch Zeugen der damaligen Ereignisse und wir können wie die Jünger in Emmaus mit unserem sterblichen Geist eintauchen ins Unsterbliche und dadurch verwandelt werden – und uns von da an nicht mehr fragen, was das ewige Leben ist, weil wir von da an darin leben.
Diejenigen aber, die noch nicht an diesem Punkt waren, können nicht wissen, was „Auferstehung“ bedeutet, für sie gibt es nur mysteriöse Berichte – wie es der Bericht der Frauen für die beiden Jünger war, die nach Emmaus gingen – oder wie es für die heutigen Menschen die Berichte des Neuen Testament über die Auferstehung sind. Sie sind noch in ihrem sterblichen Fleisch, noch nicht eingetaucht in die Unsterblichkeit, daher haben sie Fragen über Fragen und können die Antworten doch nicht verstehen. Sie haben nur die Kunde, eine vage Hoffnung, vielleicht lebenslang, die sich schließlich aber doch erfüllt, spätestens in dem Moment, wo ihr Leben zuende geht, wo sie also keine Wahl mehr haben, als loszulassen. Dann nämlich werden sie tatsächlich mit ihrem sterblichen Geist eintauchen ins Unsterbliche und wenigstens in diesem ewigen Moment eins werden mit dem ewigen Willen des Vaters, aus dem heraus Jesus sein Leben gelebt hat genau so wie alle seine wirklichen Nachfolger.
Der Terror der Muslime,
die Blindheit des Westens für seine Ursachen und eine
heilende Antwort auf beide
Der islamische Terror wird immer intensiver, der Nahost Konflikt bleibt fern einer Lösung und der Westen ist ganz im Sinn der Terroristen politisch gespalten. Warum? Gewisse Einstellungen in der aufgeklärten Grundhaltung unserer Kultur machen uns unfähig, die Emotionen zu verstehen, die zu dieser auf beiden Seiten verhärteten Situation geführt haben.
Die Ausklammerung der religiösen Dimension im Westen
Allein der Kommentar des wohl prominentesten Vertreters
der israelischen Friedensbewegung, Uri Avneri, zur Tötung des Führers der
Hamas Bewegung, Scheich Yassin, sollte zu denken geben: Er schreibt am 22. 3. 2004 im Newsletter von Gush
Shalom:
"This is the
beginning of a new chapter of the Israeli-Palestinian conflict. It moves the
conflict from the level of a solvable national conflict to the level of
religious conflict, which by its very nature is insoluble.
"The fate of the
State of Israel is now in the hands of group of persons whose outlook is
primitive and whose perceptions are retarded. They are incapable of
understanding the mental, emotional and political dimensions of the conflict.”
Zunächst ist erstaunlich, dass Uri Avnery glaubt, es handle sich bei diesem Konflikt um einen rein nationalen Konflikt. Immerhin stellt er die „mentalen, emotionalen und politischen Dimensionen des Konflikts“ in den Vordergrund, aber die religiöse Dimension, die zu diesen ja gehört, will er ausgeklammert wissen, weil sie, seiner Meinung nach, das Problem unlösbar macht. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, wird der nationale Konflikt aber gerade durch die Ausklammerung der religiösen Dimension unlösbar, weil diese Ausklammerung einen blinden Fleck in der Wahrnehmung schafft. Der religiöse Konflikt selbst dagegen ist, wie wir sehen werden, durchaus lösbar.
Dass der religiösen Dimension nicht erst seit der Tötung Yassins Bedeutung zukommt, zeigt schon die unmittelbare Vorgeschichte: Bei 425 Anschlägen, die unter dem Segen von Scheich Yassin in den letzten drei Jahren ausgeführt wurden, fanden 377 Israelis den Tod. Von muslimischen religiösen Führern aufgefordert, glaubten die Terroristen, sich damit als „Märtyrer“ das Paradies verdienen zu können. Und der nachfolgende Hamas-Führer, Dr. Rantisi, erklärte beim Begräbnis seines Vorgängers in Fortsetzung von dessen Intention:
"The Israelis will not know security. We will fight them until the liberation of Palestine, the whole of Palestine" – womit er nach traditionellem Sprachgebrauch meint, dass auch das gesamte Gebiet Israels von jüdischer Vormacht befreit werden soll.
Israel hat mittlerweile seine Antwort darauf gegeben und Dr. Rantisi ebenfalls getötet.
Uri Avnery drückt mit seiner Stellungnahme das große Dilemma der westlich-aufgeklärten Kultur aus: Gewissermaßen im Namen des westlichen Säkularismus verlangt er, dass Religion nicht als politische Kraft betrachtet werden darf. Aber genau dadurch leugnet er die zentrale Grundlage des Nahost-Konflikts überhaupt – wodurch er auch keinen Zugang zu einer wirklichen Lösung des dahinter liegenden, größeren Kulturkonflikts hat – trotz seines sehr wichtigen Einsatzes für den Frieden, den er in hervorragender Weise leistet, sowohl in seiner außerordentlich wertvollen konkreten Versöhnungsarbeit wie auch, indem er zeigt, dass nicht alle Israelis die oft unmenschliche Härte unterstützen, mit der die Israelische Regierung gegen den palästinensischen Aufruhr vorgeht.
Aufgrund des blinden Flecks in ihrer Weltanschauung können die Menschen unserer Kultur kaum nachvollziehen, wie Muslime die Welt erleben und welche inneren Konflikte die Begegnung mit dem säkularen westlichen Denken in ihnen auslöst. Ich möchte daher im Folgenden anhand einiger Beispiele sowohl das Unverständnis unserer Kultur deutlich machen wie auch diese inneren Konflikte selbst und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, da ich sicher bin, dass nur Verstehen und Empathie zu einer Lösung führen können.
Islamismus – ein „Glaube“ von Unterprivilegierten und
sein sozialer Hintergrund
Im Zusammenhang des größeren Konflikts der Zivilisationen, der auch hinter dem israelisch-palästinensischen Konflikt steht, sehen sich heute Islamisten aus der Hamas oder der Al Qaeda wie auch aus neuen Gruppen im Irak als Vorkämpfer des Islam. Sie kämpfen innerislamisch für eine traditionelle Ordnung und international gegen eine Dominierung durch nichtislamische Kräfte.
Der Islam ist also die erste der beiden Quellen für die in dem Konflikt freigesetzten Emotionen.
Die zweite Quelle dieser Emotionen, letztlich aber der eigentliche Auslöser des Konflikts sind die im internationalen Vergleich ungünstigen Aussichten der Produktivität in vielen islamischen Ländern, die dort zu einer bis jetzt nicht gekannten Armut samt der dazugehörigen sozialen Sprengkraft geführt hat. Stellvertretend für diese wachsende Masse an Unterprivilegierten sehen sich die Islamisten gewissermaßen in der modernen Welt verloren und sie hassen die jüdisch-christliche Kultur, mit der sie wirtschaftlich nicht konkurrieren können und neben der sie sich daher als exotische Verlierer fühlen – trotz ihres Glaubens an die Überlegenheit des Islam über Christen und Juden, aus der sie aber wieder das Recht ziehen zu ihrem Kampf gegen die westliche Zivilisation. Gleichsam in einer magischen Welterklärung, in der geglaubt wird, dass an der Armut der Armen der Reichtum der Reichen schuld sein muss – obwohl in Wirklichkeit von einer Schuld keine Rede sein kann, weil die weltökonomischen und demografischen Entwicklungen weit über den Bereich individueller oder auch kollektiver Verantwortung hinausgehen – geben sie die Schuld an dieser Entwicklung der christlich-jüdischen Kultur, also den für sie „Ungläubigen“, die mit ihrer ökonomischen Herausforderung zur Rationalität, zur Aufklärung, den Frieden der Gläubigen stören – der aber in Wirklichkeit dadurch gestört ist, dass ein großer Teil der islamischen Welt in einem trügerischen traditionell-religiösen „Frieden“ die Weiterentwicklung der Welt verschlafen hat.
Die Juden im Projektionsfeld islamischer
Schuldphantasien
Die Juden jedenfalls haben keine Schuld an der Armut in den islamischen Staaten. Lange grausam verfolgt, wollten sie ursprünglich im Nahen Osten einfach ihre damals fast menschenleere alte Heimat wiedergewinnen, darin endlich in Sicherheit leben und einen Traum verwirklichen – natürlich in Kooperation mit ihren Nachbarn. Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass das nicht so einfach geht.
Zum einen werden die Juden als Repräsentanten der westlichen, also der christlich-jüdischen Zivilisation betrachtet. Die jüdische Wiederbesiedlung Israels gilt daher als aufoktroyierte Implantation einer Vorhut dieser jüdisch-christlichen Zivilisation mit ihrem gefährlichen Rationalismus in muslimisches Kernland, weil das Gebiet, das sie wieder besiedelt haben, islamisches Gebiet war.
Zum anderen stützen die Juden genauso wie die Muslime ihre Emotionen auf alte Schriften, die beiden von ihnen das alleinige Recht auf das Land zuschreiben. Der Anspruch der Juden wird von den Muslimen jedoch als verwirkt und von ihrer Religion überholt betrachtet.
In dieser geistigen Auseinandersetzung konzentrieren sich die religiösen Kräfte beider Seiten auf einen kleinen geografischen Punkt in Jerusalem, auf den Tempelberg. Dort nämlich möchte eine Vorhut der religiösen Juden ihr altes Heiligtum wiedererrichten – genau dort aber steht seit mehr Jahrhunderten, als die Juden je eine dominierende Stellung in dem Land gehabt haben, ein islamisches Heiligtum, das noch dazu den drittheiligsten Platz der Muslime darstellt, der Felsendom, denn von dort ist ihr Prophet Mohammed in den Himmel aufgefahren.
Während die religiösen Juden gewöhnlich nicht daran denken, den Propheten Mohammed ernst zu nehmen, hat dieser ihnen – nicht nach koranischen Texten, aber gemäß weit verbreiteten islamischen Glaubensvorstellungen – längst das Existenzrecht als das abgesprochen, das sie als ihr Eigenstes ansehen, nämlich als „Volk Gottes“. Viele Muslime glauben nämlich, im Koran sei ausgesagt, die Juden hätten bereits dadurch, dass sie Jesus nicht als Propheten anerkannten, ihre Auserwählung durch Gott verloren. Wie können sie sich also auf die Bibel berufen und sich anmaßen, ihr altes Gebiet wieder in Anspruch zu nehmen? Der Anspruch ist doch verwirkt! Das sagt für diesen Teil der Muslime Gott selbst, denn so verstehen sie den Koran, bzw. das, was sie dafür halten, denn in Wirklichkeit steht das wie so manches andere, was sie glauben, keineswegs im Koran. Weit verbreitete Vorstellungen erlauben es ihnen aber, es in den Koran hinein zu projizieren.
So weit der Glaube der Islamisten auch von seiner Quelle entfernt sein mag, ihr Glaube ist eben die reale Kraft, die sie bewegt. Und er eröffnet auch den einzig möglichen Zugang zu ihnen.
Religion an sich und Religion als
Gruppenidentifikation
Der Direktor des vatikanischen Instituts für Islamstudien
Justo Lacunza-Balda wurde nach dem elften September 2001 gefragt: „How is it
possible to interpret the Koran in such diametrically opposite ways?“ Er antwortete: “How is it possible that in Northern Ireland the
police must go so far as to protect 7- and 8-year-old children going to school?
How is it possible to interpret the Catholic and Protestant faiths in this way?
The situation must be analyzed. The Taliban use the Koran and Islam, using God
as a fortress for their plans. “
Er sagt damit, dass es nicht die Religion ist, die den
Konflikt verursacht. Und das ist richtig. Es ist nicht die Religion an
sich, aber die Religion ist geeignet, benützt zu werden für Zwecke der
Gruppenidentifikation. Und für sehr viele (Katholiken, Protestanten, Muslime,
Hindus, Buddhisten etc.) besteht der religiöse Glaube vor allem in dieser
Gruppenidentifikation. Logischerweise spielen unter diesen Bedingungen alle
Emotionen eine Rolle, die in einer Gruppe entstehen, eben auch die Frustration,
die entsteht, wenn viele in der Gruppe unterhalb der Armutsschwelle leben
müssen.
Realpolitiker wissen das. Auch aus diesem Grund versuchen sie, religiöse Argumentationen auszublenden, sie wollen eine sachbezogene Lösung. Dabei bemerken sie allerdings kaum, wie sich in die sachlichen Rechtfertigungen ihrer realen Realpolitik genau diese [von einem theologischen Standpunkt aus pseudo-] religiösen Triebkräfte einmischen, die eben ein Teil der Gruppenidentifikation sind und der Gruppenidentität ihren Namen gibt: „Katholik“, „Protestant“, „Muslim“, „Jude“. So annektieren die Israelis daher immer mehr altes, biblisch bezeugtes Gebiet und so führen immer mehr Muslime unter Aufopferung ihres eigenen Lebens einen „heiligen Krieg“ gegen „die Ungläubigen“ – unter denen sie alle verstehen, die sie für ihre Feinde halten, weil sie schon allein durch deren Existenz ihre Identität in Frage gestellt sehen.
Zur Analyse der Situation, die Lacunza fordert, gehört daher eine Analyse aller Triebkräfte der Politik. Diese muss daher die genannten religiös definierten Gruppenidentifikationskräfte einschließen – im Gegensatz zu dem, was die Ideologie unserer Kultur verlangt, die die religiösen Triebkräfte, ja überhaupt ideelle Triebkräfte aller Arten nicht wahr haben will und alle Motivation auf rein Materielles zurückführt: auf Interesse an Land, Wasser, Bodenschätzen, Öl etc..
Leider aber gibt es diese schwer entwirrbare Vermischung von materiellen Interessen und religiösen oder ideellen Emotionen von Anfang an.
Laizistische Intention und religiöse Reaktion
Theodor Herzls Zionismus war zwar nicht religiös gemeint, es ging um ein Zuhause und nicht um einen Tempel, aber doch sollte das Zuhause in jenem alten biblischen Land sein und damit ergab sich von Anfang an die Koalition mit den religiösen Juden, die den alten biblischen Traum von Gottes auserwähltem Volk weiterleben und in ihrem gelobten Land wiederauferstehen lassen wollten.
Genau das aber wollten diejenigen der Muslime unter allen Umständen verhindern, nach deren Glauben das eben, wie schon gesagt, nicht sein durfte und natürlich auch in Zukunft nicht sein darf, weil diesem Glauben gemäß die Juden sich nicht mehr als „Volk Gottes“ betrachten dürfen. Deshalb wehrten sie sich von Anfang an gegen die jüdische Wiederbesiedlung und deshalb kämpften sie nach dem zweiten Weltkrieg ganz entschieden gegen den Beschluss der UNO, die den gerade noch auf grauenhafteste Weise verfolgten Juden nun offiziell dort eine Heimat zuerkannte. Gemäß dem UNO-Beschluss von 1947 sollte dieses damals äußerst dünn besiedelte Land zwischen Arabern und Juden geteilt werden. Die arabischen Staaten reagierten auf diesen Teilungsbeschluss der UNO damit, dass sie gegen den israelischen Teil Krieg führten, um, wie sie sagten, die Israelis ins Meer zu treiben, weil diese in diesem Land unter keinen Umständen wieder Fuß fassen durften.
Die (unbewusst) religiöse Motivation des arabischen
Widerstands gegen Israel
Warum war der arabische Widerstand gegen die jüdische Wiederbesiedlung so groß? Eben weil die Juden in der Vorstellung eines großen Teils der Muslime gemäß Koran Gottes Auserwählung verloren hatten. Sie hatten daher nicht nur keinen Anspruch mehr auf dieses Land, es durfte ihnen nicht erlaubt werden, dass sie sich anmaßten, ihre biblische Sendung wiederaufnehmen zu wollen.
Es ging daher in diesem ersten Krieg in erster Linie eben nicht um Land, denn das Land war fast menschenleer (etwa 800.000 Araber lebten in ganz Palästina), es ging in erster Linie darum, dass die Juden in diesem Land nicht wieder anwurzeln durften.
Durch einen Blick auf das Europa der gleichen Zeit wird das noch deutlicher: In Europa gab es praktisch zeitgleich gewaltige Umsiedlungs- und Flüchtlingsbewegungen mit einem zigfachen an involvierten Menschen. Allein zwölf Millionen Deutsche wurden in dieser Zeit fern ihrer Heimat neu angesiedelt und letztendlich problemlos integriert. Die Flüchtlinge, die aus dem Krieg der Araber gegen die israelische Partition resultierten, wurden dagegen nicht integriert, sondern sie wurden zur permanenten Erregung des Weltgewissens in Flüchtlingslager gesperrt, in denen ihre Nachkommen noch heute leben, immer noch in dem Gefühl des „das habt ihr uns angetan!“.
Warum war der Teilungsbeschluss der UNO von 1947 für die Araber nicht akzeptabel? Auch wenn es heute kaum jemand auszusprechen wagt, die zugrunde liegende Emotion hat jene schon angesprochene tiefe religiöse Wurzel: Die Wiedererrichtung Zions musste verhindert werden, denn sie würde den finalen Überlegenheitsanspruch des Islam in Frage stellen – der sich, wie auch schon gesagt, in diesem Verständnis allerdings nicht auf den Koran zurückführen lässt, weil im Koran der Begriff „Islam“ nicht konfessionell, sondern als eine innere Haltung gebraucht wird, die gemäß Koran auch im Christentum und durchaus auch im Judentum zu finden ist. Das Verständnis des Islam als Konfession ist nicht koranisch, sondern erst mit den politisch-religiösen Auseinandersetzungen im Verlauf der weiteren Ausbreitung des Islam entstanden.
Von diesen Zeiten an allerdings wurde auch der Bau des Felsendoms im Jahre 691 als die Besiegelung des Untergangs des Judentums interpretiert, denn damit war der Platz des ehemaligen Tempels belegt und der Ort gesichert – vergleichbar mit der Geste, in der koloniale Großwildjäger auf Beutefotos gern ihren Fuß auf den Kopf des erlegten Tigers stellten. Ursprünglich allerdings hatte der Bau des Felsendoms nicht diese Bedeutung, denn es gibt einen wichtigen spirituellen Grund, warum der Platz für die Muslime wichtig ist: An genau dieser Stelle hatte Abraham, der Stammvater nicht nur der Juden, sondern auch der Araber, seinen abschließenden Test zu bestehen gehabt, in dem sich zeigte, dass er genau jene Haltung dem Leben gegenüber hatte, die der neuen Religion des Propheten ihren Namen gab, nämlich „Islam“, Hingabe. Deshalb gilt diese Stelle als die Stelle der Himmelfahrt des Propheten.
Für einen großen Teil der Muslime bedeutete das aber eben auch, dass Mohammed die wahre Nachfolge Abrahams angetreten hatte und dass der ursprünglich bevorzugte Stamm enterbt worden ist. Und dieses Verständnis wurde zurückprojiziert in das unbezweifelbare Wort Gottes, in den Koran.
Dennoch waren die Juden nun wieder an diesem Ort. Das durfte nicht sein. Die Muslime mussten Gott helfen, seine Aussage, die er ihrer Meinung nach in Gestalt des Propheten Mohammed gemacht hatte, zu bewahrheiten. Deshalb begannen sie nach dem Krieg von 1948 dann 1967 einen zweiten Krieg und einen dritten 1973, verloren aber jeden von ihnen.
Die Leugnung religiöser Motivation in der Realpolitik
Wie kann dieser Konflikt gelöst werden, wenn er auf
muslimischer Seite von seinem spirituellen Grund her darauf drängt, dass die
Juden weggejagt werden?
Die Politiker meinen immer noch, es werde genügen, Realitäten zu schaffen, die Leute würden sich mit der Zeit schon daran gewöhnen. Auf diesem Glauben beruhte der Teilungsbeschluss der Weltgemeinschaft von 1947. Die Leute haben sich bis heute nicht daran gewöhnt – weil in der Sicht dieser „Lösung“ der geistige, der religiöse Aspekt fehlt.
So wie „die“ Christen immer noch darauf hoffen, dass die Juden sich eines Tages bekehren und Jesus als ihren Messias anerkennen werden, so wollen auch die Vorkämpfer der Muslime ihren Glauben an die konfessionell-finale Überlegenheit des Islam in der Wirklichkeit bestätigt sehen und sie werden daher gegen die Verwirklichung des neuen Zion so lange weiter kämpfen, bis der zionistische Traum ausgeträumt ist – es sei denn, es gäbe eine Lösung, die die Religion einbezieht, denn sonst gerät ihr eigener Glaube ins Wanken. Sonst würde die Realität ihren Propheten Mohammed Lügen strafen – und das möge doch Gott verhindern! Die Gläubigen werden daher das Ihrige dazu tun, damit das nicht geschieht. Das ist ein wesentlicher Aspekt des religiös-emotionalen Hintergrunds des Jihad. Und hier hilft es nicht, damit zu argumentieren, dass ein Großteil der Muslime friedliche Absichten habe und auch den Jihad anders verstehe. Wenn wir nach einer Lösung suchen, müssen wir doch gerade diejenigen verstehen, die keine friedlichen Absichten haben und die durch ihre Auffassung des „Jihad“ die christlich-jüdische Kultur, wenn möglich, vernichten wollen.
Auf muslimischer Seite bleibt dieses religiöse Motiv [etwa zu den drei Kriegen gegen Israel] verdeckt, weil es dabei um eine unbewusste existentielle Gruppenidentifikation einer Unzahl einzelner Personen geht, und auch weil man weiß, dass eine religiöse Argumentation im Westen kein Verständnis finden würde.
Solange auf beiden Seiten der religiöse Anteil an der emotionalen Motivation des politischen Handelns unbewusst bleibt oder gar geleugnet wird, wird die zermürbende und opferreiche Spannung weiter bestehen ohne eine Aussicht auf Lösung – im Gegenteil, immer wenn es starke ideologische Tabus gibt, tritt Wahnsinn zutage, etwa der Wahnsinn des Terrors.
Die Angst vor der Macht des Mythos im Westen gleicht
der Angst vor der Aufklärung im Islam
Wie also kann dieser Teufelskreis an sich gegenseitigem Missverstehen durchbrochen werden?
Von Seiten der westlichen säkularistischen Kultur hat eine Lösung zur unbedingten Voraussetzung, dass die Religion wieder ins Denken einbezogen wird als eine Realität, mit der zu rechnen ist. Erst wenn der Islam als politisch aktive Religion ernst genommen wird, können im Westen die Fragen gestellt werden, die innerhalb der Kultur des Islam den Prozess der längst überfälligen Aufklärung auslösen können, der dann wiederum den Bevölkerungen der islamischen Staaten den Anschluss an die wirtschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit ermöglicht. Solange im islamischen Bereich eine Aufklärung im westlichen Sinn nicht einsetzt, wird die im Westen geleugnete Macht des Mythos von der spirituellen Überlegenheit der Religion des Islam im islamischen Gebiet die Entwicklung behindern – denn wozu sollte eine Entwicklung nötig sein, wenn man in geistiger Hinsicht ohnehin bereits an der Spitze des Menschenmöglichen angelangt ist?
Eine ganz wesentliche Frage, die in der christlich-jüdischen
Kultur gestellt werden muss, lautet daher: Was kann getan werden, damit die
Muslime ihre Angst verlieren, ein Wiedererstehen Zions könnte den Wert ihrer
Religion grundsätzlich in Frage stellen?
Die westlich säkulare Leugnung des religiösen Faktors
schafft eine unlösbare Situation, ja sie führt zu weiterer Eskalation des
Terrors
Wir haben gesehen: Der gegenwärtige islamistische Terror und auch der Nahost-Konflikt haben zu tun mit der Art, wie viele Muslime den Koran verstehen. Es sind im Grund theologische Fragen. Weil es derartige Fragen für westliche, besonders für europäische, Politiker aber nicht gibt, wird durch diese Leugnung ein unlösbares Problem geschaffen: Es fehlt der Hebel.
Die Lösung wird entweder dadurch kommen, dass wir in unserer Kultur freiwillig die Realität religiöser Identifikationen und Motivationen anerkennen und die sich daraus ergebenden Fragen zulassen oder die Lösung wird kommen, weil die Lebensbedingungen, die durch den andauernden Konflikt in und mit den islamischen Ländern entstehen, auch im Westen so viel Druck erzeugen, dass sich durch diesen Druck im Westen eine neue Art des Denkens durchsetzt, nämlich eine zweite Aufklärung, die die Realität des Religiösen wieder sieht. Im zweiten Fall steht uns noch gewaltiger, ja bis jetzt noch ungeahnter Terror bevor. Im ersten Fall werden wir fähig, die Islamisten und sogar die Terroristen zu verstehen und so auf sie einzugehen, dass eine Lösung möglich wird. Der Haupteffekt aber wird sein, dass sich durch dieses Verstehen
auch die westliche Welt verändern wird.
Der Grund für den Kulturkonflikt: Fehlende Aufklärung
Letzten Endes ist der Grund für den Kulturkonflikt dies: Die westliche Kultur trägt an die islamische Kultur die Zumutung heran, die Schwelle der Aufklärung zu überschreiten. Die ökonomischen Bedingungen, die soziale Spannungen erzeugen, sind zusätzlicher Zündstoff.
Gerade wegen ihres Glaubens an die finale Überlegenheit des Islam gibt es für die Muslime aber keinen Anlass zu einer über die dogmatisch beschränkte innerislamische Aufklärung hinausgehenden westlichen Aufklärung, denn schließlich gibt es für Muslime keine „höhere“ Botschaft als den Koran und Mohammed ist doch das „Siegel der Propheten“. Sie haben bereits das höchstmögliche, warum sollten sie sich auf irgendwelche Verunsicherungen einlassen? Weder Aufklärung noch irgendeine Art Lernen sind nötig für jemand, der bereits an der Spitze steht.
Unter diesen Voraussetzungen wirkt eine fatale unbewusste Kraft in zwei Richtungen: Zum einen intensiviert sie die ökonomische Unangepasstheit, weil Anpassung Abfall vom Glauben wäre, zum anderen führt diese Sicherheit dazu, dass Zweifel, die spontan und ohne besonderen Grund auftauchen, als ungegründet nicht zugelassen werden. Und der Zwang dieser fortwährenden Selbstdisziplinierung erzeugt zusätzlichen inneren Stress, der nach einem Ventil sucht und das Motiv für einen nach außen gerichteten Kampf verstärkt, im Extremfall eben den Terrorismus.
Aufklärung – eine Gefahr oder die Lösung?
Weil der westliche Rationalismus vor nichts Halt macht, müssen ihn viele Muslime als eine tödliche Gefahr für ihre Religion empfinden – gleichzeitig aber zeigt die Eskalation der Schere zwischen arm und reich in den islamischen Ländern, dass der Eintritt ins Zeitalter der Aufklärung allein schon aus wirtschaftlichen Gründen unvermeidlich ist: massive Arbeitslosigkeit, besonders unter der sprunghaft anwachsenden Jugend, fehlende ökonomische Entwicklung und ein Klima, das Investitionen entgegensteht – alles in allem eine Situation, die den gesamten Mittleren Osten zu einem Pulverfass macht.
Aus genau diesem Grund forderte
die “Arab Reform Issues Conference“, eine Gruppe
unabhängiger arabischer Intellektueller, die sich Mitte März 2004 in Alexandria
getroffen haben, eine Reihe von Reformen, unter anderem auch eine kulturelle
Reform, “laying down the bases for
rational and scientific intellect, encouraging scientific research institutions
and uprooting fanaticism from some religion curricula, mosque sermons and
official and non-official media.”
Die religiöse Grundlage des Terrors: Angst vor
Aufklärung
Aber die Fundamentalisten unter den Muslimen wissen instinktiv, wenn die Schwelle der Aufklärung in einem westlichen Sinn überschritten ist, ist es um die absolute Autorität des Korans geschehen. Und auf diese Aussicht können sie vom Standpunkt der islamischen Superiorität aus doch nur mit Terror reagieren.
Das ist die Gefahr, die die Taliban gespürt haben und die sie mit allen Mitteln, also auch mit den Mitteln von Al Qaeda, abwehren wollten. Der ganze Islamismus beruht auf dieser Angst – die aber nicht ausgesprochen werden kann, weil diese Angst in der westlichen Zivilisation überhaupt nicht verstanden würde. So verwendet man stattdessen Begriffe, die im Westen verstanden werden. Man spricht von „Kolonialismus“ und „Imperialismus“, weil diese Begriffe die Menschen des Westens in ihrem Gewissen treffen, weil sie in ihnen Schuldgefühle wecken. Damit hat der Westen den schwarzen Peter, obwohl die zunehmende Armut in den islamischen Ländern eine rein innere Angelegenheit ist – unangepasste Herrschaftsstrukturen, fehlende Bildung etc.. Gleichzeitig wird damit der notwendige Schritt der Aufklärung in der Kultur des Islam nur weiter aufgeschoben. Doch es gibt genügend Kräfte in der westlichen Kultur, die sich diesen Schuh anziehen und vor lauter Schuldgefühlen sowohl die Realität als auch ihre eigenen Interessen vergessen.
Und weil die Menschen der industrialisierten Welt nicht die geringste Ahnung haben von dem gewaltigen Gewissenskonflikt, den der Schritt in die Aufklärung in den Muslimen auslöst, leuchtet ihnen das Argument des Neokolonialismus sehr ein – dabei haben die Muslime nur Angst vor diesem zwar unvermeidlichen, für sie aber außerordentlich schmerzhaften, historischen Schritt – von der Gewissheit in den Zweifel.
Die christlich-jüdische Zivilisation hat Jahrhunderte gebraucht, um das Zeitalter der Aufklärung zu durchschreiten (und ein großer Teil der Bevölkerung ist noch gar nicht durch) und jetzt sollen die Muslime es in wenigen Jahren schaffen? Wir werden Geduld brauchen und einiges über uns ergehen lassen müssen – besonders so lange die Bevölkerung des Abendlands sich Schuldgefühle machen lässt und den fälschlich gegen sie gerichteten Terror schuldbewusst über sich ergehen lässt – wie die Anschläge in Spanien erneut zeigen, wo ganz im Sinn der Terroristen, dem Kampf gegen den Terror die Schuld am Terror gegeben wird.
Die Angst vor der Aufklärung im Westen:
Religionskriege, Inquisition, Hexenwahn…
Als die christliche Welt an dieser Schwelle der Aufklärung stand, hat in Europa ähnlicher Terror geherrscht. Gleichzeitig mit der Einführung des Buchdrucks ist der Hexenwahn eskaliert. Als die Naturwissenschaften schon nicht mehr zu stoppen waren, ist Galilei verurteilt worden. Letzten Endes aber hat sich der Prozess nicht aufhalten lassen und schließlich sind daraus auf theologischem Gebiet die Bibelwissenschaften hervorgegangen. Es hat ungeheure Kämpfe bedeutet, das „Wort Gottes“ wissenschaftlich relativiert zu sehen, aber jetzt ist genau dadurch die Bedeutung dieses Wortes klarer und in keiner Weise vermindert. Genau dieser Prozess steht der islamischen Welt heute bevor.
Die befürchtete Wirkung der Aufklärung auf die
Religion
Der jüdische Philologe Abraham Geiger hat bereits vor fast zweihundert Jahren nach den jüdischen Quellen des Korans geforscht, und er ist fündig geworden. Geigers Arbeit ist im islamischen Raum bis zum heutigen Tag nur abwehrend rezipiert worden. Dagegen sind aus ähnlichen Forschungen die christlichen Quellen betreffend zu der damaligen Zeit bereits die kritischen Bibelwissenschaften hervorgegangen, die inzwischen allgemein als selbstverständliche Basis zum Verständnis der biblischen Texte anerkannt sind. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Texten des Koran gibt es bis jetzt nur in zaghaftesten Ansätzen, während die meisten Muslime darin noch ein Sakrileg sehen, auf das sie nur mit innerem Terror reagieren können – ausgelöst von der Angst, ihre spirituelle Basis könnte sich als Irrtum herausstellen.
Als göttliche Offenbarung ist der Koran mit einem derart strengen Tabu belegt, dass jeder öffentlich geäußerte Zweifel reale Lebensgefahr birgt. Salmon Rushdie ist nur ein harmloses Beispiel verglichen mit den Anschlägen der Islamisten. Glück hatte der Koranwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zayd, der wegen seiner durchaus nicht westlich, sondern rein islamisch inspirierten Aufklärung nicht sein Leben, sondern nur seinen Lehrstuhl in Ägypten verloren hat – allerdings wurde deswegen 1995 von einem ägyptischen Gericht auch noch die Zwangsscheidung von seiner Frau verfügt.
Rationales Infragestellen als Existenzbedrohung erlebt
Welche für einen Europäer völlig unbegreifliche, gewaltige Existenzangst in Muslimen entsteht, wenn auch nur ein Detail ihres Glaubens in Frage gestellt wird, habe ich am eigenen Leib erfahren, als ich einem sehr weisen, alten Sufi-Scheich eine für einen aufgeklärten Europäer völlig normal Frage stellte. Zunächst musste ich vor Ort ein Jahr warten, bis es möglich wurde, diese Frage zu stellen. Die Gelegenheit ergab sich dann in einer Runde von etwa dreißig doch bereits sehr aufgeklärten und keineswegs fundamentalistischen Sufi-Schülern. Ich fragte den Scheich über den Ursprung des Koran: „Ist es legitim, den Erzengel Gabriel, der dem Propheten Mohammed den Koran überbracht hat, als die spirituelle psychische Energie der Araber seiner Zeit zu betrachten, die Mohammed als Medium aufgefangen hat?“
Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, als sich eine eisige Kälte im Raum ausbreitete und mir klar wurde, dass ich jetzt etwas erlebte, was in der Vergangenheit viele nicht überlebt haben. Ohne dass irgendwer auch nur einen Ton von sich gab, war die Stimmung im Raum wie unmittelbar vor einem Lynch-Mord. Ich fürchtete tatsächlich um mein Leben. Ein kleiner Wink des Scheichs hätte genügt und die Meute hätte sich auf mich gestürzt und mich zerfleischt. Der Scheich aber richtete nach langen bangen Minuten seine Antwort nicht an mich, sondern wies die versammelt Runde darauf hin, dass jeder der Anwesenden schon eine Weile seinem Sufi-Orden angehöre und jeder, der die von ihm kommenden spirituellen Aufgaben zu seiner Zufriedenheit erfülle, bekäme von ihm und von den Heiligen des Ordens ein Geschenk. So hätten alle Anwesenden Geschenke erhalten. – Und dann bezeichnete er das Verständnis, das sich in meiner Frage abzeichnete, als sein Geschenk an mich.
Diese Aussage traf die Runde völlig überraschend. Als sich die ersten von dem Schock erholt hatten, schrieen sie auf, dass es ja schon sein könne, dass ich durch den Scheich gewissermaßen eine Privatoffenbarung erhalten hätte, aber über diese dürfte ich doch auf keinen Fall in der Öffentlichkeit sprechen. Darauf wandte ich ein, dass ich Theologe sei und dass es daher zu meinen Aufgaben gehöre, über diese Dinge in der Öffentlichkeit zu sprechen – was ich übrigens hiermit zum ersten Mal tue, nach mehr als zwanzig Jahren. Da sagte der Scheich: „Ja, er darf darüber auch sprechen, aber er wird merken, dass diese Einsicht im Grunde nichts ändert.“ Und das möchte ich heute den Muslimen sagen: Das sich Sträuben gegen die Aufklärung ist völlig unnötig, weil die Aufklärung nichts an den Tatsachen ändert – aber erst hinterher kann man die Tatsachen als solche behandeln und sie auch verhandeln, ohne Terror.
Seit dieser Stunde wundert mich der Terrorismus nicht mehr. Er ist nur eine logische emotionale Konsequenz der Schwelle, an der die Muslime heute stehen und vor deren Durchschreiten sie panische Angst haben, solche Angst, dass einige von ihnen zu Menschen werden, die die Wahrzeichen der Zivilisation angreifen, die ihnen derartiges zumutet.
Aufklärung – eine kulturelle Entwicklungsstufe, die die Religion letztlich nicht berührt
Damit wird aber auch wieder klar, dass es am Ende doch nicht der Islam ist, von dem die Gefahr des Terrorismus ausgeht – genauso wenig wie es das Christentum war, von dem die Verurteilung Galileis ausgegangen ist – es ist die kulturelle Entwicklungsstufe der islamischen Gesellschaft, die eben an der Schwelle der Aufklärung steht.
Genau an dieser gefährlichen Schwelle, brauchen die Muslime Unterstützung. Sie fürchten, der Wert, mit dem sie sich identifizieren, der Islam, könnte unter dem Ansturm der Aufklärung zusammenbrechen. Sie brauchen daher genau von denen, die bereits unzweifelhaft aufgeklärt sind, eine Bestätigung des Werts ihrer Religion und eine Bestätigung, dass die Aufklärung diesen Wert nicht in Frage stellen wird.
Die von Angst beherrschten Terroristen brauchen ein Friedensangebot, das ihnen zeigt, dass sie als Gleiche respektiert werden, dass ihre Zivilisation der christlich-jüdischen ebenbürtig ist, letztlich dass der in der Bibel verstoßene Sohn Ismael, von dem die Araber abstammen, als gleichberechtigt in die Familie des Abraham zurückkehren kann.
Jesus - Maria und Martha
25.7.2004
Die Geschichte kennt jeder (Lk 10, 38-42):
10:38
Sie zogen zusammen weiter, und er kam in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm
ihn freundlich auf.
10:39 Sie hatte eine Schwester, die Maria
hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu.
10:40 Marta aber war ganz davon in Anspruch
genommen, für ihn zu sorgen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich
nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr
doch, sie soll mir helfen!
10:41 Der Herr antwortete: Marta, Marta, du
machst dir viele Sorgen und Mühen.
10:42 Aber nur eines ist notwendig. Maria hat
das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.
Warum unterstützt Jesus Martha nicht?
Er unterstützt sie, indem er sie auf ihr Problem aufmerksam macht.
Um die Geschichte zu verstehen, ist es hilfreich, sie als eine Art „Koan“ aufzufassen, als ein Rätsel, durch dessen Lösung wir etwas Wesentliches über das Leben erfahren.
Ich versuche nun, in der Geschichte das zu ergänzen, was nicht gesagt wird, was damals aber in einer ähnlichen Form sicher gesagt worden ist:
Als Marta sich beschwert, dass sie die ganze Arbeit hat, während ihre Schwester Maria nichts tut, hat sie ein Problem, das sie aber nicht bei sich, sondern bei ihrer Schwester sieht.
Jesus sagt ihr gewissermaßen, warum beschwerst Du Dich, hat Dir irgendjemand gesagt, Du musst jetzt in der Küche sein?
Maria hat auf das geachtet, was sie empfunden hat und sie ist dem gefolgt. Du, Marta, hast das Gleiche empfunden, aber die eingedrillte Pflicht hat diese Empfindung überlagert. Wie ein Automat hast Du angefangen zu arbeiten, obwohl auch Du lieber bei mir geblieben wärst. Du standest unter dem Gesetz, aber nicht freiwillig, das Gesetz war ein Zwang für Dich, deshalb hat Du Dich über Deine Schwester geärgert, für die es kein Zwang war und die es sich erlaubte, nichts zu tun und bei mir zu bleiben.
Aber – werden Sie nun vielleicht sagen – die Arbeit musste doch erledigt werden. Das Gebot der Gastfreundschaft war doch vorrangig. Jesus meint, nein, die Ehrlichkeit ist vorrangig. Und die Beschwerde der Marta zeigt, dass sie ihren Wunsch, auch bei Jesus zu sein, unterdrückte.
Ja, aber was wäre gewesen, wenn sie sich auch zu Jesus gesetzt hätte, dann hätte sie der Gastfreundschaft nicht genügt und Jesus hätte nichts zu essen bekommen.
Jesus fragt: Habe ich Dir gesagt, Du sollst in der Küche verschwinden?
Aber dann hättest Du nichts zu essen bekommen.
Ja und? Wenn ich dann hungrig gewesen wäre, hätte ich es schon gesagt und dann hätten wir alle zusammenhelfen können. Dann wärst Du nicht nur zuvor schon bei mir gewesen, sondern ich wäre nachher auch noch bei Dir gewesen und wir wären nicht nur die ganze Zeit zusammen gewesen, wir hätten auch alle etwas zu essen bekommen.
Aber so hast Du nicht getan, was Dein Herz Dir sagte und deshalb musstest Du Dich ärgern und Du hast Deinen Ärger auch noch an Deine Schwester weitergegeben, die damit gar nichts zu tun hatte. Anstatt auf Dich zu achten, hast Du Deinen Fehler ihr angerechnet. Wenn Du von Anfang an auf Dich geachtet hättest, hättest Du nicht nur Dir den Ärger erspart, sondern auch ihr und Du hättest alles bekommen, was Du wolltest.
Ja, aber das hätte ich nicht ausgehalten, ich musste für Dich sorgen.
Dann hättest Du gleich, bevor Du in der Küche verschwunden bist, das sagen und uns alle fragen können, wie wir das gerne hätten. Dann hätte ich Dir gleich gesagt, dass Du Dich doch zu uns setzen sollst. Und dann hättest Du auch keine Schuldgefühle gehabt deswegen.
Ja, aber dann hätte ich trotzdem Schuldgefühle gehabt.
Dann hättest Du das sagen können und wir hätten zusammen überlegt, was wir da machen können und wir hätten eine Lösung gefunden, mit der alle zufrieden gewesen wären.
Da fiel Marta Jesus zu Füßen und weinte und er drückte sie an sich und als sie sich wieder beruhigt hatte, fragte er, was es denn jetzt zu tun gebe. Und dann entschieden sie zusammen, wie es weitergehen sollte.
DER MYTHOS DES GOTTESSOHNES IM CREDO HEUTE
(Pfingsten 2004)
Ein wesentlicher Grund für religiöse Streitigkeiten unter
und zwischen Christen, Juden, Muslimen und Angehörigen anderer Religionen ist,
dass Symbole – also auch Mythen – unterschiedlich aufgefasst werden können.
Nachdem aber alle Menschen die gleiche menschliche Natur
teilen, also das, womit Gott die Menschen ausgestattet hat, muss auch ein
Verstehen möglich sein, durch das jede Gruppe die Formulierungen jeder anderen
Gruppe in einer positiven Weise begreifen und sogar in der gleichen Weise und
Intensität wertschätzen kann wie diese Gruppe selbst, ohne in diese Gruppe
überwechseln zu müssen. Dieses Grenzen überschreitende Verstehen zu versuchen,
sehe ich als den zentralen menschlichen Teil des göttlichen Auftrags an die
ganze Schöpfung, nämlich zunehmender Bewusstheit – dem Licht –
entgegenzustreben. In diesem Sinn ist das Folgende gemeint.
Das originäre Verstehen der anderen zieht dann jeweils
eine Erweiterung und Vertiefung des Verstehens der eigenen besonderen Wahrheit
nach sich.
Durch diese Art des Gesprächs – die weit hinausgeht über
die gegenwärtig allein als korrekt geltenden, sich abgrenzenden Formen des
„Dialogs“ – kann jeder die eine, beglückende Wirklichkeit hinter den
unterschiedlichen Perspektiven in einer für alle sehr fruchtbaren Weise
entdecken. Es verlangt allerdings eine besondere Bereitschaft, sich auf
zunächst fremde Kategorien und Paradigmen einzulassen und sich dazu, wenigstens
vorübergehend, von den gewohnten eigenen Vorstellungen zu lösen.
Ein Beispiel:
Im lateinischen Credo gibt es die Behauptung, dass der Heilige Geist nicht nur vom Vater, sondern auch vom Sohn ausgeht, also von der zweiten Person der göttlichen Trinität. Diese Behauptung stammt aus Erfahrungen im Spanien der allerersten Reconquista-Zeit und wurde von der römischen Kirche unter Papst Benedikt VIII. im Jahr 1014 durch den Zusatz des „filioque“ in das nicänisch-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis von 381 eingefügt, dem noch alle Kirchen zugestimmt hatten:
„Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater - und dem Sohn - hervorgeht“
Durch diese einseitige Erklärung hat die römische Kirche den Ostkirchen gegenüber eine Vormachtstellung behauptet, die gesamte Orthodoxie brüskiert und eine große Kirchenspaltung herbeigeführt.
Der Streit, der damals vorwiegend aus politischen Gründen entstanden ist, kann heute beigelegt werden – indem sowohl die Ost- wie auch die Westkirchen ihr Verständnis von dem erweitern, was der „Filius“ ist, der Sohn, von dem im Westen behauptet wird, dass der Heilige Geist auch von ihm ausgehe. Möglicherweise wird dieses erweiterte Verständnis dann auch den Konflikt um die Bedeutung der Patriarchate lösen helfen.
Die Gefahr der Hybris: Der
„Sohn Gottes“ im Wandel der Zeit
Der „Filius“ des Credo wird von allen Kirchen als „die zweite göttliche Person“ gesehen, die sich in Jesus von Nazaret inkarniert hat. Das Verständnis dieser Formulierung wird aber gewöhnlich in der Weise eingeschränkt, dass diese Inkarnation nicht nur einzigartig, sondern auch numerisch einzig ist, sodass sich die zweite göttliche Person in der Geschichte nur einmal inkarniert hat und zwar in dem historischen Jesus. Auch hierin sind sich die christlichen Kirchen bis jetzt einig.
Genau dieser Punkt allerdings bedeutet, wie ich gleich zu zeigen versuchen werde, in der heutigen gesamtmenschlichen Perspektive eine Hybris, obgleich diese Anschauung rein innerchristlich immer noch in der ursprünglich intendierten Weise wirken kann. Wegen der Gefahr der Überheblichkeit aber kann es heute notwendig sein, dieses Verständnis zu vertiefen und zu erweitern, weil es aus einer vergangenen, kulturspezifisch und geografisch beschränkten Epoche stammt.
Nach Aussage eines der führenden Bibelwissenschaftler der Gegenwart, Paul Hoffmann, ist dieses eingeschränkte Verständnis beim Evangelisten Matthäus, der gerade für dieses Verständnis als Kronzeuge herangezogen wird, noch gar nicht zu finden. Dieses eingeschränkte Verständnis ist also später in diese Quelle hineininterpretiert worden – weil es den Erfordernissen der Zeit, in der das geschehen ist, entsprochen hat. Es entspricht aber nicht unbedingt den Erfordernissen unserer Zeit.
Welche Aussagen können heute
jemand zur Nachfolge Christi inspirieren?
Dem Auftrag Jesu gemäß geht es darum, seiner Weisheit Gehör zu verschaffen. Die dogmatischen Formulierungen sind eine Hilfe dazu, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es ist daher nicht nur ein Recht, sondern die Aufgabe der Nachfolger Jesu, also der Christen, das Verständnis seiner Aussagen in der Sprache ihrer jeweiligen Zeit auszudrücken und es damit für sich selbst zu realisieren. Auch ein noch sehr ursprüngliches Verständnis, wie das des Evangelisten Matthäus, musste daher späteren Zeiten und anderen Kulturen angepasst werden. Derartige Vertiefungen des Verständnisses haben durch die Jahrhunderte hindurch in den Formulierungen der Dogmen ihren Niederschlag gefunden. Auf diese Weise ist „die Lehre der Kirche“ entstanden, immer weiterentwickelt und von vielen Konzilien entsprechend der Sprache der jeweiligen Zeit und Kultur immer neu formuliert und vertieft worden. Auch heute muss dieses Verständnis wieder erneuert und vertieft werden.
Die heutigen Gegebenheiten verlangen, dass sich das Verständnis wegbewegt von den Kategorien der hellenistischen Weltanschauung, in der die Formulierungen der ersten großen Konzilien entstanden sind, weil die dort gebrauchten Kategorien und Paradigmen heute nämlich – jedenfalls in der abendländischen Welt – weitgehend nicht mehr in der damals intendierten Weise verstanden werden. Es braucht ein neues Verständnis, das in unserer Kultur und Zivilisation wieder die ursprünglich beabsichtigte Wirkung erzielt. Die numerische Beschränkung des Verständnisses des Ausdrucks „Sohn Gottes“ auf Jesus von Nazareth wirkt heute nicht mehr in der dieser Weise.
Ist der Gottessohn
präexistent? Der Bedeutungswandel des Begriffs „Sohn Gottes“ durch den
Hellenismus
Wenn Matthäus vom „Sohn Gottes“ spricht, spricht er von seiner Wertschätzung. Jesus war für ihn ein, nein der exemplarische Sohn Gottes, weil Gott für Matthäus selbst und für sehr viele andere Menschen durch ihn erfahrbar geworden ist. Matthäus dachte dabei aber nicht an die logische Kategorie einer zweiten göttlichen Person oder an eine Präexistenz Jesu vor aller Schöpfung. Und auch Origenes verwendet den Ausdruck „Sohn Gottes“ noch so. In seinem Matthäuskommentar spricht er davon, dass geisterfüllte Menschen leben „wie ein Sohn Gottes“, also so wie Jesus lebte.
Mit zunehmender zeitlicher Entfernung wurde es für die Prediger des christlichen Evangeliums aber offenbar wichtig, die Autorität des historischen Jesus über das Menschliche hinaus noch weiter zu verstärken. Der reale Jesus wurde zu einer mythischen Gestalt. Und das wurde möglich, ja sogar notwendig durch die Vorstellungswelt der hellenistischen Zeit, in der Götter in der Gestalt von Menschen auf Erden erscheinen, um die Helden auf den richtigen Weg zu führen. Und nachdem die Christen nur einen Gott kennen, musste Jesus eben der Sohn dieses einen Gottes sein.
So wurde der, durch den Gott für viele sichtbar wurde, selbst zum Gott und zum Einzigen seiner Art – und das obwohl Jesus selbst unermüdlich gerade davon gesprochen hatte, dass alle Menschen Kinder Gottes sind und dass er ihnen einen Weg zeigt, genau das zu begreifen. Das Vaterunser ist der deutlichste Hinweis darauf. Für Jesus sind alle Menschen unmittelbare Abkömmlinge dieses einen Gottes, sonst würde die vertrauensvolle Anrede „Vater“ für niemand stimmen außer für ihn.
Die Menschen der hellenistischen Zeit aber hatten mit dem nun auf ihre Weise verstandenen Begriff „Sohn Gottes“ einen Ausdruck gefunden, der ihnen die Bedeutung Jesu in der Sprache ihrer Kultur adäquat beschrieb. Das hellenistische Verständnis des neuen Mythos war für die hellenistische Zeit und Kultur korrekt – wir dagegen können dieses hellenistische Verständnis nur durch eine besondere Anstrengung des Verstehens erreichen, eben indem wir eintauchen in diese uns inzwischen ferne Welt mit ihren uns inzwischen fremd gewordenen Vorstellungen und Paradigmen. Und dadurch relativiert sich sein konkreter Inhalt.
Die Ablösung von den Idealen
der Antike
Bereits Mohammed sah sich veranlasst, heftig gegen die Bezeichnung Jesu als „Sohn Gottes“ Stellung zu nehmen, weil dieser inzwischen hellenistisch geprägte Ausdruck in seiner Kultur nur falsch verstanden werden konnte.
Gleichzeitig aber konnte das hellenistische Verständnis dort gültig und korrekt bleiben, wo das mythische Weltbild der Griechen und Römer noch gültig war – und das war zumindest im Westen noch sehr lange der Fall.
Als sich das römische Reich unter dem Ansturm der Barbaren auflöste, blieb die römisch-hellenistische Kultur weiterhin gültig, weil die Barbaren, die Rom zu Fall gebracht hatten, ja erst die Kulturstufe der Römer erreichen mussten, und dazu viele Jahrhunderte brauchten. Und sie erreichten den evolutionären Aufstieg ihres Bewusstseins, indem sie die Kultur der höheren Zivilisation in ihre eigene integrierten.
So blieb die hellenistische Kultur bestimmend bis zur Entwicklung der nächsten evolutionären Stufe der Zivilisation, also etwa bis zur Renaissancezeit.
Von da an gewann im Bereich der europäischen Kultur ein wissenschaftliches Weltbild immer mehr an Bedeutung, in dem Begriffe wie „Sohn Gottes“ als Mythen verstanden werden, bzw. als symbolische Beschreibungen, die etwas Wesentliches anhand eines analogen Vergleichs hervorheben und die deshalb nicht als Beschreibungen von Fakten verstanden werden dürfen.
Diese Mythen koexistierten von da an mit dem wissenschaftlichen Weltbild der Aufklärung und wurden von diesem mehr und mehr durchdrungen – eben in dem Sinn, dass der grundsätzliche Unterschied zwischen mythischer und wissenschaftlicher Beschreibung klar gemacht wurde. Dieser Prozess gereichte den Mythen nicht zum Schaden, sondern er führte als eine Horizonterweiterung auch zu einem besseren Verständnis der Religionen.
Heute stehen wir durch die Globalisierung an einer neuen Schwelle, an der ein neuer Entwicklungsschritt unbedingt notwendig geworden ist. Weil alle Kulturen und Religionen einander sehr nahe gekommen sind, müssen Brücken zwischen ihnen gefunden werden. - Wie notwendig dieser Schritt ist, zeigt nicht zuletzt der Konflikt im Nahen Osten, der im Kern ein Religionskonflikt ist.
Wie sehen die Mythen im
Zeitalter der Wissenschaft aus?
Im Weltbild der Wissenschaften, das die westliche Welt heute prägt, gibt es keine Götter mehr – und es gibt auch keinen Gott, es sei denn, „er“ würde als eine Kraft verstanden, als die Kraft, die alles bewegt. – Und erstaunlicherweise finden wir dieses Verständnis bereits in der Bibel. In der Version des Matthäus sagt Jesus vor dem Hohen Rat (Mt 26,64): „Ihr werdet den Sohn des Menschen zur Rechten der Kraft sitzen sehen“.
Abgesehen davon, dass Matthäus an dieser Stelle ausdrückt, dass er die Messiasvision des Daniel in Jesus erfüllt sieht, sagt Jesus hier nicht nur etwas über sich selbst aus, er macht eine symbolisch zu verstehende Aussage über die Menschheit als Gattung, er sieht sie gewissermaßen als rechte Hand der Kraft.
Der Jesus, der so spricht, passt durchaus in das wissenschaftliche Weltbild als einer der sehr ungewöhnlichen Menschen, die Unglaubliches zustande gebracht haben. Er ist aber kein Gott, und wenn „Sohn Gottes“, dann noch in einem anderen Sinn als dem der hellenistischen Zeit.
Das hellenistische Weltbild steht zwischen dem Weltbild der Bibel und unserem wissenschaftlichen Weltbild. Es ist in einem evolutionären Sinn Basis und Vorstufe des Weltbilds unserer jetzigen Zivilisation. Und seine evolutionäre Entwicklung kann auch auf den in hellenistischer Zeit definierten, dogmatischen Begriff „Sohn Gottes“ in unserer Kultur angewandt werden.
Was kann die Bedeutung des Ausdrucks „Sohn Gottes“ in unserer wissenschaftlichen Zeit sein?
Zunächst ist in dem Ausdruck „Sohn Gottes“ ausgesagt, dass die schöpferische Kraft sich nicht nur in einem anfänglichen Schöpfungsakt, sondern auch in der Geschichte manifestiert. Wissenschaftlich eingestellte Menschen können darin die Evolution sehen, die in uns Menschen gipfelt und in ihr die Tendenz zu immer mehr Bewusstheit – ganz so, als ob in der Geschichte durchgehend eine bewusste, schöpferische Kraft wirkt. Diese Tendenz setzt sich fort in der kulturellen Entwicklung der Menschheit als ganze. Und sie ist offenbar auch vorhanden in der persönlichen Entwicklung der einzelnen Menschen. Diese Tendenz zu mehr Bewusstheit drängt die Menschen, die Wirklichkeit aus der Perspektive der größeren Ganzheit wahrzunehmen, deren Teil sie sind, und sich in ihren persönlichen Intentionen mit den evolutionären Intentionen dieser Ganzheit zu vereinen. Durch eine solche Vereinigung der Intentionen können Menschen über sich selbst hinauswachsen und dadurch, wenn die Zeit dafür reif ist, der ganzen Gattung den Sprung in eine höhere Kulturepoche ermöglichen. Auch bereits in jenen oft geradezu unglaublichen Kooperationen zwischen Tieren und Pflanzen, die Naturforscher uns heute im Fernsehen vorführen, kann eine derartige Vereinigung der Intentionen beobachtet werden.
In all dem zeigt sich die unausgesetzte Gegenwart schöpferischer Kraft, theologisch ausgedrückt: der Sohn – ganz im Sinn des „gezeugt, nicht geschaffen“ des Konzils von Nicäa im Jahr 325.
Bis hierher können Menschen mit einer wissenschaftlichen Weltanschauung problemlos mitgehen.
Ein neues Verständnis der
Heilsgeschichte
Ohne dies so zu bezeichnen, sehen auch die Religionen in der menschlichen Geschichte die Tatsache der Evolution am Werk. Sie nennen diese Wirkung der schöpferischen Kraft „Heilsgeschichte“. Weil die Evolution aber in periodischen evolutionären Sprüngen kulminiert, ist die Auffassung entstanden, dass „Gott“ nur gelegentlich in die Geschichte „eingreift“, um die Menschen zu „retten“. Als einen solchen Eingriff verstehen die Christen jeweils die Auftritte der Propheten, insbesondere aber „die Inkarnation des Sohnes Gottes“.
Dieses Verständnis eines gelegentlichen Eingreifens Gottes ist mit dem wissenschaftlichen Weltbild nicht vereinbar. Die Vorstellung von einem gelegentlichen „Eingreifen“ setzt nämlich ein dichotomisches Weltbild voraus. „Gott“ ist „draußen“ und wir sind „drinnen“. Und von dort draußen greift Gott in den ansonsten von ihm nicht beeinflussten Lauf unserer Geschichte ein.
Ein Naturwissenschaftler kann diese Zweiteilung nicht nachvollziehen. Er kennt nur eine Welt und kein Eingreifen von außen. Er kennt aber sehr wohl das Konzept der Evolution, das auch in der Theologie die Schizophrenie des dichotomischen Weltbilds überwinden kann.
Das zweigeteilte Weltbild hilft heute niemand mehr. Es führt nur dazu, dass sich ein großer Teil der aufgeklärten Anhänger des wissenschaftlichen Weltbilds von der Religion abwendet, weil sie wegen dieser mit der Religion verknüpften Spaltung alles an der Religion für Unsinn halten. Hier liegt ein wesentlicher Grund, warum heute auch der Ausdruck „Sohn Gottes“ nicht mehr adäquat verstanden wird.
WIE KANN „DER GOTT DA
DRAUSSEN“ EINFLUSS NEHMEN? Berechtigung und verhängnisvolle Konsequenzen des
dichotomischen Weltbilds
Das dichotomische Weltbild ist nicht einfach falsch. Es ist ein mythisches Gedankenkonstrukt, das eine wichtige Erfahrungstatsache enthält, nämlich die Erfahrung der Transzendenz, des Wirkens „geistiger“ Kräfte – das im wissenschaftlichen Weltbild als das „Wirken größerer Ganzheiten“ gesehen werden kann. Ein Beispiel dafür sind die Religionen selbst und ihr Verhältnis zueinander:
Die Religionen (wie andere Ganzheiten) verhalten sich wie lebende Organismen. Sie versuchen zu überleben, sich an die Gegebenheiten der Zeit anzupassen und doch ihre Identität zu wahren. Aus dem Überlebenswillen der Ganzheit fließt die schöpferische Kraft auch in den Religionen in vielfältigster Weise – von akribischster Liebe im Detail bis hin zu brutalst zerstörerischer Aggression. Gleichzeitig sind diese Organismen konfrontiert mit der übergeordneten Ganzheit, die alle Religionen einschließt. Aus deren Perspektive würden viele Elemente dieses innerhalb ihrer selbst stattfindenden Konkurrenzkampfs grotesk anmuten, wäre da nicht die von dem großen Ganzen gestellte „Aufgabe“, das Tauglichste zu finden und das Untaugliche absterben zu lassen.
Für diejenigen, die die unterschiedlichen Ganzheiten sehen können, hebt sich die Spaltung der Wirklichkeit in Natur und Übernatur von selbst auf, wie ein „Koan“, das gelöst ist. [Ein „Koan“ ist im Zen-Buddhismus ein logisch unlösbares Rätsel, das gerade durch seine Unlösbarkeit die menschliche Kreativität mobilisiert und den betroffenen Menschen aus seiner Froschperspektive heraushebt hinein in die Perspektive des Ganzen.] Solange die Dichotomie aber nicht als Koan gesehen wird, sondern dogmatisch selbst schon als Tatsache, können sich daraus nur verhängnisvolle Missverständnisse ergeben.
Welchen Sinn hat der Mythos
von Gottes einzigem Sohn?
Ein Mythos, wie der von Gottes einzigem Sohn, ist in einem wissenschaftlichen Sinn ein Sinngefüge, das die Funktion eines Programms erfüllt: Er steuert das Wahrnehmen und Verhalten eines Menschen. Durch diese Funktion kann der Mythos für diejenigen, die sich seiner bedienen, eine außerordentlich wünschenswerte Wirkung haben – in mythischer Sprache: in den Himmel führen. Gemäß Programm, räumen seine Anwender den Aussagen Jesu in ihrem praktischen Leben höchste Priorität ein und dadurch bekommen sie im Idealfall Zugang zu den Erfahrungen, die Jesus zu seinen Aussagen und Handlungen geführt haben.
Solange und so weit der Mythos vom einzigen Sohn Gottes als Motivationsgrundlage in einem sozialen Gefüge auf eine derartige Weise als selbstverständlich gilt, ist diese Auffassung von Jesus als praktische Wahrheit korrekt und positiv effektiv. Sobald aber Bedingungen auftreten, die es zur Zeit der Entstehung des Mythos nicht gegeben hat – etwa eine neue Weltbeschreibung, neue Paradigmen, neue soziale Strukturen – verliert das Wahrnehmungs- und Verhaltens-Programm des Mythos seine Wirkung oder die Wirkung verkehrt sich ins Negative oder eine latent bereits vorhandene negative Wirkung tritt als solche zu Tage – wie die Nebenwirkung einer Droge, die nicht ganz passt.
In unserer Zeit wird eine außerordentlich destruktive Nebenwirkung des Mythos vom einzigen Sohn Gottes sichtbar. Gewisse Aspekte des Mythos werden als Wahn erkennbar, nämlich die Abwertung all derer, die seine Sicht nicht teilen. Unbemerkt von seinen Anwendern hat der Mythos in der Weise schon sehr lange destruktiv gewirkt – beispielsweise in den Missionierungen, die die Kolonisierung begleitet haben oder in den Hexenprozessen.
Dass sich Papst Johannes-Paul II. für dieses Verhalten der Kirche entschuldigt hat, ist ein erster Schritt zur Korrektur, aber der wesentliche Schritt steht noch aus: Der Papst konnte den ideologischen Zusammenhang noch nicht benennen, aus dem dieses Verhalten logisch folgen musste. Er konnte noch nicht klar stellen, dass das von ihm inkriminierte Verhalten damals moralisch durchaus einwandfrei war, denn für jeden, der an den Mythos in der Form glaubt, in dem er damals gegolten hat, sind Kreuzzüge oder Ketzer- und Hexenverbrennungen völlig logisch und moralisch korrekt. Die Wurzel des heute zutage liegenden Problems liegt nicht in der Moral, sondern im Verständnis des Mythos – das festzuhalten ist auch sehr wichtig im Hinblick auf das, was uns heute von islamistischer Seite begegnet: Es ist nicht ein moralischer Defekt, sondern ein ideologischer.
Durch den für real in einem wissenschaftlichen Sinn gehaltenen Mythos von Gottes einzigem Sohn kann die Geschichte vor Jesus nur als eine dunkle Zeit betrachtet werden, in der die Menschen verloren waren und sich vergeblich nach einem Erlöser sehnten. Genau das rechtfertigt dann Phänomene, ja es macht solche Phänomene sogar notwendig, die im Angesicht des historischen Jesus völlig undenkbar gewesen wären, wie Zwangsbekehrungen, Kriege oder Folter im Namen Jesu.
Und natürlich muss von einem derartigen Verständnis des Mythos her auch jede nach Jesus erfolgte „Offenbarung“, wie die Mohammeds, als Irrtum abgelehnt werden – mit allen Folgen, die diese Auffassung hat.
Die Autoren der Bibel haben diese Situation vorhergesehen, in der ein Bild (ein Mythos) mit der Realität verwechselt werden würde, und sie haben mit der Formulierung des ersten Gebots davor gewarnt (Ex 20,4): „Du sollst Dir kein Bildnis machen“. Diese Warnung ist eine Aufforderung an uns, die Bilder, die wir benützen, immer wieder zu überprüfen auf die größere Ganzheit hin, insbesondere wenn ihre Umsetzung grauenvolle Folgen hat. – In dem Zusammenhang sollten wir uns aber auch klar machen, dass wir ohne Bilder nicht leben können, auch die können es nicht, die vorgeben, es zu tun, ja die ikonoklastischsten Religionen und religiösen Subkulturen werden von mythischen Bildern geradezu suchtartig beherrscht – wie nicht zuletzt das Beispiel der Islamisten zeigt.
NIETZSCHES KRITIK Die
Degeneration des christlichen Mythos
Die befreiend wirkende Geschichte (der erlösende Mythos) der Christen bestand in der hellenistischen Welt darin, dass durch den Tod Jesu am Kreuz, also durch ein Opfer, das gewissermaßen Gott sich selbst dargebracht hat, alle Menschen für immer aus ihren Verhängnissen freigekauft sind.
Wissenschaftlich betrachtet hat diese Aussage, wenn richtig verstanden, die Wirkung, dass ein Mensch, der sich verloren fühlt, auf dieses Opfer vertrauen und sich befreit fühlen kann – mit allen aus dieser Entspannung resultierenden heilenden Konsequenzen.
Tatsächlich aber hat Friedrich Nietzsche darauf aufmerksam gemacht, dass die Christen gar nicht erlöst aussehen. Er hat damit festgestellt, dass die behauptete heilende Wirkung in Wirklichkeit nicht eingetreten ist. Und damit hat er gezeigt, dass der ehemals wirksame Mythos nicht mehr wirkt.
Dadurch erhebt sich für uns die Frage, was an der Geschichte, die die Christen bis jetzt erzählen, mit der Weltanschauung, in der sie leben, nicht mehr übereinstimmt. Offenbar ist die Sprache nicht mehr adäquat. Weil sie nicht mehr verstanden wird, muss eine neue Erklärung der Geschichte gefunden werden.
Gilt der Primat des
Christentums?
In unserer wissenschaftlichen Zeit werden wir uns dazu auch fragen müssen, ob das, was durch Jesus geschehen ist, wirklich so einzigartig war, wie behauptet, und ob es nicht auch schon zuvor geschehen ist. Die Juden ärgern sich ja nicht zu Unrecht darüber, dass die Christen ihnen mit ihrem Bild vom einzigen inkarnierten Sohn Gottes Unerlöstheit bescheinigen und die Offenbarungen ihrer biblischen Zeit als vergleichsweise minderwertig abtun.
Das gleiche trifft zu auf alle anderen Religionen, die von den Christen von dieser Perspektive her gar nicht ernst genommen werden können.
Offenbar sieht es also nicht nur für Nietzsche so aus, als ob aus dem christlichen Mythos vom einzigen Sohn Gottes eine Hybris entsteht, indem ein Teil der Menschheit, der offenbar nicht einmal sich selbst versteht – sonst müsste die erlösende Wirkung ja eingetreten sein – sich über alle anderen Teile stellt. Dadurch erinnert der christliche Mythos fatal an die Mythen mancher Stammesreligionen, in denen nur die Mitglieder des eigenen Stamms „Menschen“ genannt werden, während alle anderen quasi den Tieren zugeordnet werden.
Solange das Christentum unangefochten die einzige Religion seines Kulturkreises war, war das natürlich nicht als Problem wahrnehmbar. Das wird es erst in unserer Zeit, in der die Mitglieder anderer Religionen unsere Nachbarn sind, von denen uns keine Grenze mehr trennt, weil die Kulturen sich vermischt haben. Wir würden dieses Problem trotzdem noch immer nicht wahrnehmen, wenn die Mitglieder anderer Religionen nur winzige Minderheiten wären, wie dies die Juden im mittelalterlichen Europa waren, die als Minderheiten ignoriert werden konnten – und wenn sie nicht ignoriert werden konnten, verfolgt wurden.
Diese Minderheiten sind heute zu zahlreich geworden, als dass wir Christen sie ignorieren oder verfolgen könnten. Daher drängt uns die Frage, ob nicht auch sie so etwas wie „Erlösung“ in ihrer Religion erfahren haben – oder möglicherweise sogar mehr davon als wir.
Erlösung neu erzählt
Dass es so etwas wie „Erlösung“ geben kann, passt durchaus in unsere wissenschaftliche Kultur. Es gehört zu unserer Lebenserfahrung, dass wir immer wieder erlöst werden von irgendeiner Qual. Dafür gibt es heute die verschiedenen Formen von „Therapie“.
Wenn wir im Sinn unserer wissenschaftlichen Kultur auf das schauen, was Theologen „die Heilsgeschichte“ nennen, können wir unschwer erkennen, dass die Menschen immer schon auf der Suche nach Erlösung waren und sowohl individuell wie kollektiv immer wieder Wege der Erlösung gefunden haben.
Es waren immer wieder herausragende Einzelne, durch die sich ein Ausweg aus einer Not aufgetan hat. Ihnen ist gewissermaßen das Leiden ihrer Mitmenschen zu Herzen gegangen und sie haben in intensiver Kommunikation nach einer Lösung für ihr Kollektiv gesucht – und sie haben durch ihre Suche eine Lösung gefunden. Wie war das immer wieder möglich?
Juden, Christen und Muslime glauben, Gott habe sich diesen einzelnen Menschen geoffenbart. Aber was bedeutet diese Aussage in einer wissenschaftlichen Kultur?
Offenbarung heute
Vor vielen Jahren fragte ich den sudanesischen Sufi-Scheich Mohammed Osman, einen bedeutenden Erneuerer des alten islamischen Burhania-Ordens, wie denn Offenbarung verstanden werden könnte. Ich bezog mich dabei auf die islamische Vorstellung, dass der Koran dem Propheten Mohammed vom Erzengel Gabriel überbracht worden sei, während man gleichzeitig weiß, dass Mohammed die einzelnen Abschnitte seinem Sekretär Abu Bakr diktiert hat. Ich schlug vor, den „Erzengel Gabriel“ als die spirituelle Sehnsucht der Araber seiner Zeit zu verstehen, deren Frustration Mohammed durch seine besondere Sensitivität dafür wahrnehmen habe können. Gewissermaßen als ein „Medium“, so meinte ich, konnte Mohammed aus der spirituellen Not der Araber eine Lösung formulieren, den Koran und seine Vorschriften. Der Scheich stimmte meiner Deutung zu.
Damit war für mich klar, was in einer wissenschaftlichen Weltanschauung Prophetismus (und letztlich auch eine „Inkarnation“) ist, nämlich das Ergebnis der Mediation herausragender Einzelner zwischen der größeren Ganzheit ihrer Gruppe und der menschlichen Natur, zur Lösung der Not der durch eine begrenzte Perspektive eingeschränkten Menschen, die ausweglos stöhnen unter ihrem schweren Schicksal.
So verstehe ich auch die Bezeichnung „Menschensohn“, die Jesus für sich selbst gewählt hat. Prophetismus oder eine „Inkarnation“ ist damit das Produkt einer Sicht dieser Not aus dem Blickwinkel des den lokalen und historischen Schranken enthobenen „ewigen“ und universellen Ganzen. Was die Propheten (als Medien der Perspektive des Ganzen) verkünden – oder was der menschgewordene Gott verkündet, ist dadurch genau das, was diese Menschen brauchen, um einerseits ihr schweres Schicksal leichter ertragen zu können, andererseits um im eigenen Schicksal die unter diesen Umständen möglichen Verbesserungen vorzunehmen. Die Meister, Medien und Propheten drücken das in der Sprache ihrer jeweiligen Zeit und Kultur aus. Und genau das tut auch „der Sohn Gottes“.
Von da her verstehen wir die „Heilsgeschichte“ nun so, dass es „ein Eingreifen Gottes in die Geschichte“ immer schon gegeben hat und dass es nicht nur punktuell stattfindet, sondern jederzeit und überall. Was einzugreifen scheint, ist nämlich die jederzeit überall wirkende schöpferische Kraft, die schon lange vor den Menschen jeden Sprung der Evolution hervorgebracht hat und lange vor dieser irdischen Evolution die Entstehung des Universums.
Natürlich waren es immer gewisse historische Konstellationen, durch die ein evolutionärer Sprung in der Kulturgeschichte notwendig wurde, nämlich besondere Notzeiten, die dadurch zu Notzeiten geworden waren, weil die alte Welterklärung nicht mehr verstanden wurde, was bei den einen zu zwanghaften Verhärtungen führte und bei den anderen zu einer Ablehnung der alten Welterklärung insgesamt mit der Folge von Orientierungslosigkeit.
In so einer Zeit lebte Jesus und so wurde er zum Brückenbauer. Er verknüpfte das Alte mit dem Neuen in einer sehr menschlichen, allgemein verständlichen und doch traditionell biblischen Sprache. Durch sein Schicksal passte er darüber hinaus perfekt in die Gedankenwelt der hellenistischen Mythologie und wurde dort zur zweiten göttlichen Person.
In so einer Zeit lebte auch Mohammed, durch dessen Mediation sich die Araber auf die Höhe der jüdisch-monotheistischen Welterklärung aufschwingen konnten, natürlich auf eine ihrem Äon entsprechende Weise. Ähnliches gilt von Buddha mit seiner mythenlosen Welterklärung (die zu manchen Zeiten aber ebenso wie die anderen Welterklärungen zwanghaft verkehrt wurde).
Und alle diese Lehren wurden später jeweils wieder durch menschliche Medien (Heilige, Ordensgründer, Gurus, neue Propheten) immer wieder neu in die sich wandelnden Kulturen eingebracht als die passende Antwort auf die Fragen ihrer Zeit.
Evolution als schöpferisches
Geschehen: „Der Geist geht auch vom Sohn aus“ – oder genauer, „der Geist wirkt
durch den ‚Sohn’ hindurch“
Bis jetzt können wir in der wissenschaftlichen Weltanschauung bereits bis an den Punkt sehen, bis zu dem die Ostkirchen mit den Westkirchen mitgehen: Der Heilige Geist geht vom Vater aus. Die schöpferische Kraft wirkt von Anfang an in die Schöpfung hinein. Ihre allgegenwärtige Wirkung macht es seit je her möglich, dass immer wieder Auswege aus jeder Not gefunden werden.
Geht der Geist aber auch vom Sohn aus?
Was ist „der Sohn“ in unserer wissenschaftlichen Zeit?
Zunächst – um sexistische Missverständnisse auszuschließen – steht „Sohn“ natürlich für „Kind“, und daher auch für jede Tochter. Der „Sohn“ ist das, was vom Vater abstammt und dessen Wesen enthält. Das ist die Aussage des biblischen Schöpfungslieds über den Menschen. Aber nicht nur der Mensch, die ganze Schöpfung stammt von „ihm“ und enthält „sein“ Wesen, die schöpferische Kraft. Dadurch ist schon vor den Menschen jede Evolution möglich geworden. Und damit wirkt der Geist schon vor den Menschen durch den „Sohn“, nämlich durch alles, in dem Gott sich abbildet, und das ist tatsächlich alles, was es gibt.
Als reflexiv bewusste Wesen repräsentieren die Menschen die schöpferische Energie in besonderer Weise. Deshalb „sagt“ „Gott“ in Gen 1,26, der Mensch sei ein Abbild, ja eine „Kopie von Gott“.
Im Lauf der zivilisatorischen Evolution sind es daher nicht nur die hervorragenden Individuen, wie die Heiligen oder die Religionsstifter, in denen die schöpferische Kraft wirkt, sondern sie wirkt in jedem Menschen. Aus allen zusammen erst baut sich, wenn nötig, ein evolutionärer Sprung zu einer neuen Kulturstufe auf. Zunächst wirkt die schöpferische Kraft (in der Sprache Jesu „der Heilige Geist“) in jedem Menschen an seinem Platz und inspiriert ihn, seine individuelle Not zu lösen. Und dadurch trägt jeder nach seinen Möglichkeiten auch zur sozialen Veränderung bei – selbst zerstörerische Menschen, wie die Nazis es waren. Sie haben Kreativität in der Destruktion gezeigt und damit Gegenkräfte hervorgerufen, die ihnen schließlich den Garaus gemacht haben. Wie schon zuvor in der Geschichte, musste sich der historisch gewachsene Wahn, dem sie verfallen waren, als solcher zeigen, damit er überwunden werden konnte.
Konsequenzen der
wissenschaftlichen Betrachtung für die Mythen
Das vorhin am Beispiel des Propheten Mohammed besprochene, heutige Verständnis von Offenbarung zeigt, in welcher Weise das, was als ein Eingriff von außen betrachtet wurde, auf die Sehnsucht der Menschen der betreffenden Zeit und Kultur zurückgeht.
Der schöpferische Geist, der in jeder Phase der Evolution den Traum vom Paradies erzeugt, wirkt durch die das Paradies träumenden Individuen hindurch und geht dadurch auch von ihnen aus.
Manche Menschen sind in besonderer Weise darauf eingestellt, diesen Traum vom Paradies bewusst zu empfangen und in der Weise zu verarbeiten, dass sich daraus eine kollektive Vision der Umsetzung entwickelt, die sie ihren Zeitgenossen in der Sprache ihrer Kultur vermitteln. Diese Menschen wurden früher „Propheten“ genannt. In unserer wissenschaftlichen Zeit wäre es ratsam zu sehen, dass es solche „Propheten“ oder geisterfüllte, „kreative“ Menschen in allen Bereichen der Kultur gibt und dass ihre Einsichten immer eine Antwort auf die Fragen der Zeit sind, weil sie die Konstante ihrer menschlichen Natur jeweils in Einklang zu bringen versuchen mit den konkreten Gegebenheiten ihres Lebens.
Gerade deshalb aber, so weit reichend und kulturbegründend beispielsweise die durch den Propheten Mohammed übermittelte Offenbarung auch ist, das „Siegel der Propheten“, zu dem ihn der islamische Mythos macht, kann er in einer wissenschaftlichen Betrachtung nur in dem Sinn sein, dass der von ihm beschriebene Geist der Hingabe, der seiner Religion den Namen gibt, ein Ideal ist, das für alle Zeiten gültig bleibt. Außerdem bleibt auch seine Darstellungsweise, seine Poesie, für alle Zeiten unübertrefflich; die von ihm übermittelten konkreten mythischen Formulierungen und Regeln dagegen können nur für seine Epoche gelten mit ihren besonderen Lebensbedingungen und ihrer Weltanschauung, für die sie eine Antwort darstellen – was für weite Gebiete des Islam allerdings noch sehr lange sein kann. Sobald jedoch gravierende Änderungen eingetreten sind, gilt: Die schöpferische Kraft, der Heilige Geist, der Erzengel Gabriel, entwickelt durch die konkret lebenden Menschen neue Formulierungen und Regeln, die dann einen neuen Äon bestimmen.
Und wie sich in einer wissenschaftlichen Betrachtung die Bedeutung der mythischen Rede vom „Siegel der Propheten“ als begrenzt zeigt, so bleibt Jesus in dieser Betrachtung auch nicht der einzige Sohn Gottes.
Eine Betrachtung aus dieser neuen Perspektive macht sichtbar, dass die Attribute, die Jesus im Laufe der Geschichte zugeordnet worden sind, auch auf alle anderen Menschen zutreffen, zumindest ihrer Anlage nach. Auf diese Weise wird kein einziges der Dogmen geleugnet und doch wird uns damit ein Verständnis möglich, das auf den heutigen Ausdrucksmöglichkeiten und auf den Gegebenheiten unserer Zeit und Kultur beruht und das gleichzeitig das alte Glaubensgut erneut vertieft und erweitert, genau so wie es auf Drängen des Geists hin durch die ganze Geschichte des Christentums hindurch immer wieder geschehen ist.
Dieses erneut vertiefte Verständnis erlaubt uns nun aber die durch die Globalisierung auch der Religionen aufgetretenen Probleme zu lösen durch einen ganz neuen Umgang mit den Mitgliedern anderer Religionen, denn nun erscheinen sie uns nicht mehr irregeleitet oder nur unvollständig erleuchtet, sondern wir können jetzt sehen, wie die göttliche Heilsgeschichte bei ihnen aufgrund der andersartigen Umstände nur andere Wendungen genommen hat, und dass bei ihnen daher andere Geschichten/Mythen eine erlösende Wirkung hatten, als in unserer Kultur.
Grundlage einer neuen
religiösen Anthropologie
Die lateinische Kirche hat mit ihrem „filioque“, so verletzend das für die Ostkirchen damals auch war, letzten Endes unschätzbare Vorarbeit geleistet für eine neue religiöse Anthropologie, der nun auch die Orthodoxie wieder zustimmen kann.
Jenseits des Hellenismus und anknüpfend an Gen 1,26 [der Mensch geschaffen als ein Bild von Gott] kann darin all das, was über Jesus und seine Beziehung zum Geist ausgesagt worden ist, idealerweise von jedem Menschen ausgesagt werden. Auch wenn die Anlage bei den meisten nur in besonderen Momenten zur Entfaltung kommt, ist sie doch stets da, bei manchen bleibt sie über längere Strecken sichtbar und wieder bei anderen ist sie mehr oder weniger dauernd realisiert – wie bei denen, die als „Heilige“ oder als „Erleuchtete“ gelten, die es auf irgendeine Weise in jeder Religion gibt.
Genau auf diese Anthropologie zielt der insbesondere von Karl Rahner aktualisierte Ausdruck „anima naturaliter christiana“, „die Seele ist von Natur aus christlich“. Rahner hat diesen bereits von Tertullian stammenden Ausdruck wieder in den Vordergrund gestellt, um auf die göttliche Natur des Menschen hinzuweisen. Indem wir diesen Ausdruck heute aufgreifen, sehen wir aber, dass die menschliche Seele nicht nur „christlich“ ist, sondern genauso muslimisch, buddhistisch oder einer anderen Religion entsprechend.
Welcher „Mythos“, welches
Bild, wirkt erlösend in unserer wissenschaftlichen Zeit?
Nun bleibt noch die Frage, wie die Geschichte weitergeht, bzw. was – im Gegensatz zu den alten Mythen vergangener und geografisch begrenzter Kulturen – die neue erlösende Geschichte der Menschheit insgesamt ist.
In der neuen erlösenden Geschichte des Christentums wird die ganze Schöpfung als der „Sohn“ sichtbar, besonders natürlich der Mensch, jeder Mensch. Achtung und Selbstachtung sind die natürliche Folge.
Die schöpferische, erlösende Kraft ist in jedem Menschen da. Ihr Wirken beruht auf der menschlichen Fähigkeit zu einer ganzheitlichen Sicht. Diese Sicht eröffnet der Kraft den Weg. „Ihre“ Hinweise zu entdecken unter der Kruste unseres Alltagsbewusstseins von uns selbst, ist unsere „spirituelle“ Aufgabe. Die Regeln der Traditionen können uns helfen, die schöpferische Kraft zu entdecken, doch wir können sie auch auf eigene Faust entdecken, unter Schmerzen, über Versuch und Irrtum, durch Achtsamkeit und Selbstdisziplin.
Die Liebe, die als das Höchste gepriesen wird, stellt sich durch dieses Bemühen von selbst ein, denn sie gehört – wie Jesus in seinem Beispiel vom barmherzigen Samariter gezeigt hat – zu unserer göttlichen Natur. Die Menschen sind trotz aller Verblendungen, die entstehen, wenn sie sich überheben und vom Ganzen isolieren, von Haus aus auf Heilung und Erlösung programmiert. Sie finden daher, indem sie danach suchen, immer wieder Wege der Heilung.
Im christlichen Erlösungsmythos unserer jetzigen Zeit, treten die Menschen die Nachfolge Christi an, indem sie erkennen, dass sie selbst reale „Söhne“ und „Töchter“ der schöpferischen Kraft sind – was natürlich das Wissen um die reale Sohn- oder Tochterschaft aller anderen Menschen einschließt. Durch ihre natürliche und in ihrer Sicht sogar göttliche Wahrnehmungsfähigkeit, der sie nun vertrauen, wird ihre Lebensquelle, ihr „Vater“, sie von da an führen können. Und durch ihre Aufmerksamkeit darauf werden sie dieser Führung immer enger folgen und dadurch ihrem Glück immer näher kommen.
Und so werden auch die anderen Menschen merken, dass es sich bei der „Botschaft“, der sie folgen, tatsächlich um eine frohe Botschaft handelt.
Glaube als Verhängnis und als Chance
Vortrag vor Ärzten über Spiritualität in der Behandlung psychisch Kranker
27. 8. 2004
Das Folgende ist weniger ein wissenschaftlicher Bericht als ein Appell in Form einer Beschreibung meiner Erfahrung mit Spiritualität in meiner Arbeit mit psychisch kranken Menschen.
Die Bedeutung des „Glaubens“ im Leben
Psychiatrische Phänomene sind Oszillationen des Zusammenwirkens der menschlichen Natur mit dem konkreten Körper samt seinen Erbanlagen, der Gesellschaft, sowie persönlichen Annahmen und Haltungen.
Ähnlich wie in der kognitiven Therapie geht es im „Glauben“ bzw. in der Spiritualität um den Einfluss bestimmter Grundannahmen, Grundhaltungen, Grundeinstellungen und Grundgefühle auf das Leben.
Welche Annahmen, Haltungen, Einstellungen und Gefühle eine heilende Wirkung haben, zeigt sich im Ursprung von Religion. Sie entspringt immer in einer Not. Die Not bringt die Menschen dazu, ihre gewohnte, eingeengte, persönliche Perspektive zu verlassen, in der alles ausweglos erscheint, und eine höhere Perspektive einzunehmen. Auf diese Weise entdecken die notleidenden Menschen die Perspektive, die am besten wirkt. Es ist die alle und alles einschließende Perspektive des Ganzen. Die Welt aus der Perspektive des Ganzen zu betrachten, öffnet den Horizont und lässt einen frischen Geist herein, den Geist der Lösung. Aus der Perspektive des Ganzen wird alles klar. Indem sie die anderen einbeziehen, sehen die Menschen, was sie tun müssen, damit sie gerettet werden. Das klassische Beispiel einer spirituellen Lösung: der Auszug der Israeliten aus Ägypten.
Glaube
als Verhängnis
Eine sich verfestigende Religion
In der Folge verselbständigen sich die auf diese Weise gefundenen Wege und Regeln oft, unter Umständen so sehr, dass die daraus entstandene Religion selbst zum Gefängnis wird. Das Unbedingte, für das Religion steht, wird dann zum Zwang, und macht viele krank.
Falls wir zufällig in eine solche Version der Religion hineingeboren worden sind, finden wir uns selbst in einem inneren Widerspruch: Einerseits ist da eine positive, rettende Kraft, so wird es uns wenigstens gesagt; auf der anderen Seite aber verlangt diese Kraft mehr, als wir zu leisten imstande sind. Wenn das der Fall ist, sind wir nicht mehr frei, dann sind wir Sklaven einer Macht, die uns mehr nimmt, als sie uns gibt. Wegen des Stellenwerts der Autorität, mit der die Religion verkündet wird, fällt es uns aber schwer, uns dieses Ungleichgewichts bewusst zu werden. Wir rechnen unser Unvermögen allein unserer eigenen Schuld zu und es ist uns fast unmöglich, etwas an unserer Sicht zu verändern, weil jeder Zweifel schon wieder neue Schuld erzeugt.
Bei Menschen, die diesen Konflikt nicht bewältigen, kann es zu schweren Störungen kommen bis hin zu psychiatrischen Störungen, von Zwang und Angst, über Depression, zur Manie und der Konflikt kann auch in schizophrene Wahnvorstellungen münden.
Diese Fehlwege gilt es umzukehren, zunächst sicher medikamentös, sobald dies möglich ist, aber auch durch eine Anknüpfung an die spirituellen Quellen des Wahns. Damit meine ich, dass die Patienten den ursprünglichen Sinn sowohl der Glaubenssätze, die ihnen zum Verhängnis geworden sind als auch der Wahnideen, die sie aus diesem Verhängnis zunächst befreit haben, erleben müssen, damit sie sich von pervertierten Vorstellungen lösen können.
Es geht um Heilung von der Wurzel her.
Der Grund für den Wahn liegt, wie gesagt, oft in einer Überforderung, durch die die Vulnerabilitätsschwelle überschritten wird.
Diese Überforderung kommt von außen, von Menschen, die den Kontakt zu ihrer spirituellen Quelle zumindest partiell verloren haben. Quelle ihres „Wissens“ ist eine für sie nicht hinterfragbare Tradition, an die sie sich zwanghaft gebunden fühlen, weswegen sie deren Forderungen autoritativ an ihre Kinder weitergeben, ohne die Konflikte bedenken zu können, die für diese daraus entstehen.
Einige Beispiele verhängnisvollen Glaubens
Zur Illustration einige Beispiele aus meiner Erfahrung von „Glauben“ als Gefängnis aufgrund nicht mehr verstandener Spiritualität:
Eine junge Frau, Kind einer Zeugen Jehova Familie, ist aufgewachsen mit der Annahme, dass Sex nur in der Ehe erlaubt ist. Sie kann aber ihre sexuelle Phantasie nicht zügeln und gerät dadurch derart in Schuldgefühle, dass sie eines Tages glaubt, sie müsse sich selbst bestrafen. Sie schüttet sich den Inhalt eines großen Gefäßes mit kochendem Wasser über die Beine. Besonders die Füße sind extrem verbrüht. Es bleibt eine Gehbehinderung.
Ein junger Mann, ebenfalls aus einer Zeugen Jehova Familie, kommt aus dem gleichen Grund so sehr in Bedrängnis, dass er sich selbst entmannt und daran verblutet.
Ein Mann aus einer katholischen Familie wurde als Kind von seiner Mutter des Öfteren gezwungen, Rosenkranz zu beten, während seine Freunde draußen herumtollen durften. Als Erwachsener kommt er in periodischen Abständen in die Lage, dass er nicht mehr imstande ist, sein Haus zu verlassen und dass er auch zu keinerlei Körperpflege mehr fähig ist. Solche Phasen des Zwangs zur Vernachlässigung von allem ziehen sich manchmal über mehr als ein Jahr hin. Erschwerend in dem Fall kommt hinzu, dass er sich in der Zeit auch weigern muss, Besuche zu empfangen, weil er sich schämt und weil es ihn unerträglich belastet, wie auch jedes Gespräch über seine Situation ihm derartige Kopfschmerzen bereitet, dass er es nach kürzester Zeit abbrechen muss.
Wieder eine andere Frau stammt aus einer nichtreligiösen Familie. Sie ist so sehr gefangen von dem Phänomen ihres Verliebtseins, dass sie dadurch vollkommen lebensuntüchtig wird. Beim geringsten Verdacht, dass jemand ihre Prämisse nicht voll unterstützt, dass diejenigen, in die sie sich verliebt (und das sind meistens Ärzte und Psychologen), auf ihre Verliebtheit positiv reagieren müssen, weil sie doch „Liebe“ fühlt, bricht sie das Gespräch ab. Sie ist so gefangen in ihrem Glaubenssystem, dass sie die professionelle Zuwendung als „Liebe“ deutet – und todunglücklich ist, wenn dann nicht mehr daraus wird.
Von diesen und anderen Menschen habe ich gelernt, dass ein Zugang nur möglich ist mit einer spirituellen Einstellung. Immer wenn ich Dinge erreichen wollte, erreichte ich gar nichts. Ich musste mir eingestehen, dass ich vom spirituellen Weg abgewichen bin, weil eine Idee meinen Geist okkupierte, und ich daher nicht sehen konnte, was wirklich da ist.
Die Alternative zum Verhängnis: Neu sehen
Ohne Konzepte nur zu sehen, was da ist, ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass dem Beobachter auch Einfluss eingeräumt wird. Diese Haltung ist im Prinzip die Grundlage jeder Kommunikation. Es ist auch die Grundhaltung der Spiritualität. In dieser Haltung verbindet sich das Bewusstsein eines Individuums von selbst mit der menschlichen Natur und darin mit der Menschheit und sogar mit dem All als Ganzem und vom Ganzen her zurück in die konkrete Lebenssituation.
Durch diesen umfassenden Blick auf die eigene Realität kann ein psychisch Kranker das Wahnhafte seines Wahns erleben. Dadurch öffnet sich ein anderer Weg, ein Weg zu einer fruchtbaren Entfaltung der eigenen Fähigkeiten. Und es besteht eine gute Chance, dass dieser andere Weg auch begangen werden kann, denn diese neue innere Einstellung samt ihren Konsequenzen fließt ein in den inneren Dialog des Patienten und verändert damit seine weiteren Aussichten.
Wenn es normal ist, verrückt zu werden
Was in vielen Fällen zur Erkrankung führt, sind im Lauf des Heranwachsens einprogrammierte Strafängste oder Befehle, die der Natur zuwiderlaufen und daher eine Überforderung darstellen – deren Nichterfüllung aber die Lebensberechtigung entzieht. Das ist die ausweglos entwertende Situation, in der sich viele psychisch Kranke befinden. Diese Situation hat sie von Anfang an krank gemacht.
In einer derartigen Situation widersprüchlicher Direktiven ist es völlig normal, verrückt zu werden. Jeder würde da verrückt werden. Das sage ich den Patienten an diesem Punkt. Krankheit ist eine gesunde Reaktion, wenn fixe Ideen der Natur den Weg versperren.
Ein Mensch wird nicht deshalb zum Patienten, weil er von Natur aus besonders schwach oder gar minderwertig wäre, er ist deshalb zum Patienten geworden, weil die Annahmen, die ihm eingeprägt wurden, für ihn keinen anderen Ausweg offen gelassen haben. Wären wir gleich programmiert, würde es uns nicht anders ergehen. Das muss uns klar sein, denn es ist die Realität.
Die Grundhaltung der Spiritualität
Jede echte spirituelle Erfahrung zeigt uns, wie anfällig wir selbst sind und dass es nicht den geringsten Grund für uns gibt, uns als etwas Besseres zu sehen oder abwertend über einen anderen Menschen zu denken.
Spiritualität besteht darin, dem Patienten in dieser Haltung der Offenheit gegenüberzutreten, und damit auch das zu akzeptieren, was sonst nicht akzeptiert wird, einfach aus Respekt der Wirklichkeit gegenüber. Das ermöglicht es dem Patienten, sich uns in seiner ganzen Wahrheit zu zeigen und nichts zu verbergen. Dadurch entsteht eine effektive Kommunikation und erstarrte Strukturen beginnen, durchlässig zu werden, wieder einbezogen zu werden in die große Kommunikation. „Spiritualität“ ist nur ein anderes Wort für diese große Kommunikation, an der wir nur dann bewusst teilhaben können, wenn wir selbst die Dinge aus der Perspektive des Ganzen sehen.
Solange wir an einem Punkt stehen, an dem sich die Perspektive des Ganzen zeigt, ist alles, was wir erleben, eine „spirituelle Erfahrung“.
Alles ist aus dem Ganzen hervorgegangen, sowohl wir, wie auch die Patienten, mit denen wir zu tun haben. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass es purer Zufall ist, dass wir auf dieser Seite und der Patient auf der anderen Seite stehen. Die Rollen könnten genauso gut vertauscht sein. Wir haben die Bedingungen nicht geschaffen, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind, und genauso wenig haben die Patienten die Bedingungen geschaffen, die sie zu dem machen, was sie sind.
Spiritualität als Heilung
In diesem Bewusstsein können wir den Patienten helfen, die Widersprüche ihres Lebens zu klären. Nur in diesem Bewusstsein sind wir fähig, sie in die dazu nötigen spirituellen Erfahrungen zu führen.
Die erste der spirituellen Erfahrungen, in die wir die Patienten führen müssen, ist die, dass sie sehen, dass ihre Schwäche normal ist. Das muss der Patient / die Patientin sozusagen „mit Haut und Haaren“ erfahren. Die ehrlich gemeinte und gleichzeitig absolut fundierte Botschaft „Du bist o.k.“ bildet die Grundlage alles Weiteren.
Es wird nicht reichen, dass wir das halt so sagen, weil wir nett, zuvorkommend, höflich oder sonst wie moralisch gut oder therapeutisch korrekt sind. Falls christliche Zuvorkommenheit Sie je genervt hat, dann weil sie oft nicht authentisch ist. Alles was nicht aus einer unmittelbaren Erfahrung kommt, wird der Patient als Lüge durchschauen und was immer wir dann sagen, es wird nicht ankommen, der Patient wird sich betrogen fühlen.
– Ich bitte Sie, zu entschuldigen, dass ich hier und auch im Folgenden der Einfachheit halber nur „der“ Patient sage, anstatt immer beide Geschlechter anzuführen. –
Der Patient – Zentrum des Universums
Nachdem unser „Du bist o.k.“ den Lügendetektortest bestanden hat und angekommen ist, ist der nächste Schritt in unserem spirituellen Umgang mit dem Patienten, dass wir ihm die Erfahrung vermitteln, dass er das Zentrum der Welt ist, das Wichtigste, das es gibt auf der Welt – religiös ausgedrückt, dass er eine echte „Tochter“, ein echter „Sohn“ der gewaltigen Kraft ist, die das ganze Universum hervorgebracht hat.
Versetzen Sie sich bitte in dieses Bild hinein, verehrte Damen und Herren!
Welche Manie kann das überbieten?
Welche Depression kann dieser Kraft widerstehen?
Welche Angst wird hier nicht weichen?
Welchen Zwang könnte es da noch geben?
Welcher Wahn würde nicht dieser herrlichen Wirklichkeit Platz machen wollen?
Diese spirituelle Sicht eröffnet sich durch ein Bemühen um eine Perspektive des Ganzen.
Das Bemühen muss zunächst auf Seiten des Therapeuten oder Seelsorgers lasten, der dem Patienten folgt in dessen konkrete Realität und zwar sowohl in die physische wie auch in die psychische Realität.
Als eine Konsequenz der gerade besprochenen spirituellen Sicht werden wir den Patienten zu 100% ernst zu nehmen. Das bedeutet natürlich, auch seine Schwächen sehen, aber aus einer übergeordneten Perspektive, aus der Perspektive wirklichen Verstehens.
Weil sich der Patient ernst genommen fühlt, wird er sich auf diese Auseinandersetzung mit uns einlassen.
Und er wird beginnen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Durch seinen neuen inneren Dialog wird er sich eine neue Wirklichkeit erschaffen.
Wenn dies gelingt, ist es für uns wichtig, uns nichts darauf einzubilden und außerdem stets zu bedenken, dass wir nicht allmächtig sind. Wir können nicht tief eingeprägte Strukturen innerhalb von Minuten dauerhaft verändern. Wir müssen eher damit rechnen, dass das Jahre dauern wird, dass wir daher nur einen Grundstock legen können für eine allmählich sich bleibend verändernde Sicht der Welt und des Lebens. Wir sollten auch bedenken, dass wir nicht die einzigen Einflussquellen sind, dass durch die alten Kontakte die alte Sicht wiederkehren wird und dass die neue Sicht zunächst nur gelegentlich und zaghaft auftauchen wird, oft eher als etwas zusätzlich Verwirrendes als eine wirkliche Lösung. Aber indem wir immer wieder vorsichtig anknüpfen, wird möglich werden, was auf diesem Weg überhaupt möglich ist.
Medikamente werden sich nur in den seltensten Fällen vermeiden lassen, ja sie sind meistens die Voraussetzung dafür, dass ein Gespräch überhaupt möglich ist, denn wenn jemand tief in einer akuten Psychose steckt, hat er sich aus guten Gründen aus der Kommunikation ausgeklinkt.
Ich bilde mir auch nicht ein, dass es möglich wäre, jemand, der Stimmen hört, durch Gespräche davon abzubringen – vielleicht aber ist es möglich, dass diese Stimmen mit der Zeit verstehbar werden, als Einflüsse, die da sind und die ihren Grund haben und ihre Quelle. Und vielleicht kann es irgendwann eine Zeit geben, in der diese Einflüsse nicht mehr auf diese Weise wirken müssen, weil der Patient die Zusammenhänge sehen gelernt hat.
Warum glaubt jemand, Jesus
zu sein?
Nehmen wir als ein anderes Beispiel, den Zwang, sich als Jesus sehen zu müssen, in einem religiösen Wahn: Warum geschieht das?
Jesus zu sein, ist ein Ausweg. Jesus war ein Außenseiter, wie der Patient auch. Er war so sehr ein Außenseiter, dass die maßgeblichen Leute schließlich fanden, er wäre besser nicht da, wie maßgebliche Leute auch von Patienten manchmal meinen, sie wären besser nicht da. Aber Jesus weiß es besser als sie, wie diese Patienten es auch besser wissen.
Ein Patient spürt die Einstellung
mancher maßgeblicher Personen, die finden, dass ein Patient besser nicht da
wäre, und das ist für viele klarerweise eine außerordentlich kränkende
Schlüsselerfahrung. Unser Umgang mit psychiatrischen Patienten muss ihnen daher
einen verlässlichen Anhaltspunkt dafür geben, dass ihre Lebensberechtigung
außer Frage steht, und darüber hinaus, dass es sogar korrekt ist, wenn sie sich
selbst als das Wichtigste erachten, das es gibt auf der Welt – schließlich sind
sie aus spiritueller Perspektive tatsächlich eine göttliche Erscheinung, so wie
alle anderen Menschen auch.
Von der Erfahrung des Ungenügens zur Erfüllung der
Träume
Die Erfahrung, den gesellschaftlichen Anforderungen nicht gerecht werden zu können, ist eine wesentliche Quelle psychiatrischer und anderer Störungen, weil die Vulnerabilität auf diesem Gebiet sehr hoch ist, schließlich geht es um die Existenz.
In der spirituellen Arbeit werden wir die sozialen Anforderungen aber auf keinen Fall ausblenden, denn die Welt der Gesellschaft ist schließlich das Gebiet, auf dem sie sich zurechtfinden müssen. Wir werden sie daher ganz klar sichtbar machen, damit mit dem Blick auf sie jetzt ein neuer Weg gefunden werden kann, mit ihnen umzugehen. Dafür muss der Patient zunächst seine Unfähigkeit, den sozialen Ansprüchen gerecht zu werden, wirklich fühlen. Er muss den ungefilterten Anblick dieses Ungenügens eine Weile aushalten und wirklich registrieren, damit sich ein neuer, tauglicher Weg auftun kann. Manche Patienten, die mir durch eine besonders starke Anspruchshaltung aufgefallen waren, habe ich sogar gebeten, sich vorzustellen, dass sie in einer naturnahen Gesellschaft leben, in der Menschen, die nicht für sich selbst sorgen können, einfach in der Wildnis ausgesetzt werden: Wie würden sie ihre Situation dann betrachten?
Sobald die raue Wirklichkeit in den Blick gekommen ist – wenn der Patient diesem Anblick noch nicht standhalten kann, aber auch schon davor – sorge ich dafür, dass sich der Blick von den sozialen Anforderungen wieder abwendet hin zu den Fähigkeiten des Patienten und zu seinen Träumen. Mit den „Träumen“ meine ich nicht die in der Psychoanalyse benützten nächtlichen Träume, sondern die Bilder der Sehnsucht des Patienten nach seinem ganz persönlichen Paradies. Nur in Verbindung mit dem Ausblick, den diese Träume eröffnen, kann der Patient einen realen Weg für sich entdecken.
Im Unterschied zu einem Größenwahn bezieht sich die wirkliche Sehnsucht immer auf einen Dienst am Ganzen, auf eine Aufgabe, einen Sinn für das Ganze. Maniker wollen nur groß da stehen. Sie würden daher, angesichts einer Szene wie der Geißelung in dem Film „Die Passion Christi“, doch lieber darauf verzichten, Jesus zu sein. Deshalb wohl hat der Regisseur Mel Gibson diese Szene für den Zuschauer ins beinahe Unerträgliche ausgedehnt.
Die Träume zeigen die Ressourcen und sie wirken selbst als Kraftquellen. Eine zur Erfüllung eines Traumes notwendige Anstrengung erscheint nicht einmal halb so schwer als die gleiche Anstrengung auf einem Weg, der von außen diktiert wird – beispielsweise auf dem Weg einer Berufsausbildung, die die besonderen Fähigkeiten des Patienten gar nicht berücksichtigt.
Bei den sehnsuchtsvollen Träumen werden wir uns eine Weile aufhalten, sie ganz genau betrachten, sie ausmalen, ja sogar ein wenig darin schwelgen, denn diese Träume sind flüchtig und sie müssen ganz bewusst wahrgenommen und auch ausgesprochen werden, damit sie sich klären können.
Dann gehen wir von den Träumen wieder zurück in die konkrete Situation des Patienten.
Was von den Träumen kann jetzt gleich umgesetzt werden?
Und wie kann der Weg zur weiteren Erfüllung der Träume vorbereitet werden?
Konkret heißt das vielleicht auch, welcher Beruf kann angestrebt werden oder welche Berufsvorbereitung? Oder in welcher Weise kann sonst das Leben verbessert werden?
Der Wendepunkt zur Genesung
Sobald ein Patient einen begehbaren Weg zu seinem Traum sehen kann, ist der Wahn im Prinzip schon nicht mehr notwendig. Er wird wahrscheinlich aber trotzdem wiederkehren, weil der Weg erst langsam vorbereitet und angegangen werden muss. Und währenddessen entschwindet der Traum allzu leicht und die alte Aussichtslosigkeit kehrt zurück und mit ihr der Wahn, der ja einen realen Ausweg darstellt, wenn es sonst keinen Weg gibt.
Wir dürfen nie vergessen, dass die Krankheit eine reale Lösung ist. Durch die Krankheit ist es möglich, das Risiko des Scheiterns auszuschalten. Denn dann geht es einfach nicht. Der Patient kann nichts dafür. Er ist ja krank.
Darin besteht gerade der Teufelskreis, den wir durchbrechen möchten.
Der nächste Schritt wird sein, konkrete Versagensängste zu bearbeiten und dann auf dem weiteren Weg, konkretes Versagen, das ja mit Sicherheit kommen wird, sobald die Arbeit an der Verwirklichung begonnen hat. Hier setzt die Psychotherapie ein.
Sie wird dort anfangen, wo der Lebensweg damals ins Stocken geraten ist oder davor, eben dort, wo das erste Versagen aufgetreten ist, durch den der Anschluss an die normale Entwicklung versäumt worden ist.
Diesen Anschluss gilt es zu finden – weniger durch Erinnerung an damals als durch Feststellen, was es braucht, um jetzt weiterzukommen.
Von dort aus ist es ein vergleichsweise normaler Weg, auf dem es zwar schon noch Unterstützung braucht, auf dem wir aber mehr und mehr entbehrlich werden.
Glaube
als Chance
Die eigene spirituelle Praxis des Patienten
Eine weitere Unterstützung, die der Patient auf dem spirituellen Weg braucht, ist seine eigene spirituelle Praxis. Wir können sie nicht für ihn erledigen. Sobald er mit unserer Hilfe den Glauben bzw. die Spiritualität als Chance wahrgenommen hat, muss er sich selbständig darum bemühen, sein Leben darauf zu gründen. Dazu braucht er, falls er nicht ein verschworener Einzelkämpfer ist, eine Gruppe Gleichgesinnter, am besten eine Gruppe ehemals psychisch Kranker, die, wie er selbst, wieder ganz gesund werden wollen.
Der Prototyp einer spirituellen Selbsthilfegruppe: Die
Anonymen Alkoholiker
Für die Anonymen Alkoholiker war das Leben ein Zwang, dem sie durch Alkohol entfliehen mussten, von dem sie daraufhin abhängig wurden.
Am Ende ihrer endlosen Niederlagen im Kampf gegen den Alkohol gab es nur einen winzigen letzten Funken Hoffnung: Sie selbst konnten es nicht schaffen, das war aus tausenden misslungenen Versuchen klar. Wenn es geschafft werden konnte, dann nur noch durch diese „höhere Kraft“, von der gesagt wird, dass sie helfen soll, die aber für einen Menschen an diesem Punkt zunächst nur fiktiv ist ...
Es ist ein Risiko, sich auf diese fiktive Kraft einzulassen. Vielleicht sind die Geschichten über die wunderbare Hilfe, die Menschen von dieser Kraft zuteil geworden ist, ja nur erfunden. Es gibt keine Garantie.
Aber diese Leute hatten nichts zu verlieren, sie waren daher frei, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Sie konnten nur gewinnen. Sie setzten auf diese höhere Kraft.
Die Anonymen Alkoholiker haben auf diese Weise erkannt, dass diese Kraft real ist. Sie haben aber auch erkannt, dass sie verlangt, das eigenen Leben tatsächlich in Ordnung zu bringen, es in Übereinstimmung zu bringen mit dem großen Ganzen, mit der Familie, mit dem Bekanntenkreis und mit der Gesellschaft als ganzer, und dabei gleichzeitig, seiner eigenen Natur treu zu bleiben.
Um das zu schaffen, das haben sie bemerkt, müssen sie Regeln folgen. Sie haben eine Reihe von regelmäßigen Übungen entwickelt, durch die sie ihr Leben in Ordnung bringen. Durch diese Übungen lernen sie sich selbst kennen und das Wesentliche in ihnen gewinnt wieder die Oberhand. Die Herrschaft von inneren Tyrannen (in religiöser Sprache von „Dämonen“) geht zu Ende. Unter der Perspektive des Ganzen übernimmt die eigene Natur die Führung und entwickelt die eigene Persönlichkeit entsprechend ihren Anlagen.
Um das zu ermöglichen, treffen sich diejenigen, die diesen Weg gehen, regelmäßig und erzählen von ihren Erfahrungen auf dem Weg.
Das, meine ich, ist eine sehr wichtige Institution, die auch für psychisch Kranke eingerichtet werden sollte. Und vorteilhaft wäre eine regelmäßige Supervision derartiger Gruppen.
Die „höhere Kraft“, der die Anonymen Alkoholiker ihre Rettung verdanken, kann auch andere retten, denn durch ihr Vertrauen auf sie können auch andere entdecken, dass die Kraft jener unglaublichen Evolution, die auch sie selbst hervorgerufen hat, jetzt in ihnen gegenwärtig und einsatzbereit ist.
Diese „höhere Kraft“ „will“ nichts als unsere Evolution, also dass es uns gut geht; und sie unterstützt uns – sobald wir anfangen, positiv mitzuarbeiten.
Positiv mitarbeiten heißt, unser Leben aus ihrer Perspektive zu betrachten und zu ordnen. Alles Überflüssige und Störende hinauszuwerfen, uns zu konzentrieren auf uns selbst.
Das bedeutet aber auch, auch die anderen ernst zu nehmen, die den gleichen Ursprung haben, und die genauso gern gut leben möchten.
Es bedeutet schließlich, den Ärger abzulegen und alle Gründe, warum wir böse oder beleidigt sein sollten, und alle unsere Kraft einzusetzen, damit alles gut wird.
Mit diesem Entschluss beginnen – logischerweise – Wunder, sich zu ereignen.
So in etwa sehe ich die Möglichkeiten, Spiritualität in der Psychiatrie einzusetzen.
Natürlich erhebe ich nicht den Anspruch alle psychiatrischen Erkrankungen durch Spiritualität meistern zu wollen. Es geht mir aber um die Herstellung optimaler geistiger Bedingungen, damit sich der Organismus so gut wie möglich erholen und sich seiner Selbstheilungskräfte bedienen kann. Für den Rest sind die Mediziner zuständig.
Compliance – und ein wenig
Theorie
Zuletzt möchte ich ein weiteres Problem der Psychiatrie ansprechen, bei dem Spiritualität helfen kann, nämlich die oft ungenügende Krankheitseinsicht und Mitarbeit von Seiten der Patienten.
In meiner Erfahrung liegt ein wichtiger Grund dafür darin, dass sich die Patienten nicht wirklich ernst genommen fühlen und daher ihre Mitarbeit verweigern. Dieser Grund muss ausgeschaltet werden und das ist nur möglich, wenn der Patienten zu 100% ernst genommen wird, denn ein Mensch – jeder Mensch – kann uns nur unter dieser Bedingung Zugang zu sich gewähren.
Als Konsequenz bedeutet spirituelle Behandlung für mich daher auch das ernst Nehmen des Wahns.
Der Wahn als normales Phänomen im Prozess der
Anpassung des menschlichen Betriebssystems
Es erscheint mir essentiell, den zweifachen positiven Sinn des Wahns zu sehen. Sein erster Sinn ist seine rettende Funktion, wenn der Druck auf den betroffenen Menschen zu groß wird. Noch wichtiger aber und für seine Heilung entscheidend ist es, den Wahn als Code zu sehen für ein Stadium im Prozess der Lösung des Rätsels des Lebens. Die real vorhandenen Kräftekonstellationen haben den Patienten vor ein komplexes Problem gestellt, das wie ein Rätsel der Sphinx gelöst werden muss. Erst wenn es gelöst ist, wird auf dem Weg der gesamtmenschlichen und damit auch spirituellen Entwicklung des betroffenen Menschen ein Fortschritt möglich.
Leichter verstehbar wird das, wenn wir bedenken, dass ein Mensch zu seiner persönlichen Reifung eine Reihe von Stadien durchschreiten muss, die auch im Normalfall oft wahnhafte Züge tragen und deshalb nicht gerade populär sind, etwa das Trotzalter oder die Phase der Pubertät. Diese Phasen beinhalten eine Unzahl von Herausforderungen und Tests persönlicher und traditioneller Verhaltensmuster. Diese Tests sind notwendig, damit das, was ich als „das menschliche Betriebssystem“ bezeichnen möchte, der gegenwärtigen Realität angepasst werden kann.
Die Konflikte dieser Phasen entstehen, weil die für den heranwachsenden Menschen gegenwärtige Realität nicht identisch ist mit der Realität seiner Eltern oder Lehrer.
In dieser Test- und Anpassungsphase spielen auch so etwas wie menschliche „Archetypen“ eine Rolle, also Ankerpunkte der menschlichen Natur, für die gewöhnlich die Religionen stehen, die in diesen aber oft nicht ausreichend repräsentiert sind oder verstanden werden. So etwa kann der archetypische Satz „Die Wahrheit wird dich frei machen“, angesichts der weit verbreiteten und geforderten Schemenhaftigkeit und Scheinheiligkeit unter Umständen zu einem Totalabsturz des gerade im Umbau befindlichen Betriebssystems eines jungen Erwachsenen führen. Das Ergebnis ist ein Wahn, der genau an diesem Punkt hängt und für den es keine Lösung gibt, wenn dieser Punkt nicht geklärt wird. Einer Klärung stehen aber die realen Bedingungen der Umwelt des Kranken im Wege, in der es oft – um nicht zu sagen meist – niemand gibt, der sich einer existentiellen Auseinandersetzung mit der Wahrheit stellen würde: Die Angehörigen nicht, weil ihre Unfähigkeit dazu zu diesem Absturz des Betriebssystems beigetragen hat, die Ärzte nicht, weil sie aus Zeitmangel den Patienten nach seiner Symptomatik einordnen müssen in eine der psychiatrischen Kategorien, die Psychologen nicht, weil sie eingeschränkt sind durch ihre Methoden und Glaubenssysteme und sehr oft auch die Seelsorger nicht, weil sie der nur unzureichend verstandenen Dogmatik ihrer Religion mehr verpflichtet sind als dem Patienten. Es gibt nur einen Ausweg aus diesem Multilemma: Irgendjemand im System der Betreuung muss den Patienten zu 100% ernst nehmen und damit die hinter seiner Symptomatik liegenden Intentionen erfühlen und dann beginnen, zusammen mit dem Patienten den Knäuel der widersprüchlichen geistigen Implantate zu entwirren.
In meiner Praxis bedeutet das, dass ich im Verlauf der Kommunikation auch sämtliche sogenannten „Flausen im Kopf“ der Patienten ernst nehme. Ich enthalte mich jeglichen Werturteils. Ich nehme den Patienten beim Wort und denke seine Gedanken zusammen mit ihm zu Ende. Manchmal bitte ich Patienten, solche verrückten Ideen auch auszuführen, weil ihnen oft nur auf diesem praktischen Weg klar wird, dass es Ideen sind, die aus fehlerhaften Hochrechnungen von Idealen oder durch missverstandene äußere Direktiven entstanden sind, und deshalb nicht zu einem erwünschten Ergebnis führen können.
Erst wenn der Fehler im eigenen Betriebssystem erkannt ist, geht der „natürliche Weg“ des Wahns zu Ende; nur wenn die spontan entstandene Welle des Wahns also auslaufen durfte, kann der Patient einsehen, dass es nicht so, sondern anders geht.
Hier muss ich erneut betonen, dass diese Art spiritueller Behandlung des Patienten kaum je ohne Medikamente möglich sein wird, dass aber gleichzeitig darauf geachtet werden muss, einen Fehler im Betriebssystem nicht mit einem Hardware-Fehler zu verwechseln, obwohl er von der Hardware her – mit Nebenwirkungen – zu beeinflussen ist.
Zur Unterstützung meiner Behauptungen möchte ich zwei Bücher anführen. Ein amerikanisches von Jacquie Lee Schiff: „Alle meine Kinder. Heilung der Schizophrenie durch Wiederholen der Kindheit“. Und eines von einer deutschen Psychiatrieerfahrenen, die ebenso auf einem Weg dieser Art von ihrer Schizophrenie geheilt worden ist, Sophie Zerchin: „Auf der Spur des Morgensterns. Ein Erlebnisbericht“.
Viele Patienten kommen leider nie an den Punkt der Aufklärung des Widerspruchs in ihrem Glaubenssystem, weil andere immer schon vorher gewusst haben, dass es so nicht geht, und daher die spontane Bewegung – den Wahn – des Patienten abgeblockt haben. Auf diese Weise aber sind die Patienten nie ernst genommen worden. Ihr Selbst konnte sich nie an der Realität messen – es wurde immer zuvor schon von anderen gemessen und für unwert befunden, sich zu leben. Das bedeutet eine vollkommene spirituelle Abwertung, und stellt daher einen wesentlichen Grund dar für den Widerstand und die Chronifizierung der Erkrankung.
Unbedingte Wertschätzung des Patienten
Meiner Erfahrung nach steht hinter einem großen Teil psychiatrischer Erkrankungen ein nicht erfülltes Bedürfnis, in seinem, gewissermaßen, „göttlichen“ Wert gesehen zu werden. Dieses Bedürfnis nach grundlegender Anerkennung ist im Bewusstsein aller Menschen verknüpft mit ihrer Lebensberechtigung. Weil diese Art von Anerkennung bei psychiatrischen Patienten aber oft von Anfang an nur unzureichend gegeben ist, identifiziert der Patient, entsprechend der ihm vermittelten Wertordnung, seinen spirituellen Wert mit dem durch Leistung erworbenen gesellschaftlichen Wert und er schraubt in dem Wunsch nach dieser Anerkennung seine Anforderungen an sich immer höher, bis zum unvermeidlichen Scheitern. Dass darauf bei einem Teil der Patienten ein Größenwahn folgt, ist nicht nur eine Projektion, es korrespondiert mit dem urmenschlichen Bewusstsein von seiner göttlichen Herkunft. Es geschieht, weil der Respekt gegenüber dem göttlichen Wesen, dem Kind, gefehlt hat. Die Wertbemessung wurde mit der Bedingung einer Leistung verknüpft, das Kind selbst aber mit seinen Bedürfnissen wurde nicht wert geschätzt, sondern als „ungenügend“ abqualifiziert.
Diesen Zusammenhang habe ich in vielen Fällen erfahren – und darin einen Schlüssel gefunden zur Umkehr dieses Prozesses, so weit dies möglich ist:
Unser „den Patienten zu 100% ernst nehmen“ vermittelt ihm die Erfahrung des Angenommenseins. Und durch unsere, gleichzeitig mit aller Empathie gepflegte, kritische, beobachtende Haltung wird es möglich, Impulse zu geben für eine Richtungsänderung von der Krankheit zur Gesundheit. Sobald der Patient sich angenommen fühlt, kann er Vertrauen fassen und die nötigen Schritte tun, die er unter unserer Führung selbst sieht.
Ein Leuchten in den Augen wird uns verraten, wenn wir auf der richtigen Spur sind.
Ein filmisches Beispiel dieser Haltung dem Patienten
gegenüber
Der Psychiater (Jeff Bridges) in dem Film „K-Pax“ entspricht dem, was ich meine. Er erzeugt eine unmittelbare Beziehung durch totales Ernst nehmen bei gleichzeitigem Infragestellen von allem. Jeff Bridges hat einen Patienten zu betreuen, der behauptet, er sei vom Planeten K-Pax, und der erstaunliche Belege dafür vorlegt. Der „Außerirdische“ bewirkt durch seine außergewöhnlichen Reaktionen, dass der Psychiater sich hilflos fühlt und dadurch zu größter Konzentration bereit ist. Haldol wirkt bei dem Patienten nicht. Stattdessen heilt dieser Patient einige Mitpatienten auf mysteriöse Weise. Doch dann stellt der Psychiater durch Hypnose aus verschollenen Erinnerungen des Patienten ein Ereignis wieder her, das dem ganzen Phänomen zumindest in einer gewissen Weise, eine Erklärung bietet. Der Doktor geht dem Gefundenen vorort wie ein Detektiv nach und erlebt, gewissermaßen hypnotisch, selbst die tragischen Ereignisse der irdischen Person dieses angeblichen Außerirdischen nach. Am Ende muss er allerdings erkennen, dass er trotz aller Erkenntnisse und trotz seines intensiven Kontakts das Geschehen nicht unter Kontrolle hat.
Auch wir haben das Geschehen nicht unter Kontrolle, aber wir können unseren Mitmenschen so gut wie möglich assistieren, ihren Weg zu finden.
Das ist in meinen Augen alles, was eine spirituelle Behandlung bieten kann – und gleichzeitig ist es das Maximum des Möglichen.
Was ist „spirituell“?
Aber was soll daran spirituell sein, werden Sie vielleicht fragen.
„Spirituell“ meint die Beziehung nach oben, zu der übergeordneten Perspektive, zu der schöpferischen Kraft, die nicht die unsere ist, an der wir aber teilhaben können. Von dort wird die Lösung sichtbar, Schritt für Schritt.
Methoden kommen da nicht hin. Aber diese andere Kraft tritt, wenn wir im Bewusstsein unserer Beziehung zu ihr darum bitten, in uns in Erscheinung und vermittelt uns totales Engagement, totale Konzentration.
Wenn Sie mich fragen, wie das geht und wie ich darauf gekommen bin, muss ich Ihnen sagen, dass mein Weg aus meiner Hilflosigkeit entstanden ist.
Ich hatte in Gesprächen mit Patienten oft bemerkt, dass ich verwirrt war von dem, was die Patienten erzählten. Was ich in meiner Therapieausbildung und in der Literatur über Gesprächsführung gelernt hatte, half mir nicht, weiterzukommen. Ich erfuhr zwar einiges, aber nicht genug, um den Schlüssel zu finden. Und manchmal schien mir das Bild völlig zu entgleiten. In einer dieser Situationen, in denen ich mich verloren fühlte, sagte ich innerlich eine Art Gebet. Ich sagte, lieber Gott, die Situation überfordert mich, das Gespräch ist aus dem Ruder und ich weiß nicht, was ich tun kann, damit es sich wieder fokussiert. Ich brauche Hilfe. Es war pure Hilflosigkeit meinerseits.
Doch da bemerkte ich nach einer Weile, wie sich das Gespräch nach und nach von selbst fokussierte. Ich vergaß dieses Ereignis später, erinnerte mich aber in einer ähnlichen Situation wieder. Wieder fühlte ich meine Hilflosigkeit und ich wiederholte mein Gebet und stellte erneut die erstaunliche Wende in dem Gespräch fest.
Ich vergaß es erneut; aber dann erinnerte ich mich immer häufiger in ähnlichen Situationen, und immer gab es diese erstaunlichen Wende: Vom Moment meiner Bitte um Hilfe an nahm das Gespräch einen positiven, erhellenden Verlauf.
Ich stellte fest, dass es eine immer wiederkehrende Bedingung dafür gab: Ich musste meine Hilflosigkeit fühlen, damit diese Reaktion eintrat. Und dadurch wurde mir klar, dass das, was ich als „Hilflosigkeit“ erlebte, genau das war, was die Anonymen Alkoholiker „Kapitulation“ genannt haben.
Dann habe ich erfahren, dass mit mir befreundete Therapeuten ähnliche Erlebnisse hatten.
Und nach einiger Zeit begegnete ich den Patienten mehr und mehr von vornherein in dieser Haltung des absoluten Nichtwissens.
Die Reaktionen waren allerdings nicht immer positiv. Manchen ging das zu weit. Da kann ich nicht auf meiner Neugier beharren. Da muss ich den Wunsch nach Distanz respektieren. Da hilft nichts als zu warten und langsam Vertrauen aufzubauen ohne jede Aufdringlichkeit – aber natürlich doch gleichzeitig unter ständigem Erinnern daran, dass die Realität auf das reagiert, was wir tun, dass es daher Möglichkeiten gibt, die eigene Lage zu verschlechtern oder zu verbessern.
Wenn Sie meinen, so haben Sie immer schon gearbeitet, dann freue ich mich. Mehr habe ich gar nicht zu sagen.
Ich meine allerdings, nicht nur Patienten, auch Therapeuten können überfordert sein, so wie ich selbst lange Zeit überfordert war und auch jetzt noch immer wieder bin. Ich meine, dass ein Therapeut, bevor er sich voll auf einen Patienten einlassen kann, zunächst sich selbst so akzeptieren muss, wie er ist, samt all seinen Schwächen. Wenn jemand das nicht kann, muss er das akzeptieren. Dann muss er tun, was er kann, was er gelernt hat, eine Methode anwenden, eine Technik. Vielleicht ist diese Technik ja sehr gut und hilft.
Aber sollte je dieses Gefühl des Verlorenseins auftreten, dann sollte dieses Gefühl für den Techniker gewissermaßen wie ein Wecker sein, der sagt: Es gilt der Realität ins Auge zu sehen, die wir nicht unter Kontrolle haben und unsere Hilflosigkeit einzugestehen und zu wissen, es gibt nur eine Chance für uns, nämlich dass eine Kraft größer als die unsere uns zu Hilfe kommt. Und dass wir diese größere Kraft um Hilfe bitten.
Diese Regel gilt für alle – natürlich auch für die Patienten.
Deshalb ist dieser Weg spirituell – auch ohne jede vorgegebene Dogmatik oder Liturgie. Er erzeugt eine innere Einstellung von Respekt und Wachsamkeit, eine Empathie, eine tiefgreifende, unmittelbare Kommunikation, die von keiner Technik erreicht werden kann.
Zum Schluss möchte ich nochmal daran erinnern, dass wir dann am Besten funktionieren, wenn wir innerlich widerspruchsfrei sind und das können wir nur sein, wenn wir vollkommen ehrlich sind, wenn wir unsere Schwächen eingestehen – und wer hätte keine Schwächen, wer erlebt nie Hilflosigkeit, wer ist perfekt? Wer ist wie Gott?
Die Bibelkenner unter Ihnen werden merken, dass das die Frage ist, die der Erzengel Michael stellt, der den Eingang zum Paradies bewacht: Und logischerweise enthält diese Frage den Schlüssel für die Rückkehr ins Paradies.
Zeitreise in einer Raumkapsel
Meditationen zu einem Vortrag im Klinikum Rechts der Isar
in München
22. März 2005
Eine Reise an die
Aussichtspunkte der schöpferischen Kraft
Zur Einstimmung in die Bedeutung
von Spiritualität werden wir zunächst eine Zeitreise machen – in mehrfacher
Hinsicht – in einer Raumkapsel an den Anfang der Welt und zurück hierher. Weil
die meisten der Zuhörer hier wahrscheinlich aus der christlichen Tradition
kommen mit Ausflügen ins Alte und Neue Testament – wenn ich es mit Muslimen,
Hindus oder Buddhisten zu tun hätte, würde ich Ausflüge in diese Traditionen
machen.
Legen Sie jetzt bitte alles aus der Hand. Setzen Sie sich bequem. Lassen Sie Ihrem Atem freien Lauf. Schließen Sie die Augen und lassen Sie sich von den folgenden Worten fort tragen.
Sie sitzen in einer absolut sicheren Raumkapsel, die Ihnen rundum Ausblick und Einfühlung gewährt. Die Temperatur ist sehr angenehm - egal, was Sie draußen sehen. Sie sitzen bequem und haben ihre ganze Aufmerksamkeit zur Verfügung für das, was draußen vorgeht.
Sie reisen zurück in die Zeit der Anfänge dieses Planeten. Sie reisen durch die präplanetaren kosmischen Staubwolken und Sie werden Zeugen, wie diese Staubwolken sich unter dem Einfluss der Schwerkraft zusammenballen. Sie erleben im Zeitraffer wie dieser Planet entsteht. Die Masse wird immer größer. Durch den zunehmenden Druck nimmt die Hitze zu. Sie sehen einen glühenden brodelnden Ball. Sie erleben innerhalb von Sekunden wie dieser sich über Jahrmillionen bildet und wie er über weitere hunderte Millionen Jahre langsam abkühlt. Sie sehen wie Krusten sich bilden, die auf dem flüssigen Kern schwimmen, wie diese Krusten abkühlen und langsam so etwas wie eine Landschaft bilden, wie die flüssige Lava dort und da durch das fest gewordene Land wieder durchbricht. Sie erleben die unzähligen Einschläge von Meteoriten. Sie erleben, wie der neue Planet sich durch ein Asteroidenfeld gewaltiger Eisbrocken bewegt, wie diese Eisgiganten von der Schwerkraft eingefangen werden und vom Himmel fallen, wie sie schmelzen und aufkochen, wenn sie auf die noch glühende Oberfläche treffen. Sie erleben wie sich dadurch gewaltige Wolken bilden und am Boden die Meere.
Sie tauchen mit Ihrer Raumkapsel nun unter die Wolkenschicht und beobachten das neue Wettergeschehen, das die Abkühlung des Planeten beschleunigt. Sie sehen die gewaltigen Gewitter und Regengüsse, die sich auf die Landmasse ergießen, wie sie Bäche und Ströme erzeugen und den Prozess der Verwitterung in Gang setzen.
Gleichzeitig verschieben sich die die flüssige Glut bedeckenden riesigen Landmassen, stoßen zusammen, falten sich auf. Gebirgszüge entstehen und werden von Wind und Wetter tief zerfurcht. Die Bäche und Flüsse tragen das abgeriebene Material mit sich und spülen es in die Meere.
Die dort gelösten Stoffe und Moleküle gehen unter Einwirkung von Licht, Hitze und der Elektrizität der Gewitter neue Verbindungen ein. Sie bilden immer komplizierter werdende Moleküle. Ihre Raumkapsel ist zu diesem Geschehen in den mikroskopischen Bereich abgetaucht und Sie werden unmittelbare Zeugen dieser atomaren und molekularen Metamorphosen.
Sehr genau zeigen sich Ihnen die Sympathien mancher Atome für manche andere und sie fragen sich schon, ob sie es mit fühlenden Wesen zu tun haben, wenn sie sehen, wie die Atome sich gegenseitig suchen oder meiden.
Und sie gehen noch eine Ebene tiefer und beobachten die Elektronen bei ihrem Spiel. Sie sehen ihre Vorliebe für gewisse Bahnen und erleben die Kräfte, die sie aus der Bahn werfen und zum Weiterziehen bewegen.
Ihre Raumkapsel nimmt nun makrokosmische Dimensionen an und sie erleben die Kräfte, die auf die Himmelskörper wirken. Sie werden Zeugen der Vorgänge, die eine Galaxie zu dem macht, was sie ist.
Wo Sie auch hinblicken, sehen Sie, wie Ordnung sich von selbst aus dem Chaos bildet. Sie erleben eine überall vorhandene, unglaubliche Kreativität. Es ist tatsächlich so, als ob eine intelligente, schöpferische Kraft die Atome veranlasst, sich zu verbinden zu immer komplexer werdenden Verbindungen – und schließlich dazu, sich so zu strukturieren, dass sie sich selbst reproduzieren können. Es scheint, als ob diese Kraft vollkommen zielgerichtet wirkt, denn aus zerfallenden Steinen wird schließlich immer umfassendere Bewusstheit.
Ganz offenbar ist diese Kraft, die die Evolution bewirkt, von Anfang an in allem gegenwärtig – und dann natürlich auch jetzt – und jetzt auch in Ihnen als Menschen, und in Ihnen ganz persönlich.
Wenn Sie die Dynamik Ihres Lebens betrachten, können Sie die Präsenz dieser Kraft in sich selbst wahrnehmen und Sie können durch Einfühlen und durch Beobachten entdecken, welche inneren Einstellungen dabei helfen, dass Sie mit dieser evolutionären Kraft kooperieren können und durch welche inneren Einstellungen – zu denen natürlich auch die Annahmen gehören, auf denen Ihre Entscheidungen beruhen – Sie die spontane Kreativität möglicherweise behindern.
Und das gilt natürlich auch für Ihre Patienten.
Vertrauen und die Fähigkeit,
sich zu distanzieren
Über die Grenzen der Kulturen hinweg ist immer wieder beobachtet worden, dass es Vertrauen braucht und daraus die Fähigkeit, sich auf eine auftauchende Spur einzulassen und gleichzeitig die Fähigkeit, sich von allem und jedem zu distanzieren.
Denken Sie an die Atome, denken Sie an die Moleküle, denken Sie an Ihre Patienten, denken Sie an sich selbst: Grundlegend gesteuert durch angelegte Affinitäten und Aversionen finden alle ihren Weg, indem sie vertrauend wahrnehmen, sich einlassen, immer bereit, sich, wenn nötig, zu distanzieren. Und als treibende Kraft hinter allem finden Sie die Sehnsucht nach dem besseren Leben, nach einer Art Himmel. Und diese Kraft des Wünschens bewirkt nicht nur, dass Fühler überall hin ausgestreckt werden, sie macht auch, weil sie in allem ganz ähnlich wirkt, ein universelles Verstehen möglich. Und daher findet sie Auswege aus allen Situationen.
Der Anfang der Bibel – als
Beispiel spirituellen Vorgehens
Die Ausgangssituation des Wunsches nach Orientierung
Betrachten Sie nun mit mir in diesem Sinn auch noch die ersten Sätze der Bibel, die von Menschen formuliert worden sind, die noch ohne wissenschaftliche Fundierung genau den Erkenntnisprozess vollzogen haben, in dem wir uns in diesem Moment befinden:
Die Bibel beginnt mit den Worten „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Das heißt, wenn Sie anfangen, die Dinge zu betrachten, ist alles schon da.
„Gott“ können Sie an dieser Stelle außer Acht lassen, denn an dieser Stelle weiß der Betrachter noch nichts von einer schöpferischen Kraft. Nur der, der das alles geschrieben hat, weiß davon, weil er in seinem Erkenntnisprozess bereits weiter fortgeschritten ist. Für den Leser, der noch nicht so weit ist, beginnt die Geschichte mit einer Beschreibung der Situation, aus der seine Frage nach dem Ursprung kommt:
„Die Erde aber war wüst und wirr. Finsternis lag über dem Abgrund.“
Wenn Ihr Leben wüst und wirr ist, wenn Sie keinen Weg mehr sehen können, wenn Sie vor dem Abgrund stehen, dann fragen Sie nach dem Zusammenhang des Ganzen. Der Abgrund bedeutet Tod. Ein Schritt weiter und es ist aus mit Ihnen. Das ist die Situation, in der auch Sie innehalten und sich fragen, wie Sie da lebend herauskommen.
Spiritualität nimmt die Angst
Aber genau an dieser Stelle gibt Ihnen der Autor, der schon mehr erkannt hat, einen entscheidenden Hinweis: Er sagt Ihnen gewissermaßen: Keine Angst!
Wörtlich heißt die Stelle: „Der Schöpfergeist schwingt über Abgrund und Chaos.“ Sie sind also nicht allein auf ihr persönliches Wissen angewiesen. Da ist noch eine ganz andere Kraft – nämlich die Kraft, die diese ganze unglaubliche Evolution möglich gemacht hat, ganz ohne Wissenschaften und ganz ohne Ingenieure – und doch mit solcher Intelligenz, dass die intelligentesten Menschen erst jetzt anfangen, etwas davon zu verstehen.
Der Wunsch nach Orientierung entsteht
Und in dieser Situation spricht
diese andere Kraft, der schöpferische Geist [in Ihnen]: „Es werde
Licht!“
Die Kraft der Evolution, die Sie schon hervorgebracht hat, treibt Sie jetzt zu dem Entschluss, Licht ins Dunkel zu bringen. Und daraus wird am Ende Licht. Der Entschluss selbst aber ist genug für den ersten Tag Ihres neuen Lebens – oder für den ersten Tag des neuen Lebens eines Ihrer Patienten. Weil Sie wissen, dass die Kraft der Evolution mit Ihnen ist, können Sie angesichts tödlicher Gefahr standhaft bleiben und sich entschließen, Licht ins Dunkel zu bringen. Das ist der erste Tag, der erste Schritt zur Vorbereitung eines evolutionären Sprungs.
Unterscheidung bringt Ordnung ins Chaos
Und wie wird Licht?
Indem die schöpferische Kraft Sie nun dazu drängt, Unterscheidungen zu treffen. Damit beschäftigen Sie sich in den folgenden Abschnitten oder „Tagen“ der biblischen Erzählung. Und dabei begleiten Sie vielleicht in nächster Zeit Ihre Patienten.
Die erste Unterscheidung: Wunsch und Realität
Die erste Unterscheidung, die Sie einführen, ist die zwischen dem Chaos oben und dem Chaos unten. In der Bibel heißt es: „Gott traf eine Entscheidung und schied die Wasser unterhalb von den Wassern oberhalb“. „Die Wasser“ sind ein Symbol für das unfassbar Fließende des Chaos.
Das Chaotische, unten bleibt noch unbenannt, das Chaotische oben aber nennt die Bibel „Himmel“. Sie könnten es auch den Bereich Ihrer Sehnsucht nennen, das Reich Ihrer Wünsche. Dieses Reich ist zunächst gewöhnlich nicht weniger chaotisch als die Realität, in der Sie sich zurechtfinden wollen.
Diese erste Unterscheidung zwischen dem geheimnisvollen Reich der Wünsche und dem verwirrenden Reich der Realität ist genug für den zweiten Tag. Sie macht das Spannungsfeld bewusst zwischen dem Jenseits des Ersehnten und dem gegenwärtigen Diesseits. Das Ganze, das am Ende der Reise bewusst werden soll, enthält beides und ist gleichzeitig gelöst von jedem der beiden.
Sie sehen, dass sich der biblische Schöpfungsbericht auf diese Weise wie eine Therapieanleitung liest – und wohl nicht zufällig so. Es ist der Weg der Spiritualität, der nicht von ungefähr „Weg zur Erlösung“ genannt wird.
Vertrauen lässt das Chaos sich sammeln: Land kommt in
Sicht
Die zweite Unterscheidung, die am dritten Tag des kreativen Umgangs mit Ihrem Problem geschieht, bezieht sich auf das Chaos unten. Die erste Unterscheidung hat Ihr Vertrauen bestärkt. Das macht die neue Unterscheidung möglich. Indem Sie auf das Wirken der schöpferischen Kraft vertrauen, können Sie das Chaos in Ruhe lassen. Und so können die aufgewirbelten Staubwolken sich senken, die Wasser, die das Chaos symbolisieren können zusammenfließen und dadurch wird „das Trockene“ sichtbar; „Land kommt in Sicht“, wie man sagt, wenn sich eine Lösung nähert. Sie bekommen festen Boden unter den Füßen.
Aber damit noch nicht genug,
sogleich sprießen am Land die Dinge, die Sie ernähren. Das ist das Ergebnis des
dritten Tags Ihres Vertrauens auf die schöpferische Kraft.
Lichter aus dem Reich der Sehnsucht beleuchten das Leben,
geben Orientierung
Am vierten Tag geht es um die dritte Unterscheidung – nämlich im chaotischen Reich der Sehnsucht, am Himmel, die Lichter zu sehen, weil nur die Lichter, die von der Sehnsucht kommen Ihnen die Orientierung geben können, die Sie im Leben brauchen.
In der dritten Unterscheidung auf dem Weg zeigt sich der Unterschied zwischen der Arbeit mit Spiritualität und sonstiger Therapie: Es sind nicht irdische, sondern himmlische Lichter, die das Leben wahrhaft erleuchten, es sind die Lichter der Sehnsucht. Sie können das Auftauchen solcher Lichter an den leuchtenden Augen sehen, die Sie an Ihren Patienten manchmal beobachten können und an Ihrer eigenen Begeisterung.
Dass Sie - oder Ihre Patienten - sich von diesen Lichtern führen lassen, ist der wesentliche Schritt des vierten Abschnitts Ihrer Reise durch die ganze Wirklichkeit. In diesem Abschnitt werden sich die Wünsche klären und so wird es für Sie wie auch für Ihre Patienten möglich, sich von diesen Lichtern führen zu lassen.
Im himmlischen Licht zeigt sich das Chaos als belebt
Im fünften Abschnitt der Reise, am fünften Tag, dringt Ihre vierte Unterscheidung auch in das verbliebene Chaos ein. Durch die himmlischen Lichter werden die Wasser des Chaos durchleuchtet und wandeln sich zu bekannten, irdischen Gewässern, die voll sind mit wunderbarem Leben – aber auch mit Ungeheuern, mit Drachen. Diese sind jetzt aber erkennbar.
Im himmlischen Licht zeigt sich alles als Produkt der
Schöpferkraft
Am sechsten Tag sehen Sie auch am Land nicht mehr nur das, was Sie ernährt. Sie sehen auch alles andere, was mit Ihnen die Erde bevölkert. Sie sehen, dass alles aus derselben Quelle kommt wie Sie selbst. Sie gewinnen Achtung vor allem Lebendigen.
Im himmlischen Licht zeigt sich
der Mensch als Bild der Schöpferkraft
Damit ist Ihre ganze Welt jetzt von Unterscheidungen durchdrungen. Sie sehen daher, am Ende dieser Reise in die Bewusstheit, dass Sie selbst ein Abbild der Kraft sind, aus der alles hervorgegangen ist. Und in diesem Bewusstsein, das durchdrungen ist vom Licht der Unterscheidung, dürfen Sie die Erde beherrschen, und Sie dürfen es sogar wagen, diesen Prozess der Bewusstwerdung zu erklären und einzusetzen in Ihrer Arbeit.
Das ist der Weg der Spiritualität.
Wegen der Gefahr des sich Verirrens immer wieder stehen
bleiben
Aber dazu gehört noch ein siebenter Schritt, nämlich sich auf diesen Weg immer wieder zu besinnen. Im Sinn einer regelmäßigen Übung immer wieder stehen zu bleiben und zu schauen. Auszusteigen aus dem Trott des Alltags, das Getriebe der Welt anzuhalten und, wenn nötig, falls Sie irgendwelche der Unterscheidungen verloren haben, oder in ein neues Chaos geraten, mit dem Prozess der Menschwerdung an dieser Stelle von neuem zu beginnen. Das gilt für Sie selbst wie auch für Ihre Patienten.
Die
Reise wird fortgesetzt in der Raumkapsel des Körpers
Während Sie diesen biblischen Weg nachgegangen sind, hat sich die äußerliche Raumkapsel, in die Sie am Anfang eingestiegen sind, aufgelöst. Sie befinden sich jetzt nur noch in der Raumkapsel, in der Sie sich schon Ihr ganzes Leben lang durch den Raum bewegen, in der Raumkapsel Ihres Körpers.
Was ist „Ich“?
Spüren Sie den Körper jetzt, der da auf Ihrem Stuhl sitzt. Spüren Sie sein Gewicht, seine Temperatur an den verschiedenen Stellen. Fragen Sie sich, was ist eigentlich das, was Sie „Ich“ nennen? Wo befindet es sich? Vielleicht, wenn Sie genau hinfühlen, werden Sie merken, dass es nicht an einem bestimmten Punkt sitzt, dass es letztlich nicht einmal auf ihren Körper beschränkt ist, dass es das ganze Beziehungsgeflecht einschließt, in dem Sie leben. Und wenn Sie die Kraftfelder betrachten, in die Sie eingebettet sind, werden Sie spüren, dass am Ende alles dazugehört, dass Sie tatsächlich das Zentrum der ganzen Welt sind – aber eben nicht ein Zentrum, das tun uns lassen kann, was ihm gerade einfällt, sondern ein Zentrum, das alles einbezieht – so wie die schöpferische Kraft, auch in Ihnen, von Anfang an alles einbezieht – und daraus seine kreativen Lösungen schöpft.
Heilung kommt aus der Perspektive des Ganzen
Heilung kommt aus der Perspektive des Ganzen. Indem Sie die Perspektive des Ganzen einnehmen, gewinnen Sie eine heilende Intention. Natürlich werden Sie dadurch nicht identisch mit der schöpferischen Kraft, aus der das Ganze stammt, aber Sie können die Welt mit ihren Augen betrachten, gewissermaßen durch die Facettenaugen des Ganzen, als eine seiner Facetten, die genau das sieht, was im Ganzen für es bestimmt ist.
Aus der Perspektive des Ganzen kommt Vertrauen
Wenn Sie so weit sind und das gesehen haben, dann nehmen Sie sich noch etwas Zeit, um das Vertrauen zu spüren, das aus der überall anwesenden schöpferischen Kraft hervorgeht.
Und dann, genau in Ihrer subjektiven Zeit, falls Sie es nicht schon längst getan haben, öffnen Sie langsam die Augen, räkeln sich, strecken sich...
Aufstehen und die anderen betrachten
Und dann, wieder genau in Ihrer subjektiven Zeit, schauen Sie sich um, und betrachten die anderen Raumkapseln hier im Raum, die anderen menschlichen Atome.
Die Ladungen spüren
Und wie die Atome im Kleinen, so tragen auch die menschlichen Atome Ladungen. Spüren Sie die Ladungen, die Sie selbst tragen und sehen Sie die Ladungen der anderen Atome. Zu manchen möchten Sie sich wegen dieser Ladungen hinbewegen, von anderen fühlen Sie sich abgestoßen, wieder andere haben ein Kraftfeld um sich, in das Sie nicht eindringen können.
Machen Sie sich diese Ladungen und Kraftfelder bewusst.
Distanz gewinnen zu den Ladungen
Versuchen Sie nun, Distanz zu gewinnen von ihren eigenen Ladungen. Versuchen Sie, diese Ladungen als unabhängig von sich selbst zu sehen, als etwas, das übernommen worden ist in dem langen Prozess des Aufwachsens und der späteren Bildung, als etwas, das Sie sich freiwillig oder unfreiwillig angeeignet haben, das aber auch wieder abgegeben werden kann, das Sie auch wieder an den Absender zurückgeben können, wenn Sie finden, dass es nicht das Ihre ist. Fühlen Sie, welche Ladungen das sein könnten, die eigentlich nicht zu ihnen, sondern zu anderen gehören. Sehen Sie die Quelle der Ladung – und geben Sie sie zurück, ohne Vorwurf, ganz nüchtern, jetzt oder später, wann immer Sie genug davon haben.
Sich keine fremden Schuhe anziehen
Es geht in Ihrem Leben, wie im Leben Ihrer Patienten darum, den richtigen Platz zu finden, in der unmittelbaren Gemeinschaft, im Ganzen der Welt und oft genug auch einfach in dem Raum, in dem Sie sich befinden.
Dazu ist es nötig, behindernde Einflüsse dorthin zurückzugeben, wo sie herkommen und zu unterscheiden zwischen Mein und Dein.
Um das Eigene und den richtigen Platz besser erkennen zu können, betrachten Sie bitte mit mir noch ein weiteres Stück aus der Bibel: Das erste Gebot, in dem es heißt, „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben“.
So viele „du sollst“ wirken in den Menschen und machen ihnen Angst. Manches davon ist echt, vieles aber ist unter Druck von außen übernommen und passt gar nicht. Betrachten Sie diese von der Bibel so genannten „fremden Götter“, und schauen Sie dann auf Ihr Eigenes, fühlen Sie, was Ihnen gut tut – jenseits aller gesellschaftlichen oder familiären Werte.
Von ihrem Eigenen aus betrachten Sie dann sich selbst und die anderen Personen im Raum – ohne zu werten, eher mit Mitgefühl, weil allen Menschen so vieles aufgebürdet wird, was gar nicht sein muss.
Die anderen betrachten, wie
Jesus es tun würde
Und dann versuchen Sie, sich selbst und die anderen so zu betrachten wie Jesus es Ihrer Ansicht nach tun würde.
So souverän wie er mit seinen eigenen Ladungen und mit den Ladungen seiner Umwelt umgegangen ist, können auch Sie damit umgehen. Und Sie sehen, was es dazu braucht: die nötige Distanz und das nötige Vertrauen. Mit Distanz und Vertrauen sind Sie frei, die Ihnen zudachte göttliche Rolle zu übernehmen: nämlich in Ihnen und um Sie herum Überschüsse abzugeben und Mängel auszugleichen, zu fließen im Strom der schöpferischen Kraft.
Veränderungsmöglichkeit von
Einstellungen erkunden
Sie haben es bemerkt: Die Aufforderung, die Welt so zu betrachten, wie Jesus es tun würde, ist eine Aufforderung zu einer komplexen Veränderung der inneren Einstellungen. Manchen Menschen mag erst durch so eine Aufforderung bewusst werden, welche ganz anderen Möglichkeiten es gibt, sich und die Welt zu betrachten und welche ganz anderen Effekte ihr Handeln haben kann.
Es gibt viele, die in dieser Weise arbeiten. Ich möchte als ein Beispiel auf die sogenannte „gewaltfreie Kommunikation“ verweisen in der Variante, die Marshall B. Rosenberg lehrt, der gelegentlich auch nach München kommt.
Sie zeigt: Damit Sie vom Leben das zurückbekommen, was Sie möchten, brauchen Sie – und auch Ihre Patienten – eine bestimmte innere Einstellung bzw. ein komplexes System innerer Einstellungen, gebündelt in der Intention, nicht zu verletzen.
Lösung einer Geiselnahme durch
Achtung vor dem Täter
Noch ein zweites Beispiel: Vor zwei Wochen gab es in einem Gericht in Atlanta, USA, eine Schießerei mit mehreren Toten mit anschließender Geiselnahme. Die Geisel hatte eben das Buch eines kalifornischen Pastors gelesen, Rick Warren, „The Purpose Driven Life“ – ein Buch, das eben eine Auflage von 20 Millionen Hard-Covers verkauft hatte, ein absoluter Auflagen-Rekord in der Geschichte der USA. Die Geisel sprach mit dem Täter sieben Stunden lang in einer nicht urteilenden Weise, dann gab der Täter auf und stellte sich der Polizei.
Wie war das möglich?
Die Frau hatte, durch ihre Lebenserfahrung und durch die Lektüre dieses Buches gelernt, sich in einer nicht urteilenden Weise auf ihr Gegenüber einzustellen. Und das hat den Täter überwältigt, denn so etwas hatte der noch nicht erlebt.
Mehr ist nicht nötig. Mehr hat auch Jesus nicht getan.
Spiritualität ist Respekt durch
„nicht urteilen“
Ich hoffe, es ist mir ein wenig gelungen zu zeigen, dass Spiritualität hilft, sich von allen Urteilen zu lösen und seinem Gegenüber absoluten Respekt entgegenzubringen – egal, was die Leute denken oder was ein professionelles Vorgehen verlangen würde.
Das Besondere an Jesus war, dass er den Menschen diesen absoluten Respekt entgegengebracht hat. Dadurch sind Wunder passiert – ähnlich dem Wunder, das durch die Geisel in Atlanta geschehen konnte.
Spiritualität macht möglich, was möglich ist – im Sinn des Spruchs der Anonymen Alkoholiker, die bitten um die Gabe der Unterscheidung zwischen dem, was verändert werden kann und dem, was so akzeptiert werden muss, wie es ist.
Austausch
Nun möchte ich Sie bitten, sich für einen Moment zu sammeln, die Fragen zu rekapitulieren, die während dieser Betrachtungen aufgetaucht sind, eventuell die eine oder andere zu notieren und dann sich mit einem Nachbarn darüber auszutauschen. Diejenigen, die zufällig alleine übrig bleiben, könnten für den Austausch neue Nachbarn finden.
Literatur:
Sophie Zerchin: „Auf der Spur des Morgensterns. Ein Erlebnisbericht“, München, 1990.
Marhall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation.
Aufrichtig und einfühlsam miteinander sprechen. Neue Wege in der Mediation und im
Umgang mit Konflikten. Jungfermann
Verlag, Paderborn, 2001
Rick
Warren: The Purpose
Driven Life. What on Earth am I here for? Zondervan, Michigan, 2002
Aaron Antonovski: Unraveling the mystery of health. How People manage stress and stay well. Jossey-Bass, San-Francisco, 1987.
Deutsch: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: DGVT, 1997
Auferstehung
Wiedergeburt Ewiges Leben
Versuch einer Brücke zwischen Bibel und postmetaphysischer Betrachtung
27. 9. 2004
Was Christen sich heute unter „Auferstehung“ vorstellen, hat oft wenig mit dem zu tun, was im Neuen Testament damit gemeint ist.
Beginnen wir mit dem Einfachsten:
“Er war tot und lebt wieder“
An vielen Stellen ist mit „Auferstehung“ nur gemeint, dass einer, mit dem schon nicht mehr gerechnet wurde, wieder auftaucht, wie in der Geschichte vom verlorenen Sohn, in der der Vater seinem zu Hause gebliebenen Sohn am Ende erklärt (Lk 15:32): „Dein Bruder war tot und er lebt wieder“.
Die „Wiedergeburt aus dem Geist“
Ähnlich zu verstehen ist die Wiedergeburt, von der Jesus seinem nächtlichen Besucher Nikodemus erzählt (Joh 3,3.5b): „Wenn jemand nicht von neuem {aus Wasser und Geist} geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“
Jesus meint damit kein Leben nach dem Tod, sondern ein neues Leben in diesem Leben. „Wiedergeburt“ bedeutet darin eine radikale Wende. Diese Wende setzt allerdings doch eine Art Tod voraus, ähnlich der Art, die „der verlorene Sohn“ erlebt hat. Der „Geist“, der sein altes Leben beherrscht hat, hat ihn in die Katastrophe geführt, in den „Tod“. Erst in der Erfahrung tiefster Not fand er Zugang zu dem neuen Geist, der ihn befähigt zum Leben im Reich Gottes.
Das „Wasser“, auf das sich Jesus in seinem Gespräch mit Nikodemus bezieht (Joh 3,5b), verweist auf das Wasser der Tränen, das den Umkehrpunkt nicht selten markiert und darin auch auf die Wasser des ursprünglichen Chaos in Gen 1,2.
Herrschte in der Ausgangssituation absolute Aussichtslosigkeit, so führt das bedingungslose sich Unterwerfen unter die Bedingungen der Kraft, die alles treibt, zu einer spektakulären Wende, nämlich zu einer Sicht des eigenen Lebens und der Welt aus der Perspektive dieser Kraft. Und diese Sicht zeigt den Ausweg:
Die schöpferische Kraft bewegt das All von Anfang an, indem sie im Ganzen wie in jedem seiner Teile zu dem ständigen Streben führt, seine Position zu optimieren. Es ist, wie wenn das Ganze einen fortwährend fließenden „Traum“ immer neue Wirklichkeit werden lassen möchte. Diese Bewegung gleicht der Bewegung der Ranke, die nach dem Licht strebt. Ein derartiges Bestreben bildet auch die innerste Wahrheit des Menschseins. Es ist das Bestreben seines „göttlichen“ Wesens (Gen 1,26), den „Himmel“ in sein Leben zu bringen.
Wenn dieses spontane Bestreben durch innere oder äußere Kräfte blockiert wird, wie im Fall des verlorenen Sohnes – oder auch im Fall der zu Sklaven gewordenen Israeliten – dann zeigt eben dieses Bestreben an dem Punkt, an dem der Tod klar vor Augen steht, diesen Ausweg: vollkommenes Vertrauen und damit vollkommene Hingabe an die Kraft, aus der alles hervorgegangen ist.
Wir sehen damit, dass von dieser Kraft auch das Bild des Himmels stammt. Der „Himmel“ ist der symbolische „Ort“, an dem der Traum des Ganzen sich abbildet. Im Himmel sind alle Probleme gelöst, weil der Mensch „dort“ seinen Platz im Ganzen einnimmt. Auf der Erde sind die Träume der Einzelnen nicht eingeordnet ins Ganze, sondern sie entspringen jenem eingeengten, persönlichen Gesichtsfeld, das die zufälligen Umstände der persönlichen Geschichte mehr oder weniger offen gelassen haben. Deshalb veranlassen diese verzerrten Träume vergebliche Anstrengungen und maßloses Leid. Dieses Leid führt in den Umkehrpunkt. Denn wenn ein Mensch, angesichts des Kontrasts zwischen seiner tiefsten Sehnsucht und der Wirklichkeit nicht verzweifeln will, wenn er will, dass trotz des Anscheins der Unmöglichkeit aus seinem tiefsten Traum Wirklichkeit wird, muss dieser Mensch sich der Wirklichkeit des Ganzen unterwerfen. Anstatt zu versuchen, die Welt an sich zu raffen, wozu das eingeschränkte persönliche Gesichtsfeld ihn drängt, muss er selbstlos werden, d.h. er muss sich hergeben an das Ganze, das von ihm gerade verlangt. Paradoxerweise kann sich sein tiefster Traum nur erfüllen, wenn er selbst zum Ersehnten wird in dem Bestreben, wie ein liebender Vater seiner Welt das Paradies zu bereiten.
Deshalb ist der Geist, dem der Mensch sich in seiner Aussichtslosigkeit unterwirft, der alte und neue Schöpfergeist. Dieser Schöpfergeist schien verloren, in der Kapitulation an der Talsohle seiner Depression taucht er wieder auf. In seiner Wiederentdeckung besteht die Wiedergeburt. Der ehemals Verlorene wird zu einem, der gefunden werden kann.
Auf diese Art war ganz offensichtlich auch Jesus neu geboren. Auf diese Umkehr, die „dem Herrn“ den Weg bereitet, hat er sich taufen lassen. Und der „Herr“, von dem Jesus spricht, ist natürlich nicht eine vom Ganzen getrennte Entität, sondern das Ganze selbst, von dem wir (auch in einem postmetaphysischen Sinn) abstammen. Und weil am Wendepunkt, im Ursprung, immer etwas Gutes intendiert ist, nennt Jesus seinen Herrn auch „Vater“.
Ein neues Leben aus dem Geist Jesu
Ein Leben aus dem Geist des Ganzen wurde schon in der Zeit vor Jesus gesucht, sodass Jesus sich in seinem Gespräch mit dem jüdischen Gesetzeslehrer Nikodemus darauf beziehen konnte.
Die Christen, die aus dem Geist Jesu leben wollen, suchen ihr neues Leben in demselben Geist. Darin besteht ihre Chance.
Jesus ist diesem Geist der bedingungslosen Hingabe an den „Vater“ sein ganzes Leben gefolgt. Er ist hindurchgegangen durch die Abgründe der Urflut. Die Geschichte von der Versuchung in der Wüste markiert sein Wiederauftauchen, seine Neugeburt – und seine Entscheidung für ein Leben aus der Perspektive des liebenden Schöpfers.
Durch sein Beispiel wird sein Geist rein faktisch zu einer Quelle des Lebens seiner Nachfolger. Und dafür braucht es keinerlei Mystifizierung. Er ist für sie tatsächlich so etwas wie „der Weinstock“ und sie sind „die Reben“. Indem sie ihm folgen, finden sie Anschluss an eine unerschöpfliche Quelle von Kraft. Sie beugen ihr Haupt vor ihrem Schöpfer und erleben real die Verwandlung, von der Paulus im ersten Korintherbrief spricht (15:51). Weil sie vor ihrem Schöpfer kapitulieren und sich dadurch an ihm neu orientieren, werden sie „wiedergeboren“ zu einer ganz neuen Art zu leben, nicht mehr nach subjektiven Vorstellungen, sondern im Sinn des liebenden Schöpfers.
Dieser Geist der Hingabe lässt Jesus sagen: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat“ (Joh 4,34). Die Nachfolger Jesu haben die gleiche Speise, aber eine andere Aufgabe entsprechend ihrer Position in der Welt. Daher geht es in seiner Nachfolge nicht darum, seine Taten nachzuahmen; es geht um die Nachahmung seiner inneren Einstellung, die an ihm in den unterschiedlichsten Situationen seines Lebens beobachtet werden kann. Es ist stets eine Einstellung der Hingabe an den Schöpfergeist.
Der Geist des neuen Lebens, ein Geist der
Kommunikation
Alle, die dem Schöpfergeist folgen, tun nicht mehr ihren isoliert persönlichen Willen. Sie folgen einem übergeordneten Willen. Jesus sagt, sie folgen dem „Willen“ des „Vaters“.
Um das heute zu verstehen, braucht es wegen der im Lauf der Jahrtausende veränderten Weltsicht einige philosophische Überlegungen: In der nachbiblisch religiösen Sprache des christlichen Abendlandes erscheint der „Wille des Vaters“ als ein vertikaler Anspruch aus einem mysteriösen Jenseits. Dieser Gedanke aber ist von den Grundlagen der heutigen Weltsicht her kaum noch nachzuvollziehen. Aufgrund der Tatsache, dass sie sich ausschließlich innerweltlich orientiert, durch die Wissenschaften und die Möglichkeiten, die sie eröffnen, hat die heutige Weltsicht eine bis jetzt in der Geschichte unerhörte Verwandlung des Lebens erreicht.
Die spirituelle Tradition des chinesischen Tao kann uns helfen, die Kluft zwischen den beiden Weltsichten zu überbrücken. Ihr ist die Vorstellung von einem vom Diesseits getrennten Jenseits fremd. In der chinesischen Tradition wird der Schöpfergeist zwar als „Himmel“ beschrieben, dieser aber erscheint im Menschen als dessen „innerste Wahrheit“. Wenn wir den Begriff „innerste Wahrheit“ in die Sprache der Bibel übersetzen, zeigt sich, dass sie als „Sohn-Sein“ des Menschen gesehen werden kann. In ihrem Ursprung sagen also beide Traditionen, dass ein Mensch jederzeit unmittelbar mit der Quelle seines Lebens verbunden ist, christlich gesagt, mit dem „Vater“. In dieser Sicht ist der Vater aber nicht mehr im Jenseits, sondern er bildet das stets unmittelbar (all)gegenwärtige Zentrum des Seins.
Damit wird aus unserer heutigen, postmodernen, wissenschaftlich geprägten Begrifflichkeit klar: Der „Wille des Vaters“ kommt nicht aus dem „Jenseits“, wie es in der traditionell (prä)modernen Begrifflichkeit erscheint, die einer metaphysischen, dichotomischen Weltsicht folgt, sondern „der Wille des Vaters“ ergibt sich ausschließlich aus diesseitiger, horizontaler Kommunikation – in der allerdings innere Einstellungen und geistige Annahmen eine Rolle spielen, aber wiederum als ein nachvollziehbar aus dem Diesseits kommender und messbar in das Diesseits wirkender Faktor. Der in unserem Zusammenhang entscheidende solche Faktor ist die gefühlte (wahrgenommene) Verbindung zur gemeinsamen Quelle. Solange uns die Bewusstheit der gemeinsamen Quelle fehlt, die in der postmodernen Begrifflichkeit nicht als „jenseitig“ sondern als unmittelbar präsent gesehen wird, ist unsere horizontale Kommunikation nicht vollständig. Wir bleiben in Abhängigkeiten und Koabhängigkeiten hängen. Erst durch die Warte der real (nicht bloß imaginiert) in uns präsenten schöpferischen Kraft werden wir frei, die horizontal an uns gerichteten Anforderungen genau in der Weise wahrzunehmen und zu beantworten, wie es deren innerster Wahrheit entspricht.
Durch das bewusste Fühlen der gemeinsamen Quelle erkennen wir uns selbst als in einer Schicksalsgemeinschaft befindlich mit den Partnern unserer Kommunikation. Durch diese innere Einstellung gewinnen wir eine Gesamtsicht – nicht bloß die Sicht unseres Gegenübers, sondern gleichzeitig eine Sicht unseres Gegenübers in seinen Bezugsfeldern, in den Kraftlinien, die ihn bestimmen – und uns selbst darin, denn wir sehen gleichzeitig auch uns selbst als Teil einer größeren Identität, eingebettet in unsere individuellen Zusammenhänge, die allesamt gelenkt werden von einem gemeinsamen Interesse, von einer größeren „Seele“, von der „Weltseele“, vom schöpferischen Geist.
Dieser schöpferische Geist hat von Anfang an die Evolution der Bewusstheit bewirkt und intendiert nun, auch durch uns, die weitere evolutionäre Entwicklung zu fördern hin zu einem bewusst immer tieferen und breiteren Einswerden mit der Kraft, von der alles ausgeht – oder wie es der Apostel Paulus über das letzte Ziel der Auferstehung sagt, hin dazu, „dass Gott alles in allem sei“ (1 Kor 15, 28), in der Sprache der Postmoderne, dass in allem eine Bewusstheit des Ganzen da ist samt der Bewusstheit der Beziehungen seiner Teile.
Gleichzeitig gewinnen wir durch die Verbindung mit der gemeinsamen Quelle echte Selbstständigkeit und Individualität, denn wir finden unseren korrekten Platz im Ganzen. Erst dadurch sind wir ebenbürtige Partner in der Kommunikation und nicht mehr Teil der tierischen Hackordnung.
Der geistige Leib Christi
Da Jesus eine Evolution der Bewusstheit in diesem Sinn erreichen wollte, hat er den Geist, aus dem heraus er lebte, weiterempfohlen und damit den „geistigen Leib Christi“ geschaffen, dessen Glieder sich bewusst in den Dienst dieser Evolution stellen.
Gewissermaßen als Nebenprodukt seiner Intention hat der Geist Jesu in diesem Leib Christi überlebt. Und der auf diese Weise „auferstandene“ Jesus wird uns in dem Leib Christi zugänglich.
Genau betrachtet ist der „Christus“, also der Geist des „Leibes Christi“, aber nicht nur der persönliche Geist Jesu, es ist der schöpferische Geist selbst, der sich seit je her in allen Kulturen zeigt, weil er sich doch in der menschlichen Natur eine Basis für sein bewusstes zu sich selbst Kommen geschaffen hat. Der „Christus“ ist also eine Erscheinung der immer gegenwärtigen, aber in sehr unterschiedlichem Maß verwirklichten menschliche Potenz, genau dessen, was in der Sprache der Buddhisten die „Buddha-Natur“ des Menschen genannt wird. Postmetaphysisch gesagt, ist es die vollständige Natur des Menschen.
Wir sehen, dass die reale Gemeinschaft des Leibes Christi letzten Endes nicht konfessionell definiert sein kann, sondern nur menschlich.
Der vom schöpferischen Geist geleitete soziale Körper geht daher über jede Religionszugehörigkeit hinaus; selbst sogenannte „Ungläubige“ gehören zu dieser Gemeinschaft, wenn sie auf ihren jeweiligen Ebenen ihrer innersten Wahrheit folgen.
Die Bedeutung der Kirche(n) für den Leib Christi
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Kirchen für den Leib Christi keine Rolle spielen, schließlich haben sie als Institution und in ihren eminenten Mitgliedern die Botschaft vom Geist bis heute auftragsgetreu weitergegeben und sie werden dies in Zukunft weiter tun, weil sie sich doch selbst als Agenturen dieses Geists verstehen. Sie sind aber nicht identisch mit dem Leib Christi – nicht nur weil zu dieser Gemeinschaft auch Menschen gehören, die keiner Kirche angehören, sondern auch weil viele Mitglieder der Kirchen weniger an ihrer innersten Wahrheit interessiert sind als daran, in den Augen ihrer Mitmenschen für Gruppenidentität und Brauchtumstreue geschätzt zu werden. Andere wieder sind zwanghaft abhängig von der Autorität der Institution und vom Buchstaben ihrer Regeln – und ähneln damit fatal denjenigen, die vor 2000 Jahren glaubten, Jesus wegen seiner Relativierung des Buchstabens ans Kreuz liefern zu müssen.
Natürlich kann es nur im Authentischen eine Auferstehung als lebendiges Glied im Leib Christi geben. Die Nachlässigen und die Zwanghaften sind nicht imstande, sich dem schöpferischen Geist auszuliefern. Sie bleiben in diesem Leben gefangen in fixen Ideen, abhängig, sie erleben keine Wiedergeburt – so lautstark sie sich auch zu den „Wiedergeborenen“ zählen mögen.
Die
„Wiederkehr Christi“
Aus dem oben Gesagten folgt „die Wiederkehr Christi“ als eine Selbstverständlichkeit, doch nicht als das künftige Wiedererscheinen eines Menschen, der früher schon einmal gelebt hat, sondern als die Begegnung mit der vollen Potenz des Menschseins. Auch dass diese Begegnung „am Ende der Zeiten“ erfolgen soll, ist richtig, nur bezieht sich diese Zeitangabe nicht auf eine äußerliche kosmische Katastrophe, sondern darauf, dass ein Mensch im Moment seiner Wiedergeburt, also in dem Moment, in dem „der Christus“ in ihm erscheint, eine radikale Zeitenwende erlebt, ausgelöst durch eine Art Tod – und das kann natürlich auch für die gelten, die erst im körperlichen Tod mit dem vollen Potential ihrer menschlichen Natur konfrontiert werden.
„Auferstehung“
als ein Weiterleben nach dem physischen Tod
In den bisherigen Betrachtungen ist es um Auferstehungen oder Wiedergeburten gegangen, die zu Lebzeiten eines Menschen geschehen. In ihnen besteht das subjektive Bewusstsein des Individuums, wenn auch verwandelt, fort. Doch diese Betrachtung hat uns bereits, als logische Konsequenz, zu einem zweiten Aspekt von Auferstehung oder Wiedergeburt geführt, in dem nicht das subjektive Bewusstsein fortbesteht, sondern eine intersubjektive Intention und in ihr ein Set innerer Einstellungen.
Dieses Set innerer Einstellungen kann auf andere Menschen übergehen und bildet dann den „Geist“ dieser Menschen, möglicherweise einer Vielzahl von Individuen (wie im Fall des geistigen Leibs Christi), die mit der Person, auf die ihr neuer Geist zurückgeht, nichts gemein haben als die menschliche Natur – und diesen „Geist“, also diese besonderen inneren Einstellungen, die sie übernommen haben. Diese inneren Einstellungen enthalten zwar Aspekte des Selbstbewusstseins der Ursprungsperson, sind nun aber Teil des individuellen Selbstbewusstseins einer anderen Person geworden. Sie führen damit ein von der Person, von der sie ausgegangen sind, unabhängiges und daher auch vom Tod dieser Person nicht berührtes eigenes Leben.
Ein
Geist, der auf andere übergeht und damit ein vom Körper unabhängiges Eigenleben
gewinnt
Dass dieser „Geist“, dieses Set innerer Einstellungen, auf andere übergehen kann, ist möglich, weil dieser Geist einer grundlegenden, von Anfang an vorhandenen, allgemeinmenschlichen Sehnsucht entspricht.
Es ist die Sehnsucht, trotz des verwirrenden Trubels alltäglicher Anforderungen die eigene innerste Wahrheit zu finden, den wunderbaren göttlichen Kern, die schöpferische Kraft. Ein Mensch, der dieser Intention der Bewusstwerdung folgt und seine wahre Natur entdeckt, ist so beglückt, dass er den Weg zu dieser Natur allen zeigen will. Und so pflanzt sich dieser Geist der Hingabe an die Wahrheit fort.
Diese Fortpflanzung wird seit je her in geistigen Traditionen und Schulen gefördert. Deshalb hat auch Jesus eine solche Schule ins Leben gerufen, den geistigen Leib Christi, in dem, wie es in der katholischen Osternnachtliturgie heißt, „zahlreich werden die Wunder seiner Wiedergeburt“.
In einem ähnlichen Sinn meinte Jesus, Johannes der Täufer sei eine Wiedergeburt des Elias – und in einem ähnlichen Sinn ist, wie der Dalai Lama selbst sagt, der Dalai Lama eine Wiedergeburt seines Vorgängers, dem Geist nach, aber nicht dem subjektiven Bewusstsein nach.
Die
erste, für jeden völlig unbezweifelbar reale, Art des Lebens nach dem Tod
Die Gemeinschaft der Nachfolger Christi wurde, wie gesagt, durch die Intention des historischen Jesus ins Leben gerufen und durch seinen Tod aktiviert. Sein Tod wirkte als Initialzündung für das neue Leben seiner Nachfolger, weil diese durch sein Beispiel unbedingter Hingabe an den aus seiner Kommunikation stammenden Anspruch bewegt wurden. Deshalb heißt es, dass sein Tod sie erlöst – von ihrer Verhaftung an den verhängnisvollen alten, auf sich selbst beschränkten Geist.
Indem nun aber sein Geist seine Nachfolger belebt, gewinnt er – im Gegensatz zu der verbreiteten Vorstellung, nach der der in der Kirche gegenwärtige Geist Jesu subjektiv identisch sei mit dem Geist des damaligen historischen Jesus – eine von seiner Person unabhängige, eigenständige historische Existenz.
In diesem Geist ist die Lebensintention Jesu nach seinem Tod „auferstanden“ und in dem Geist lebt Jesus heute noch. Die erste und für uns entscheidende Bedeutung der „Auferstehung Jesu“ besteht daher genau darin, dass sein „Geist“ jetzt in vielen lebt.
Damit verstehen wir einen wesentlichen Aspekt des Lebens nach dem Tod. Auch in einem postmetaphysischen Weltbild hat diese objektive Realität Platz.
Auf diese objektive Realität bezieht sich Paulus im ersten Korintherbrief, wenn er sagt, dass das, was aufersteht, nicht der Körper ist, der gestorben ist: „Auferweckt wird ein geistiger Leib“:
15:37: „Und was du säst, hat noch nicht die Gestalt, die entstehen wird; es ist nur ein nacktes Samenkorn, zum Beispiel ein Weizenkorn oder ein anderes.“
15:43: Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auferweckt wird, ist stark.
15:44: Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein geistiger Leib.
Der herrliche, starke, geistige Leib der Auferstehung
Im Fall Jesu ist dieser „geistige Leib“, in dem sein Geist immer noch nachweisbar lebt, die Gemeinschaft seiner Nachfolger. Jesus hat es angesprochen, und Paulus beschreibt es genauer:
Zu Lebzeiten Jesu waren seine Wirkmöglichkeiten beschränkt auf seine Person und seine unmittelbare Umgebung. Trotz all des Wunderbaren, das durch ihn geschah, war es daher „armselig“ im Vergleich mit dem, was nach seinem Tod möglich wurde: Nach seinem Tod konnte sich seine Lebensintention vielfach erfüllen. Nun wirkt nicht mehr er allein, denn an seinem neuen Leib sind inzwischen viele Glieder, die alle versuchen, in dem Geist zu leben, in dem er gelebt hat. Die Nachfolger Christi bilden daher den „herrlichen“ „Leib Christi“ (1 Kor 12:27).
In diesem Leib lebt Jesus jetzt. Ob das subjektiv-persönliche Bewusstsein des historischen Jesus das Leben dieses Geists heute wahrnehmen kann oder will, ist natürlich fraglich. Unbezweifelbare Tatsache ist aber, dass „er“ seit jener Zeit millionenfach in den Menschen lebt, die von dem Geist beseelt werden, in dem er gelebt hat. Das Leben Jesu hat damit millionenfache Frucht gebracht. Das ist der „herrliche“ Leib, von dem Paulus spricht, „stark“, nicht mehr „schwach“, weil nicht mehr beschränkt auf die eigenen Möglichkeiten.
Ein
spirituelles Gen?
Nach einem Bild, das Jesus gebraucht, hat sein Geist sich „wie eine Bakterie ausgebreitet“ [wie Sauerteig] über die ganze Menschheit.
Diese „Bakterie“ kann wirken, weil die menschliche Natur anfällig ist dafür. Heute würden wir aber weniger von einer „Infektion“ sprechen als von einer naturgegebenen menschlichen Fähigkeit, eventuell sogar von einem im menschlichen Erbgut vorhandenen Gen, das durch die Anregung eines Beispiels von außen aktiviert werden kann. Unserem Menschsein wird durch den Geist Jesu nicht etwas von außen hinzugefügt, sondern durch die in uns einfließende geistige Information des Beispiels Jesu und seiner Nachfolger wird eine genetisch bereits vorhandene Potenz angeregt, sich zu entwickeln, nämlich die Fähigkeit, sich auf die Perspektive des Schöpfers einzustellen.
Genau darauf bezieht sich der Prophet Jeremia (31,33): „Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz“.
Die Aktivierung dieses Gens, also dieses anderen Steuerungsmoduls, wirkt wie eine Neugeburt, wie eine Auferstehung, und es ist tatsächlich der Beginn eines ganz neuen Lebens. Tatsächlich bringt die Aktivierung der neuen Steuerung umfassende Veränderungen mit sich: Der „Wiedergeborene“ wird nicht mehr von der subjektiven Perspektive gelenkt, sondern von der Perspektive einer liebenden evolutionären Kraft; er ist durch seine persönliche Kapitulation vor dieser Kraft in einen Bund mit ihr eingetreten. Er erlebt sich dadurch auch in einem neuen Körper, und sogar die Außenwelt ändert sich für ihn grundlegend. Ein evolutionärer Sprung ist erfolgt auf eine neue Ebene der menschlichen Existenz. Die neue Art zu leben entspricht der vollen Potenz des Menschseins. Sie entspringt der jetzt aktivierten Verbindung des Individuums mit dem Ganzen. Der „Wiedergeborene“ bewegt sich damit in der Dimension des „ewigen Lebens“.
Da es sich dabei um eine allgemein-menschliche Möglichkeit handelt, kann das gleiche natürlich von Menschen gesagt werden, die dem Geist Buddhas, Mohammeds, Lao-tses oder anderer Lehrer der Menschheit folgen. Kein Wunder also, dass Jesus sich selbst mit Vorliebe „Menschensohn“ genannt hat.
Welcher Geist herrscht im „alten“ Menschen?
Der alte Mensch war beseelt von dem „animalischen“ Geist des Fressens und gefressen Werdens. Er lebte in stetiger Furcht vor dem Untergang und daher in stetigem zwanghaften Streben nach persönlicher Überlegenheit. Er wusste nichts von der anderen Kraft und von den Möglichkeiten, die sich durch eine Kapitulation vor ihr eröffnen. Er beschränkte sich auf die eigene Kraft – die aber oft nur schwach war.
Um seine persönliche Schwäche zu kompensieren, borgte der animalische Mensch, wie die Bibel es ausdrückt, von der Kraft „fremder Götter“, d.h. von der Kraft der Führer sozialer Gruppen, von der Kraft der Meinungs- und Stimmungsmacher: Faschismus, Mafia, Warlords, Gangs, Peergroup-Druck, Modewellen, Werbung, herrschende Meinung etc..
Der alte Mensch wurde abhängig, weil diese Geister natürlich Dienstbarkeit verlangen. Er war deshalb nicht unbedingt „ein schlechter Mensch“, aber er war irgendwo deformiert, weil ihm diktiert wurde, wie er zu sein und was er zu denken hatte. Weil er von außen dominiert war, anstatt von seiner innersten Wahrheit, konnte er nicht seine ganze menschliche Potenz leben. Er hörte zwar gelegentlich den Ruf des Ganzen, konnte aber nicht darauf eingehen, weil er zu sehr gefangen war in Images, in Ideologien, in „Bildern“, wie die Bibel es sagt. Die Wahrheit seines innersten Wesens blieb darunter verborgen.
Wenn nicht vom innersten Wesen selbst ein Impuls zu seiner Entdeckung ausgeht, kann es weder gesehen noch entwickelt werden. – Das ist der Sinn der theologischen Aussage, dass alles „Gnade“ ist. Postmetaphysisch gesagt, ist es die Sehnsucht der menschlichen Natur, die nicht aufhört, auf eine Verbesserung des Befindens zu drängen. Diese Sehnsucht ruht nicht, bis das innerste Wesen des Menschen zum Tragen kommt – das naturgemäß über den Tellerrand der eigenen Existenz hinaussieht und eine umfassende Perspektive einnimmt.
Wie äußert sich das innerste Wesen eines zu Lebzeiten
auferstandenen Menschen?
Ist das Kennzeichen des neuen, geistigen Menschen, dass er eine Super-Moral hat? Im Gegenteil. Der Geistgeleitete folgt gar keiner Moral, er braucht keinen von außen übernommenen geistigen Überbau, er folgt einfach seinem Wesenskern, dem „das Gesetz“ in einer biologischen Form, also genetisch, schon eingeschrieben ist (Jer 31,33). Im innersten Wesen ist ein Mensch, wie Jesus es ausdrückt, „vollkommen wie der himmlische Vater vollkommen ist“. Der Geistgeleitete folgt einfach dem ihm von Natur aus gegebenen Sensorium, etwa so wie der barmherzige Samariter in Jesu Gleichnis seinem natürlichem Mitgefühl gefolgt ist. Die Mitglieder am „Leib Christi“ leben nicht aus einer von außen übernommenen Indoktrination, sie folgen nicht „dem Gesetz“ – obwohl sie dessen Geist erfüllen – sie leben aus ihrem innersten Wesen heraus. Das innerste Wesen befähigt sie, sich selbst und alles andere simultan in dem komplexen Netz von Beziehungen wahrzunehmen, d.h. es befähigt sie zu unmittelbarer Kommunikation. Weil sie zu dieser urmenschlich-paradiesischen Fähigkeit zurück- und hingefunden haben, gehören sie zur Gemeinschaft der Geheilten, der „Heiligen“. – Und das wird möglich, nicht weil etwas hinzukommt, sondern weil etwas weggefallen ist, nämlich das erfahrungsbedingte, subjektive Urteil über gut und schlecht, der Grund für die Vertreibung aus dem Paradies [Gen 2,17].
Ein wieder ganz und heil gewordener Mensch tut nicht seinen subjektiv-partikulären Willen, er tut den Willen des Ganzen – den Willen „des Vaters“. Der Wille des Ganzen ist nicht ableitbar aus dem Erfahrungsschatz vergangener Generationen. Er ist daher in keinen Büchern verzeichnet. Er ist immer aktuell. Er resultiert aus der konkreten, einzigartig neuen Lebenssituation jeden Augenblicks. Nur durch ein sich Lösen vom geistigen Substrat der Vergangenheit kann sich der Wille des Ganzen im Jetzt spontan zeigen. Nur in der Kommunikation kann dieser „Wille“ wahrgenommen werden. Die Intention des Ganzen präsentiert darin immer kreative Lösungen gegenwärtiger Fragen – etwa der Art wie Salomo den Streit zwischen den Müttern löste, die beide Anspruch auf ein Kind erhoben – oder der Art wie Gideon mit 300 Mann eine Armee von 30.000 vernichtend schlagen konnte (Ri 6-8). Weil er aus der Kommunikation heraus lebt, wird ein Heiliger
nicht von festgeschriebenen Regeln gesteuert. Er kommuniziert aus der Perspektive des liebenden Schöpfers, und wird dadurch genährt vom Fluss des Geschehens, vom Fluss des „ewigen“ Lebens.Ewiges Leben
Ist damit eine individuelle zeitliche Unendlichkeit in einem metaphysischen Jenseits gemeint, wie das landläufige Verständnis des „Lebens nach dem Tod“ es haben will? Oder ist das ewige Leben nicht längst gegenwärtig? Ist es nicht das allgegenwärtige Leben, in dem wir alle jetzt schon stehen und von dem wir umgeben sind?
Im Fluss des Geists
Warum sagt Jesus in dem Gespräch mit Nikodemus über die Wiedergeburt (Joh 3:8): „Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist.“?
Er will damit doch offenbar sagen, dass Menschen, die „aus dem Geist geboren“ sind, sich nicht einfügen in das, was die Menschen erwarten, sich aber vollkommen einfügen in den völlig unvorhersehbaren Fluss des Geists, der stets aktuelle Antworten gibt auf die sich unterschiedlich schnell verändernden Kräftekonstellationen unseres realen Lebens.
Wie können sich die Glieder am Leib Christi einfügen in den vollkommen unvorhersehbaren Fluss der Dinge? Nicht nur gemäß der Geschichte vom Sündenfall, auch nach der Anweisung Jesu dürfen sie vor allem nicht urteilen. Sie müssen einfach nur wahrnehmen, dann werden sie auch ohne kodifizierte Richtlinien geführt. Die Menschen sind so gebaut, dass sie das können.
Sich vorurteilslos einzufügen in den Fluss der Dinge bedeutet natürlich ein Risiko. Das Risiko kann aber übernommen werden im Vertrauen darauf, dass die erhoffte innere Führung wahrgenommen werden kann und dass sie im Sinn dieses Menschen positiv wirkt – was natürlich nicht heißt, dass solche Menschen kritiklos einem Gefühl folgen wie Psychotiker, denn zur Bewusstwerdung gehört auch die Unterscheidung der Geister.
Aus diesem Grund brauchen Menschen, die ihre Wahrnehmung noch nicht so weit entwickelt haben, eine Anleitung, wie sie sich entwickeln können.
Diese Anleitung geht natürlich zunächst aus von den Erfahrungen der Vorgänger auf diesem Weg. Sie weist aber von Anfang an darauf hin, dass sich die Anwärter auf die Wiedergeburt lösen müssen von allen Abhängigkeiten, in die sie wegen ihres mangelnden Vertrauens geraten sind. Sie müssen ihrer Angst auf neue Weise begegnen, nämlich nicht wie bisher, indem sie sich in den Bereichen, in denen ihnen Kraft fehlt, an fremde Mächte versklaven – und sei es die Tradition. Sie überwinden ihre Angst jetzt, indem sie sich der schöpferischen Kraft vollkommen anvertrauen – während sie sich gleichzeitig von allen vermeintlich oder wirklich von da her kommenden Gedanken oder Impulsen distanzieren um sie zu prüfen. Aus diesem Prozess entsteht das realisierte und geprüfte Bewusstsein, dass die Schöpferkraft ihnen als Menschen eine positive Rolle im Prozess der Schöpfung zugedacht hat. Indem sie ihr Leben aus dieser Perspektive betrachten, gelingt es ihnen, sich von dem zu lösen, was andere festhält, die gebunden sind an die Bilder, die Images irgendwelcher Moden. Und dadurch können sie sich auch lösen von den eigenen, noch individuell beschränkten Erwartungen. Durch die Perspektive des Schöpfers werden sie fähig, umfassend (mit allen Sinnen und gleichzeitig mit aller Intelligenz) zu fühlen, was das Leben in diesem Augenblick von ihnen will, nämlich die passende Antwort auf das, was gerade da ist, eine Lösung, also eine heilende Wirkung auf einen gegenwärtigen Defekt.
Die Reaktionen Jesu zeigen uns, wie vielfältig das Leben aus diesem Geist ist: Jesus lebt kein vorgefertigtes, in einem Buch verzeichnetes Schema, er lebt aus dem Geist. Deshalb wird er von all denen angefeindet, die sich an ein Schema klammern. Er wird „Fresser und Säufer“ genannt, weil er kein Dogma kennt, und weil er immer voll bei dem ist, was gerade geschieht. Weil er aus der Perspektive „des Vaters“ fühlt, kann er die Menschen in ihrem konkreten Sosein erkennen und daher sehr spezifisch auf sie eingehen.
Nur
beschränkt oder ganz hingegeben?
Eine Analogie für dieses Fühlens im Geist des Ganzen, und damit auch einen Blick auf den Zugang, finden wir in der Musik – die allerdings im tierischen Geist des Über- oder Unterlegenseins befangen bleiben kann, solange die Öffnung auf den größeren Geist hin noch nicht erfolgt ist.
Die Menschen lieben Musik, weil sie darin in Kontakt kommen mit spontaner Bewegung, mit dem Fluss des Lebens, und darin mit dem Geist des Ganzen. Und der Kontakt mit diesem Geist tut gut.
Auch in anderen Formen von Kunst finden Menschen Kontakt mit Aspekten des Fliessens des ewigen Lebens. Auch im Sport geht es darum. Umso mehr eine Mannschaft zusammen im Fluss ist, umso leichter wird sie siegen. Ein Tennisspieler, der im Fluss ist, wird die Bälle gewissermaßen im Traum fangen – was natürlich nicht garantiert, dass er den Fluss des Lebens auch in anderen Zusammenhängen erfasst.
Solange ein Mensch im Fluss ist, kann er nicht sich selbst verhaftet sein, aber wenn das im Fluss sein nur für die Dauer einer Veranstaltung oder für einen bestimmten Ausschnitt aus der Wirklichkeit intendiert ist, ist noch keine bewusste Wiedergeburt erreicht. In der Wiedergeburt ist der Fokus nicht nur auf ein eingegrenztes Geschehen gerichtet, sondern er liegt permanent auf der gemeinsamen Quelle und aus dieser Perspektive verwandelt sich das ganze Leben.
„Trance“ ist ein anderer Name für dieses im Fluss sein.
Schamanen in Trance können heilen. Warum? Weil sie eins werden mit dem Kranken, weil sie sich aus der Bewusstheit der gemeinsamen Quelle vollkommen in ihn einfühlen können, weil sie fähig sind zu umfassender Kommunikation. Auch Jesus hat sich auf diese Weise eingefühlt in die Kranken. In seinem Fühlen der Perspektive des liebenden Vaters konnten sie sich neu erkennen und dadurch heil werden.
Was heißt „Jesus ist für unsere Sünden gestorben“?
Jesus hat sich schließlich so sehr in die Menschen eingefühlt, dass er gesehen hat, dass es seinen Tod braucht, damit sie hinreichend berührt sind. Und er hat ihnen seinen Tod als Medizin gegeben.
Weil er das gesehen hat, sagt Paulus in 1 Kor 6,1: „Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift“. Um zu uns durchzudringen, musste Jesus diesen Weg gehen. Das hat „der Geist“ (des Ganzen) von ihm verlangt – was natürlich nicht heißt, dass er das auch von uns verlangt, im Gegenteil, das wäre sehr unwahrscheinlich, denn wir haben unsere ganz eigene, individuelle Aufgabe in unserer heutigen Welt.
Wie
kann der Geist des Ganzen das Ende unserer individuellen Existenz verlangen?
Der Geist des Ganzen will die Evolution des Ganzen. Dazu kann in ganz besonderen und seltenen Fällen der Tod eines Einzelnen notwendig sein. Für einen Menschen, der aus diesem Geist lebt, ist das aber nicht seine Vernichtung, sondern die Erfüllung seines Daseins. Er wird zu einem Licht, das aufstrahlt durch die Zeit und das in denen, die es sehen, eine Sehnsucht nach dieser anderen Art zu leben weckt. Er wird zu einem Funken, der viele Flammen entzündet, die dieses Licht weiter tragen.
Jesus hat diesen zündenden Geist den „Tröster“ genannt. Er sprach aus eigener Erfahrung. Er hat in diesem Geist, der sein Leben von ihm forderte, den Trost gefunden, den er brauchte, um den Weg gehen zu können.
In dem sich vollkommen Einfügen in die Intention des Ganzen, das im Alten Testament mit dem Bild vom „Knecht Gottes“ ausgedrückt worden ist, wirkt also nicht, wie es scheinen könnte, ein fremder Zwang. Die Unterwerfung, die das Ganze verlangt, bringt uns nicht in Widerspruch zu uns selbst, im Gegenteil, genau in der Übereinstimmung mit ihm liegt die Erfüllung unserer tiefsten Sehnsucht, unserer innersten Wahrheit und unserer Bestimmung.
Das war das Wesentliche, das auch der Prophet Mohammed gesehen hat. Er hat es ausgedrückt in dem Wort „Islam“, Friede durch Hingabe. Auf die darin intendierte Hingabe ist seine Religion begründet.
Ähnlich sagt Jesus: „Wer sein Leben festhalten will, wird es verlieren, wer es aber hergibt, wird ewiges Leben gewinnen.“ (u.a. Mt 10:39).
Diesem Geist der Hingabe können wir nur folgen, wenn wir die Diskrepanz erleben zwischen der Beschränktheit unseres Eigensinns und dem Angebot, das vom Ganzen kommt. Als Beschränkte können wir nicht eingehen ins Unbeschränkte, deshalb ist gesagt worden, das „Ego“ müsse sterben. Das heißt aber nicht, dass wir unser Selbst verlieren, im Gegenteil, erst indem wir dem Geist folgen und im Fluss leben, sind wir ganz in unserem Eigensten angekommen.
Im Gegensatz zu unserer inneren Wahrheit ist das „Ego“ das allein selbstbezogene tierische Ich im Überlebenskampf und in seiner Abhängigkeit von fremden Mächten. Dieses Ich-Bewusstsein, das die Bibel aus dem Sündenfall erklärt, und später mit dem Stiergott Baal identifiziert, hält uns zurück in einer noch unbewussten evolutionären Vorstufe; es hindert uns, umfassend wahrzunehmen. Um umfassend wahrnehmen zu können, müssen wir umsteigen in eine andere Dimension, in eine neue Perspektive des Lebens, in die göttliche Perspektive, die unsere innerste Wahrheit ist. Erst dann kann sich unser gesamtes menschliches Potential verwirklichen und uns zu neuen Menschen machen, zu zu Lebzeiten Auferstandenen.
Warum
wird gesagt, die Auferstehung erfolge in einem neuen Leib?
Durch unseren Einstieg ins Unendliche sind wir zu unserem Eigensten durchgedrungen und von da her erneuert sich unser ganzes Sein. Ein Kontrast entsteht zu unserem vorangegangenen Leben – und dieser Kontrast zeigt sich auch in körperlichen Veränderungen.
Als Illustration möchte ich das Beispiel eines meiner Lehrer anführen, des japanischen Shiatsu-Meisters und Shinto-Priesters Akinobu Kishi. Kishi hat mir ein Foto von sich aus der Zeit gezeigt, als er gerade seinen Meistertitel zuerkannt bekommen hatte. (Kishi war einer von nur sehr wenigen, dem dieser Titel von seinem Lehrer Masunaga verliehen wurde, und auf Masunaga geht praktisch alles Shiatsu zurück, das in Europa und in den USA gelehrt wird.) Der Vergleich dieses Fotos von damals mit dem Menschen, den ich kannte, war frappierend. Auf dem Foto sah Kishi ziemlich verunstaltet aus, sein Gesicht wie eingedrückt von etwas, das ihn bedrückte.
Er sagte, die Verwandlung kam, nachdem er „Katsugen“ entdeckt hatte, spontane Bewegung. – Natürlich hatten andere diese spontane Bewegung und ihre verwandelnde Wirkung lange vor ihm entdeckt. Es gab davon längst alte Traditionen sowohl in der japanischen Shinto-Religion wie auch im chinesischen Chi Gong. Kishi kannte diese Traditionen aus seiner Ausbildung und trotzdem war es für ihn eine überraschende persönliche Entdeckung, als er von der spontanen Bewegung ergriffen wurde.
Obwohl er mit seinem Meistertitel bereits viel erreichte hatte, auch ein gutes und sicheres Einkommen, war das alles nichts für ihn, weil da noch etwas war, das ihn bedrückte. Wenn er ein wirklicher Meister sein wollte, musste er vor allem das meistern. Unter diesem Druck geriet er eines Tages in einen Zustand der spontanen Bewegung. Er fand sich hineingerissen in wilde Zuckungen seines Körpers und in erschütternde Einsichten in den tiefsten Grund des Daseins von einer Kraft, die für ihn eindeutig nicht die seine war. Erst mit der Zeit wurde ihm klar, dass es doch die seine war, aber die seines ihm bis jetzt unbekannten innersten Wesens.
Was seiner Beschreibung nach geschah, war wie der Ablauf eines natürlichen Selbstreinigungsprogramms des Organismus, der ihn geläutert zurückließ. Als Konsequenz fand er zu einem Fühlen, das vieles von seinen erlernten Shiatsu-Schemata überflüssig machte, weil er nun in eine unvermittelte Kommunikation eintreten konnte mit dem Organismus der Person, die er behandelte. Er konnte daher direkt die Punkte ansprechen, die Aufmerksamkeit brauchten. Und so wurde seine Arbeit nicht nur heilsam für seine Patienten, sondern auch für ihn selbst.
Das Ergebnis war, dass sich auch sein Aussehen veränderte. Alles Bedrückte verschwand aus seinen Zügen. Er war ein neuer Mensch geworden.
Er hatte offenbar spontan genau das gefunden, was Jesus den „Geist“ nennt und den „Tröster“. Nicht dass dadurch Superman aus ihm geworden wäre, aber er hatte von da an unmittelbaren Kontakt zu seiner innersten Wahrheit.
Ähnliches wird von Meistern anderer Traditionen berichtet.
Wie können wir neue Menschen werden?
Um ein wirkliches Glied am „Leib Christi“ zu werden, braucht es daher mehr als ein Bekenntnis zu Jesus. Es braucht den Geist Jesu.
Dieser Geist ist, wie er oft betont hat, „ein Geist der Wahrheit“ (z.B. Joh 14,17; 15,26).
Die Wahrheit des Shiatsu-Meisters war, dass er trotz bescheinigten Erfolgs die Wahrheit nicht gefunden hatte. Er fühlte den Schmerz dieses inneren Widerspruchs. Er ließ sich von diesem Widerspruch erschüttern und zurechtrücken. Er durchlebte, wie er sagte, einen äußerst schmerzhaften Geburtsprozess. Es war eine ähnliche Krise wie die, die den verlorenen Sohn zur Umkehr bewegte – oder wie die Krise, die die Anonymen Alkoholiker zur Kapitulation führt.
In all diesen Fällen wird der enge Kanal der Wiedergeburt erzeugt durch eine Situation auf Leben und Tod, eine Situation des Sterbens. – Diese Situation meint Franz von Assisi mit seinem „stirb, bevor du stirbst“ und die meint auch Johannes vom Kreuz mit seinem Hinweis auf die unzähligen Tode, die ein Mensch im Laufe seiner spirituellen Entwicklung sterben/durchleben muss.
Unsere Alltagssicht wirft uns immer wieder zurück in eine Scheinwelt, in der wir dem biblischen Götzen „Baal“ ausgeliefert sind. Diese Sicht wirft uns zurück in die Welt des tierischen Erfolgs, der tierischen Rangordnungen, des Fressens und gefressen Werdens – der Angst und der Gier.
Die Freiheit liegt in dem anderen Geist. Dieser andere Geist erscheint seltsamerweise gerade dann, wenn wir unser Unvermögen zugeben, wenn wir kapitulieren. Da öffnen wir uns der Macht, aus der unser Leben fließt. Und dann fällt es uns wie Schuppen von den Augen, dass alle unsere Ängste völlig unnötig sind, dass wir geborgen sind, weil inmitten des Nichts, in das wir zu stürzen fürchteten, in uns etwas da ist, das uns den Weg zeigt. Als spontane Bewegung, wird es in fernöstlichen Kulturen erfahren. Aber auch in unserer Kultur taucht diese völlig selbstevidente spontane Bewegung auf, wenn wir dem folgen, was wir als Wahrheit empfinden – das mag zunächst eine Illusion sein, die sich aber dadurch klärt, dass wir ihr folgen und die Reaktionen bekommen, die auf Illusionen folgen. Auf diesem Weg werden wir uns der Wahrheit immer zentraler annähern, bis wir das erleben, was Jesus den „Geist“ genannt hat.
Eine einzige Wiedergeburt reicht nicht
Natürlich ist es mit einem einzigen Wiedergeburtserlebnis nicht getan. Die Macht unserer alten Weltanschauung ist zu groß, und wir werden wieder herausfallen aus dem neuen Leben, zurück in unsere beschränkte Perspektive.
Es ist auch nicht damit getan, dass wir den Prozess der Wiedergeburt zehn oder hundertmal durchschreiten, es geht darum, dass wir immer von neuem kapitulieren vor der Kraft, aus der alles hervorgegangen ist, dass wir in einer ständigen Haltung der Kapitulation leben – und mit Routine ist das nicht zu machen. Es braucht Ehrlichkeit. Inmitten blühenden Lebens tauchen immer wieder kleine oder größere Situationen auf, die uns ratlos machen, wo wir mit unserer Weisheit am Ende sind. Wenn wir ehrlich sind, geben wir unsere Ratlosigkeit zu. Wir fühlen den Tod, den dieses unser Unvermögen bedeutet, und wir übergeben unser Schicksal in die Hand unseres Schöpfers – und von dort kommt die Wende, immer wieder an diesem Punkt. Und wir erleben erneut eine Wiedergeburt.
Aber, so beeindruckend diese fortschreitenden Transformationen und das aus ihnen immer wieder resultierende neue Leben auch sein mögen, es bleibt die Realität des Todes und damit die Frage, ob unser subjektives Bewusstsein unseren körperlichen Tod überleben kann?
Das zweite, das persönliche Leben nach dem Tod
Was der Schöpfergeist subjektiv bewirken kann, wenn ein zu Lebzeiten auferstandener Mensch dann stirbt, das hat „kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und es ist keinem Menschen in den Sinn gekommen: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“. So sagt es der Apostel Paulus (1 Kor 2,9).
Er redet von einer neuen Auferstehung nach dem Tod, nicht nur in der Weise wie Jesus im Leib Christi auferstanden ist, sondern auch persönlich.
Aber niemand weiß, wie dieses Eintauchen und Auferstehen geschieht. Ob es (nur) eine besondere Erfahrung im letzten Augenblick des Lebens ist, in dem das Jetzt zur Ewigkeit wird? Die „Schau Gottes“, von der die Theologen sprechen, wird wohl ein unvergleichliches, allumfassendes Bewusstsein sein, das uns aufgeht wie ein Blitz, ehe wir uns ihm ergeben.
Wenn wir bedenken, dass die Freude irdischer Spitzenerlebnisse in tiefsten Daseinseinsichten besteht, dann sollten wir uns nicht wundern, dass der Eintritt eines persönlichen Bewusstseins in das allumfassende Bewusstsein „ewige Seligkeit“ genannt worden ist.
Doch vor dieser Schau muss es ein Gericht geben. Auf unserem Weg oder spätestens im Erleben unseres Sterbens müssen wir unser Leben anschauen und dann gewissermaßen auch rückwirkend alle unsere Kräfte ausrichten auf das Ganze, denn natürlich kann das Beschränkte nicht beschränkt bleiben, wenn es als Bewusstsein wieder eintaucht ins Unendliche, wenn es stirbt und wieder aufersteht in dem großen Einen, von dem es ausgegangen ist. Doch wir wissen nichts darüber hinaus, etwa ob etwas von unserem individuellen Bewusstsein in der Dimension der Zeit verbleibt und ob es die Möglichkeit gibt noch einmal hineinzugehen in die Ebene des Raumes und ein neues Leben zu leben, wie Hindus und Buddhisten meinen.
Und es braucht dieses Wissen auch gar nicht. Es braucht keine Hoffnung auf einen jenseitigen Lohn. Das zeigen uns die „Samurai“ aller Kulturen. Das Leben aus dem Geist des Schöpfers hat schon in diesem Leben den Lohn in sich, weil es unvergleichlich ist, weil es jedem noch so reichen anderen Leben an Fülle überlegen ist.
Doch wer dieses überragende Leben in diesem Leben nicht sucht, der wird es nach seinem Tod wohl eher auch nicht finden – es sei denn der Tod selbst bewirkt die Umkehr, so wie er den verlorenen Sohn umkehren hat lassen.
Strittige Fragen im interreligiösen Dialog
7.5.2005
Inmitten wachsender interreligiöser Toleranz erhebt sich die Frage, ob neben aller Betonung der Gemeinsamkeiten auch die Fragen geklärt werden können, die in den vergangenen Jahrtausenden unter den drei abrahamitischen Religionen immer wieder zum Anlass geworden sind, sich gegenseitig zu beleidigen und zu bekriegen, ob es heute also eine Möglichkeit gibt, die strittigen Fragen zur Zufriedenheit aller zu klären.
Da alle drei Religionen von Gott stammen, wie die Tatsache zeigt, dass Menschen in allen drei Religionen ihre Beziehung zu ihm realisieren, müssen die Beleidigungen auf einem Missverständnis beruhen.
Gleichzeitig bezeichnen die strittigen Fragen aber wunde Punkte der Religionen, die tatsächlich von vielen falsch verstanden werden.
Im Sinn einer Heilung könnte es sich also lohnen, sich mit diesen strittigen Fragen zu beschäftigen – und zwar nicht in einem apologetischen Sinn, sondern in der Bereitschaft, etwas vom anderen zu lernen, durch die Sicht des anderen die eigene Sicht erweitern und klären zu lassen.
Zunächst ein Beispiel aus dem islamischen Bereich, weil es zugleich alle anderen Bereiche beleuchtet:
Die Muslime sagen – und das beleidigt sowohl Juden wie auch Christen – die Bibel sei verfälscht. Ein Beispiel ist die islamische Darstellung, dass Abraham nicht seinen Sohn Isaak, sondern seinen Sohn Ismael habe opfern sollen und dass das nicht in Jerusalem, sondern in Mekka geschehen sei. Ein zweites Beispiel ist die Aussage, dass Jesus nicht am Kreuz gestorben sei.
Wie können diese Aussagen so verstanden werden, dass ihr sowohl Juden wie Christen zustimmen können? Zunächst scheint das unmöglich. Aber wenn es bei Gott möglich ist, sollte es dann nicht auch für uns möglich sein? Was hindert uns daran, es für möglich zu halten – abgesehen von unserem infantilen Wunsch besser zu sein, als die anderen?
Das erste Hindernis ist unser heutiges, von allen geteiltes, von den Wissenschaften abgeleitetes Verständnis von Wahrheit. Es entspricht durchaus nicht dem Verständnis von Wahrheit, das die heiligen Bücher der drei abrahamitischen Religionen haben.
Unser heutiges Verständnis von Wahrheit sagt uns, dass zwei widersprechende Darstellungen nicht gleichzeitig wahr sein können, sondern dass zumindest eine davon falsch sein muss. Damals konnten einander widersprechende Darstellungen durchaus gleichzeitig wahr sein, wie beispielsweise die Abstammungslinie Jesu beim Evangelisten Matthäus zeigt, die über Josef geführt wird, während es zwei Zeilen später heißt, Josef wäre nicht der Vater von Jesus (Mt 1,16-18) oder der Anfang der Geschichte vom Durchzug der Israeliten durchs Rote Meer, wo es einerseits heißt, ein starker Wind habe das Wasser fortgeblasen und gleich anschließend gesagt wird, das Wasser habe sich geteilt, als Moses seinen Stab ausstreckte (Ex 14,21).
Es geht in den heiligen Schriften eben nicht um korrekte historische Berichterstattung, sondern um eine Wirkung auf den Leser oder Hörer. Die Geschichte ist nur Vehikel, um eine Wahrheit zu übermitteln, sie nicht die Wahrheit selbst. Die Wahrheit der Geschichte ist erfolgreich übermittelt, wenn ein Mensch die Kraft erfährt, die aus seiner Beziehung zu seinem Schöpfer fließt. Dann ist auch klar, dass die Form des Vehikels niemals ein Streitpunkt sein kann, weil sie vom Zuhörer abhängt, denn ihn soll die Geschichte ansprechen, damit die mit ihr transportierte Wahrheit eine Chance hat.
Wenn Mohammed sagt, die Bibel sei verfälscht, dann sagt er seinen Zuhörern, dass es nicht ihre Schuld ist, dass sie von der Bibel nicht ausreichend bewegt wurden. Mohammed nimmt ihnen damit die Angst und präsentiert ihnen dann die Botschaft, die durch ihn kommt und die seine Zuhörer aus diesem Grund direkt berühren kann.
Weil er zu Arabern spricht, erzählt er manche biblische Geschichten etwas anders. In den Geschichten von Ismael und Isaak sieht er die Chance, sein Volk von Anfang an in der Gründergestalt der Bibel zu verwurzeln. Er schreibt damit [in alter Medizinmann- und Seher-Manier] die ganze Geschichte der Araber neu – so wie auch die Autoren der Bibel Geschichte und Geschichten in vielem neu geschrieben haben, um ihren konkreten Zuhörern ein klares Netz von Koordinaten zu geben.
Ist diese neue koranische Geschichte nun „falsch“ oder ist die alte biblische Geschichte „falsch“? Nur von unserer „wissenschaftlichen“ Auffassung von Wahrheit aus muss mindestens eine der beiden Versionen als „falsch“ betrachtet werden, doch diese Auffassung ist sowohl der Bibel wie auch dem Koran völlig fremd.
Wenn wir zum besseren Verständnis der Bibel wie des Korans unser Wahrheitsverständnis nach dem ausrichten, was Wahrheit für die Bibel und für den Koran bedeutet, müssen wir den Kontext der Offenbarung, also die Zuhörer, als konstitutiv betrachten. Dann sehen wir, dass etwas, das in einem Kontext als „wahr“ gilt, in einem anderen Kontext falsch sein kann und umgekehrt.
Im arabischen Kontext muss Ismael der Rechtsnachfolger von Abraham sein, wie es im jüdischen Kontext Isaak sein muss.
Das sind die Wirk-lichkeiten der Bibel und des Koran.
In der Zeit und Kultur des Mohammed waren die Geschichten der Bibel, besonders was die arabische Zuhörerschaft betrifft, nicht gut angepasst. Sie betrafen ein anderes Volk und dieses exklusiv. Daher waren sie aus der Perspektive der Araber „verfälscht“ – obwohl sie für die Zuhörer, für die sie zunächst gedacht waren, natürlich genau gepasst hatten. Aber veränderte Bedingungen verändern auch die Möglichkeiten der Rezeption und so kann etwas, das zunächst richtig war, für neue Zuhörer falsch sein.
Hat Mohammed die Bibel nun verfälscht, indem er Versionen biblischer Geschichten erzählt hat, die den mehr als eintausend Jahre älteren biblischen Originalen widersprechen? Nein, er hat die weit verbreiteten Geschichten der Bibel als Material benützt und angesichts der realen Situation seiner Zuhörer aus diesem Material neue Originale geschaffen. Die Muslime sagen: der Erzengel Gabriel hat sie dem Propheten Mohammed aus „der ewigen Ur-Offenbarung“ übermittelt. Zur Authentizität dieser Neuformulierung gehört wegen der neuen Zuhörer auch, dass der Erzengel Gabriel behauptet, die Bibel sei verfälscht, denn damit kann er seiner jetzigen Version bei seinen Zuhörern den nötigen Nachdruck verleihen. Auf ähnliche Weise waren schon zuvor viele der biblischen Geschichten entstanden, sowohl alttestamentliche wie neutestamentliche.
Nochmal: Die Geschichten sollen eine Wahrheit übermitteln, sie selbst sind nicht die Wahrheit. Sie sind nur das Vehikel der Wahrheit. Die Wahrheit im spirituellen Sinn ist nicht eine Sache der Logik. Sie eröffnet sich in einer existentiellen Erfahrung, nämlich in der Erfahrung der Beziehung zwischen dem konkreten Menschen und seinem Schöpfer. Dahin sollen die Geschichten führen.
Das gilt auch von der koranischen Behauptung, Jesus sei nicht am Kreuz gestorben. Rein logisch wird damit das Grundelement des Christentums geleugnet: Kein Tod, keine Auferstehung – also eine gründliche Dekonstruktion der christlichen Religion. Daraus kann gefolgert werden, dass Mohammed keine Christen getroffen hat, die ihm eine Auferstehungserfahrung vermittelt hätten. Jesus ist Mohammed nicht so erschienen, wie er Paulus erschienen ist. Das Vehikel des Christentums ist ihm als für seine Zuhörer nicht geeignet erschienen, daher musste sich aus ihm ein neues Vehikel formen. Er musste der christlichen Religion eine neue Religion entgegen stellen, deren Wesen für alle offenkundig sein und bleiben sollte.
Aus dem unbekümmerten Umgang der Offenbarer mit dem, was wir heute als „historische Fakten“ an sich wert schätzen, können wir lernen, dass der Inhalt von Offenbarung nicht zeitlos ist. Sie ist vielmehr immer eine Antwort auf die Nöte der Zeit und der Kultur, in denen sie gegeben wird.
Dennoch kommt die geoffenbarte Antwort aus der zeitlosen Wirklichkeit des Menschseins. In einem Menschen, der Zugang hat zur Erfahrung seiner zeitlosen Wirklichkeit, oder wie Jesus es sagte, seiner Verbindung mit dem „Vater“, ist der Kanal dieser Verbindung geöffnet. Der Koran nennt diese Verbindung „Erzengel Gabriel“, denn durch sie kann „Gott“, also der ewige Ursprung, zu den Menschen sprechen. In heutigen Worten ist die Möglichkeit für den Zugang zur zeitlosen Wirklichkeit grundgelegt in der „menschlichen Natur“. Sie ermöglicht den Kanal der Offenbarung. Jede konkrete Offenbarung aber, die durch diesen Kanal durchkommt, ist vom Kontext des konkreten Offenbarungsträgers geformt und daher zeitabhängig. Daher muss sie aus jeder neuen Zeit heraus von jemand, der in dieser Verbindung steht, neu interpretiert werden.
Seit den Zeiten der heiligen Bücher sind weltweit Ideale in den Vordergrund getreten, die damals eine wesentlich geringere Rolle spielten, wie eben der wissenschaftliche Begriff von „Wahrheit“. Dadurch kommt die Glaubwürdigkeit der Religion heute in Bedrängnis. Und wir stehen vor der Frage, wie jetzt, nachdem die Relativität der Offenbarung offenbar geworden ist, ihre ursprünglich intendierte Wirkung wieder eintreten kann.
Meines Erachtens ist das nur möglich, wenn die Werte unserer Zeit einbezogen werden, wenn das Offensichtliche (etwa der damals übliche völlig andere Umgang mit historischen Fakten) nicht mehr geleugnet wird. Dadurch wird der Glaube zugleich evolutionär auf eine neue Stufe gehoben. Er wird jetzt nicht mehr nur über die Zugehörigkeit zu der Gruppe definiert, die sich mit einem buchstäblichen Verständnis der Geschichten der eigenen Tradition identifiziert, sondern Glaube wird darüber hinaus erfahrbar über das allen Menschen Gemeinsame, nämlich die menschliche Natur, die sich von Natur aus beugt unter die Größe des Schöpfers. Dieses sich Beugen wiederum ist die Grundlage für die Erfahrung, dass es möglich ist, im realen Leben aus der Fülle des Ewigen zu schöpfen.
Der natürliche Weg zur Erfahrung dieser Fülle ist nach wie vor der Weg der eigenen Tradition. Diese Tradition hat jetzt aber nicht mehr den Stellenwert, den sie vorher hatte. Sie gilt nicht mehr ausschließlich – doch das braucht uns nicht beirren, denn die Ausschließlichkeit war keine Garantie für die Erfahrung und aus ihrer Enge sind die Gräuel der Vergangenheit entstanden, die für manche noch in der Gegenwart andauern, weil sie „Glauben“ immer noch mit Gruppenzugehörigkeit verwechseln.
Aber obwohl die eigene Tradition nicht mehr absolut gilt, wirkt sie doch immer noch hinreichend dafür, dass ein ehrlicher Suchender durch sie zur Unmittelbarkeit finden kann. Und sollte das aus irgendwelchen Gründen nicht gelingen, dann gibt es die Möglichkeit sie in anderen Traditionen zu finden. Die Chance ist da und mehr hat es zu den Zeiten der automatischen Gruppenzugehörigkeit auch nicht gegeben. Die Relativierung hat uns sogar bereichert: Zu den wirksamen Wegen zur Unmittelbarkeit der spirituellen Erfahrung gibt es jetzt auch wirkliche, d.h. uneingeschränkte Toleranz und Respekt für alle anderen Wege – und daher auch äußeren Frieden.
Um die Problematik der Gruppenzugehörigkeit anzusprechen, aber ohne dies in der heute mögliche Weise logisch abzuleiten, empfiehlt der Prophet Mohammed seinen Gläubigen im Fall des Aufkommens religiöser Streitfragen einfach zu sagen: „Dir dein Glaube, mir mein Glaube!“ und damit die Diskussion ohne Streit zu beenden. Dieser Rat ist immer noch weise und gültig. Dennoch können wir heute, mit unseren Voraussetzungen der wissenschaftlichen Betrachtung, einen weiteren Schritt vollziehen, hineingehen in die Widersprüche und vor Ort durch einen Perspektivenwechsel sehen, dass diese Widersprüche verstehbar werden vor dem Hintergrund unterschiedlicher Sozialisation.
Ein Beispiel aus dem Christentum:
Die Christen sagen – und das beleidigt Juden wie Muslime – Jesus sei „der“ Messias und „der“ Sohn Gottes.
Die Juden werden beleidigt, weil ihnen gesagt wird, sie hätten den Messias verschlafen und „den Sohn Gottes“ nicht beachtet. Aus diesem Grund wird ihnen sogar „Gottesmord“ vorgeworfen.
Die Muslime werden beleidigt, weil behauptet wird, Gott habe einen Sohn. Darüberhinaus werden sie beleidigt, weil damit eine spätere Offenbarung, etwa die durch Mohammed, für unmöglich erklärt wird, weil es nichts geben kann, was über die Inkarnation Gottes hinausgeht.
Wie also könnte die christliche Aussage von Jesus, dem Messias und Sohn Gottes, so verstanden werden, dass sowohl Juden wie auch Muslime zustimmen könnten?
Jesus selbst gibt, zumindest in der Version des Evangelisten Johannes eine Erklärung (Joh 10,33-38), mit der die Muslime voll übereinstimmen können. Er sagt in etwa, warum sollte ich mich nicht „Sohn Gottes“ nennen, wenn ich doch um meinen göttlichen Ursprung weiß und wenn ich doch den Willen meines himmlischen Vaters tue?
Diese Aussage entspricht dem islamischen Verständnis eines Boten Gottes genau. Sie ist aber Äonen entfernt von den späteren dogmatischen Formulierungen über die Trinität. Aber auch bei diesen gilt wie im vorherigen Abschnitt über Neufassungen von Geschichte(n), dass sie für Zuhörer formuliert worden sind, die ein bestimmtes Weltbild hatten, in diesem Fall nicht das arabischer Stammeskulturen, sondern ein hellenistisches. Und während in der Bibel noch jeder Mensch ein Kind (also Sohn oder Tochter) Gottes ist, konnte es in der Vielfalt des hellenistischen Götterhimmels eine Variante geben, in der ein einziger Gott einen einzigen Sohn hat. In dieser Sicht war für die hellenistische Kultur die Bedeutung Jesu adäquat und wirksam definiert. In unserer Zeit dagegen haben die hellenistischen Definitionen nicht mehr ihre ursprüngliche Bedeutung. Sie verkommen zu glanzlosen Gruppenidentifikationsabzeichen, aber sie wirken für viele nicht mehr als Wege zu der unmittelbaren Beziehung, von der Jesus wollte, dass jeder Einzelne von uns sie findet.
Selbst das Wort „Vater“, das Jesus so wirksam benützt hat, passt in einer „vaterlosen Gesellschaft“ nicht mehr. Die alten Geschichten müssen heute, ähnlich wie Mohammed es für seine Zeit und Kultur getan hat, ganz neu erzählt werden, damit sie wieder wirken können.
Zuletzt ein Beispiel aus dem Judentum:
Die Juden lehnen Jesus ab, indem sie ihn vollkommen ignorieren. Die christliche Überlieferung legt nahe, dass sie ihn ignorieren, weil er das jüdische Gesetz relativiert hat. Mit diesem Ignorieren aber beleidigen sie nicht nur die Christen, sondern auch die Muslime, weil Jesus den Muslimen neben Mohammed als der größte Prophet gilt.
Jesus hat gesehen, dass die strikte Einhaltung des Gesetzes zu seiner Zeit in vielen Einzelfällen zu Ungerechtigkeiten führte und die Barmherzigkeit Gottes verschleierte. Er plädierte daher für den „Geist“ – im Gegensatz zum „Buchstaben“ des Gesetzes. Damit allerdings öffnete er das Tor für die spätere vollständige Abkehr vom Gesetz und die neue Tradition des Christentums.
Obwohl er damit Nichtjuden ermöglichte, den Einsichten der jüdischen Patriarchen und Propheten zu folgen, konnten die Juden diese Relativierung nicht tolerieren. Es hätte ihre Existenz gefährdet. Sie hielten daher am Buchstaben des Gesetzes fest und konnten so ihre religiöse und kulturelle Identität bis heute bewahren – allerdings um den Preis, dass sie einen der ihren ausschließen mussten.
Das können die Christen und die Muslime heute verstehen. Toleranz bedeutet für sie daher, die Existenzbedrohung zu sehen, die von Jesus ausging, und das Beharren der Juden auf ihrer Sicht zu akzeptieren und ebenso auch ihre Reaktion auf Jesus und die neue Bewegung, die von ihm ausging. Denn das ist die Wahrheit aus der Perspektive der Juden.
Auf diese Weise sind die strittigen Punkte verstanden und geklärt als unterschiedliche Aspekte desselben. Und es ist auch geklärt, dass diese Unterschiede sich nicht eliminieren lassen, weil in einer mehrdimensionalen Welt die gleichen Dinge von verschiedenen Standpunkten aus jeweils anders aussehen. Es ist darüber hinaus aber auch geklärt, dass nicht nur der Raum, sondern auch die Zeit die Perspektive verändert und Anpassungen nötig macht.
Damit sind wir an dem Punkt, an dem klar wird, dass sich der Islam in unserer Zeit für die Wissenschaften öffnen wird müssen und für deren Zug, alles und jedes in Beziehung zu setzen, es also zu relativieren. Das Christentum muss sich unter dem gleichen Anspruch öffnen für eine Terminologie, die nicht mehr an die Weltanschauung des Hellenismus gekoppelt ist. Ob und wie weit auch im heutigen Judentum eine geistesgeschichtliche Trägheit wirkt, müssen die Juden selbst entscheiden.
Veneration of Saints in a
Non-Idolatrous Way
05_06_18
The accomplishment of Abraham and his
successors is to have discovered the possibility of direct contact to the
creative force, to have discovered that it needs no mediation, even that any
mediation interferes with the immediate communication between man an his
creator.
Not daring to contact god directly but instead
thinking a saint to be closer implies a certain concept of god – a god that is
far away instead of being the core of one’s own being as Gen 1,26 implies. This
is the background of the first commandment prohibiting to set up anyone besides
god.
The basis of the biblical religion is the
realization of the immediate relationship between the creative force and the
creature on any level of being. Using saints as mediators or as advocates
before god in Judaism therefore rightly is considered to be idol-worship.
Idol-worship of course is not a problem for god but a person who circumvents
the direct line will limit its own possibilities.
But even though saints should not be used as advocates
they still will be what they are: shining examples. Everybody has in his/her
life people one likes very much, even admires. In the beginning of the life of
a human being it most certainly will be the parents. They and later on other
people most likely will become examples or models for ones own life – be it as
successful examples in one’s profession or as outstanding human beings in other
ways. Such outstanding examples rightly are admired and even emulated.
This process of learning by imitation, by
trying to tune into certain attitudes is a very natural process.
This process goes hand in hand with something
that in psychology is called “inner dialogue”. Every human being without
exception practices an inner dialogue talking at first mainly with his parents,
with his friends, but then with everyone he/she is meeting in his life.
If someone is attracted to a person, before
this someone is talking to that person, he/she will rehearse what he/she wants
to say. An inner dialogue starts naturally.
So it is also natural that an inner dialogue
starts with admired examples. The admirer wants to get access to similar
attitudes towards life and that process of finding these attitudes is taking
place in the inner dialogue of that person.
That inner dialogue might turn into “a prayer”,
into the expression of a wish. Here is the point where the roads part, where on
the one side the wish stays a wish, expressed in one’s inner dialogue, but
where on the other hand some kind of idolatry might start, assuming the saint
could out of his metaphysical reality change our physical reality in an
immediate material way. People often are not conscious enough to be able to
make such differentiations. But Christian theology should be conscious of the
difference and point its finger to the dangers of superstition – and at the
same time make clear that the original intention of a close relationship to a
saint in the process of shaping ones own life is no problem but desirable –
just as we also rightly should get in contact with spiritual teachers and learn
from them.
There still remains the aspect of the prayers
saints are said to be able to do for us.
Can they hear us?
Considering the overall interconnectedness of
being in the oneness of the all of the creative force, which even in the
dimension of space and time can be felt and observed, it is thinkable, that the
saints may, back then in their own time, be able to “hear” us in some way. Our
“prayer”, i.e. our communication within our inner dialogue, might be felt by
them in some kind of way. If this could be the case they would by our intention
be confirmed in their course, and that way they even more would be able to
function for us as an example. That way too they might be able to help us now
in our time to more easily adopt a style of life that coincides with their
intention – and with our own. In any case the communication in our prayer is a
communication in our inner dialogue. That’s what makes their qualities present
for us. And one of their qualities is their prayer for all human kind,
therefore also for us within our special situation.
The prayers the saints are said to be doing for
us therefore have already taken place in their time, which in some way is still
present as their examples have been forwarded to us and as in eternity all time
is present at once.
To assume that they still exist as
self-conscious persons in our time would necessitate the assumption of a
four-dimensional parallel universe of matter-less spirit, which is
characteristic of the dichotomic world view of metaphysics – a view that is not
accepted any more by the main stream of nowadays philosophy.
Many difficulties to understand formulas of
former times arise because the formulas are connected with the world views of
these times which possibly will no longer be the views of our time – as the
Hellenistic views or as even the dichotomic metaphysical views which today are
not shared any more commonly, because the realities of physics have outdated
them.
Speaking about physics: What about the miracles
the saints are said to be doing? After someone was healed Jesus never said “I
healed you”, he always said: “Your trust has made you whole.” So it is not the
saints who “do” miracles – but it is the saints who have given examples of
trust. Miracles happen because people got inspired to trust. The impossible can
become possible when someone has trust. So it always will be important to have
examples of trust. And therefore it always will be important to praise and to
cherish the saints.
Seeing all this,
Anstelle eines Nachworts:
Warum es nur eine Religion gibt
und biografische Notizen
30. 4. 2002
Wenn wir die geistigen und materiellen Einrichtungen betrachten, die die Menschen geschaffen haben, um ihre Beziehung zur schöpferischen Kraft auszudrücken, sehen wir, dass dafür in verschiedenen Regionen der Welt unterschiedliche Lösungen gefunden worden sind. Überall geht es darum, jene innere Einstellung zu entdecken, in der ein Mensch den Geist des Ganzen empfangen kann. Das Ergebnis dieses menschlichen Strebens sind die Religionen und andere Methoden, sich selbst zu finden, den optimalen eigenen Platz in der Welt zu entdecken und den Sinn der Existenz zu ergründen.
Die gegenwärtige Einstellung der meisten Anhänger dieser Religionen ist aber so, dass sie den Anhängern der anderen Religionen die Fähigkeit absprechen, mit der schöpferischen Kraft [oder im Fall der Buddhisten mit der „Leere“] in Kontakt zu treten. Sie gestehen ihnen vielleicht noch zu, dass sie es versuchen, dass sie es aber nie wirklich schaffen könnten, weil ihnen doch die wahre Religion fehle, nämlich die ihre.
Diese Menschen haben noch nicht bemerkt, dass Gott den Menschen die Fähigkeit, mit ihm in Kontakt zu treten, schon eingebaut hat. Und in dem Maß, in dem sie das noch nicht bemerkt haben, fehlt ihnen auch selbst der Zugang. Aber umso fanatischer sind sie oft, weil sie das doch sehr ärgert.
Wer aber bemerkt hat, dass es sich beim Kontakt mit der schöpferischen Kraft um eine urmenschliche Fähigkeit handelt [in der Sprache des Evangelisten Johannes die Fähigkeit, „Kinder Gottes zu werden“], der wird notwendigerweise auch bemerken, dass die Unterschiede zwischen den Religionen nicht zu deren wesentlichen Wahrheiten gehören, sondern dass sie auf kulturbedingten Eigenheiten beruhen, die den Eigenheiten der erprobten Wegen anderer Kulturen in keiner Weise überlegen sind. Dennoch ist ein Weg einer Religion nicht einfach nur ein beliebiger unter vielen, sondern für die Menschen dieser Kultur es ist ein uneingeschränkt gültiger Weg und daher „der“ Weg. Die Angehörigen anderer Kulturen können diesen Weg erst nachvollziehen, nachdem sie auch die kulturellen Prämissen nachvollzogen haben. Für sie empfiehlt es sich daher, ihren eigenen Weg zu gehen, der jenem in keiner Weise unterlegen ist, aber zu anderen Formen führt.
Die Unterschiede sind okay, sie dürfen sein. Aber sie sind kein Gütezeichen. In ihrem Wert unterscheiden sich die Wege nicht. Wer einen Weg gefunden hat, der ist am Ziel seiner Suche angekommen – mehr ist nicht möglich.
Christlich ausgedrückt, wer einen Weg gefunden hat, ist „wiedergeboren“ und mit allen Konsequenzen „ein Kind Gottes“ geworden. Die Buddhisten würden vielleicht sagen, er hat entdeckt, wie er in der Leere ruhen kann und wie er aus ihr Lösungen schöpfen kann für alle Belange seines Lebens und der Welt. Ghandi, Nelson Mandela, die Mutter Theresa, die Zen-Meister, die indischen Gurus, die tibetischen Lamas, die Sufi-Meister, aber auch Bhagwan und seine Nachfolger, haben ihren idealen Platz im Leben gefunden. Und sie werden dadurch für viele andere zum Vorbild, durch das sie den Weg zu ihrer persönlichen Identität zu entdecken hoffen. Sie sind dadurch jeweils zu Begründern neuer Traditionen geworden. Allerdings begreifen nicht alle ihre Anhänger den Geist ihres persönlichen Strebens wirklich. Viele meinen stattdessen, es ginge um Nachahmung und der Weg müsste ein für alle mal festgeschrieben sein, d.h. aus Sorge, den Weg zu verfehlen, wollen sie anstelle der Freiheit ihrer Vorbilder erneut das Gesetz einführen. Tatsächlich aber gibt es auf dem spirituellen Weg keine Garantie – in keiner Tradition. Letztlich ist der persönliche Weg nicht „erreichbar“, er ist ein Geschenk, das uns zuteil wird, wenn wir uns in die vertrauende Haltung (das berühmte „Glauben“) begeben können, in der wir allein fähig sind, dieses Geschenk zu empfangen.
Diese Einstellung habe ich in den vorangegangenen Aufsätzen in vielen Facetten beschrieben.
Vielleicht wäre es für den Leser aber auch nicht von Nachteil, ein wenig mehr darüber zu erfahren, wie ich zu diesen Einsichten gekommen bin:
Alles begann damit, dass ich eines Tages, als ich etwa fünfzehn Jahre alt war, wie vom Blitz getroffen wurde von der Einsicht, dass ich – im völligen Kontrast zu meiner bisherigen Lebenseinstellung – Priester zu werden hatte. Von diesem Moment an verbesserten sich meine Schulleistungen drastisch und ich entwickelte großes Engagement. Sogar mein Aussehen verbesserte sich. Und ich tat alles, um mich auf mein Ziel optimal vorzubereiten. Ich las sehr viel, besonders Heiligenbiografien und Bücher von Mystikern wie Johannes vom Kreuz und anderen. Und ich begann Theologie zu studieren.
Da ich aber wirklich „Priester“ werden wollte, hatte ich einen großen Anspruch darauf, wirklich die Wahrheit zu erfahren und alle Zweifel zu beseitigen. Aus diesem Grund las ich während meines Theologiestudiums auch sehr viel kontroversielle Literatur, und ich stellte fortwährend so viele kritische Fragen, dass der Regens des Priesterseminars, in das ich mich begeben hatte, mir am Ende meines vierten Studienjahres riet, doch das Seminar für ein Jahr zu verlassen und in einer anderen Stadt zu studieren, nämlich genau das Jahr, in dem meine Kurskollegen zu Priestern geweiht wurden. Er meinte, vielleicht würde ich ja von der Idee, Priester zu werden, abkommen.
Ich ging nach Wien. Zufällig war dieses Jahr aber das Jahr 1967/68, das Jahr der Studentenunruhen. Die meisten meiner Freunde in Wien waren Künstler und in der vordersten Avantgarde dieser Bewegung. Ich sog alles auf wie ein feuchter Schwamm. Durch meine Suche nach wahrer Gerechtigkeit begeisterte ich mich für den Marxismus und schwor auf Maos rotes Büchlein. Und weil sich in den alten Traditionen so viel als unecht herausgestellt hatte, rechnete ich mich zur Avantgarde der Erneuerer. Deshalb setzte ich mich auch entsprechenden künstlerischen Happenings aus, etwa solchen, bei denen Blut ins Publikum verspritzt wurde und ähnliches. Für einen Angehörigen der Avantgarde war es damals auch nötig, besondere Formen von Musik zu hören, etwa die von „Mother’s Convention“, der Gruppe von Frank Zappa etc..
Mit all dem zog ich im Jahr darauf wieder ins Priesterseminar in Salzburg ein, immer noch fest entschlossen, Priester zu werden, der erste sozialistische Priester. Doch natürlich kam es anders. Ich wurde nicht geweiht. Der Bischof weigerte sich.
So musste ich zum Ende des Wintersemesters aus dem Priesterseminar ausziehen. Dennoch schloss ich mein Theologiestudium ordentlich ab und begann anschließend das Studium von Geschichte und Politikwissenschaft. Gleichzeitig trat ich in eine Psychoanalyse ein, denn nun wollte ich Psychotherapeut werden. Das sollte allerdings noch eine Weile auf sich warten lassen, es kam erst zwanzig Jahre später.
Ich begann auch ein Dissertationsprojekt, in dem ich den Philosophen Leszek Kolakowiski, damals noch Mitglied des ZK der Kommunistischen Partei Polens, von links überholen wollte. Mein Professor weigerte sich, die erste Fassung zu lesen, bevor ich nicht den Adorno-Stil, den ich mir angewöhnt hatte, daraus beseitigt hätte, denn diesen Schreibstil empfand er als eine Zumutung.
Noch bevor ich die zweite Fassung anfertigen konnte, ging mir das Geld aus. Ich musste arbeiten, um mir den Lebensunterhalt für die noch nötige Zeit zu verdienen.
Die Arbeit brachte überraschend viel Geld. Nach neun Monaten hatte ich so viel Überschuss, dass ich mir vor Abschluss meiner Doktorarbeit sogar noch einen Traum erfüllen konnte – mit einer Reise nach New York.
Ich buchte also einen 40-Tage Hin- und Rückflug. Ich konnte dort bei Freunden wohnen. Es war für mich tatsächlich die Erfüllung eines Traums. New York begeisterte mich vollends. Alles passte. Auch dass ich dort eine unbefristete Einladung nach San Franzisko bekam.
Ich brach daher nach meinem Rückflug meine Zelte in Österreich ab und fuhr mit Sack und Pack nach Kalifornien. Was folgte, war eine wilde Zeit, eine Zeit von Sex and Drugs and Rock and Roll. Und doch blieb ich dabei stets auf die Wahrheit bedacht, als ein Erforscher des Lebens in den verschiedensten Strömungen und Strudeln des Daseins.
Meine hier vorwiegend schwarzen Freunde bereiteten mir einen Kulturschock nach dem anderen. Sie zwangen mich, zu sehen, dass es ganz andere Weisen gibt, das Leben und die Welt zu betrachten und dass diese Weisen sehr viel hatten, was für sie sprach. Ich konnte die Intensität manchmal gar nicht ertragen. Ich musste fliehen, suchte sie aber immer wieder, bis ich auch darin einigermaßen heimisch wurde.
Gleichzeitig lernte ich noch eine andere Welt kennen, die Welt eines illegalen Ausländers. Da offizielle Jobs mir verschlossen waren, verdiente ich meinen Lebensunterhalt ohne Arbeitserlaubnis als Automechaniker. Einige Jahre später wurde ich deswegen bei einem Grenzübertritt in Chicago festgenommen und man drohte mir die sofortige Abschiebung an. Während meiner Zeit in San Francisco aber hatte ich nie Probleme mit der Immigrationsbehörde. Einmal musste ich sogar als Zeuge in einem Prozess aussagen. Nie wurde ich nach einem Visum gefragt. Niemand nahm Anstoß daran, dass ich ein Ausländer war, ja man bemerkte es vielleicht gar nicht.
Die Arbeit als Automechaniker war es aber schließlich, die mich nach Europa zurückgebracht hat, denn sie raubte mir die Energie für das, was ich eigentlich tun wollte. Es drängte mich, all das aufzuschreiben, was ich erfahren hatte. Aber ich war nach der Arbeit einfach zu müde und höchstens noch fähig in eine Disko zu gehen und alles abzuschütteln oder zu Hause fernzusehen. Das war nicht mehr mein Traum. Daher entschloss ich mich, zurückzukehren.
In diesen fast fünf Jahren in San Franzisko hatte sich mir die ganze Welt auf ganz neue Weise eröffnet. Aber ich hatte gar keine Wahl. Meine europäisch und persönlich geprägten Vorstellungen stürzten mich häufig in heftigste Konflikte, an deren Tiefpunkt ich aber immer wieder durch so etwas wie mystische Erfahrungen gerettet wurde. Durch diese gewann ich ein völlig neues, für mich aber evident-authentisches Verständnis des Glaubens und der Bibel, das bis heute Gültigkeit hat. Und zudem gewann ich dadurch auch Zugang zu den Geheimnissen des Hinduismus und des Buddhismus, mit denen ich mich wegen meiner erstaunlichen Erlebnisse intensiv auseinandersetzte.
Mit dieser Fracht fuhr ich zurück nach Österreich und begann in Salzburg, meine neu entdeckte, alte Religion zu unterrichten. Ich hatte mir vorgenommen, meinen Schülern die Wahrheit in keiner Weise zu verheimlichen. Allerdings scheiterte ich eines Tages im zweiten Jahr an einer Harmlosigkeit in einer Sexualkundestunde, für die einige Schüler dieser Klasse aber offenbar noch nicht bereit waren. Es gab einen Protest einer Mutter und der Direktor der Schule beschwerte sich beim Pfarrer und bat um meine Entlassung.
Für mich kam das allerdings gerade recht, weil ich meine religiösen und philosophischen Einsichten gerade zu Papier gebracht hatte in einem Manuskript, das ich „Das Tausendundeinte Evangelium“ nannte.
Diese Einsichten wollte ich nun auf die Probe stellen, indem ich mir einen Meister suchte.
Da ich in keinem der christlichen Meister, die ich kennen gelernt hatte, meinen Meister erkennen konnte, wollte ich nach Indien reisen. Damals war Bhagwan schon bekannt, aber ich wollte auf keinen Fall zu ihm, denn die Schüler von Bhagwan, die ich kennen gelernt hatte, hatten auf mich keinen sehr attraktiven Eindruck gemacht. Aber mit einem Freund, der in Indien gelernt hat, die Flöte meisterhaft zu spielen, wollte ich eine Indienreise unternehmen.
Doch es kam anders.
Ich hatte bereits meine Angelegenheiten geregelt, mein Zimmer gekündigt etc., als mich ein Bekannter aus Wien mit erstaunlicher Hartnäckigkeit drängte, doch vor meiner Indienreise einen Sufi-Meister kennen zu lernen. Ich betrachtete seinen ungewöhnlichen Energieinsatz als ein Zeichen und fuhr hin. Und damit hatte ich für den Moment tatsächlich meinen Meister gefunden.
Als dieser Sufi-Scheichwenige Monate später bei einem Autounfall ums Leben kam, besuchte ich seine Meister in Ägypten und im Sudan.
Erneut war ich in einer völlig anderen Welt. Ich brauchte lange neun Monate, um mich einzuleben. Doch am Ende dieser Zeit gelang es mir, die erwünschte Bestätigung für meine Sicht der Dinge durch den obersten Scheich dieses Sufi-Ordens zu bekommen.
Damit kehrte ich nach Europa zurück und landete durch Zufall in München. Angereichert mit vielen neuen Erfahrungen, insbesondere auch was den orientalischen Umgang mit alten sakralen Texten und die Legendenbildung betrifft, begann ich hier, Religion zu unterrichten. Ich war voll Enthusiasmus, aber das Unterrichten fiel mir sehr schwer, weil ich den Widerstand der Schüler als äußerst schmerzlich empfand. Sie wollten sich mit den Fragen der Existenz eher nicht auseinandersetzen, aber ich wollte nur das. So kam es, dass ich nach drei Jahren eine Pause in meiner Tätigkeit einlegte, um alles noch einmal zu überdenken.
Ich las sehr viel während dieser Pause, vorwiegend anthropologische Literatur über die Ursprünge der Religion. Und ich las Castaneda, den ich nach meiner Rückkehr aus den USA kennen gelernt hatte. Trotz der weit verbreiteten Bezweiflung seiner Seriosität war ich fasziniert von seinen „Berichten“. Ich las sämtliche Bände immer wieder und versuchte jedes Detail zu verstehen. Dadurch hat mir der Fischer-Verlag schließlich angeboten, ein Register zu einem neuen Castaneda-Band zu machen. Allerdings wäre die Bezahlung in keinem Verhältnis zum Arbeitsaufwand gestanden; außerdem hatte ich dem Verlag ein Gesamt-Register vorgeschlagen, eine Art alphabetisches Castaneda-Lesebuch und war daher enttäuscht von der angebotenen Minimal-Version. Dennoch tut mir heute die Arroganz leid, mit der ich das angebotene kleine Register ablehnte. Dadurch konnte es natürlich auch nicht das von mir erwünschte größere Register geben, was ich nach wie vor bedauere. Ich bin nämlich immer noch davon überzeugt, dass Castaneda Unschätzbares geleistet hat für ein tieferes Verständnis spiritueller Zusammenhänge, sowohl was die Arbeit der Schamanen aller Kulturen betrifft, wie auch all das, was durch eine der großen Religionen mit Menschen geschehen kann.
In dieser Zeit lernte ich einen japanischen Shiatsu-Meister kennen, der seine Technik aufgegeben hatte zugunsten des Weges, den er selbst entdeckt hat. Er nannte seine Arbeit „Sei-ki-soho“. Es ist ein einfühlender Weg, Menschen körperlich zu „behandeln“. Ich lernte sehr viel durch ihn, insbesondere weil ich später neun Monate zusammen mit ihm eine WG bildete und fast meine ganze Zeit mit ihm verbrachte, denn auch das war noch während meiner ersten Arbeitspause. U.a. übersetzten wir gemeinsam Texte, die er verfasst hatte, ins Deutsche. Es sind sehr treffende Texte über genau die Einstellung, durch die die Wahrheit fühlbar wird.
Als ich erneut in die Arbeit als Religionslehrer einstieg, war er bereits in eine andere Stadt gezogen. Ich begann nun eine Psychotherapieausbildung. Formell lief sie unter dem Titel „Verhaltenstherapie“, praktisch war es systemische Therapie. Ich lernte Hypnose, Autosuggestionen, Entspannungstechniken und die Kunst des zirkulären Fragens. Dazu kam bald darauf das Familienstellen nach Hellinger. Gleichzeitig nahm ich an Drogenexperimenten teil, die mir unglaubliche Erinnerungen bescherten, sogar an „Gedanken“ und Gefühle aus der Zeit vor meiner Geburt. Und diese Erinnerungen brachten eine erstaunliche Ruhe, die ausstrahlte auf alles, was ich tat.
In dieser Zeit begann ich, in einem psychiatrischen Rehabilitationsheim zu arbeiten und ich lebte – allerdings auf Abstand – in einer Beziehung. In meiner neuen Arbeit erfuhr ich, dass meine naiven Fragen eine sehr starke Wirkung auf die Patienten hatten. Als ich später therapeutische Elemente aus meiner Ausbildung integrierte, hat sich die Intensität dieser Wirkung deutlich verringert, weil durch die Methode meine ursprüngliche naive Ehrlichkeit beeinträchtigt worden ist.
In diese Zeit fielen auch starke spirituelle Erfahrungen mit der katholischen Liturgie. Die Person Jesu kam mir sehr sehr nahe.
Meine Arbeit in der Psychiatrie war erfolgreich. Meine religiösen Gesprächsrunden waren besser besucht als viele gleichzeitig angebotene Kinobesuche mit freiem Eintritt.
In dieser Zeit schrieb ich ein Buch, das aus meiner Arbeit mit den Klienten dieses Rehabilitationsheims hervorgegangen ist. Mir fiel nämlich auf, dass ich in den biblischen Geschichten, die ich erzählte, für mich selbst oft völlig verblüffende Wendungen fand, die genau auf die Situation meiner Zuhörer passten. Das Buch heißt entsprechend „Auferstehung – vor dem Tod. Therapeutisch arbeiten mit biblischen Texten.“
Als das Buch schon eine Weile auf dem Markt war, lernte ich wieder einen Menschen kennen, der mich sehr faszinierte. Er brachte uns Teilnehmern eines Workshops, den er veranstaltete, durch Tanzen so sehr ins Schwitzen, dass das Wasser vom Schweiß der Leute riesige Pfützen auf dem Boden der Halle bildete. Mit diesem Ordeal versprach er „Dynamische Körperenergie-Befreiung“. Das kannte ich noch nicht. Obwohl alle meine Freunde mich warnten, musste ich es kennen lernen.
Nach jahrelangem Encounter in einer von ihm zusammengestellten Gruppe hatte ich schließlich aber die Schnauze voll. Im letzten Jahr war die Auseinandersetzung so intensiv geworden, dass sie meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Da es dafür keine andere Möglichkeit zu geben schien, machte ich eine weitere Pause in meiner Arbeit. Der Zeitpunkt koinzidierte mit einer gewissen Erschöpfung meiner Möglichkeiten an meiner Arbeitsstelle. Der Grund dafür war mir damals nicht ganz klar, aber es hatte damit zu tun, dass das Haus, in dem ich arbeitete, nur etwa einhundert Klienten hatte, die überdies eher überversorgt waren, wodurch viel von dem, was ich aufbaute, von anderen Experten wieder zerstört wurde.
Nach zwei Jahren Pause wollte ich meine Arbeit in der Psychiatrie wieder aufnehmen. Um die unbefriedigende Situation von zuvor zu vermeiden, entwickelte ich mit Hilfe vieler interessierter Menschen ein Konzept für ambulante Psychiatrieseelsorge. Fast alle Klinikchefs in München befürworteten mein Konzept und es war in aller Munde, sodass sich die Erzdiözese genötigt sah, tatsächlich eine Stelle für ambulante Psychiatrieseelsorge einzurichten. Allerdings hatte man mir meine vorangegangene Kündigung nicht verziehen. Die Stelle wurde daher nicht mir zugesprochen, der ich alle Vorarbeit dazu geleistet hatte, sondern einem neuen Mann, der sich in die Materie erst einarbeiten musste. Ich bekam wieder eine Stelle in der Schule angeboten und dort stieg ich ein.
Und dann begann ich, an diesem Buch zu arbeiten, zunächst noch ohne Vorstellung darüber, was daraus werden sollte. Erst im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass ich eine Philosophie und eine Theologie beschrieb, in der sich alle Menschen aller Religionen und Wege wiederfinden können.